See you at the bitter end von rokugatsu-go ================================================================================ Kapitel 4: I'm well aware of how it aches ----------------------------------------- „I'm well aware of how it aches“   Placebo, „Song to say goodbye“     Dazai sah von dem Dach des Hochhauses, von dem aus auf Ranpo geschossen worden war, auf die Straßenkreuzung. Er war sich sicher, dass ein Teil des Rätsels Lösung hier zu finden war, doch noch hatte er den entscheidenden Anhaltspunkt nicht ausmachen können. Irgendetwas an der Sache störte ihn. Es machte nicht so recht Sinn. Wieso hatte der Schütze aus dieser guten Position und mit diesem hervorragenden Sichtfeld nur einmal geschossen? „Eine Patronenhülse.“ Kunikida kam zu ihm hinzu und hielt ihm den winzigen Gegenstand hin. „Sie war in den Abfluss dort gefallen und hatte sich am unteren Ende des Abflussgitters verfangen.“ Er zeigte auf das kleine Loch im Boden. Offensichtlich hatte er das Gitter abgeschraubt und so die Hülse gefunden. „Solche Gewehre benutzen Scharfschützen“, stellte Dazai nach nur einem kurzen Blick auf die Hülse fest. „Ich frage mich die ganze Zeit schon, ob wir es mit einem giftmischenden Schützen zu tun haben oder ob es mehrere Täter gibt.“ Kunikida besah sich nachdenklich und sichtlich besorgt die Patronenhülse. „Es sind mehrere.“ Der Blick des Blonden schnellte wieder hinauf zu seinem Kameraden. „Wieso bist du dir da so sicher?“ „Jemand, der über ein so starkes Gift verfügt, das er auch noch so schnell und unauffällig verabreichen kann, würde sich nicht ohne Grund die Mühe machen, hier hochzukommen, um auf Ranpo zu schießen.“ Dazais Augen wanderten wieder zur Straßenkreuzung hinunter. „Sie arbeiten also im Team, sehen aber aus irgendeinem Grund davon ab, mehrere von uns gleichzeitig anzugreifen. Daher knöpfen sie sich uns einzeln vor.“ Bei Dazais Worten wurde Kunikidas Blick noch ernster. „Das nächste Attentat bei einem gezielten Vorgehen gegen die Detektei …. Auf wen von uns haben sie es als nächstes abgesehen?“ „Wenn es um die Vernichtung der Detektei ginge, wäre der Chef die logische Wahl.“ Kunikida erschrak. „Der Chef ist doch momentan der einzige, der allein ist!“ „Wenn es um die Vernichtung der Detektei ginge“, antwortete Dazai ruhig. „Weder Yosano noch Ranpo sind getötet worden. Wollte man das Büro auslöschen, würde man doch sicherstellen, dass die Ziele zweifellos beseitigt wurden. Das Ziel der Täter ist etwas Anderes als die Vernichtung der Detektei. Daher ist es auch unwahrscheinlich, dass sie als nächstes den Chef angreifen.“ Aus dem Augenwinkel konnte er ausmachen, wie Kunikidas Anspannung sich ein kleines Stück legte. Allerdings war sie immer noch beinahe mit den Händen greifbar. Hier fehlte eindeutig ein Puzzleteil, um der Lösung näherzukommen. Was übersah er? Wenn er die Detektei vernichten wollte, würde er sich auch die Mitglieder einzeln vorknöpfen, aber so, dass sie ganz sicher dabei sterben würden und nicht nur verletzt würden. Und er würde sich selbst entweder vor oder zeitgleich mit Ranpo auslöschen. Aber was für ein Ziel verfolgten sie dann? Was übersah er bloß? Kunikida warf einen sorgenvollen Blick auf seine Armbanduhr. „Es ist jetzt 12:31 Uhr. Tanizaki und Kenji sollten sich doch eigentlich alle 30 Minuten bei uns melden.“ Entsetzt wirbelte Dazai zu ihm herum. „Kunikida! Ruf sofort Tanizaki an!“   „12:15 Uhr.“ Tanizaki sah von seiner Uhr auf. „In 15 Minuten sollen wir uns wieder bei Kunikida melden.“ Er und Kenji hatten die Straßenkreuzung verlassen und ihren Suchradius nach möglichen Zeugen auf die weitere Umgebung ausgeweitet. Aus dem Blickfeld des Hochhauses, das ihre beiden Kollegen untersuchten, waren sie inzwischen verschwunden. „Entschuldigung.“ Die schwach klingende Stimme eines Kindes ertönte hinter ihnen und sie drehten sich zu ihr um. Ein kleines Mädchen stand dort. Im Großen und Ganzen sah sie wie ein gewöhnliches Mädchen aus, doch ihre Mimik war merkwürdig ausdruckslos und ihre Augen schienen in eine unbekannte Ferne zu blicken. „Ja?“, erwiderte Tanizaki freundlich. „Sie suchen doch den Mann, der die Frau an der Straßenkreuzung angegriffen hat“, antwortete sie und ihr Tonfall klang eigenartig traurig. „Ja!“, rief Kenji aus. „Den suchen wir! Weißt du vielleicht etwas dazu?“ „Ich habe ihn gesehen.“ Die zwei Detektive tauschten einen erstaunten Blick aus. „Kannst du ihn beschreiben?“, hakte Tanizaki nach. „Ich habe gesehen, wohin er gelaufen ist.“ Langsam hob sie einen Arm und zeigte mit einem Finger in eine leicht versteckt liegende Straße, die von dort, wo sie standen, schwer einzusehen war. Die Blicke der jungen Detektive folgten ihrem Fingerzeig. „Da entlang?“, hakte Tanizaki mit einem mulmigen Gefühl im Bauch nach. „Würde als Fluchtweg doch Sinn machen“, wandte Kenji ein. „Ja, das schon, aber … ich sollte lieber erst Kunikida Bescheid geben, bevor wir uns dort umsehen.“ Gerade als Kenji zustimmend nickte, lief das Mädchen plötzlich los und rannte in die Richtung, in die sie gezeigt hatte. „Hey!“, rief Tanizaki ihr erschrocken hinterher. „Warte!“ „Was ist, wenn der Gifttyp da immer noch ist?“, fragte der Jüngere der beiden alarmiert, ehe er ihr hinterher stürmte. „Verdammt!“ Das mulmige Gefühl so gut es ging ignorierend, lief auch Tanizaki los. Die beiden durchquerten die Straße bis zu ihrem Ende, an dem eine alte, verlassene Fabrik stand. „Ich kann sie nirgends sehen. Wo kann sie nur hin sein?“ Kenji blickte sich um und entdecke etwas Anderes. „Tanizaki, sieh mal!“ Er zeigte auf den Boden vor dem Fabrikeingang, der gesäumt war mit Patronenhülsen. „Das sieht ja aus, als hätte hier jemand Schießübungen veranstaltet“, schlussfolgerte der Rothaarige nachdenklich. „Da in der Halle liegen Waffen.“ Kenji lief in das Gebäude und Tanizaki folgte ihm auf dem Fuße. Sie sollten doch schließlich zusammenbleiben, so wie der Chef es ihnen aufgetragen hatte. „Ich werde jetzt besser Kunikida Bescheid sagen.“ Als sie im Inneren der Fabrik angekommen waren, nahm Tanizaki sein Handy heraus, klappte es auf und wollte die Kurzwahltaste berühren, als mit einem Mal alles vor seinen Augen verschwamm. Was war das denn jetzt? „Tanizaki ...“ Kenji, der vor ihm ging, drehte sich zu ihm um. „Mir ist so ein bisschen schwummrig im Kopf ...“ „Mir … auch ...“ Ihm war als hätte der Raum begonnen, sich zu drehen. „Ist … das … eine … Falle?“ Er hatte Probleme, die Worte auszusprechen. Oder sie auch nur zu denken. Sein Kopf fühlte sich so leicht an. So vollkommen leer. Und doch gleichzeitig auch so schwer. „Tanizaki??“, rief Kenji besorgt aus, als sein Kollege zu schwanken begann. Scheinbar war der Jüngere der beiden nicht so schlimm betroffen. Mehrere Geräusche ließen den blonden Jungen sich erneut in die Richtung drehen, in die er ursprünglich unterwegs gewesen war. Mehrere Kinder, alle mit dem gleichen emotionslosen Gesichtsausdruck und alle mit verschiedensten Waffen, von Pfeil und Bogen, Speeren, Schwertern, bis hin zu Maschinengewehren und Pistolen, ausgerüstet, standen dort plötzlich vor ihm. Auch das Mädchen, das sie hierher gelotst hatte. In ihren Händen hielt sie eine geladene Armbrust, die sie ohne zu zögern auf Kenji abfeuerte. Der Pfeil zersplitterte allerdings, als er den Jungen traf. „Hey! Au! Was soll denn das?“ Im nächsten Moment stürzten sich die anderen Kinder ebenso auf ihn und feuerten alles ab, was sie hatten. Die Kugeln prallten an ihm ab und auch die Schwerter konnten ihm keinen Schaden zufügen. Kenji jedoch war ratlos, was er tun sollte. Er konnte doch nicht diese Kinder schlagen? Während er die mit den Schwertern auf ihn eindreschenden Kinder abhielt, wandte er sich hilfesuchend wieder seinem scheinbar erstarrten Kameraden zu. „Tanizaki! Vorsicht! Hinter dir!“, warnte Kenji ihn aus vollem Halse, doch der Ältere reagierte nicht und schien auch den hinter ihm aufgetauchten jungen Mann nicht zu bemerken, der ihm blitzschnell ein Kurzschwert in den Rücken rammte. „Tanizaki!!“, schrie Kenji und wollte zu ihm laufen, als unversehens ein dunkelhaariger Mann aus einem Versteck hinter einigen Kisten hervor geschossen kam und den blonden Jungen fest am Handgelenk packte. „Lassen Sie mich los!!“ Mit einem Mal spürte Kenji, wie seine ganze Kraft seinen Körper verließ. Sein Körper wurde schwer wie Blei und das schwummrige Gefühl, das er vorhin nur in seinem Kopf gefühlt hatte, war plötzlich wie eine Betondecke, die ihn zu zerquetschen drohte. Er konnte kaum noch atmen und sein Handgelenk brannte wie Feuer. „Tanizaki!! TANIZAKI!!“, brüllte er, ehe er zu Boden ging. „Ken … ji?“ Hatte da nicht gerade Kenji geschrien? War etwas mit ihm? Was war hier überhaupt …? Eine Falle … sie waren in eine Falle gelaufen! In dem Augenblick, in dem der Schrei des Jungen schwach zu Tanizakis vollkommen benebelten Bewusstsein durchdrang, holte es ihn in die Realität zurück. Auf einmal spürte er die tiefe Wunde in seinem Körper, doch auch wenn der Schmerz erstaunlicherweise auszuhalten war, war sich Tanizaki sofort bewusst, dass er gerade viel zu große Mengen Blut verlor. Besonders, weil sein Angreifer das Schwert wieder hinauszog und dabei nicht nur die Verletzung verschlimmerte, sondern auch seinen Blutverlust dramatisch verstärkte. Der Rothaarige blinzelte, um seine Sicht wieder klarer zu bekommen und erblickte den vor ihm auf dem Boden liegenden Kenji. Ein fremder Mann in einem beigefarbenen Anzug hielt sein Handgelenk mit einer Hand fest. „Ken … ji …“, war das Letzte, das Tanizaki zu Tode verängstigt äußern konnte, ehe es ihm schwarz vor Augen wurde und er, das aufgeklappte Handy noch immer in einer Hand haltend, bewusstlos zu Boden sank. „Sind die hartnäckig“, sagte sein Angreifer, steckte sein Schwert weg und fuhr sich mit einer Hand angestrengt durch seine kurzen, rotbraunen Haare. „Vielleicht haben wir diese beiden ein wenig unterschätzt.“ Tanizakis Blut klebte an seiner braunen Weste und an den Ärmeln des weißen Hemdes, das er darunter trug. „Ein wenig?“, entgegnete der ältere, schwarzhaarige Mann und ließ sichtlich erschöpft Kenjis Handgelenk los. „Mit der Dosis, die ich diesem Jungen verabreichen musste, hätte man locker einen Elefanten lahm legen können. Oder zwei.“ Plötzlich verkrampfte sich sein Körper, er ging in die Knie und fing an, erbärmlich zu husten. „Aldous!“, rief der Jüngere erschrocken aus, als er hilflos dem Anfall seines Gefährten zusah. Der Angesprochene winkte mit einer Hand beruhigend ab, während er mit der anderen das Blut aus seinem Gesicht wischte, das er ausgehustet hatte. „Geht schon wieder. War nur etwas zu viel Soma auf einmal.“ Der Jüngere stieg besorgt über Tanizakis verblutende Gestalt hinweg und half dem Dunkelhaarigen wieder auf. „Wir haben es bald geschafft“, sagte er mit bebender Stimme, während er sich zu einem Lächeln zwang. „Den nächsten schaffen die Lost Boys alleine. Und wenn wir uns um den großen Fisch gekümmert haben, kannst du dich bis zum letzten Akt ein wenig ausruhen.“ „Die Lost Boys sind wirklich erschreckend viele geworden, seit wir in dieser Stadt sind“, äußerte der Andere erschöpft. Gestützt auf seinen jüngeren Kameraden begab er sich zum Ausgang und sie ließen die beiden Detektive allein in der verlassenen Fabrikhalle zurück. Mitten in die plötzlich eingetretene, unheimliche und unheilvolle Stille platzte ein Geräusch. Tanizakis Handy klingelte. Eine zitternde, sich tonnenschwer anfühlende Hand streckte sich nach dem aufgeklappten Handy aus. Kenji schaffte es mit letzter Kraft, seinen Finger das grüne Telefonsymbol antippen zu lassen. „Tanizaki!“, ertönte Kunikidas Stimme aufgebracht aus dem Mobiltelefon. „Seid ihr in Ordnung??“ „Ku ... ni … kida ...“ „Kenji?? Was ist los?! Hey!“ „Fabrik … südlich von … Straße …“ „Kenji!! Bleib wach!! Sag mir, was passiert ist!“ „Al … dous ...“ „Was heißt das?! Kenji?? Kenji!!“ Kunikida bekam keine Antwort mehr.   Fukuzawa ließ seinen entgeisterten Blick über die drei schwach und verletzlich aussehenden, leichenblassen Gestalten in den Krankenbetten schweifen. Das waren seine Schutzbefohlenen. Und nun lagen sie hier und kämpften um ihr Leben. Das Leben, das sie ihm anvertraut hatten. Wie hatte er sie so im Stich lassen können? Neben den Herzmonitoren war das einzige Geräusch, das den Raum lautstark erfüllte, Naomis bitterliches, herzzerreißendes Weinen. Das Mädchen klammerte sich an Haruno fest und konnte vor lauter Tränen kaum noch atmen. Ranpo war gerade erst aus dem OP gekommen (und nach wie vor bewusstlos), als der Anruf von Dazai gekommen war, dass er und Kunikida Tanizaki schwer verletzt und Kenji wie Yosano vergiftet vorgefunden hatten. Die Ärzte kämpften nun um Tanizakis Leben, während der Rest der Detektei im Zimmer der anderen wartete. Voller Bitterkeit schloss Fukuzawa seine Augen. Seine Leute hatten nun bereits ein Dreibettzimmer ausgefüllt und benötigten bereits ein weiteres. Wie konnte er diesen Wahnsinn nur stoppen? „Aldous“, sagte Kunikida in diese furchtbare Kulisse hinein, „der Name, den Kenji am Telefon genannt hat, ist ein englischer Name.“ „Ein englischer Name?“ Atsushi, der bis gerade mit traurigen Augen zwischen Kenji und Naomi hin und her geblickt hatte, wandte sich seinem älteren Kollegen zu. „Erst Iren, jetzt ein Engländer. Das klingt nicht nach einem Zufall“, warf Kyoka ein. Fukuzawa öffnete seine Augen wieder. „Habt ihr in den Akten irgendeine Verbindung zwischen uns und Großbritannien gefunden?“ „Bisher nichts, was uns weiterhelfen würde.“ Haruno schüttelte niedergeschlagen den Kopf. Abrupt verstummte Naomis Schluchzen an dieser Stelle und sie löste sich von ihrer Freundin. „Naomi?“, fragte Haruno besorgt nach, doch die Schülerin reagierte nicht auf sie, sondern ging schnurstracks zu Dazai, der schweigend mit dem Rücken zum Fenster stand. Wohlwissend, was jetzt kam, sah er sie an. „Tu endlich was!!“, schrie Naomi ihn an. „Du weißt doch sonst immer alles!! Also tu endlich was!! Finde die Leute, die das meinem Bruder und den anderen angetan haben und beende es endlich!!“ „Naomi ...“, warf Atsushi bedrückt und mitleidsvoll ein, „wenn Dazai eine Idee hätte, hätte er sie uns längst mitgeteilt, nicht wahr, Dazai?“ Dazai schwieg – und irgendetwas an dieser Reaktion beunruhigte Atsushi zutiefst. Naomi hingegen verzweifelte durch sein Schweigen noch mehr. „Mein Bruder ist mir das Wichtigste, was ich habe!! Er ist meine Familie, er ist mein Leben!!“ Erneute Tränen mischten sich in ihr verzagendes Schreien. „Und ich konnte ihn nicht beschützen! Ich kann auch jetzt nichts für ihn tun! Aber ich weiß ...“, sie schluchzte elendig, „ich weiß, dass er wollen würde, dass niemand sonst mehr zu Schaden kommt! Weil auch die Detektei unsere Familie ist. Ich bitte dich … wenn du irgendetwas für unsere Familie tun kannst, dann ...“ „Es tut mir leid, Naomi“, unterbrach Dazai sie schließlich, „ich bin derjenige, der deine Familie auseinanderreißt.“ Die restlichen Detektive blickten mit vor Entsetzen aufgerissen Augen zu ihrem Kollegen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)