Nanamin von Knightwalker ================================================================================ Kapitel 6: ----------- Die Monate zogen ins Land und man neigte dazu zurück zu blicken und sich zu fragen, ob nicht gestern noch Anfang des Jahres war. Suzuki ging es ähnlich. Die Zeit flog und sie konnte nichts dagegen tun. Hatte sie nicht erst vor zwei Wochen ihre Arbeit an der Akademie begonnen und war sie nicht erst vor ein paar Monaten in ihr kleines Internatszimmer gezogen? Sie fühlte sich so alt, dabei war sie eine der Jüngsten in den Reihen der Mitarbeiter der Akademie. Suzuki entließ ein schweres Atmen und lehnte sich in ihrem Stuhl hinter ihrem Computer zurück. Den Kopf in den Nacken legend, blickte sie aus der weiten Fensterfront und begutachtete das sich Stellenweise färbende Laub. Allmählich nahm der Herbst Einzug. Abgesehen von den psychischen Tiefphasen, die mit ihr einhergingen, ihre Liebste Jahreszeit. Es war nicht zu warm, die Sonne war nicht so anstrengend und es war nicht nur schön von draußen, sondern auch von drinnen anzusehen. Die Tür klappte, woraufhin Suzuki den Kopf wieder aufrichtete und den Blonden anblickte, der gerade hereingetreten war. „Ah, Senpai! Hast du wieder einen Bericht, den ich für dich abtippen soll?“, fragte sie direkt und lehnte sich ein Stück nach vorn, um sich mit den Ellenbogen am Tisch abzustützen. „Lass das bitte sein. Ich lege keinen Wert auf solche Anreden, wie oft soll ich dir das noch sagen?“, erwiderte Nanami seufzend. Suzuki grinste daraufhin nur breit. Natürlich amüsierte sie es ihn etwas zu Stieseln. Andererseits hätte sie auch interessiert, ob er auch schon während seiner Schulzeit keinen Wert darauf legte. „Ich freue mich über deinen Arbeitseifer aber nein. Ich habe eine Untersuchung in Nakameguro. In dem Gebiet sind einige nicht zugängliche Gebäude. Dein Scan wäre mir also von Vorteil.“, erklärte er, während er an ihren Schreibtisch trat. Suzuki blickte zu ihm auf und schmunzelte etwas und begann ihre noch offenen Dokumente zu schließen und Kleinigkeiten wegzuräumen. „Wenn du das ok von Yaga hast.“, erwiderte sie und fuhr, ohne eine Antwort abzuwarten, den PC herunter, bevor sie sich vom Stuhl erhob. An und für sich bevorzugte sie noch immer das Büro, doch zu Außeneinsätzen mit Nanami würde sie in diesem Leben nicht mehr Nein sagen, dafür genoss sie seine Gesellschaft viel zu sehr. „Ich habe vor ein paar Tagen gelesen, in Nakameguro ist vor kurzem ein neues Café eröffnet worden. Die Aussicht auf den Fluss soll atemberaubend sein! Wenn wir ohnehin schon da sind, können wir uns das doch mal ansehen oder was meinst du?“, fragte Suzuki nach einem kurzen Moment des Schweigens in dem sie sich den schwarzen Blazer über das weiße Hemd zog. „Wenn wir dort ohnehin vorbei kommen.“, erwiderte der Blonde Achsel zuckend, woraufhin sie ihm breit entgegen grinste. „Sie backen dort wohl auch ihr Brot selbst.“ „Ein Grund mehr dort einmal vorbeizuschauen.“ Der Auftrag im äußersten Randgebiet von Nakameguro war wirklich nicht spektakulär. In einem recht ausgestorbenen kleinen Wohngebiet gab es verdächtige Aktivitäten und nun soll das Gebiet von möglichen Flüchen gereinigt werden, bevor es großflächig renoviert wird. Die Bedenken waren nachvollziehbar, es war in dem Gebiet zu einigen ungeklärten Unfällen gekommen, allerdings fanden sich nur eher schwächere Flüche, schon gar nicht ein Quell, der diese anziehen könnte. Allerdings stockte Suzuki beim Scannen eines Häuserblocks. Sie blickte skeptisch in die selbst am helllichten Tage düstere Gasse, die an dem Block entlangführte. Sie blickte mit bitterer Miene zum Blonden hinüber, welcher an sie herantrat und nickte, als wollte er ihre Bedenken bestätigen. Er trat achtsam in die schmale Gasse, die gerade mal ein Stück breiter als er selbst war. Suzuki blickte sich derweil um. Das restliche Gebiet scannte sie ein letztes Mal mit ihrer Fluchtechnik ab. Das Monochrom war undurchbrochen, doch als sie ihren Blick in Kentos Richtung umwandte, erkannte sie dort nicht nur das warme Gelb, dass von ihm ausging, sondern auch etwas, dass so schwer war, dass die Farbe sich beinahe wie Wahnsinn um ihr Herz legte. Dieses Gefühl war, als würde es ihr die Luft und Sinne rauben wollen. Dieses bedrückende Gefühl und diese undefinierbare Farbe hatte sie schon einmal wahrgenommen. Damals als sie- Der gelbe Farbklecks kam mit einem Mal wie ein Geschoss auf sie zu gerast. Zwischen Sehen und Aufprall lagen bloß Sekunden und schon fand sich die unter Schmerzen fluchende Suzuki zwischen einer Wand und dem schwer atmenden Nanami wieder. “... gerade … noch … Glück gehabt …", schnaufte er, während er den Zusammenprall mit Suzuki wohl einigermaßen abgedämpft hatte, in dem er sich mit den Armen an der Wand abgefangen hatte. Die Grauhaarige blickte ihn irritiert an. So außer Atem hatte sie Nanami noch nicht einmal beim Training oder ähnlichem erlebt. “Ich hätte nicht gedacht, dass du so schön Fliegen kannst.”, kam ein Lachen aus der Gasse, dass Suzuki augenblicklich einen Schauer verpasste. Auch der Blonde nahm dank dieser unangenehmen Erinnerung sofort wieder Haltung an und zog nun auch endlich sein Messer aus der Halterung an seinem Rücken. Vor seinem Flugversuch war er dazu wohl nicht in der Lage gewesen. Aus dem Schatten der Gasse trat eine Frau in einem rot-schwarzen Kimono. Ihr langes, schwarzes Haar schien fast Violett zu schimmern und schwang in ihrem Zopf hinter ihr im Rhythmus ihres Gangs hin und her. Ein das halbe Gesicht bedeckender Pony verbarg eine Augenklappe, welche lediglich durch die Bänder, die davon ausgingen, zu identifizieren war. Lange, alt aussehende Ohrringe rahmten das fies grinsende Gesicht ein. Als die Frau allerdings Suzuki erblickte, verschwand für einen Augenblick jeglicher Hass, der von ihr ausging. Die Grauhaarige hatte sich sogar kurz eingebildet, im Auge der Frau etwas Leben zu erkennen, doch viel zu schnell verstrich dieser Moment, als dass sie das mit Sicherheit hätte sagen können. So schnell, dass Suzuki nicht wusste, ob sie nicht gerade ein Hirngespinst gesehen hatte. “...Ah.”, begann die Frau, woraufhin dieser bösartige Ausdruck in ihr Gesicht zurückkehrte. “Ich hätte nicht damit gerechnet, dich überhaupt noch einmal anzutreffen, kleine Suzuki.”, lachte sie ihr spöttisch entgegen und zog einen Speer aus ihrem Schatten, den sie den Beiden Jujutsisten entgegenstreckte. Suzuki spürte, wie steif ihr Körper in der Gegenwart ihrer Präsenz wurde. Ihre Stimme bebte unter dem Klos in ihrem Hals und wollte sich freikämpfen, “...-anae Kechi...”, bekam sie allerdings gerade einmal heraus. Wieder ein lautes spöttisches Lachen. “Du zitterst ja so schon vor Angst! Du hast mich schon damals köstlich amüsiert ... Aber Sanae ist meine Tochter.”, die Frau spannte den Arm und schleuderte Suzuki den Speer mit einem Tempo entgegen, dass sogar Nanami keine Chance hatte recht darauf zu reagieren. Die Spitze landete geradewegs neben der Grauhaarigen in der Wand. Sie spürte sogar, wie ihr Blut aus einer kleinen Wunde am Hals floss, welche der Speer verursacht hatte, der sie theoretisch eigentlich nicht einmal berührt hatte. “Ich höre lieber Sakushi, meine Liebe.”, fügte Kechi an und funkelte Suzuki finster an. Nun schob sich Nanami ins Bild und unterbrach die Spannung der beiden. Der Schlagabtausch zwischen ihm und Kechi war bis zu einem gewissen Punkt schlicht und ergreifend zu schnell für Suzukis Auge, doch sobald sie ihre Konzentration wieder im Griff hatte, war auch das kein Problem mehr. Sie durfte hier nicht weiter rumstehen und nur zusehen. Mit einer flinken Bewegung zog sie ihre Zwillingsmesser aus den Halterungen an ihrem Steißbein. Nanami musste das Mitbekommen haben, denn er änderte sein Angriffsmuster. Suzuki kannte es nur zu gut, denn er übte es jedes Mal beim Training mit ihr, also wusste sie sofort, was zu tun war. Sie fügte sich in die etwa kreisförmigen Bewegung um Kechi herum. Er übernahm die schwerwiegenden Angriffe und sie eher die Leichten, die eine gewisse Unruhe in den Gegner bringen sollten. Die Jujuzisten schienen, als könnte sie diese in den Körper eingebrannte Bewegungsabfolge ewig fortführen, lediglich Kechi machte dieses eingespielte Team nicht lange mit. Mit einem rundum Hieb ihrer flachen Hand, die dabei eher einer Klinge als einem Körperteil glich, brachte sie die Beiden aus dem Rhythmus und vor allem auf Abstand. Durch diesen Freiraum hatte sie auch endlich wieder die Möglichkeit ihren Speer an sich zu nehmen, woraufhin sie sich sofort um das schwächere Glied der Kette kümmern musste, Suzuki. Mit einem direkten Hieb mit dem Speerende katapultierte sie die Grauhaarige, die ihr im Rücken stand, geradewegs gegen die nächstbeste Wand. Kechi wandte sich ihr zu und grinste breit. “Du gehst mir gehörig auf den Geist, Kleine!”, entgegnete sie mit einer ausschweifenden, scharfen Handbewegung. Sie war für einen Moment so fokussiert auf Suzuki, dass der Blonde Kechi mit mehreren eindeutigen Volltreffern ins Wanken brachte und sogar den Schlagabtausch dominierte. Für eine paar Sekunden war Suzuki beim Aufprall schwarz vor Augen geworden. Sie hatte gar nicht mitbekommen, wie sie etwas Blut ausspuckte. Ihr Körper hatte es automatisch gemacht. Ein ungeheurer Schmerz hatte es allerdings geschafft, sie bei Bewusstsein zu halten. War da vielleicht gerade etwas gebrochen? Sie hatte keine Ahnung. Sie hätte nicht einmal sagen können, wo dieser Schmerz genau war. Sie wollte einfach wieder los, doch wurde nach nicht mal einem Schritt von etwas aufgehalten. Sie stemmte sich mit aller Kraft dagegen, doch kam nicht weiter. Was war hier los? Wieder gegen die Wand gelehnt, fiel ihr erst jetzt eine leichte Bewegung vor sich in der Luft auf. Ein Schleier, eine Barriere, eine Sphäre oder wie auch immer man es schimpfen wollte, hielt sie hier fest. Erzürnt schlug sie mit voller Kraft dagegen. “Lass mich hier raus!”, brüllte Suzuki und wurde mit jedem Schlag wütender. Sie spürte die Fluchkraft in sich wachsen und schlug immer heftiger. Nach der Wut folgte auch schon bald der Frust. Sie stützte sich mit ihren blutigen Händen gegen die Barriere und war gezwungen dem Kampf der beiden lediglich zu zusehen. Sie musste Ruhe bewahren. Mit ihrem Gefluche störte sie nur Nanamis Konzentration und half somit Kechi, welche ohnehin zunehmend durch ihre größere Reichweite die Oberhand gegen den Blonden gewann. Suzuki wusste allerdings, dass es nicht nur das war. Er begrenzte seine Kraft durch einen Vertrag. Im Normalfall wäre er ihr überlegen gewesen, auch trotz der Waffenreichweite. Aber war das wirklich alles? War irgendwas an seinen Bewegungen nicht etwas weniger flüssig als sonst? Seine Schlagbewegung kam etwas verzögert. Hatte er sich verletzt? Aber wann? Vielleicht… Nein, es musste passiert sein, als er sich vor sie von der Wand abfing. Allein die Reaktion um sich aus so einem Stoß heraus zu drehen war unmenschlich, aber dann auch noch die ganze Kraft des Stoßes mit dem Armen aufzuhalten, musste sogar für seinen Körper zu viel gewesen sein. Nahezu sofort, als Suzuki die Situation analysiert hatte, fand Kechi eine Lücke in Nanamis Verteidigung und rammte ihm gnadenlos das Ende des Speers in den Magen, nachdem er die Klinge gerade noch abgewehrt hatte. Suzuki sah zwar nur eine leichte Regung seines Körpers, doch es musste mindestens ähnlich kraftvoll gewesen sein, wie der Stoß, den sie abbekommen hatte. Direkt riss die Fluchnutzerin das Ende des Speers nach oben und verpasste ihm so gleich noch einen ähnlich kraftvollen Kinnharken. „Kento!“, schrie die Grauhaarige und schmiss sich erneut gegen die Abgrenzung der Sphäre. Selbst für den zähen Jujuzisten war dieser direkte Schlag nun wohl endgültig zu viel. Er sackte auf die Knie, den leeren Blick gen Himmel gerichtet. Kechi senkte den Speer und konnte ihr breites Grinsen nun gar nicht mehr im Zaum halten. „Einen feinen Beschützer hast du dir gesucht, kleine Suzuki. Wärst wohl sonst schon längst verreckt.“, schlussfolgerte die Dunkelhaarige lachend, bevor sie auf den schwer atmenden Blonden zu ging und ihn mit ihrem Zeigefinger nach hinten schob, wodurch sein Körper plump rückwärts umfiel. „Wobei wohl auch er seine Grenzen erreicht hat.“, fügte die Fluchnutzerin an und hob wieder ihren Speer zum Schlag an. Suzuki presste ihren gesamten Körper gegen die Barriere. Sie musste etwas tun, irgendetwas! Lass es zwei oder drei Meter gewesen sein, die - neben der Barriere - zwischen ihr und dem Blonden standen… Wie konnte es sein, dass sie niemanden beschützen konnte? Es musste doch etwas geben! Wenn sie doch bloß eine solche Sphäre errichten könnte… Wenn sie den Bereich ihres Scans verkleinerte wurde er doch genauer, warum konnte sie dessen Abgrenzung nicht einfach verhärten? Sie wollte doch einfach nur Nanami beschützen! Erneut schlug sie mit ihren noch immer blutigen Fäusten gegen die unsichtbare Wand und mit einem Mal… gab sie nach? Sie gab nach! Ein weiterer Schlag genügte, um die Barriere zu zerbrechen. Es war als spürte sie die Splitter auf ihre Haut herunter regnen, aber das musste sie sich vermutlich eingebildet haben. „Kechi!“, rief die Grauhaarige und übertrat nun endlich die Grenze, die sie so lange zurück hielt. Die Angesprochene blickte mit einer Mischung aus Überraschung und Ärger zu Suzuki hinüber. Sie wank kurz zurück und schien irgendwie mit ihrem Körper zu kämpfen. Ein gezielter Angriff und sie könnte diesem lästigen Jujuzisten den Gar ausmachen, immerhin war dieser eine größere Gefahr als die Grauhaarige. Kechi holte zum Schlag aus, nachdem sie ihrem Körper nach etwas Zögern endlich wieder ihren Willen aufzwingen konnte. Beim Anblick des Speers, welcher gegen den Regungslosen gerichtet war, leerte sich ein für alle Mal Suzukis Kopf. Der einzige Fixpunkt war Nanami. Ihre Intuition trieb sie dazu sich einfach über seinen Körper zu schmeißen. Die Sekunden zogen sich ewig lang, was durch das Gefühl des Flusses in ihrem Körper und ihren leeren Gedanken nur verstärkt wurde. Das nächste, was sie spürte, was Schmerz. Etwas stach ihr in die Schulter. Es fühlte sich nicht so an, als würde es an ihrer Brust wieder herauskommen, dennoch hatte sie bisher noch keine vergleichbare Hölle durchlebt. Der Druck auf ihren Körper war erträglich, nichtsdestotrotz zitterten ihr die Arme, mit denen sie sich über den Blonden hielt. „Tsk!“, zischte Kechi nur und hielt an ihrem bewegungslosen Speer fest. Suzuki hatte tatsächlich irgendwie eine Sphäre gezogen. Die Fluchnutzerin hatte gedacht, sie wäre dort noch hindurch gekommen, bevor sie vervollständigt war, doch stattdessen steckte sie nun darin fest, nur in der Lage die Spitze wieder heraus zu ziehen. Die Grauhaarige ächzte unter dem Einstich. Die Kraft aus ihrem Angriff war verschwunden. „..Verdammte Sanae..“, knurrte Sakushi Kechi und zog den Speer aus dem Fleisch. Erneut ein schmerzhaftes Stöhnen. Ihre Stimmung hellte sich auf, als sie in Suzukis Gesicht blickte, welches sie ihr entgegen anhob. Blutige Tränen flossen aus den stark geröteten Augen. „Dieser zauberhafte Anblick entschädigt mich beinahe für diesen ganzen Reinfall!“, erwiderte Kechi lachend, „Ich habe mir nicht einmal Mühe gegeben und schon zeigst du mir alles, was du hast! Hach, wie niedlich deine Schwäche doch ist!“, wobei sie allerdings merkte, dass Suzuki mehr auf ihre Präsenz als auf ihre Worte reagierte, da schlicht und ergreifend keine richtige Reaktion kam, weshalb sie die beiden Jujuzisten damit hinter sich zurückließ. Zum Selbstgespräche führen brauchte sie immerhin nicht hier bleiben. Sie sollte sich merken, dass dieser Nichtsnutz von Jujuzist scheinbar Sphären aufspannen konnte. Doch stark durfte diese gerade keineswegs gewesen sein. Sanae, die mittlerweile zurückgedrängt in Sakushi‘s Inneren schlummerte, musste nicht nur ihre Bewegungen beeinflusst haben, sondern ihr auch ihren Teil der Fluchkraft abgestellt haben. Andernfalls hätte sie einerseits diese lächerliche Barriere gerade einfach durchdrungen und andererseits hätte der allererste Wurf Suzuki gnadenlos aufgespießt und in Fetzen gerissen und auch ihr Beschützer hätte schon längst den Weg ins Jenseits gefunden. Doch beide lebten. Das hatten sie einfach nur purem Glück zu verdanken. Mehr nicht. Suzuki, die aggressiv wie ein wildes Tier über Nanami lehnte, bekam während dessen nichts um sich herum mit. Keine Stimmen und selbst die Farben, die sie sonst noch wahrnahm, waren nur sehr trüb und fast gar nicht sichtbar. Schon gar nicht hatte sie dabei mitbekommen, dass der Gegner vor dem sie Nanami beschützen wollte, längst einfach gegangen war. Diese Stille in ihrem Kopf war ein ähnlich schrecklicher Zustand, wie sonst der Lärm ihrer Gedanken. Es fühlte sich an, als wäre sie in einem zeitlosen Raum, so ruhig war es. Ein zeitloser Raum mitten im nichts ihrer Gedanken. Ein relativ monotones Tropfen auf sein Gesicht, zerrte Nanami allmählich aus der Bewusstlosigkeit. Sein Körper schmerzte und es dauerte einen Moment, bis er überhaupt wieder auf diesem Planeten war. Er rieb sich die Tropfen aus dem Gesicht und beäugte noch neben sich stehend die dunkle Flüssigkeit an seiner Hand. Als er realisierte, wer da über ihn hockte und besonders was dort auf ihn hinunter tropfte, zuckte er zusammen und stützte sich ächzend auf. Suzuki, die nicht mitbekam, dass sich jemand unter ihr regte, lag einfach auf dem sich hebenden Körper auf und erschlaffte. Nicht nur die Körperspannung, sondern auch die kleine Barriere um sie herum brach zusammen. Der Blonde spürte, wie dieser Raum plötzlich verschwand und musste Suzuki festhalten, damit sie nicht einfach kraftlos von ihm runterrutschte. Wie lange war er bewusstlos gewesen? Wie lange hatte sie diese Menge an Fluchkraft manifestiert? War sie überhaupt noch bei Bewusstsein? „… Nanami! Sprich zu mir!“, versuchte er ihren Zustand zu ermitteln. Es kam keine Reaktion. Eine seiner Hände rutschte ihren Rücken hinauf, wobei er die warme, offene Wunde an ihrer Schulter spürte. Scheiße! Er hob seine Hand weiter zu ihrer Schläfe. Ein schwacher Puls! Er musste Ijichi Bescheid geben, damit sie Suzuki direkt zu Ieiri bringen konnten. Zum Glück war das Telefon in der Innentasche seines Jacketts nicht schwer beschädigt worden. „Hallo?“ „Nanami hier. Komm so schnell wie möglich zu unserem Auftragsort in Nakameguro. Gib Shoko bescheid. Sie soll ausreichend B positiv bereithalten.“ „Aber das ist doch Suzukis-“ „Genau.“ „… Ich bin so schnell wie möglich da!“ Erneut beäugte er Suzukis blutverschmiertes Gesicht. Vorsicht stand er auf und bemühte sich in seiner dem Schmerz geschuldeten Grobmotorik die Grauhaarige nicht weiter zu verletzen. Irgendwie musste der Blonde die Blutung vorübergehend stoppen oder zu mindestens eindämmen. Nanami lehnte sie gegen eine Hauswand und zog ihr den Blazer aus, bevor er dasselbe tat, diese vorerst über Suzukis Schoß legte und sich zusätzlich bis aufs Unterhemd entkleidete. Das weiße Hemd, dass ohnehin schon lange nicht mehr reinweiß war, knüllte er zusammen und befestigte es mit seiner Krawatte provisorisch über der Schulterverletzung. Etwas unbeholfen versuchte Nanami sie mit den Jacken zu bedecken, bevor er sie ächzend anhob und sich in Richtung Hauptstraße zurückbewegte. Er müsste sich später auch von Ieiri durchchecken lassen, sein Körper war schlicht und ergreifend zu schwerfällig, als dass es ihm gut gehen konnte, allerdings hatte Suzuki gerade Priorität. Sie konnte ihren Körper nicht durch Fluchkraft schützen und war somit durch solche Angriffe schneller in Lebensgefahr als andere Jujuzisten. An der Abzweigung, an der sie das Auto stehen gelassen hatten, wartete daneben in seinem Auto schon Ijichi und blickte sich nervös um. Als er Nanami aus der Gasse kommen sah, wurde er sichtlich noch unruhiger, stieg aus dem Wagen, lief dem Blonden entgegen und half ihm mit seiner Kollegin. Es war wie ein dunkler Raum in dem Suzuki gefangen war. Sie sah nichts, sondern erfühlte lediglich ihre Umgebung. Sie tastete sich umher, bis sie die Stimme Kechis vernahm und nervös umherwirbelte. „Du nutzloses Stück, kannst nicht mal deinen geliebten Partner beschützen!“, diese Worte trafen sie wie einen Schlag und warfen sie tatsächlich um, allerdings war es kein harter Aufprall, wie sie es in der Finsternis erwartet hatte. Es war unerwartet weich, fast schon kuschelig. Es war ruhig, aber nicht mehr Todesstill. Obwohl… da war ein Piepen. Monoton wiederholte es sich, bis es allmählich etwas schneller wurde. Sie hörte neben sich etwas Rascheln. Vielleicht eine Zeitung? Als dann plötzlich etwas ihre Hand ergriff, versuchte sie sich augenblicklich davon zu befreien, doch mehr als ein leichtes zucken, schaffte ihr Körper nicht. Sie hatte Angst! Es war so dunkel! Was war das? Wollte es sie umbringen? Sie hatte Angst! „…-nto…“, hauchte sie aus ihrer trockenen Kehle, da sie ihren gewollten Schrei nicht herausbekam. „Ich bin hier.“, antwortete die Stimme, die scheinbar zur Hand gehörte, welche mit einem Mal gar nicht mehr bedrohlich wirke, sondern sogar etwas Warmes und Liebevolles an sich hatte. Suzuki versuchte nun sogar fast diese Hand fest zu halten, aber auch jetzt war es nicht mehr als ein kraftloses Zucken. „Ist sie aufgewacht?“, fragte eine neue Stimme. Es musste Shoko gewesen sein. „Ja.“ „Kann sie…“, wollte die Ärztin fragen, doch Nanami musste wohl schon nonverbal darauf geantwortet haben. „Die Fluchkraft in ihrem Körper war wohl wirklich zu viel. Aber bisher geh ich davon aus, dass ihre Augen sich erholen.“, erklärte sie, während sie scheinbar direkt auf Suzuki zukam. „Achtung, ich fasse deinen Kopf an.“ Suzukis Kopf wurde geneigt und ihre Lider jeweils ein wenig gehoben. „Deine Pupillen reagieren auf das Licht. Es ist nicht viel, aber wenigstens funktionieren die grundlegende Reflexe.“, erklärte sie und ließ von der Grauhaarigen ab. Auch wenn Shoko wohl wirklich optimistisch gegenüber Suzukis Zustand war, änderte das für sie nichts daran, dass man ihr gerade bestätigt hatte, dass sie blind war. Vollkommen egal, ob es nur vorübergehend war oder nicht. Suzuki hatte die Grenzen ihrer Fähigkeiten bei weitem überschritten und war deswegen erblindet. Das es passieren würde, war ihr bewusst. Ihre Sehkraft nahm schon seit der Oberstufe langsam allmählich ab und machte durch die zu starke Nutzung ihrer Fluchttechnik vereinzelt Sprünge. Doch das eine Erblindung, die länger als zehn Minuten anhalten würde, wirklich eintreten könnte, hatte sie bisher nie in Betracht gezogen. Doch nun war es soweit und das alles nur, weil ihr Körper zu schwach für ihre Fluchkraft war … Weil sie zu schwach war! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)