Nanamin von Knightwalker ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Sie presste die Kopfhörer immer fester auf die Ohren. Nicht einmal die eigentlich laute Musik konnte sie mehr hören. Die Stimmen in ihrem Kopf waren heute lauter als sonst, auch hörte es nicht einfach wieder auf, wie sonst. Sie versucht zu laufen, zu entkommen, doch es war zwecklos. An einer Straßenecke kauerte das Mädchen sich kraftlos hin. Ihre Arme umschlagen ihren Oberkörper, die Hände begannen über ihre Oberarme zu streichen, bis es zu einem panischen kratzen über den Stoff der Schuluniform wurde. Sie spürte gerade gar nichts. Weder den Regen, der eingesetzt hatte, noch das zittern, dass ihren gesamten Körper erfüllte. Da waren nur die Stimmen, die ihren Kopf mit fremden Worten und Geräuschen füllten. Der Lärm schien unendlich, doch mit einem Mal verstummte er und die dröhnende Musik drang wieder an ihre Ohren. Sie erschrak als sie die eisige Kälte der durchnässten Schuluniform auf ihrer Haut spürte. Wie eingefroren war sie, bis etwas ihr die Kopfhörer von ihrem Kopf zog und woraufhin sie vollkommen verschreckt hinter sich blickte. Da waren zwei Jungen. Ein schwarzhaariger, der ihr die Kopfhörer abgenommen hatte, aber keineswegs feindselig aussah, und ein blonder, welcher gerade seine gehobene Hand zurück in die Hosentasche schob, noch etwas sprach, dass sie aber nicht verstand und sich dann scheinbar desinteressiert abwandte. Der Statur und der Schuluniform nach Oberschüler, also ein gutes Stück älter als sie. "Geht es dir gut? Hast du dich vor dem Gewitter erschrocken?", die freundliche Stimme des Schwarzhaarigen drang an ihr Ohr. Sie blickte ihn einen Moment ungläubig an, bevor sich Tränen in ihren Augen sammelten und ihr Körper zusammen sackte. "Ah! Verdammt! Halt doch bitte mal meinen Regenschirm! Wir können sie doch nicht auf der Straße kauern lassen.", hörte sie wieder die Stimme des schwarzhaarigen Jungen. "Stimmt schon.", eine weitere Stimme erreichte ihr Ohr. Das musste wohl der blonde gewesen sein, der den geöffneten Regenschirm seines Freundes entgegen nahm und diesen nun etwas über ihn und das Mädchen hielt. Sie hörte wieder! Es war wie ein Wunder. Diese beiden hatten sie vorübergehend von den Stimmen befreit,die sie fast in den Wahnsinn trieben. Kam das durch den Stress? Die neue Schule verlangte ihr immerhin einiges ab. Oder wurde sie in dieser übermäßig lauten Stadt einfach allmählich verrückt? Bei ihren Großeltern auf dem Land hatte sie so etwas doch nie gehabt. "Dort hinten an der Ecke ist doch die Bahnstadtion, da sind wir erst mal vor dem Regen sicher.", erklärte der schwarzhaarige und zog sie vorsichtig wieder auf die Beine. Sie bekam schon allein bei dem Gedanken an eine Bahnstadtion weiche Knie. Da waren immer unglaublich viele Menschen und dort hörte sie auch häufig diese merkwürdigen Stimmen. "Gehen wir lieber wo anders hin. Die Leute da denken bloß noch irgendwas falschen, wenn sie zwei Oberschüler mit einer hilflosen Mittelschülerin sehen.", erwiderte der Blonde und deutete in die Richtung eines kleinen Cafés in der entgegengesetzten Richtung. "Da könnten wir etwas warmes trinken, hatten wir doch eh vor oder nicht?" War das Absicht oder wirklich bloß purer Zufall? Vollkommen egal. Bei den beiden hörte sie keine Stimmen in ihrem Kopf, dass war unglaublich angenehm. Sie hielt sich also am Arm des Schwarzhaarigen, nachdem er ihr diesen als Stütze anbot. Wie ein Schluck Wasser hing das Mädchen an ihm. Hätte er sie nicht gehalten, wäre sie freiwillig mehr als gerne an Ort und Stelle vor Scharm im Erdboden versunken. Was sollte sie ihnen denn erzählen, sollte einer der beiden fragen, was mit ihr los war? Nicht einmal ihren Eltern konnte sie das richtig erklären. Die Tür öffnete sich und sie traten ein, erst der Blonde und dann der Schwarzhaarige mit ihr am Arm. Der verhältnismäßig kleine Verkaufsraum war zwar eng gestellt, aber keineswegs überfüllt. Es fühlte sich auch nichts überflüssig an. Jede Deko, jedes Möbelstück, jede Kuchenglocke schien an seinem Platz notwendig zu sein. Und ohne wäre das Bild mit Sicherheit nicht komplett. Es war überschaubar besucht und es herrschte ein entspannter Betrieb, was noch zusätzlich zum bleiben einlud. Nach kurzem hin und her, zur Auswahl standen mehrere Plätze, setzten sie und der Schwarzhaarige si an einen Tisch mit bequemen Sesseln und einer kleinen Couch, letztere beschlagnahmte sie für sich. Während dessen bestellte der Blonde mit seinem ordentlich gekämmten Haar bei einer älteren Frau am Tresen. Der Schwarzhaarige hatte ihr mittlerweile sogar die Jacke seiner Uniform gegeben, da er bemerkt hatte, wie kalt sie mittlerweile schon war. „Ich weiß gar nicht, wie ich euch danken kann.“. erklärte sie verlegen, während sie in die Jacke schlüpfte und die Enden vor ihrer Brust überkreuzte. „Kein Problem. Lade uns doch einfach mal ein. Wir gehen hier eigentlich jeden Tag lang, dass ergibt sich doch bestimmt“, begann der Schwarzhaarige und stockte etwas, wobei er sie an sah, „Wie heißt du denn überhaupt?“ Dem Mädchen schoss einwenig das Blut in den Kopf. „Mein Name ist Nanami Suzuki.“ „Ah, Nanami-chan.“, summte er und lachte leise. Der Blonde war nun auch wieder bei den beiden und blickte seinen Freund irritiert an. „Keine Sorge, ich meinte nicht dich Nanami.“, erwiderte der Dunkelhaarige herzlich lachend auf seine Reaktion. „Das hoffe ich auch für dich.“, erklärte der streng dreinblickende Nanami und setzte sich in den Sessel neben seinem Freund. „Ich bin übrigens Yu Haibara. Um Missverständnissen aus dem Weg zu gehen, nenne ich dich lieber Suzuki-chan in Ordnung?“, fragte Haibara und blickte sie mit seinem unglaublich freundlichem Lächeln an. Suzuki nickte nur und musste auch etwas lächeln. Für einen Moment sah sie Nanami an, in der Hoffnung er würde sich auch noch vorstellen. Dieser sah das Mädchen nur kurz an, schenkte aber direkt wieder Haibara seine Aufmerksamkeit. Dieser begann daraufhin irgendetwas zu erzählen. Sie selbst bekam irgendwann gar nicht mehr so recht mit, worum es eigentlich ging. Drohte sie etwa einzuschlafen? Vor den beiden? Das konnte sie doch nicht auch noch machen! Sie kämpfte damit ihre Augen offen zu halten und wach zu bleiben, doch nach einigen Blinzlern blieben die Augen irgendwann geschlossen. "Hattest du geahnt, dass sie einschlafen würde?" "Mehr oder weniger." "Dann hätte es wirklich komisch ausgesehen, wenn wir am Bahnhof gewesen wären. Klar, dass hier sieht auch gewöhnungsbedürftig aus, aber in einem Café sind sicher auch schon andere Leute eingeschlafen!" Die Getränke, ein Kaffee, ein Tee und ein Kakao, wurden serviert. Es kehrte einen Moment Stille zwischen den beiden ein, bis der Blonde das Wort ergriff. "Hast du gesehen, wie viele Flüche an ihr hingen?" "Fünf oder sechs hatten sich doch mit Sicherheit bei ihr aufgehalten. Ob sie die vielleicht gehört hat?" "Den Donner, den du erfunden hast, wird sie wohl nicht gehört haben.", erklärte Nanami und nahm einen Schluck von seinem Kaffee. "Mich macht nur die Vorstellung stutzig, dass sie die Flüche scheinbar nur gehört hatte. Sind Flüche wenn denn nicht mit allen Sinnen spürbar?" "Stimmt schon.“, Haibara dachte für einen Moment angestrengt nach. „Vermutlich hatte sie einfach ihre Augen geschlossen.", versuchte er es nun simpel zu erklären, während er seine Teetasse samt Untertasse etwas über den Tisch schob. "Auch wenn sie nur eine Zivilistin ist, sollten wir sie der Akademie melden. Die behalten sie sicher im Auge und können ihr helfen, bei der Menge an Flüchen, die sich bei ihr rum treiben sicher nicht die schlechteste Idee." "Hmm. Vermutlich." Der Schwarzhaarige blickte seinen Freund unbeeindruckt an und grinste danach breit. "Also brauchen wir ja nur ihre Daten. Nur ihr Name wird wohl nicht reichen.“ „Die wird sie doch sicher nicht einfach irgendwelchen Wildfremden geben." "Naja, sie vielleicht nicht, aber ihr Schülerausweis ist wohl gesprächig genug.", erklärte er mit seiner üblichen freundlichen Art und deutete auf ein kleines laminiertes Kärtchen, welches durch eine kleine Kette an ihrer Tasche hing. Er nahm sich die Tasche, drehte die Karte um. Das Passbild zeigte ein Mädchen mit einem fast schon unpassend fröhlich Lächeln, wenn man sie mit ihrem jetzigen Zustand verglich. Ihr Haar, grau wie Asche, hatte zwar die selbe Länge, war beim original aber um einiges unordentlicher als auf dem Bild. Nun erst erreicht sein Blick ihren Namen. „Nanami Suzuki, 12 Jahre alt, xy-Mittelschule“ las er knapp die wichtigsten Daten vor, bevor Haibara die Daten notierte und die Tasche dann zurück zu Suzuki schob. "Und was machen wir jetzt?", fragte der Blonde nach einer kurzen Pause und einem weiteren Schluck Kaffee. "Wir können sie jetzt nicht einfach hier allein lassen!", stellte sein Freund direkt klar, woraufhin Nanami etwas verächtlich in seine Tasse schnaubte, "als hätte ich das vorgehabt". Es vergingen die Tage und Wochen und Suzuki hatte sich mittlerweile angewöhnt nach der Schule auf die Beiden zu warten. Sie kamen wirklich nicht jeden Tag hier entlang, doch die Freude, darauf sie zu treffen, brachte das Mädchen einfach jedes Mal dazu hier zu warten. Die letzten Male waren sie in verschiedenen Cafés gewesen. In dieser Gegend waren überraschen viele und keines war wie das andere. Einmal waren sie sogar in einem kleinen Spielecenter gewesen. Fürs nächste Mal wollten sie die neu eröffnete Patisserie am Ende der Straße ausprobieren, jedenfalls hatte Yu das beim letzten Mal vorgeschlagen. Sie genoss die Zeit mit ihnen und spürte, dass sie Yu und Nanami in ihr kleines Herz geschlossen hatte und am liebsten jeden Tag treffen würde. Bei den beiden war es ihr möglich Ruhe zu empfinden, egal wie belebt der Ort war, an dem sie waren. Es verging die erste Woche, in der sie die Beiden gar nicht gesehen hatte. Ob etwas passiert war? Sicher hatten sie einfach nur eine stressige Woche und waren deswegen nicht hier entlang gekommen. Sie hatten ja erzählt, dass sie im Wohnheim direkt auf dem Schulgelände lebten, also war das hier ja keine Strecke, die sie gingen, um beispielsweise nach Hause zu gehen. Weitere Wochen verstrichen und ihre anfängliche Freude schien sich langsam zu Frust zu wandeln. Hatte sie sich denn nicht mit den Beiden angefreundet? Hatte sie irgendetwas falsch gemacht? ... Obwohl, bildete sie sich wirklich ein, dass zwei Oberschüler Zeit mit einer Mittelschülerin verbringen wollten? Mit ihr? Einem komischen Mädchen, dass Stimmen hörte? An diesem regnerischen Nachmittag waren diese Stimmen mit einem Mal verschwunden, während sie wie die Tage zuvor auf die Beiden wartete. Ihr Blick hob sich und sie blickte an der Kante ihres Regenschirms vorbei ins strenge Gesicht von Nanami, der wie damals wieder seine Hand in seiner Hosentasche verschwinden ließ. Es kehrte Farbe zurück in Susukis Gesicht und sogar zu einem leichten Lächeln ermutigte sie sich. „Schön dich zu sehen! Ich freue mich wirklich riesig darauf mit euch die Patisserie auszupro-“ „Geh nach Hause. Wir werden hier nicht mehr vorbeikommen.“ „Aber... Du bist doch hier. Wir müssen doch nur auf Yu warten.“, sprach sie nun zögerlich und senkte ihre Mundwinkel. „Genau das ist das Problem.“, erklärte der Blonde unterkühlt und ging weiter. „Warte doch bitte! Ist irgendetwas passiert?“, fragte Suzuki und ging ihm einige Schritte nach, bis er stehen blieb und sich ein letztes Mal zu ihr wandte. „Er ist verunglückt.“, sprach er knapp und sein scharfer Blick durchstach ihr gnadenlos das kleine Herz. Regungslos klammerte sie sich an den Regenschirm in ihrer Hand. Sie wusste nicht, wie viel Zeit schon vergangen war, als Nanami weitergegangen war, doch sie konnte gerade einfach nicht weitergehen. Das Mädchen stand einfach nur dort im Regen und bemerkte, wie sich ihr Kopf wieder mit diesen unglaublich lauten Stimmen füllte. Unaufhörlich wurden es immer mehr. Diese ließen sie nicht einmal spüren, wie ihre warmen Tränen über die eiskalte Haut flossen. Kapitel 2: ----------- Es war wieder der Tag an dem sie sich immer trafen. Nur heute konnte man von Anfang an sagen, dass die Stimmung eine völlig andere war. Wie erstarrt stand sie noch immer vor ihm und presste die Hand gegen ihr Brustbein, als könne dieser Druck und die Wärme sie beruhigen. "Kannst- Kannst du das bitte noch einmal wiederholen?" fragte Suzuki zögerlich und überwandte dabei nur gerade so den Klos in ihrem Hals, der sich schon zu Beginn des Gespräches gebildet hatte. "Nun ja... Ich habe sie geküsst. Es hatte sich einfach so ergeben. Ich konnte nichts dagegen machen.", erklärte er beinahe beiläufig, als wäre es ein vollkommen normales Gesprächsthema, und legte seiner Freundin die Hand auf die Schulter. Schon kurz nach Anfang ihres ersten Mittelschuljahres waren sie zusammengekommen. Bei ihren Clubaktivitäten hatten sie sich kennengelernt und auch hier hatte es sich 'einfach so ergeben'. Suzuki hatte diese Beziehung unglaublich gutgetan. Endlich hatte sie jemanden mit dem sie die Dinge, die ihr durch den Kopf gingen, teilen konnten. Auch sein Wechsel auf die Oberschule schienen sie eigentlich ganz gut gemeistert zu haben, doch scheinbar nicht so gut, wie Suzuki es sich eingebildet hatte. Die bis vor wenigen Tagen noch angenehmen Berührungen waren ihr nach seinen Worten nun nur noch zuwider, weshalb sie seine Hand mit ihrer von ihrer Schulter schob. "Dann war's das also Aki?", fragte Suzuki nach einem Moment, in dem sie unerwartet gefasst wirkte und sogar den Klos in ihrem Hals kurzzeitig erfolgreich runterschluckte. Scheinbar war er über diese Worte überrascht gewesen. Hatte er gedacht, es würde einfach alles so weitergehen wie bisher? Betrug war Betrug, wie klein er auch sein mag. Loyalität und Vertrauen sind die wichtigsten Grundsätze für Suzuki. Oder war sie mit dieser Einstellung mittlerweile fehl am Platz in dieser Welt? Als Aki wohl endlich realisierte, was ihre Worte bedeuteten, wandelten sich seine Züge. Erst zu armseliger Trauer bis sie sich zu einer festen, ärgerlichen Miene verhärteten. "Wundert es dich denn? Du hast doch immer nur von dir geredet und wie schwer alles in deinem Leben sei! Am Anfang habe ich es auf den Schulwechsel und den ganzen neuen Stoff geschoben, danach wurde es ja immerhin auch etwas besser, aber dann war deine miese Art plötzlich wieder da. Sowas zieht echt runter! Hast du wenigstens einmal darüber nachgedacht, wie ich mich damit fühle?", fragte er immer lauter werdend. Einige Leute, die an dem Pärchen im doch eigentlich recht leeren Park vorbeikamen, wandten sich zu ihnen um, weshalb Aki sich nun auch wieder etwas zurückhielt. "Du bist doch selber daran schuld!", warf er ihr vor, nach dem er einen Schritt näher an sie herangetreten war. Sein Duft, der ihr dabei in die Nase stieg, verlor in diesem Moment alles, was Suzuki zuvor daran mochte. Sie trat zurück. Ging wieder auf Abstand. Die Emotionen, die ihr Gesicht zeigte, waren gar nicht recht zu definieren. Einerseits zeigte sie Trauer und Schmerz, aber auch unglaubliche Wut, andererseits blieb sie ihrerseits ungewöhnlich ruhig, fast schon unterkühlt. Er begann weiter zu reden, doch alles was sie hörte, waren die Stimmen die wieder begannen ihren Kopf zu füllen. “Du bist doch selber schuld! Dein Verhalten hat ihn vergrault! Du bist selber schuld! Seine Neue ist viel toller als du es je sein könntest! Du bist selber schuld! Bring die Schlange einfach um! Bring sie beide um, denn du bist ohnehin an allem schuld!” Doch nicht nur das. Sie begann die Menschen um sich herum nur verschwommen wahr zu nehmen und auch diese komischen Wesen waren wieder da. Schon des Öfteren hatte sie sie gesehen. Meistens nachts, wenn sie allein war. Anfangs hatte sie Augen und Ohren geschlossen, auch wenn es nur wenig half, doch gerade war ihr nicht danach. Sie überkam nicht das übliche Gefühl von Angst oder gar das Bedürfnis sich zu Verstecken oder weg zu laufen. Stumm in ihrem Leid betrachtete die Grauhaarige eines dieser Wesen, welches an Aki hing. Eine Art Schlange zog sich an ihm hoch und legte sich um seinen Hals. Dabei machte sie keine Schlangengeräusche, sondern sprach in einer komisch verzehrten Stimme von Betrug und Trennung. Es waren schwere Worte des Hasses. Während sie den Monolog von Aki gar nicht mehr hören konnte, hatte sie das Gefühl durch ihn hindurch zu schauen. Denn dort weit hinter ihm erblickte sie in ihrer tristen monochromen Sicht zwei Farbenklekse. Einer war ein trübes Blau und der andere ein kräftiges Violett. Sie waren ein gutes Stück von ihr und Aki entfernt. Ihre stumpfe Neugier hätte sie am liebsten dazu getrieben, los zu laufen und nach zu sehen, was dort war, dass diese Farben entstanden. So etwas hatte sie bisher noch nicht in solchen Phasen erlebt. Doch bevor sie diesem Bedürfnis nachgehen konnte, brach jedes Wort in ihrem Kopf zusammen und verpasste ihr auf einen Schlag starke Kopfschmerzen. Suzuki beugte sich nach vorn und presste ihre Hände an die Schläfen. "Was hast du denn jetzt schon wieder? Eben hast du mich doch noch vollkommen ignoriert und jetzt wieder dieser Mist?", fragte ihr gegenüber gereizt und griff erneut ihre Schulter, um ihren Oberkörper aufzurichten. Der Anblick, der sich ihm bot, schien ihn vollkommen zu erschüttern, denn er ließ von ihr ab und wich einige Schritte von ihr zurück, als wäre sie irgendeine gruselige Kreatur. In der Tat sah Suzuki schrecklich aus. Nicht nur war ihr Gesicht zu einem abscheulichen Ausdruck des Schmerzes verzogen, sondern ihre Augen hatten auch begonnen Blut zu tränen und das in nicht unerheblichem Ausmaß. "Heilige Scheiße! Du bist doch krank!", brüllte er ihr entgegen, als könnte sie ihren Zustand irgendwie beeinflussen oder hätte gar Schuld daran, und rannte entsetzt weg. Suzuki sackte nun unter den heftigen Kopfschmerzen zusammen. Sie rang regelmäßig nach Luft und hatte Not die Schmerzen überhaupt irgendwie fassen zu können. Sie wusste nicht einmal mehr, ob es nur ihr Kopf war, der schmerzte oder ob es einfach ein großer, unendlicher Schmerz war, der ihren gesamten Körper einnahm. Eine Hand, die sich auf ihren Kopf legte, schien diesem Schmerz irgendwie entgegen zu wirken. Alles wurde etwas weniger. Nur der Kopf dröhnte ihr noch immer unglaublich. Sie sah auf. Die Farben waren zurückgekehrt. Im Gegensatz zur Schönheit, die sie endlich wieder wahrnehmen konnte, schien sie wohl noch immer erschreckend auszusehen. Denn der Junge der beiden verzog etwas das Gesicht. Das Mädchen hingegen, welche ihre Hand auf Suzukis Kopf gelegt hatte, wirkte zwar etwas überrascht, aber keineswegs angeekelt. "Ahh! Warte! Ich habe doch sicher Taschentücher dabei!", sprach der schwarzhaarige Junge mit Brille nervös, scheinbar mehr mit sich selbst als mit Suzuki oder dem anderen Mädchen. Die Mittelschülerin konnte trotz ihres Schmerzes nicht den Blick abwenden. Viel zu fasziniert war sie von der Schönheit der Brünetten Frau, die über ihr lehnte. Alles an ihr hatte etwas Beruhigendes und jeder Centimeter ihres Gesichtes wirkte dort wo er war, vollkommen richtig. Besonders der kleine Leberfleck unter ihrem Auge schien ihre Eleganz widerzuspiegeln. Suzuki hatte noch nie solch eine Schönheit gesehen! "Geht es dir jetzt etwas besser?", fragte die Schönheit sie nun. Wäre Suzuki mit ihren Gedanken bloß ein bisschen bei sich selbst geblieben, hätte sie darauf sogar antworten können, allerdings zog sie ein letzter stechender Schmerz gedanklich zu sich zurück. "J-ja.", japste sie, nachdem sie durch den Schmerz zusammengefahren war, jetzt aber wieder zur Dunkelhaarigen aufsah. "Steh doch zu allererst einmal auf.", schlug sie vor, reichte ihr die Hand und half der Grauhaarige hoch und weiter bis zur nächsten Bank ein paar Meter weiter. Die Mittelschülerin nahm das Angebot dankend an, da sie auf den Beinen wackeliger als erwartet war. Nun streckte ihr auch der noch immer nervös dreinschauende Schwarzhaarige ein Taschentuch entgegen. Noch immer hatte Suzuki nicht ganz verstanden, wie schlimm sie aussah, dankend nahm sie trotzdem auch diese an. Als sie sich die Tränen aus dem Gesicht wischte und ins Taschentuch sah, wurde ihr mit einem Schlag bewusst, was los war. "Blut...!", schaffte sie bloß zu sagen und blickte bleich zu den beiden auf. "Keine Sorge. Das ist nur halb so schlimm.", erklärte die junge Frau mit ihrer ruhigen Stimme und half Suzuki dabei, das Blut mit einem weiteren Taschentuch aus dem Gesicht zu wischen. Die Mittelschülerin saß dabei einfach nur teilnahmslos da und starrte auf das blutige Taschentuch in ihrer Hand. Nicht ein einziger Gedanke war gerade klar. Sie hatten keine Chance sich zu Worten zu formen und die Grauhaarige so irgendwie zu belasten. "Du bist sicher Nanami Suzuki, oder?", fragte der Schwarzhaarige und richtete die Brille auf seiner Nase. Die Angesprochene blickte mit etwas Verzögerung von ihrem Taschentuch zu ihm auf und nickte leicht. "Das ist Shoko Ieiri", begann er zu erklären und deutete auf die Dunkelhaarige, "und ich bin Kiyotaka Ijichi. Wir gehören beide zu Tokios technischer Akademie für Jujutsu. Sie sollte dir sicher schon bekannt sein.", erklärte Ijichi mit einer Art Lächeln. Scheinbar hatte Ieiri ihr schon einiges vom Blut aus dem Gesicht gewischt, wodurch sie nicht mehr so angsteinflößend aussah. Auf seine Aussage hin, nickte Suzuki nur abermals leicht. Damals nach der Sache mit Nanami hatte sie die Schule besucht und wollte dort mehr erfahren, im besten Fall sogar noch einmal mit ihm sprechen, doch aus beidem wurde damals nichts und sie hatte es bald darauf einfach aufgegeben. Und daraus wurde ihr jetzt eine Konsequenz gezogen? "Eine Gruppe unserer Jujuzisten hatte uns vor geraumer Zeit deine Kontaktdaten übermittelt, damit wir dich im Auge behalten, wobei uns dein Potential aufgefallen ist-", er stockte. Scheinbar war ihm seine Wortwahl etwas unangenehm, er begann sich verlegen den Hinterkopf zu kratzen, "Bitte versteh das nicht falsch!”, begann er sich förmlich mit den Worten zu überschlagen, “Es ist nicht so, dass so etwas wie eben immer passieren muss-, also ähm. Wenn du erstmal lernst deine Fluchkraft- äh zu kontrollieren-" "Was Ijichi sagen will", unterbrach Ieiri ihn, der immer nervöser wurde, und sprach für ihn weiter, "Wir sind hier, um dich stellvertretend zum Gespräch für die Aufnahme an die Jujutsu Akademie einzuladen. Du hast die freie Wahl, ob du dich mit Dingen, wie denen, die eben geschehen sind, auseinandersetzen willst oder nicht.", erklärte die Dunkelhaarige mit ruhiger Stimme und lächelte leicht, während sie ein letztes Mal mit einem sauberen Taschentuch über das nun von Blut befreite Gesicht wischte. Erneut nickte Suzuki nur. "Allerdings kannst du dort eben auch lernen 'das' zu kontrollieren. Demnach wärst auch du sicherer.", erklärte sie extra nochmal und blickte die Grauhaarige an, diese senkte lediglich schweigend den Kopf, woraufhin Ieiri aufstand und Ijichi anstupste. Scheinbar ihr Zeichen, dass er nun weitersprechen sollte. "Also wir haben dir ein Papier mit den wichtigsten Informationen zusammengestellt.", begann der Schwarzhaarige zu erklären und kramte in seiner Tasche nach besagtem Papier, doch Suzuki unterbrach ihn, in dem sie vorsichtig aufstand, sich aber Sicherheitshalber von der Bank abstützte. Ihr dröhnte zwar noch immer der Schädel, aber es war bei weitem nicht mehr so schlimm wie zuvor. "Ich...", noch einmal rang sie etwas nach Luft, bevor sie weitersprechen konnte, "Ich werde euch damit sicher nur eine Belastung sein, aber... Ich möchte wissen, was ‘das’ ist...", sprach die Grauhaarige zwar etwas unsicher aber doch klar. Die beiden blickten einander an, sie waren mit dem Ausgang scheinbar zufrieden. Beide wandten sich zum Gehen und boten der Mittelschülerin jeweils einen Arm, um sie zu stützen. Nach einem kurzen Moment des letzten Zögerns nahm sie ihre Hilfe an und ging mit den beiden mit. Kapitel 3: ----------- Hier ein Feierabendsbesäufnis, da ein Geburtstag und direkt neben ihnen eine Abschiedsfeier eines Büromitarbeiters und mittendrin waren Suzuki und ihre Klassenkameraden aus der Mittelschule. Alle waren sie so unglaublich glücklich und freuten sich, doch der Grauhaarigen wurde mang den ganzen fröhlichen Menschen immer mieser. Aber sie blieb. Ihren Freunden und den alten Zeiten zuliebe. "Bestellt doch bitte die nächste Runde. Dieses Mal zwei für mich.", bat sie ihre Freunde, nachdem sie eingängig die Menschen um sich herum studiert hatte und sich nun von ihrem Platz erhob. "Aber dir ist schon klar, dass du Schnaps und kein Bier trinkst, oder?", fragte ein junger Mann mit Brille, der zuvor noch von seinem Studium erzählt hatte. "Keine Sorge, ich vertrag das, kein Bluff.", fügte Suzuki mit einem Grinsen an. Es war wirklich so, ihr ging es zwar irgendwann körperlich schlecht, aber ihr Kopf ist in jedem Moment zu 100% da. Ihrerseits ein äußerst lästiges Phänomen. "Genau Tsuda, vertrau unserer Nanami da doch einfach!", unterstützte eine Dunkelhaarige Frau ihre Freundin aus der Mittelschulzeit und stand auch auf, weil sie es wohl so verstanden hatte, dass sie endlich jemanden gefunden hatte, der auch zur Toilette musste. "Aber du solltest jetzt wirklich mal langsam auf Wasser umsteigen, Mina!", warf nun wieder ein anderer aus der Truppe lachend hinein, woraufhin die Stimmung wieder stieg. Immer noch derselbe Witzbold wie in der Mittelstufe. Sogar Suzuki trug ein Lachen dazu bei, achtete direkt aber wieder auf Mina, die wohl wirklich schon den Alkohol spürte, da sie ein wenig schwankte, weshalb Suzuki ihr helfend eine Hand reichte, bevor sich die beiden Frauen zur Toilette verabschiedeten. Nach ein paar Schritten lehnte sie sich nah an ihre Grauhaarige Schulfreundin. "Und Nanami-chan, erzähl mal. Wie läuft es bei dir mit den Männern? Du warst ja schon damals wunderschön und die etwas kürzeren Haare stehen dir doch auch richtig gut! Dir müssen sie doch in Scharen hinterherrennen! War doch schon damals bei Aki so!", fragte und stichelte Mina gleichzeitig und gestikulierte dabei dem Alkohol geschuldet wild, wobei sie einem ihnen entgegenkommenden Mann vors Gesicht schlug, welcher direkt sehr gereizt reagierte. "Ey, pass doch auf! Du olle Krucke!", lallte der Mann mit hochrotem Kopf, welcher schon geradewegs zum Schlag ausgeholt hatte. Suzuki zog Mina zu sich und schob sich gleichzeitig vor sie, wie ein Reflex, um selber den Schlag abzubekommen, wobei sie trotz ihrer anfänglichen Entschlossenheit die Augen aus Angst schloss, allerdings folgte der erwartete Schlag nicht. "Bitte entschuldigen Sie. Er ist leider sehr betrunken.", erklärte eine ruhige Stimme, worauf Suzuki die Augen wieder öffnete. Der zweite Mann hatte seinen Arm vor den Betrunkenen gehalten, welcher nun wie ein Schluck Wasser an diesem hing. Suzuki brauchte einen Moment, in dem sie den blonden Mann, der gerade in die Szenerie getreten war, betrachtete. Irgendwoher kam er ihr bekannt vor. Sicher gehörte er zum Tisch neben ihrem. "Passen sie doch bitte besser auf ihn auf. Er hätte beinahe meiner Freundin weh getan.", erklärte Suzuki mit einem säuerlichen Unterton und blickte den blonden Mann an, der einen guten Kopf größer war als sie. "Keine Sorge, aber es ist ja nicht nur seine Schuld gewesen.", erwiderte der blonde Anzugträger und zog seinen Begleiter wieder in eine ordentliche Position, bevor er ihn voran schob. "Vielleicht wäre es Zeit, dass auch sie langsam gehen.", schlug er zum Schluss noch vor, bevor er endgültig an den Frauen vorbei ging. Suzuki konnte man ihren Ärger regelrecht vom Gesicht ablesen. "Der hat ja Nerven!", meckerte Suzuki, doch Mina hielt sie dieses Mal zurück. Sie klammerte sich geradezu an ihren Arm. "Aber vermutlich hat er recht. Wir sollten nach der Runde vielleicht wirklich Schluss machen. Es ist doch auch schon spät.", suchte die durch den Zwischenfall plötzlich ruhigere Freundin eifrig nach Gründen, um den Abend scheinbar so schnell wie möglich zu beenden und steuerte direkt wieder zu ihrem Platz. Vermutlich hatte sie vollkommen vergessen, wofür die beiden diesen gerade überhaupt verlassen hatte. Die Stimmung blieb nun zwar gut, es wurden Witze gerissen und wilde Unterhaltungen geführt, trotzdem verabschiedete sich die Gruppe nach der zuvor schon bestellten Runde. "Wir können wirklich schon gehen, Nanami-chan?" "Ja, kein Problem. Ich habe doch gesagt, ich zahle." "Aber-" "Na los, euer Taxi wartet. Ich habs nicht weit, dass schaff ich auch allein." "In Ordnung. Komm gut heim.", verabschiedete sich die kleine Gruppe von Suzuki, welche noch immer an ihrem Tisch saß und auf die noch nicht abgeräumten Gläser schaute. Sie brauchte einen Moment, um von dort aus wieder auf die Beine zu kommen und schwankte ein wenig, was allerding eher den Hackenschuhen zu verdanken war, die sie extra heute trug. Sie zahlte, meckerte innerlich über die Kosten und wollte sich zum Ausgang wenden, doch sie entschied sich endlich die Toilette aufzusuchen. Allerdings überkam sie auf dem Weg dorthin ein anderer Drang und das so plötzlich, dass sie einfach ins nächste Bad und zur nächsten Kloschüssel lief, nachdem sie sich bis zur Tür noch bemüht hatte, gefasst zu wirken. Doch spätestens, als es ihr dann auch egal war, ob sie auf der Damen- oder Herrentoilette war, hatte sie auch das aufgegeben. Sie preschte in die nächste offene Kabine, ohne die Tür zu schließen, nur noch die Toilette im Blick, stützte sie sich über diese. Ohne großes Würgen spürte sie die Flüssigkeit in Schüben ihren Körper verlassen. Nur das Zittern ließ sie realisieren, was ihr Körper gerade mitmachte. Als der Brechreiz langsam abgeklungen war, fiel ihr Körper etwas zur Seite. Suzuki bemühte sich allerdings mit ihrem Kopf über der Schüssel zu bleiben, sollte nicht doch nochmal etwas hochkommen. So schief da kauernd hatte sie nun einen guten Blick auf die Tür und sah dort den blonden Typ von zuvor stehen. “Von allen Leuten, warum unbedingt der?”, sah man ihr an, als sie ihr Gesicht wieder in Richtung des Schüsselinneren drehte, doch dem Geruch geschuldet schnell wieder zurückdrehte. “Sie haben wohl die Abfahrt verpasst. Sie hätten mit ihren Begleitern fahren sollen.”, tadelte der Blonde sie, doch kam zu ihr in die Kabine und betätigte die Spülung. Suzuki blickte ihn skeptisch an. “Machen sie sich bloß nicht lustig über mich, sonst kotz ich ihnen noch auf die schicken Schuhe.”, drohte sie scherzhaft und spuckte in die Schüssel aus, in der sich das Wasser drehte, während sie diese mit ihren zitternden Händen festhielt. “Ich verzichte.”, erwiderte er trocken, woraufhin er kurzerhand wieder aus der Kabine trat und die Toilette verließ. Die Grauhaarige hielt den Kopf weiterhin tief. Hatte sie für einen kurzen Moment gerade vielleicht sogar gehofft, dass dieser Kerl bleiben würde? Sodass sie in dieser miesen Situation nicht völlig allein war? War ja wohl klar, dass er wieder gehen würde, immerhin hatte er rein Garnichts mit ihr und ihren Problemen zu tun... Mit ihr wollte doch sonst auch niemand etwas zu tun haben. Als sie den Kopf langsam wieder aus der Schüssel hob, war der Mann wieder zu sie an die Kabine getreten und Suzuki sah aus dem Augenwinkel nur eine scharfe, waagerechte Handbewegung. Irgendwo hatte sie das doch schon mal gesehen. Sie überkam ein ähnliches Gefühl wie vorhin, als sie ihm auf dem Gang begegnet war. Als sie dann spürte, wie ihr Kopf etwas leichter wurde, dämmerte es ihr. “Ah. War da schon wieder einer?”, fragte sie lediglich, worauf der Mann nur etwas überrascht dreinsah und nickte, als er verstand. “Danke, aber verschwenden sie ihre Nettigkeiten bloß nicht an jemanden wie mir.”, erwiderte sie schmerzhaft lachend und erntete bloß den ernsten Blick, den der Mann schon die ganze Zeit in sein Gesicht eingebrannt hatte. “Sie haben wohl wirklich zu tief ins Glas geschaut. So einen Scheiß geben doch sonst nur Idioten von sich.”, erklärte er, während er nun noch näher an sie herankam und sie gegen die Wand gelehnt aufrichtete und ihr dann ein Glas Wasser vor die Nase hielt. “Trink.”, sprach er nur und gab es ihr in die noch immer etwas zitternden Hände. Sie trank und beäugte ihn von nahem genauer. Vorhin hatte sein Gesicht auf dem ersten Blick nichts an sich gehabt, was Suzukis Blick festhielt, doch nun konnte sich dieser nicht mehr recht von diesem müden und kantigen Gesicht lösen. Woher kam er ihr bloß so bekannt vor? “Wenn du weiter so starrst, ist mein Gesicht nachher noch weg.”, erklärte er ruhig, blickte sie durch seine müden Augen an und reichte ihr ein Taschentuch, wobei er auf seinen Mundwinkel deutete. Die Grauhaarige verstand scheinbar sofort, spürte die Hitze in ihren Ohren, tauschte das Glas mit dem Taschentuch und wandte sich etwas von ihm ab, um sich über den Mund zu wischen. “Kannst du aufstehen... Eh.…” “Äh... Nanami.” “Nanami.”, wiederholte er ihren Namen und reichte ihr seine Hand. Sie blickte gebannt auf seine große Hand und spürte, wie es ihr durch seine Stimme einmal kurz kalt den Rücken hinunterfuhr. “Danke...”, hing sie nun an, legte ihre eindeutig kleinere Hand in seine und blickte in an. Er verstand, was sie damit bezwecken wollte. “Kento.” “Vielen Dank Kento.”, erwiderte sie mit einem ehrlichen Lächeln und ließ sich von ihm hoch, zurück auf die Beine ziehen. Kapitel 4: ----------- Endlich war es soweit. Suzukis erster richtiger Tag als Jujuzist nach ihrem Abschluss war angebrochen. Sie hatte deshalb sogar extra ein Gespräch mit Direktor Yaga. Irgendetwas von einem neuen Kollegen war zu Letzt zu ihr durchgesickert, aber ob es stimmte, konnte sie nur spekulieren. Alles andere war eigentlich in einem bekannten Umfeld und doch war sie unglaublich nervös. Sie konnte nicht einmal überzeugt behaupten, dass dieser Umstand ihre Fluchkraft nicht beeinflussen würde. Es war lächerlich, wie unruhig sie war, während die Grauhaarige vor dem Büro des Direktors auf ihre Eintrittserlaubnis wartete. Immer wieder strich sie über den Stoff ihres schwarzen Blazers, um potenzielle Falten glatt zu streichen, oder knetete die kalten aber schwitzigen Hände. Endlich tat sich etwas hinter der Tür und sie streckte ihren Rücken und verschränkte die Arme hinter dem Rücken. Der Direktor persönlich öffnete ihr die Tür und bat sie hinein. Das Büro hatte sich seit ihrem letzten Aufenthalt kaum verändert. Lediglich die Stapel von Unterlagen auf seinem Schreibtisch hatten eine andere Höhe. Ansonsten war alles beim Alten. Obwohl... Suzuki stutzte, als sie eintrat und schon das Schließen der Tür hinter sich hörte. Die kleine Sitzecke im Büro, welche üblicherweise leer war, beherbergte einen Gast. Ihr schnürte sich abrupt die Brust zu und es stieg augenblicklich Wärme in ihr Gesicht, als sie den blonden Mann im blauen Nadelstreifenanzug dort sitzen sah und trotz Brille wiedererkannte. Kento. Sie kämpfte um Fassung. Wie groß war bitte die Wahrscheinlichkeit, dass der Typ, der dich freitags kotzen sieht, montags als dein neuer Kollege und Partner vorgestellt wird. Was war das für eine Situation? War sie etwa in einer schlechten Komödie gelandet? Aber eine dieser Art, die sie nach spätestens zehn Minuten ausschalten musste, weil sie es vor Fremdscharm nicht mehr aushielt. "Ich weiß, es ist sehr kurzfristig, dass ich dir... Ihnen ihren Kollegen vorstelle, aber Ihr Einsatz als Jujuzistin wurde aufgrund der Unterbesätzung ja auch erst vor kurzem beschlossen.", begann Yaga sich ihr gegenüber zu erklären, als er von der Tür aus auf die Sitzgruppe zu kam und scheinbar gar nichts von der komischen Atmosphäre um Suzuki mitbekam oder mitbekommen wollte. Er platzierte sich schräg hinter dem Blonden, der ebenfalls etwas länger als den üblichen flüchtigen Augenblick seinen Blick auf der Frau ruhen ließ. "Wenn ich vorstellen darf, Kento Nanami. Nach einer Pause dürfen wir ihn wieder bei uns an der Akademie begrüßen.", stellte Yaga ihn vor, wobei der Blonde sich erhob und Suzuki die Hand entgegenstreckte. "Sehr erfreut.", trug Nanami nur nüchtern zu seiner Vorstellung bei. Suzuki reagierte zwar etwas verzögert, war aber froh, dass ihr Körper im Gegensatz zu ihrem Kopf nicht völlig die Fassung verlor. Sie ging also endlich die letzten Schritte auf die Männer zu und nahm Nanamis Hand. "Nanami Suzuki ist mein Name. Auf gute Zusammenarbeit.", erwiderte die Grauhaarige und schaffte es nun ihren Blick zu senken, um endlich dem langsam etwas zu intensiven Blickkontakt zu entgehen. War es ihm unangenehm sie zu kennen, dass er so tat, als würden sie sich nicht kennen oder war das in der Arbeitswelt üblich, ohne das Suzuki es wusste? "Suzuki hat die Akademie frisch abgeschlossen und wurde als Rang Vier Jujuzist eingestuft. Sie hatte sich im letzten Jahr zwar vorwiegend auf die Laufbahn der Assistenten konzentriert, wird aber aufgrund des Mangels vorerst als Jujuzist eingesetzt.", erklärte Yaga dem Blonden grob Suzukis Situation. Die Grauhaarige schluckte. Ihr war doch schon lange bewusst, dass sie keine speziellen Fähigkeiten hatte, wie Ieiri oder Ijichi, oder niemals der Kraft eines Gojos nahekam. Aber trotzdem war es jedes Mal ein Stich ins Herz. Sie müsste das irgendwie abschütteln und einfach nicht zu sehr an sich heranlassen, doch das war besonders schwierig, wie sie immer wieder spürte. Nanami nickte nur brummend. "Dann wären wir hier fertig.", erklärte der Direktor und ging nun hinüber zu seinem Schreibtisch. "Ihr solltet euch eigentlich zu allererst an einander gewöhnen, aber wir haben kurzfristig einen weiteren Fall bekommen. Es handelt sich um einen Fluch, der in einer Klinik das Personal angegriffen hat. Ein Pfleger und eine Ärztin kamen dabei ums Leben. Eure Aufgabe ist es den Fluch zu exorzieren." Yaga kramte einen kurzen Moment durch seine Unterlagen, bevor er weitersprach, "Uns wird leider erst nach den offiziellen Besucherzeiten Zutritt gewährt... Allerdings hoffe ich, macht es euch nichts aus, einer Freundin an meiner Stelle einen Besuch abzustatten. Leider schaffe ich es zurzeit nicht, dabei hat sie so gern Besuch.", erklärte er mit bedauernder Miene und reichte Nanami, welcher ihm zum Schreibtisch gefolgt war, einen kleinen Zettel, auf welchem die Informationen zur Klinik und seiner Freundin standen. "Sie mag Kamelien sehr gern. Es wäre sicher eine nette Geste ihr einen Strauß mit zu bringen.", fügte er an, worauf Nanami nur nickte und sich zur Tür umwandte. Suzuki sah dies als Zeichen für sich und folgte ihm nach einer knappen Verabschiedung aus dem Büro. Da auch auf dem Flur das Schweigen anhielt, entschied Suzuki sich dazu einfach mitzuspielen. Der Blonde las beim Laufen flüchtig das Papier, bevor er es faltete und in die Innentasche seiner Anzugjacke schob. Als er Suzukis gespannten Blick bemerkte, zog er es noch einmal heraus und hielt es ihr unter die Nase. Die Grauhaarige war überrascht. Er war wohl eher einer der beobachtenden Sorte. Sie schmunzelte etwas und nahm den Zettel vorübergehend an sich. „Du bist heute ruhiger als am Freitag.“, stellte Nanami fest, als die beiden schweigend den Weg vom Büro bis zum Parkplatz der Akademie zurückgelegt hatte. „Ist das so?“, fragte sie und wusste nicht so ganz etwas mit seiner Aussage anzufangen. War das nun etwas gutes oder etwas schlechtes? Auf jeden Fall hieß es für sie, dass er nichts von dem, was passiert war, unter den Teppich kehrte. Er sagte nichts weiter und ließ Suzuki damit vollkommen im Ungewissen stehen. „Ähm.. Wollen sie fahren oder soll ich? Ich bin zwar noch Fahranfängerin, aber da ich ja eigentlich eine Assistentin-“, begann die Grauhaarige, doch wurde recht schnell von Nanami ausgebremst. „Ich fahre. Suche bloß einen Blumenladen und am besten gleich noch ein Café.“, instruierte er sie kurz und knapp und stieg in den Wagen. Erneut fühlte Suzuki sich etwas stehen gelassen, aber stieg kommentarlos ein und tat wie ihr aufgetragen wurde. Die Blumen und der Kaffee für Nanami waren schnell auf dem Weg zum Krankenhaus eingesackt. “Sie wollten nichts?”, fragte der Blonde, als Suzuki wieder ins Auto stieg und ihm den Becher reichte. “Ah, nein. Aber danke der Nachfrage.”, versuchte sie so höflich wie möglich zu antworten und verstaute den Blumenstrauß vorsichtig vor sich im Fußraum des Autos, während er direkt weiterfuhr. Es herrscht einen Moment schlürfende Stille. „Äh.. Also Herr Nanami wi-“ „Lass das ‘Herr’ bitte weg. Wir waren immerhin auch schon beim Vornamen. Das ist sonst nur verwirrend.“, unterbrach er sie gnadenlos, woraufhin Suzuki erneut ansetzte. „... weißt du eigentlich, wann die Besucherzeiten sind?“ Er wartete einen Moment, als müsste er nachdenken, doch blickte sie dann einfach kurz Kopf schüttelnd an. “Wir gehen einfach hin und wenn es noch nicht soweit ist, warten wir, ganz einfach.”, erklärte er knapp und nahm noch einen Schluck von seinem Kaffee. Die Grauhaarige legte die Hände in ihren Schoß und knetete sie. Die Haut fühlte sich irgendwie etwas stumpf an. “Nervös?”, fragte er nur knapp. Wieder musste er ihr Verhalten beobachtet oder zumindest mitbekommen haben. “Ja, ein wenig. Ich war schon lange nicht mehr auf einer Mission.”, erwiderte sie etwas zögerlich und versuchte ihre Hände voneinander zu lösen, fand sich aber bald in einer ähnlichen Position wieder. “Keine Sorge.”, versuchte Nanami die Frau wohl etwas zu beruhigen, allerdings kam davon nur wenig bei ihr an. “Ich kümmere mich um den Fluch und du dich um den Papierkram, wenn wir zurück sind.” Suzuki senkte ihren Blick auf ihre Hände. Dafür hätte sie doch auch in der Akademie bleiben können. Wenn er sie nicht dabeihaben wollte, hätte er es doch einfach sagen können. Sicher wäre es ihm so lieber gewesen, doch wollte nicht unhöflich sein. Ganz sicher wollte er sie nicht dabeihaben, immerhin war sie jedem nur ein Klotz am Bein. “Deine Fluchtechnik”, begann der Jujuzist und zog die Grauhaarige somit zurück in die Realität, “was macht sie?” “Ich kann Flüche sehen.”, erklärte sie es scheinbar so unspektakulär, wie nur möglich. “Du kannst sie sonst nicht sehen?” “Nein, meine Augen reagieren nur auf die Fluchtechnik.” Es kehrte wieder für einen Moment Stille ein, bis Suzuki zurückfragte, “Und deine?”. Nach der fast einen Moment zu langen Pause zwischen seiner und ihrer Frage, spürte sie direkt, wie ihr die Ohren warm wurden. Wie unangenehm. “Ich nutze die Sieben-zu-Drei Technik. Dabei ziehe ich eine Linie durch die Breite meines Gegners und lande einen kritischen Treffer, wenn ich diesen Punkt treffe.”, erklärte er ihr seine Fluchtechnik ganz sachlich und bog auf den Parkplatz der Klink. “... Das klingt irgendwie unglaublich cool... Wie bei einem Videospiel oder in einem Anime...”, erwiderte Suzuki mit einem etwas bitteren Unterton, obwohl sie von seiner Technik wirklich beeindruckt war. “Schon möglich, aber wäre sie so beschrieben nicht sehr kindisch?”, fragte Nanami während er das Auto einparkte und den Motor ausschaltete, als der Wagen stand. “Auf gar keinen Fall!”, protestierte die Grauhaarige nun beinahe beleidigt und lehnte sich ihm über die Mittelkonsole entgegen, woraufhin er ihr etwas überrascht entgegenblickte. “Ich finde, so würde sie nur noch cooler klingen!” Nanami konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen und stieg daraufhin kommentarlos aus dem Auto aus. Wieder stieg der jungen Frau Hitze ins Gesicht und erneut ließ er sie einfach so stehen, ohne, dass sie wusste, was er dachte. Etwas verzögert folgte Suzuki eilig mit den Blumen, die sie wieder aus dem Fußraum hervorgeholt hatte. Nanami war wirklich schnell. Erst am Empfang hatte seine Partnerin ihn schon etwas außer Atem eingeholt. „Ich hoffe, dass ist für Sie kein Problem.“, sprach der Blonde ruhig und musterte die Pflegerin hinter dem Tresen. „Die Etage auf der Frau Yama liegt, bekommt gerade etwas zu essen.“, erklärte die junge Frau, nachdem sie auf ihre Armbanduhr schaute, „ich würde sie bitten sich ein paar Minuten zu gedulden. Ich gebe ihnen gern Bescheid, wenn sie hoch können.“ „Vielen Dank.“, erwiderte er bloß, woraufhin Suzuki an ihn heran rutschte und hineingrätschte, „Ich hoffe, wir machen Ihnen damit keine Umstände!“ Die Pflegerin wank lächelnd ab “Nein, nein, wirklich nicht!”, und widmete ihre Aufmerksamkeit nun wieder den Unterlagen vor sich. Nanami zog Suzuki vorsichtig am Arm weg vom Tresen und mit hinüber zum Wartebereich, wobei er sie beim Gehen absichtlich nah bei sich hielt. “Wie weit reicht deine Fluchtechnik?”, fragte er leise, den Kopf leicht zu ihr gekippt. Die Grauhaarige sah ihn kurz etwas unsicher an, wobei sich ihre Miene verdunkelte. “Ich würde vermutlich nicht mehr sehen als du.”, erklärte sie, blieb allmählich vor den aneinander gereihten Sesseln stehen und senkte den Blick auf den Blumenstrauß in ihren Händen. Beide schwiegen einen Moment. Sie musste die zuvor noch ganz gute Stimmung gerade völlig zertrümmert haben mit ihrer Ausstrahlung. “Willst du dich nicht vielleicht hin-”, begann der Blonde, doch wurde von einer fast schon rufenden Stimme unterbrochen. “Nanami?”, richtete sich eine Männerstimme an die beiden Besucher. Der Blonde hatte seinen Blick schon an den Störenfried geheftet, doch konnte sich scheinbar keinen Reim draus machen. Suzuki hingegen wollte ihrem Körper jegliche Reaktion verweigern. Doch sie musste irgendetwas machen. “Du bist es ja wirklich! Ich wusste gar nicht, dass du in der Nähe bist.”, fügte die Stimme an, als sie näherkam. Als Suzuki das dazugekommene Paar Füße dann auch in ihrem Blickfeld wahrnahm, war alles ignorieren zwecklos. Ihr Blick ging erst zum noch immer ratlosen Nanami und dann zum Neuankömmling. Ein Mann, dunkles, kurzes Haar, Anfang 30, Jeans, weißes Hemd und weißer Kittel. Zögerlich hielt Suzuki sich etwas am Arm des Blonden, welcher zwar scheinbar verstand, dass irgendetwas war, aber nicht recht wusste, wie er reagieren sollte. So wie er sprach kannten sie sich schon länger und standen sich vielleicht auch nah, doch so reagierte sie nicht. “Lange nicht mehr gesehen Junichiro.”, ging Suzuki nun endlich auf das aufgezwungene Gespräch ein, wich allerdings nicht mehr aus, wie zuvor noch. Sie wirkte gefasst, doch der Griff an Nanamis Arm wurde gleichzeitig ein wenig fester. “Du siehst gut aus, beim letzten Mal waren deine Haare doch noch so kurz und du warst auch so unglaublich blass, als hättest du den Tag vorher Geister gesehen oder so.”, erwiderte er lachend. Bei dieser Aussage wurde ihr Griff kurz krampfhaft, doch es legte sich schnell wieder, also blieb auch Nanami ruhig. “Das ist doch schon fast zwei Jahre her. Wir haben uns danach gar nicht nochmal gesehen. Du warst sicher viel beschäftigt. Immerhin bist du ja renommierter Arzt und mittlerweile doch auch Vater.”, ihr Unterton war sehr zynisch, doch Junichiro schien das vollkommen zu ignorieren. “Wir waren alle viel beschäftigt. Ich mit der Arbeit und meiner Familie. Du mit deiner religiösen Schule hier in Tokyo, weit weg von deiner Familie.”, sein Tonfall wurde bitter, doch im nächsten Moment direkt wieder zuckersüß. “Aber wir müssen ja nicht über vergangenes reden, dafür haben wir auf Mamas Geburtstag nächsten Monat noch genügend Zeit... Also du kommst doch, oder?”, wieder dieses miese Funkeln. Suzuki schluckte. “Aber das liegt für dich sicher zu weit in der Zukunft.”, wank er breit lächelnd ab und blickte von ihr nun auf den Blonden, an dem sie die ganze Zeit hing. “Entschuldigen sie mir bitte meine Unhöflichkeit. Ich bin Junichiro Suzuki. Meine Schwester hat sicher schon viel von mir erzählt.”, sprach er weiter und reichte dem Jujuzisten die Hand. Er musste das Verhältnis der beiden missverstanden haben. Was ihm allerdings auch nicht zu verübeln war, immerhin klammerte sie sich wie ein Kleinkind an ihn. Die Grauhaarige versuchte sich von Nanami zu lösen, doch dieser hielt sie bei sich, indem er ihre Hand zwischen Brust und Oberarm festdrückte. Sofort schoss ihr Hitze in die Ohren und sie blickte von Junichiro kurz zum Blonden, doch dieser hatte nun seinen festen Blick auf den Dunkelhaarigen gerichtet. “Mein Name ist Kento Nanami.”, erklärte er knapp und schüttelte die ihm vorgehaltene Hand. “ Es freut mich wirklich sehr. Ich hoffe, wir sehen uns auch einmal in einem erfreulicheren Umfeld als diesem.”, erwiderte der Ältere bloß mit seinem unangenehm freundlichen Lächeln. “Sie meinten doch schon, sie wären viel beschäftigt. Nanami und mir geht es nicht anders.”, erklärte der Jujuzist nüchtern, woraufhin er von seiner Hand abließ. Suzuki war kurz davor zu platzen! Was war das für eine Situation? Natürlich hätte sie am liebsten weiterverfolgt, wie Nanami mit ihm umgehen würde, doch das war hier einfach nur unangebracht, oder nicht? Nun schmiegte sich die Grauhaarige wieder etwas mehr an ihn, als eine Art Signal und sie spürte an seiner, sich ändernden Körperspannung, dass er es scheinbar irgendwie verstand. “Was machst du überhaupt hier Junichiro?”, fragte Suzuki ihn und sah ihm fast schon an, wie ihm die stolze Nase wuchs. “Diese Klinik hat mich für Spezialeingriff angefordert. Ein paar Tage im Monat bin ich somit hier in Tokyo. Ansonsten bin ich weiterhin in Nagoya.“, er machte eine kurze Pause, “Bis morgen bin ich noch hier. Vielleicht habt ihr ja heute Abend Zeit... Ah, entschuldigt, ihr seid ja beide viel beschäftigt. Naja, ist ja zum Glück auch nicht das letzte Mal.”, sprach er und blickte nun auf seine Armbanduhr. “Ich muss leider allmählich weiter. Ich hoffe, du bringst deinen Freund mit zu Mamas Geburtstag. Du weißt doch, wie sehr sie sich auf Enkelkinder freut.”, neckte er sie auch noch mit seiner Verabschiedung und eilte dann schnell wieder die Gänge entlang. Die beiden Zurückgebliebenen schwiegen einen Augenblick, als müsste das Geschehene erst noch verarbeitet werden. Suzuki zog nun endlich ihren Arm aus Nanamis Falle und verbeugte sich tief vor ihm. “Entschuldige bitte! Ich hätte dir das nach Freitag nicht auch noch zumuten dürfen! Ich werde das Missverständnis auf jeden Fall aufklären!”, erklärte die Grauhaarige und behielt den Kopf weiterhin unten. Wieder Stille. “Entschuldigung? Frau Yama hätte nun Zeit für sie.”, rief die Frau vom Empfang zu den Beiden hinüber, woraufhin Nanami sich in Bewegung setzte. Suzuki sah, wie sich seine Füße aus ihrem Sichtfeld herausbewegte. „Kannst du dir überhaupt vorstellen, wie scheiß egal mir das ist?“, erwiderte er auf ihre Entschuldigung hin, worauf Suzuki ihn nur ungläubig durch ihre vor dem Gesicht hängenden Strähnchen ansah. Jeder normale Mensch wäre ihr doch unglaublich böse für solch ein unnötiges Missverständnis. Er war einfach nur cool, wobei vermutlich passte ‚beeindruckend‘ besser. “Wie lange willst du da noch stehen, komm.”, trieb Nanami seine Partnerin an, welche nur noch unverständlicher zu ihm hinübersah. Der Blonde zog bei ihrem Blick etwas den Mundwinkel hoch, “wir sollten Frau Yama nicht warten lassen”. Auch Suzuki rang sich ein erleichtertes Lächeln über die Lippen und folgte ihm, während sie den Strauß wieder mit beiden Händen ergriff. Die grauen Gänge, die beide entlang gingen, um zum Krankenzimmer zu gelangen, waren zwar üblich belebt, doch für Suzuki unglaublich laut. Aus jeder Richtung schrien ihr Flüche entgegen, obwohl sie sich wohl in den Zimmern befinden mussten. Am liebsten hätte sie gewusst, ob es Nanami auch so vorkam oder ob es nur ihr empfinden war. Vielleicht sollte sie sich vorausschauend um Kopfschmerzentabletten kümmern. Neue Augentropfen wären sicher auch noch sinnvoll. Vielleicht sollte sie sich auch noch- „Wo möchtest du hin?“, sprach der Blonde sie an, als sie einige Schritte an ihm und der Tür vorbei gegangen war, und zog Suzuki dadurch gedanklich zurück zu sich. Seine Stimme stach markant aus der schrillen Masse des Fluchgeschreis heraus. „Entschuldige.“, nuschelte die Grauhaarige nur etwas beschämt und ging zu ihm zurück. Dieser Mann hatte wohl das Privileg oder wie auch immer man es nennen wollte, ihre Probleme mitbekommen zu dürfen. Für Suzuki lediglich ein Argument, weshalb sie für ihn ein besonderes unnötiger Klotz am Bein wäre. „Falls du einen Moment brauchst, gib bescheid. Ich kann mit Menschen, die neben sich stehen nicht viel anfangen.“, sprach Nanami unterkühlt und blickte Suzuki an. Sie ihrerseits verschluckte sich beinahe an ihrer Spucke. Diese direkte Art hatte die Grauhaarige schon am Freitag mitbekommen und wusste, dass es ein Zug von ihm sein musste. Dennoch wird Suzuki noch eine gute Weile brauchen, um sich daran zu gewöhnen. Sie nickte nur bitter und stellte sich ein Stückchen hinter ihn. Der Blonde atmete hörbar aus, allerdings ließ sich daraus nicht deuten, was in ihm vorging. Beide betraten nun den Raum, nachdem Nanami die Tür geöffnet hatte und sobald diese wieder ins Schloss gefallen war, stellte Suzuki fest, dass jegliches Geschrei verstummt war. Die Atmosphäre war unglaublich ruhig und entspannt. Ihre Aufmerksamkeit zog sich erst jetzt in den Mittelpunkt dieser angenehmen Ruhe: zu Frau Yama, die in ihrem Krankenbett, umgehen von vielen Blumensträußen, saß und mit einer Brille auf ihrer Nase in einem Buch blätterte. „Guten Tag Frau Yama.“, grüßte der Jujuzist die etwa Ende Fünfzig jährige Frau. „Ah, Besuch. Ich grüße euch, meine Kinder.“, erwiderte sie mit einem Lächeln, dass das Herz in nur einem Augenblick erwärmte, und legte das Buch mit samt der Brille vor sich auf den Schoß. Suzuki hielt ihr den frischen Blumenstrauß entgegen. „Wir haben Ihnen Blumen mitgebracht, hoffentlich sind es Ihnen nicht schon zu viele.“, sprach sie und Yama schüttelte eilig den Kopf. „Zu viel ist gar nicht möglich. Vielen Dank, neben dem Waschbecken müsste noch eine Vase stehen, befüll die doch bitte, mein Kind.“, bat sie Suzuki, welche sich direkt daran machte. „Setzt euch doch bitte, nehmt euch gern eine Tasse von der Kommode. Ich habe gerade frischen Tee bekommen.“ „Vielen Dank für das Angebot, aber-„, begann Nanami, doch Suzuki hatte sich, nachdem sie die befüllte Vase abgestellt hatte, schon direkt eine Tasse genommen und sich zu der Frau im Bett gesellt, woraufhin der Blonde nicht mehr die Chance hatte, ihre Freundlichkeit auszuschlagen. Yama konzentrierte sich nun auf Suzuki und schenkte ihr etwas von ihrem noch dampfenden Tee ein. Die Jüngere dankte und umfasste die wärmer werdende Tasse mit beiden Händen. „Junger Mann, nimm doch auch gerne Platz. Magst du keinen Tee? Möchtest du vielleicht einen Keks oder ein Stück Apfel?“, fragte Yama weiter und versuchte Nanami davon zu überzeugen, sich zu den beiden Frauen zu gesellen. „Entschuldigen sie bitte Frau Yama, aber wir sind leider nicht zum bloßen Vergnügen hier. Aber sie wissen vermutlich schon, wer wir sind.“, erklärte Nanami und trat einen Schritt näher ans Krankenbett. „Masamichi schickt euchmir sicher. Er bringt mir immer Kamellien. Also werdet ihr von der Akademie sein.“, sprach sie und schenkte sich selbst nun auch etwas Tee ein. Suzuki und Nanami blickten sich kurz an, wohl etwas überrascht darüber, dass sich Direktor Yaga und Yama scheinbar recht nah standen. “Den Fluch, den ihr sucht, werdet ihr jetzt leider noch nicht finden.”, begann Yama zu erklären, unterbrach sich allerdings selbst, indem sie einen Schluck von ihrem Tee nahm. “Nachts, wenn keine Besucher und nur das Minimum an Personal da sind, stapft der Fluch durch die Gänge und klopft an die Türen. Auch bei mir klopft er jede Nacht und fragt, ob mir etwas fehle. Diese Klinik ist riesig und sicher gehen einige tote Patienten auf seine Kappe, aber deswegen werden Jujuzisten ja nicht aufmerksam. Für die Menschen, die sich hier an der Schwelle des Todes befinden, muss er wie Gevatter Tod vorkommen. Leider sind solche Flüche in Krankenhäusern nicht unüblich.”, erklärte sie weiter und reichte Suzuki vorsichtig ihre Tasse, damit die Grauhaarige diese neben sich auf den kleinen Tisch stellte. “Vor ein paar Nächten sind eine Ärztin und ein Pfleger während einer Kontrolle auch diesem Gevatter Tod zum Opfer gefallen. Sie müssen auf seine Worte reagiert haben.” “Aber als Nicht-Jujutzisten können sie...”, begann Suzuki, welche ganz ruhig geworden war. Nanami seinerseits stand noch immer am Fuße des Bettes und blickte zwischen den Frauen hin und her. “Genau, als Nicht-Jujuzisten können sie den Fluch eigentlich nicht wahrnehmen, aber wie ich schon erwähnt hatte, an diesem Ort befinden sich Menschen auf der Schwelle zum Tod. Umso näher die Menschen dem Tod sind, desto klarer können sie Flüche wahrnehmen. Diese beiden waren dem Tod an diesem Tag einfach einen Schritt zu nah gekommen und wurden von ihm verschlungen. Allerdings hat dieser Fluch damit seine Toleranzgrenze überschritten, deswegen seid ihr hier.” “Kurz gesagt, wir sind jetzt gerade umsonst hier.”, fügte Nanami nun an und blickte Yama an, welche seinem festen Blick keinen Millimeter auswich. “Leider ja. Allerdings habt ihr nur jetzt die Möglichkeit mit mir zu sprechen. Ich kann euch Informationen zu diesem Fluch geben.“ “In Ordnung. Was haben sie für Informationen?”, fragte der Blonde nun ohne weitere Umschweife und Yama berichtete von allem, was sie wusste: der gewöhnlichen Route und dem sonstigen Verhalten. Sie versuchte diesen Fluch so gut wie möglich zu analysieren, doch musste sich früher oder später immer wieder durch heftiges Gähnen unterbrechen. “Ihr müsst mich entschuldigen. Ich hätte mich gerne noch etwas länger mit so liebenswerten, jungen Jujuzisten unterhalten, nur leider-”, erneut gähnte sie, “bin ich sehr Müde. Geht bitte.” “Natürlich.”, erwiderte Nanami knapp und wandte sich in Richtung Tür. Suzuki stand nun auch auf und verabschiedete sich von Yama. Die dunkelhaarige Frau lächelte ihr müde entgegen und ergriff ihre Hand. Ein leichtes Gefühl von Wärme durchfuhr Suzukis Körper. “Ich wünsche euch viel Erfolg.”, sprach Yama und ließ von ihr ab, woraufhin die beiden ihr Zimmer verließen. Auf dem Flur angekommen, empfing Suzuki wieder das übliche Geschrei von Flüchen, doch irgendetwas war anders. Ihr Kopf schmerzte nicht, so wie zuvor noch. Es fühlte sich auch nichts betäubt oder ähnliches an, wie wenn sie ihre starken Schmerztabletten nahm. Sie fühlte sich einfach einen Moment fast ein bisschen normaler. Bis zur mit der Klinik vereinbarten Uhrzeit war noch mehr als genug Zeit. Die beiden beschäftigten sich mit verschiedensten Kleinigkeiten, allerdings nichts Arbeitsbezogenem, dafür sorgte Nanami. Er betete Suzuki regelrecht vor, wie wenig Lust er darauf hatte, direkt an seinem ersten Tag Überstunden schieben zu müssen. Suzuki schluckte das einfach nur. Sie war ja immerhin diejenige, die die Überstunden schieben müsste, da sie den Bericht der Mission noch nicht vorarbeiten konnte. Zurück vor der Klinik begutachtete die Grauhaarige den dämmernden Himmel und etwas niedriger auf ihrer Ebene den beinahe komplett leeren Parkplatz. Dieses Mal wurden sie von einem Mann, der sich als jemand vom Krankenhausvorstand vorgestellt hatte, empfangen. Er sprach mit Nanami die Details ab. Suzuki ließ ihren Blick währenddessen noch etwas schweifen und versuchte ihre Energiereserven nach einem ganzen Tag mit einem Menschen erneut anzuzapfen, wobei die Zeit mit ihm keineswegs anstrengend war, aber trotzdem verspürte sie so allmählich das Bedürfnis hinter sich eine Tür abzuschließen und bis zum nächsten Morgen niemanden mehr sehen zu müssen. „Lass uns gehen.“, sprach der Blonde sie an, nachdem der Vorstand wieder gegangen war. Die Grauhaarige nickte ihm entgegen, woraufhin sie die Klinik erneut betrachten. Nun waren die Gänge nur noch gerade so ausreichend beleuchtet, wodurch sie etwas Schauriges hatte. Die Fluchstimmen, die Suzuki leise hörte, machten die Atmosphäre zu einem perfekten Gruselkabinett. „Wir haben Zugang zu allen Stationen. Laut Frau Yama sollten wir in den Gängen der Intensivstation beginnen.“, erklärte der Blonde den Ablauf in groben Zügen. Suzuki nickte nur eifrig und folgte ihm, so wie ihr die Worte der Flüche folgten. Die Intensiv war um diese Uhrzeit vermutlich die aktivste Station. Sie fanden keinerlei Hinweise auf den gesuchten Fluch und klapperten dem nach die anderen Abteilungen ab. Überall waren Flüche unruhig, aber alle waren sie harmlos und hätten niemanden töten können. „Waren wir jetzt nicht überall?“, fragte Suzuki den Blonden leise, nachdem sie etwas an ihn heran gerutscht war. Er blickte sie durch die getönten Gläser seiner Brille an. Einige Fluchgeister hingen an ihr. Vermutlich hatte sie die Biester gar nicht recht wahrgenommen. Er strich ihr über die Schultern und Arme, als hätte Suzuki Dreck am Blazer. Ihr wurden dabei direkt die Ohren warm. Sie ärgerte sich, dass ihr der Dreck, den sie scheinbar an ihren Sachen hatte, nicht schon früher aufgefallen war. „Wir waren zwar auf jeden Station, aber ich würde gerne auch noch den Aufenthaltsraum des Personals untersuchen.“ „…Ah!“, staunte die Grauhaarige nach einem Moment, als sie verstand, warum er das tun wollte. „Etwa weil der Fluch nach dem Befinden der Patienten fragt?“ „Genau.“, nickte er ihr knapp entgegen und beobachtete kurz seine Kollegin, die sich scheinbar wie ein kleines Kind freute, weil sie diesen Punkt verstanden hatte. Gemeinsam gingen die beiden zu besagten Aufenthaltsraum. Auch hier war es ruhig. Fast ein wenig zu ruhig, wie Suzuki fand. Hier waren keine penetranten Stimmen, die sie ununterbrochen zu texteten. Hier war es Todstill. Vorsicht griff die Grauhaarige nach einem Zipfel von Nanamis Anzug, um ihm eine Art Zeichen zu geben. Der Blonde blickte hinter sich, als er den leichten Zug an seinen Sachen spürte und verstand allein durch das leichte Unbehagen, dass ihr Gesichtsausdruck ihm offenlegte. Sie waren hier also wirklich richtig. Nanami öffnete vorsichtig die Tür und warf einen ersten Blick hinein. Es schien niemand hier zu sein, auch wenn alle Lichter brannten. Er schob den Türspalt weiter auf und schlupfte hinein, nach ihm Suzuki, welche die Tür leise wieder schloss. Ihr Fluchgeist konnte Sprechen und reagierte auf Gesagtes, also müsste er empfindlich gegenüber Stimmen oder Lautstärke sein. Auch Nanami war das bewusst, weshalb er zu gestikulieren begann, nachdem er die volle Aufmerksamkeit der Grauhaarigen hatte. Er tippte sich zweimal mit dem Zeigefinger unter die Augen und machte dann vor sich eine Kreisbewegung. Er wiederholte es, da er bemerkte, dass sie es scheinbar nicht auf Anhieb verstand. Aber sie verstand direkt. Er wollte, dass sie den Raum scannte. Sie wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Es war doch klar, dass sie das machen musste, wenn sie auf einer Mission war und doch hatte sie irgendwie gehofft, ihre Fluchkraft nicht nutzen zu müssen. Ein drittes Mal setzte der Blonde zum Gestikulieren an, doch Suzuki unterbrach ihn mit einem ‘Ok’-Zeichen, woraufhin er ihr zu nickte und dann begann den Raum händisch zu durchsuchen. Atmen. Suzuki musste atmen. Ein und Aus. Sie musste sich konzentrieren und einfach die Stimmen in ihrem Kopf ausblenden. Ein- und ausatmen. Sie suchte sich so ziemlich die Mitte des Raumes und schloss die Augen. Einfach ein- und ausatmen. Sie musste die Unordnung im Fluss ihrer Fluchkraft überwinden. Ein und aus. Ein und aus. Ein und- “Dieser Bereich ist für Unbefugte tabu.”, ertönte hinter ihr eine Stimme, die sie heute eigentlich nicht noch einmal hören wollte. Suzuki wand sich um und sah Junichiro in Mantel und mit seiner Tasche in der Tür stehen. “...Nanami, was machst du hier?”, fragte er mit finsterem Gesicht, als sie sich umgedreht hatte und er sie erkannte. Sie überkam ein unangenehmes Gefühl, eine Art Schauer und schon tönte sich ihr Blick in ein kaltes Monochrom. Sie erblickte die dunkelrote Gestalt hinter den in grau getönten Arzt im Gang. Ihr weiteten sich die Augen vor Schreck und dann stieg dieses Bedürfnis in ihr auf, sich an Ort und Stelle zu übergeben, welches auch schon beim letzten Mal auf ihre Angst folgte. Dieser Ohnmacht gegenüber ihrer Angst konnte sie rein gar nichts entgegensetzen. Ihr Atem wurde unregelmäßiger und die Panik stieg, doch ihr Blick klebte fest an dieser Gestalt, welche weder Menschlich noch Animalisch aussah. Etwas grelles schob sich in ihr Blickfeld. Es musste wohl ein Gelbton gewesen sein. Eine Hand, so wie es sich auf ihrem Gesicht anfühlte. “Wir suchen einen Arzt. Wir sind schon durch das gesamte Krankenhaus gegangen und haben niemanden gefunden.”, erklärte die strenge Stimme Nanamis. “Das ist doch gar nicht möglich! … Ich suche sofort den diensthabenden Arzt.”, erwiderte Junichiro mit einer gewissen Unruhe in seiner Stimme. Scheinbar gab es etwas, dass ihn dazu bewegte die Lüge von Nanami zu glauben. Nanami löste seine Hand von ihren Augen und blickte sie bitter an. Die Adern ihrer Augäpfel traten immer deutlicher hervor und färbten die Sklera allmählich rot. Suzuki ihrerseits verstand wohl nicht, was los war, doch ihre zuvorige Panik wurde durch Nanamis bloße Anwesenheit zurückgedrängt. Der Blonde wandte sich nun zum Fluch, welcher sich durch Junichiro scheinbar von selbst gezeigt hatte. Er zog ein breites Messer aus seinem Jackett hervor. Auch es nahm dieses angenehme Gelb an. Suzuki folgte ihm und zog zwei Klingen aus der Halterung an ihrem Steiß. Sie war überrascht, wie automatisch ihr Körper dies alles tat. “Dein Enthusiasmus ist löblich aber bleib bitte zurück. Mit so zittrigen Händen verletzt du dich nur selbst.”, erklärte Nanami und setzte zum ersten Schlag an. Obwohl seine Statur keineswegs so wirkte, bewegte er sich sehr flüssig. Wäre es kein Kampf, könnte man fast behaupten, es wäre elegant. Mit einem Mal wurde das Grau Schwarz. War das schon die Rückkopplung ihrer Fluchtechnik? Nein. Noch immer sah sie die gelben Farbflecken vor sich, doch das Dunkelrot war weg. Suzuki sah sich zu allen Seiten um, bis sie den roten Farbklecks am Ende eines Gangs wieder fand. “Er versucht zu fliehen! Er ist auf dem Korridor, von dem wir kamen!”, rief Suzuki ihrem Partner entgegen, welcher sich sofort in diese Richtung bewegte. Auch Suzuki wollte ihm hinterher, doch ihr Zittern hatte nach ihren Händen, nun auch in ihren Beinen begonnen. Ihr Körper verweigerte sich plötzlich vehement ihrem Befehl Nanami zu folgen. Ihr Körper war so schwach. Er machte sie noch wertloser als sie ohnehin schon war. Sie schaffte es nicht einmal ihre Waffen ordentlich zu halten, geschweige denn zu kämpfen. Sie hatte der Kraftlosigkeit ihres Körpers nachgegeben und war zu Boden gegangen. Der letzte leichte Schimmer von Farbe verschwamm und löste sich auf. Es folgte erst ein taubes Gefühl in ihren Gliedmaßen, ein schmerzhaftes Pochen in ihrem Kopf und dann war dort nur Dunkelheit. Nichts als unendliche Finsternis, der sich wie ein weiterer Schleier über ihren Blick legte. Sie wusste nicht, wie lange sie dort gekauert haben mochte, doch irgendwann trat jemand an sie heran. “Kannst du aufstehen?”, klang die tiefe Stimme Nanamis durch die Wand böser Worte in Suzukis Kopf. “...Nein.” “In Ordnung.”, erklärte er und musste ihr scheinbar die Hand gereicht haben, doch Suzuki sah sie nicht. “Kannst du nicht-” “Hilf mir bitte... Kento...”, brach eine Art Schluchzen aus der Grauhaarigen heraus. Nanami hockte sich zu ihr, verstaute ihre Messer, welche noch immer halb in ihren zu Boden gesunkenen Händen lagen, in den Halterungen an ihrem Steißbein und half ihr mit einem um sie gelegten Arm hoch. Ihr Körper hörte, einmal angefangen, nicht mehr auf zu zittern und hielt keinerlei Spannung, weshalb er sie kurzerhand auf den Arm nahm und trug. “Entschuldige mir die Unverfrorenheit, aber ich möchte hier weg sein, bevor dieser Arzt wieder kommt.”, erklärte der Blonde und ging los. “Entschuldige bitte die Umstände...” “Entschuldige dich nicht immer für Sachen, die du nicht beeinflussen kannst.”, tadelte er sie, woraufhin sie einen Augenblick still wurde. “Danke.”, sprach Suzuki leise und rang sich beinahe eine Art Lächeln ab, bevor sie vorsichtig die Arme um seinen Hals legte. Nicht weil sie Angst hatte, er würde sie fallen lassen, sondern eher aus Angst, dass er plötzlich weg sein würde, würde sie nicht aufpassen. “Entschuldigst dich für Unnötiges und bedankst dich für Schimpfe? Aber ansonsten geht es dir gut, oder?” Kapitel 5: ----------- Im ersten Jahr der Akademie war ich zu Beginn allein mit meinem Klassenkamerad Nora Ootsuka, einem Jungen aus einer Familie von Priestern und Priesterinnen. Als die Einzigen in der Stufe, freundeten wir uns natürlich an und unternahmen viel miteinander. Er war eher klein und schwächlich. Da war es für mich nicht unbedingt schwer stärker zu sein oder sich mindestens stärker zu geben. Ich beschützte ihn häufig vor Krawallen mit anderen Oberschülern, in die ich ihn meistens mit meiner vorlauten Art gebracht hatte. Es war schön, dass ich meinen Stolz auf meine Körperkraft endlich zeigen konnte. Doch als mitten im Jahr Sanae Kechi zu uns stieß, richtete sich das Machtverhältnis endgültig richtig aus. Überheblicher Weise, getrieben von meiner Arroganz, bot ich mich ihr im ersten gemeinsamen Kampftraining als Partner an. ‚Halt dich bloß nicht zurück!‘, hatte ich ihr lachend gesagt. Ich habe ihre damals noch kümmerliche und unsichere Gestalt keine Sekunde für voll genommen. Lass es vielleicht fünf Sekunden gewesen sein, bis ich auf dem Boden lag. Ich hatte nicht einmal die Farbe ihrer Fluchkraft wahrnehmen können, so schnell hatte sie mich mit nur einem Schlag umgeworfen. Sie entschuldigte sie darauf noch tagelang, doch der Moment, in dem sie mit dem Fluch in sich tauschte… Ihr Blick fuhr mir durch Mark und Bein. Eine Mordlust, deren reine Präsents einen warnsinnig machen konnte. Ich wusste, dass ich stolz und eitel war, aber wie sehr, spürte ich erst bei dieser gnadenlosen Niederlage. Das war nicht nur Zufall oder ein schlechter Tag, sondern es war ein in Stein gemeißelter Fakt, dass Kechi stärker war als ich. Und nicht nur einfach stärker, sondern Welten von mir entfernt. Und die Distanz schien mit jedem Tag weiter zu werden. Als sie dann noch diesen Speer nutzte, zeigte sich die Entfernung nur noch mehr. Natürlich stammte sie aus einer Familie talentierter Schmiede und natürlich fertigen diese den einmaligen Flüche-fressenden-Speer Musabori und natürlich konnte Kechi perfekt mit ihm umgehen. Ich dagegen brauchte Wochen, um mich überhaupt an das Gewicht meiner Zwillingsmesser zu gewöhnen, geschweige denn ansatzweise richtig mit ihnen kämpfen zu können. Natürlich hatte ich mir am Anfang einbilden wollen, dass ich etwas Besonderes wäre, weil meine Fluchkraft nicht durch die zirkulierende Energie der Messer gestört wurde, aber lange hielt das meinem Frust nicht stand. Während Nora und Kechi auf Missionen gingen, war ich gezwungen meine überflüssige Fluchtechnik zu trainieren und meinen Körper an die Waffen zu gewöhnen. Wofür brauchte ich meine Fähigkeit überhaupt noch? Mit der Brille, die Yaga mir gegeben hatte, konnte ich die Flüche doch sehen! Da musste ich mich doch nicht mehr auf meine Fluchtechnik konzentrieren, die mir auch nur erlaubte Fluchkraft zu sehen! Durch dieses ätzende Einzeltraining, entfernte sich Nora von mir. Nicht nur durch die Zeit, die er nicht mit mir verbrachte, sondern besonders durch seine Kampferfahrung. Ich beneidete sie! Ich hasste sie fast schon! Ich wollte besser sein als Kechi, doch ich wusste, dass ich es nie sein konnte. Das war der schmerzhafteste Punkt an der ganzen Sache. Sie führte es mir jeden Tag auf die brutalste Art und Weise vor Augen! Sie wurde jeden Tag mehr wie eine Heldin aus einem Shojo Manga. Hübsch, bedacht und zudem auch noch unglaublich stark. Sie war alles, was ich nicht war. Wie ein Kleinkind klammerte ich mich, mit allem was ich hatte, an Nora. Doch spätestens im zweiten Jahr, beim Austausch mit der Kyotoer Oberschule realisierte ich, dass er nun für sich selbst einstehen konnte. In der Beschwörung seiner Fluchkarten war er mittlerweile so gut, dass er niemanden mehr brauchte, der ihn beschützte. Um genauer zu sein, war ich es nun, die von ihm beschützt werden musste. Ich fühlte mich so unglaublich unnötig, dort wo ich war. Dort wo ich still stand. Ich wurde wütend. Hauptsächlich wütend auf mich selbst. Meine Fluchkraft stieg durch meine angestaute Wut und meinen Frust. Da es anhielt, dachten sie alle, ich wäre nun endlich über mich hinausgewachsen und ließen mich in der zweiten Hälfte des zweiten Jahres endlich mit auf eine Mission. Eine ganz einfache Mission. Wir sollten lediglich einem Gerücht über eine alte Lagerhalle, in der Menschen verschwanden, nachgehen und uns zurückziehen, sollte es sich als ein Fluch herausstellen. Es war nicht nur die Überheblichkeit, die diese Mission zu einem vollen Misserfolg machte, sondern auch meine Angst und Unfähigkeit. Ich war den Tag davon überzeugt, dass ich alle Flüche mit meiner Brille sehen würde. So trennten wir uns auf. Nora und ich und Kechi allein. Nachdem wir eine gefühlte Ewigkeit durch das Lagerhaus gegangen waren und es sich irgendwie immer anstrengender anfühlte, bat er mich meinen Scan zu nutzen, um zu schauen, ob überhaupt Flüche in der Nähe waren. Ich nahm also die Brille ab und setzte meine Fluchtechnik ein … Sie atmete kurz tief durch. Ich erkannte das wir mitten im Fluch waren. Abgesehen von Nora war alles rot. Ich schaffte es nicht einmal zu atmen. Ich wollte mich am liebsten an Ort und Stelle übergeben, so schlecht wurde mir mit einem Mal. Meine Fluchkraft klang Augenblick ab und war anschließend wie versiegelt. Ich war so ein unnötiger Mensch. Ich war einfach schlecht und schwach. Niemand mit dem sich jemals irgendjemand hätte abgeben wollen. Einfach nur erbärmlich und verdammt arrogant. Nora war es, der gehandelt hatte, als ich mich vollkommen in den Stimmen in meinem Kopf verlor. Ich wurde einfach nur wie eine Hülle von ihm hinter sich hergezogen. Es war ganz allein Kechi zu verdanken, dass wir überhaupt wieder aus diesem Fluch herauskamen. Sie hatte im Kern des Flüches einen komischen Finger gefunden. Ihr Speer hatte sehr heftig darauf reagiert, daher hatte sie Musabori diesen einfach aufnehmen lassen, ohne zu wissen, was das überhaupt war. Wir dachten alle, es wäre vorbei gewesen, als wir endlich wieder aus dem Lagerhaus herauskamen, doch unter dem Schein des Mondes ging der Spuk erst richtig los. Nora, der mich noch immer stützte, obwohl ich mittlerweile schon wieder etwas klarer war, bemerkte den Angriff noch etwas früher als ich und stieß mich von sich. Es war, als könnte die einzelne Spitze des Speers mit nur einem bloßen Schwung mehrere Schnitte verursachen. Das Blut von Nora, welches mir entgegen spritzte, während ich im Staub landete, klarte meine Gedanken mit einem Mal auf. Die Stimme, die mit mir sprach und mich beleidigte, während Nora ächzend zu Boden sackte, kannte ich nicht, allerdings den Körper, der dort vor mir stand. Sanae Kechi. Ich wusste, dass sie einen Fluch in sich trug. Ich hatte ihre Macht ja auch schon am eigenen Leib gespürt, doch was es bedeutete, wurde mir erst in diesem Moment überhaupt ansatzweise bewusst. Im Normalfall war ihre Präsenz stärker, als die des Flüches, daher konnte Kechi auch beliebig auf die Kraft des Flüches zurückgreifen, doch irgendetwas störte dieses Machtverhältnis nun. Irgendetwas störte den bisherigen Normalfall. ‚Steh auf, du feiges Stück Scheiße‘, rief der Fluch mich mit seiner provokanten Stimme. Mein Körper reagierte darauf nur mit zittern. Das war nicht die Kechi, die ich kannte, versuchte ich mir einzureden und versuchte aufzusehen, doch im Augenwinkel sah ich die ganze Zeit den regungslosen Nora. Das Zittern wurde heftiger. ‚Steh endlich auf und zieh deine verdammten Messer!‘, rief der Fluch erneut und zerrte mich schon bald darauf kräftig an meinem Arm hoch auf die Beine. Er zwang mich regelrecht dazu meine Messer zu ziehen und auf den Körper meiner Kameradin zu richten. Wäre ich nicht mit Adrenalin vollgepumpt gewesen, hätte ich dort schon längst gestanden und geweint. Aber ich war dennoch unfähig etwas zu tun. Irgendwann riss der Fluch mir ungeduldig ein Messer aus der Hand und rammte es sich gnadenlos in die Augenhöhle. Ich war so geschockt, mein Körper sackte einfach widerstandslos in sich zusammen. Plötzlich waren Schmerzensschreie zu hören. Kechis Schmerzensschreie. Der Fluch konnte jetzt wohl entscheiden, wann getauscht wurde und entschied sich dafür, mich zu quälen. Ich dachte zwar, ich würde Kechi hassen, doch das hatte sie nicht verdient. Das war einfach nur grausam. ‚Was hast du getan!? Was hast du mir angetan!?‘, schrie Kechi mir entgegen. Ich konnte sie nicht ansehen. Ich schloss die Augen und presste die kraftlos zitternden Hände so fest wie möglich auf meine Ohren. Doch ihre Schreie drangen immer noch zu mir durch… bis sie mit einem Mal verstummten. Noch eine halbe Ewigkeit zog an mir vorbei, bis ich genug Kraft hatte, um meine Augen wieder zu öffnen. Vor mir lag das Messer, welches der Fluch an sich genommen hatte. Daran klebte noch immer das Blut von Kechi. Der letzte Rest, der von ihr hiergeblieben war. Wir wurden bald darauf von Ijichi gefunden, der geschickt wurde, um nach uns zu suchen, da wir schon zu lange weg waren. Er brachte uns zurück, woraufhin erst Nora und dann ich von Ieiri behandelt wurden. Die oberflächlichen Verletzungen verheilten nach ein paar Wochen und Monaten. Nora trug seither riesige Narben auf seinem Oberkörper und war häufig geistesabwesend, im Allgemeinen war er ganz anders als vor dem Zwischenfall. Ich hingegen versuchte mich ihm gegenüber so zu verhalten, wie ich es immer tat, um ihm irgendwie eine Art Stütze zu sein. Doch insgeheim weinte ich mir nachts die Augen aus dem Kopf, weil ich sonst keine Ruhe fand. Zum Ende des zweiten Jahres entschied ich dann, mich auf die Tätigkeit eines Assistenten zu spezialisieren, um Nora so gut es mir möglich war, bei zu stehen, doch als ich ihm davon erzählte nachdem ich den Antrag gestellt hatte, erklärte er mir, er würde die Schule wechseln. An eine normale Oberschule gehen und seinen Abschluss machen wollen. Er wollte in seiner Zukunft etwas tun, dass ihn und andere Menschen glücklich machen würden. Er würde gerne mit Kindern arbeiten oder etwas anderes versuchen, bei dem er sich und seinem Umfeld ein Lächeln schenken könnte. Ich schaffte es ihm zu zuhören, zu nicken und ihm Mut zu zusprechen, das alles irgendwie werden würde, doch irgendetwas brach tief in mir zusammen, als er mir davon erzählte. Er verließ mich und die einzige Konstante, die blieb, war die Akademie. Ich war davon überzeugt, an der Akademie zu bleiben, wäre der einfachste Weg, den ich gehen konnte, doch ohne es zu wissen, wählte ich so den Schwersten überhaupt. Ich wurde weiter unterrichtet, doch weit bis ins dritte Jahr war ich nicht in der Lage meinen Scan anzuwenden. Hinzukam, dass ich immer schlechter die Flüche durch die Brille, die ich von Yaga bekommen hatte, sehen konnte. An einem, wie ich sie nenne, guten Tag, funktionierte es dann plötzlich wieder. Ich wusste nicht, ob ich vor Freude weinen sollte, weil ich etwas zurückbekommen hatte, dass ich verloren hatte, oder aus Frust, weil mich dieser Fluch nun endlich wieder eingeholt hatte und festhielt. Ich entschied mich auch nach meinem Abschluss an der Akademie zu bleiben. Ich hatte immerhin keine besonderen Fähigkeiten und hier hatte ich wenigstens schon einen Platz. Ich war vermutlich einfach zu faul oder zu unentschlossen einen eigenen, neuen Weg zu gehen, so wie Nora es getan hatte. Nora war wirklich ein liebenswerter Mensch. Ich habe ihm oft die langen Haare geflochten, weil er sie auf keinen Fall abschneiden wollte, aber sie ihn doch immer irgendwie störten! … Ich habe gehört, er arbeitet in einem Café… Lass uns dort doch bitte einmal vorbeischauen und etwas trinken... Ich lade dich auch gerne ein. Immerhin war es meine Idee… Verstehe mich bitte nicht falsch, ich möchte ihm kein schlechtes Gewissen machen oder so... Ich habe selbst entschieden, wie ich mein Leben lebe, also bin ich die einzige, der ich Schuld zuschieben könnte, würde ich das alles irgendwie bereuen... Nein. Ich möchte einfach nur wissen, ob er glücklich ist und lächeln kann, so wie damals. Das wäre das Einzige... „In Ordnung.“ Suzuki schwieg einen Moment und begann wieder ihre Hände zu kneten, wie sie es bei ihrem Monolog häufig gemacht hatte, während sie versuchte die Worte in ihrem Kopf zu ordnen. Hatte sie zu viel geredet? Hatte sie ihn damit vielleicht sogar genervt? “Kento, ich... Entschuldige, falls ich-” “Entschuldige dich nicht immer für unnötige Dinge, das habe ich dir doch schon mal gesagt.”, tadelte er sie und blickte sie an. Kein Blick, wie der an einem Montagmorgen oder wenn er Überstunden schieben musste. Sie wusste nicht, was es war, dass er in seinem Blick hatte, aber es war kein Ärger oder ähnliches. “Stimmt, das hast du.”, erwiderte sie leicht schmunzelnd. Kapitel 6: ----------- Die Monate zogen ins Land und man neigte dazu zurück zu blicken und sich zu fragen, ob nicht gestern noch Anfang des Jahres war. Suzuki ging es ähnlich. Die Zeit flog und sie konnte nichts dagegen tun. Hatte sie nicht erst vor zwei Wochen ihre Arbeit an der Akademie begonnen und war sie nicht erst vor ein paar Monaten in ihr kleines Internatszimmer gezogen? Sie fühlte sich so alt, dabei war sie eine der Jüngsten in den Reihen der Mitarbeiter der Akademie. Suzuki entließ ein schweres Atmen und lehnte sich in ihrem Stuhl hinter ihrem Computer zurück. Den Kopf in den Nacken legend, blickte sie aus der weiten Fensterfront und begutachtete das sich Stellenweise färbende Laub. Allmählich nahm der Herbst Einzug. Abgesehen von den psychischen Tiefphasen, die mit ihr einhergingen, ihre Liebste Jahreszeit. Es war nicht zu warm, die Sonne war nicht so anstrengend und es war nicht nur schön von draußen, sondern auch von drinnen anzusehen. Die Tür klappte, woraufhin Suzuki den Kopf wieder aufrichtete und den Blonden anblickte, der gerade hereingetreten war. „Ah, Senpai! Hast du wieder einen Bericht, den ich für dich abtippen soll?“, fragte sie direkt und lehnte sich ein Stück nach vorn, um sich mit den Ellenbogen am Tisch abzustützen. „Lass das bitte sein. Ich lege keinen Wert auf solche Anreden, wie oft soll ich dir das noch sagen?“, erwiderte Nanami seufzend. Suzuki grinste daraufhin nur breit. Natürlich amüsierte sie es ihn etwas zu Stieseln. Andererseits hätte sie auch interessiert, ob er auch schon während seiner Schulzeit keinen Wert darauf legte. „Ich freue mich über deinen Arbeitseifer aber nein. Ich habe eine Untersuchung in Nakameguro. In dem Gebiet sind einige nicht zugängliche Gebäude. Dein Scan wäre mir also von Vorteil.“, erklärte er, während er an ihren Schreibtisch trat. Suzuki blickte zu ihm auf und schmunzelte etwas und begann ihre noch offenen Dokumente zu schließen und Kleinigkeiten wegzuräumen. „Wenn du das ok von Yaga hast.“, erwiderte sie und fuhr, ohne eine Antwort abzuwarten, den PC herunter, bevor sie sich vom Stuhl erhob. An und für sich bevorzugte sie noch immer das Büro, doch zu Außeneinsätzen mit Nanami würde sie in diesem Leben nicht mehr Nein sagen, dafür genoss sie seine Gesellschaft viel zu sehr. „Ich habe vor ein paar Tagen gelesen, in Nakameguro ist vor kurzem ein neues Café eröffnet worden. Die Aussicht auf den Fluss soll atemberaubend sein! Wenn wir ohnehin schon da sind, können wir uns das doch mal ansehen oder was meinst du?“, fragte Suzuki nach einem kurzen Moment des Schweigens in dem sie sich den schwarzen Blazer über das weiße Hemd zog. „Wenn wir dort ohnehin vorbei kommen.“, erwiderte der Blonde Achsel zuckend, woraufhin sie ihm breit entgegen grinste. „Sie backen dort wohl auch ihr Brot selbst.“ „Ein Grund mehr dort einmal vorbeizuschauen.“ Der Auftrag im äußersten Randgebiet von Nakameguro war wirklich nicht spektakulär. In einem recht ausgestorbenen kleinen Wohngebiet gab es verdächtige Aktivitäten und nun soll das Gebiet von möglichen Flüchen gereinigt werden, bevor es großflächig renoviert wird. Die Bedenken waren nachvollziehbar, es war in dem Gebiet zu einigen ungeklärten Unfällen gekommen, allerdings fanden sich nur eher schwächere Flüche, schon gar nicht ein Quell, der diese anziehen könnte. Allerdings stockte Suzuki beim Scannen eines Häuserblocks. Sie blickte skeptisch in die selbst am helllichten Tage düstere Gasse, die an dem Block entlangführte. Sie blickte mit bitterer Miene zum Blonden hinüber, welcher an sie herantrat und nickte, als wollte er ihre Bedenken bestätigen. Er trat achtsam in die schmale Gasse, die gerade mal ein Stück breiter als er selbst war. Suzuki blickte sich derweil um. Das restliche Gebiet scannte sie ein letztes Mal mit ihrer Fluchtechnik ab. Das Monochrom war undurchbrochen, doch als sie ihren Blick in Kentos Richtung umwandte, erkannte sie dort nicht nur das warme Gelb, dass von ihm ausging, sondern auch etwas, dass so schwer war, dass die Farbe sich beinahe wie Wahnsinn um ihr Herz legte. Dieses Gefühl war, als würde es ihr die Luft und Sinne rauben wollen. Dieses bedrückende Gefühl und diese undefinierbare Farbe hatte sie schon einmal wahrgenommen. Damals als sie- Der gelbe Farbklecks kam mit einem Mal wie ein Geschoss auf sie zu gerast. Zwischen Sehen und Aufprall lagen bloß Sekunden und schon fand sich die unter Schmerzen fluchende Suzuki zwischen einer Wand und dem schwer atmenden Nanami wieder. “... gerade … noch … Glück gehabt …", schnaufte er, während er den Zusammenprall mit Suzuki wohl einigermaßen abgedämpft hatte, in dem er sich mit den Armen an der Wand abgefangen hatte. Die Grauhaarige blickte ihn irritiert an. So außer Atem hatte sie Nanami noch nicht einmal beim Training oder ähnlichem erlebt. “Ich hätte nicht gedacht, dass du so schön Fliegen kannst.”, kam ein Lachen aus der Gasse, dass Suzuki augenblicklich einen Schauer verpasste. Auch der Blonde nahm dank dieser unangenehmen Erinnerung sofort wieder Haltung an und zog nun auch endlich sein Messer aus der Halterung an seinem Rücken. Vor seinem Flugversuch war er dazu wohl nicht in der Lage gewesen. Aus dem Schatten der Gasse trat eine Frau in einem rot-schwarzen Kimono. Ihr langes, schwarzes Haar schien fast Violett zu schimmern und schwang in ihrem Zopf hinter ihr im Rhythmus ihres Gangs hin und her. Ein das halbe Gesicht bedeckender Pony verbarg eine Augenklappe, welche lediglich durch die Bänder, die davon ausgingen, zu identifizieren war. Lange, alt aussehende Ohrringe rahmten das fies grinsende Gesicht ein. Als die Frau allerdings Suzuki erblickte, verschwand für einen Augenblick jeglicher Hass, der von ihr ausging. Die Grauhaarige hatte sich sogar kurz eingebildet, im Auge der Frau etwas Leben zu erkennen, doch viel zu schnell verstrich dieser Moment, als dass sie das mit Sicherheit hätte sagen können. So schnell, dass Suzuki nicht wusste, ob sie nicht gerade ein Hirngespinst gesehen hatte. “...Ah.”, begann die Frau, woraufhin dieser bösartige Ausdruck in ihr Gesicht zurückkehrte. “Ich hätte nicht damit gerechnet, dich überhaupt noch einmal anzutreffen, kleine Suzuki.”, lachte sie ihr spöttisch entgegen und zog einen Speer aus ihrem Schatten, den sie den Beiden Jujutsisten entgegenstreckte. Suzuki spürte, wie steif ihr Körper in der Gegenwart ihrer Präsenz wurde. Ihre Stimme bebte unter dem Klos in ihrem Hals und wollte sich freikämpfen, “...-anae Kechi...”, bekam sie allerdings gerade einmal heraus. Wieder ein lautes spöttisches Lachen. “Du zitterst ja so schon vor Angst! Du hast mich schon damals köstlich amüsiert ... Aber Sanae ist meine Tochter.”, die Frau spannte den Arm und schleuderte Suzuki den Speer mit einem Tempo entgegen, dass sogar Nanami keine Chance hatte recht darauf zu reagieren. Die Spitze landete geradewegs neben der Grauhaarigen in der Wand. Sie spürte sogar, wie ihr Blut aus einer kleinen Wunde am Hals floss, welche der Speer verursacht hatte, der sie theoretisch eigentlich nicht einmal berührt hatte. “Ich höre lieber Sakushi, meine Liebe.”, fügte Kechi an und funkelte Suzuki finster an. Nun schob sich Nanami ins Bild und unterbrach die Spannung der beiden. Der Schlagabtausch zwischen ihm und Kechi war bis zu einem gewissen Punkt schlicht und ergreifend zu schnell für Suzukis Auge, doch sobald sie ihre Konzentration wieder im Griff hatte, war auch das kein Problem mehr. Sie durfte hier nicht weiter rumstehen und nur zusehen. Mit einer flinken Bewegung zog sie ihre Zwillingsmesser aus den Halterungen an ihrem Steißbein. Nanami musste das Mitbekommen haben, denn er änderte sein Angriffsmuster. Suzuki kannte es nur zu gut, denn er übte es jedes Mal beim Training mit ihr, also wusste sie sofort, was zu tun war. Sie fügte sich in die etwa kreisförmigen Bewegung um Kechi herum. Er übernahm die schwerwiegenden Angriffe und sie eher die Leichten, die eine gewisse Unruhe in den Gegner bringen sollten. Die Jujuzisten schienen, als könnte sie diese in den Körper eingebrannte Bewegungsabfolge ewig fortführen, lediglich Kechi machte dieses eingespielte Team nicht lange mit. Mit einem rundum Hieb ihrer flachen Hand, die dabei eher einer Klinge als einem Körperteil glich, brachte sie die Beiden aus dem Rhythmus und vor allem auf Abstand. Durch diesen Freiraum hatte sie auch endlich wieder die Möglichkeit ihren Speer an sich zu nehmen, woraufhin sie sich sofort um das schwächere Glied der Kette kümmern musste, Suzuki. Mit einem direkten Hieb mit dem Speerende katapultierte sie die Grauhaarige, die ihr im Rücken stand, geradewegs gegen die nächstbeste Wand. Kechi wandte sich ihr zu und grinste breit. “Du gehst mir gehörig auf den Geist, Kleine!”, entgegnete sie mit einer ausschweifenden, scharfen Handbewegung. Sie war für einen Moment so fokussiert auf Suzuki, dass der Blonde Kechi mit mehreren eindeutigen Volltreffern ins Wanken brachte und sogar den Schlagabtausch dominierte. Für eine paar Sekunden war Suzuki beim Aufprall schwarz vor Augen geworden. Sie hatte gar nicht mitbekommen, wie sie etwas Blut ausspuckte. Ihr Körper hatte es automatisch gemacht. Ein ungeheurer Schmerz hatte es allerdings geschafft, sie bei Bewusstsein zu halten. War da vielleicht gerade etwas gebrochen? Sie hatte keine Ahnung. Sie hätte nicht einmal sagen können, wo dieser Schmerz genau war. Sie wollte einfach wieder los, doch wurde nach nicht mal einem Schritt von etwas aufgehalten. Sie stemmte sich mit aller Kraft dagegen, doch kam nicht weiter. Was war hier los? Wieder gegen die Wand gelehnt, fiel ihr erst jetzt eine leichte Bewegung vor sich in der Luft auf. Ein Schleier, eine Barriere, eine Sphäre oder wie auch immer man es schimpfen wollte, hielt sie hier fest. Erzürnt schlug sie mit voller Kraft dagegen. “Lass mich hier raus!”, brüllte Suzuki und wurde mit jedem Schlag wütender. Sie spürte die Fluchkraft in sich wachsen und schlug immer heftiger. Nach der Wut folgte auch schon bald der Frust. Sie stützte sich mit ihren blutigen Händen gegen die Barriere und war gezwungen dem Kampf der beiden lediglich zu zusehen. Sie musste Ruhe bewahren. Mit ihrem Gefluche störte sie nur Nanamis Konzentration und half somit Kechi, welche ohnehin zunehmend durch ihre größere Reichweite die Oberhand gegen den Blonden gewann. Suzuki wusste allerdings, dass es nicht nur das war. Er begrenzte seine Kraft durch einen Vertrag. Im Normalfall wäre er ihr überlegen gewesen, auch trotz der Waffenreichweite. Aber war das wirklich alles? War irgendwas an seinen Bewegungen nicht etwas weniger flüssig als sonst? Seine Schlagbewegung kam etwas verzögert. Hatte er sich verletzt? Aber wann? Vielleicht… Nein, es musste passiert sein, als er sich vor sie von der Wand abfing. Allein die Reaktion um sich aus so einem Stoß heraus zu drehen war unmenschlich, aber dann auch noch die ganze Kraft des Stoßes mit dem Armen aufzuhalten, musste sogar für seinen Körper zu viel gewesen sein. Nahezu sofort, als Suzuki die Situation analysiert hatte, fand Kechi eine Lücke in Nanamis Verteidigung und rammte ihm gnadenlos das Ende des Speers in den Magen, nachdem er die Klinge gerade noch abgewehrt hatte. Suzuki sah zwar nur eine leichte Regung seines Körpers, doch es musste mindestens ähnlich kraftvoll gewesen sein, wie der Stoß, den sie abbekommen hatte. Direkt riss die Fluchnutzerin das Ende des Speers nach oben und verpasste ihm so gleich noch einen ähnlich kraftvollen Kinnharken. „Kento!“, schrie die Grauhaarige und schmiss sich erneut gegen die Abgrenzung der Sphäre. Selbst für den zähen Jujuzisten war dieser direkte Schlag nun wohl endgültig zu viel. Er sackte auf die Knie, den leeren Blick gen Himmel gerichtet. Kechi senkte den Speer und konnte ihr breites Grinsen nun gar nicht mehr im Zaum halten. „Einen feinen Beschützer hast du dir gesucht, kleine Suzuki. Wärst wohl sonst schon längst verreckt.“, schlussfolgerte die Dunkelhaarige lachend, bevor sie auf den schwer atmenden Blonden zu ging und ihn mit ihrem Zeigefinger nach hinten schob, wodurch sein Körper plump rückwärts umfiel. „Wobei wohl auch er seine Grenzen erreicht hat.“, fügte die Fluchnutzerin an und hob wieder ihren Speer zum Schlag an. Suzuki presste ihren gesamten Körper gegen die Barriere. Sie musste etwas tun, irgendetwas! Lass es zwei oder drei Meter gewesen sein, die - neben der Barriere - zwischen ihr und dem Blonden standen… Wie konnte es sein, dass sie niemanden beschützen konnte? Es musste doch etwas geben! Wenn sie doch bloß eine solche Sphäre errichten könnte… Wenn sie den Bereich ihres Scans verkleinerte wurde er doch genauer, warum konnte sie dessen Abgrenzung nicht einfach verhärten? Sie wollte doch einfach nur Nanami beschützen! Erneut schlug sie mit ihren noch immer blutigen Fäusten gegen die unsichtbare Wand und mit einem Mal… gab sie nach? Sie gab nach! Ein weiterer Schlag genügte, um die Barriere zu zerbrechen. Es war als spürte sie die Splitter auf ihre Haut herunter regnen, aber das musste sie sich vermutlich eingebildet haben. „Kechi!“, rief die Grauhaarige und übertrat nun endlich die Grenze, die sie so lange zurück hielt. Die Angesprochene blickte mit einer Mischung aus Überraschung und Ärger zu Suzuki hinüber. Sie wank kurz zurück und schien irgendwie mit ihrem Körper zu kämpfen. Ein gezielter Angriff und sie könnte diesem lästigen Jujuzisten den Gar ausmachen, immerhin war dieser eine größere Gefahr als die Grauhaarige. Kechi holte zum Schlag aus, nachdem sie ihrem Körper nach etwas Zögern endlich wieder ihren Willen aufzwingen konnte. Beim Anblick des Speers, welcher gegen den Regungslosen gerichtet war, leerte sich ein für alle Mal Suzukis Kopf. Der einzige Fixpunkt war Nanami. Ihre Intuition trieb sie dazu sich einfach über seinen Körper zu schmeißen. Die Sekunden zogen sich ewig lang, was durch das Gefühl des Flusses in ihrem Körper und ihren leeren Gedanken nur verstärkt wurde. Das nächste, was sie spürte, was Schmerz. Etwas stach ihr in die Schulter. Es fühlte sich nicht so an, als würde es an ihrer Brust wieder herauskommen, dennoch hatte sie bisher noch keine vergleichbare Hölle durchlebt. Der Druck auf ihren Körper war erträglich, nichtsdestotrotz zitterten ihr die Arme, mit denen sie sich über den Blonden hielt. „Tsk!“, zischte Kechi nur und hielt an ihrem bewegungslosen Speer fest. Suzuki hatte tatsächlich irgendwie eine Sphäre gezogen. Die Fluchnutzerin hatte gedacht, sie wäre dort noch hindurch gekommen, bevor sie vervollständigt war, doch stattdessen steckte sie nun darin fest, nur in der Lage die Spitze wieder heraus zu ziehen. Die Grauhaarige ächzte unter dem Einstich. Die Kraft aus ihrem Angriff war verschwunden. „..Verdammte Sanae..“, knurrte Sakushi Kechi und zog den Speer aus dem Fleisch. Erneut ein schmerzhaftes Stöhnen. Ihre Stimmung hellte sich auf, als sie in Suzukis Gesicht blickte, welches sie ihr entgegen anhob. Blutige Tränen flossen aus den stark geröteten Augen. „Dieser zauberhafte Anblick entschädigt mich beinahe für diesen ganzen Reinfall!“, erwiderte Kechi lachend, „Ich habe mir nicht einmal Mühe gegeben und schon zeigst du mir alles, was du hast! Hach, wie niedlich deine Schwäche doch ist!“, wobei sie allerdings merkte, dass Suzuki mehr auf ihre Präsenz als auf ihre Worte reagierte, da schlicht und ergreifend keine richtige Reaktion kam, weshalb sie die beiden Jujuzisten damit hinter sich zurückließ. Zum Selbstgespräche führen brauchte sie immerhin nicht hier bleiben. Sie sollte sich merken, dass dieser Nichtsnutz von Jujuzist scheinbar Sphären aufspannen konnte. Doch stark durfte diese gerade keineswegs gewesen sein. Sanae, die mittlerweile zurückgedrängt in Sakushi‘s Inneren schlummerte, musste nicht nur ihre Bewegungen beeinflusst haben, sondern ihr auch ihren Teil der Fluchkraft abgestellt haben. Andernfalls hätte sie einerseits diese lächerliche Barriere gerade einfach durchdrungen und andererseits hätte der allererste Wurf Suzuki gnadenlos aufgespießt und in Fetzen gerissen und auch ihr Beschützer hätte schon längst den Weg ins Jenseits gefunden. Doch beide lebten. Das hatten sie einfach nur purem Glück zu verdanken. Mehr nicht. Suzuki, die aggressiv wie ein wildes Tier über Nanami lehnte, bekam während dessen nichts um sich herum mit. Keine Stimmen und selbst die Farben, die sie sonst noch wahrnahm, waren nur sehr trüb und fast gar nicht sichtbar. Schon gar nicht hatte sie dabei mitbekommen, dass der Gegner vor dem sie Nanami beschützen wollte, längst einfach gegangen war. Diese Stille in ihrem Kopf war ein ähnlich schrecklicher Zustand, wie sonst der Lärm ihrer Gedanken. Es fühlte sich an, als wäre sie in einem zeitlosen Raum, so ruhig war es. Ein zeitloser Raum mitten im nichts ihrer Gedanken. Ein relativ monotones Tropfen auf sein Gesicht, zerrte Nanami allmählich aus der Bewusstlosigkeit. Sein Körper schmerzte und es dauerte einen Moment, bis er überhaupt wieder auf diesem Planeten war. Er rieb sich die Tropfen aus dem Gesicht und beäugte noch neben sich stehend die dunkle Flüssigkeit an seiner Hand. Als er realisierte, wer da über ihn hockte und besonders was dort auf ihn hinunter tropfte, zuckte er zusammen und stützte sich ächzend auf. Suzuki, die nicht mitbekam, dass sich jemand unter ihr regte, lag einfach auf dem sich hebenden Körper auf und erschlaffte. Nicht nur die Körperspannung, sondern auch die kleine Barriere um sie herum brach zusammen. Der Blonde spürte, wie dieser Raum plötzlich verschwand und musste Suzuki festhalten, damit sie nicht einfach kraftlos von ihm runterrutschte. Wie lange war er bewusstlos gewesen? Wie lange hatte sie diese Menge an Fluchkraft manifestiert? War sie überhaupt noch bei Bewusstsein? „… Nanami! Sprich zu mir!“, versuchte er ihren Zustand zu ermitteln. Es kam keine Reaktion. Eine seiner Hände rutschte ihren Rücken hinauf, wobei er die warme, offene Wunde an ihrer Schulter spürte. Scheiße! Er hob seine Hand weiter zu ihrer Schläfe. Ein schwacher Puls! Er musste Ijichi Bescheid geben, damit sie Suzuki direkt zu Ieiri bringen konnten. Zum Glück war das Telefon in der Innentasche seines Jacketts nicht schwer beschädigt worden. „Hallo?“ „Nanami hier. Komm so schnell wie möglich zu unserem Auftragsort in Nakameguro. Gib Shoko bescheid. Sie soll ausreichend B positiv bereithalten.“ „Aber das ist doch Suzukis-“ „Genau.“ „… Ich bin so schnell wie möglich da!“ Erneut beäugte er Suzukis blutverschmiertes Gesicht. Vorsicht stand er auf und bemühte sich in seiner dem Schmerz geschuldeten Grobmotorik die Grauhaarige nicht weiter zu verletzen. Irgendwie musste der Blonde die Blutung vorübergehend stoppen oder zu mindestens eindämmen. Nanami lehnte sie gegen eine Hauswand und zog ihr den Blazer aus, bevor er dasselbe tat, diese vorerst über Suzukis Schoß legte und sich zusätzlich bis aufs Unterhemd entkleidete. Das weiße Hemd, dass ohnehin schon lange nicht mehr reinweiß war, knüllte er zusammen und befestigte es mit seiner Krawatte provisorisch über der Schulterverletzung. Etwas unbeholfen versuchte Nanami sie mit den Jacken zu bedecken, bevor er sie ächzend anhob und sich in Richtung Hauptstraße zurückbewegte. Er müsste sich später auch von Ieiri durchchecken lassen, sein Körper war schlicht und ergreifend zu schwerfällig, als dass es ihm gut gehen konnte, allerdings hatte Suzuki gerade Priorität. Sie konnte ihren Körper nicht durch Fluchkraft schützen und war somit durch solche Angriffe schneller in Lebensgefahr als andere Jujuzisten. An der Abzweigung, an der sie das Auto stehen gelassen hatten, wartete daneben in seinem Auto schon Ijichi und blickte sich nervös um. Als er Nanami aus der Gasse kommen sah, wurde er sichtlich noch unruhiger, stieg aus dem Wagen, lief dem Blonden entgegen und half ihm mit seiner Kollegin. Es war wie ein dunkler Raum in dem Suzuki gefangen war. Sie sah nichts, sondern erfühlte lediglich ihre Umgebung. Sie tastete sich umher, bis sie die Stimme Kechis vernahm und nervös umherwirbelte. „Du nutzloses Stück, kannst nicht mal deinen geliebten Partner beschützen!“, diese Worte trafen sie wie einen Schlag und warfen sie tatsächlich um, allerdings war es kein harter Aufprall, wie sie es in der Finsternis erwartet hatte. Es war unerwartet weich, fast schon kuschelig. Es war ruhig, aber nicht mehr Todesstill. Obwohl… da war ein Piepen. Monoton wiederholte es sich, bis es allmählich etwas schneller wurde. Sie hörte neben sich etwas Rascheln. Vielleicht eine Zeitung? Als dann plötzlich etwas ihre Hand ergriff, versuchte sie sich augenblicklich davon zu befreien, doch mehr als ein leichtes zucken, schaffte ihr Körper nicht. Sie hatte Angst! Es war so dunkel! Was war das? Wollte es sie umbringen? Sie hatte Angst! „…-nto…“, hauchte sie aus ihrer trockenen Kehle, da sie ihren gewollten Schrei nicht herausbekam. „Ich bin hier.“, antwortete die Stimme, die scheinbar zur Hand gehörte, welche mit einem Mal gar nicht mehr bedrohlich wirke, sondern sogar etwas Warmes und Liebevolles an sich hatte. Suzuki versuchte nun sogar fast diese Hand fest zu halten, aber auch jetzt war es nicht mehr als ein kraftloses Zucken. „Ist sie aufgewacht?“, fragte eine neue Stimme. Es musste Shoko gewesen sein. „Ja.“ „Kann sie…“, wollte die Ärztin fragen, doch Nanami musste wohl schon nonverbal darauf geantwortet haben. „Die Fluchkraft in ihrem Körper war wohl wirklich zu viel. Aber bisher geh ich davon aus, dass ihre Augen sich erholen.“, erklärte sie, während sie scheinbar direkt auf Suzuki zukam. „Achtung, ich fasse deinen Kopf an.“ Suzukis Kopf wurde geneigt und ihre Lider jeweils ein wenig gehoben. „Deine Pupillen reagieren auf das Licht. Es ist nicht viel, aber wenigstens funktionieren die grundlegende Reflexe.“, erklärte sie und ließ von der Grauhaarigen ab. Auch wenn Shoko wohl wirklich optimistisch gegenüber Suzukis Zustand war, änderte das für sie nichts daran, dass man ihr gerade bestätigt hatte, dass sie blind war. Vollkommen egal, ob es nur vorübergehend war oder nicht. Suzuki hatte die Grenzen ihrer Fähigkeiten bei weitem überschritten und war deswegen erblindet. Das es passieren würde, war ihr bewusst. Ihre Sehkraft nahm schon seit der Oberstufe langsam allmählich ab und machte durch die zu starke Nutzung ihrer Fluchttechnik vereinzelt Sprünge. Doch das eine Erblindung, die länger als zehn Minuten anhalten würde, wirklich eintreten könnte, hatte sie bisher nie in Betracht gezogen. Doch nun war es soweit und das alles nur, weil ihr Körper zu schwach für ihre Fluchkraft war … Weil sie zu schwach war! Kapitel 7: ----------- „Oji-san“, hörte ich eine Kinderstimme rufen, als ich allmählich zu Bewusstsein kam. „Hier liegt jemand!“ „Wirklich?“, antwortete eine ruhige Männerstimme überrascht. Scheinbar regnete es. Leises rauschen drang an mein Ohr. Ich blickte durch ein Auge trüb nach –vermutlich- oben und war der Meinung die Decke eines Klettergerüsts zu erkennen, allmählich klarer werdend versuchte ich mich umzusehen, doch irgendwie war mein Blickfeld eingeschränkt, kein Muskel meines Körpers wollte reagieren. Es prasselten so viele Einflüsse auf mich ein, dass ich nicht einmal die heftigen Schmerzen in meinem Körper wahrnahm. „Oh.“, hörte ich erneut die Männerstimme von zuvor. „Nanako, geh doch bitte zu deiner Schwester. Ich kümmere mich um das Mädchen und bin gleich bei euch.“, erklärte er mit einer gewissen Wärme in der Stimme. Es schob sich ein Mann mit langem, schwarzem Haar in mein unscharfes Blickfeld, welches allmählich immer etwas konkreter wurde. „Die Akademie also.“, sprach er lediglich und hatte irgendwo zwischen diesen beiden Aussagen jegliche Wärme in seiner Stimme verloren. Die Akademie. Ich musste zurück zur Akademie! „No-…-a… Suzu-…“, wollte ich rufen, doch hauchte es lediglich. Mein gesamter Körper sträubte sich mir zu gehorchen. Mit einem Mal überkam mich ein unglaublicher Schmerz. Mein gesamter Körper bäumte sich in seiner geringen Kraft auf und ließ Schmerzensschreie heraus. Der Mann musste geahnt haben, was kommt und hatte schnell reagiert, indem er mir irgendwie die Hand über den Mund legte und den Schrei dämpfte. Ich verlor wieder das Bewusstsein. Ich, Sanae Kechi, hatte zu diesem Zeitpunkt vorerst das letzte Mal die Möglichkeit aktiv die Handlungen meines eigenen Körpers zu beeinflussen. Sie übernahm an dieser Stelle. Sakushi entschied sich nun einfach an meiner Stelle als Hauptakteur in meinem Körper zu leben. Sie schloss sich dem Mann an, der gemeinsam mit seinen Ziehkindern meinen Körper gefunden hatte. Er stellte sich ihr als Suguru Geto vor, ein Fluchnutzer, der ebenfalls Jujuzist war, sich allerdings von der Akademie abgewandt hatte. Die Mädchen, die er wie seine Töchter bei sich hatte, hießen Nanako und Mimiko. Entgegen der Natur, die ich von Sakushi kannte, wurde sie bei den beiden unglaublich emotional und fast schon liebevoll. Als hätte sie nun endlich die für sie vorbestimmte Aufgabe gefunden, dass Mutter sein. Welch eine Ironie, denn mich, ihre eigentliche Tochter, hatte sie nicht einen Moment auch nur ansatzweise mit solch einer Liebe überschüttet. Mich hat sie sogar so sehr gehasst, dass sie mich verfluchte, als sie bei meiner Geburt starb. Mein Vater hatte versucht es so hinzudrehen, dass sie mich einfach nicht verlassen wollte, so sehr hätte sie mich geliebt, doch dann wäre sie als Fluch sicher keineswegs so problematisch geworden. Sie legte ihr beziehungsweise mein Leben in seine Hände und half Geto beim Aufbau seiner Pseudo-Religion. Eines Tages dann, ich hatte mich in den tiefsten Tiefen ihrer Seele verloren, erreichte mich etwas, dass mich wachrüttelte und zurück in die Gegenwart holte. Ich war der Meinung Suzuki gesehen zu haben, doch Sakushi übernahm wieder und ließ mir nur bedingt Zeit mich zu vergewissern. Ich fuschte meinem Gegenstück einige Male an diesem Tag ins Handwerk. Es endete damit, dass sie mich tiefer in sich einschloss, damit soetwas kein zweites Mal geschehen würde. Das Einzige, was ich tun konnte, war es, meine Fluchkraft mit mir zu nehmen. Schon lange hatte sie mich nicht mehr so sehr verflucht, wie danach. Aber ich war mir sicher, ich hatte Suzuki gesehen! Es musste sie einfach gewesen sein! Sie musste einfach noch am Leben sein! Ich hoffte nur, dass ich ihr auch so irgendwie eine Art Hilfe sein konnte. „Sakushi, was versuchst du da?“, trat der Schwarzhaarige an die Küchenzeile heran und blickte sie skeptisch an, während sie scheinbar ein Messer aus dem Messerblock auswählte. „Sanae hat mir ihre Fluchkraft verwehrt. Bisher hat sie immer gehorcht, deswegen musste ich noch nie zu solch drastischen Maßnahmen greifen. Ihr ist die Unversehrtheit ihres Körpers wichtig!“, erklärte sie grinsend und schnitt sich mit dem größten Küchenmesser aus dem Block in den Arm. Das Fleisch wurde sichtbar zerteilt, klaffte auf und ließ jede Menge Blut frei. Sie tropfte die gesamte Spüle voll. Als sie zu einem zweiten Schnitt ansetzen wollte, intervenierte Geto und hielt ihre Hand fest. „Die Mädchen sind gleich zurück. Lass das für heute.“, wies er sie dieses Mal fast etwas unterkühlt an. Sein Ton ließ sie erschaudern, weshalb sie sich eilig dafür entschieden das Messer beiseite zu legen und ihr Blut wegzuspülen. Geto ging und kam bald darauf mit einem kleinen Verbandskasten wieder. “Wenn der Körper zu viel Blut verliert, stirbst du gemeinsam mit deiner Hülle. Du bist nicht stark genug, als das du als Fluchgegenstand zurückbleiben würdest.”, erklärte er und holte Verbände aus der Kiste und begann sie ihr um den Arm zu wickeln. “Versuch eine Methode, bei der du den Körper quälst, aber dich nicht umbringst. Wir brauchen dich noch, immerhin bist du die Einzige, die diesen Speer führen kann. Das heißt, du bist demnach auch die Einzige, die Nutzen aus dem Finger Sukunas ziehen kann, der vom Speer aufgenommen wurde.”, Geto blickte mit einer Art Lächeln zu ihr. “... Vielleicht wäre Verbennen eine gute Idee! Es ist schmerzhaft und verursacht keine Blutungen!”, schlug Sakushi begeistert vor. Sie hatte scheinbar die ganze Zeit darüber nachgedacht, was sie sonst tun könnte. “Dann nimmt dafür bitte kein offenes Feuer, sondern heißes Wasser.”, erwiderte er und knotete die Enden des Verbands zusammen, als er die Wunde versorgt und verbunden hatte. Für einen kurzen Moment herrschte zwischen den Beiden Totenstille. Sakushi erhob schmunzelnd ihre Hand an sein Gesicht und strich sanft mit ihrem Daumen über seine Wange. “Wäre ich euch doch bloß als Mensch begegnet. Ich wäre euch um Haut und Haar verfallen.”, säuselte sie und wollte nun auch ihre andere Hand an sein Gesicht heben, doch Geto hielt diese fest und löste auch die andere von sich. “Ich hätte dich getötet.” “Das wäre genau das gewesen, was ich wollte.” Erneut blickten sie einander für einen Moment nur an. “Aber zum Glück, könnt ihr mir in diesem Leben einen noch schöneren Wunsch erfüllen.” Geto hielt ihre Hände vor sich. Er hörte die Wohnungstür klappen. Nanako und Mimiko mussten Heim gekommen sein. Sakushi zog ihn in seiner Geistesabwesenheit den einen Schritt, den sie auseinander standen, zu sich und streckte ihren Kopf nah an sein Ohr, damit er sie auch ja hören würde. “Esst bitte meinen Fluch, wenn dieser Körper stirbt.”, sprach sie beinahe schon verführerisch, als würde sie mit diesen Worten einen Fetisch von ihm befriedigen wollen. Vielleicht versuchte sie ihn damit auch einfach nur zu überzeugen, immerhin verlangte sie von ihm, einen sicher nicht übermäßig schmackhaften Fluch zu essen. “Oji-san! Onee-san! Wir sind zurück!”, rief Nanako und lugte zur Küche hinein, hinter sich ihre Schwester, und freute sich beide zu sehen. “Willkommen daheim.”, erwiderten die beiden Erwachsenen wie aus einem Mund, die sich wieder voneinander gelöst hatten und nun die Küche aufräumten. “... Wenn du mir von Nutzen bist.”, erklärte Geto, als er den geplünderten Verbandskasten geordnet hatte und wieder schloss, als hätte er den Augenblick gebraucht, um über ihre Bitte nachzudenken. “Nichts Leichteres als das.”, erklärte sie mit einem fast schon fröhlichen Lächeln. Es wirkte auf Sakushis Gesicht irgendwie falsch und fehl am Platz. “Ich werde euch dienen, bis ihr mich nicht mehr missen wollt!” Kapitel 8: ----------- Das warme Wasser fiel wie Regen auf ihre Haut, doch ihr Körper fühlte sich weiterhin kalt an. Wie lange stand sie nun schon geistesabwesend in der Dusche? Erst 10 Minuten oder vielleicht sogar schon eine Stunde? Welcher Tag war heute? Hatte sie gerade wirklich Hunger oder war ihr einfach nur langweilig? Waren noch irgendwelche Reste im Kühlschrank? Sie füllte ihren Kopf mit Fragen, um der Dunkelheit keinen Platz zu lassen, doch irgendwo fand sie diesen leider immer. Suzuki stellte das Wasser ab und blieb einen kurzen Moment wie ein nasser Pudel in der Kabine stehen. Sie stand einfach nur da und blickte die nüchtern blauen Fliesen, die eigentlich einen intensiven Farbton hatten. Ihre Sehkraft war zwar neun Tage nach dem Vorfall wieder gekehrt, doch noch immer war sie nicht wieder zurück auf dem Stand von davor. Die Kälte kroch allmählich an ihren nackten Körper und legte sich um sie, woraufhin sie aus der Dusche stieg und sich in ihr Handtuch einwickelte. Durch den kleinen Türspalt, den die Grauhaarige öffnen gelassen hatte, erkannte sie den fast vollständigen Ladebalken, der auf ihrem Bildschirm leuchtete. Ihr Spiel machte ein Update. Anders hätte sie vermutlich gar keine Pause gemacht. Nach dieser Zeit, in der sie ihr Gehirn nur während des Trainings mit Nanami, in welchem sie ihr Gehör und ihre Reaktionsfähigkeit verfeinerte, überstimulieren konnte, um etwas ähnliches wie Ruhe in ihrem Kopf zu empfinden, hatte sie sich gnadenlos in ihre Spiele gestürzt. Sie hatte einige schon vor über einem Jahr gekauft und immer aufgeschoben, weil sie neben der Arbeit nie recht Zeit dafür gehabt hatte, und nun dann in wenigen Tagen durchgespielt. Alles nur um nicht denken zu müssen. Wenn sie Glück hatte verbrachte sie die Zeit beim Essen oder Duschen damit über ihre Spiele nachzudenken, doch das klappte nicht immer. Träge rieb sie mit ihrem Handtuch die kurzen Haare trocken, die sich trotzdem schon irgendwie wieder zu lang anfühlten. Irgendetwas war komisch. Schon die letzten Tage hatte sie das Gefühl etwas vergessen zu haben, aber Suzuki kam einfach nicht darauf, was es gewesen sein konnte. Ihr Telefon hatte sie ausgeschaltet und weggepackt. Ihre Familie hatte sie kontaktieren wollen, doch nach vermutlich fünf oder mehr Anrufen, in denen sie versuchte ihren Bruder Daisuke oder ihre Mutter davon zu überzeugen, dass es ihr gut ging, allerdings glaubte sie es selbst nicht einmal, gab sie es auf. Sie wollte mit niemanden sprechen. Gleichzeitig hasste sie diese Stille, die sie umgab. Allerdings konnte sie jetzt doch nicht einfach jemanden anrufen, den sie zuvor noch abgewiesen hatte, außerdem hatten alle anderen sicher eh besseres zu tun als sie zu beschäftigen. Gähnend zog sie sich eine viel zu große Trainingsjacke über, die glücklicherweise noch irgendwie frisch roch und trottete in Richtung der Küchenzeile, als das laute Klingeln ihrer Tür sie zusammenfahren ließ. Verwundert sah sie hinüber. Hatte sie etwas bestellt? Und hatte einfach nur vergessen, dass sie es getan hatte? War das einer ihrer Nachbarn? Hatte sie zu einer komischen Uhrzeit geduscht? Sie hätte vorher doch auf die Uhr sehen sollen... Aber wo war die eigentlich? Das ticken hatte sie irre gemacht. Oder wollte sich vielleicht jemand beschweren, dass sie zu laut war? Sie fluchte und schrie sehr viel, wenn sie zockte... Etwas bedröppelt ging sie zur Tür hinüber. Im Kopf sortierte sie schon möglich Entschuldigungen. Sie drehte den Schlüssel im Schloss und öffnete die Tür einen Spalt, doch weder ein wütender Nachbar, noch ein Päckchen empfingen sie, sondern ein Anzugträger… in Freizeitklamotte? Suzuki brauchte einen Moment. Was machte er denn hier? Halluzinierte sie? “...Äh... Kento... Was gibt’s?” Er blickte sie etwas verwundert an. Vielleicht auch wegen des neuen Anblicks. Er kannte Suzuki trotz ihrer längeren Zusammenarbeit nur in Anzug, feinerer Freizeitklamotte oder als harter Kontrast die Krankenhauskleidung. Selbst ihre Kleidung beim Training hatten etwas Elegantes, sodass sie ihn nicht unbedingt überraschten, doch die alte und viel zu große Trainingsjacke hatte ihn dann doch kalt erwischt. „Ich hatte mich doch angekündigt.“ „Aber es ist doch gerade einmal Dienstag.“ Erneut musste sie ihn mit ihrer Aussage kalt erwischt haben, auf jeden Fall blickte er sie etwas perplex an. „Ich hatte versucht dich anzurufen, um dir Bescheid zu geben, dass ich erst einen Tag später Zeit hätte, um vorbei zu kommen… Es ist Samstag.“ „Wie?“, nun war es Suzuki, die ihn perplex anblickte. „Du hast beide Termine mit Shoko versäumt. Weil sie dich auch nicht erreichen konnte und die Akademie nicht verlassen kann, sollte ich ihr Bericht erstatten, wie es dir geht.“ Daher kam also dieses ungute Gefühl, sie hätte etwas vergessen. Sie hatte wirklich etwas vergessen. Etwas unglaublich Wichtiges noch dazu. Heißt das, sie hätte mehrere Nächte durchgemacht, ohne es zu merken? Panisch blickte sie zu ihren Fenstern und merke erst jetzt, dass ihre Vorhänge noch immer zu gezogen waren. Wann hatte sie die denn überhaupt das letzte Mal aufgezogen? „Kann ich hereinkommen?“, fragte der Blonde nun und legte eine Hand an die Tür, um den Spalt weiter zu öffnen. „Ich-… äh…“, sie wollte ihn keineswegs abweisen, aber er durfte auch nicht dieses Chaos sehen! Suzuki konnte ja nicht wissen, dass er das schon längst alles mitbekommen hatte, so klein war der Spalt nun wirklich nicht, als dass er diese ganze Unordnung verbergen konnte. Allerdings hätte die Grauhaarige eigentlich am besten wissen müssen, wie scharf sein Blick sein konnte. „Ich.. Äh.. War gerade duschen..“, erklärte sie nervös und schob sich währenddessen etwas hinter die Tür, wobei sie auch den Spalt so schmal wie möglich hielt. „Lass mich schnell etwas anziehen! Ich bin sofort da, gedulde dich nur einen Augenblick!“ Noch bevor Nanami überhaupt reagieren konnte, schlug sie ihm die Tür vor der Nase zu. Nervös sprang Suzuki hinter der geschlossenen Tür von einem aufs andere Bein, bevor sie ihre Panik darauf konzentrieren konnte, dass sie sich anziehen musste! Sie lief leichtfüßig zwischen den Haufen von dreckiger Kleidung, kleineren Kartons und Verpackungen sowie Flaschen zu ihrem Kleiderschrank. Kento trug einfach nur ein lockeres, weißes Hemd, eine dunkle Hose und seinen Mantel, soviel hatte Suzuki gesehen, also konnte sie nicht zu dick auftragen. Nur etwas Schlichtes, Schickes. Das durfte nicht schwer sein, immerhin trug sie in letzter Zeit keinerlei derartige Sachen. Immer wieder griff sie zögernd zu einer Sache, stockte dann und entschied sich um. Als sie sich dann allerdings wieder ins Gedächtnis rief, dass Kento, denn sie einfach auf dem Flur hat stehen lassen, auf sie wartete, war ihre Entscheidung schnell getroffen. Sie zog sich ihren schlichten schwarzen Pullover über den Kopf und sprang beinahe zeitgleich in ihre Jeans. Bevor sie ihre Tiersocken in ihren Sneakern versteckte und in ihren Mantel schlüpfte. Durch einen ähnlich schmalen Spalt wie zuvor schob sie sich nun zum Blonden auf den Flur und schloss hinter sich ab. “Ich wäre auch später wieder gekommen.”, erklärte Nanami, als sie sich zu ihm umgewandt hatte. “Aber du hattest mir ja nicht einmal die Möglichkeit gegeben dir das vorzuschlagen.” “Ich kann dich doch nicht abweisen, wenn du schon den ganzen Weg hergekommen bist.”, erwiderte die Grauhaarige etwas verlegen und strich sich das noch an manchen Stellen etwas feuchte Haar glatt. “Aber trotzdem sollst du nicht unüberlegt handeln.”, tadelte er sie und trat einen Schritt an sie heran, wobei er ihr seinen Schal umband, den er vermutlich wegen der Wärme im Haus abgemacht hatte. “Wehe du wirst krank, weil du mit noch nassen Haaren bei der Kälte rausgehst!”, drohte der Blonde während er den Schal um ihren Hals festzog und ihr durchdringlich in die Augen sah. Sie hatten gemeinsam in der Nähe des Todes gekämpft und nun machte er sich sorgen, sie könne eine Erkältung bekommen? Nach einem kurzen Augenblick der Regungslosigkeit brach Suzuki in träges aber ehrliches Gelächter aus. Die letzten Tage hatte sie sich gezwungen ihre Existenz und alles um sich herum zu vergessen, doch jetzt gerade war sie froh hier zu sein und von Nanami fast stranguliert zu werden, während er sich darum sorgte, dass sie einen Schnupfen wegen ihrer feuchten Haare bekommen könnte. Sie gingen Essen und unterhielten sich über allerlei unnütze Sachen. Kein Wort über die Arbeit, irgendwelche Flüche oder andere Themen, über die keiner der beiden am Wochenende reden wollte. Suzuki tat es ungemein gut, dass sie endlich wieder mit jemandem anderen, als sich selbst sprechen konnte. Darüber, nach dem Essen noch ausgiebig in der Buchhandlung zu stöbern, beschwerte sich ebenfalls keiner. Sie hatten zwar unterschiedliche Vorlieben, sprachen sich aber nicht das Interesse an ihrer jeweiligen Literatur ab. Suzuki begleitete Nanami zur klassischen Literatur und anders herum folgte er ihr in die Abteilung für Manga. Obwohl keiner große Ahnung vom jeweils anderen Gebiet hatte, fanden sie immer wieder Punkte, über die sie sich ausgiebig unterhalten konnten. Bepackt mit neuen Büchern, empfing sie die fortgeschrittene Dämmerung, als sie wieder auf die Straße traten. Es war kälter als vorhin. Suzuki konnte klar ihren Atem erkennen. Sie knöpfte ihren Mantel bis oben hin zu und wickelte Nanamis Schal ein weiteres Mal um ihren Hals, damit es noch etwas wärmer werden würde. Als sie den Blonden hinter sich aus dem Laden kommen sah, wandte sie sich eilig zu ihm, da auch ihm die Kälte an den Nacken kriechen wollte, und knöpfte dem Blonden fix den Mantel zu. Suzuki blickte auf die Tüten von Büchern, die Nanami an der Kasse entgegengenommen hatte. „Du wirkst ja fast ein bisschen wie mein Liebhaber.“, erklärte sie lachend und lehnte sich etwas gegen ihn. Nanami konnte sich ein amüsiertes brummen nicht verkneifen. „Du doch auch.“ Es war ein Moment, in dem alles einfach nur perfekt schien. Alles floss harmonisch in einander. Auch Suzukis Fluchkraft, die normalerweise ohne ihre Zwillingsmesser wie eine chaotische Strömung in ihrem Körper wütete. Es drangen unklare Geräusche an ihr Ohr. Ihr Blick war ganz unklar, doch auch dies konnte das grau in grau nicht verbergen. Alles wirkte irgendwie so langsam, bis ein quitschpinker Schatten, wie ein Pfeil an ihr vorbei geschossen kam. Er hatte sie unglaublich erschrocken und jegliche Harmonie mit sich gerissen. Suzuki hielt sich den schmerzhaft pulsierenden Kopf und krümmte den Körper nach vorn, wobei sie mit der Stirn auf Nanamis vom Mantel gepolsterten Brust auflag. Sie konnte eigentlich fast schon froh sein, dass die Rückkopplung ihrer Fluchtechnik dieses Mal verhältnismäßig gering ausgefallen war. Aber angenehm war es keines Falls. „-los?“, hörte sie erst jetzt seine Stimme wieder und spürte, wie sich sein Arm um sie legte. „Lass uns dort zu einer der Bänke gehen. Du hast sicher Kopfschmerzen. Ich hol dir Tabletten und eine Flasche Grüntee-” „… Da war grad ein unglaublich schneller Fluch!“, erklärte sie etwas japsend und blickte zu ihm auf. Seine Gesichtszüge wurden fest, als er ihre Blutunterlaufenen Augen sah. Sie hatten noch nicht zu Tränen begonnen, doch waren kurz davor. „Du weißt, ich hasse es, an meinem freien Tag zu arbeiten.“, knurrte er und wischte vorsichtig mit seinen Daumen die blutigen Tränen aus ihren Augenwinkeln. „Tut mir leid…“, brabbelte sie nur und wollte den Kopf senken, doch seine Hände hielten ihn oben. „Wo?“ „… Wie?“ „Wo ist er hin?“ „… Also, ich glaube…“, drugste die Grauhaarige herum, doch machte nun ein scharfe Handbewegung an sich vorbei, um ihm zu zeigen, wo lang. Nanami wandte seinen Blick in die Richtung, eine kleine Gasse zwischen den Geschäften entlang. „Kann ich dich einen Moment allein lassen?“ „Du kannst doch nicht-” „Du bist mir in deinem jetzigen Zustand keine Hilfe.“, erklärte Nanami ganz unverfroren, was Suzuki innerlich fast zerriss. Sie vergaß, dass er auch diese schmerzhaft direkte Art haben konnte. Ihre Hände, die noch immer auf dem Stoff seines Mantels geruht hatte, sanken kraftlos und ihr Blick nahm etwas unangenehm Unterkühltes an. „Ich verstehe.“ Sie verstand es, wollte es aber trotzdem eigentlich nicht dabei belassen. Sie hatte ihm das eingebrockt, also musste sie ihn doch auch begleiten. Doch realistisch betrachtet hatte er vollkommen recht. Sie war unbrauchbar, so aufgewühlt, wie sie war. „Lass mich dir zur Bank helfen-” „Ich finde sie allein.“, antwortete sie prompt, doch merkte auch augenblicklich, dass sie sich im Tonfall vergriffen hatte. Es sagte nicht ‚ich finde sie allein, mach dir bitte keine weiteren Umstände‘, sondern ‚verpiss dich, ich finde sie allein‘. Was sollte sie jetzt machen? Sollte sie sich erklären? Konnte sie sich überhaupt richtig erklären? Was wollte sie ihm überhaupt sagen? Ihre Gedanken überschlugen sich, während, er seine Hände von ihrem Gesicht löste und ihr kurz darauf die Tüten reichte, die er zuvor zwischen seine Füße gestellt haben musste, um sich um sie kümmern zu können. Suzuki hielt seine Hand fest, weshalb der Blonde sie fast schon erwartungsvoll ansah. Was sollte sie jetzt sagen? Ihr Kopf war in solchen Momenten mit ihm immer unglaublich voll aber eigentlich leer. „… sei bitte vorsichtig.“ Nanami atmete hörbar aus. Sie traute sich nicht zu ihm aufzusehen, zu warm fühlte sich ihr Gesicht gerade an. Eilige wandte die Grauhaarige sich ab und huschte zur nächsten Bank, die etwas abseits von größeren Menschenansammlungen stand. Obwohl es besser für Suzuki gewesen wäre, setzte sie sich nicht, sondern blieb stehen und ging unruhig vor der Bank auf und ab. Es waren sicher gut zwanzig Minuten, die sie so zu brachte. Erst jetzt hatte sie sich allmählich wieder beruhigt und setzte sich. Wie konnte sie nur immer so zwischenmenschlich ungeschickt sein? Einen guten Punkt hatte das Ganze ja: sie zerbrach sich so sehr den Kopf darüber, dass sie gar nicht über ihre etwas trübere Sicht nachdenken konnte. Auch die Farben wirken zwar etwas nüchterner, aber das was alles nichts, was spätestens morgen nicht wieder beim Alten sein würde. Nur das Pulsieren in ihrem Kopf würde die Grauhaarige noch eine Weile belästigen. Ein kaltes Gefühl an ihrer Wange ließ sie erschrecken und herumfahren. Nanami streckte ihr eine Flasche Tee entgegen. Sie blickte ihn ungläubig an. Hatte er sich um den Fluch gekümmert und ihr etwas zu trinken geholt? War er überhaupt ein Mensch? War er nicht eher ein Gesandter der Götter? „… danke.“, erklärte sie gerührt und nahm die Flasche entgegen. „Und die hier.“, er zog eine kleine Packung Schmerzmittel aus seiner Jackentasche. „Du hattest Shoko ja die Ohren vollgejammert, dass du nicht gut Tabletten nehmen kannst. Das ist wohl Pulver, hoffentlich wirkt das auch.“ „Hast du vielleicht überlegt, dich heilig sprechen zu lassen?“, fragte sie ihn mit einem gespielt ernsten Gesichtsausdruck. „Was?“ „Vergiss es!“, entgegnete Suzuki lachend und nahm auch die Packung entgegen. Noch vor dem ersten Schluck Tee nahm sie das bittere Pulver zu sich, schüttelte sich heftig und trank fast die halbe Flasche in einem Zug. „Ich danke dir, jetzt steh ich schon wieder in deiner Schuld, wie kann ich das wieder gut machen?“, fragte sie etwas kleinlaut. Ihr Geiz hoffte, dass er nicht Essen gehen wollte, doch ihr Gewissen wusste, dass selbst das noch viel zu wenig gewesen wäre. „Ich brauch einen neuen Anzug. Jemand hat sich über die Nadelstreifen beschwert.“ Suzuki blickte zur Seite, als wüsste sie von nichts. Denn sie war es, die ihm das gesagt hatte. In der Zeit, in der sie blind war, hatte sie das Gefühl der Nadelstreifen irgendwann genervt und sie hatte sich bei ihm beschwert. Eigentlich hatte sie es keineswegs ernst gemeint. Ihr gefiel, wie er in Anzügen aussah, ganz gleich, was es für einer war, aber sie hätte besser wissen müssen, dass Nanami es ernst nahm. „Ach echt, dass klingt doch vollkommen absurd, wer würde denn…“, brabbelte sie nervös vor sich her. „Ich wäre heute gegangen, aber leider hat mein Herrenausstatter nicht geöffnet.“ „…, wenn es so dringend ist, finden wir sicher nächste Woche noch einen Tag dafür.“ „Dann schalte bitte dein Telefon ein, damit ich dich deswegen erreichen kann.“ Suzuki schluckte. Stimmt, sie müsste ihr Telefon wieder einschalten. War es wirklich so schlimm, wie sie es sich einbildete? Die Menschen, die sie anrufen wollten, wollten ihr ja nichts Böses. Also musste sie nur zurück in ihre Wohnung und… zurück in ihre Wohnung. Ihr schoss wieder das Bild ihres zugemüllten Apartments ins Gedächtnis. Ihr schnürrte die Erinnerung an die stickige Luft beinahe den Hals zu. Sie musste das alles wieder in den Griff bekommen. Es schien so unglaublich viel und irgendwie... unmöglich. Ihre Zweifel am Erfolg dieses Vorhabens mussten sie augenblicklich erbleichen lassen haben, denn Nanami legte vorsichtig seine Hand an ihre Stirn. Er blickte skeptisch. „Steh lieber auf, nicht, dass dir noch zu kalt wird.“ Sie nickte, blieb aber fast regungslos sitzen, als wäre sie geistig gar nicht anwesend, während sie ihre Flasche zwischen den Händen knetete. Er musterte sie. Sie war gestresst, so gut kannte er ihr Verhalten mittlerweile. „Kann ich dir irgend-” „Hilf mir bitte.“, presste sie die Worte aus ihrer Kehle und blickte ihn bitter an, als würde sie jeden Moment an Ort und Stelle zu weinen beginnen. Der Blonde war über ihre Worte überrascht, sie tat sich mit so etwas, wie direkt um Hilfe bitten, unglaublich schwer. Er war froh, dass diese Art von Worten überhaupt einen Platz in ihrem Vokabular hatten. „Natürlich. Wie kann ich dir helfen?“ „…meine Wohnung. Ich… ähm… also… Kann ich bitte ein paar Nächte bei dir schlafen?“ Nanami nickte. Er hatte gesehen, wie der Zustand ihrer Wohnung war, nachvollziehbar, dass sie da erst einmal nicht hin zurückwollte, nachdem sie nach so vielen Tagen endlich mal wieder herausgekommen war. „… und… also natürlich nur, wenn es dir keine Umstände bereitet… und du natürlich Zeit hast, ich weiß ja, du bist viel beschäftigt-” „Nanami.“, unterbrach er ihre Endlosschleife an Entscheidungsfloskeln und sprach sie direkt an. „… könntest du mir bitte beim Aufräumen helfen? Ich schaffe das nicht allein…“, fragte die Grauhaarige endlich, wobei sie noch immer die Flasche zwischen ihren Händen knetete und nervös herunterblickte. „Das sollte kein Problem sein.“, erwiderte er und nahm ihr die Papiertüten mit den Büchern wieder ab. Suzuki war wie zur Salzsäule erstarrt. Sie hatte ihre persönlichen Hürden überwunden und wurde dafür belohnt? Träumte sie das nicht gerade vielleicht? Das war doch zu schön, um wahr zu sein. Aber nein, Nanami, der sie erneut ansprach, da er weiter gehen wollte, war vollkommen real. Und auch die Worte hatte sie wirklich gerade ausgesprochen. „… entschuldige bitte die Umstände, Kento.“ „Du machst mir keine Umstände.“ „Wirklich?“ „Solltest du mir Umstände machen, sage ich dir das ohne Umschweife.“ „…stimmt.“ Kapitel 9: Villian AU I. ------------------------ Ein Faden, der ein immer schwerer werdendes Gewicht hält, scheint perfekt zur Verbildlichung eines zu starken und zwanghaft unterdrückten Verlangens. Sobald der Faden reißt, gibt es kein Zurück mehr, wobei die meisten darin zu diesem Zeitpunkt vermutlich dann eh schon keinen Grund mehr sehen. Es war einfach nur ein glatter Schnitt mit seiner Handfläche, den Nanami gezogen hatte. Erst fielen Stapel von Mappen und Unterlagen zu Boden, dann der kraftlose Körper und nach einem Augenblick des Entsetzens, in dem abgesehen vom feuchten Gurgeln des Abteilungsleiters nichts zu hören war, brach Panik und Geschrei im gesamten Büro aus. Er betrachtete sein Werk. Der Schnitt war sogar durchs Brustbein gegangen, denn er konnte mang dem herausquellendem Blut und der Innereien klar den durchtrennten Knochen erkennen. Noch nie hatte er gesehen, wie Fluchkraft auf normale Menschen wirkte. Das Ergebnis war mehr als zufriedenstellend. Irgendwie jedenfalls. Doch durch den ganzen Lärm konnte er seine Erkenntnis darüber gar nicht richtig wertschätzen. „Jetzt haltet endlich euer verdammtes Maul!“, brüllte der Blonde, der dennoch weiterhin unglaublich ruhig und gefasst auftrat, woraufhin die, die sich noch mit ihm im Großraumbüro befanden, verängstigt zu ihm blickten. Sie waren dort ein gesperrt worden, wie der Blonde mit einem einzigen Blick Richtung Tür feststellte. Die wenigen, die schon bis zum Flur gekommen waren, hatten ohne zu zögern die Tür des Büros verbarrikadiert, damit sie den Fahrstuhl rufen und fliehen konnte und sie nicht das gleiche Schicksal erleiden würden, wie der mittlerweile stumme Abteilungsleiter. Doch dafür war es zu spät. Ein leichtes Tippen des Feueralarms reichte, um nicht nur die Sprinkleranlage an, sondern auch die Lichter und den Fahrstuhl abzuschalten. „Versucht bloß nicht abzuhauen.“, erklärte Nanami in seiner noch immer ruhigen und kontrollierten Art, während er beim Gehen seine dunkelrote Krawatte abzog und um seine Hand band. „Ich habe noch Überstunden, die ich mit euch begleichen muss!“ Er hatte zwei Minuten, bis er hier raus sein musste, damit er in aller Ruhe abhauen konnte und er wusste ganz genau, dass das mehr als genug Zeit für alle hier Anwesenden war. Die wiedereinsetzenden Kopfschmerzen zwangen Suzuki zum Abbruch der Trainingseinheit. Schon wieder. Ihre jüngeren Mitschüler machten sich darüber lustig und begutachteten sie skeptisch von oben bis unten. Die Einzige in ihrem Jahr und dann auch noch so ein Reinfall. Ihre Mitschüler und das Training waren nicht das einzige lästige in ihrem Leben. Die Geräusche und Farben, die Auslöser ihrer Kopfschmerzen waren, die sie die letzten Monate nicht wahrgenommen hatte, waren seit etwa drei Wochen wieder da. Einfach so. Vielleicht war sie einen Tag etwas zu sorglos mit ihrem Leben gewesen und das hatte diesem nicht gefallen. Wie eine Art Karma, dass sie dafür bestrafte, wenn sie ihr Leben zu sehr genoss oder ähnliches. Wenn sie ehrlich mit sich war, war sie sogar froh über ihre Blockade gewesen. Sie hätte endlich ein einigermaßen normales Leben führen können. Sie hätte ihren Abschluss an der Akademie gemacht und wäre gegangen, da sie hier ohnehin niemanden von Nutzen sein konnte. Doch jetzt waren da schon wieder Flüche, die ihr das Leben schwerer machen wollten, als es ohnehin schon war, wie sie es seither schon seit Jahren gemacht hatten. “Entschuldigen sie bitte, aber ich fühle mich nicht so-”, begann sie den Kopf geneigt so untertrieben wie möglich zu reden, um niemanden unnötig mit ihren Problemen zu belästigen. „Suzuki, reiß dich doch endlich mal ein wenig zusammen. Wir können dich nicht immer jedes Mal vom Training befreien, nur weil du dich mal wieder nicht danach fühlst!“, hielt sie ihr Lehrer entnervt an. Ein Aushilfslehrer, der bei seinem Einfühlungsvermögen sicher auch nicht länger als nötig bleiben würde. „An der kyotoer Akademie würden solche Querelen nicht geduldet werden!“, tadelte er sie mit erhobenem Zeigefinger. Sie blickte ihn unterkühlt an. Daher wehte also der Wind. Die Obersten werden diesen Dödel wohl für den Posten vorgeschlagen haben. Gefiel ihnen wohl besser als ein Satoru Gojo, der seit geraumer Zeit im Gespräch für diese Position war, immerhin ließ er sich bestimmt besser von den Obersten reinreden als der eigensinnige Gojo. In den letzten Wochen hatte sie auch wieder öfters ‚Schummeljujuzistin‘ gehört, wenn schlecht verborgen hinter ihrem Rücken über sie gesprochen wurde. Einen Ausdruck, den sich die Obersten sich für sie überlegt hatten, als ihre Person nach dem Zwischenfall im Lagerhaus gefragter wurde. Dann ging das wohl auf seine Kappe. Er musste wirklich ein Hund der Obersten gewesen sein. In Tokyo sprachen sie selbst Rang höhere Jujuzisten nicht so an, doch dieser Idiot führte es ein. Und ihre jüngeren Mitschüler, welche für gewöhnlich Respekt vor einem Senpai hätten, übernahmen es. Wie ätzend dieser Ort mit jedem neuen Tag und jeder neuen Stimme in ihrem Kopf doch wurde. Sie begann das Training zu schwänzen, viel amüsierender war es Manga zu lesen und den ganzen Nachmittag zu daddeln oder auch einfach mal nichts zu tun. Es dauerte nur ein paar weitere Tage, bis ihr auffiel, wie schön ausschlafen eigentlich war. Sie lief seit Monaten schon nur auf dem Mindesten vom Mindesten und hatte mehr als genug Stunden Schlaf nachzuholen. Klopfen riss sie aus dem Schlaf. Sie blickte irritiert zur verschlossenen Tür und pellte sich allmählich aus ihrem Bett. Ihr Lehrer konnte es sicher nicht sein, der scherte sich nicht um sie und ihre Mitschüler hatten auch schon längst damit aufgehört ihr Unterlagen des Unterrichts vorbei zu bringen. “Suzuki! Öffne die Tür!”, hörte sie Yagas Stimme und hielt kurz inne. Was sollte sie machen? Zu lästig erschien ihr die Konfrontation mit ihm. Er würde ihr auch nur wieder einbläuen wollen, sie müsse nur hart genug an sich arbeiten und Disziplin an den Tag legen. Sie hatte dafür aber keine Kraft mehr. Sie wollte nicht mehr jeden Tag gegen sich selbst kämpfen müssen, um überhaupt aus dem Bett zu kommen. Und keiner konnte und wollte das verstehen. Alles war mühselig und einfach nur lästig und ergab keinerlei Sinn mehr für sie. Suzuki entschied sich beim vierten oder fünften Klopfen einfach dafür zu verschwinden, damit sie alle einfach nur in Ruhe ließen. Es würde eh niemanden kümmern. Immerhin wäre dann auch endlich dieser Schandfleck des Jujutsu weg. Es war eine unglaublich simple Lösung auf ihr unglaublich groß erscheinendes Problem. Sie stieg aus dem Fenster ihres Wohnheimzimmers und ging einfach vom Gelände der Akademie. Sie beeilte sich nicht einmal. Es würde niemand kommen und sie abhalten. Die Luft außerhalb der Akademie, war keineswegs eine andere und doch schien ihr Körper irgendwie weniger schwer. War es echt so leicht? Hätte sie das etwa die ganze Zeit über schon tun können? War sie einfach nur zu dumm gewesen, diese Option zu erkennen? Oder hatte sie Angst vor dem Nichts gehabt, dass nun auf sie wartete? Sie hatte Freunde und Familie für die Akademie hinter sich gelassen und nun hatte sie ohne die Akademie nichts mehr. Keine Familie, keine Freunde, kein Mensch, der in ihr einen Wert sah. Frust keimte in ihr und ließ sie loslaufen, der einsetzenden Dämmerung entgegen, und erst Ewigkeiten später mit dem Geschmack von Eisen im Mund wieder anhalten. Ihr gesamter Körper bebte, zitterte und wollte einfach nur Schreien. Doch es kamen keine Tränen. Sie fühlte alles, was sie sonst auch fühlte, wenn sie weinte, doch sie tat es nicht. Suzuki konnte es schlicht und ergreifend nicht. War da etwa nichts mehr an der Stelle, die man vielleicht am ehesten Herz nennen konnte, dass sie sonst so bitterlich leiden ließ? Sie fühlte sich so stumpf und leer, obwohl sie voller Wut und Frust war. Willst du nicht lieber deine Ruhe? - Ja, antwortete sie für sich. Die Grauhaarige blickte sich um. Niemand hatte sie angesprochen. Das war alles nur in ihrem Kopf. Sie war eben die Verrückte, die Stimmen hörte. Das konnte niemand leugnen. Träge ging sie in eine Gasse, die zwischen einer weiten Reihe an Läden hindurchführte. Vielleicht sollte sie eine kurze Pause machen. Hier würde sie keiner finden-… Wobei niemand nach ihr suchen würde. Es würde niemand kommen, um sie zu finden, also müsste sie sich auch nicht verstecken. Bist du nicht erschöpft? Willst du nicht schlafen? - Doch! Nichts wollte Suzuki lieber als zu Schlafen. Sie liebte diesen Zustand der Stille, in dem sie weder dachte, noch fühlte oder sich quälen musste, um durch den Tag zu kommen. Sie hockte sich an eine der Hauswände und kauerte sich zusammen. Den Kopf hatte sie auf ihre Knie gelegt und döste so vor sich her. Warum war sie überhaupt hier? Was hatte das alles den für einen Sinn? War ihre Existenz überhaupt irgendeine Art von Bereicherung? Was hatte sie oder jemand anderes davon? Willst du sterben? - ...ja. Aber erfrieren? - ...erfrieren? Ja, erfrieren. Das tust du, wenn du nicht aufwachst. Ihre schweren Lider hoben sich und sahen in der schummrigen Beleuchtung der mittlerweile dunklen Gasse nur eine finstere Gestalt, die vor ihr stand. Aus ihrer niedrigen Perspektive musste diese Gestalt einfach nur bedrückend wirken. Doch Suzuki spürte diesen Druck in ihrer Brust nicht. Da war nichts, was wirkliche Angst auslöste. Die Gestalt stieß einen Schwall Rauch aus, doch ignorierte ihre Anwesenheit ansonsten. Träge streckte sie ihre Hand danach aus. Zu ihrer Überraschung war das, was sie zu greifen bekam weich. Es musste Stoff sein, denn es gab etwas nach, als sie hineingriff und leicht daran zog. Wen hatte sie erwartet? Einen Fluch? Gevatter Tod? “... du bist nicht gekommen, um mich zu töten?”, fragte ihre vom Schlaf etwas heisere Stimme. Die Gestalt wandte sich zu ihr um. Erneut stieß sie Rauch aus. “Warum sollte ich?” “Weil ich niemanden etwas bringe.” “Und was hat das mit mir zu tun?” “... ich... ich... ich bezahle dich... und dann... dann habe ich endlich meine Ruhe...”, sprach sie wieder drastisch müder werdend. Auch ihre Hand verspürte nun keinerlei Kraft mehr, um den Stoff festhalten zu wollen. War das vielleicht das Werk der Kälte, die sie die ganze Zeit über gar nicht wahrgenommen hatte? Erfror sie vielleicht gerade wirklich? Dabei fühlte sie sich doch eigentlich einfach nur erschöpft. “Wenn du mich bezahlst, sieht die Sache natürlich anders aus. Geld kann ich immer gebrauchen.”, drang die tiefe Stimme nur noch bedingt zu Suzuki durch. “Aber wenn ich dich umbringen soll, darfst du hier natürlich noch nicht sterben.”, die Gestalt beugte sich zu ihr hinunter und zog ihren trägen Körper zu sich und hob sie an. Mit dieser bewusstlosen Oberschülerin auf dem Arm fiel er natürlich auf, als er wieder aus der Gasse trat. Eigentlich wollte er nur nach einer halben Ewigkeit mal wieder in Ruhe eine rauchen und dann nach Hause und etwas trinken. Er fühlte sich sehr gut nach heute. Vielleicht hatte er sie auch nur deswegen mitgenommen, weil er gute Laune hatte. Er wusste es wirklich nicht genau. Vielleicht war es auch irgendetwas anderes, dass ihn mit diesem Mädchen verband. Er spuckte die fast aufgerauchte Zigarette auf den Boden und trat sie beim Gehen aus. Nun endlich im Licht der Straße blickte Nanami das Mädchen genauer an, dass er da gerade mit sich genommen hatte. Was hatte sie gefaselt? Sie brachte niemanden was? Er hatte die ganze Zeit überlegt, wie er die Blutflecken auf seinem weißen Hemd und dem Jackett verstecken konnte. Diese Methode war zwar keinesfalls gewöhnlich und eigentlich fiel er so vermutlich fast nur noch mehr auf, aber sie könnte wohl nicht mehr von sich behaupten, sie brächte niemanden etwas. Welch eine Ironie. Monotone Stimmen prasselten auf Suzuki ein, als sie allmählich wach wurde. Ihr gesamter Körper fühlte sich kalt an, obwohl sie genau den Schweiß auf ihrer Haut bemerkte. Sie fasste sich an die Stirn, um zu sehen, ob sie Fieber hatte, doch spürte sie eine kalte Kompresse auf ihrer Stirn kleben, welche sie dort auch ließ. Träge blickte die Grauhaarige an die Decke. Hatte sie einen Fiebertraum gehabt oder war das, was passiert war, real gewesen? “... -beim gestrigen Vorfall kamen insgesamt 23 Personen ums Leben. Die Polizei sucht nach Augenzeugen des Massakers. Verdächtige, so gab die Polizei bei einer Pressekonferenz am Nachmittag bekannt, suchten sie unter den Angestellten, doch konnten bisher niemanden-” Der Fernseher, so vermutete sie, von dem Suzuki die Stimme vernommen hatte, wurde abgeschaltet und kurz darauf schob sich ein übermüdet aussehender junger Mann in ihr Blickfeld. Die Grauhaarige sah erst etwas irritiert zu ihm auf, bevor sie ihm träge entgegen lächelte. Es war kein Fiebertraum gewesen! Das musste der Kerl von letzter Nacht gewesen sein. Sie hatte das wirklich alles getan. Mittlerweile war sie trotz dem verbleibenden bitteren Gefühl doch irgendwie froh darüber gewesen. “Du bist wach. Ich dachte schon, du willst den ganzen Tag schlafen.” “... danke.”, bekam sie nach etwas Geräuspere heraus. “Wofür? Du hast gesagt, du bezahlst mich. Ich habe nichts davon, wenn ich dich zurücklasse.”, erklärte er nüchtern und reichte ihr ein Glas Wasser, welches er mitgebracht haben musste. Suzuki setzte sich vorsichtig auf und nahm das Glas mit zittrigen Händen entgegen. “Aber du hast mich versorgt... Das hättest du nicht machen müssen.”, erklärte Suzuki mit kratziger Stimme und nahm vorsichtig einen Schluck vom Wasser. “Ich setze es auf die Rechnung.” Suzuki schnaubte leicht und verschluckte sich beinahe am Wasser. “Selbst das ist mir recht.”, erkläre sie und blickte mit einem bitteren Ausdruck aufs Wasserglas. “Du hattest gestern davon geredet, dass du niemanden etwas nützt. Ich verstehe diesen Standpunkt nicht. Immerhin könnte man doch behaupten, du nutzt mir etwas. Du bezahlst mich immerhin.”, begann der Blonde nach einer Weile des Schweigens dies zu brechen und blickte sie an. Suzuki sah ihn rot werdend an. Hatte sie das etwa auch gesagt? “Also... Ich... Eh..”, druckste sie anfänglich rum, doch fing sich allmählich wieder und wurde ernster, “Ich war auf einer Schule, deren Ansprüchen ich nicht mehr gewachsen war. Ich habe allerdings nichts weiter als diese Schule... Und deswegen habe ich alles versucht, um gut genug zu bleiben... Aber selbst, wenn ich mein bestes gebe, bin ich zu schlecht in dem, was ich tue... und wenn ich zu schlecht bin, bringt es doch auch niemanden etwas, wenn ich da bin... Ich bin dann einfach nur nutzloser Ballast, den man mit sich herumschleppt, aber eigentlich lieber loswerden wollte...”, sprach sie leise, mit gesenktem Blick und einer Körperhaltung, die Unbehagen ausdrückte. Nanami stellte fest, dass sie dabei rastlos das mittlerweile leere Glas zwischen ihren Händen drückte. Es sah fast so aus, als versuchte sie es zu kneten, so als wäre es kein fester Gegenstand, den sie dort in Händen hielt. “Das ist unglaublicher Mist, den du da redest.”, erwiderte er gradeheraus, wobei er ihr das Glas aus der Hand nahm. “Ein Leben ist doch nicht da, um anderen von Nutzen zu sein. Sollte das das Konzept vom Sinn des Lebens sein, dann bin ich froh, dass ich diesen Scheiß nicht verstehe.” Suzuki blickte ihn mit geweiteten Augen an. Der Blonde wirkte fast schon überrascht über so eine ehrliche und vor allem starke Gefühlsregung ihrerseits und fragte sich eigentlich nur, warum sie... schockiert aussah? Oder hatte sie gerade einen ihr Weltbild verändernden Geistesblitz? Nanami beobachtete sie noch einen Moment, um eine Reaktion abzuwarten. Als ihr dann Tränen die Wangen hinunter kullerten, war er nun mehr als nur überrascht, vielleicht sogar fast etwas überfordert. Konnte ein Mensch, der so unbedingt sterben wollte, wirklich Tränen vergießen? Besonders so dicke, wie sie es gerade tat? Er stellte eilig das Glas beiseite und suchte nach Taschentüchern. Suzuki griff fest in die Decke, die auf ihren Beinen lag und sah, wie ein Tropfen nach dem anderen auf den Stoff fiel. Sie hörten gar nicht mehr auf zu fallen. Waren das vielleicht sogar die Tränen, die sie den Tag zuvor nicht weinen konnte? Alles schmerzte mit einem Mal, als wäre das Gefühl schon die ganze dagewesen, jedoch irgendwie durch etwas betäubt worden. Sie weinte bitterlich, in der Hoffnung, es würde diesen unglaublichen Schmerz verstreichen lassen. Aber er blieb und ihr Körper begann sich wieder so schwer und unbeweglich zu fühlen, als würde sie irgendetwas festhalten. Nanami sah ihr mit bitterer Miene einen Moment dabei zu, bevor er mit einem Taschentuch in der Hand zu ihr zurück ging, sich neben die Grauhaarige aufs Bett setzte und vorsichtig, beinahe schon unbeholfen, seine Arme um sie legte und sachte an sich zog. Suzuki stieg der leichte Geruch von Kaffee und Zigaretten in die Nase, wobei sie eigentlich keinen von beiden mochte, doch gerade in diesem Moment empfand sie es als genau das Richtige. Obwohl ihre Tränen noch immer unaufhörlich flossen, fühlte sich ihr Körper dank ihm mit einem Mal nur noch weniger schwer an, fast schon erträglich. Der Blonde begann ihr sanft über den Rücken zu streichen und Suzuki genoss jeden einzelnen Moment dieser körperlichen Nähe, die sie sonst seit Jahren so unglaublich scheute. Sie lehnte sich sachte gegen seine Schulter, wobei sie ihre schmerzenden und mittlerweile sogar schon leicht geschwollenen Augen schloss. Seine Hand strich noch immer leicht über ihren Rücken, um sie auch weiterhin zu beschwichtigen. “... könnte ich auch hier bleiben, ohne dass du mich umbringst?”, fragte Suzuki mit ihrer noch immer klein klingenden Stimme. Der Blonde blickte zu ihr und dachte einen Augenblick über ihre Frage nach, bevor er sprach. “Wir regeln das gemeinsam mit dem Finanziellen.”, sprach er ruhig und strich ihr weiter über den Rücken, bis sie irgendwann wieder endgültig zur Ruhe gekommen war. Kapitel 10: ------------ „Hier hast du die Zusammenfassungen der Meetings, die du verpasst hast.“, erklärte Ijichi und deute auf einen Stapel Papier auf Suzukis Schreibtisch. „Ende der Woche ist leider schon das nächste, es wäre gut, wärst du bis dahin auf dem aktuellsten Stand. Die Bestellung der neuen Schuluniformen möchte Yaga ab diesem Jahr in deine Hände legen. Dadurch, dass du für die Außeneinsätze wegfällst, sollst du erst einmal mehr arbeiten im Büro übernehmen. Ich hoffe, dass ist in Ordnung für dich?“, fragte der Schwarzhaarige gewohnt unruhig aber dennoch geordnet und blickte seine Grauhaarige Kollegin an, die versuchte zwischen den verschiedenen Papieren und Klebezetteln auf ihrem Tisch einen Sinn oder gar einen Zusammenhang zu finden. „Wird schon.“, erwiderte sie knapp lachend und strengte etwas ihre Augen an, um weiterhin einigermaßen klar sehen zu können. Ihr Augenlicht war zwar schon lange wieder da, doch noch immer spielten ihre Auge ihr streiche. So hatte sie manchmal das Gefühl, als würden sie ihren Fokus verlieren oder nicht scharf stellen wollen. „Wenn du Probleme hast, gib mir einfach Bescheid.“, versuchte Ijichi ihr ein wenig bei zu stehen und legte leicht seine Hand auf ihre Schulter. Suzuki bemühte sich ihn dafür ein wenig an zu lächeln. Immerhin war sie doch wirklich froh, dass er ihr half und das sie endlich wieder arbeiten konnte, doch… irgend etwas schnürte ihr den Brustkorb zu. Ijichi verließ als letzter der Assistenten, die zum Außendienst aufbrachen, das Büro und ließ Suzuki mit den Papieren zurück. Diese saß einfach nur da und blickte abwechselnd vom Papier in der einen Hand zu jenem in der anderen. Hätte sie die Sachen die dort standen auf Anhieb verstehen sollen? Wenn sie etwas falsch machen würde, würde es ihre Arbeit stark beeinflussen? Würde sie das alles überhaupt schaffen? Alleine die Protokolle der Versammlungen waren doch bald hundert Seiten lang. Und die Uniformen sollten auch bestellt werden. Hatten sie nicht eine neue Schneiderei beauftragt? Müsste sie dann nicht auch noch Stoffart, Menge und Zusammensetzung mit denen klären? Würde sie das überhaupt alles schaffen? Wenn nicht hätte Ijichi noch mehr Arbeit als ohnehin schon. Dadurch, dass sie ausfiel, übernahm der Sekretär ihre Außeneinsätze, da konnte sie nicht auch noch versagen und ihm die Büroarbeit aufbürden. Aber würde sie das überhaupt schaffen? Diese Wand die sich da gerade vor ihr aufbaute erschien unendlich hoch und unüberwindbar. Sollte sie nicht vielleicht einfach aufgeben? Aber dann wäre sie Ijichi nur eine Belastung. Oder wäre sie ihm in jeden Fall eine Belastung? Würde sie etwas falsch machen, müsste auch er es überarbeiten. So drehten ihre Gedanken unter ihrem schneller werdenden Atem immer weiter Kreise um sich und sperrten sie in eine scheinbar unendliche Spirale. War es vielleicht schon eine Stunde, wenn nicht sogar länger, die sie so mit allmählich zitternden Händen da saß, als der Sekretär zurück ins Büro kam. Er wollte sie eigentlich nur nach dem Stand der Dinge fragen, stockte aber erschrocken, als er erst viel zu spät bemerkte, wie aufgelöst Suzuki wirkte. Schmale Schimmer unter ihren Augen deuteten sogar daraufhin, dass sie etwas geweint haben muss. Ihr Körper wirkte auf ihn wie erstarrt, nicht in der Lage irgendetwas zu tun. Vorsichtig trat er an sie heran und nahm ihr das Papier aus der einen Hand, dass an der Stelle, an der sie es gehalten hatte, ganz zerknittert war. Erst jetzt realisierte die Grauhaarige ihn und versuchte die ungleichmäßige Atmung zu verlangsamen und die Starre zu lösen. Für einen kurzen Moment hielt er sanft ihre Hand fest. „Bleib sitzen und versuche einfach durch zu atmen. Ich hole dir etwas zu trinken, in Ordnung?“, erklärte Ijichi und wirkte auf seine Kollegin mit einem Mal so unglaublich beruhigend, als hätte er für alles eine Lösung. Also tat Suzuki wie er es ihr gesagt hatte. Sie legte auch das andere Stück Papier aus der Hand, blieb sitzen und atmete. Shoko hatte ihr während den Sitzungen die ein oder andere Atemtechnik gezeigt, die sie nutzen konnte, um sich einfacher zu beruhigen und es funktionierte wirklich, wie sie jedes Mal wieder überrascht feststellte. Dadurch kam ihr ihr eigener Körper nicht mehr so zu geschnürt vor. Es dauerte nicht lange, bis Ijichi mit einer Tasse dampfenden Tees zur Grauhaarige zurückkam und diese vor ihr auf den Schreibtisch abstellte. „Lass mich dich ordentlich einarbeiten. Das hätten wir von Anfang an machen sollen.“, erklärte der Brillenträger mit einer Art Lächeln und zog sich einen Stuhl an ihren Schreibtisch heran. Stumm blickte Suzuki ihn an und bedankte sich nickend für seine Hilfe, bevor sie erwartungsvoll erst zu ihm und dann abwechselnd auf die Zettel schaute. Zu aller erst deutete er auf die Unterlagen der Sitzungen. „Wenn du es nicht schaffst, die Protokolle zu lesen, fasse ich es gerne für dich zusammen. Es ist dann nur bei weitem nicht so detailliert und es kann sein, dass es zwei, drei Ecken geben wird, bei denen du vielleicht etwas überfragt bist, aber im Notfall fragst du bei diesen Punkten nach den Stellen im Protokoll und liest sich einfach nach.“, erklärte er und deutete als nächstes auf den kleinen Klebezettel vor sich mit der Telefonnummer der neuen Schneiderei. „Die Materialien und groben Grundzusammenstellungen hat Yaga bereits abgesprochen. Deine Aufgabe ist es, die Maße der neuen Schüler“, er deutete auf einen weiteren Zettel mit verschiedenen Namen, Maßen und Informationen, „und deren extra Wünsche zur Schneiderei durchzugeben.“, erklärte der Brillenträger und stellte sicher, dass Suzuki auch wirklich alles mitschnitt, was er ihr erklärte, damit sie kein Problem mit der Arbeit haben würde, so ging er alles mit ihr durch, sodass er sie bis zur Mittagspause in jedes notwendige Detail eingewiesen hatte. Es war mühselig und teilweise an manchen Stellen sicher auch fast etwas kleinschrittig gewesen, doch sie war unglaublich froh, dass er sie so an die Hand genommen hatte. Es erinnerte sie beinahe an ihr erstes Jahr an der Akademie. Da hatte Ijichi sich auch regelmäßig um die Unwissende aus dem ersten Jahr gekümmert, die er mit abgeschleppt hatte. Meistens waren es mehr organisatorische Sachen, von denen Suzuki zum damaligen Zeitpunkt einfach noch nichts verstehen konnte, dafür hatte sie bis dato schlicht und ergreifend zu wenig mit der Welt des Jujutsus zu tun gehabt. Schon damals hatte er ihr also viele Dinge erklären müssen, die sie zuvor noch nie gehört hatte und ihr vollkommen neu waren. Da Suzuki jemand war, der abschaltete, sobald sie etwas nicht verstand oder verzweifelte, wenn einen Aufgabe zu groß erschien, verstand Ijichi schnell, dass eine ruhige und aufeinander aufbauende Taktik die beste Option für die Grauhaarige war. Zudem musste er unglaublich geduldig gewesen sein, eben anders als es die Grauhaarige die meiste Zeit über war. Suzuki half Ijichi dafür sozusagen mit ihrer Ungeduld, wenn jemand zu lange für eine Zuarbeit brauchte oder Ijichi allgemein mal wieder nicht den Mund aufbekam. Sie sorgte auch dafür, dass er das richtige Essen bekam, wenn sie mal Essen waren und der Schwarzhaarige versehentlich das falsche Gericht vom Kellner bekam. Vielleicht war es gerade dieser Kontrast und, der sie so gut zusammen arbeiten ließ und Interaktion im gesamten so sehr angenehm machten. „Lass uns gemeinsam Mittagessen gehen, dann können wir beide gestärkt nach der Pause weitermachen.“, schlug der Ältere mit einem ungewohnt aber sehr angenehmen, ruhigen Lächeln vor. Suzuki nickte und ordnete noch eilig Kreuz und quer liegende Papiere, bevor sie aufstand. „Ich lade dich ein, Senpai.“, grinste sie ihm durch ihr eigentlich sonst so müde wirkendes Gesicht entgegen. Irgendwie musste sie ihm ja für seine Mühen danken. „Du bist doch heute erst wiedergekommen. Ich muss dich doch einladen!“, erwiderte Ijichi nur unsicher wie immer und verfällt somit in bekannte Muster. „Nein, nein. Ich bestehe darauf.“, knirschte Suzuki unter einem festen Lächeln, um ihm zu signalisieren, dass es besser wäre, wenn er sich einfach direkt seinem Schicksal fügen würde, da sie nicht locker lassen würde. Er tat ja beinahe so, als wäre es ein katastrophaler Umstand gewesen, dass er von seiner jüngeren Kollegin und Freundin eingeladen wurde. Wobei Suzuki eine Einladung von ihm in den meisten Fällen anfangs auch immer ausschlagen würde. „In Ordnung. In Ordnung.“, wank er ab und schob den Stuhl zurück an seinen ursprünglichen Platz, bevor sie gemeinsam das Büro verließen, um zu Mittag zu essen. Im Interesse beider nicht in der direkten Umgebung des Akademie, um nicht noch einem anderen Kollegen in der wohl verdienten Pause zu begegnen. Ähnlich wie Suzuki und Nanami es in ihren gemeinsamen Pausen auch häufig getan hatten, wenn sie vor dem Zwischenfall mit Kazuko in ihrer Pause von einer Mission zur anderen unterwegs waren. Suzuki spürte, wie sie bei diesem Gedanken regelrecht in süßen Erinnerungen schwelgte. Ihr blieb vorerst wohl wirklich nichts anderes über, als zu hoffen, dass sie bald auch wieder für und besonders mit Nanami zusammenarbeiten konnte. Kapitel 11: ------------ Der intensive Lichtstrahl schien gnadenlos in ihre Augen und Suzuki hatte sofort das Bedürfnis sie so schnell wie möglich wieder zu schließen. Sogar Ieiri, die den Lichtstrahl dirigierte, konnte sie wegen der Blendung gar nicht erkennen. “Es sieht nicht gut aus Nanami. Deine Augen reagieren einfach noch nicht wieder gut genug. Ich kann dich so auf keinen Fall Auto fahren lassen.”, erklärte die Brünette die diese Untersuchung nun schon die letzten Tage an ihr vorgenommen hatte und ihr immer dasselbe Ergebnis verkünden musste. Suzuki seufzte schwer. “Du bist die letzte, die etwas dafür kann Shoko...”, erklärte die Patientin und rieb sich aus Reflex die sich trocken anfühlenden Augen. “Ah, mach das nicht. Warte kurz.”, hielt die Ärztin sie davon ab und kramte kurz in einer Schublade im Schrank neben sich, aus welchem sie eine kleine Ampulle mit Augentropfen holte. Vorsichtig umfasste sie Suzukis Kopf und neigte ihn, um ihr das Medikament in die Augen zu tropfen. “Wenn du da wirklich hinmusst, nimm bitte den Zug. Ich sorge höchst persönlich dafür, dass dir nicht die Schlüssel für einen Wagen ausgehändigt werden, hörst du?” “Ich kann da nicht mit dem Zug hinfahren, das habe ich seit der Oberstufe nicht mehr gemacht. Die riechen doch dann sofort, dass irgendwas ist. Ich möchte nicht, dass sie etwas merken...” “Und wenn du Ijichi fragst, ob er dich fährt?” “Habe ich schon längst, aber er ist ab morgen mit Gojo unterwegs und vor nächster Woche nicht wieder zurück.” “Und Nanami?” “Ich kann ihm doch nicht wegen sowas lästigem das wohlverdiente Wochenende zu Nichte machen.” “Dann fahr doch ganz einfach nicht.” “... Nein, den Geburtstag meiner Mutter kann ich nicht einfach schwänzen. Die letzten Jahre war schon...”, begann sie zu brummen, doch erwiderte dann einfach nur ein eher bitteres Lächeln. Shoko blickte sie skeptisch an und hielt ihr Gesicht in ihren Händen. “Wie sieht’s hier oben aus? Schaffst du das überhaupt? Du hast mir doch schon öfters erzählt, dass deine Familie sehr groß ist und die Feiern dadurch sehr anstrengend sind.” “Wenn ich beschäftigt bin, ist es in Ordnung. Die Probleme kommen erst, wenn mein Kopf nichts zu tun hat.” “Du überstimulierst dein Gehirn also weiterhin? Du weißt aber, dass sowas besonders ermüdend sein kann, oder?” “Shoko”, Suzuki blickte sie zwischen ihren Händen mit angehobener Augenbraue an, “Siehst du nicht meine Augenringe?” “Doch, sie sehen echt nicht gut aus. Du solltest es vielleicht mit ein wenig Make-Up versuchen, sie etwas unauffälliger zu machen, bevor du zu deiner Familie fährst...”, schlug die Brünette vor und strich mit ihren Daumen über den dunklen Bereich unter ihren Augen. “... Ich habe schon Make-Up drauf.”, erwiderte Suzuki mit bitterer Miene. “Scheiße, echt?”, Shoko schob ihr Gesicht etwas näher an das der Grauhaarigen. “Stimmt! Ich kann sogar die Pigmente erkenne!”, bestätigte sie ihre Antwort. “Ich helfe dir den Tag damit am besten ein wenig, ich glaube, ich habe dafür noch etwas Gutes in der Hinterhand. Dann können Nanami und du auch direkt von hier aus fahren.” “Nein, ich kann Nanami echt nicht damit-” “Wenn du ihn nicht fragst, frage ich ihn und wer weiß, ob ich nicht vielleicht noch das ein oder andere Wort über die Sachen verliere, die du mir während unseren Sitzungen erzählt hast.”, erklärte Shoko mit einem teuflischen Blick und drückte Suzukis Gesicht zwischen ihren Händen zusammen. Die Grauhaarige wurde augenblicklich wohl noch etwas blasser im Gesicht als ohnehin schon. “Schon gut, schon gut! Ich frage ihn, ich frage ihn! Von ärztlicher Schweigepflicht hast du aber scheinbar noch nichts gehört, oder?!”, platzte es dann beinahe aus Suzuki heraus. “Mich freut dein Sinneswandel.“, erwiderte die Ärztin mit ihrem üblich lieben Lächeln. „Für dich doch immer…“, brabbelte die Verliererin ihres Disputes. Die Angst, die Shoko verbreiten konnte, vergaß Suzuki bei ihrer freundlichen und wunderschönen Erscheinung leider regelmäßig. Da war die Erinnerung daran jedes Mal umso brutaler. Für Suzuki war es scheinbar schwerer gewesen, ihren ganzen Mut zusammen zu nehmen, um ihn zu fragen, als Nanami von ihrem Vorhaben zu überzeugen. Er hatte sehr schnell zugestimmt sie zu ihrer Familie zu fahren. Sie hatte mindestens mit einem mittelgroßen Protest gerechnet. Doch er hatte sich nicht einmal über diese unnötig Arbeit am Wochenende beschwert. Wer auch immer dieser Mensch war, den sie um diesen Gefallen gebeten hatte, es konnte nicht der Kento Nanami gewesen sein, den sie am Montag noch vom Sinn ihres aktuellen Auftrags überzeugen musste. Dennoch wollte sie es nicht darauf anlegen und ihn darauf ansprechen. Suzuki hatte Sorge, dass es vielleicht doch einfach nur eine gute Laune von ihm gewesen war und er seine Zusage bei doofen Kommentaren ihrerseits augenblicklich wieder zurückziehen würde. So trafen sie sich am Tag des Geburtstags kurz nach dem Mittag auf dem Parkplatz der Akademie, nachdem Suzuki wieder den fähigen Händen Ieiris entkommen war. Sie hatte es wirklich geschafft dem Gesicht der Grauhaarigen mit etwas mehr Make-Up, als sie normalerweise verwenden würden, und einer Cream, über die die Ärztin nicht weiterreden wollte, Leben einzuhauchen. Sogar die Augenringe waren nun wieder auf dem Niveau einer einzelnen schlaflosen Nacht und ließen nicht erahnen, wie viele es in Wirklichkeit waren. „Shoko hat ganze Arbeit geleistet, ich erkenne dich fast nicht wieder.“, erklärte Nanami beinahe ungewohnt gesprächig und stieg ins Auto, nachdem sie zu ihm gekommen war. „Finde ich auch.“, erwiderte Suzuki nun unerwartet knapp und platzierte ihre Tasche vor sich im Fußraum, als sie ins Auto eingestiegen war. War von ihrer Müdigkeit auch wirklich nichts zu sehen? War es auch wirklich nicht auffällig, dass sie bei diesem milden Wetter eine dreiviertel Bluse trug, damit die Narbe an ihrer Schulter auf keinen Fall auffiel? Würde ihr Lächeln auch wirklich nicht aufgesetzt aussehen? Würde sie auch wirklich- „Schnall dich bitte an.“ „Wie?“, fragte die Grauhaarige mehr als Reflex als alles andere, als die Stimme des Blonden sie irgendwie erreichte. „Du sollst dich anschnallen. Ich möchte losfahren.“, erklärte Nanami erneut und deutete auf den Gurt über seiner Brust. „Ah! Danke.“, erwiderte sie knapp und tat wie geheißen, woraufhin sich das Auto in Bewegung setzte. „Wir fahren ja eine Weile... Solltest du etwas zu Essen oder zu trinken haben wollen, dann mach einfach irgendwo eine Pause und ich kauf dir etwas.“, fügte Suzuki drugsend an und blickte ihn kurz an, woraufhin er nur schmunzelnd nickte, bevor sie ihre Aufmerksamkeit den am Fenster vorbeiziehenden Häusern und später der Landschaft widmete. Die Autofahrt, die beide größtenteils schweigend verbrachten, war fast etwas ungewöhnlich aber keineswegs unangenehm. Auf dem letzten Stück hatten sich beide sogar ein wenig unterhalten. Scheinbar hatte Suzukis Nervosität an dem Punkt allmählich nachgelassen. Im allgemeinen war ihm aufgefallen, dass sie sich heute sehr unbehaglich fühlen musste, ähnlich wie damals auf ihrer ersten gemeinsamen Mission knetete sie ihre Hände und rieb den Schweiß immer wieder an ihrer Hose ab. Sie war seit ihrer Konfrontation mit Kechi im Allgemeinen ruhiger und häufiger in Gedanken gewesen, doch das hier war etwas anderes. „Wir sind erst in ein paar Minuten da. Noch können wir wieder umdrehen.“ Suzuki musste sich ein Lachen verkneifen. Nanami hatte sie mit dieser Aussage unvorbereitet erwischt. „Ich möchte doch nicht, dass du die Strecke ganz umsonst gefahren bist.“, erwiderte sie mit einem mittlerweile fast schon bitterem Lächeln. Als er das Auto vor dem Haus anhielt, blickte er zur Eingangstür und sah zwei junge Männer vor der Tür. Einer rauchte und kam ihm auch ohne Arztkittel überraschend bekannt vor. Auch Suzuki blickte zu ihnen und danach direkt wieder zu Nanami. Sie schwiegen einander an, doch irgendwie musste auch das der Grauhaarigen ein wenig Kraft gegeben haben. „Ich lasse meine Sachen hier im Auto, in Ordnung?“, fragte sie, während sie die Beifahrertür öffnete und ausstieg. „Ja, kein Problem-“ „Nanami! Wir haben schon gedacht, dass du das sein musst!“, rief ihr Bruder Junichiro ihr entgegen und kam ihr ein Stück entgegen. „Und sogar deinen Freund hast du mitgebracht. Möchte er gar nicht mit reinkommen, wenn er schon hier ist? Wir hatten immerhin schon die letzten Male nicht die Möglichkeit!“ Suzuki blickte entrüstet zurück zum Blonden, der sich nach Junichiros Zuruf etwas vor gelehnt hatte, um ihn vom Fahrerplatz aus auch sehen zu können. „Eigentlich wollte er gerade-“ „Ich habe keinen Parkplatz direkt vor dem Haus gefunden, wollte Nanami aber nicht unnötig weit laufen lassen.“, unterbrach er sie und blickte von ihrem Bruder zur Grauhaarigen. „Du kannst dich gerne direkt in die Einfahrt stellen, da möchte heute eh keiner mehr raus.“, erklärte Junichiro mit einer übertriebenen Geste hinter sich. „Danke.“, erwiderte Kento knapp woraufhin Nanami die Tür schloss und vom Auto zurücktrat. Sie umfasste etwas unsicher ihren Arm und ging an ihren ältesten Bruder vorbei zu dem anderen jungen Mann, mit dem sie begann sich etwas entspannter zu unterhalten. Als der Blonde, nachdem er das Auto abgestellt hatte, dazu kam, begrüßte er beide und stellte sich dem Unbekannten vor. „Ich bin Daisuke. Der andere Bruder von Nanami. Freut mich sehr.“, erwiderte der etwas größere, dunkelhaarige Mann, der vielleicht zwei Jahre älter als er selbst sein mochte, aber trotzdem schon die ersten sichtbaren grauen Haare hatte. Von einem Daisuke hatte Nanami ihm schon des Öfteren erzählt. Außerdem telefonierten sie oft miteinander, wenn sie von einem Auftrag zum anderen fuhren. „Warum hast du mir nichts davon erzählt?“, fragte er nun fast schon beleidigt mit verschränkten Armen bei seiner Schwester nach, welche nur unruhig den Blickkontakt verweigerte. Eine Fas, um Junichiro davon zu überzeugen, dass Daisuke noch nichts vom Blonden wusste. Wahrscheinlich hatten die Geschwister so etwas bei einem ihrer unzähligen Gespräche abgeklärt. Die Tür öffnete sich. „Ich habe es doch eben schon gesagt, helft mir bitte in der Küche-“, begann eine Mitte fünfzig jährige Frau zu zetern, doch stockte als sie die Grauhaarige erblickte. „Nanami! Schön, dass du endlich da bist! Du hättest dich melden sollen, dann hätte ich besser planen können!“, zeterte sie etwas weiter, fiel der Jüngeren aber beinahe theatralisch um den Hals. Nanami tapte ihr sachte gegen den Arm und lachte etwas. „Entschuldige bitte, du weißt doch, der Verkehr von Tokio hier her ist die Hölle. Ich konnte einfach nicht schätzen, wie lange es dauern würde.“ „Aber sag mal“, ihre Mutter blickte auf und musterte den Blonden, welcher ein kleines Stück hinter ihrer Tochter stand. „wer ist denn dieser gutaussehende, junge Mann?“ Die Grauhaarige lachte etwas nervös und kratzte sich den Nacken. Junichiro wollte die Initiative ergreifen und ihn sicher erneut besonders betont als ihren Freund vorstellen, doch Kento kam ihm dieses Mal zuvor. Die Situation war auch ohne Junichiros Zutun schon komisch genug. „Kento Nanami. Sehr erfreut.“, kurz und knapp stellte er sich ihr mit einer leichten Verbeugung vor. Ihrer Mutter sah man augenblicklich an, dass sie im Blonden das aller feinste Schwiegersohn-Material erkannte. Sie legte ihm sanft die Hand auf die Schulter, woraufhin er zu ihr blickte. “Bloß nicht so förmlich.”, erklärte sie lachend. „Ich weiß, ich hätte Bescheid geben sollen, entschuldige bitte.“, kam es nun etwas unsicher von der Grauhaarigen. Bei ihren Worten wank ihre Mutter lediglich ab. Sicher ärgerte sie sich, dass ihre Tochter nicht bescheid gegeben hatte, doch vermutlich war sie gerade zu sehr davon abgelenkt, dass ihre Jüngste mit einem Mann der höchsten Güteklasse nach Hause gekommen war. „Hilf mir zur Entschuldigung doch einfach etwas in der Küche. Und Junichiro,“, sie deutete auf den Ältesten in der Runde, „deine Frau sucht dich.“, erklärte sie und ging wieder hinein. Nanami gestikulierte nur wild, dass sie Kento in Daisukes Obhut lassen würde und folgte dann eilig ihrer Mutter. Der Älteste hingegen war weniger fügig und meckerte erst noch ausgiebig über seine Mutter und seine Frau während er seine Zigarette austrat, dann aber auch im Haus verschwand. Kento beäugte Daisuke, der mehr oder minder aufmerksam darauf wartete, dass die Tür ins Schloss fiel. „Du bist also Kento. Nanami erzählt viel von dir, wenn wir telefonieren.“, begann Daisuke das scheinbare zwei-Augen-Gespräch mit einem freundlichen, aber dennoch unterschwellig ernsten Lächeln. „Von dir hatte sie mir ebenfalls schon einiges erzählt. Sie schwärmt regelmäßig von deiner Verlobten.“, erwiderte der Blonde und wandte sich Daisuke ein Stückchen weiter zu. „Auch wenn wir manchmal vielleicht nicht so wirkt, weil ich sie auch jetzt noch mehr als genug trieze, aber meine Schwester ist mir sehr wichtig. Sie ist einer der wichtigste Mensch in meinem Leben. Leider kann ich nicht mehr immer für sie da sein. Schon schlimm genug, dass ich während ihrer Oberstufe nicht bei ihr sein konnte... Mit meiner Hilfe wäre sie sicher offener geworden.“, jammerte Daisuke zuletzt gespielt dramatisch, räusperte sich dann aber, um einen etwas ernsteren Ton aufzulegen. „Selbst ich hatte damals Schwierigkeiten an sie heran zu kommen. In dem Alter wundert es niemanden, wenn Jugendliche ihre Eltern nicht an einen heranlassen, doch ich bin ja nur wenige Jahre älter… Ich habe keine Ahnung, was damals mit ihr los war, doch wäre ich für sie da gewesen, wäre es sicher nicht so weit gekommen… Mir ist auch schon länger klar, dass ich nicht ihr Beschützer bin, aber sie ist nun mal meine einzige kleine Schwester und daran ändert nichts, auch nicht die Zeit in der wir uns nur wenig bis gar nicht gesehen haben. Dennoch hoffe ich, dass du auch weiterhin ein Auge auf sie werfen kannst, wenn ich nicht dazu in der Lage bin.“, erklärte Daisuke und blickte nun trotz seines Lächelns streng zu Kento hinüber. „Keine Sorge, nicht nur dir ist sie wichtig.“, erklärte mit unerwartet weichen Zügen und erwiderte den ernsthaften Blick. Die Atmosphäre lockerte sich augenblicklich, als sich Daisuke in die Hände klatschte. „Schön, dass wir das direkt zu Beginn klären konnten.“, erwiderte er scheinbar etwas verlegen. Nun ging auch schon wieder die Tür auf und der meckernde Junichiro kam zurück zu den beiden Männern. Er wollte wohl gerade eine Unterhaltung beginnen, doch Kento unterbrach ihn augenblicklich. „Wo finde ich Nanami?“ „In der Küche. Den Gang gerade zu runter und dann links.“, erklärte Daisuke ihm mit einem Lächeln. Der Blonde nickte ihm dankend entgegen. Im Haus empfing ihn ein unglaubliches Stimmgewar. Ob sich so seine Assistentin vielleicht jeden Tag fühlte? Mit lauten Stimmen, die sich unklar an sein Ohr legten und ihm nach einigen Stunden sicher Kopfschmerzen bereiten würden. Allerdings war es hier nun eben wirklicher Lärm und jeder nahm ihn war, nicht nur eine einzelne Person. Kento folgte der Beschreibung Daisukes und fand die Küche, in der Nanami und ihre Mutter schon hektisch Essen vorbereiteten. „Reich mir doch mal bitte die braune Dose vom Schrank. Sie steht direkt neben der dunkelgrünen.“, wies ihre Mutter sie an, doch die Grauhaarige stand einfach nur davor und starrte zu den verschiedenen Dosen hoch. Alle hatten sie für die Jujuzistin eine dunkle Farbe, wodurch sie diese keineswegs unterscheiden konnte. Kento, welcher sich durch den Spalt der Küchentür geschoben hatte, reichte Nanami unauffällig die braune Dose herunter. Ihre Verzweiflung hellte sich augenblicklich auf und sie blickte ihn freudig an. Vermutlich sogar einen Moment zu lang, denn ihre Mutter räusperte sich und deutete somit an, dass sie jetzt die Dose bräuchte. „Ich entlasse dich gleich, dann könnt ihr euch alle Zeit der Welt nehmen.“, erklärte ihre Mutter amüsiert und ließ sich die Dose reichen. Es folgten nur noch kleine Arbeiten, hauptsächlich Essen in den viel zu vollen Kühlschrank stellen oder Geschirr in den Spüler räumen, wobei der Blonde Nanami etwas zur Hand ging. Sie hatten knapp den Kuchen verpasst, also bekamen beide nachdem sie geholfen hatten, einen Teller und konnten sich von den verschiedenen Kuchen nehmen, die einzelne Mitglieder der Familie zubereitet hatten. Nachdem sie alle begrüßt und sich Kento allen vorgestellt hatte, konnten sie sich endlich setzen, um zu essen. Dabei rollte Nanami dem Blonden noch einmal grob auf, wen er da gerade eigentlich alles getroffen und gegrüßt hatte, was für ihn vermutlich besonders hilfreich war, bei der Menge an Menschen. Großeltern, Tante, Onkel, Unmengen von Cousins, die jeweiligen Partner, die dazugehörigen Kinder und der Rest der ganzen Sippe… Nanami und Kento wurden in die Masse der Familien aufgenommen und mit charakterlosem Geplänkel überschüttet. Meistens fragten sie Nanami nach dem Blonden oder ihrer Arbeit, nur um danach von irgendwelchen unwichtigen Familienangelegenheiten oder ihren ach so schlimmen Probleme zu berichten. Und so wurde der Nachmittag zum Abend und Kento hielt für sich selbst fest, wie vehement Nanamis glückliche Maske auf ihrem Gesicht blieb. Diese extrovertierte Ausstrahlung hatte er schon einige Male bei ihr festgestellt, doch keineswegs so lange und durchgehend. Also musste jeder Weg in die Küche, um irgendwie zu helfen ein kleiner Segen für sie gewesen sein, da ihre Maske für diesen Moment etwas bröckeln durfte. So auch, wenn sie sich abseits der Blicke nur mit Kento unterhielt. Dabei fiel ihm oftmals auf, wie kleinere Fluchgeister von einigen Familienmitgliedern auf sie über gegangen waren und ihr um den Kopf herumtanzen wollte. Mit eher unauffälligen, aber ausreichenden Handbewegungen exorzierte er sie, um der Assistentin ein bisschen weniger Lärm zu zusprechen. Da diese Art von Feiern von Essen geprägt waren, gab es zu den Mahlzeiten ruhigere Phasen, durch die man sich einbildete, in mitten des Lärm nicht vollkommen wahnsinnig zu werden. Nach dem Abendessen verabschiedeten sich die meisten, weil entweder ihre Kinder oder sie selbst, weil sie zu viel getrunken hatten, dringend ins Bett mussten. So waren es zur fortgeschritten Dämmerung im Haus mittlerweile nur noch ihre Eltern, Daisuke, Junichiro und ihre jeweiligen Familien. „Es ist doch schon so spät, bleibt doch einfach über Nacht. Deine Brüder bleiben auch und Platz haben wir mehr als genug.“, schlug ihre Mutter vor, während sie Geschirr trocknete und Nanami ihr half es einzuräumen. „Dann könnten wir noch eine Kleinigkeit zusammen trinken!“, schlug ihre Mutter vor, während sie grade Weingläser auf den Tresen stellte. Der Blonde, der die Gläser nach nebenan trug, kam gerade dazu, um die nächsten Gläser rüber zu bringen. Die Grauhaarige blickte den Jujuzisten an, welcher den Vorschlag vom Flur aus mitbekommen hatte und Nanami nur nickend anblickte. „Ich hätte kein Problem damit.“, erwiderte er mit einer Art Lächeln. Er hatte ihren Ausdruck in diesem Moment nicht deuten können. Einerseits schien sie den Abend noch mit ihrer Familie verbringen zu wollen, andererseits wirkte sie unterschwellig unglücklich darüber. Hatte sie eventuell wegen dem Blonden ein schlechtes Gewissen? Immerhin war er unfreiwillig in diese ganze Situation gerutscht und sie wollte ihm das sicher nicht auch noch zumuten. Um ihre Gedanken zu verscheuchen, da er erkannte, wie sie mit sich haderte, legte er seine Hand auf ihre Schulter. Er verscheuchte damit sogar einen kleinen Fluch, der vorhin von irgendjemanden zu ihr hinüber geschwirrt war, ohne das er ihn direkt austreiben konnte. Die Grauhaarige lächelte ihm entgegen, wohlwissend, wie er ihr gerade geholfen hatte. „Dann fahren wir morgen nach dem Frühstück.“, hielt sie für ihre Mutter fest, welche triumphierend grinste und erklärte, dass die Betten schon bezogen im Schrank ihres ehemaligen Zimmers wären. Als hätte die alte Frau das schon die ganze Zeit geplant gehabt. Sicher war sie vorhin eilig hochgeschlichen, um noch ein weiteres Paar Decken und Kissen vorzubereiten…. Als Kento den nächsten Schwung Gläser rüberbrachte, blickte Nanamis Mutter ihm hinterher. “Und ist er ein Potentieller? Immerhin hast du ihn mitgebracht. Warum hast du nichts von ihm erzäh-” “Keine Sorge, wenn es etwas Potentielles ist, gebe ich dir auf jeden Fall Bescheid, aber bisher...”, begann die Grauhaarige zu erklären, doch wirkte dann allmählich ein wenig unbehaglich. “...In Ordnung. Dann weiß ich Bescheid.”, erwiderte ihre Mutter mit einer Art Lächeln und reichte Nanami das nächste Glas, damit sie es trocknen konnte. Vermutlich war für ihre Mutter der Punkt, dass sie Kento mit hierhergebracht hatte und ihre Interaktionen über den Tag hinweg erstmal genug, um im groben zu wissen, wie die Beziehung der Beiden aussah. Nach dem Aufräumen lud Daisuke zum Brettspiele spielen. Wobei es richtiger wäre ‚lud‘ mit ‚zwang‘ zu ersetzen und das Wollen der meisten lediglich eine erfolgreiche Taktik war, um den doch sehr penetranten Wortwechseln mit Daisuke, dem sich nur seine Verlobte, Misaki, mehr oder minder freiwillig stellte, zu entgehen. Auch Nanami stimmte nur zu, um Kento dieses Schicksal zu ersparen, da das Brettspiel nur für sechs Spieler ausgelegt war. Die Grauhaarige ihrerseits war kein großer Fan, besonders gegenüber dem Gesellschaftsspielewahn ihres Bruders. Sie bevorzugte Spiele auf einem anderen Medium. Daher war sie auch nicht traurig, als sie schon bereits nach etwas über einer Stunde aus dem Spiel flog, wobei ihr inneres Kind sich enorm ärgerte. So verließ sie murrend den Spieltisch, an dem hauptsächlich geflucht wurde und gesellte sich zu Kento und ihrem wortkargen Vater. Trotz allem schienen die beiden Männer keinen schlechten Draht miteinander zu haben und sich sogar verhältnismäßig viel unterhalten zu haben, während sie gemeinsam etwas tranken. Dabei kippte ihr Vater wirklich viel und sie wollte dem Blonden nicht auch noch zu muten mit ihrem Vater mithalten zu müssen. Allerdings hielt Kento sich nicht unbedingt schlecht. Scheinbar hatte die ganze Esserei doch etwas Positives, wenn man es so sagen kann. Dennoch, am besten sollte sie andeuten, bald schlafen gehen zu wollen, vielleicht würde er den Wink verstehen, mitkommen und würde vom Rest der Flasche verschont werden. „Kento, gib mir doch bitte den Autoschlüssel. Ich möchte noch meine Tasche reinholen.“, sprach sie gerade so laut genug, dass der Blonde sie hörte, und lehnte sich ihm sogar noch ein wenig entgegen. Sie spürte wie seine Muskeln durch den Stoff seines Hemdes hindurch unter ihrer Berührung arbeiteten. Wie sie zugeben musste ein wirklich angenehmes Gefühl. Der Angesprochene kramte einmal durch alle seine Hosentaschen, bevor er ihr endlich den Schlüssel reichte, während er noch immer mit Nanamis Vater unterhielt. Sie stahl sich also eilig aus dem nach-Geburtstagsgeschehen und blickte in die ersten Züge der Nacht, als sie hinaus trat. Die plötzliche Ruhe mit dem Schließen der Tür war unglaublich angenehm. Erst jetzt stellte sie fest, dass ihr etwas die Ohren dröhnten. Nicht nur so wie sonst, wenn ihr die Flüche in die Ohren schrien, sondern dieses mal durch ihr für jeden sichtbares Umfeld. Die Kälte zog allmählich über die Narben an ihrer Schulter und ließ sie erschaudern. An dieser Stelle kam ihr die Kälte immer noch intensiver vor als am Rest ihres Körpers. Tief durchatmend setzte die Grauhaarige sich allmählich in Bewegung. Sie holte ihre Tasche und packte noch Kleinigkeiten von Kento ein, die im Auto waren, von denen sie wusste, dass er froh wäre, wenn sie diese mitbrächte. So lief sie wieder zurück, dieses Mal gefühlt mit etwas weniger klingelnden Ohren, und ging wieder zurück zu den anderen. Sie verabschiedete sich in die Nacht und entriss Kento dem Alkoholkonsum. Man könnte behaupten, es wäre eine verhältnismäßig entspannte Familienfeier gewesen und doch war Suzuki mehr als froh, nachdem die Tür ihres ehemaligen Kinderzimmers endlich hinter ihr geschlossen war. Sie blieb einfach mitten im Raum stehen, schloss ihre Augen und fuhr sich mit den Händen übers Gesicht. Kento beobachtete sie dabei nur, während er an sie herantrat und vorsichtig seine Hände an ihre Taille schmiegte. „Ich hoffe, du hast deine Entscheidung, hier her zu kommen, nicht doch noch bereut.“, fragte ihr Kollege ruhig gegen ihren Hinterkopf und schloss seine Arme ein Stück mehr um sie. „Keineswegs. Meine Mutter schien glücklich darüber, ihre Kinder endlich alle wieder beisammen zu haben.“, erklärte sie schwer ausatmend und lehnte sich ein Stück dem Blonden entgegen. Seine Nähe tat ihr gerade unheimlich gut. Ihr Kopf wurde ruhiger und ihr Körper schien sich zu entspannen. So standen sie einen Augenblick lang da und schwiegen sich an, doch das waren in diesem Moment genau die richtigen Worte. Als sie sich von einander lösten, folgten nur noch die üblichen Toilettengänge vor dem Schlafen gehen. Den Aufbau des Gästebettes verwarfen beide nahezu zeitgleich. Viel zu müde waren beide und die 1,40 Meter, die sie dort ohnehin zur Verfügung hatten, schien zu dieser Uhrzeit dann doch mehr als ausreichend. Kapitel 12: ------------ „Ich will wieder in den Außendienst…“ stöhnte Suzuki entnervt und blickte zu Ijichi, während die beiden mitten in der Buchhaltung hockten. „Ich bin dir hier doch nicht mal eine große Hilfe.“, jammerte sie und legte ihren Kopf auf den Tisch. „Keine Sorge, ich habe für die Buchhaltung auch nur bedingt Talent.“, erklärte er, während er Rechnungen abglich und zu Suzuki weiter reichte, welche diese dann einsortierte. Schon seit vielen Monaten war Suzuki wieder im Training. Sogar ihr Augenlicht war wieder auf einem passablen Level. Autofahren und andere Zuarbeiten im Außendienst wäre kein Problem mehr für sie und doch kettete Yaga sie weiterhin erbarmungslos ans Büro. Vorschieben tat er noch immer die Unzuverlässigkeit ihrer Fluchkraft und - technik. Suzuki war noch nicht wieder in der Lage sie zu kontrollieren und doch wollte die Assistentin sich nicht so unnötig fühlen, wie sie es aktuell tat. Alles wirkte irgendwie so eingefahren und unangenehm monoton. Dann kam ihr plötzlich wie ein kalter Schauer ein Gedanke und verankerte sich eilig ohne weichen zu wollen. Nach einigen Minuten des Grübelns blickte sie den Sekretär an, der ihr gegenüber saß. Sicher wüsste er mehr. „Du Kiyotaka, wie funktionieren eigentlich diese Verträge? Nanami hat doch damals einen geschlossen, weißt Du.“, begann die Grauhaarige und tappte mit ihren Fingern auf die Tischplatte, als hätte sie gar nicht so großes Interesse an dem Thema, wie sie es in Wirklichkeit hatte. Skeptisch blickte der Schwarzhaarige von den Rechnungen auf. Er wusste ganz genau, dass seine Kollegin ihn nur beim Vornamen nannte, wenn sie getrunken hatten oder sie etwas von ihm wollte. Und da sie seit heute früh gemeinsam im Büro hockten und noch kein Tropfen Alkohol geflossen war, wusste er sofort, dass die Jüngere etwas von ihm wollte. „Sie begrenzen Deine Fluchkraft, um sie an anderer Stelle zur Verfügung zu stellen, um es einfach auszudrücken. Natürlich können die Verträge auch anders formuliert werden, aber in Nanamis Fall trifft dieses Prinzip zu.“, erklärte er und wandte sich beim Sprechen schon wieder den nächsten Rechnungen zu. „Das klingt interessant. Was denkst Du, wen könnte ich fragen-„ „Hör bitte auf Nanami.“, unterbrach der Schwarzhaarige sie mit einem bitteren Gesichtsausdruck und machte nun auch von seinem Privileg Gebrauch, sie beim Vornamen nennen zu dürfen. „Wir wissen doch beide, dass du nicht nur aus reinem Interesse fragen möchtest. Warum willst du deine Fluchkraft verstärken? Willst du, dass sie dich wieder fast umbringt, wie beim letzten Mal? Du bist uns allem beim Innendienst doch eine viel größere Hilfe!“ Suzuki hatte sich allmählich aufgesetzt und ballte ihre Hände zu Fäusten, bis sie ihre Wut entlud indem sie mit diesen auf den Tisch schlug. „Aber ich bin doch gerade einmal gut genug um dir Kleinigkeiten zu zuarbeiten! Ich bin kein Bürohengst wie du, ich geh hier drin ein!“, erwiderte die Jüngere mit leicht zitternder Stimme. Sie wusste das er Recht hatte und begann schon in diesem Moment allmählich an ihrem Vorhaben zu verzweifeln. „Nanami, du machst deine Arbeit super, das ist doch einfach nur ein Phase-“, wollte sie der Sekretär beruhigen, doch sah er schon die erste Träne ihre Wangen hinunterkullern. „… betrachtest du mich eigentlich genauso wie die anderen Jujuzisten und Assistenten oder lässt du dein Urteil trüben, weil wir uns so nah stehen?“, fragte sie mit schmerzenden Blick und lehnte sich ihm über den Tisch entgegen, um ihn an seinem Schlips zu packen und sich entgegen zu ziehen. „Bin ich dir hier wirklich eine Hilfe? Bin ich eine unzuverlässige Jujuzistin? Ist das der Grund warum ich hier drin bleiben soll? Sollte ich wirklich nicht jede Chance versuchen zu ergreifen, um-“ „Das reicht jetzt.“, sprach eine ernste Stimme, woraufhin Suzuki inne hielt. Der Rektor höchst persönlich stand in der Tür zu den Büroräumlichkeiten. Die Grauhaarige spürte, wie ihr die Wut bei Yagas Anblick den Körper hinaufstieg. Sie musste hier raus, bevor sie sich entlud. So riss Suzuki sich von Ijichi los und stürmte am Direktor vorbei nach draußen. Sie machte ihrem Frust Luft, als sie auf dem Innenhof der Akademie angekommen war. Da kamen ihr die Holzfiguren, die eigentlich fürs Training der Schüler aufgestellt werden sollten, mehr als gelegen. So schlug sie ein erstes Mal auf das kalte Holz, ein zweites Mal und immer wieder noch ‚ein leichtes Mal‘, bis sie sich in Rage geprügelt hatte. Suzuki wusste nicht mehr wann sie sich den Blazer ausgezogen und ihre Ärmel hochgekrempelt hatte oder wann ihre Fäuste zu bluten begannen, doch irgendwann gab das Holz unter ihren Schlägen nach, über welchem sie mittlerweile schon erbarmungslos hockte. Ihr Körper zitterte förmlich und ihr Atem ging stockend, als ein begeistertes Pfeifen sie förmlich aus der Trance riss. Sie schreckte herum und erblickte den riesig wirkenden Satoru Gojo neben sich. Die Kraft die von ihm ausging, war erdrückend. Ihm fiel scheinbar auf, dass der Frau vor ihm wohl so ziemlich zum brechen zu Mute war, also hielt er die Hände beschwichtigend vor sich. „Zieh deine Fluchkraft zurück, dann kann ich das auch machen. Du bist ohnehin die einzige, die daraus einen Nachteil zieht.“, erklärte der Weißhaarigen, wobei er in ihre Richtung griff, aber immer einen gewissen gleichbleibenden Abstand hielt. Suzuki verstand gar nicht, was der Typ von ihr wollte. Auch das erkannte er. „Gerade hältst du sie in deinen Fäusten. Versuche sie zu lösen. Schüttel sie aus, als wären sie steif vom Schreiben.“, erklärte er ihr und hockte sich neben sie, da ihm auffiel, dass sie noch immer eine Verteidigungshaltung ihm gegenüber einnahm. Vielleicht würde es helfen, würde er sich kleiner machen, ähnlich wie bei einem Tier. Allerdings sah dies bei seinen unglaublich langen Beinen einfach nur sehr amüsant aus. Doch Suzuki war darüber im Moment nicht zu lachen zu Mute. Sie verstand diese gesamte Situation nicht. Die Grauhaarige versuchte die Spannung aus ihren Händen zu nehmen, dabei fühlten sie sich so fest und steif an, als hätte sie drei Tage durchgängig einen ewig langen Bericht verfasst. Sie dachte beinahe, ihr würden die Knochen brechen, als sie versuchte die Finger auszustrecken. „Jetzt versuche den Körper zu entspannen. Dein Körper muss sich doch von der ganzen Büroarbeit ganz steif anfühlen.“, sprach er weiter, während er beobachtete, dass sie allmählich ihre Hände regte. Auch jetzt versuchte Suzuki sich zu regen, doch jede noch so kleine Bewegung fühlte sich verkrampft an und schmerzte unendlich. „Und jetzt atme durch.“, sprach er als wäre es das einfachste der Welt, doch als Suzuki nach Luft schnappen wollte, fühlte es sich an, als würden ihre Lungen kollabieren. Die Fluchkraft, die Gojo bis dahin davon abhielt nach ihr zu greifen, brach scheinbar zusammen, als sie zitternd da saß und nach Luft rang, wie ein Fisch an Land, denn er hielt sie fest, als der Assistentin durch die fehlende Luft allmählich schummrig wurde und ihr Körper jegliche Steifheit verlor. Das Bewusstsein war an diesem Punkt auch nur einen minimalen Augenblick länger an ihren Körper gebunden als der Rest. Als Suzuki allerdings auf der schon mehr als bekannten Liege in Shokos Büro aufwachte, wusste sie, dass der Jujuzist ihr geholfen haben muss. Scheiße.. Jetzt hatte sie sich nicht nur Yaga von ihrer besten Seite gezeigt, sondern die Familien wurden durch Gojo sicher auch ganz schnell Wind davon bekommen… Ihr Ruf war unter diesen ohnehin kein Guter. Sie wurde in der Welt des Jujutsu von diesen als unnötig betrachtet. Dieses unkontrollierte Verhalten sollte sie wohl besonders weit nach außen katapultieren. Vielleicht wäre es besser sich nach einem neuen- „Nanami?“, hörte sie die Ärztin fragen, während diese die Hand auf die Stirn der Grauhaarigen legte. „Entschuldige die Umstände, Shoko.“, sprach Suzuki aus trockener Kehle. „Fang damit nicht jetzt schon an. Du bist doch gerade erst wieder aufgewacht.“, mahnte die Brünette und leuchtete mit ihrer kleinen Lampe in die Augen ihrer Patientin. Das war die Routineuntersuchtung. „Wie geht es deinen Augen?“, fragte sie ohne weiteres, nachdem sie das Licht aus diesen heraus richtete. „Die Farben sind leicht trüb, aber trotzdem vielfältig. Helligkeit, Dunkelheit und Schärfe kriegen meine Augen hin. Also alles so, wie auch bei der letzten Untersuchung.“, versuchte Suzuki es so gut wie möglich zu erklären, während sie mit einem Blick durchs Zimmer den Zustand ihrer Augen auslotete. „Das ist interessant… Dein Körper hat heute auf einen enormen Ansammlung deiner Fluchkraft reagiert. Wir kannten bisher nur die Reaktionen deiner Augen, wenn du sie dort konzentrierst. Heute hieltst du scheinbar eine geraume Menge in denen Händen und Armen.“, erklärte sie und deutete auf Suzukis Hände, die die Ärztin mit Salben und leichten Bandagen versorgt hatte. Es waren glücklicherweise keine tiefen Wunden, die Nähen erforderten, aber dennoch sollte sie ihre Hände vorerst schonen und heilen lassen. „Also… hat mein Körper bestätigt, dass er ein Wrack ist?“, fragte die Grauhaarige mit trockener Stimme und betrachtete Shokos Werk. Diese hockte sich vor ihre Patientin, um mit ihr auf Augenhöhe zu sein. „Dein Körper hat aber auch gezeigt, dass er auch abseits deiner Augen deine Fluchkraft verarbeiten kann. Vielleicht ist das deine Chance aus dem Innendienst heraus.“, versuchte die Brünette es so freudig wie möglich zu erklären. Suzuki lachte nur träge. Welch eine Ironie. Gerade heute wo sie doch eigentlich- „Eigentlich wollte ich doch bloß etwas über diese Verträge wissen, wie Nanami ihn hat… ich hätte nicht damit gerechnet, dass mein Körper erneut zeigt wie unkontrolliert sein Umgang mit meiner Fluchkraft ist.“, erklärte sie, wobei ihr bitteres Lachen abebbte. Shoko hob ihre Hände an Suzukis Gesicht, da sie sah, wie sich allmählich kleine Tränen in ihren Augenwinkeln bildeten. „Kein Problem das wir nicht überwinden können.“, sprach die Ärztin ruhig und blickte die Grauhaarige an, die förmlich zwischen ihren Händen zerbrach. Sie ließ ihr Zeit. Suzuki brauchte viel davon und Shoko wusste das. Als das Beben ihres Körper abflachte und die Röte ihrer Augen allmählich begann zu verfliegen, nahm Shoko erneut Anlauf. „Diese Verträge.. Wie soll ich das sagen.. Folgen einer gewissen Hierarchie. Du brauchst die Erlaubnis eines dir Übergestellten. In deinem Fall wäre Yaga die unkomplizierteste Variante. Bei Ijichi oder Nanami könnten die Familien euch ein zu enges Verhältnis nachsagen und dir Sanktionen auferlegen.“, erklärte die Braunhaarige sachlich, worauf Suzuki ihr nickend zuhörte. „Wenn du diese Hürde schaffst, ist alles weitere kein Problem. Ich kann das für dich in die Wege leiten.“ „Danke… das ich dich bei mir haben darf…“, sprach Suzuki leise und legte ihre zittrigen, bandagierten Hände auf Shokos. Die Ärztin schmunzelte nur. Sie hatte solche Worte in all den Jahren noch nie von Suzuki gehört. Das musste wohl zeigen, wie wichtig diese Sache für sie war und wie wichtig es für sie war, dass die Ärztin bei ihr war und ihr so gut es eben ging half. Die Zeit hatte sie eben enge Freunde werden lassen. „Nanami Suzuki?“, wiederholte Yaga fragend den Namen und blickte von seiner aktuellsten Arbeit auf. „Genau, Nanami Suzuki. Diese unfreundlich aussehende Frau, die bis vor ein paar Monaten so ziemlich an Nanami klebte. Welchem Jujuzisten ist sie aktuell zugeteilt, wenn sie nicht unseren lieben Nanami begleitet?“, fragte der Weißhaarige, nachdem er sich dem Direktor gegenüber gesetzt und die langen Beine übereinander geschlagen hatte. „Sie ist aktuell niemanden zugeteilt. Sie arbeitet im Innendienst. Die Ältesten haben das doch festgelegt, hast du die Sitzung etwa geschwänzt?“, fragte Yaga, doch schenkte den Großteil seiner Aufmerksamkeit noch immer der neuen Puppe, die er fertigen wollte. „Würde ich jede Sitzung besuchen, wäre ich den alten Knackern doch kein so großer Dorn mehr im Auge.“, erwiderte Gojo mit seinem unbekümmerten Lachen. „Also, was hast du für einen Grund nach ihr zu fragen?“, fragte der Direktor seinen ehemaligen Schüler erneut und legte nun auch den Ansatz eines Stofftieres aus der Hand. „Ich will einen Auftrag mit ihr.“ Kapitel 13: ------------ "Ich verstehe ja, dass ich Ihnen sagte, dass Sie mich bei jeder möglichen Mission einsetzen können, bei der ich auch nur irgendwie in Frage komme.", begann Suzuki und verschränkte die Arme vor der Brust, während sie den Kopf unbegeistert zur Seite neigte. "Doch warum gerade mit Satoru Gojo? Der Auftrag ist für einen Zweitrang, ein Spezialrang ist dabei doch vollkommen unterfordert." "Ich verstehe den Punkt, allerdings benötigen wir für den Motel Fall nun mal ein Pärchen und Gojo hat sich sogar selbst dafür angeboten." erklärte Yaga ruhig und blieb ungerührt an seinem Schreibtisch sitzen. "Aber das ist doch-", setzte sie erneut an, wurde allerdings sehr schnell ausgebremst. "Möchtest du etwa doch keinen Außendiensteinsatz?", kam es nur ungewohnt unterkühlt vom Rektor, woraufhin Suzuki jeglichen Widerstand aufgab. "Doch, natürlich." antwortete sie nach einem Moment ruhig und nahm wieder Haltung an. "Der Ort ist bekannt. Es handelt sich wohl um einen Fluch, der es hauptsächlich auf Paare abgesehen hat. Die genaue Planung übernimmt Gojo, setze dich bitte diesbezüglich mit ihm in Kontakt." "In Ordnung.", erwiderte die Grauhaarige lediglich und verabschiedete sich knapp, bevor sie das Büro verließ. Eine Mission mit Satoru Gojo. Ein Umstand, dem sie gerne aus dem Weg gegangen wäre. Normalerweise handelte es sich dann um sehr schwere, komplexe und gefährliche Missionen, doch in diesem Fall würde er sich wohl nur amüsieren und ihr nur den letzten Nerv rauben wollen. Schon jetzt spürte Suzuki, wie ihr Blutdruck anstieg und ihr Kopf wie doof ratterte. Warum hatte dieser Mann Interesse daran mit ihr zusammen zu arbeiten? Etwa wegen ihres Ausrutschers vom letzten Mal, als sie die Kontrolle verloren hatte? Überraschenderweise war kein neuer Tratsch von seitens der Familien gekommen. Also hatte der Weißhaarige wohl dichtgehalten. Doch warum würde er sonst dafür sorgen, dass er gemeinsam mit ihr eine Mission hatte? Sie wurde von den Familien offen genug als Schummel-Jujuzist gehandelt. Sie kritisierten, dass Suzuki ihren Rang nur innehätte, weil sie eine einfache Sphäre errichtet hatte, dass bisher nur ein einziges Mal und dann auch noch unbeabsichtigt. Solche Kommentare nagte ordentlich und Suzuki hatte sie nicht einmal wirklich bestreiten können. Also warum sollte Gojo, ein Mitglied der Familien, nun aus heiterem Himmel eine Mission mit ihr machen wollen. Wollte er nach ihrem Ausraster wissen, wie unfähig sie wirklich war? Sollte er für die obersten Auskundschaften? Dabei gehörte er doch den Unkonventionellen an, also warum sollte er-… "Möchtest du noch lange die Tür versperren?" Suzuki fuhr zusammen und blickte in die Richtung der Stimme. Der Mann mit der Augenbinde hob grüßend die Hand. "Jo, Nanami-chan. Schön dich zu sehen!", stellte er grinsend fest, wobei seine Stimme gespielt zuckersüß klang. Die Jujuzistin blickte etwas verdattert drein. "Ich wusste gar nicht, dass wir uns so nah stehen, 'Satoru'.", sprach Suzuki bemüht ruhig, wobei sie sich einen Schritt von ihm und der Tür entfernte und sich ihm nun frontal entgegenstellte. "Immerhin gehen wir doch übermorgen auf ein Date. 15 Uhr. Ich habe gehört, du isst gerne Kuchen, zufällig kenne ich dafür den perfekten Laden!" Die Grauhaarige brauchte einen kurzen Moment, um die Richtung dieser Unterhaltung zu verstehen... Sie begriff allmählich. So sah also scheinbar eine Missionsbesprechung mit Gojo Satoru aus. Gut zu wissen, dachte sie für sich selbst. "Ich hoffe doch, du als mein 'Date' lädst mich ein?" fragte Suzuki nach einem Augenblick und grinste. Mit Sicherheit konnte man ihr ihren Geiz im vollen Maß in den honigfarbenen Augen ablesen. "Selbstredend. Zieh dir doch auch bitte etwas Schickes an. Ich möchte dich mal in etwas anderem als deinem schwarzen Anzug sehen. Vielleicht ein süßes Kleid." "Ich schau mal, was sich machen lässt. Gleiches gilt dann aber wohl auch für dich.", erklärte sie und schauderte bei dem Gedanken, dass er sie scheinbar schon öfters als dieses und letztes Mal gesehen hatte. "Das klingt doch fair.", stellte Gojo begeistert fest und ging nun zur Tür des Direktors. "Ich melde mich.", verabschiedete er sich mit einer albernen Kussmiene und trat ins Büro. Es dauerte einen Moment, bis Suzukis gezwungen ruhiges Gesicht fast komplett rot vor Wut wurde und sie angepisst gegen einen der Sessel im Wartebereich vorm Büro trat. "Dieser- Ahhrg!", knirschte sie und raufte sich die Haare. Schon jetzt raubte der Typ ihr den letzten Nerv und ließ ihr graues Haar gefühlt noch grauer werden. Suzuki wusste zwar, dass eine Nachricht von Gojo kommen würde, als dann am nächsten Tag allerdings ein bunter Blumenstrauß auf ihrem Schreibtisch stand, als sie die Büroräume betrat, schaute sie doch ziemlich doof aus der Wäsche. Obwohl sie die Blumen allein wegen Gojo am liebsten geradewegs in den Müll gefeuert hätte, wäre es zu schade um diese gewesen. Seufzend begutachtete die Grauhaarige die Pflanzen. Vermutlich hatte er von jeder Blume im Laden eine genommen, damit die Wahrscheinlichkeit höher war, dass auch wenigstens eine dabei war, die sie mochte. Ihr selbst wäre ein Blumentopf bald lieber gewesen, dort musste sie den Pflanzen wenigstens nicht schon nach ein paar Tagen beim Sterben zusehen... Allerdings änderte es nichts daran, dass Suzuki keine Pflanzen von Gojo wollte. Bevor sie den Strauß nahm und sich auf die Suche nach einer Vase machte, fiel der Assistentin eine kleine Karte auf, die mank der Blumen positioniert war, und zog sie etwas skeptisch heraus. Gojos geschriebenes Geschwafel überflog sie schnell und vergaß es direkt wieder, lediglich ihren morgigen Treffpunkt merkte sie sich, bevor sie, wenigstens das Kärtchen, genüsslich in ihren Papierkorb feuern konnte. Die Tür klappte. "Blumen?", fragte ihr blonder Kollege, als er ebenfalls das Büro betrat. Diese ruhige, tiefe Stimme schaffte es beinahe immer Suzukis komplett schlechte Laune einmal um 180 Grad zu wenden. Sie blickte von der mittlerweile mit Wasser gefüllten Blumenvase zu Nanami, der die Büroräume betrat und musste unweigerlich lächeln. "Sie scheinen dir zu gefallen.", schlussfolgerte der Blonde falsch aus ihrer Reaktion. Suzuki wollte protestieren, doch sein nächster Kommentar unterbrach sie, "Sieht irgendwie zusammengewürfelt aus.”, schob er lediglich noch hinterher. Schmerzhaft ehrlich wie immer. Zum Glück hatte sie mit der Zusammenstellung des Blumenstraußes nichts am Hut gehabt. "Stimmt wohl." erklärte Suzuki amüsiert. "Etwas, dass mich länger begleitet, hätte mich mehr gefreut.", fügte sie an und platzierte die Blumen auf ihrem Tisch. Genau neben einer kleinen Topfpflanze, die sie einst von ihrem Kollegen bekommen hatte. „Hast du heute auch wieder so viel zu tun?“, fragte er und kam zu ihrem Schreibtisch hinüber und lehnte sich neben ihr ein wenig dagewesen, während er mit ihr sprach. „Keine Sorge, es ist nicht mehr als sonst, aber zum Glück endlich wieder ein Außeneinsatz.“, erklärte sie trotz des Stresses etwas lächelnd. "Vergiss bitte nicht-", begann Nanami ihr erklären zu wollen, aber Suzuki unterbrach ihn dieses Mal, „Keine Sorge.“, begann sie. Er wollte sie doch ohnehin wieder nur daran erinnern, dass sie sich pünktlich um seinen Bericht kümmern sollte. Da sie es vor zwei Wochen stressbedingt vergessen hatte. "Ich habe den aktuellen Bericht schon fast fertig. Ich lege ihn spätestens zur Mittagspause auf deinen Platz.“, erklärte sie selbstsicher grinsend und startete ihren Rechner, bevor sie allmählich Richtung Tür steuerte. “Willst du einen Kaffee? Ich gehe in die Küche, einen Tee kochen.", fragte sie und entfernt sich langsam immer weiter von ihm. "Gerne.", antwortete Nanami nach einer kurzen Pause gewohnt wortkarg und begab sich zu seinem eigenen Schreibtisch. Eilig begab Suzuki sich aus dem Raum, um so schnell wie möglich wieder zurück zu sein. Der Blonde sah ihr nur wortlos hinterher, wobei man ihm seine Gedanken ganz klar von seinem zerknitterten Gesicht ablesen konnte: 'Sicher hat sie es vergessen'. Und er sollte recht behalten, sie hatte ‘es‘ wirklich vergessen. Seit Suzuki am Abend beim Duschen auf die Idee gekommen war, dass Nanami sie vielleicht doch auf etwas Wichtigeres als seinen Bericht hinweisen wollte, hatte sie der Gedanke nicht mehr losgelassen. Aber was konnte es gewesen sein, dass sie nicht vergessen sollte? Die letzten Wochen waren ungewohnt stressig gewesen, eben weil sie Yaga beweisen wollten, dass sie wieder in den Außendienst konnte. Also lud er sie mit Arbeit voll. Er wollte sie austesten, immerhin war sie besonders anfällig für Stress und somit auch ihre Fluchkraft. Jetzt, wo die Jujuzistin von sich behauptete, in der Lage zu sein, wieder Missionen zu betreuen, sah der Direktor seine Chance ihren Willen zu testen. Aber Suzuki war sich sicher, wenn sie Missionen bloß wieder als ihren Alltag betrachten könnte, würde sich ihre Fluchkraft fügen. So die Vermutung. Aber dementsprechend konnte sie Yaga nichts Festes dafür ihre These liefern, also blieb er ihren Bitten gegenüber unbegeistert. Eine unstabile Assistentin wäre einem Jujuzisten keine große Hilfe. So wie damals war es aber auf keinen Fall mehr. Das musste auch Yaga gemerkt haben. Nach ihrer Begegnung mit Sakushi in Nakameguro hatte sie lange gebraucht, um zu verarbeiten, dass Kechi bei ihrem Auftrag in ihren gemeinsamen Akademiezeiten nicht gestorben war, so wie es damals leichtfertiger Weise vermutet worden war, nachdem ihr Körper nach dem Vorfall nicht aufzufinden war. Damals war Suzuki zwischenzeitlich nur noch eine Gefangene ihrer Hilflosigkeit. Es fiel ihr schwer aufzustehen, sich Essen zu zubereiten oder gar sich zu waschen. Alles war lästig und nichts schien, als wäre es notwendig. Aus diesem Loch hatten sie vor allem die Unterhaltungen während Ieiris Untersuchungen und die Besuche von Nanami geholt und ihr ein etwas Licht in ihre damalige Dunkelheit zurückgebracht. Während die Sitzungen mit Shoko unter der Woche waren und ihr allmählich wieder Routine schenkten, traf sie Nanami am Wochenende. Eigentlich wollten ihr Kollege und sie dies weiterhin beibehalten, doch jetzt ließ Yaga ihr scheinbar nicht einmal für diese kleine Freude Zeit. … Vielleicht wollte Nanami ihr ja mitteilen, dass er sowas für diese Woche wieder einplanen wollte. Und sie hatte ihn eiskalt unterbrochen, weil sie zu überzeugt von sich selbst geworden war … Oder wollte er ihr vielleicht doch eher sagen, dass er das nicht mehr wollte und sie etwas missverstanden hätte?! Dieser Gedanke ließ sie, einmal gedacht, nur noch nervöser werden, als sie ohnehin schon war. Die mittlerweile im Bett weitergrübelnde Suzuki raufte sich entnervt die Haare und rollte sich von einer auf die andere Seite. Sie musste dem morgen auf jeden Fall auf den Grund gehen! Über eine Idee, wie sie das am unpeinlichsten anstellen könnte, grübelte sie, bis ihr Wecker klingelte. Das ganze Aufstellen und Umstoßen von Gedanken bringt allerdings nur dann etwas, wenn Nanami überhaupt in der Akademie wäre und wie Suzuki feststellte, nachdem sie das Büro betrat und sich die müden Augen rieb, war er es nicht. Und scheinbar war er den gesamten Tag über nicht im Gebäude. Der Blonde war wohl wieder auf einer Mission mit Ino -dem Frischling, der vor kurzem seinen Abschluss an der Akademie gemacht hatte-, wie Ijichi ihr bei einer kleinen gemeinsamen Pause am frühen Nachmittag berichtete. Ein etwas bitteres Gefühl stieg ihr aus der Magengegend hinauf. In letzter Zeit kam es immer häufiger, wenn sie hörte, dass er mit jemandem auf Mission war. Es unterschied sich etwas von dem Gefühl, dass sie verspürte, wenn er einfach nur nicht da oder allein bei einer Mission war. Wobei keines davon auch nur ansatzweise angenehm war. "Aber sag mal Suzuki", begann Ijichi, als er die Tassen von seinem und ihrem Schreibtisch zusammenräumte, und deutete auf die Uhr an der Wand, "bist du nicht schon durch für heute? Geh lieber heim und leg dich etwas hin. Du siehst heute ziemlich fertig aus.", schlug der sich stets um sie sorgende Ijichi vor. "Selbst wenn, daraus wird eher weniger was. Ich bin nachher noch bei einer Mission, da lohnt sich das Schlafen leider nicht.", begann die Grauhaarige und räumte nebenbei langsam ihre Sachen zusammen. Ijichi schien ein regelrechtes Aha-Erlebnis zu haben, als sie das aussprach. Er sagte allerdings nichts weiter dazu. Er hatte wohl eins und eins zusammengezählt. Und besonders gesprächig über Missionen, die sie ärgerten, wie diese, war Suzuki ja ohnehin nicht, das wusste er. Sie tauschten lediglich noch Floskeln und Grußformeln aus und gingen ihrer Wege. Gespräche mit Ijichi waren stets angenehm. Sie machten Suzuki weder unruhig, noch wurden sie mit der Zeit anstrengend. Es war fast schon faszinierend, wie gut er sie verstand, allerdings kannten sie sich ja auch seit ihrem ersten Jahr an der Akademie, da ist so etwas sicher nicht ungewöhnlich. Ganz anders war das bei manch anderen Kollegen. Das gute Gefühl verließ sie augenblicklich, als sie bloß daran dachte, wen sie eigentlich mit anderen Kollegen meinte und welcher bei ihrer heutigen Mission auf sie wartete. Als Suzuki zehn vor drei schon vor dem vereinbarten Café stand, schaute sie einen kurzen Moment skeptisch drein. Es war so kitschig und zuckersüß, dass es schon fast einem Themen- oder Maidcafe gleichkam. Allerdings hatte sie im Endeffekt auch dagegen nichts gehabt, solange der Kuchen schmeckte. Essen war ihre Schwachstelle. Essen, dass ihr nichts kostete, sogar umso mehr. Das Einzige, was sie nun interessierte, war, ob Gojo es ausgesucht hatte, weil er diesen Style mochte oder weil er davon ausging, dass sie so etwas mochte. Erneut blickte sie auf die Uhr an ihrem Handgelenk, bevor sie eine kleine Falte ihres hellbraunen Hemdes glatt Strich. Dabei steckte dieses locker im hoch sitzendem Bind ihrer Hose. So wirkte es nicht zu streng, dennoch wollte sie Gojo feinere Kleidung nicht zugestehen, obwohl sie auch gerne Kleider oder Röcke trug. Sogar ihr Haar strich sie provisorisch noch einmal aus dem Gesicht, als musste sie Sorge haben, dass ihr Aussehen für dieses Treffen ausschlaggebend wäre. Es verging noch etwas Zeit, bis sie aus dem Augenwinkel wahrnahm, dass sich ihr dort jemand näherte. "Du bist ja schon da.", sprach die näherkommende Stimme Gojos. "Aber ich hörte schon, dass du sehr pünktlich sein sollst.", fügte er sein Lächeln lächelnd an. Suzuki hatte sich zu ihm umgewandt und ihm nur grüßend zugenickt. "Nanami-chan, wir sind heute auf einem Date, ein bisschen mehr Mühe musst du dir schon geben.", erklärte Gojo noch immer doof lächelnd. Suzuki zog eine Augenbraue hoch und blickte genervt zu ihm auf. "Bezahle mich ausreichend und ich füge mich.", erklärte Suzuki trotz allem in ihrer eigentlich üblichen aber gerade doch sehr gezwungenen Art. Ihre Aufmerksamkeit ging nun allerdings zu seiner Kleidung. Er trug ein dunkelblaues Jackett und ein weißes Hemd. Der weiße Kragen klappte an einer Stelle über den Rand. Am liebsten hätte sie es direkt gerichtet. So tat sie es auch bei Ijichi, Nanami und Nitta, die Neue. Letztere kam deutlich häufiger mit einem falsch geköpften Hemd oder einer schlecht gebundenen Krawatte ins Büro als die andere beiden, aber Suzuki war viel zu gern in ihrer 'Mutter' Rolle, als dass sie Nitta deswegen jemals einen Vortrag halten würde. Allerdings war Gojo nicht Nitta. "Ach Nanami-chan, du hast es doch schon einmal geschafft mich Satoru zu nehmen. Das kannst du ruhig beibehalten!", lamentierte der Jujuzist und gestikulierte wild umher, wobei sich der weiße Kragen immer mehr frei kämpfte. "Wenn du nicht weißt, wie man einen Anzug mit einem Hemd trägt, lass bitte die Finger davon. Sowas sieht nicht aus, wenn es nicht ordentlich ist.", meckerte die Grauhaarige, ihr innerer Monk wurde schon jetzt genug provoziert. Sie griff also kurzerhand nach seinem Kragen, richtete diesen sorgfältig und strich ihm über die Schulter des Jacketts. Dabei ignorierte sie gekonnt sein unnötiges Getue. "Oh~ Nanami-chan, du kannst ja richtig-", begann Gojo wieder mit seiner gespielten Art, woraufhin Suzuki ihn durch ein heftiges Ziehen an seinem Jackett unterbrach und finster ansah. “Dabei bist du doch sonst immer so nett zu Leuten im Anzug!”, sprach der Weißhaarige vorwurfsvoll und fast schon wie ein bockiges Kind. "Wie kommst du auf diese Idee?", antwortete sie verwirrt und ging direkt wieder etwas auf Abstand zu ihm, sobald sie fertig war. "Mit den Assistenten und Nanamin kommst du doch gut aus. Da fand ich diese Schlussfolgerung also gar nicht so weit hergeholt.", erklärte er ihr, wieder mit seinem breiten Grinsen. Die Grauhaarige blickte weiterhin nur doof drein, doch gab es auf, es zu verstehen und steuerte kommentarlos aufs Cafe zu. Gojo folgte ihr nur lachend. Scheinbar amüsierte ihr Verhalten ihn. Wie unglaublich lästig. Im Café kaute Gojo ihr gefühlt ununterbrochen das Ohr ab. Auch als der Kuchen und die Getränke kamen, nahm sein Unterhaltungsdrang nicht ab. Er hatte Unmengen von Kuchen, Eis und anderen Süßigkeiten bestellt. Der Kaffee mit fünf Stück Zucker war vermutlich das Ungesüßeste. Die Grauhaarige hatte sich da mit einem Eclair, ein paar Macarons und einem Tee mengentechnisch fast etwas fehl am Platz gefühlt. Suzuki schaltete beim Essen zwischenzeitlich vollkommen auf Durchzug, zu lästig war ihr Gojos Geschwafel. Diese Entscheidung war auf jeden Fall die Richtige gewesen, denn der Kuchen war unglaublich köstlich und sie schaffte es gar nicht ihre Freude darüber zu verbergen. Sein Lachen zog sie dann allerdings zurück in die Realität. "Genau das meine ich! Man kann dir die Emotionen geradewegs vom Gesicht ablesen. Wut, genervt sein, Freude: du zeigst einfach alles frei heraus!", erklärte er noch immer lachend und schob sich das letzte Stück seines ersten Tellers mit vor Zucker triefenden Torte hinter die Kiemen. "Ich mag es offen und ehrlich. Da muss ich doch nicht auf Biegen und Brechen versuchen, so zu tun als würde ich etwas mögen, obwohl ich nicht so empfinde, nur weil ich so anderen gefalle.", erwiderte die Grauhaarige und nahm einen Schluck von ihrem Tee. "Kein Wunder, dass du ein Auge auf Nanami geworfen hast!", sprach ihr gegenüber seiner Beobachtung aus, woraufhin Suzuki sich verschluckte und nervös hustete. "Also wirklich? Dann wünsch ich dir dabei besonders viel Erfolg!", sprach er noch immer mit seinem ekelhaft breiten Grinsen. "Mein lieber Herr Gojo-" "Aber, aber Nanami-chan. Wir waren doch schon bei Satoru.", korrigierte er sie. Schon jetzt hätte Suzuki ihm am liebsten das Grinsen aus dem Gesicht geschlagen. "Satoru", überwand sie sich und ballte die Hände, welche auf der Tischplatte ruhten, zu Fäusten, "sollte irgendeins dieser Worte an Nanami herangetragen werden-" "Kein Problem, liebe Nanami-chan. Bei mir wird dein Geständnis sicher sein, leiste mir doch einfach einmal die Woche bei Tee und Kuchen etwas Gesellschaft.", schlug Gojo vor und ließ sich sein Grinsen nicht durch ihre finstere Miene verderben. So eine billige, aber doch effektive Erpressung hatte er also auf Lager. Wie zu erwarten. Mit einem Mal hätte er sich ja wohl kaum zufriedengegeben, wenn sie ihn scheinbar so amüsierte. Suzuki atmete schwer aus und gab es dann auf. Gegen diesen Gegner hatte sie keine Chance. "Ich lade dich dann natürlich wieder ein.", fügte er an und Suzuki lächelte nur bitter. Sie schaffte es echt nur kurz so zu tun als ob. Gerade jetzt mit Gojo wäre es sicher gut gewesen, diese Fähigkeit zu besitzen. Einen kurzen Moment herrschte Stille, bis der Weißhaarige abermals das Wort an sich riss. "Ich habe gehört, du vertraust ihm blind.", sprach er und freute sich vermutlich über seinen halben Wortwitz, denn niemand wusste besser als Suzuki, dass er es nicht nur umgangssprachlich, sondern genau so meinte. Ihre Schwäche wurde zwischen den Familien offen kommuniziert. Der zu intensive Gebrauch ihrer Fähigkeit ließ die Jujuzistin kurzfristig erblinden. Das war allgemein bekannt. Um dies nicht mehr nur als Nachteil an sich lasten zu haben, hatte sie Nanami gebeten ihre Augen zu sein. Somit vertraute sie ihm bedingungslos ihr Leben an. "Ich vertraue seinem Urteil ohne Einschränkung, ja." "Oho? Du würdest also auch jemanden töten, wenn er es dir sagt?" Das Gespräch entwickelte sich in eine interessante Richtung. Suzuki blickte mit einem finsteren Grinsen zurück in Gojos mittlerweile verhältnismäßig ernste Visage. "Selbst wenn, was interessiert dich das? Besteht etwa die Sorge, dass unter deiner Aufsicht ein weiterer Fluchnutzer aus der Akademie entsteigen könnte?", ihr Grinsen brach ab und wurde wieder zu ihrer üblichen, fast schon ausdruckslos ernsten Miene, "Er verachtet Jujuzisten, aber er ist keineswegs bösartig. Sollte er jemals Mordlust empfinden, ist diese in dem Fall wohl keineswegs unberechtigt…" erklärte sie brummend. Nach einem Moment der Stille kam er mit einem Räuspern zurück zu seinem lockeren Selbst, ignorierte die angespannte Atmosphäre, die sogar die Leute an den Nebentischen mitbekamen und aß weiter. Allerdings tat sie es ihm gleich, als wäre nichts zwischen den beiden vorgefallen. Als zwischendurch eine Kellnerin vorbeikam und einige der Teller abräumte, blickte Suzuki irritiert auf, als sie das Klappern von mehr als drei Tellern vernahm. Hatte er nicht gut die doppelte Menge, wenn nicht sogar noch mehr gehabt? Und er war ebenfalls schon fast fertig? Suzuki verzog ihr Gesicht bei dem Gedanken kurz etwas angewidert. Hatte er überhaupt einen Bissen davon genossen? Wie konnte man etwas so Leckeres nur so verschlingen? "Deine Fluchkraft,", begann Gojo noch fast mit vollem Mund vom letzten Bissen. "Ich spür sie bis hier. Bist du immer so drauf?" Die Grauhaarige blickte ihn schief an, während sie ihre Tasse wieder zurückstellte, obwohl sie gerade einen Schluck trinken wollte. "Ich schätze schon.", antwortete sie, ohne seine Frage komplett verstanden zu haben. "Wie viel könnte das in etwa sein?" "Ich weiß nicht... wahrscheinlich nicht genug." Der Jujuzist sah von seinem leeren Teller zu ihr auf und machte einen skeptischen Laut, bevor er mit seiner Kuchengabel auf seinen Gegenüber deutete. "Du bist echt schwach." Erneut verzog Suzuki ihr Gesicht bitter. Sie wusste, dass sie nicht stark war, aber hören wollte sie es trotzdem nicht. Besonders nicht von Gojo. Während ihrer gesamten Ausbildung hatte sie von keinem Jujuzisten gehört, der wie sie durch zu viel Negativität nicht mehr in der Lage war Fluchkraft anzuwenden. Es ist einfach lächerlich. "Gerade schon wieder. Dein Körper bildet Fluchkraft, aber du gibst sie einfach an deine Umwelt ab. Ähnlich wie ein rauchender Schornstein." "Aha?", erwiderte sie verstimmt. "Schon mal überlegt, sie in deinen Blick zu investieren? Obwohl du nennst ihn doch Scan, oder? Ich habs mir nicht gemerkt, wobei er ja dem sixth eye in mancher Hinsicht ähneln, oder? Vielleicht könnte man ihn ja third eye nennen... Aber das wäre an der Stelle wohl doch zu anmaßend.", wank er lachend ab und sprach so locker, lustig und beiläufig wie immer mit ihr weiter. Und er hatte da echt irgendwo einen Punkt. Also der, mittendrin im ganzen Quark, den der Weißhaarige von sich gab. Dies brachte Suzuki nach einem Moment der Überraschung zum Grübeln. Wie sollte das bitte funktionieren? Wenn sie ihren Scan zu viel nutzte, machten ihre Augen doch Probleme. Aber… beim Rest ihres Körpers war dem nicht so... Oder? Als sie allerdings beim letzten Mal die Fluchkraft in ihre Fäuste konzentriert hatte, hatte sie doch keine solche Probleme… Aber würde das beim nächsten Mal auch so sein? Oder- Gojo musste wohl die tausend Fragezeichen, die um ihren Kopf schwirrten, erkannt haben und lachte. "Ein weiterer Punkt, weshalb wir uns weiterhin treffen sollten: ich könnte dich unterrichten. Ich bin ja immerhin dein geliebter Senpai und auch du sollst deine Vorteile aus meiner Gesellschaft ziehen!" Die Gedanken um ihre Fähigkeit verblassten etwas und sie blickte nun wieder schief zu ihrem Gegenüber. "Erpressung reicht dir wohl nicht als Absicherung, wie?" "Du hast es erfasst.", erwiderte er grinsend und ließ noch einmal seinen Blick schweifen, bevor er allmählich auf sein Handgelenk deutete und ihr damit ein ‚Wir müssen langsam los‘, vermitteln wollte. Stumm nickte sie ihm entgegen und trank ihren Tee aus. Gojo hatte währenddessen gezahlt, wodurch sie etwa zeitgleich fertig waren und aufbrechen konnten. Dann hieß es jetzt wohl endlich arbeiten. Sie haben sich gerade einmal zwei Seitenstraßen weit vom Platz entfernt, an dem das Cafe war, doch schon jetzt war nichts mehr von der belebten Stimmung zu spüren. Alles deutete daraufhin, dass etwas in der Gegend vorgefallen war. "Wie viele 'Unfälle' gehen auf das Konto des Fluchs?", fragte Suzuki, nachdem sie das von einigen Neonröhren erhellte Motel auf der anderen Straßenseite erblickte. "Sieben.", erwiderte Gojo und blickte sie an. "Der Eigentümer hat die Vorfälle erst spät gemeldet. Wollte dem Geschäft wohl nicht noch mehr Schaden, als es der Fluch ohnehin schon tat." "Sehr geistreich.", brummte die Grauhaarige nur verstimmt und zog die Stirn in Falten. "Jetzt mach doch kein so ernstes Gesicht, Nanami-chan.", riet Gojo ihr, legte Daumen und Zeigefinger auf ihre Stirn und schob die Falten amüsiert auseinander. "Immerhin darfst du eine schöne Zeit mit mir verbringen.", summte er grinsend und ließ von ihr ab, nachdem sie seine Hand wegschlug. "Gojo, du nimmst dir zuvi-" "Bleiben wir doch bei Satoru.", unterbrach er Suzuki, welche nun nur noch genervter dreinblickte. Lachend wandte er sich von ihr ab und ging einfach ins Motel voraus. Die Grauhaarige sah ihm einen Moment nach, atmete durch und versuchte die Wut etwas zu untergraben, doch gut funktionieren tat es nicht. Sie folgte dem Weißhaarigen dann, immerhin hatte sie eine Aufgabe zu erledigen. Die Absteige, die sie gerade betrat, war zwar einerseits kein Luxusschuppen aber auch nicht heruntergekommen. Der Besitzer musste sich wohl wirklich Mühen geben, das Geschäft irgendwie am Laufen zu halten. Suzuki nutze einen Moment der Ruhe, in dem der Jujuzist nicht mit dem Angestellten redete, und horchte. Solange wie sie den Fluch nicht hörte, musste sie auch nicht ihre Kraft für ihren Scan verschwenden. Er käme ohnehin nicht über das Foyer hinaus. "Ah~ bist du jetzt etwa doch unsicher? So schüchtern hätte ich dich gar nicht eingeschätzt.", riss Gojo ihre Aufmerksamkeit von der Umgebung wieder auf sich. Er tat scheinbar alles daran, dass die Leute dachten, sie wären hier wirklich auf einem Date. Sollte sie einfach versuchen mitzuspielen? Suzuki wandte sich zu ihm um und rang sich lediglich ein schiefes Lächeln über die Lippen. Der Mann am Tresen hatte sich gerade zu einem Brett mit Schlüsseln gedreht und reichte Gojo einen von diesen. Abgesehen davon hingen scheinbar alle Schlüssel am Holzbrett. Das hieß sie waren hier also wirklich so ziemlich allein. "Als kleine Aufmerksamkeit.", erklärte der Weißhaarige und schob ein kleines Stück Papier über den Tresen zum Mann dahinter. "Wir schätzen Diskretion. Absolute Diskretion. Holen Sie sich einen Kaffee, Sie sehen etwas unentspannt aus." Der Mann wurde beim Anblick des Papiers ganz blass und nickte nur heftig. Er verstand wohl sofort, was dies für ihn hieß, und machte sich daran den Laden zu verschließen. Dieser Typ hatte nicht nur Stärke, sondern auch Macht. Suzuki durfte sich nicht zu viel leisten, allerdings war er diesbezüglich wohl das ungefährlichste Mienenfeld unter den Familien, auch wenn er mit Abstand der stärkste von ihnen ist. Er war allerdings auch besonders schwer für sie einzuschätzen. Einerseits trug er immer so eine dumme Visage und benahm sich wie ein Idiot, andererseits hatte die Grauhaarige auch schon von Geschichten aus seiner Oberschul-Zeit gehört, in der er zum gnadenlosen Berserker wurde. Also musste sie sich wohl mit der Vorstellung abfinden, dass er der ungefährliche gefährliche Part im Ganzen war. "Na komm.", sprach der Weißhaarige und legte einen Arm um Suzuki und leitete sie nun zum Aufzug im Foyer. "Du wirst mutig. Dieser Arm ist dir wohl nicht wichtig.", zischte sie provokativ, wobei die Worte förmlich aus ihr platzten. So viel von ‚sie durfte sich nicht zu viel leisten‘… "Oh doch! Er ist einer meiner zwei Lieblingsarme!", erwiderte er empört, worauf Suzuki sich fast einen Pruster verkneifen musste, und drückte den Knopf, der die Fahrstuhltüren öffnete, woraufhin beide hinein gingen und die Tür sich hinter ihnen schloss. Suzuki blieb kurz noch so neben ihm stehen, doch befreite sich dann wortlos von seinem Arm. "Und ich dachte, ich hätte dich langsam mit meinem Charme um meinen Finger gewickelt.", erklärte er gespielt schmollend. Die Grauhaarige erwiderte nur ein träges seufzen und verschränkte die Arme vor der Brust. Gojo antwortete darauf überraschender Weise nichts. Dabei hatte die Assistentin wirklich mit weiterem Jammern oder Kommentaren gerechnet. Endlich oben angekommen, steckte Suzuki zuerst nur ihren Kopf aus der sich öffnenden Tür, Gojo allerdings steuerte direkt hinaus und ließ den Schlüssel in seiner Hand klimpern. "Na komm, Nanami-chan, wir haben noch einen langen Abend vor uns~", summte er grinsend, woraufhin sie nur verstimmt das Gesicht verzog. Er hatte scheinbar etwas im Sinn und egal was es auch war, es gefiel ihr nicht. „Süße Nanami, bloß nicht so stürmisch~“, summte Gojo und ließ seine Hände unter den Stoff ihres Oberteils und hinauf über ihre Taille gleiten. „Ich erwarte mehr als nur die abgesprochene Zusatzzahlung für diesen Service.“, knurrte Suzuki über ihn kniend, während sie sich mit einem Arm an seiner Schulter abstützt und mit der anderen dem Kragen seines recht weit aufgeknöpften Hemdes packte. „Sei doch nicht so kalt zu mir~“, hauchte er summend gegen ihr Brustbein, als er sich ihr entgegen lehnte. Die Grauhaarige wandte ihr Gesicht unter diesem unbehaglich warmen Gefühl auf ihrer Haut ab. Sie hatte diesem Zirkus nur zugestimmt, weil sie etwas knapp bei Kasse war und unter der Voraussetzung, dass sie die Zügel in der Hand behielt. Aber ob man das nun gerade so nennen konnte, wusste sie auch nicht recht… wohl eher nicht. „Sieh mich doch wenigstens an~“, summte der Weißhaarige jammernd und strich ihre Seite zu ihrem Rücken hinauf. Dabei erkannte man sofort, wie ihr nicht nur Wärme ins Gesicht stieg, sondern auch, wie ein Schaue durch ihren Körper zog. Nichts breitete mehr Unbehagen in ihr aus, als von Menschen, die ihr nicht nah standen, berührt zu werden, ohne dass sie die Berührung kommen sieht. Als seine Hände noch immer auf ihr ruhten, nachdem ihr Körper aus Reflex versuchte seine Griffel abzuschütteln, riss etwas in ihr. „Hört auf!“, zischte sie scharf und zerrte am Kragen seines Hemdes. „Ah~ Nanami-chan~“, summte er grinsend, doch ließ von ihr ab. Die Grauhaarige stöhnte entnervt und ließ seinen Kragen los, um von ihm aufzustehen. „Gehst du?“, fragte er und blickte ihr nach, während sie zur Tür ging. Für einen kurzen Moment blieb sie an der Tür stehen und stieß erneut ein Seufzen aus. „Nein, du bezahlst mich immerhin für den gesamten scheiß…“ „Wo willst du also-” „Ich brauche was zu trinken.“ „Aber in der Minibar ist doch-” „Wasser und Alkohol, genau.“, beendete sie seinen Satz indirekt und blickte ihn an. Er wank leise lachend ab, worauf Suzuki endlich das Zimmer verließ. Sie fuhr sich durchs Haar, als die Tür endlich ins Schloss eingerastet war. Je ein Blick beide Seiten den Gang hinunter genügten ihr, um den altmodischen Automaten zu finden. Während sie ging, scannte sie erneut den Raum. Noch immer bemerkte sie nichts. Nur das strahlende blau, welches von Gojo ausging, störte das Bild ein wenig. War seine Präsenz vielleicht zu stark und verjagte freiwillig den Fluch? Wobei ihr diese Idee zu absurd schien. Endlich am Automaten angekommen, bemerkte sie, dass auch hier der fehlende Betrieb nicht unbemerkt blieb. Er war nur spärlich bestückt. Sie konnte wohl von Glück reden, dass noch ein grüner Tee neben zwei Cola Dosen, verschiedenen Kaffeesorten und einigen kleinen Packungen mit Knabbereien in der Maschine waren. Als die Grauhaarige gerade den Tee aus dem Fach des Automaten ziehen wollte, stockte sie, als ihr Handy in ihrer Hosentasche klingelte. „Suzuki.“, beantwortete sie das Telefon, ohne überhaupt aufs Display zu schauen. „Bist du noch im Büro?“, begrüßte sie das vertraute Brummen ihres Kollegen. „Oh, Kento. Äh … Ja. Warum fragst du?“, sprach die Grauhaarige, scheinbar deutlich aus dem Konzept gebracht. Perfekte Voraussetzungen für Suzuki keine Konzentration finden zu können, um auch indirekt ihren Scan anzuwenden. So merkte sie also nicht einmal, dass ihr ein insektenartiger Fluch das Bein hinaufkletterte. Sie würde sofort erkennen, dass es ein Myrian war. Ein lästiger Fluch, der optisch an einen Tausendfüßler anmutete und stets von Lügen, Eifersucht und Affären angezogen wurde. Doch sie war zu unfokussiert. „Ich warte auf dich.“ „Wieso? Waren wir verabredet?“, fragte sie kleinlaut. War es etwa das, was sie vergessen hatte? Woran er sie erinnern wollte? Wollte er wirklich wieder mit ihr- „Genau. Aber scheinbar war es nicht so wichtig, immerhin warte ich schon eine halbe Ewigkeit. Weißt du überhaupt, wie spät es schon ist?“ Nein, wusste sie nicht. Dieses Motel hatte weder unverhangene Fenster noch Uhren. Ein gutes Hilfsmittel, um die Zeit zu vergessen. Prinzipiell keine schlechte Idee vom Betreiber des Hauses, doch solche Gedanken sollte die Assistentin gerade nicht verschwenden, denn allmählich drängten neben Nanamis Stimme auch noch andere Worte an ihr Ohr. Worte des Betrugs, von Untreue und Eifersucht. Sie wollte gerade auf die Uhr auf ihrem Telefon nach der Uhrzeit schauen, als ihr der ewig lange Körper eines schwarzen Tausendfüßlers, der ihren Arm wie ein Tattoo umwickelte, auffiel. Es stieg Panik in ihr auf. Aus einem Trieb heraus, versuchte sie es mit einem kräftigen Schwung von ihrem Arm zu bekommen, wobei sie lediglich das kleine Telefon aus ihrer Hand schleuderte, denn das Biest harkte sich fest in ihre Haut. Sie biss die Zähne zusammen, verkrampfte ihre Hand und spürte, wie das Vieh ihre Energie anzapfte. „Nana-?“, hörte sie noch leise die besorgte Stimme des Blonden aus dem Lautsprecher des Geräts, bevor sie mit einem leisen Knacken verstummte. Sie packte den Myrian, damit er nicht einfach abhauen konnte. Zuerst versuchte Suzuki ihre Fluchkraft in ihrer Hand zu konzentrieren, doch dieses Vieh zappelt wild geworden und stieß nur noch mehr der spitzen Beine in ihre Haut. Also konzentrierte sie scheinbar genug Fluchkraft, um diesen Fluch nervös zu machen, aber nicht genug, um ihn zu exorzieren. „Sa-toru..“, knurrte sie seinen Namen mit zusammen gebissenen Zähnen. Richtig um Hilfe rufen, schafft sie bei diesem Schmerzpegel nicht mehr, also konnte sie nur zu irgendwelchen Göttern beten und hoffen, dass er es dennoch irgendwie- „Muss wirklich erst ein Fluch an dir knabbern, damit du mich freiwillig so nennst?“, tauchte seine Stimme scheinbar plötzlich neben ihr auf. Gab der Fluch irgendwelche Gifte ab, dass sie ihn gar nicht mitbekommen hatte? Es schien als würde der Weißhaarigen den Fluch einfach wie einen Luftballon mit seiner Hand zerdrücken. Würde Suzuki nicht wissen, dass er das mit ihr auch machen könnte, wäre sie glatt beeindruckt von seinen Fähigkeiten. Durch die fehlenden Spitzen, die bisher ihre Wunden auf gewisse Art und Weise verschlossen hatten, traten nun enorme Mengen Blut aus den Wunden. Gojo griff nach ihrem Arm. Er schien irgendeine Fluchtechnik zu wirken, denn Suzuki spürte dabei regelrecht, wie immer weniger Blut aus den Verletzungen heraustrat. „Ich bin ausnahmsweise nicht gut in dieser Technik, also musst du nochmal zu Shoko und dich ordentlich von ihr behandeln lassen.“, erklärte der Weißhaarige und ließ von ihr ab, woraufhin er endlich die Flasche aus dem Fach des Automaten holte. „Ich habe Ijichi schon Bescheid gegeben, er sollte gleich da sein.“, erklärte Gojo ihr, während sie noch immer ein bisschen abwesend dastand. „… Waren es noch mehr?“, fragte die Grauhaarige träge und blickte ihn an. „Es waren noch weitere bei mir im Zimmer.“, erwiderte er bloß abwinkend und steuerte zum Fahrstuhl. Suzuki wollte gerade zum Aufzug hinüber gehen, als ihr wieder einfiel, dass sie ihr Telefon irgendwo hingeschleudert hätte. Sie sammelte es knapp unter einem fast eingegangenen Blumenkübel auf und stolperte hinüber zu Gojo in die Kabine. Sie versuchte, währenddessen das kleine Telefon zu starten, doch scheinbar ohne Erfolg. Der kleine Rundflug hatte ihm wohl den Rest gegeben. Suzuki seufzte kraftlos und lehnte sich gegen die Wand des Fahrstuhls, wobei sie das Rattern der Maschine spürte. „Ich besorg dir ein neues.“, kam es vom Weißhaarigen, als er ihren Missmut bemerkte. „Darum geht es nicht.“, sprach sie deutlich ruhiger als sonst. Es ging ihr um die Erinnerungen und Bilder, die verloren gingen, wenn sie sich ein neues Telefon besorgte. Der Speicher war zwar nicht enorm, aber dennoch hatte sie vieles dafür gegeben, sich die Dinge ein letztes Mal anzusehen. Die vielen Bilder ihrer Familie und ihres Hundes. Aber vor allem die wenigen Bilder, die sie in den letzten Jahren von Kento machen durfte oder eher heimlich machen konnte. Nach einem prüfenden Blick, als wolle er sicherstellen, dass er ihre Reaktion richtig deutete, nahm er ihr das kleine Telefon aus der Hand und schob es in die Innentasche seines Jacketts. Suzuki blickte ihn träge an, sichtlich unbegeistert von einem möglichen Versuch sie auf die Palme zu bringen. Allerdings hatte sie keinerlei Energie etwas dagegen zu tun. „Es ist wirklich eine Schande, wenn du eine noch tiefere Schnute als sonst schon ziehst.“, sprach der Weißhaarige mit einem spielerischen Grinsen. „Sei still.“, knirschte die Assistentin und verschränkt verstimmt die Arme vor der Brust, wobei ihr deutlich der verwundete Arm schmerzte. Abgesehen davon, dass sie es hasste, auf ihr mitunter sehr unfreundlich aussehendes Gesicht angesprochen zu werden, hatte sie gerade jetzt keinen Nerv für Gojos unnötigen Bemerkungen. Jetzt gerade wollte sie einfach nur weg, doch mindestens der Zwang ihren Arm von Shoko behandeln zu lassen, zeigte ihr die Notwendigkeit, Gojo zur Akademie zu begleiten. So fuhr sie mit Gojo und Ijichi zurück. Und in jedem Moment, in dem sie dort saß, wartete, behandelt wurde und in keinem Moment wusste, ob Kento sich vielleicht unnötig einen Kopf machte oder vielleicht eher noch sauer auf sie war, wurde die Grauhaarige unruhiger. Wobei es Suzuki eigentlich nur darum ging, ihm zu erklären, was los war. Er war doch immerhin sauer, dass sie ihn versetzt hatte, somit war es nur fair, wenn sie es ihm ausführlich erklärte. „Ich habe die Wunde weitestgehend behandelt und bandagiert. Du solltest dir selbst allerdings einen Gefallen tun und den Arm nicht unnötig belasten, damit die Verletzungen nicht aufplatzen.“, erklärte die Ärztin und ließ von Suzukis Arm ab, dessen Verband sie gerade fixiert hatte. „Falls du Schmerzen hast, kann ich dir gerne noch Schmerztabletten mitgeben.“, schlug Shoko vor und wollte schon einer Packung aus einem ihrer Schränke holen. „Alles gut, aber danke.“, sprach die Grauhaarige knapp, aber seufzend und erntete bloß selbige Reaktion von ihrer Freundin. „Es ist löblich, dass du deinen Tablettenkonsum geringhältst, aber nimm wenigstens welche, wenn dir das Einschlafen schwerfallen sollte.“, erklärte Shoko und legte ihre Stirn in Falten. „Ich nehme sie mit, wenn es dich glücklicher macht.“, sprach Suzuki träge, gab jeglichen Widerstand auf und stand nun endlich nach der sich ewig anfühlenden Behandlung auf und verließ das Zimmer. Am liebsten hätte sie augenblicklich geweint, als sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, zu stressig und zu viel waren all die Emotionen, die sie gerade spürte, doch wenigstens noch einen kleinen Moment, bis sie zuhause war, musste sie noch ausharren. Da war so viel, dass sie sagen, tun oder fühlen wollte, doch nichts davon konnte sie gerade zeigen, geschweige denn verstehen oder gar artikulieren. Sie hatte keine gute Herangehensweise für solche Fälle. Die zwei Weinflaschen in ihrer Tüte, die sie zusammen mit etwas Fertigessen im Supermarkt gekauft hatten, sprachen Bände. Vermutlich würde sie zuhause etwas trinken, bis ihr Verstand schwammig wurde und zocken, bis ihr die Augen schmerzten. Erst als Suzuki ihre Wohnungstür aufschließen wollte, schaltete sich der Autopilot ihres Gehirns ab. Sie war skeptisch geworden, als sie bemerkte hatte, dass die Tür nicht verschlossen gewesen war. Hatte sie vergessen die Tür abzuschließen, als sie gegangen war? So öffnete sie, mental schon auf den größten Schreck vorbereitet, die Tür und wurde vom angenehmen Licht ihrer kleinen Lampe empfangen, die zwischen ihrem Bett und dem großen Sessel auf einem Nachttisch stand. Sie stand einfach nur dort in der geöffneten Tür. Versuchte Fassung zu bewahren, sehr gut daran zu erkennen, wie sie sich an ihren Beutel zu klammern versuchte, um ihn nicht vielleicht doch fallen zu lassen. Nanami, der in ihrem Sessel saß, dort, wo sie jetzt eigentlich bei einer Flasche Wein bis in die Morgenstunden zocken wollte, blickte von seiner Lektüre auf, bevor er in einer Bewegung das Buch aus der Hand legte, aufstand und zu ihr hinüberkam. Der Blonde sagte nichts, schloss nur vorsichtig seine Hand, um ihre, die sich an den Beutel klammerte, um ihr diese Last endlich abzunehmen. Vorsicht stellte er die Tüte mit den Einkäufen zu Boden und begutachtet schweigend mit einem bitteren Ausdruck ihren Arm. Vorsicht zog er sie an ihrer Taille zu sich und schloss die Tür hinter ihr, sobald sie nicht mehr mitten im Eingang stand. „… Warum bist du hier…?“, presste die Grauhaarige die Worte hervor, wobei sie mehr als froh war ihn bei sich zu haben. Seinen Geruch, der sich allmählich um sie schloss, versuchte ihr beinahe all die fiesen Gedanken, die sie plagten, zu vernebeln. Zögerlich lehnte sie sich an ihn und spürte wie sich seine Arme vorsichtig um sie schlossen. „Weil ich wollte.“, sprach er nur knapp mit seiner tiefen Stimme und strich ihr mit einer Hand sanft über den Rücken. „Ich bin froh, dass du jetzt auch hier bist.“ Die Grauhaarige fühlte sich, als wäre sie nach einem ganzen Tag in der eisigen Kälte endlich in einen warmen Raum getreten. Jede Faser ihres Körpers wurde bei seinen Berührungen allmählich wieder warm. „… danke…“, sprach Suzuki noch leiser werdend und bröckelte regelrecht in seinen Armen. Sie wollte einfach nur noch weinen. Diese ganzen Gefühle waren viel zu viel. Und seine Worte waren nun der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. So drückte sie ihr Gesicht an seine Schulter und lehnte ihren Körper an ihn. Die Grauhaarige bebte unter Tränen stumm. Nanami verstand dabei wohl sofort, dass für die Assistentin alles ein wenig zu viel war, denn er hielt sie einfach und strich ihr in einem gleichmäßigen Rhythmus über den Rücken. So spürte er auch, wann das Schluchzen, dass das Beben verursachte, verebbte. „Lass mich dir dein Essen aufwärmen.“, sprach der Blonde ruhig und blickte zu Suzuki hinunter. „Wenn du willst, kann ich auch bleiben und dir helfen.“, schlug er vor, wobei er seiner Kollegin wohl keine andere Möglichkeit offenlegen würde, würde sie ablehnen. Doch mit Suzukis zögerlichen Nicken war eine weitere Diskussion ohnehin nicht notwendig gewesen. Gojo hatte extra ein paar Kontakte spielen lassen, um Suzuki ihr Telefon bis zum nächsten Morgen bringen zu können. So stand er frühs an ihrer Wohnungstür und klopfte. Ihm war die Überraschung ins Gesicht geschrieben, als ihm nicht die grauhaarige Assistentin, sondern Nanami die Tür öffnete. „Was gibt’s?“, fragte der Blonde knapp und nutzte das noch etwas irritiert sein seines Gegenübers. „Nanamin, wa-” „Sei leiser, sie schläft.“ Gojo war beeindruckt. Er wusste, dass etwas zwischen den beiden lief, doch nicht, dass es scheinbar schon so viel war. „Hast sie wohl erst spät schlafen lassen, wie?“, erwiderte der Weißhaarige grinsend und erntete nur einen unbegeisterten Blick. „Was willst du?“ „Ich habe Suzukis Schatz retten lassen.“, erklärte sich Gojo, ohne dass der Blonde groß nachhaken musste und reichte seinem Kollegen eine kleine Tüte, in der sich, wie er feststellte, ein Handy befand. Sie hatte Nanami erzählt, dass Gojo es ihr abgenommen hatte, hatte es allerdings als schlechten Streich abgetan. Sie wird sich über diese Entwicklung also wohl freuen. „Sonst noch was?“, fragte der Blonde nach. Auch wenn ihm danach war, wäre es wirklich zu unhöflich gewesen Gojo nun die Tür vor der Nase zu zuschlagen. „Grüße meine liebste Nanami-chan von mir, wenn sie wach ist.“, wank der Weißhaarige mit grinsender Visage ab und warf seinem Kollegen noch einen Kuss entgegen, bevor er sich lachend in Richtung Treppe umwandte und ging. Entnervt seufzend schloss der Blonde die Tür und fischte neugierig das Telefon aus der Tüte. Es war nicht mehr das Modell, dass sie vorher hatte, was also hatte der Depp mit ‚Schatz‘ gemeint. Als Nanami dann allerdings das Display aufleuchten ließ, wusste er warum. Unter der Uhrzeit und dem Datum zeigte sich ein Bild von ihm und Suzuki bei einer ihrer Familienfeiern, auf der sie gemeinsam waren. Vielleicht hatte ihr Bruder oder ihre Mutter das Foto gemacht. Eigentlich auch vollkommen egal. Alleine der Fakt, dass das scheinbar ein Schatz für sie war, gab dem Blonden ein warmes Gefühl in der Brust. So legte er das Telefon beiseite und ging wieder zurück. Eigentlich wollte er sich in den Sessel neben ihr Bett setzen und lesen, damit sie ungestört ausschlafen konnte, doch wie er sie zwischen Kissen und Decken so bequem zusammen kauern, sah, war sein Entschluss zurück zu ihr ins Bett zu steigen sehr schnell gefallen. Kapitel 14: ------------ Müde blickte Suzuki sich auf der Straße um und lauschte dem Tuten ihres Telefon. Gojo hatte sie extra um diese Uhrzeit hierher bestellt und nun ließ er sie einfach hier stehen? Dieser Hund hatte ihr zwar Geld versprochen, aber trotzdem ging ihr das Ganze allmählich gegen den Strich. Sie hätte ihm nicht sagen sollen, dass sie für die richtige Bezahlen so ziemlich alles macht. Beim vierten Versuch beantwortete Gojo dann endlich den Anruf. „Ah, Nanami-chan. Schön, dass du es einrichten konntest. Fahr doch bitte ins Penthouse, er wartet bereits.“, sprach er ungewöhnlich knapp und legte direkt wieder auf, bevor die Grauhaarige überhaupt eine Chance hatte ihn anzumeckern und zu beschimpfen. Entnervt blickte sie das Haus hinauf, zu dessen Adresse Gojo sie geschickt hatte. Wer sollte da bitte im Penthouse auf sie warten? War das schon wieder ein schlechter Streich von ihm? Seufzend gab sie nach. Also begab sich die Grauhaarige zu den Fahrstühlen, sich die Schlefe massierend, als ihr wieder ihre Lage in den Sinn kam. Diesen Monat brauchte sie das Geld. Es kamen viele unerwartete Ausgaben zusammen. Außerdem sparte sie für eine Konsole, die neu auf den Markt gekommen war. Also war sie eigentlich über jede Gelegenheit, Geld zu verdienen, glücklich. Und da nahm sie nicht nur die mehr als dankbaren Auslandseinsätze, auf die sie Gojo auf seine Empfehlung hin mitnahm, sondern eben auch seinen unsinnigen Kleinkram. Wenigstens bezahlte er auch wirklich jede ihrer Mühen, dass musste man ihm lassen. Dieser verdammte Bastard war wirklich zuverlässig, was seine Finanzen anging. Also wiederholte sie im Kopf, dass sie Geld bekommen würde und versuchte sich mit dieser Aussage zu beruhigen. Dennoch folgte Suzuki seinen Anweisungen erst nach etwas mehr leisem Gemeckere und fuhr ins Penthouse hinauf. Als sich, oben angekommen, die Tür des Fahrstuhls öffnete, blickte sie sich um. Es war eine schick eingerichtete Wohnung. Bei der Lage kostete sie sicher auch eine gute Stange Geld. Die Grauhaarige trat also hinein, doch horchte. Sie hörte ein Geräusch, dass einem Hecheln am nächsten kam. Als sie ihren Scan einsetzen wollte, sprach sie ein Junge an. „Wer bist du?“, sprach er misstrauisch, während sie ihn scannte und hinter seinen Beinen zwei Hunde hervortapsen sah. Einer schwarz, der andere weiß, mit je einem kleinen roten Symbol auf der Stirn. Sie reichten dem Jungen etwa bis zu den Knien und wirkten noch sehr drollig, doch allein aus ihren Lauten konnte Suzuki schließen, dass die Hunde sehr gefährlich waren oder mindestens noch werden würden. „Gojo hat mich hierher geschickt.“, sprach sie und nahm sicherheitshalber als Reaktion auf ihn eine Abwehrhaltung ein. „Der Augenbindenträger?“, fragte er darauf nur entnervt und kratzte sich stöhnend den Hinterkopf. Beim genaueren betrachten, war der Junge vielleicht zehn, elf oder höchstens zwölf. Auf jeden Fall noch im Wachstum. Die Hunde verschwanden und mit ihnen auch der leichte Blau Schimmer, der sie und den Jungen zuvor umgab. Die Situation entspannte sich augenblicklich, also zog auch Suzuki ihren Scan zurück. „Du bist scheinbar ähnlich begeistert von ihm, wie ich. Darf ich fragen, wie Du heißt?“, fragte die Grauhaarige nach einem Moment der Ruhe allmählich nach und knöpfte ihr Jackett auf. „Megumi Fushiguro.“, antwortete der Junge knapp und beäugte die Grauhaarige noch immer skeptisch. Den Namen hatte die Assistentin irgendwo schon einmal gelesen, aber eine direkte Verbindung konnte sie nicht finden. Scheinbar hielt Gojo diesen Jungen hier ein wenig vor der Jujutsu Welt versteckt, oder zumindest kam es ihr so vor. „Freut mich dich kennen zu lernen, Fushiguro. Ich bin Nanami Suzuki. Leider hat mir Gojo nicht gesagt, warum ich her kommen sollte. Gibt es etwas, womit ich dir helfen kann?“, fragte sie mit einem leichten Lächeln auf den Lippen nach und beäugte den Jungen. Er dachte einen Moment sichtbar nach, bevor er sich genervt stöhnend die Hand an den Kopf schlug. Er war wohl auf einen Grund gestoßen. „Kannst du Englisch?“, fragte er knapp und ließ die Hand auf seinem Gesicht ruhen. „Wie?“, fragte die Grauhaarige verwundert nach. Sie war nicht übermäßig gut im Sprechen, aber im Schreiben, Lesen und Verstehen. Für Gojo also gut genug, um sie als Ersatz für ijichi mit auf kürzere Auslandsreisen zu nehmen. „Ein wenig.“, antwortete sie also, worauf Fushiguro entnervt sein Nasenbein zwischen Zeigefinger und Daumen rieb. „Ich habe von meinem Lehrer Empfehlungen für eine mögliche Mittelschule bekommen. Die, auf die ich gehen möchte, ist leider nicht dabei.“, begann er zu erklären und senkte die Hand, nur um seine Arme dann vor seiner Brust zu verschränken. „Er hat gefragt, welches Fach das Problem ist…“ „Nachhilfe also.“, erwiderte Suzuki amüsiert und blickte sich nach einem Tisch um, welchen sie fand und darauf deutete nur um dorthin hinüber zu gehen. „Zeig mir mal dein Lehrbuch und erkläre mir, wobei du Probleme hast.“, erklärte sie beim Gehen und zog sich das Jackett aus. Dabei ließen die Messer, die am Holster unter ihren Armen hingen und nun freigelegt wurden, sie deutlich bedrohlicher aussehen, als es ihre müde Mimik in den meisten Fällen schon tat. Doch der schwarzhaarige Junge schien damit keineswegs ein Problem zu haben, als er mit verschiedenen Büchern und Heften, die er scheinbar bis eben selbst genutzt hatte, zu ihr zurück kam. Sie ließ sich von ihm erklären, was sie durchgehen sollten und schlug diese Themen im Lehrbuch nach. „Wann ist denn die Aufnahmeprüfung für die Mittelschule?“, fragte sie während sie zwischen den Themen hin und her blätterte. „In etwas mehr als zwei Wochen.“ „Noch knapper ging es nicht, oder?“, seufzte sie und sah ihn an, allerdings blickte er ganz verkrampft auf seine Hände und stand noch immer wie eine Salzsäule neben ihr. Suzuki seufzte. „Ich ärgere mich über deinen Lehrer. Du kannst dafür nichts. Er hätte dir früher Bescheid geben müssen.“, erklärte sie, um den Jungen etwas zu entspannen, was auf diese Art sogar ganz gut klappte, immerhin setzte er sich nun sogar neben sie, auch wenn sein Blick noch immer auf seinen Händen ruhte. Nach einigen Minuten, in denen die Grauhaarige stumm die Grammatik aus dem Buch studierte, fügten sich verschiedene Informationen die sie entweder selbst in der Schule gelernt hatte oder beim aktiven Ausüben der Sprache in den letzten Monaten festgestellt hatte, zusammen und ergaben so konkret vor ihr stehend endlich noch mehr Sinn. Sogar soviel Sinn, dass sie es dem Jungen einigermaßen überzeugend erklären konnte. Er war keineswegs auf den Kopf gefallen, aber ihm schienen Sprachen wohl nicht sonderlich gut zu liegen, vermutlich einer der logischen Sorte. Nach knappen zwei Stunden merkte man nicht nur ihm sondern auch ihr an, dass sie sich nur noch mit Mühe auf die Übungsaufgaben, die sie sich überlegt hatten, konzentrieren konnten. „Es hat nicht viel Sinn heute noch weiter zu machen.“, erklärte sie und blickte in Megumis angestrengt drein blickendes Gesicht. „Hattest du schon etwas gegessen?“, fragte sie nach und stand auf, während sie ihren Körper etwas streckte. „Nein, ich bin noch nicht dazu gekommen.“, erwiderte er und legte den Stift ab. „Wollen wir zusammen etwas kochen?“ „Meine Schwester müsste aber auch bald von ihrer Nachhilfe zuhause sein.“ Er hatte eine Schwester? Bisher hatte er sich mit jeglichen persönlichen Informationen recht bedeckt gehalten. „Dann kochen wir etwas mehr, sicher hat sie Hunger, wenn sie zurück kommt.“ Mit einem zögerlichen Nicken von Megumi begaben sich beide in die Küche. Er kümmerte sich äußerst gewissenhaft um das Waschen, Kochen und Würzen vom Reis, er schien damit Erfahrung zu haben, während Suzuki alles, was sie in irgendeiner Art als Beilage verwenden könnte, hauptsächlich verschiedenes Gemüse, klein schnitt und mit Öl und Gewürzen in eine Pfanne gab und anbriet. „Warum bist du nicht gemeinsam mit deiner Schwester bei der Nachhilfe?“ „Sie muss davon nichts wissen.“ War er eitel? So hatte er bisher gar nicht auf Suzuki gewirkt. Vielleicht höchstens distanziert, aber mehr auch nicht. „Dann bin ich eben einfach nur hier, weil Gojo sich gesorgt hat. Sag ihm das aber, sonst quatscht er es noch aus.“, erklärte sie ihm und verdiente sich damit wohl irgendwie ein bisschen was von seiner Anerkennung. Sie wusste nicht, wie sie es sonst erklären sollte. Irgendwie hatte sie dieses Gefühl. Als die beiden das Essen fertig gekocht und sich zu Tisch begeben hatten, kam nicht wie erwartet seine Schwester, sondern Gojo hochgefahren, während beide so ziemlich den ersten Bissen nahmen. „Nanami-chan, ihr habt es euch ja richtig gemütlich gemacht. Dachte mir schon, dass du ein Händchen für die verschlossene Art von Menschen hast. Wie mir scheint hat alles soweit geklappt. Das Meeting hat leider länger gedauert, sonst hätte ich dich natürlich persönlich empfangen.“, summte der Weißhaarigen lachend. „Hättest du eh nicht.“, blockte sie ab und nahm einen weiteren Bissen. Beide, Suzuki und Megumi, musterte den Brillenträger skeptisch, als dieser sich einfach zum Schrank begab um sich Geschirr und Besteck zu nehmen, um gemeinsam mit ihnen zu essen. „Kannst Du morgen wiederkommen? Immerhin hat Gojo dich ja eingestellt, damit ich nicht den ganzen Tag allein bin, wenn er und meine Schwester weg sind.“, sprach der Schwarzhaarige als er seine erste Portion aufgegessen hatte, anscheinend Suzuki an, doch zeigte deutlich, dass das eigentlich an den anderen ging. Der Jujuzist blickte beim Klang seines Namens auf, als hätte er dem Jungen nicht schon die ganze Zeit über zu gehört. „… dafür habe ich Nanami-chan also eingestellt. Wie umsichtig von mir.“, erwiderte er grinsend und blickte von Megumi zu Suzuki. Sie lächelte, war scheinbar wirklich erfreut über die Worte des Jungen. Es glich bald schon der naiven Freude eines Kindes. Doch als sie zu Gojo hinüber sah verstand er ihren sich ändernden Ausdruck sofort – bezahle mich dafür! Er musste zwangsläufig Grinsen, während er sein Essen kaute. Diese Frau war einfach herzlos. Kapitel 15: ------------ 7. Dezember, Satoru Gojo hatte seine Freunde und Kollegen, welche an und für sich ein und dieselben Personen waren, zu seinem Geburtstag eingeladen. Eine Feier, die die meisten wahrscheinlich lediglich aus Pflichtgefühl besuchten… oder weil Gojo etwas gegen sie in der Hand hatte. Seitdem Suzuki sich mehr oder weniger regelmäßig und freiwillig mit Gojo traf, gehörte auch sie der kleinen Runde an. Die kleine Feiergemeinschaft bestand neben ihr noch aus Shoko Ieiri, Kiyotaka Ijichi, Kento Nanami und dem Geburtstagskind selbst. Mei Mei und Utahime von der Kyotoer Oberschule wären sicher auch gekommen, hätten sie dafür Zeit gefunden. Mit Sicherheit. Allein schon das mächtig aufgetafelte Essen in der gemieteten Kneipe machte den Eindruck, sie wären noch immer eingeplant gewesen. Nach dem Essen verabschiedeten sich Nanami und Ieiri zur Bar, um sich einen Absacker zu genehmigen, Suzuki und Ijichi lehnten dankend ab, nur Gojo, der eigentlich garkeinen Alkohol vertrug, war scheinbar nach dem reichlichen Essen leichtsinnig geworden und folgte den Beiden fröhlich an die Bar. Suzuki und Ijichi ihrerseits versanken vollkommen in ihrer Unterhaltung über die Arbeit, Empfehlungen von verschiedensten Serien und dem aktuellen Zustand der Zimmerpflanzen auf ihren Fensterbänken, welche der Sekretär in den meisten Fällen von seiner Kollegin selbst bekommen hatte. Nach etwa zwei Stunden fanden sich die beiden dann endlich in der Realität wieder. Hecktisch blickte Ijichi auf seine Uhr und sprang regelrecht auf. Auch Suzuki überkam nach so langer Zeit der Ruhe die Sorge, wo der Rest ihrer Gruppe abgeblieben war. Also machten sich beide auf den Weg zur Bar. "Was ist denn hier passiert?", fragte Suzuki überrascht, als sie und Ijichi zum Rest der Truppe stießen. Ieiri und Nanami hingen beide etwas leblos über dem Tresen, wobei sie sich im Gegensatz zu ihm wenigstens noch mit den Armen abstürzte und hämisch auf ihn hinabblickte. "Bei der großen Auswahl wollten wir die Spirituosenkarte ausprobieren... Wie oft gibt es die Chance auf Satorus Kosten zu trinken...", erklärte die Dunkelhaarige und schob die Gläser vor sich zurück zum Barkeeper. "Nanami hat sich wirklich gut geschlagen. Er hingegen hängt schon seit dem ersten Glas so da.", fügte sie an und deutete neben sich auf den ebenfalls auf den Tresen gesunkenen Gojo. "Sogar Gojo hast du zum Trinken überredet?", fragte Ijichi überrascht und wurde nur noch nervöser als ohnehin schon. "Beruhige dich, Ijichi. Ieiri sieht noch verhältnismäßig fit aus und mit Gojo kommst du doch klar. Um Nanami kann ich mich kümmern, keine Sorge.", schlug die Grauhaarige vor und tippte dem Brillenträger gegen die Schulter, um seine Aufmerksamkeit vom Problem zu sich zu lenken, wodurch sich sein Gesicht aufklarte und er ihr etwas entspannter zu nickte, nachdem er einmal durchatmete. Der Sekretär machte sich sofort daran Ieiri zum Gehen zu motivieren und hängte sich irgendwie den riesigen Gojo über die Schulter. So beladen verabschiedete er sich freundlich winkend und verschwand mit dem Weißhaarigen und der etwas torkelnden Ieiri aus der Tür. Er war wirklich ein beeindruckender Kerl. Suzuki musste etwas grinsen, als sie ihm hinterher sah. „Bitte noch ein Wasser und einen kalten Grüntee, wenn sie haben.“, bestellte sie und wandte sich nun ihrem Schützling zu. Sie strich Kento kurz über den Rücken und schob dann sein Gesicht zu sich. Seine Augen waren noch offen, nicht sonderlich weit, aber selbst sein träger Blick behielt all ihre Bewegungen im Blick. Das hieß für Nanami, er schlief wenigstens nicht, wie sie auf dem ersten Blick noch befürchtet hatte, allerdings sah er aber auch nicht übermäßig aktiv aus. „Obwohl, lassen sie es lieber. Der sieht nicht so aus, als könnte er schon wieder etwas trinken.“, korrigierte sie ihre Bestellung gegenüber dem Barkeeper und entschuldigte sich für die Umstände. „Steh bitte auf, wir müssen dir deinen Mantel anziehen. Draußen ist es sonst zu kalt.“, wies Suzuki den Blonden ruhig, aber konsequent an. Es dauerte einen kurzen Moment, bis eine Reaktion kam, doch anders als erwartet, dauerte das ganze gar nicht mal so lange. Sie war durch die ein oder andere Familienfeier von ihrem Bruder bedeutend schlechtere Reaktionen gewohnt. Wobei es von außen sicher witzig aussehen musste, wie er versuchte aufzustehen und das Gleichgewicht zu halten, fast schon erinnerte er an einen Pinguin, der seine Flügel beim Laufen etwas vom Körper streckte, um nicht unbeholfener Weise zu einer Seite umzukippen. Die Grauhaarige bemühte sich Nanami so gut wie möglich beim Gehen abzustützen und irgendwie in Position zu halten. Es war kein weiter Weg bis zu seiner Wohnung, doch knapp dreißig Minuten konnte es in diesem Tempo dennoch schon gedauert haben. Suzuki vertrieb sich, währenddessen die Zeit mit Selbstgesprächen, anders konnte man das nicht nennen, denn die einzige Reaktion von Nanami war ein Brummen und dieses blieb, anders als sonst, jedes Mal gleich. Sie sprach über die neuesten Highscores die sie in ihrem Spiel erreicht hatte, was sie vom aktuellen Kapitel ihres Lieblingsmanga hielt oder welche Figuren sie in der Serie, die sie gerade schaut, am liebsten zusammen sehen wollte. Eh Suzuki sich versah, stand sie mit dem Blonden vor der Tür des Apartmenthauses, dem Fahrstuhl und dann auch schon seiner Wohnungstür. "Entschuldige bitte Kento.", erklärte Suzuki und lehnte ihn gegen die Wand, während ihre Hand systematisch durch seine Mantel- und Hosentaschen suchte. In der vorderen Hosentasche wurde sie endlich fündig und schloss die Wohnungstür auf. Vorsichtig nahm sie seine Hand und zog ihn mit hinein. Grummelnd setzte er einen Schritt nach dem anderen. Suzuki umfasste vorsichtig seine Taille und schob hinter ihm die Tür ins Schloss. Laut brummend legte der Blonde seinen Kopf auf ihre Schulter. "Ach Kento... So hab ich dich ja noch gar nicht erlebt. Wie viel hast du bitte getrunken?", seufzte sie und strich ihm leicht über den Rücken, als könnte sie so sein Unwohlsein lindern. "Lass mich dir deinen Mantel ausziehen, dann kann ich dich ins Bett bringen." Erneutes Brummen. Vorsichtig schob sie ihm den Wollmantel über die breiten Schultern und ließ diesen einfach hinter ihm auf den Boden fallen. "Schaffst du die Schuhe allein? Ich halte dich auch fest.", fragte sie ihn im ruhigen Ton und versuchte diesen großen Mann irgendwie abzusichern, woraufhin er dieses Mal fast schon knurrte und versuchte aus seinen Schuhen zu schlupfen. Nach ein paar Versuchen hatte er es geschafft, seine Füße von den Schuhen zu befreien. "Nimm bitte wieder deinen Kopf hoch, ich würde für den Moment auch noch meinen Mantel ausziehen wollen.", bat sie ihn, doch kassierte ein verneinendes Brummen. Scheinbar war ihre Schulter in der perfekten Höhe um als Ablage für seinen dröhnenden Kopf zu dienen. „Nur ein kleines Stück. Ich räum dafür auch noch ein wenig auf.“, versuchte sie mit ihm zu verhandeln, was überraschender Weise sogar fruchtete, denn der Blonde hob leicht seinen schweren Kopf von ihrer Schulter, wobei er sich nun mit seinen Händen etwas Halt an ihr suchte und diesen an ihrer Taille fand. Auch unter diesen erschwerten Bedingungen schaffte die Grauhaarige es irgendwie ihren Mantel auszuziehen und ließ ihn ebenfalls neben sich auf den Boden sinken. Zeitgleich senkte sich wieder der Kopf von Nanami auf ihre Schulter und Suzuki versuchte mit süßen Worten und sanften Bewegungen ihrer Hände über seinen Rücken diesen Mann davon überzeugen, dass sein kaltes Bett viel besser wäre als ihre liebevolle Umarmung, in der er sich gerade befand. Sein warmer Atem kitzelte an ihrem Hals und ließ ihr allmählich die Beine weich werden. Schöner hätte man sie in solch einer Situation vermutlich nicht quälen können. Sie musste sich wirklich zusammenreißen. Umso länger er so nah bei ihr war, desto mehr schien auch nach und nach sein Geruch ihre Sinne zu vernebeln. Ihr Herz pochte so laut, dass sie die gesamte Zeit über Sorge hatte, er könnte es einfach so hören. „Verdammt Kento… Wenn du nicht gleich aufhörst so liebenswert zu sein, dann kann ich dir nicht versprechen, dass ich heute noch nach Hause will…“, jammerte Suzuki leise, eher zu sich selbst als alles andere, und legte eine ihrer kalten, aber scheinbar etwas schwitzigen Hände auf ihr viel zu warmes Gesicht, um es ein wenig zu kühlen. „… dann bleib.“, überraschte sie die tiefe Stimme Nanamis neben ihrem Ohr und verpasste ihr eine Gänsehaut. Als wäre diese Überraschung nicht genug gewesen, begann sie leise zu säuseln, als die Grauhaarige eine für sie noch immer ungewohnte aber unglaublich weiche Berührung an ihrem Brustbein spürte. Weiter über ihre Schulter küsste er fast schon quälend langsam ihren Hals hinauf. Ihr Geist vergrub sich dabei regelrecht in dieser ihr irgendwie so fremden Wärme und Zärtlichkeit, nach der sie sich gleichzeitig aber so sehr sehnte. Als Kento sich für einen kurzen Moment von ihr löste und versuchte sich etwas aufrichten, packte Nanami ihn ungeduldig am Kragen seines Hemdes und zog ihn fast schon ungewöhnlich heftig an sich, um ihn einen gierigen Kuss auf die Lippen zu drücken. Etwas von dem sie Jahre lang allein in ihrem Bett geträumt hatte, aber eben nur geträumt hatte. Sie hätte es sich nicht getraut und schwärmte lediglich nur aus der Ferne dafür. Doch jetzt gerade war es die Realität. Und kein Gedanke wagte es diese Realität zu durchqueren. Hier waren nur er, sie und dieses behaglich warme Gefühl von Lust in ihrem Inneren. Erst überrascht, sich dann allerdings dem Gefühl hingebend, schloss der Blonde einen Arm um Nanami und verankerte seine andere Hand in ihrem Haar, um sie beinahe noch näher bei sich zu haben. Schwer atmend löste er sich nach einem hitzigen Kuss von ihr, griff von außen unter ihre Oberschenkel und zog sie so nach einer minimalen Pause an sich, wobei er sie in derselben Bewegung anhob. Nur einen kurzen Moment erschrak Nanami vor dieser verlorenen Kontrolle und klammerte sich mit Armen und Beinen an ihn, doch konzentrierte sich bald wieder gänzlich auf Kento, als sie dessen Arme als Sicherung spürte. Sein leises ‚ich halte dich‘ zauberte ihr ein Lächeln auf die Lippen. War das wirklich noch derselbe Mann, den sie eben noch stützen musste, damit er nicht fiel, weil er so viel getrunken hatte? Erneut drückte die Grauhaarige ihm gierig einen ungehaltenen Kuss auf, den er nur zögernd erwiderte. Wobei sie merkte, dass sie sich bewegten. Daher war wohl seine verhaltene Reaktion zurückzuschließen. Hier zeigte sich dann scheinbar doch der Alkoholkonsum. „Kento, du musst mich nicht tragen.“, summte sie lachend und lehnte ihre Stirn gegen seine, um ihn nicht weiter mit Küssen abzulenken und gar noch zum Stolpern zu bringen. „Ich würde dich am liebsten immer auf Händen tragen.“, antwortete er tief brummend und pausierte für einen Augenblick, in dem er ihr tief in die Augen schaute. „Du hast mich bereits getragen… Du hast mich bereits auf Händen getragen, als ich nichts als Dunkelheit um mich herum gesehen habe…“, sprach sie leiser werdend. Ihre Stimme schien allmählich zu wackeln. Nun hatte sie ihre bitteren Gedanken doch auch in dieser Realität einholen können. „Und ich werde dich immer wieder tragen. Jeden Schritt, den du alleine tun willst, werde ich bei dir sein und dich stützen und jeden Schritt, für den du dich zu schwach fühlst, trage ich dich. Ich werde da sein.“, sprach er, fast schon verloren in ihren Augen, die sich an ihren Rändern mit kleinen Tränen füllten. Ein leises ‚Danke‘ presste sie hervor und wandte den Blick ab, doch der Blonde drückte ihr sanfte Küsse aufs Gesicht, bis sie ihn durch leicht gerötete Augen ansah. Dieses Feuer in ihrem Inneren war weich geworden und keiner musste mehr Angst haben sich gnadenlos daran zu verbrennen. Sie küssten einander mit einem Mal so sanft, als hätten sie Sorge den anderen zu verletzen, doch im nächsten Moment wieder so zügellos, als wüssten sie, dass der andere es aushalten würde. Die letzten Schritte bis zu seinem Bett im angrenzenden Schlafzimmer wirkten in ihrem aktuellen Tempo so ewig weit, doch warum sollten sie sich hetzen? Sie hatten doch auch ewig Zeit. Füreinander hatten sie alle Zeit der Welt. Und dies war beiden mehr als bewusst Kapitel 16: Villian AU II. -------------------------- „Hasegawa, ich bin enttäuscht.“, die tiefe Stimme Nanamis brummte gleichmäßig durch das modern eingerichtete Büro. Hasegawa, ein Mann Ende Zwanzig, schon jetzt allmählich grau werdendes Haar und abseits des Verhandlungstisches ein eher träges Auftreten, kauerte vor dem riesig scheinenden Schreibtisch auf dem Boden. Er wog vermutlich ab, wie hoch seine Chancen lagen, nach diesem Vergehen, wie sein ehemaliger Kollege vor ein paar Monaten zu ‘verschwinden’. Dieser soll allerdings, anders als Hasegawa seine Finger nicht von der Sekretärin des Chefs gelassen haben. Es war scheinbar so häufig vorgekommen, dass der Boss ihn … nun ja … verschwinden lassen hat. Hasegawa hatte stets seine Griffel von Frauen gelassen, die eindeutig etwas mit jemanden am Laufen hatten, auch wenn die beiden es wahrscheinlich nie auch nur so ähnlich benennen würden. „Du hast uns eine Gewinnsteigerung von mindestens 50% gegenüber dem eigentlichen Deal versprochen, wenn wir dir das Geschäft in die Hände legen. Doch nun wurde dir das Fluchwerkzeug, der Mittelpunkt des Deals, abgenommen. Wie denkst du diesen Verlust zu kompensieren?“, sprach Nanami und machte sich nicht einmal die Mühe von den Unterlagen in seiner Hand zu Hasegawa zu blicken. „… Ich weiß es nicht…“ „Du bist nicht zu verstehen.“, mahnte die Frau, die stets im Schatten des Bosses stand. „Ich weiß es nicht, Boss!“, wiederholte Hasegawa sich deutlicher. “Das ist schade, Hasegawa. Jetzt müssen Shizuku, Suzuki und ich deinen Fehler ausbaden. Aber du darfst uns gerne entgegenkommen und den Finger mit uns zurückholen.”, erwiderte der Blonde und blickte zum noch immer Kauernden hinunter. “Sir, ihnen ist bewusst, das Shizuku beinahe keine Fluchkraft besitzt?”, warf seine grauhaarige Sekretärin ein, während sie Unterlagen auf einem Klemmbrett durchblätterte. Sie wäre ein Bauernopfer, wollte sie Hasegawa absichtlich offenlegen. “Durchaus.”, erwiderte Nanami und drehte sich mit seinem Stuhl zu ihr. “Du bist heute sehr gesprächig, Suzuki. Ist dir etwas Gutes passiert?”, sprachen die beiden so gewöhnlich, als gäbe es keinerlei Spannungen neben ihnen in ihrem Büro. “Mein Bäcker hat einen bestimmten Kuchen im Sortiment behalten.”, erklärte sie und lächelte ihm entgegen, was er freudig abwank. Sie hatte schon des Öfteren davon erzählt, dass sie einen bestimmten, bisher saisonalen Kuchen gerne mochte und Sorge hatte, sie würde ihn bald nicht mehr zu kaufen kriegen. Sogar Hasegawa hatte davon mehr als einmal etwas mitbekommen. „Jetzt steh endlich auf, du bist immer so überdramatisch!”, zischte Nanami nach einer kurzen Pause, in der er zu Hasegawa sah und warf die Unterlagen vor sich auf den Tisch. Der Blonde wusste, dass sein Angestellter ausgezeichnete Arbeit leistete und durchaus in der Lage war seinen Fehler auszubügeln. Wäre er ein offizieller Jujuzist gewesen, wäre er sicher als Rang 2 oder Semi-Rang 1 eingestuft worden. Solch einen kompetenten Assistenten durfte Nanami nicht einfach bei der erst besten Gelegenheit beseitigen. “Suzuki und Shizuku begleiten dich derweil zu deinem heutigen Klienten.“, instruierte Nanami ihn nach dem kleinen Smalltalk mit Suzuki nun wieder mit fester Stimme, wodurch Hasegawa sich mit schmerzenden Knien erhob und nach kurzen Dankesformeln eilig den Raum verließ. “Was soll das? Ich dachte, Sie würden allein kommen, Herr Hasegawa?!”, sprach der Kunde, ein unförmiger, alter Mann, mürrisch, als aus dem vorgefahrenen Auto nicht nur der erwartete Hasegawa, sondern auch Suzuki und Shizuku ausstiegen. “Sind Sie etwa schüchtern?”, funkelte Suzuki ihn an, doch kassierte nur ein erzürntes Knurren, welches sie mit einer leichten Handbewegung abtat. “Entschuldigen Sie bitte, dass die Kolleginnen Suzuki und Shizuku mich begleiten, war eine sehr kurzfristige Entscheidung vom Chef persönlich.”, erkläre Hasegawa, wie der geborene Diplomat, der er war. “Ich hätte sie über diese Änderung in Kenntnis setzen müssen, entschuldigen Sie, der Fehler liegt bei mir.” “Naja, ändert ja am Geschäft nichts.”, stieß der Kunde sauer aus und wank ab. Füße lecken mit vielen Entschuldigen war die beste Taktik bei diesem Kaliber, Hasegawa war diese Vorgehensweise bewusst, doch Suzuki würde so etwas nicht tun. Nur für die richtige Summe und die Heutige schien wohl noch darunter zu liegen. “Wir haben leider einen engen Zeitplan, also könnten wir...?”, begann die Grauhaarige und tippte auf ihre Uhr, ihr Wink mit dem Zaunpfahl wurde verstanden, so wie der Alte seine Untergebenen losscheuchte. Suzuki warf einen prüfenden Blick auf die Koffer mit Geld, die vor ihr geöffnet wurden. Mit einer kurzen Handbewegung signalisierte sie Shizuku und Hasegawa, sie sollen die Koffer entgegennehmen und ins Auto räumen. Sobald das Geld verräumt war, brachte die Assistentin einem im Vergleich zu den gerade verräumten Koffern kleinen, metallischen Kasten und reichte diesem den Angestellten des Kunden, von welchem sie zuvor einen der Geldkoffer gereicht bekam. Suzuki beobachtete währenddessen das Geschehen aufmerksam, aber mittlerweile schweigsam. “Ihr hättet es ruhig etwas hübscher verpacken können, wenn ich schon diese Summe dafür bezahle.”, meckerte der Kunde, in der hintersten Reihe, als sein Angestellter sich zu ihm umwandte und ihm die Ware zur Überprüfung zeigte. “Natürlich-”, wollte Hasegawa lachend erwidern, doch Suzuki unterbrach ihn erneut mit einer ihrer zynischen Bemerkungen. “Es ist kein Geschenk für sie, also verpacken wir es ihnen auch nicht. Den nötigen Aufpreis haben Sie dafür nicht gezahlt.”, sprach die Grauhaarige knapp mit ernstem Blick und erntete nur ein unzufriedenes Schnaufen des Kunden. Sie war bei solchen Übergaben wirklich jedes Mal, wenn er dabei war, eine Hexe, dachte Hasegawa für sich. Er gab sich immer aller größte Mühe jeglichen Charme spielen zu lassen, eben ganz anders als sie. Sicher wird Nanami ihr eine Standpauke halten, immerhin sagte er regelmäßig, dass der Kunde König sei, solange wie er oder sie den richtigen Preis zahlte. Mit einer müden Verabschiedung wandte sich die Grauhaarige nun allmählich zum Auto, nachdem der Fluchgegenstand von Käufer inspiziert wurde. Shizuku, welche noch immer angelernt wurde und dementsprechend nicht wusste, wie sie sich in solcher Situation verhalten musste, tat es der Sekretärin gleich. Hasegawa hingegen schenkte dem Käufer noch einige Worte der Entschuldigung, des Dankes und des Abschieds, bevor er es seinen Kolleginnen gleichtat und zum Auto ging. “Diese verdammte-”, wollte der Mann Suzuki gerade hinterher meckern, als er von einem lauten Klirren unterbrochen wurde. Jemand hatte die Scheiben der Lagerhalle zerbrochen, um sich Zugang zu ihnen zu verschaffen. Es folgten daraufhin Schüsse durch sehr große, spitze Projektile, jedoch schienen diese willkürlich geschossen und verfehlten die Anwesenden, die augenblicklich eine gewisse Art von Schutz gesucht hatten. Suzuki erkannte diese Geschosse, ohne weiter groß darüber nachdenken zu müssen. Sie selbst hatte sie oft genug im Training in der Akademie gesehen. Dunkle, eigentlich längst vergessene Erinnerungen keimten in ihr auf. Es entstand Tumult auf Seiten des Käufers. Der Alte hatte im Gegensatz zu seinen Bediensteten seine Ruhe bei diesem Angriff verloren. “Du verdammte Schlange! Ist das ein Hinterhalt?!”, schrie er und eilte zum Auto hinüber. “Schlange? Dabei bin ich diejenige, die für ihre Sicherheit sorgen kann. Auch nur für den Spotpreis von-”, begann Suzuki und wandte sich mit einer ungewöhnlich ruhigen Ausstrahlung und einem fast schon finsteren Grinsen auf ihren Lippen zum Käufer. Währenddessen war Shizuku im Gegensatz dazu nun ebenfalls unglaublich aufgeregt geworden und fluchte leise vor sich her. Hasegawa hingegen wirkte zwar nervös, aber noch ruhig genug, um rational zu denken. Seine jüngere Kollegin riss die Fahrertür auf und wollte einsteigen, doch Hasegawa drängte sie zur Seite. “Hinten.”, sprach er knapp, sie verstand und ging auf die Rückbank. In solchen Situationen war ihre Erfahrung beim Fahren noch zu gering. Die Einzige, die bei sowas ruhiger als er blieb, war Suzuki. Als er noch neu war, waren die beiden nach einer Übergabe in eine Verfolgungsjagd geraten. Selbst mit einer Verletzung hatte Suzuki sich ans Steuer gesetzt und die Beiden aus dieser Gefahrensituation gebracht. Das musste man ihr lassen, sie hatte ihn damals wirklich beeindruckt... doch wo blieb sie? Hasegawa hatte so schnell wie möglich alles zur Abfahrt vorbereitet, dass er von ihrem ausgerufenen Angebot gar nichts mitbekommen hatte. “Geld spielt keine Rolle!”, brüllte der unförmig aussehende Kunde erneut, während er sich in sein Auto hievte. “Umso besser, der Boss wird auf sie zu kommen.”, erklärte die Grauhaarige und zeigte erneut mit einer kleinen Handbewegung, dass ihre Kollegen fahren sollten. “Aber wir können Suzuki doch nicht hierlassen?!”, rief Shizuku empört zur Fahrerkabine vor, als sie ihre Geste verstand. Hasegawa schluckte. Die Anweisung war mehr als klar, da war kein Platz für Fehlinterpretationen. Es heulte der Motor auf und es quietschten Räder, als der Assistent mit Schmackes aus dem Lagerhaus fuhr. “Setz den Boss über die Situation in Kenntnis!”, rief er zu Shizuku, während er auf die Straße bog und Gas gab. Ganz anders als der Kunde. Aber Suzuki schenkte diesem keine weitere Aufmerksamkeit, sondern zog ein Messer und eine Pistole aus der Halterung unter ihrem Mantel. “Bist du etwa hier, um schießen zu üben oder was?”, sprach sie nun erstmals lauthals und feuerte zwei Schüsse in die Richtung ab, in der sie in der Dunkelheit des Lagerhauses den unerwünschten Besucher vermutete, von welchem sie mehr als genau wusste, wer sich dort im Schatten versteckt hielt. Es folgte ein kleiner Schusswechsel. Klein, aber doch so intensiv, dass Suzuki hinter einem der massiven Pfeiler des Lagerhauses Schutz suchen musste, um ihr Magazin zu wechseln. Dabei hielt die Grauhaarige ihr Messer mit den Zähnen. Es zurück in die Halterung zu stecken, wäre zu umständlich gewesen. Außerdem hatte der metallische Geschmack für sie gerade in diesem Moment etwas ungewöhnlich Fokussierendes. Sie warf Blicke aus ihrem Versteck, je nach Richtung, aus der sie Schritte vernahm. Beim nächsten Mal weiterem aus der Deckung lehnen, wurde ihr die neugeladene Waffe gezielt mit einem der stumpfen Projektile aus der Hand geschossen. Sie fluchte leise und rückte zurück in den Schutz der Säule, nur um zu bemerken, dass keine Anwesenden vom Handel mehr im Lagerhaus waren. Gut. Nun musste sie daran keine unnötigen Gedanken mehr verschwenden. Der Käufer hatte immerhin lang genug gebraucht, um sich aus dem Staub zu machen, dachte Suzuki und zog das Messer zwischen ihren Zähnen hervor, um es abwehrend vor sich zu halten und dabei ihre Augen zu schließen. Sie lauschte. Es ging ein leises Kratzen und Schlurfen über den Betonboden. Sie hörte mittlerweile nur noch geringe Bewegung. Versuchte er sie noch immer aus dem Schutz der Dunkelheit mit seinen stumpfen Projektilen abzuschießen? Oder wollte auch er nur Zeit schinden? “Wenn der Deal schon über die Bühne ging, können wir dieses Versteckspiel auch endlich sein lassen.”, meckerte der junge Mann, der nun allmählich aus seinem Versteck trat, gänzlich in schwarz gekleidet, sogar mit einer Ski Maske vor seinem Gesicht. Im umherfliegenden Staub des Lagerhaus hätte man ihn leicht für einen Schatten oder gar einen Fluch halten können. Nichtsdestotrotz konnte sie ihn klar als Takuma Ino identifizieren. „Hat Yaga dich etwa nicht mit dem Befehl geschickt, die Fluchnutzer zu beseitigen?“, erwiderte die Grauhaarige schmunzelnd und erhob sich vom Boden, um selbst auch aus ihrem Versteck zu treten. Erst jetzt bemerkte sie, wie nah er schon bei ihr gewesen war. Keine zehn Meter lagen zwischen den beiden. Suzuki erntete mit ihrer Frage lediglich ein verächtliches Lachen. „Ich sehe hier aber keine Fluchnutzer sondern nur eine mit Staub bedeckte-“, reizte er sie noch, doch provozierte sie damit zu sehr, denn sie nutzte ihre durch die Wut gewonnene Fluchkraft, um ihre Körperkraft und Schnelligkeit zu verstärken und überwand die Distanz zu ihm so in einem Wimpernschlag. Eine Technik, die er in ihren gemeinsamen Training in der Akademie noch nie gesehen hatte. Somit überraschte ihn nicht nur das plötzliche Brennen von Wut in ihren Augen, welche mit einem Mal bei seinen waren, sondern auch noch der Hieb ihres Messers, welchem er nur mit Mühe aber dennoch ausweichen konnte. Es folgte ein intensives Handgemenge, bei dem sie zwar einige weitere Schnitte an seinen Körper setzen konnte, aber mindestens auch ähnlich viele Gegenschläge kassierte. Als ihr schlussendlich die eigene Klinge abgenommen und an ihre Kehle gedrückt wurde, leckte Suzuki sich das heiße Blut von ihrer während des Schlagabtauschs aufgeplatzten Lippe. Nachdem Ino sie in einem Griff gepackt hatte, aus welchem sie sich nicht so einfach befreien konnte und die Grauhaarige dann auch noch kräftig gegen den nächsten Betonpfeiler mit seiner gesamten Körperkraft geschlagen hatte, musste sie ihre Niederlage eingestehen. Er war physisch nicht nur aus biologischen Gründen stärker, sondern standen ihm mit Sicherheit auch noch immer gut die Hälfte seiner Fluchkraftkapazität zur Verfügung. Keiner der beiden war in den Jahren, in denen sie unabhängig voneinander trainiert hatten, stehen geblieben. Beide waren bedeutend stärker, als sie es in der Akademie waren. Und dennoch war das Ergebnis das selbe... Ino blickte sie durch die Löcher seiner Maske hindurch an, etwas zu fokussiert, wie sie fand. Realisierte er vielleicht gerade erst, wie nah er ihr in dieser Haltung war, oder dass ihr die obersten zwei Knöpfe vom Hemd ausgerissen waren, als er sie bei einem Schlag am Kragen gepackt hatte, damit Suzuki seinem Angriff nicht einfach entfliehen konnte? Ein kleines Detail, dass ihr selbst fast entgangen wäre, hätte er nicht so auffällig hinabgeschaut. Die Grauhaarige konnte sich sonst auch nicht erklären, warum er zögerte. Anders konnte man es nicht nennen, denn er bräuchte nur etwas Druck auf die Klinge auszuüben. Sie wusste am besten, wie scharf ihre eigene Klinge war. Er könnte sie mit Leichtigkeit hier und jetzt elendig verbluten lassen. So hatte sie es jedenfalls schon oft genug getan... doch er hielt die Klinge absichtlich nur so leicht an ihrem Hals, dass sie spürte, dass das Metall direkt an ihrer Haut war, aber die Klinge nicht hineinschnitt. „Schätzchen, wenn du deinem Senpai bloß so nah sein wolltest, hättest du das auch einfach sagen können. Dann hätten wir uns die verschossene Munition sparen können.“, summte sie grinsend und machte unter seiner Ski Maske eine für sie undeutbare Mimik aus. Auch sein Gewicht verlagerte sich etwas nach hinten. Als wolle er aus dieser unbehaglichen Situation fliehen. War dieser kleine Perversling gerade wirklich durch sie nervös geworden? Er musste für diesen kurzen Moment komplett vergessen haben, warum er hier war und in welch einer Situation er steckte, denn der junge Mann stockte augenblicklich in seiner Bewegung, als die Realität gnadenlos auf ihn einschlug und er den Lauf einer Pistole an seinem Hinterkopf spürte. Das daraufhin folgende klicken, ließ ihn auch wissen, dass sie geladen war. „Ich kann es ihm nicht einmal verübeln.“, brummte die tiefe Stimme von niemand geringerem als Nanami hinter ihm, als dieser endlich ins Geschehen eingriff. „Darling~“, summte sie süß. Scheinbar noch ein bisschen zu sehr in ihrer koketten Rolle gefangen, die sie, bis eben noch gespielt hatte. „Shizuku schickt mich. Aber du scheinst alles im Griff zu haben.“, scherzte er, wobei seine Stimme sich keineswegs geändert hatte. Suzuki verstand ihn allerdings und konnte sich augenblicklich vorstellen, wie aufgelöst ihre Assistentin Nanami noch im Auto kontaktiert haben muss, wenn er so schnell hier war. „Du weißt doch, sie übertreibt gerne.“, erwiderte die Grauhaarige und lehnte sich nun gegen Ino, der leise fluchend zwischen den beiden Fluchnutzern gefangen war. Sein Griff hatte sich von ihr gelöst, seit Nanami in dieser Szene aufgetaucht war. Sie hob also ihre Hand und fuhr mit ihren Fingern erst seinen Hals und dann die Züge seines Gesichts hinauf und krempelte ihm aus dieser Bewegung heraus die Ski Maske hoch, sodass sie irgendwann, wie eine normale Mütze auf seinem Kopf saß. Seine Gesichtszüge waren seit der Akademie bedeutend kantiger geworden. Doch noch immer sah er in ihren Augen aus wie dieser Trampel aus dem ersten Jahr, den sie damals vor ihrer Flucht in der Akademie kennengelernt hatte. „So hast du sie doch immer getragen, nicht?“, fragte sie nach und grinste Ino an, während sie mit ihrer Hand wieder seine Wange hinunterstrich und einzelne kleine Bartstoppeln in dieser Bewegung ausmachte. Dieser Mann konnte seine Fluchtechnik nur einsetzen, wenn diese Maske über sein Gesicht gezogen war. Dieser Fakt hatte sich seit damals ihren Informanten zufolge nicht geändert. „Dabei würden die Frauen dir doch sicher zu Füßen liegen, würdest du das dumme Ding nicht tragen.“, sprach sie neckend und drehte sein Gesicht zwischen ihren Händen. „Bring ihn bitte nicht um, er ist doch eigentlich ganz niedlich.“, summte sie und kniff Ino beinahe mütterlich in die Wange. „Wenn du es wünschst.“, antwortete Nanami und senkte den Lauf der Waffe vom Kopf auf seine Beine und schoss dem Jujuzisten kurzerhand in beide Beine. Der Getroffene krümmte sich unter Schmerzen und ging kläglich zu Boden. „Vielen Dank.“, sprach Suzuki, nachdem sie Ino, der ächzend auf dem Boden kauerte, ihr Messer abgenommen hatte, und schenkte Nanami ein warmes Lächeln. „Nur für dich, Darling.“, erwiderte er ihren Kosenamen von zuvor und grinste, denn Suzuki realisierte wohl erst jetzt, wie sie ihn überhaupt genannt hatte. Den Jujuzisten ließen die beiden danach hinter sich und verließen das Lagerhaus, um in das Auto zu steigen, mit dem Nanami hierher gefahren war. Erst auf dem Beifahrersitz legte Suzuki die kühne Rolle ab, die sie bis eben erfolgreich gespielt hatte. Ihr wurden die angespannten Schultern schwer und alles begannen ihr zunehmend zu schmerzen. Ihr Körper fühlte sich an, als hätte sie große Mengen Blut verloren. Dabei war es weitestgehend nur fehlende Energie durch die Fluchkraft, die sie verwendet hatte und nun deutlich fehlte. So wurde ihr etwas schwindelig, bevor sie allmählich langsam müder wurde. Wenn sie es nicht besser wüsste, hätte sie sogar behauptet, sie wäre sogar für einen Moment weggenickt. „Wann hast du das letzte Mal in einem ordentlichen Bett geschlafen?“, fragte der Blonde irgendwann ruhig und hob vorsichtig seinen Handrücken an ihre Stirn. Wärmer als sonst fühlte sie sich nicht an. „Ich war heute Vormittag schon skeptisch. Du redest üblicherweise mehr, wenn es dir nicht gut geht, weil du denkst, es fällt so weniger auf.“, erklärte er eines ihrer Verhaltensmuster, welches ihm über die Zeit aufgefallen war. „Mach dir bitte keine Gedanken darüber-“ “Ich bring dich Heim.”, sprach er und blickte nur flüchtig zu Suzuki hinüber. “Wir fahren ins Büro. Ich habe noch immer die Verhandlungen der Sammlung von Fluchwerkzeugen vom Sonderrang auf meinem Schreibtisch, die nicht aufgeschoben werden dürfen.”, widersprach sie ihm eindringlich. “Wenn du darauf bestehst, lege ich mich einen Moment hin, wenn wir zurück sind und arbeite danach an den Verträgen.”, bot die Grauhaarige ihm einen Kompromiss. „Sturkopf.“, „Esel!“, warfen sie sich schlussendlich gegen die Köpfe. So endeten meistens die Diskussionen der beiden, doch nicht dieses Mal. „Sei still, du bist selber nicht besser!“ „Bring mich doch dazu!“ Es folgte nahezu verlegene Stille, als sie realisierten, was da grade gesagt wurde, bis es durch Räuspern beiderseits gebrochen wurde. Die Spannung zwischen den Beiden würde sie noch umbringen, wenn es so weiterging. Zurück im Bürogebäude angekommen, klebte Shizuku regelrecht an der Grauhaarigen. Die junge Frau musste sich wirklich Sorgen um ihre Vorgesetzte gemacht haben. Fast schon mütterlich hatte Suzuki sich gefühlt, als sie versuchte ihre Kollegin zu beruhigen. Dabei hatte sie die Brünette vorsichtig in den Arm genommen und war ihr mit der Hand sanft über den Rücken gefahren. Nanami war auf Abstand geblieben, hatte sich beim Warten dieses Schauspiel aber dennoch mit angesehen. Ein saures Gefühl stieg ihm dabei von der Magengegend her hinauf. Allerdings bemühte er sich, diese Gefühlsregung nicht zu zeigen. Nachdem sie ihr Ziehkind endlich beruhigt hatte, schauten Chef und Sekretärin für einen Moment im Großraumbüro vorbei, dabei gaben sie den Assistenten ein paar letzte Instruktionen, wobei sich Suzuki mit deutlich erschöpfter Miene etwas im Hintergrund hielt, bevor sie sich in ihre Büroräume zurückzogen. „Zieh dir die eingestaubten Klamotten aus und leg dich aufs Sofa im Nebenzimmer. Ich hol dir meine Decke.“, trug er ihr knapp auf, sobald die Tür vom Büro hinter ihnen geschlossen war und Suzuki ihre Unterlagen auf ihren Schreibtisch, etwas abseits von Nanamis und näher an der Tür, abgelegt hatte. Als sie sich nicht regte, sondern noch in Berichten umherblätterte, wandte er sich am Durchgang zum Nebenraum nochmal um und blickte nun etwas ernster in Suzukis Richtung. „Muss ich mich wiederholen?“ „Keineswegs.“, erwiderte die Grauhaarige, klappte den Umschlag der Unterlagen zu, zog ihren Mantel aus und hängte ihn über den Stuhl an ihrem Schreibtisch, bevor sie begann den Schlips abzuziehen und ihr teils kaputt gerissenes Hemd aufzuknöpfen. Der Blonde zog derweilen Bettzeug aus einem Wandschrank im Nebenzimmer und blickte durch den schmalen Durchgang in ihr gemeinsames Büro hinüber zu Suzuki. „Wenn wir jetzt noch deine Sachen hier überall verteilen, bestätigen wir allen das Bild, das Sie von unserer Beziehung haben.“, scherzte er für sie beinahe unerwartet. Ihm war bewusst, dass die meisten eine solche Vorstellung von den beiden hatten. Er konnte es ihnen nicht einmal verübeln ... Vielleicht waren sie selbst es ja auch, die bisher ein falsches Bild davon hatten. Sie stockte und blickte roter werdend zu ihm hinüber. Sie hatte, ohne weiter darüber nachzudenken gehandelt. War das der Teil, der für sie peinlicher war oder war es, dass sie noch immer nicht verstand, wie ungewöhnlich dieses Verhalten zwischen Menschen in ihren Positionen war? Sie sollte nicht so darüber denken, oder? … oder vielleicht doch? Sie war überfragt, sie wusste nicht mehr, was richtig und was falsch war. Zu viel war heute geschehen, dass ihren Kopf und Geist ermüdet hatte, sodass sogar die einfachsten Dinge für sie zu einer Quadratur des Kreises wurde. “Ich- …”, begann Suzuki ungewohnt stockend, während ihre Hände noch immer an ihrem schon aufgeknöpften Hosenbund ruhten. Sie war gerade sogar noch aus ihren Loafer gestiegen. Die Gedanken in ihrem Kopf rasten, wodurch ihr die Ohren immer roter wurden. “Sprich zu mir Nanami, du hast doch sonst ein großes Talent für Worte.”, sprach er sie nun beim Vornamen an und schenkte ihr ein warmes, aber spielerisches Grinsen. Sie musste zugeben, dieses seltene Grinsen ließ Suzukis Herz jedes Mal höherschlagen. So wie auch in diesem Moment. Es war sein letztes Sticheln, bevor die Grauhaarige mit hochrotem Kopf regelrecht auf ihn losging. Sie überwandt die Distanz zwischen ihnen in einem Wimpernschlag, holte aus und teilte daraufhin einen kleinen Schlagabtausch mit ihm, bevor die Grauhaarige ihn am Kragen packte und auf Höhe des Sofas, regelrecht versteckt im Nebenzimmer, unter sich zu Boden rang. Das leise Klopfen an der Bürotür bekamen beide dabei garnicht mit. Noch weniger das Öffnen der Tür. “Entschuldigen Sie Sir, aber ich-”, begann die warme Stimme Shizukus, welche augenblicklich stockte, als sie das laute Rumsen aus dem Nebenraum hörte. Sie eilte zwei Schritte ins Büro, aus Sorge, dass etwas passiert sein könne, bevor ihr Blick auf den umgestoßenen Schuhen in Richtung des Nebenzimmers und dem Mantel über dem Stuhl hängen blieb. Sie zählte Eins und Eins zusammen, wobei ihr regelrecht das Blut in den Kopf schoss. Panisch flüchtete die junge Frau aus dem Büro. Erst beim Knallen der Tür bemerkten auch Nanami und Suzuki den kurzen Besuch. “... Scheinbar war das Chaos schon genug für Interpretationen.”, summte der Blonde und blickte amüsiert grinsend zu seiner Sekretärin auf, während sie regelrecht auf ihm saß. Dabei hielt sie ihn mit noch immer rotem Kopf am Kragen gepackte und zerrte so etwas an seinem Hemd. Sie hasste es wirklich, wenn er sie mit solchen belanglosen Kleinigkeiten aufzog. Nanami begutachtete ihren Ausdruck, als wäre die Zeit für einen Augenblick stehen geblieben. Selbst ihr aufgebrachtes Gesicht hatte einen gewissen Reiz für ihn, wie er regelmäßig in solchen Situationen feststellte. Dann plötzlich mit scheinbar einer einzigen Bewegung, Suzuki verstand gar nicht recht, was geschehen war, lehnte Nanami über ihr. Er hatte sie an Hüfte und Schulter gepackt und sie mit einer einzelnen Drehbewegung unter sich gebracht. Er stütze seinen Arm am Sofa neben ihnen ab, bevor der Blonde sich ihr grinsend entgegen lehnte. Suzuki betrachtete ihn. Jeden Gesichtszug. Nichts entging ihrem Blick. Es fühlte sich für sie fast so an, als würde sie ihre Fluchtechnik nutzen, so scanartig und langsam wirkte alles in diesem Moment. Jedes noch so kleine Detail fing sie mit ihrem Blick ein, bevor seine Nähe ihr allmählich zu viel wurde. Schutzsuchend ließ die Grauhaarige von Nanamis Hemd ab und drückte ihre Hände auf ihr Gesicht, um ihren verlegenen Ausdruck zu verbergen, wobei es dafür schon längst zu spät war. “... Kento... Bitte... Ich kann nicht mehr...”, presste Suzuki regelrecht heraus, da sie sonst keinerlei Worte hätte hervorbringen können. Der Angesprochene stockte erstmals und wandte sich selbst beim Klang seines Vornamens von seiner Sekretärin ab, als könnte sie ihn durch ihre Hände hindurch ansehen, wodurch ihm dieses Mal die Ohren schlagartig warm wurden. Sie hatte ihm einen kritischen Treffer an einer schwer sichtbaren Schwachstelle verpasst, so wie es sonst seine Fluchtechnik bei anderen tat. Nanami selbst wusste schon lange von dieser Schwachstelle, doch konnte nichts dagegen tun als zu zusehen, wie sie immer größer und empfindlicher wurde. Das saure Gefühl von zuvor schien es heute sogar noch schlimmer gemacht zu haben. Noch einem weiteren Volltreffer könnte er in seiner aktuellen Verfassung demnach nicht standhalten. Seine Selbstbeherrschung würde gnadenlos brechen und das dürfte er in keinem Fall zulassen... Zu mindestens noch nicht. “Shizuku, was ist los?”, fragte Hasegawa, als seine Kollegin zurück in das mittlerweile nur noch durch die beiden belebte Großraumbüro kam. Ihr Gesicht war über beide Ohren gerötet und die Akten, wo sie sie gegriffen hatte, leicht geknüllt. Er ahnte was passiert war, immerhin wusste er, wohin sie ursprünglich auf den Weg war. Die junge Frau ließ sich neben ihn auf den freien Platz fallen und knallte die Unterlagen vor sich auf den Schreibtisch, gefolgt von ihrem Kopf. “Wie kann es sein, dass sogar mein Chef und meine Vorgesetzte ein interessanteres Liebesleben haben als ich?!”, meckerte Shizuku frustriert und raufte sich die braunen Haare, wobei sich einige kleine Strähnen aus ihrem Zopf lösten. “Sie leben ja regelrecht die Büro-Dramen ausm Fernsehen!”, schob sie hinterher, bevor sie ihren Kopf zu Seite rollte und zu Hasegawa blickte. “Ich hätte sowas auch gern! Was muss ich tun?! Muss ich mein Erstgeborenes verkaufen oder was?”, quengelte sie und schmollte vor sich her, ohne auch nur eine Antwort von ihrem Kollegen, der sonst auch schweigend ihrem Lamentieren lauschte, zu erwarten. “Wir könnten mit einem Abendessen anfangen.”, antwortete Hasegawa und blickte von seinen Unterlagen erst flüchtig auf seine Armbanduhr und dann zu seiner Kollegin, welche gar nicht verstand, was er da gerade von sich gegeben hatte. “Ich brauche noch 20 Minuten, danach gehöre ich ganz dir.”, sprach er mit einem charmanten Grinsen und erst jetzt, zuckte Shizuku zurück, stieß ihren Kopf dabei am nächsten Computertower und rumste lautstark vom Bürostuhl. Die junge Frau fluchte und hielt sich den Kopf. “Mach ja keine Witze auf meine Kosten!”, wetterte sie mit gerötetem Kopf, keineswegs nur der Wut geschuldet, nachdem sich der erste Schmerz durch den Fall gelegt hatte. “Was ist, wenn das kein Witz war?”, antwortete er scheinbar noch immer so ruhig wie zuvor und reichte ihr seine ganz leicht zitternde Hand, um ihr beim Aufstehen zu helfen. “Du verdammter Arsch!”, brüllte sie ihm entgegen und trat gegen das Gelenk seines Bürostuhls, um ihn etwas von sich zu stoßen, wobei Shizuku sich dabei ebenfalls weh tat. Leise fluchend stand sie auf und eilte zur Tür. “Shizuku, es-”, fiel Hasegawa nun endlich aus seiner Rolle, fast als hätte er unbewusst Suzuki imitieren wollen, und wollte seiner Kollegin hinterher. “Barbecue”, sprach sie, als sie zögernd an der Tür stehen geblieben war. “Hä?” “Ich möchte Barbecue essen.”, wiederholte sie sich, doch blickte Hasegawa dabei nicht an, zu peinlich war ihr die ganze Situation. Ungläubisch blickte Hasegawa ihr nach, nachdem die Brünette die Büroräume verließ. Hatte dieser cheesy Spruch wirklich funktioniert? Nach all dem Scheiß heute musste es also doch sein Glückstag gewesen sein?! Vielleicht hätte er sich heute früh doch ein Los für die Lotterie kaufen sollen, dachte er für sich, als er sich mit den Händen übers warme Gesicht fuhr und sich noch immer ungläubig im Stuhl zurücklehnte. Kapitel 17: ------------ “Ah! Gut, dass ich dich noch treffe, bevor du fährst.”, sprach Shoko ruhig, aber dennoch überrascht mit einer noch nicht angezündeten Zigarette zwischen ihren Lippen.   Suzuki blickte ähnlich verdutzt neben sich, als sie angesprochen wurde, während sie gerade die Tür des Nebengebäudes der Akademie geöffnet hatte und herausgetreten war. “Was gibt’s?”, fragte sie leise und schloss hinter sich die Tür. Sie ahnte, was die Ärztin fragen wollte. “Wie geht es dir?”, fragte sie und blickte Suzuki fest an, als hätte sie Sorge, Suzuki würde ihrer Frage sonst ausweichen, bevor sie sich ihre Zigarette anzündete. Oder besser, es versuchte. Ihr Feuerzeug schien allmählich den Geist aufzugeben, also zog die Assistentin ihres kurzerhand aus der Jackettasche und half ihrer Freundin aus. In letzter Zeit hatte auch die Grauhaarige an stressigen Tagen häufiger das Verlangen nach einer ‘kleinen Auszeit’, wie Shoko es dann und wann liebevoll nannte. “Ich bin noch immer etwas müde. Aber mein Körper gewöhnt sich langsam dran.”, sprach Suzuki und packte das Feuerzeug zurück in die Tasche. Sie hatte erst noch gezögert und überlegt, sich selbst auch noch eine anzuzünden, doch dafür würde die Zeit sicher nicht mehr reichen und verschwenden müsste sie die Zigarette nun wirklich nicht. Shoko ahnte dies und bot ihr nach zwei Zügen ihre an. Dankend nahm Suzuki die glühende Kippe entgegen und inhalierte leise summend das Nikotin, welches sich in ihr breit machte. “Wenn die Müdigkeit übermorgen noch immer nicht abgeklungen ist, komm zu mir, dann mache ich einen Termin, um den Vertrag anzupassen.”, erklärte Shoko und drehte mit einer leichten Bewegung Suzukis Gesicht zu ihr, um sie genauer zu betrachten.   Die Ärztin hatten sie davor gewarnt, dass der Vertrag zu fordernd für ihren Körper wäre. Ihr Körper war wohl einfach zu schwach… Dennoch würde Suzuki es in keinem Fall rückgängig machen wollen. Es hatte mehr als langgenug gedauert Yaga, aber besonders Nanami, welcher Mittelpunkt ihres Vertrags war, vom Vorhaben zu überzeugen. Sie nannten ihren Vertrag kitschigerweise ‘vow’. Es war Gojos Zutun, als er über sieben Ecken davon mitbekommen hatte. Wobei sein Vorschlag sogar ‘wedding vow’ gewesen sein soll, da er die Grundsätze ihres Vertrags, als ein solches Gelöbnis ansah. Suzuki konnte ihm diese Verknüpfung nicht einmal mehr verübeln. Sie machte ihre Fluchkraft immerhin von Nanamis abhängig, mit der Begründung, dass die Mehrzahl ihrer Aufträge gemeinsam mit ihm sei. Dabei kommt ihr sein ‘overtime’ Vertrag entgegen, wodurch ihre Fluchkraft tagsüber durch seine Reduzierung durchschnittlich höher ist als vorher, dafür ist ihre Fluchkraft während seiner ‚overtime‘ signifikant geringer. Ersteres war durchaus ein starkes Argument für den Vertrag. Wobei die Reduzierung durch den zweiten Teil durchaus als Gegenargument diente… Doch sie hatte mit allen Parteien kompromissbereit die Menge des Out- und Inputs angepasst. Solange wie sie diesen Vertrag zugesprochen bekam und ihr aber besonders Kento auch nur ein kleines Stück geholfen war, war es bereits ein Gewinn. Allerdings hieß all dies aktuell auch eine höhere Belastung für ihren Körper, denn dieser musste erstmal mit der erhöhten, verfügbaren Menge an Fluchkraft klarkommen.   “Ich gebe dir Bescheid, wenn es mir schlechter geht.”, antwortete Suzuki nach einer kurzen Denkpause, in welcher sie Gedankenverloren den Rauch ausblies und Shoko die Zigarette zurückreichte. “Vielen Dank. Ich muss leider los.”, sprach die Grauhaarige, die sich mit einem leichten Handheben von ihrer Freundin verabschiedete. “Viel Erfolg bei der Versammlung.”, rief die Ärztin ihr fast schon zur Verabschiedung hinterher, nachdem Suzuki in Richtung des Parkplatzes losgeeilt war.   „Achja, Nanami-chan. Du bist ja heute das erste Mal im Zenin Anwesen.”, begann Gojo, während er von den Berichten hinauf zu ihr blickte. Sie hatte ihn vor zwei Minuten daran erinnert, dass er sie lesen müsse, doch scheinbar nutze der Weißhaarige jede Möglichkeit sich von etwas so Lästigem abzulenken. “Gerade sie sind bekannt dafür, nun ja... Sagen wir, besonders konservativ zu sein. Sei darauf eingestellt. Es bringt uns beiden nichts, wenn du einen Streit mit den Zenin Jujuzisten anfängst. Ich bin nicht da, um dich aus deinem Schlamassel zu holen.“, belehrte der Augenbindenträger sie und lehnte sich vor, um sich an den Beifahrersitz vor sich anzulehnen.   “Keine Sorge, ich bin kein Mensch, der einen unnötigen Streit vom Zaun bricht.”, antwortete sie und fuhr weiter, während sie Gojo kurz durch den Rückspiegel hindurch beäugte. “Du scheinst nicht zu verstehen.”, begann er seufzend und erwiderte ihren Blick durch den Spiegel. “Auch ein berechtigter Streit steht für dich außer Frage. Nur weil in deinen Augen etwas als ungerecht gilt, ist es in ihren Augen mitunter die größte Selbstverständlichkeit.”   Suzuki verstand wirklich nicht das Ausmaß, vor welchem Gojo sie versucht hatte zu warnen und ihr geraten hatte die Füße still zu halten… Doch als sie mit ansehen sollte, wie Naoya Zenin gnadenlos ein Dienstmädchen im Innenhof, der fast schon tempelartig aufgebauten Anlage, verprügelte, ging es mit ihr ein für alle Male durch. Sie hatte heute schon vieles mit sich machen lassen und schlichtweg ertragen müssen. Als Frau, egal welchen Rang du innehattest, zeigte die Zenin Familie dir keinerlei Respekt. Tee hatte sie zum Empfang nur bekommen, weil Gojo für sie danach gefragt hatte. Bei der Begrüßung schienen die Zenin Jujuzisten sich schon beherrschen zu müssen, sie nicht versehentlich zu ohrfeigen, wie sie durch die angespannte Haltung und abfälligen Blicke merkte. Suzuki musste sie wohl zu direkt angeschaut haben. „Wie konnte es eine Frau nur wagen in Ihrer Gegenwart nicht ihren Blick zu senken?“, diesen Gedanken konnte die Grauhaarige nahezu aus jedem Gesicht lesen. Allerdings verweilte sie bis dato noch an der Seite von Gojo. Die Zenin Leute hätten es nie gewagt in der Gegenwart des Satoru Gojos Ihre Hand gegen seine Assistentin zu erheben.   Gemeinsam mit ihr hatten auch andere Assistenten während der Versammlung außerhalb der Räumlichkeiten Stellung bezogen, um auf die Familienoberhäupter zu wartet. Es verstrich Zeit, die Suzuki mit dem Erstellen ihrer imaginären Einkaufsliste füllte, bis Naoya Zenin seinerseits absichtlich mit einem Mädchen zusammenstieß. Es war bepackt gewesen mit Kisten, es konnte also in keinem Fall ihre Schuld gewesen sein, doch er suchte diesen Konflikt mit offenen Armen. Die Kisten fielen zu Boden, die ein oder andere brach wahrscheinlich auch. Er startete mit einzelnen Ohrfeigen, es folgten Schläge, bis es sich zu einer regelrechten Prügelei steigerte. Die meisten Assistenten wandten sich ab, beschäftigten sich mit anderen Dingen oder gingen zur anderen Seite des Hauses, doch im gesamten teilten sie alle eins: sie ignorierten dieses Schauspiel von ungerechtfertigter Züchtigung im Innenhof schlicht und ergreifend. So etwas war in diesem Höllenloch wohl wirklich normal. Wieder wollte Naoya auf das schon lange am Boden liegende Mädchen einschlagen, doch dieses Mal hielt Suzuki seinen zum Schlag ausgeholten Arm fest. Sie hatte sich in ihrem Zorn fast schon geistesabwesend in Bewegung gesetzt. Sonst hätte die Angst vor ihm sie wohl nur aufgehalten, dass wusste sie. Empört blickte der blonde Zenin sie an, als wäre sie die Verrückte, dass sie es wagte ihn zu stören.     “Herr Zenin, ich bitte Sie, das reicht.”, sprach sie gezwungen höflich, versucht in einem ruhigen, schlichtenden Ton und spürte, wie er mehr Kraft in seinen Arm legte, wodurch sie anfing vor Anstrengung zu zittern. Er war immer noch einer vom ersten Rang, demnach also scheinbar ähnlich stark wie Nanami. Doch mehr Gemeinsamkeiten hatten die beiden nicht. In Suzukis Augen hätten die Beiden unterschiedlicher nicht sein können.   “Das hast nicht du zu entscheiden, Frau!”, spuckte er ihr entgegen, als wäre es die schlimmste Beleidigung, die er kannte. Nun musste Suzuki nachgeben, der Typ drängte sie allmählich immer weiter beiseite. Dadurch merkte sie allerdings auch, dass seine Aufmerksamkeit nun ihr und nicht mehr dem Mädchen galt. Sie ließ also ihren Widerstand fallen und wich von ihm zurück. Da Suzuki ihn so vollkommen vom Mädchen ablenken konnte, glaubte die Assistentin, sie könnte dadurch die Züchtigung unterbinden, doch Naoyas Schlag, der ihr Gesicht so unerwartet traf, dass sie nicht einmal verstehen konnte, wie er sich so schnell bewegt haben könnte, holte die Grauhaarige auf brutalste Weise auf den Boden der Tatsachen zurück. Sie wurde einige Meter zurückgeschleudert und landete auf dem staubigen Boden des Innenhofs. Erneut tauchte er mit seinen beunruhigend schnellen Bewegungen am Rand ihrer Wahrnehmung auf, doch dieses Mal konnte Suzuki sich knapp aus seinem Schlag rollen. Der Jujuzist erschien etwas langsamer als beim ersten Schlag, doch so stark wie der Staub neben ihr aufgewirbelt wurde, schien dieser keineswegs weniger kräftig. Ein weiteres Mal schaffte sie es nicht ihm auszuweichen und wurde von einem heftigen Tritt einige weitere Meter seitwärts befördert. Hätte sie ihre neugewonnene Fluchkraft nicht verzweifelt in den Schutz ihres Körpers gelegt, wären spätestens beim Tritt einige ihrer Organe nicht unversehrt aus der ganzen Sache herausgekommen. Wobei sie sich darüber in diesem Moment keineswegs sicher sein konnte. Doch die Schmerzen schienen bisher zwar unglaublich, aber irgendwie immer noch erträglich. Die Grauhaarige ächzte schwer und krümmte sich innerhalb der aufsteigenden Staubwolke. Es war ein Wunder, dass sie kein Blut gespuckt hatte. Jeden Moment rechnete sie damit, dass sie nun nach diesem kurzen Katz-und-Maus-Spiel an Stelle des Mädchens verprügelt werden würde, doch es folgte kein weiterer Schlag. Suzuki senkte den Arm, den sie zuvor sicherheitshalber schützend vor sich gerissen hatte, und erblickte über sich Gojo, der mit einer Visage dastand, als wäre er auf einen gemütlichen Plausch vorbeigekommen. Naoya Zenin hatte sofort verstanden, dass er sich in seiner Anwesenheit nun besser zügeln sollte, auch wenn er es seinem Willen in Gänze widersprach.   “Die Tokioter Akademie sollte ihren Frauen mehr Respekt einbläuen!”, zischte Naoya dem Weißhaarigen entgegen, wobei es offensichtlich an Suzuki gerichtet war. Gojo lachte nur und tat sein Geschwafel kopfschüttelnd ab. “Dabei haben Frauen mit Charakter doch ihren Reiz.”, antwortete er summend, woraufhin Naoya sich nun genervt abwandte und die Szene verließ. Er konnte es nicht riskieren sich wegen solch einer unwichtigen Assistentin mit der Gojo Familie anzulegen. Suzuki war ihrerseits nach diesem Schreck überrascht, dass sie so verhältnismäßig heil aus der ganzen Sache herausgekommen war. Sie spürte allerdings, wie ihr die Wange durch den ersten Schlag im Rhythmus ihres Pulses immer mehr zu schmerzen begann. Der Schmerz in ihrer Seite würde auch bald auf sie hineinstürzen, spätestens, wenn sie aufstand, und das wusste Suzuki auch... aber mit Sicherheit nichts, dass sie auf Arbeit in die Knie zwingen könnte. Nichtsdestotrotz war es ein seltener Glücksfall mit nur einem geschwollenen Gesicht und wahrscheinlich ein paar geprellter Rippe aus einem Streit mit einem Zenin herauszukommen... Hatte sie reines Glück oder hatte sich die zusätzliche Fluchkraft vielleicht sogar schon ausgezahlt?   “Nanami-chan”, begann der Weißhaarige sich nun direkt an sie zu wenden, sah von ihr allerdings sehr bald zum Mädchen und verstand wohl recht schnell die Lage. “Du bist zu alt, als dass ich dich für deine Unüberlegtheit ausschimpfen sollte, aber vergiss nicht, dass du immer noch schwach bist.”, erklärte er ihr nicht zwangsläufig abwertend, sondern schlicht und ergreifend realistisch. ‘Auch wenn du jede erdenkliche Methode versuchst, um es zu ändern.’, hörte sie ihn in ihrem Kopf weiterreden, doch schüttelte die nicht existenten Worte von sich. Sie nickte auf sein Reden lediglich mit einer bitter verzogenen Miene und blickte verlegen an ihm vorbei gen Himmel.   “Bring ihr etwas zum kühlen.”, wies Gojo scheinbar das Mädchen an, welches, sobald es verstand, dass es angesprochen wurde, aufsprang und loslief. Es musste etwas unbeholfen ausgesehen haben, denn der Weißhaarige schmunzelte etwas. “Die Versammlung geht noch eine Weile, also halte dieses Mal wirklich die Füße still.”, riet er seiner Assistentin erneut, wobei es aus seinem Mund eher wie ein neckender Scherz klang, und ging wieder in die Richtung, aus der auch sie zuvor gekommen war. Die Anderen, die gemeinsam mit Suzuki auf die verschiedenen Mitglieder der Versammlung gewartet hatten, waren spätestens bei ihrem Eingreifen gegangen. Sie wollten wohl zu Ihrem eigenen Wohl von der ganzen Aktion nichts mitbekommen haben. Suzuki konnte es ihnen keineswegs verübeln...   “Frau Nanami? Frau Nanami, stehen sie bitte auf.”   Frau Nanami?   Wer soll das sein?   Sie?   Stimmt, Gojo hatte sie ‘Nanami-Chan’ genannt. Leuten, die sie nicht kannten, würden diese Anrede auf jeden Fall missverstehen. Suzuki öffnete ihre Augen, von denen sie bis dahin nicht einmal wusste, dass sie diese geschlossen hatte, und blickte das dunkelhaarige Mädchen von zuvor an. Suzuki sollte sie verbessern, gleichzeitig klang es … schön und ließ ihr Herz ungewollt höherschlagen.     Das Mädchen hatte ihr seine Hände entgegengestreckt. Dankend nahm Suzuki ihre Hilfe an. Wobei sie bemerkte, wie viel Kraft das junge Mädchen haben musste. Sie musste irgendein Training absolvieren, sie konnte keineswegs natürlicherweise so stark sein! Die Grauhaarige stand unter dem einsetzenden Schmerz in ihrer Seite leise fluchend auf. Ihr schwarzer Anzug zeigte deutlich, wie sehr sie zuvor drangsaliert worden sein musste. Kento würde sie sicher wieder tadeln, immerhin müsste er ihren Anzug wieder mit in die Reinigung bringen... Vielleicht sollte sie auf dem Rückweg nach dem Besuch beim Shoko noch eine Kleinigkeit kaufen... Vielleicht dieses Tomatenbrot, welches sie letztens bei diesem einen schicken Bäcker mit dieser netten Verkäuferin gefunden hatte. So glitten ihre Gedanken dahin, während sie sich schlussendlich auf eine der hölzernen Treppenstufen niederließ, die vom Innenhof hinauf zum Versammlungssaal führten. Das Mädchen folgte ihr und hielt ihr schweigend eine kalte Kompresse entgegen, als hätte sie Suzuki nicht in ihren umherirrenden Gedanken stören wollen. Ehrlich gesagt, war die Grauhaarige im Allgemeinen überrascht, dass das Mädchen wirklich auf Gojos Worte gehört hatte, sie selbst wäre in dem Alter vermutlich einfach aus Angst abgehauen und hätte sich irgendwo versteckt. Vielleicht kannte sie den Augenbindenträger ja auch schon, immerhin war er zwangsläufig ab und an ein Gast der Zenin Familie… und wahrscheinlich war er einer der wenigen, die dieses Kind überhaupt als einen Menschen ansahen.   “Vielen Dank.”, entgegnete Suzuki und nahm dem Mädchen die kalte Kompresse aus der Hand, um sie an ihre pochende Wange zu legen. Ihre Seite schmerzte ebenfalls, doch war es unerwartet aushaltbar. Sie hatte schon schmerzhafteres ertragen... Welch ein wundervolles Mantra. “Ich muss mich bedanken!”, erwiderte das Mädchen nur und verbeugte sich vor Suzuki. Diese wank ab und klopfte sanft neben sich auf das Holz der Stufe. “Wer sich selbst in Gefahr bringt, ist keine wirkliche Hilfe.”, erklärte Suzuki mit einem verlegenen, schmerzlichen Lachen. Das Mädchen sah zu ihr auf und setzte sich dann etwas zögernd neben sie. Sie schwiegen sich einen Moment an, wobei die Stille keineswegs bedrückend war. Es wirkte eher als müssten sie nicht zwangsläufig miteinander reden.   “Wie heißt du?” “Maki.”   Den Namen hatte Suzuki schon irgendwann mal in einem Bericht zum Hintergrund der Familie gelesen. Das müsste dann also Maki Zenin sein. Sie und ihre Zwillingsschwester sollen von einigen Familienmitgliedern schlechter als so mancher Angestellter behandelt werden. Naoya Zenin war in diesem Fall wohl einer der Vorzeigekandidaten.   “Ich hoffe, du bist nicht verletzt, Maki.” Das Mädchen schüttelte den Kopf, allerdings konnte Suzuki ganz klar Schwellungen an ihren Händen und in ihrem Gesicht erkennen. Nichtsdestotrotz war das für die Gewalt, die Naoya ihr gegenüber zeigte, überraschend wenig. Entweder war sie enorm zäh oder war unglaubliches Glück... Nein, von Glück sollte sie in solch einer Situation niemals sprechen. Die Beiden saßen danach wieder eine ganze Weile schweigend da. Maki musste wohl froh gewesen sein, innerhalb des Anwesens einen Verbündeten gefunden zu haben, da sie scheinbar gerne neben der Assistentin sitzen blieb. Auch wenn Suzuki genau wusste, sie könnte in ihrer Position nichts für das Mädchen tun.   “Bist du auch Jujuzist?”, fragte das Mädchen schließlich. “Gewissermaßen ja.”, begann Suzuki doch atmete dabei schwer aus. “Allerdings bin ich nicht sonderlich stark.” “Warum versuchst du es dann weiterhin?”   Suzuki blickte das Mädchen mit beginnender Empörung an, doch erkannte, dass sie es nicht abwertend meinte, sondern wirklich wissen wollte, was der Grund war. Der Ausdruck der Grauhaarigen verlor an Festigkeit, während sie nachdachte, warum sie all diesen lästigen Ärger auf sich nahm.   “Ich schätze... Hmm... Da ist ein Mensch, an dessen Seite ich unter allen Umständen bleiben will.”, sprach die Ältere zögerlich, nachdem sie sich einmal kurz umgesehen hatte, um sich zu vergewissern, dass Gojo nicht mit einem Mal neben ihr war, um ihr kleines Geständnis zu hören. Er würde sie sonst nur wieder damit aufziehen. “Das ist doch ein guter Grund, nicht?”, fragte Maki nach, scheinbar irritiert von Suzukis zögernder Antwort. “Stimmt.”, erwiderte die Ältere schmunzelnd. Allerdings war das als einziger Beweggrund keine gute Antwort. Sie war fraglich, nicht? Man sollte auch aus eigenen Motiven handeln. Aber vermittelten die ganzen Kinderserien, nicht, dass man etwas für andere Menschen tun sollte? Bei den ganzen Gedanken hatte Suzuki begonnen sich die Stirn zu kratzen. Sie kannte die Antwort nicht. Sie wollte Maki immerhin nicht leichtfertig in eine moralische Grauzone zerren. “Hast du auch etwas, dass du erreichen möchtest?”, fragte die Assistentin, während sie noch immer nervös ihre Stirn kratzte, doch erwartete keine so ernste Antwort, wie ihre eigene. Immerhin war das Ganze doch ein recht kitschiges Thema. “Ich möchte, dass meine Schwester glücklich ist.”, sprach sie geradewegs heraus und trug eine für ihr Alter ungewöhnliche Entschlossenheit in sich.     Einen Moment lang dachte die Assistentin über die Worte des Mädchens nach. Hatte Maki nicht im Gegensatz zu ihrer Schwester keinerlei Fluchkraft? Etwas in der Art hatte Suzuki in einem der Berichte über die Beiden doch gelesen. Das musste demnach eigentlich bedeuten, dass Maki sogar eine bedeutend kompliziertere Ausgangsposition als ihre Schwester einnahm. Wie ironisch, dass gerade sie dafür sorgen wollte, dass ihre Schwester glücklich war.   “Achja? Sie scheint dir sehr wichtig zu sein … Darf ich fragen, wie sie heißt?” “Mai.” “Mai würde sich bestimmt freuen, wenn sie das wüsste.” “...Ich hoffe, ich kann uns irgendwann eine sichere Position in dieser Familie schaffen.”, sprach das Mädchen bedrückt und griff sich in den Stoff ihres Hakamas.   “Mit so viel Entschlossenheit, wie du sie bisher an den Tag gelegt hast, wirst du es schaffen.”, hätte Suzuki am liebsten geantwortet, doch brachte es nicht übers Herz. Sie hatte heute am eigenen Leib erfahren, wie rückständig diese Familie war und Maki kämpfte dagegen vermutlich schon seit sie alt genug war, um diese Ungerechtigkeit zu erkennen. Mit einem bitteren Gefühl in der Magengegend, hob die Grauhaarige vorsichtig ihre Hand und strich dem Mädchen vorsichtig, fast schon unbeholfen über den Kopf. Erst wirkte sie irritiert, doch bald darauf, schien sich ein kleines Gefühl des Wohlfühlens einzustellen. Ihre Körper wirkten durch Suzukis Berührung ein bisschen weniger verkrampft als noch zuvor.   “Sollte ich dir bei irgendetwas helfen können, gib mir bitte Bescheid. Ich werde mein Bestes versuchen.”, sprach die Assistentin und machte eine träges, aber aufrichtiges Lächeln auf Makis Lippen aus.   “Mensch, da haben sich ja zwei gefunden.”, entgegnete Gojo schon mit noch einigen Schritten Entfernung zu den beiden lachend. Entnervt atmete Suzuki aus und blickte über ihre Schulter zum Weißhaarigen. “Ist die Versammlung schon vorbei?”, fragte sie ohne jegliche Förmlichkeit. “Hättest du etwa gerne noch Zeit mit deinem Schützling verbracht?”, erwiderte er und trat hinter sie. “Ich kann nicht leugnen, dass ich gerne meine Zeit mit ihr verbringe.” “Würdest du dann auch deinen Hals für sie hinhalten?”, er blickte Suzuki eindringlich an. Sie schwieg einen Moment unter seinem schweren Blick, den sie trotz der Augenbinde gnadenlos auf ihr spürte. “Hab ich das nicht schon?”, fragte sie beinahe zögerlich bei seiner unerwarteten Ernsthaftigkeit. War das sowas wie eine Fangfrage? Er schenkte ihr daraufhin wieder sein unverkennbares Lächeln. “Dann hätten wir das ja geklärt.”   Was hätten wir geklärt?, dachte Suzuki für sich und blicke von ihm irritiert zu Maki und wieder zurück. Auch das Mädchen hatte wohl nicht ganz verstanden, worum es ging.   “Ich habe später noch ein Termin mit dem Direktor, wollen wir langsam zurück?”, sprach er und blickte auf die Imitation einer Armbanduhr. “Na klar...”, sprach Suzuki leise und gab Maki dankend die Kompresse wieder. Diese stand auf und verabschiedete sich von beiden Gästen und eilte zurück zu den Quartieren jenseits des Haupthauses. Suzuki blickte ihr einen Moment hinterher.    “Was meintest du gerade?”, fragte sie den Weißhaarigen, ohne ihren Blick von Maki abzuwenden.   “Bei der letzten Sitzung im Zenin Anwesen vor ein paar Monaten hatte sie mich gefragt, ob wir sie an der Akademie annehmen könnten.” “Und du hast es heute in der Versammlung angebracht?” “Sie verlangen einen Vormund für Maki.” “Du fällst bei der Wahl raus?” Gojo lachte nur über die Scharfsinnigkeit seiner Assistentin und stimmte ihr zu. Suzuki seufzte müde. Gaben sich die Oberhäupter wirklich so viel Mühe die Bedingungen für dieses Mädchen so schwierig wie möglich zu gestalten? Alleine in diesem Höllenloch hätte sie keinerlei Möglichkeit sich selbst einen Vormund zu suchen... Hatte Gojo sie dann vielleicht absichtlich heute mitgenommen? … Nein! Jetzt wurde sie langsam paranoid. Immerhin war Ijichi wirklich krank. Sie wollte ihn heute eigentlich auch noch besuchen gehen... Wobei Suzuki sich lieber erst einmal um sich selbst kümmern sollte, wenn sie endlich wieder zurück in der Akademie war.   Als sich beide Schlussendlich in Bewegung gesetzt hatten, um zum Auto zurückzugehen, reichte Gojo ihr die Mappen voller Unterlagen, die er im Meeting bekommen hatte. Sie blickte flüchtig auf die Titel der Mappen, bevor sie sie grob in ihren Händen ordnete. “Wie läuft dein Training mit Kusakabe?”, fragte der Weißhaarige beiläufig und schmunzelte, als er sah mit welch einer Geschwindigkeit die Frage seiner Assistentin Falten auf die Stirn zauberte.   “Er unterrichtet bedeutend besser als du, allerdings... ist er sehr ungeduldig. Er ist scheinbar niemanden mit so geringer nutzbaren Fluchkraft gewohnt...”, sprach sie seufzend und versuchte mit ihren Fingern die fest wirkenden Stirnfalten wieder zu glätten. “Denkst du wirklich, ich bin die Einzige, die daraus lernt?”, sprach sie ihn nun an, nachdem sie von ihrer Stirn abgelassen hatte. “Hast du ihn nicht vielleicht auch darum gebeten mir die neue Schattentechnik beizubringen, damit er etwas geduldiger mit seinen Schülern wird?” “Eigentlich nicht, aber wenn dich das besser schlafen lässt, glaub das ruhig.”, erwiderte der Weißhaarige grinsend und schlug Suzuki freundschaftlich auf den Rücken und lachte, worauf die Grauhaarige nur missmutig stöhnte. Der Schmerz, der sie durchfuhr, war durchaus unnötig, aber ertragbar. Die Autofahrt würde sie aushalten können, aber sie müsste später nochmal Shoko einen kurzen Besuch abstatten.   Es dauerte keine weiteren fünf Minuten, bis sie sich endlich wieder Richtung Akademie aufmachten. Immerhin war es heute mitunter auch Suzukis Aufgabe, dass Gojo ebenfalls pünktlich zu seiner Unterredung mit Direktor Yaga kommt. Sicher würden Sie die neuen Entwicklungen der Versammlung besprechen.     “Bestelle Shoko Grüße von mir, wenn du sie siehst!”, sprach Gojo zum Abschied, bevor er die Tür des Autos, aus der er gerade gestiegen war, mit einem dumpfen Knall schloss. Die Grauhaarige hatte damit gerechnet, er würde sie erst noch zur Patisserie schicken, bevor er sie in den Feierabend entlässt … wobei sie ja keineswegs Schluss machte, also sollte sie es vermutlich nicht so werten.   Das Auto geparkt, spürte Suzuki erstmals, wie ausgelaugt sie war. Ein nicht top fitter Körper war eben noch anfälliger für einen anstrengenden Tag mit Handgemenge und Körperverletzungen als ein kerngesunder. Dieser Tag war ihr wirklich drüber... Vielleicht sollte sie auch noch eine Flasche Wein auf dem Heimweg kaufen... Wenigstens etwas Gutes, immerhin würde sie Kento erst wieder Ende der Woche sehen.   Endlich unterwegs zur Ärztin kamen ihr auf dem Innenhof Kusakabe und zwei Jungen entgegen. Keine Schuluniformen der Akademie... vielleicht Mittelschüler? Hatten Jujuzisten Sie gemeldet, so wie sie selbst damals? Schauen Sie sich die Schule an? War es schon wieder Zeit fürs neue Schuljahr? Hatte sie überhaupt schon die Anträge für die Schuluniformen gestellt? Etwas, dass sie gleich morgen früh kontrollieren würde.   Kusakabe nickte ihr grüßend zu. Die beiden Mittelschüler blickten sie interessiert an, als würden Sie darauf warten, dass ihr ein zweiter Kopf wuchs. Ein größerer mit fast schon filzig-lockigem schwarzen Haar und ein kleinerer. Seine Erscheinung wirkte so feminin, dass Suzuki ihn rein vom Gesicht her beinahe für ein Mädchen gehalten hätte.   Sie erwiderte auf die Aufmerksamkeit der Drei nur ein müdes Lächeln und grüßte sie, bevor alle weiter ihrer Wege gingen. Kusakabe hatte nie sonderlich großes Interesse daran mit Suzuki außerhalb ihres Trainings zu interagieren und sie imitierte diese Verhaltensweise beinahe dankend. Ohne weitere Umschweife trat die Assistentin daraufhin also ins Nebengebäude, um direkt zu Shokos Büro zu gehen. Die Untersuchung war dabei keineswegs aufwendig. Eine geprellte Wange und drei geprellte, sowie eine angebrochene Rippe. Nichts, was Shoko nicht spätestens mit ihrer Fluchtechnik wieder grade rücken könnte.   “Dein Körper hat den Angriff von Naoya Zenin so gut ausgehalten?”, fragte die Ärztin während der Behandlung überrascht, als Suzuki ihr erklären sollte, worin sie sich schon wieder verwickelt hatte. “... da scheint der Vertrag ja doch für etwas gut zu sein.”, gab die Brünette beinahe mit etwas bitterer Miene zu. Sie hatte wirklich nicht damit gerechnet, dass Suzukis Körper der Art besser Fluchkraft verarbeiten würde als noch zuvor.   “Andernfalls wäre das ganze hier wohl ein etwas längerer Aufenthalt geworden...”, erwiderte die Grauhaarige mit einem Hauch Zynismus. Shoko schmunzelte nur. Die beiden Freundinnen teilten immerhin denselben Galgenhumor.   Es verstrich noch einige Zeit, in der die Beiden noch einen kurzen Plausch hielten. Shoko bekam einen kurzen Abriss zum Treffen der Familienoberhäupter und Suzuki erfuhr, dass Ijichi wirklich mit einer Grippe zuhause lag und sich auskurierte. Der Arme wurde die letzten Wochen von Gojo immerhin von einem Meeting zum anderen getriezt... Sie müsste ihn morgen wirklich besuchen und ihm etwas frisches Obst bringen.   Sich den voll gestaubten Blazer etwas unbeholfen über die Schulter ziehend, schloss die Grauhaarige hinter sich die Tür zu Shokos Büro und wagte gar nicht ihren Augen zu trauen, als sie den Gang hinunter blickte. “Was machst du hier?”, fragte Suzuki sichtlich überrascht, als diese Nanami auf einen der Sessel im Flur sitzen sah. “Bist du verletzt?”, fragte sie besorgt, immerhin war dies für sie der erste logische Grund, warum er hier war, und eilte zu ihm hinüber, um ihn in Augenschein zu nehmen. “Gojo hatte mir Bescheid gegeben, ich solle dich abholen, wenn ich Schluss habe.” ...Wenn er Schluss hätte? So spät war es also doch schon?   “Das wäre nicht nötig … gewesen.”, sprach sie doch stockte, als sie einen deutlichen Schnitt auf Nanamis Wange erkannte. Ihr Blick wurde schlagartig finster. Sie griff vorsichtig an die Seite seines Gesichts und wandte es in ihre Richtung. Die Wunde hatte bereits ersten Schorf gebildet. “Wer hat das getan?”, kam ihre Stimme in einem völlig überfrorenen Ton von ihr. Wer hatte es gewagt sein wunderschönes Gesicht zu verletzen?     Fast etwas überrascht hob er seine Hand an ihre, als hätte er völlig vergessen, dass da überhaupt ein Schnitt war. “Niemand, den du jetzt noch umbringen könntest.”, antwortete er beinahe in einem scherzhaften Unterton. Ihr Blick zeigte ihm ihre Intentionen stets zu hundert Prozent ungefiltert, doch pure Mordlust war dabei wirklich selten vertreten. Er sollte sich geehrt fühlen, dass sie für ihn über Leichen gehen würde. “Aber”, begann er und legte seine Hand nun ebenfalls an ihre Wange, wobei sie reflexartig dem Schmerz geschuldet von ihm wegweichen wollte. Sein Ausdruck wurde dabei ähnlich ernst, wie ihrer es geworden war. “Ich würde dir gerne dieselbe Frage stellen.”   Er musste eigentlich nicht fragen. Er wusste, wohin sie Gojo heute begleitet hatte. Er wusste wie die allgemeine Einstellung der Zenin Familie war und er wusste auch wie temperamentvoll Suzuki sein konnte … Nanami konnte eins und eins zusammenzählen.   Für einen Moment herrschte beiderseits betroffene Stille. “Ohne den Vertrag,”, begann sie und blickte zögerlich zu ihm auf. “Wären meine Verletzungen bedeutend schlimmer ausgefallen... Ich muss dir danken.” Sein Blick trug eine immense Schwere in sich, als sie ihm das erzählte. Wäre es nur ein Fluch gewesen, hätte sie sich gut genug selbst verteidigen können, doch dieses Mal musste sie sich vor einem Jujuzisten beschützen... Vor einem, der vermeidlich auf derselben Seite wie sie war. Mit einem tiefen Seufzen umgriff der Blonde vorsichtig ihre Taille und zog sie näher zu sich zwischen seine Beine. Sanft schmiegten sich ihre Körper zusammen. Entgegen der ernsten Stimmung waren ihre Berührungen zärtlich, fast schon übervorsichtig, als könnten sie sich sonst versehentlich noch mehr verletzen, als der heutige Tag es schon getan hatte. Die Umarmung hielt eine ganze Weile, bis Suzuki vorsichtig sein Kinn mit ihren Fingern hob und sich ihm sachte entgegen beugte.   “Geht bitte Heim, bevor ihr es euch hier noch bequemer macht, ok?”, fragte Shoko hörbar schmunzelnd, die gerade ihr Büro verlassen wollte, um sich Kaffee zu holen, wie die leere Tasse in ihrer Hand ahnen ließ. Die Assistentin erstarrte zur Salzsäule, als sie so gnadenlos von ihrer Freundin mit den Händen in der metaphorischen Keksdose ertappt worden war. Deutlich errötet blickte sie zur Ärztin, welche ihrem Blick noch einen Moment standhielt, bevor sie weiter ihres Weges ging.   “... Entschuldige, ich habe mich gehen lassen …", murmelte Suzuki und ließ zögerlich von Nanami ab. “Keine Sorge, ich auch.”, sprach er ruhig und hielt sie noch einen Moment bei sich. Die Spannung zwischen ihnen war zum Greifen und doch nahmen Sie danach wieder den Abstand, wie er zwischen Kollegen üblich war, ein... Zu mindestens müssten sie innerhalb der Akademie wieder mehr darauf achten.   “Sollen wir gehen?” “Ja.” “Zu mir oder zu-” “Zu dir! Ich möchte unbedingt ein Bad nehmen!” “Aber soll man Schwellungen nicht eigentlich kühlen?” “Willst du mir gerade mein wohl verdientes Bad streitig machen?” “Ich würde es nie wagen.”, erwiderte er mit einem herzlichen Lachen in seiner Stimme. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)