See you at the bitter end von rokugatsu-go ================================================================================ Kapitel 7: Without you I'm nothing at all ----------------------------------------- „Without you I'm nothing at all“   Placebo & David Bowie, „Without you I'm nothing“     „Hey.“ Dazai hielt an, als er registrierte, angesprochen worden zu sein. „Du bist tropfnass.“ Das war ihm bewusst. Wie konnte jemand annehmen, dass ihm das nicht bewusst war? Sein Anzug und vor allem der viel zu große, schwarze Mantel trieften regelrecht vor Nässe, was insbesondere den Mantel so schwer machte, dass der Junge beinahe nur gebückt gehen konnte. Die Verbände, die er zu unterst trug, froren wahrscheinlich gerade an seiner Haut fest. „Es ist saukalt.“ Natürlich war es kalt. Es war Winter. Im Winter war es kalt. Vor allen Dingen draußen, wo sie ja gerade waren. Was war das denn für ein Kerl, der scheinbar ständig Offensichtlichkeiten von sich geben musste? Und doch war Dazai stehen geblieben, um ihm weiter zuzuhören. Sein Tonfall klang interessant. Nicht belehrend. Nicht von oben herab. Nicht ihn für sein offensichtlich dummes Verhalten tadelnd. Nicht wie jemand, der - obwohl er beobachtet hatte, wie Dazai aus dem Fluss geklettert war – ihm deswegen lästige Fragen stellen würde. Er hatte noch nie jemanden so monoton und gleichzeitig so eindringlich und abgeklärt sprechen gehört. Es klang geradezu … beruhigend. Dazai drehte sich zu dem jungen Mann um, an dem er sich eigentlich gerade vorbeigeschleppt hatte. Vermutlich war er nur wenige Jahre älter als er selbst, aber er wirkte wie jemand, dem man auf den ersten Blick ansah, dass er die Last der Welt auf seinen Schultern trug. Entsetzen blitzte in den Augen des Mannes auf, als er Dazai betrachtete. „Du hast schon ganz blaue Lippen.“ Er zog seine Jacke aus und schloss die Distanz zwischen ihm und dem Jungen. „Gib mir den nassen Mantel und zieh die hier an.“ Er hielt ihm seine Jacke hin. „N-n-nein ...“, gab Dazai bibbernd von sich. Seine gesamte Gestalt zitterte erbärmlich. „D-d-das i-ist H-herr M-m-moris-“ „Mori?“ Der Ältere stutzte kurz. „Ah. Verstehe. Du trägst den Mantel vom Boss. Dann musst du seine neue rechte Hand sein. Ich habe zwar schon gehört, dass es sich dabei um jemand Junges halten soll, aber … so jung hätte ich jetzt auch nicht gedacht.“ Dazais sichtbares Auge wurde bei diesen Worten merklich größer. „D-d-du g-g-gehörst au-auch z-z-zur-“ „Ja“, unterbrach er ihn unaufgeregt, um die Diskussion abzukürzen, damit der Junge ihm hier nicht wirklich noch erfror. „Du musst schnell ins Warme.“ Da der Junge vor Kälte und Erschöpfung Probleme damit hatte, weiter zu protestieren, war es zum Glück nicht mehr allzu schwer, ihn zur nächstbesten Wärmequelle zu bringen. Dass es sich dabei um eine Bar handelte, war Zufall gewesen. Der Barbesitzer hatte ihnen alles, was er an Handtüchern da hatte, gegeben und trotz der offensichtlichen Minderjährigkeit des Brünetten ihm einen Drink zum innerlichen Aufwärmen hingestellt. Als Dazai diesen runterkippte wie nichts, war es den beiden Älteren sehr schnell klar, dass es sich wohl nicht um seinen ersten Kontakt mit Alkohol handelte. „Gut. Du zitterst nicht mehr so.“ Sein unaufdringlicher Helfer rubbelte mit einem Handtuch seine braunen Locken trocken, während sie am Tresen auf den Barhockern saßen. „DAS kann ICH … selbER.“ Statt des Bibberns hatte sich nun der etwas zu hastige Alkoholkonsum in Dazais Stimme geschlichen. „Bitte. Dann mach.“ Er zog seine Hände zurück und ließ das Handtuch auf Dazais Kopf liegen, der aber mit seiner neuen Mischung aus Erschöpfung und Betrunkenheit nicht reagierte und das Handtuch zu Boden rutschen ließ. „Selber, huh?“ Der Ältere bückte sich, um das Handtuch wieder aufzuheben, als plötzlich die Hände des Jüngeren durch seine Haare wuschelten. „Du hast rote Haare ...“ Seine Stimme klang, als wäre er geistig nur halb anwesend, als würden seine Gedanken eigentlich in andere Dimensionen abdriften, „sie kommen der Farbe von Blut sehr nahe.“ Der Mann hielt inne, während er den Jungen seine Finger durch seine Haare fahren ließ. „Und? Ist das was Gutes?“ „Ja“, antwortete Dazai bestimmt, „es ist ein schönes Rot.“ Der Mann hob seinen Kopf wieder, ohne dass Dazai seine Haare losließ. Stattdessen verkrallte er seine Finger geradezu in ihnen. „Okay. Du kannst durch meine Haare wuscheln so viel du willst, aber lass sie bitte dran.“ „Wie ist dein Name?“ Er ließ die von ihm gefangen genommenen Haarsträhnen ein Stück weit los, ohne seine Hände vom Kopf des Anderen zu nehmen. „Sakunosuke Oda.“ „Zu lang“, maulte Dazai. „Dann nenn mich nur Oda.“ „Zu kurz!“, maulte Dazai noch unzufriedener. „Einen anderen Namen hab ich aber nicht.“ „Odasaku!“, rief der Junge aus und lächelte plötzlich, als hätte sein Einfall seine Stimmung mit einem Mal ums Hundertfache verbessert. „Ich werde dich Odasaku nennen!“   „Ahhh!!“ Ango zeterte grässlich. „Dazai! Meine Schuhe! Auf meine Schuhe! Passen Sie doch besser auf!“ Er schüttelte seine Füße, während sie vor der Tür des Lupin standen, wo Dazai seinen Mageninhalt über Angos Treter ergossen hatte. „Ich glaube, du hattest heute etwas zu viel.“ Odasaku blickte auf den Rücken seines Freundes, der immer noch gebückt da stand. „War keine … Absucht.“ „Absucht?“, hakte Ango nach. „Sie meinen Absicht?“ „Nein! Die war's ja nicht-buaaarghs!!“ Als Dazai sich von neuem übergeben musste, sprang Ango jaulend zur Seite, während Odasaku geistesgegenwärtig den Brünetten, der nun fast vornüber fiel, mit einer Hand festhielt. „Ja. Du hattest heute definitiv zu viel.“ Als Dazai aufgehört hatte, legte Odasaku einen Arm des Jüngeren um seine Schulter und seinen eigenen Arm um Dazais Taille, um ihn so abzustützen. „Bringen Sie ihn nach Hause?“, fragte Ango, dessen Sorge nicht nur mehr seinen Schuhen, sondern auch der etwas mitleiderregenden Gestalt galt, die nun schlaff an der Seite des Rothaarigen hing. „So sollte man ihn nicht alleine lassen.“ „Ich kümmer mich um ihn.“ Ango und Odasaku verabschiedeten sich voneinander und gingen ihrer Wege, während Dazai halb stolperte und sich halb von Odasaku ziehen ließ, ohne ein Wort zu sagen, was den Älteren zunehmend beunruhigte. „Bist du in Ordnung?“ Er rüttelte ein wenig an seinem Freund. „Meinst du ...“, kam die etwas undeutliche Antwort, „meinst du, Ango hat sehr an den Schuhen gehangen?“ Erstaunt stutzte Odasaku. „Keine Ahnung. Machst du dir jetzt darüber Gedanken?“ „Wäre doch echt schade ... wenn er deswegen nicht mehr mit uns trinken will.“ Der Hauch eines flüchtigen Lächelns legte sich auf die Lippen des Rothaarigen. „Du bist doch jetzt noch betrunken. Bis zum nächsten Mal ist Ango über seine Schuhe hinweg.“ „Gut! Das ist … gut.“ Erneut legte sich Schweigen über das Duo, das durch die erstaunlich stille Nacht Yokohamas streifte – beziehungsweise zur Hälfte stolperte. „Odasaku“, hauchte Dazai plötzlich und der Angesprochene horchte auf. „Trag mich.“ „Du kannst doch noch selber gehen.“ „Bitte trag mich.“ Odasaku hielt an und sah auf seinen Freund, der seinen Kopf hängen ließ und dessen normalerweise sichtbares Auge so durch seine braunen Haare verdeckt war. „Ist irgendwas mit dir?“ Dazai antwortete erst einmal nicht. Aber Odasaku hatte das Gefühl, dass die Last, die seine Arme hielten, sich mit einem Mal viel schwerer anfühlte. „Bitte trag mich“, flüsterte Dazai noch leiser und doch konnte der Ältere die Stimmung heraushören, die dort mitschwang. Er fühlte sich immer recht hilflos, wenn Dazai aus dem Nichts so traurig klang. „In Ordnung.“ Odasaku ließ den Arm los, den er um seine Schulter gelegt hatte und zog ebenso die Hand weg, die Dazais Mitte umschlungen hatte. In Windeseile trat er vor den Jüngeren und hockte sich, ihm den Rücken zugewandt, vor ihn. Sein Gefühl hatte ihn nicht getäuscht. Sobald er Dazai losgelassen hatte, hatte dieser sich einfach fallen gelassen. So fiel er auf Odasakus Rücken und der Rothaarige griff mit seinen Armen nach hinten, um ihn dort festzuhalten. Mit einem leichten Ächzen stand er wieder auf und verstärkte seinen Griff um den Brünetten, damit Dazai, der bislang keine Anstalten machte, sich selber festzuhalten, ihm nicht auf den Boden plumpste. „Geht es so?“, fragte Odasaku, als er damit begann, einen Schritt vor den anderen zu setzen. „Ja. So geht es.“ Dazai legte sein Kinn auf der Schulter des Anderen ab und fing endlich an, sich an dem Älteren festzuhalten. „So geht es.“ „So werden wir aber vermutlich länger für den Weg brauchen.“ „Ist das schlimm?“ Odasaku deutete ein Kopfschütteln an. „Nein. Eigentlich nicht. Auch wenn du nicht gerade leicht bist.“ „Tut mir leid.“ „Dafür musst du dich wirklich nicht entschuldigen.“ Sie setzten ihren Weg in aller Stille fort. Und wie still Yokohama in dieser Nacht war. Als wären sie die letzten beiden Menschen auf der Welt. Als wäre der Rest der Welt verschwunden und nur sie schleppten sich noch durch die einsame Stille, die übrig geblieben war, nachdem alles Leben diese Welt verlassen hatte. Odasaku mochte die Ruhe eigentlich, doch hier und jetzt hatte sie etwas Unheimliches an sich. Etwas Unheilvolles. Nicht wie eine Decke, die einen sorgsam einhüllte, sondern wie ein Vorhang aus Blei, der sich schwerfällig über einen legte und einem langsam die Luft zum Atmen nahm. War diese Stille ein Sinnbild? Der Gedanke ließ Odasaku innerlich stutzen. War diese unheimliche Stille nicht genau wie die Hilflosigkeit, die er verspürte? Schwer wie Blei. Als würde sie ihn erdrücken. Er wusste um Dazais Verfassung. Um seine Verzweiflung. Um seine Sinnsuche. Und er wusste nicht, was er ihm dazu sagen sollte. Gab es denn wirklich nichts, das jemand wie er tun konnte? „Ich hatte plötzlich Angst zu fallen“, sagte Dazai unvermittelt in die Stille hinein, sodass Odasaku beinahe erschrak. „Aber so geht es. So geht es. Ich weiß, dass ich so nicht fallen werde.“ Odasaku verstärkte noch einmal den Griff, der seinen Freund festhielt.   Moris schwarzer und immer noch zu großer Mantel flog in hohem Bogen von ihm und blieb unbeachtet in den Blutlachen der Mimik-Soldaten liegen, als Dazai schreiend und verzweifelnd zu Odasaku rannte. Odasaku, der da am Boden lag und blutete, viel zu viel blutete und noch nie hatte Dazai der Anblick von Blut so verstört, so in Panik versetzt. Blut war das, was er gesucht hatte, aber nicht dieses. Nicht dieses. Nicht dieses, das nun an seiner Hand klebte. Denn dieses Blut gehörte zu Odasaku und Odasaku brauchte es und er brauchte Odasaku. Odasaku konnte nicht sterben, er durfte nicht sterben, denn Odasaku war das einzige, was er in dieser Welt hatte, war das einzige, das ihn an diesem grausamen und unsinnigen Leben festhalten ließ. Die Panik breitete sich unter seiner Haut aus, wie ein Feuer, das jede Faser seines Körpers entflammte und ihn innerlich verbrennen ließ. Dazai konnte nicht atmen, konnte nicht denken, konnte keine Lösung finden für all die Probleme, die plötzlich vor ihm lagen und ihn erdrückten. Er war nicht klug. Er war allen anderen nicht so überlegen, wie es alle annahmen. Denn wenn es so wäre, hätte er jetzt eine Lösung in seinem Kopf finden können und damit Odasaku retten können, doch dort war nichts; nichts außer einer schreienden Stille und einem höllischen Flammenmeer, das ihn innerlich auffraß. Und mitten in diesen höllischen Schmerz hinein sagte Odasaku ihm, dass es nichts auf der Welt gab, was die Einsamkeit in ihm jemals ausfüllen würde. Seine Verzweiflung flutete mit einem mal aus ihm heraus. Dies schien wie das Ende aller Dinge zu sein. „Odasaku. Sag mir bitte, was ich machen soll.“ Odasaku war klug. Er war schon immer klüger als er selbst gewesen und Odasaku würde ihn nicht ohne eine Lösung im Stich lassen. Odasaku würde ihn sowieso niemals im Stich lassen. Er hatte Odasaku im Stich gelassen. Und trotzdem, trotzdem flehte Dazai ihn um Hilfe an, weil er doch alles war, was er hatte. Alles. Und ohne Odasaku wäre alles nur noch nichts. „Begib dich auf die Seite der Retter. Wenn es sowieso nicht darauf ankommt ... wähle ein guter Mensch zu sein. Einer, der die Schwachen rettet … und die Waisen beschützt.“ Und er versprach es ihm. Er, der nur das Töten und das Blutvergießen kannte, dem Menschenleben bisher nichts bedeutet hatten, versprach ihm, Menschen zu retten. Er versprach es ihm, weil er auf seine Worte vertraute. Er versprach es ihm, weil es die Worte seines besten Freundes waren. Er versprach seinem besten Freund, den schöneren Weg zu wählen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)