Nanamin von Knightwalker ================================================================================ Kapitel 5: ----------- Im ersten Jahr der Akademie war ich zu Beginn allein mit meinem Klassenkamerad Nora Ootsuka, einem Jungen aus einer Familie von Priestern und Priesterinnen. Als die Einzigen in der Stufe, freundeten wir uns natürlich an und unternahmen viel miteinander. Er war eher klein und schwächlich. Da war es für mich nicht unbedingt schwer stärker zu sein oder sich mindestens stärker zu geben. Ich beschützte ihn häufig vor Krawallen mit anderen Oberschülern, in die ich ihn meistens mit meiner vorlauten Art gebracht hatte. Es war schön, dass ich meinen Stolz auf meine Körperkraft endlich zeigen konnte. Doch als mitten im Jahr Sanae Kechi zu uns stieß, richtete sich das Machtverhältnis endgültig richtig aus. Überheblicher Weise, getrieben von meiner Arroganz, bot ich mich ihr im ersten gemeinsamen Kampftraining als Partner an. ‚Halt dich bloß nicht zurück!‘, hatte ich ihr lachend gesagt. Ich habe ihre damals noch kümmerliche und unsichere Gestalt keine Sekunde für voll genommen. Lass es vielleicht fünf Sekunden gewesen sein, bis ich auf dem Boden lag. Ich hatte nicht einmal die Farbe ihrer Fluchkraft wahrnehmen können, so schnell hatte sie mich mit nur einem Schlag umgeworfen. Sie entschuldigte sie darauf noch tagelang, doch der Moment, in dem sie mit dem Fluch in sich tauschte… Ihr Blick fuhr mir durch Mark und Bein. Eine Mordlust, deren reine Präsents einen warnsinnig machen konnte. Ich wusste, dass ich stolz und eitel war, aber wie sehr, spürte ich erst bei dieser gnadenlosen Niederlage. Das war nicht nur Zufall oder ein schlechter Tag, sondern es war ein in Stein gemeißelter Fakt, dass Kechi stärker war als ich. Und nicht nur einfach stärker, sondern Welten von mir entfernt. Und die Distanz schien mit jedem Tag weiter zu werden. Als sie dann noch diesen Speer nutzte, zeigte sich die Entfernung nur noch mehr. Natürlich stammte sie aus einer Familie talentierter Schmiede und natürlich fertigen diese den einmaligen Flüche-fressenden-Speer Musabori und natürlich konnte Kechi perfekt mit ihm umgehen. Ich dagegen brauchte Wochen, um mich überhaupt an das Gewicht meiner Zwillingsmesser zu gewöhnen, geschweige denn ansatzweise richtig mit ihnen kämpfen zu können. Natürlich hatte ich mir am Anfang einbilden wollen, dass ich etwas Besonderes wäre, weil meine Fluchkraft nicht durch die zirkulierende Energie der Messer gestört wurde, aber lange hielt das meinem Frust nicht stand. Während Nora und Kechi auf Missionen gingen, war ich gezwungen meine überflüssige Fluchtechnik zu trainieren und meinen Körper an die Waffen zu gewöhnen. Wofür brauchte ich meine Fähigkeit überhaupt noch? Mit der Brille, die Yaga mir gegeben hatte, konnte ich die Flüche doch sehen! Da musste ich mich doch nicht mehr auf meine Fluchtechnik konzentrieren, die mir auch nur erlaubte Fluchkraft zu sehen! Durch dieses ätzende Einzeltraining, entfernte sich Nora von mir. Nicht nur durch die Zeit, die er nicht mit mir verbrachte, sondern besonders durch seine Kampferfahrung. Ich beneidete sie! Ich hasste sie fast schon! Ich wollte besser sein als Kechi, doch ich wusste, dass ich es nie sein konnte. Das war der schmerzhafteste Punkt an der ganzen Sache. Sie führte es mir jeden Tag auf die brutalste Art und Weise vor Augen! Sie wurde jeden Tag mehr wie eine Heldin aus einem Shojo Manga. Hübsch, bedacht und zudem auch noch unglaublich stark. Sie war alles, was ich nicht war. Wie ein Kleinkind klammerte ich mich, mit allem was ich hatte, an Nora. Doch spätestens im zweiten Jahr, beim Austausch mit der Kyotoer Oberschule realisierte ich, dass er nun für sich selbst einstehen konnte. In der Beschwörung seiner Fluchkarten war er mittlerweile so gut, dass er niemanden mehr brauchte, der ihn beschützte. Um genauer zu sein, war ich es nun, die von ihm beschützt werden musste. Ich fühlte mich so unglaublich unnötig, dort wo ich war. Dort wo ich still stand. Ich wurde wütend. Hauptsächlich wütend auf mich selbst. Meine Fluchkraft stieg durch meine angestaute Wut und meinen Frust. Da es anhielt, dachten sie alle, ich wäre nun endlich über mich hinausgewachsen und ließen mich in der zweiten Hälfte des zweiten Jahres endlich mit auf eine Mission. Eine ganz einfache Mission. Wir sollten lediglich einem Gerücht über eine alte Lagerhalle, in der Menschen verschwanden, nachgehen und uns zurückziehen, sollte es sich als ein Fluch herausstellen. Es war nicht nur die Überheblichkeit, die diese Mission zu einem vollen Misserfolg machte, sondern auch meine Angst und Unfähigkeit. Ich war den Tag davon überzeugt, dass ich alle Flüche mit meiner Brille sehen würde. So trennten wir uns auf. Nora und ich und Kechi allein. Nachdem wir eine gefühlte Ewigkeit durch das Lagerhaus gegangen waren und es sich irgendwie immer anstrengender anfühlte, bat er mich meinen Scan zu nutzen, um zu schauen, ob überhaupt Flüche in der Nähe waren. Ich nahm also die Brille ab und setzte meine Fluchtechnik ein … Sie atmete kurz tief durch. Ich erkannte das wir mitten im Fluch waren. Abgesehen von Nora war alles rot. Ich schaffte es nicht einmal zu atmen. Ich wollte mich am liebsten an Ort und Stelle übergeben, so schlecht wurde mir mit einem Mal. Meine Fluchkraft klang Augenblick ab und war anschließend wie versiegelt. Ich war so ein unnötiger Mensch. Ich war einfach schlecht und schwach. Niemand mit dem sich jemals irgendjemand hätte abgeben wollen. Einfach nur erbärmlich und verdammt arrogant. Nora war es, der gehandelt hatte, als ich mich vollkommen in den Stimmen in meinem Kopf verlor. Ich wurde einfach nur wie eine Hülle von ihm hinter sich hergezogen. Es war ganz allein Kechi zu verdanken, dass wir überhaupt wieder aus diesem Fluch herauskamen. Sie hatte im Kern des Flüches einen komischen Finger gefunden. Ihr Speer hatte sehr heftig darauf reagiert, daher hatte sie Musabori diesen einfach aufnehmen lassen, ohne zu wissen, was das überhaupt war. Wir dachten alle, es wäre vorbei gewesen, als wir endlich wieder aus dem Lagerhaus herauskamen, doch unter dem Schein des Mondes ging der Spuk erst richtig los. Nora, der mich noch immer stützte, obwohl ich mittlerweile schon wieder etwas klarer war, bemerkte den Angriff noch etwas früher als ich und stieß mich von sich. Es war, als könnte die einzelne Spitze des Speers mit nur einem bloßen Schwung mehrere Schnitte verursachen. Das Blut von Nora, welches mir entgegen spritzte, während ich im Staub landete, klarte meine Gedanken mit einem Mal auf. Die Stimme, die mit mir sprach und mich beleidigte, während Nora ächzend zu Boden sackte, kannte ich nicht, allerdings den Körper, der dort vor mir stand. Sanae Kechi. Ich wusste, dass sie einen Fluch in sich trug. Ich hatte ihre Macht ja auch schon am eigenen Leib gespürt, doch was es bedeutete, wurde mir erst in diesem Moment überhaupt ansatzweise bewusst. Im Normalfall war ihre Präsenz stärker, als die des Flüches, daher konnte Kechi auch beliebig auf die Kraft des Flüches zurückgreifen, doch irgendetwas störte dieses Machtverhältnis nun. Irgendetwas störte den bisherigen Normalfall. ‚Steh auf, du feiges Stück Scheiße‘, rief der Fluch mich mit seiner provokanten Stimme. Mein Körper reagierte darauf nur mit zittern. Das war nicht die Kechi, die ich kannte, versuchte ich mir einzureden und versuchte aufzusehen, doch im Augenwinkel sah ich die ganze Zeit den regungslosen Nora. Das Zittern wurde heftiger. ‚Steh endlich auf und zieh deine verdammten Messer!‘, rief der Fluch erneut und zerrte mich schon bald darauf kräftig an meinem Arm hoch auf die Beine. Er zwang mich regelrecht dazu meine Messer zu ziehen und auf den Körper meiner Kameradin zu richten. Wäre ich nicht mit Adrenalin vollgepumpt gewesen, hätte ich dort schon längst gestanden und geweint. Aber ich war dennoch unfähig etwas zu tun. Irgendwann riss der Fluch mir ungeduldig ein Messer aus der Hand und rammte es sich gnadenlos in die Augenhöhle. Ich war so geschockt, mein Körper sackte einfach widerstandslos in sich zusammen. Plötzlich waren Schmerzensschreie zu hören. Kechis Schmerzensschreie. Der Fluch konnte jetzt wohl entscheiden, wann getauscht wurde und entschied sich dafür, mich zu quälen. Ich dachte zwar, ich würde Kechi hassen, doch das hatte sie nicht verdient. Das war einfach nur grausam. ‚Was hast du getan!? Was hast du mir angetan!?‘, schrie Kechi mir entgegen. Ich konnte sie nicht ansehen. Ich schloss die Augen und presste die kraftlos zitternden Hände so fest wie möglich auf meine Ohren. Doch ihre Schreie drangen immer noch zu mir durch… bis sie mit einem Mal verstummten. Noch eine halbe Ewigkeit zog an mir vorbei, bis ich genug Kraft hatte, um meine Augen wieder zu öffnen. Vor mir lag das Messer, welches der Fluch an sich genommen hatte. Daran klebte noch immer das Blut von Kechi. Der letzte Rest, der von ihr hiergeblieben war. Wir wurden bald darauf von Ijichi gefunden, der geschickt wurde, um nach uns zu suchen, da wir schon zu lange weg waren. Er brachte uns zurück, woraufhin erst Nora und dann ich von Ieiri behandelt wurden. Die oberflächlichen Verletzungen verheilten nach ein paar Wochen und Monaten. Nora trug seither riesige Narben auf seinem Oberkörper und war häufig geistesabwesend, im Allgemeinen war er ganz anders als vor dem Zwischenfall. Ich hingegen versuchte mich ihm gegenüber so zu verhalten, wie ich es immer tat, um ihm irgendwie eine Art Stütze zu sein. Doch insgeheim weinte ich mir nachts die Augen aus dem Kopf, weil ich sonst keine Ruhe fand. Zum Ende des zweiten Jahres entschied ich dann, mich auf die Tätigkeit eines Assistenten zu spezialisieren, um Nora so gut es mir möglich war, bei zu stehen, doch als ich ihm davon erzählte nachdem ich den Antrag gestellt hatte, erklärte er mir, er würde die Schule wechseln. An eine normale Oberschule gehen und seinen Abschluss machen wollen. Er wollte in seiner Zukunft etwas tun, dass ihn und andere Menschen glücklich machen würden. Er würde gerne mit Kindern arbeiten oder etwas anderes versuchen, bei dem er sich und seinem Umfeld ein Lächeln schenken könnte. Ich schaffte es ihm zu zuhören, zu nicken und ihm Mut zu zusprechen, das alles irgendwie werden würde, doch irgendetwas brach tief in mir zusammen, als er mir davon erzählte. Er verließ mich und die einzige Konstante, die blieb, war die Akademie. Ich war davon überzeugt, an der Akademie zu bleiben, wäre der einfachste Weg, den ich gehen konnte, doch ohne es zu wissen, wählte ich so den Schwersten überhaupt. Ich wurde weiter unterrichtet, doch weit bis ins dritte Jahr war ich nicht in der Lage meinen Scan anzuwenden. Hinzukam, dass ich immer schlechter die Flüche durch die Brille, die ich von Yaga bekommen hatte, sehen konnte. An einem, wie ich sie nenne, guten Tag, funktionierte es dann plötzlich wieder. Ich wusste nicht, ob ich vor Freude weinen sollte, weil ich etwas zurückbekommen hatte, dass ich verloren hatte, oder aus Frust, weil mich dieser Fluch nun endlich wieder eingeholt hatte und festhielt. Ich entschied mich auch nach meinem Abschluss an der Akademie zu bleiben. Ich hatte immerhin keine besonderen Fähigkeiten und hier hatte ich wenigstens schon einen Platz. Ich war vermutlich einfach zu faul oder zu unentschlossen einen eigenen, neuen Weg zu gehen, so wie Nora es getan hatte. Nora war wirklich ein liebenswerter Mensch. Ich habe ihm oft die langen Haare geflochten, weil er sie auf keinen Fall abschneiden wollte, aber sie ihn doch immer irgendwie störten! … Ich habe gehört, er arbeitet in einem Café… Lass uns dort doch bitte einmal vorbeischauen und etwas trinken... Ich lade dich auch gerne ein. Immerhin war es meine Idee… Verstehe mich bitte nicht falsch, ich möchte ihm kein schlechtes Gewissen machen oder so... Ich habe selbst entschieden, wie ich mein Leben lebe, also bin ich die einzige, der ich Schuld zuschieben könnte, würde ich das alles irgendwie bereuen... Nein. Ich möchte einfach nur wissen, ob er glücklich ist und lächeln kann, so wie damals. Das wäre das Einzige... „In Ordnung.“ Suzuki schwieg einen Moment und begann wieder ihre Hände zu kneten, wie sie es bei ihrem Monolog häufig gemacht hatte, während sie versuchte die Worte in ihrem Kopf zu ordnen. Hatte sie zu viel geredet? Hatte sie ihn damit vielleicht sogar genervt? “Kento, ich... Entschuldige, falls ich-” “Entschuldige dich nicht immer für unnötige Dinge, das habe ich dir doch schon mal gesagt.”, tadelte er sie und blickte sie an. Kein Blick, wie der an einem Montagmorgen oder wenn er Überstunden schieben musste. Sie wusste nicht, was es war, dass er in seinem Blick hatte, aber es war kein Ärger oder ähnliches. “Stimmt, das hast du.”, erwiderte sie leicht schmunzelnd. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)