Animus captimente von yamimaru ================================================================================ Kapitel 5: [26. und 27. Juni] "Ihr wart bei mir, oder?" ------------------------------------------------------- Himmel, endlich hatte er diese ganzen Untersuchungen hinter sich. Zwischenzeitlich hatte er schon gar nicht mehr daran geglaubt, heute überhaupt noch fertig zu werden. Leise seufzend fuhr er sich durchs Haar und ging mit schnellen Schritten die breiten Flure des Krankenhauses entlang. Die kleine Plastiktüte in seiner Hand raschelte und erinnerte ihn daran, wie viel Zeug ihm der Apotheker im Untergeschoss eingepackt hatte. Reita schüttelte den Kopf und widerstand nur knapp dem Drang, die Augen zu verdrehen. Es war schon Ironie des Schicksals, das er diesen Migräneanfall ausgerechnet in einer Klinik bekommen hatte, die auf alles spezialisiert war, was das Gehirn betraf. Immerhin wusste er von früher noch, wie lange es gedauert hatte, bis sich Uruha von einem Spezialisten hatte untersuchen lassen können. Verglichen damit waren die paar Tage, die er auf seinen Termin hatte warten müssen, ein Witz. Trotzdem. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte es diese ganzen Untersuchungen überhaupt nicht gebraucht. Aber alle um ihn herum hatten diesen Vorfall so unglaublich ernst genommen – besonders Aoi. Die Sorge seines Liebsten war schlussendlich ausschlaggebend gewesen, dass er sich überhaupt hatte durchchecken lassen. Gebracht hatte es wie erwartet jedoch nichts. Ihm war auch vorher schon bewusst gewesen, dass er zu wenig schlief, zu unregelmäßig aß und zu viel Stress ausgesetzt war. Erneut kam ihm ein Seufzen über die Lippen. Sie hatten gerade wirklich dringlichere Themen zu besprechen. Uruha zum Beispiel und wie sie nun weiter vorgehen sollten. Natürlich hatte er Aoi von seinen Erlebnissen erzählt, aber wie befürchtet war er mehr als nur ein wenig skeptisch gewesen. Doch eines musste Reita ihm lassen, er versuchte wenigstens, diese ganzen übernatürlichen Geschehnisse zu akzeptieren, wenn er sie auch nicht verstehen konnte. Mit Letzterem war Aoi jedoch keineswegs allein. Selbst er begriff noch immer nicht, was passiert war oder wie er sich diese Vorkommnisse auch nur im Ansatz plausibel erklären sollte. Aber vielleicht war jede Art von Logik hier auch fehl am Platz, das eigentliche Problem an der Sache lag sowieso ganz woanders.   „Hallo, ihr zwei“, begrüßte er seine beiden Männer, als er Uruhas Zimmer erreicht und die Tür nach innen aufgedrückt hatte. Aois melodisches Gitarrenspiel verstummte, während sich sein Blick hob und er Reita mit einem lieben Lächeln empfing.   „Na, das hat ja gedauert. Musstest du so lange warten, bis der Arzt Zeit für dich hatte?“   „Das auch. Am längsten hat allerdings der Apotheker gebraucht, bis er die ganzen Pülverchen hier endlich zusammengestellt hatte. Meiner Meinung nach ist der Gute schon etwas tattrig, aber wie auch immer, ich hab ja bekommen, was ich wollte.“ Er reichte Aoi die Plastiktüte, küsste ihn kurz, bevor er zu Uruhas Bett hinüberging, um auch seinem Schatz einen Kuss auf die Lippen zu drücken. „Na? Hat dich unser Blue gut unterhalten?“ Er lächelte, fuhr Uruha durchs Haar und strich aus einem Reflex heraus die Bettdecke glatt, obwohl es nicht nötig gewesen wäre.   „Du hast ja die halbe Apotheke mitbekommen“, murmelte Aoi, während er interessiert den Inhalt der Tüte musterte. „Was ist das alles?“   „Soweit ich den alten Herren verstanden habe, hauptsächlich natürliche Tee- und Kräutermischungen zur Nervenstärkung, für eine bessere Schlafqualität und zur Beruhigung. Und eine Packung Triptane für den Notfall.“   „Das sind die Tabletten, die Uruha immer nimmt, oder?“   „Ja, nur eine andere Marke, glaube ich.“ Er setzte sich neben Aoi, nahm die Gitarre von seinem Schoß und begann, die Melodie eines alten Kinderliedes zu spielen. Sein Freund lächelte ihn für einen Moment an, bevor er den Blick erneut nachdenklich auf die Medikamente richtete. „Wenn ich das ganze Zeug nehme, kannst du mich Kräuterhexe nennen.“   „Was heißt hier wenn du das Zeug nimmst, natürlich tust du das. Der Arzt wird schon seine Gründe haben, warum er dir das alles verschrieben hat.“   „Aoi“, murmelte er, stoppte die rhythmische Bewegung seiner Finger und die lebhafte Melodie verstummte. „Wir wissen beide, dass es keine körperliche Ursache dafür gegeben hat, dass es mir so schlecht gegangen ist.“   „Trotzdem kann es nicht schaden, wenn du mal wieder eine Nacht durchschläfst und dich ausruhst.“   „Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.“ Mit Nachdruck richtete er seinen Blick auf die Schatten unter den Augen seines Freundes, die in den letzten paar Tagen noch dunkler geworden zu sein schienen. „Ich bin eindeutig nicht der Einzige, dem zu viel im Kopf umher spukt. Denkst du nicht, es ist an der Zeit, es noch einmal zu versuchen? Ich lese ihm seit Tagen allein vor, weil du dich weigerst, mich abzulösen. Ich kann ja verstehen, dass du Angst hast, aber du siehst doch, dass wir so nicht weiterkommen.“   „Angst? Das ist gar kein Ausdruck für das, was ich empfinde, Reita.“ Aoi hatte sich erhoben und ging wie ein eingesperrter Tiger vor ihm auf und ab. „Ich will nicht behaupten, dass es mir leicht fällt, die Erlebnisse, von denen du mir erzählt hast, zu begreifen, und trotzdem versuche ich es. Verstehst du, Reita? Ich versuche jeden Tag, das alles in meinen Schädel zu kriegen, aber weißt du, was das auch heißt? Ich muss akzeptieren, dass unser Geliebter da drin gefangen ist …“ Er deutete auf Uruhas Kopf und atmete so angestrengt, dass sich sein Brustkorb sichtbar hob und wieder senkte. „Und dass irgendetwas verhindert, dass er zu uns zurückfindet. Dasselbe Etwas, das dir beinahe deine Synapsen frittiert hat, als du ihm zu nahe gekommen bist.“   Zu Reitas Schande musste er gestehen, dass ihm bei den letzten Worten seines Partners ein leises Lachen entkommen war. Weniger, weil ihm die Ernsthaftigkeit ihrer Situation nicht bewusst wäre, nein, das sicher nicht, es war vielmehr Aois Wortwahl gewesen, die ihn unpassenderweise amüsiert hatte. „Tut mir leid“, murmelte er, stellte die Gitarre umsichtig beiseite und erhob sich ebenfalls. Langsam trat er an Aoi heran und umfasste seine Schultern, um ihn am Auf- und Abgehen zu hindern. „Hey, Blue, ist doch alles gut.“   „Warum musst ausgerechnet du es sein?“, wisperte sein Gegenüber und die schönen Augen glänzten verräterisch. „Was, wenn dir etwas passiert? Was, wenn du so wie Uruha endest, gefangen in einer Welt, in der ich euch nicht erreichen kann?“   „Wir wissen doch gar nicht, ob ich der Einzige bin, der irgendwie zu ihm durchdringt. Vielleicht bist du es beim nächsten Mal? Wenn du nicht immer das Zimmer verlassen würdest, wenn ich zu lesen beginne, wüssten wir zumindest das schon.“ Reita biss sich auf die Unterlippe, als ihm bewusst wurde, dass er seinem Freund, ohne es zu wollen, erneut einen Vorwurf gemacht hatte. Aber Aoi schien ihm gar nicht richtig zugehört zu haben. Sein flackernder Blick glitt zwischen Uruha und ihm hin und her, und Reita konnte nur zu deutlich spüren, wie verkrampft seine Schultern waren. Himmel, seinen Liebsten nahm diese ganze Sache deutlich mehr mit als ihn. Reita wollte lediglich nach vorn schauen, alles tun, um Uruha zurückzuholen, ohne an mögliche Konsequenzen zu denken. Doch an Aoi nagte die Sorge um ihren Geliebten und ihn so unerbittlich, dass Reitas Herz schmerzte, als er ihn nun so sehen musste.   „Wenn in all den Fantasy-Geschichten auch nur ein Fünkchen Wahrheit steckt, hab ich keine Chance, dir an diesen Ort zu folgen.“   Reita runzelte die Stirn, verstand gerade nicht, wo diese Erkenntnis so plötzlich ihren Ursprung hatte. „Wie meinst du das?“   „Na, ich glaube zu wenig, das hast du doch selbst schon festgestellt.“ Aoi lächelte traurig und schlang mit einem Mal die Arme fest um seine Mitte, das Gesicht gegen seine Brust vergraben. „Ich will Uruha doch auch zurückhaben … aber ich hab auch so große Angst, dass dir etwas passiert.“   „Mir wird nichts passieren.“   „Woher willst du das wissen, mh?“   „Weil du immer bei mir bist und auf mich aufpasst.“   „Und wie soll ich das anstellen, wenn ich keine Ahnung habe, was hier überhaupt vor sich geht?“   „Mir wird nichts passieren“, wiederholte er, weil er nicht wusste, was er auf Aois Frage sonst hätte antworten sollen. Es war Fakt, dass sie nahezu nichts wussten, dass alles, was sie bislang getan hatten, auf puren Zufällen oder Vermutungen basierte.   „Können wir nicht einfach abwarten?“ Aoi hob den Kopf und sah ihm direkt in die Augen. „Doktor Fujida und ihr Team sind noch immer mitten in ihren Untersuchungen. Vielleicht ergibt sich ja doch noch ein medizinischer Ansatz?“   „Nach allem, was passiert ist, glaub ich mittlerweile nicht mehr daran, dass die Ärzte mit ihrer rein wissenschaftlichen Herangehensweise Uruha helfen können.“ Der Mund seines Freundes öffnete sich, aber bevor er etwas sagte, schloss er ihn wieder und schüttelte nur matt den Kopf. „Blue“, wisperte er, streichelte Aoi über die Wange, bis er ihn wieder ansah. „Vertrau Uruha, ich bin mir sicher, dass er uns zeigt, wie wir ihm helfen können.“ Er ging die wenigen Schritte zum Besuchertisch hinüber, nahm das Buch, in dem er gestern schon gelesen hatte, und hielt es seinem Liebsten hin. „Lass es uns versuchen, zusammen, okay?“   Sein Freund nickte und nahm das Tagebuch an sich. Obwohl er noch immer einen gewissen Widerwillen in der Art, wie deutlich sich Aois Kieferlinie abzeichnete, erkennen konnte, zog er den Stuhl näher an Uruhas Bett und begann vorzulesen. Reita lächelte, tat es ihm gleich und drückte noch einen kurzen Kuss auf den schwarzen Schopf, bevor auch er sich setzte. Viel würden sie heute ohnehin nicht mehr schaffen, weil die Besuchszeit in einer halben Stunde schon wieder vorbei war, aber es tat gut, Aoi wieder in seinem Team zu wissen. Es fuchste ihn dennoch, dass er so lange mit den Untersuchungen gebraucht hatte. Doch auch wenn es sich morbide anhören mochte … Uruha lief ihnen nicht weg, sodass sie auch morgen noch einen ernsthaften Versuch starten konnten. Er hatte da schon so eine Idee, wie es klappen könnte …   ~*~   Der nächste Morgen hielt eine Überraschung in Form seines Mannes für ihn bereit, der viel zu früh über das Bett und somit ihn gebeugt dastand und ihm einen Kuss auf die Stirn drückte.   „Bis später‘“, wisperte sein Liebster und Reitas Nase kräuselte sich, als er eher unwillig ein Auge öffnete. Nicht nur, dass sie heute frei hatten und acht Uhr wirklich nicht die Zeit war, zu der er hatte aufstehen wollen, Aoi war auch bereits komplett angezogen.   „Gehst du weg?“, nuschelte er verschlafen, schob eine Hand in den Nacken des anderen und zog ihn näher, als er bereits wieder auf Abstand gehen wollte.   „Du hast vergessen, dass ich mich heute mit meiner Mutter in der Stadt treffe, was?“   „Eh …“ Er runzelte überlegend die Stirn, aber sein Gehirn war wohl noch nicht ganz hochgefahren, denn er erinnerte sich wirklich … Oh, doch, da war die Erinnerung. „Stimmt ja, das hattest du erzählt. Ich hab aber nicht versprochen, mitzukommen, oder?“ Er verzog das Gesicht, als ihn Aoi einen Moment lang lediglich scharf musterte, bevor sich ein breites Lächeln auf seine Lippen schlich.   „Nein, hast du nicht, keine Sorge.“   „Du~“, motzte er, zog seinen Liebsten mit einem beherzten Ruck aufs Bett und schaffte es mit etwas Mühe, sich über ihn zu rollen.   „Uff, Rei, ich muss doch …“ Sämtliche Widerworte wurden in einem ausführlichen Kuss erstickt. Ihm war egal, ob Aois Mutter noch etwas auf ihren Sohnemann warten musste, jetzt war erst einmal er an der Reihe. Das hatte sein Mann davon, wenn er ihn an einem freien Tag zu so unmenschlicher Zeit aufweckte. Dass Aoi ihn vermutlich gar nicht hatte wecken und sich nur kurz von ihm verabschieden wollen, ignorierte er ebenso geflissentlich, wie die nachdrücklicher werdenden, wenn auch sehr genuschelten Proteste. „Reita, ich muss wirklich los.“   „Sag einfach, es war zu viel Verkehr.“   „Ich fahre mit den Öffentlichen.“   „Dann hatten die eben Verspätung.“   „In Tokyo?“   Reita grinste, saß indes auf Aois Schoß und hatte sein Hemd aufgeknöpft. Mit gespreizten Fingern rieb er über den warmen Oberkörper, während sein Becken ohne sein bewusstes Zutun zu kreisen begonnen hatte. „Du kannst gehen, wenn du wirklich willst“, feixte er, beugte sich herab und begann, über die warme Haut zu küssen. Himmel, Aoi schmeckte so gut. Ungeniert seufzte er, als er einen der kleinen Nippel für sich entdeckte, ihn mit Zähnen und Zunge reizte, bis er sich ihm stolz entgegenreckte. „Was ist jetzt, hast du es doch nicht mehr so eilig?“   Statt ihm zu antworten, gruben sich Aois Finger in seinen Schopf, zogen ihn nicht gerade sanft auf Augenhöhe, bevor fordernde Lippen seinen Mund verschlossen. Von Aoi so geküsst zu werden, war nie einfach nur schön, aber gerade hatte er das Gefühl, zu Wachs in den Händen des anderen zu werden. Ein Zustand, den er normalerweise sehr genossen hätte, der ihm gerade jedoch eher ungelegen kam. So löste er sich recht bald von diesen süchtig machenden Lippen, nicht ohne den genuschelten Protest zu genießen, von dem sein Tun begleitet wurde. Lächelnd zeichnete er erneut unsichtbare Muster auf Aois Haut, glitt seinen Oberkörper immer weiter hinab. Die noch unterdrückten Laute, die er seinem Mann entlockte, waren wie Musik in seinen Ohren. Als Aoi lang gezogen aufstöhnte, nachdem Reitas Zunge seinen Bauchnabel für sich entdeckt und ausführlich liebkost hatte, sammelte sich Hitze in seinem Magen. Oh ja, er liebte diese Momente, in denen er es war, der Aoi um den Verstand brachte. Diese Augenblicke, wenn der andere seine eiserne Kontrolle nur für ihn aufgab. Das Geräusch des Reißverschlusses schickte eine prickelnde Gänsehaut über seinen Rücken, ebenso wie die Tatsache, dass sein Liebster ohne zu zögern sein Becken hob, damit er ihm die Jeans über die schlanken Beine streifen konnte.   „Mmmh, was für ein Anblick“, murmelte er, ungeniert seine Augen über Aois Form gleiten lassend. Sein Mann quittierte diese Anmerkung nur mit einem seiner berühmten Mona-Lisa-Lächeln und schob eine Hand in seine schwarzen Strähnen. Mit der anderen strich er reizvoll über seinen Oberkörper, kratzte angedeutet über seinen Bauch und drückte leicht den Rücken durch. „Die pure Versuchung und du weißt genau, was für eine Wirkung du auf mich hast, stimmt’s?“   „Du machst es mir auch nicht gerade schwer, dich zu durchschauen, mein Lieber.“   Reita sagte vorerst nichts darauf, richtete sich auf und streifte sich sein dünnes Schlafshirt über den Kopf, das ihm in den letzten Minuten viel zu warm geworden war. Einen Herzschlag später sah er sich erneut seinem lächelnden Freund gegenüber, der ihn mit einem gekrümmten Zeigefinger näher lockte.   „Nee du, so leicht geb ich meine Oberhand nicht auf.“ Er grinste, schob die Finger unter den Gummibund von Aois Shorts und entledigte ihn mit nur einem schnellen Ruck des störenden Kleidungsstücks. „Das Hemd darfst du anbehalten, es gefällt mir, wie du gerade damit aussiehst.“   „Wie großmütig von dir“, meinte der andere neckend. Als Reita jedoch die Lippen auf die dünne Haut seiner Leiste presste und mit den Zähnen angedeutet darüber schabte, verschwand der überhebliche Ausdruck aus seinem Gesicht. Sein Grinsen vertiefte sich und die Selbstzufriedenheit füllte ihn wie ein warmes Glühen von innen aus. Aoi stellte die Beine leicht an, bot ihm dadurch nur noch mehr Spielraum und versuchte, ihn damit gleichzeitig an den Ort zu locken, wo er ihn gerade am dringlichsten brauchte. Aber Reita nutzte viel lieber diese neu erlangte Freiheit, um über jeden Zentimeter Haut an Bauch und Leiste zu küssen. Genüsslich verzierte er die Innenseiten von Aois Oberschenkeln mit hübschen, dunkelroten Malen, bis sich sein Freund immer öfter unter ihm zu winden begann.   „Rei.“ Sein Name, so atemlos geflüstert, hatte die Qualität einer flehenden Bitte und schickte ein heißes Ziehen durch seinen Unterleib. Nun war es genug des Hinhaltens, beschloss er für seinen Liebsten und für sich selbst, als er sich zielstrebig Aois Körpermitte näherte. Kleine Küsse tupfte er auf den zuckenden Schaft, bis sich seine Lippen um die feuchte Eichel schlossen. Aois sauberer Geschmack kitzelte seine Zunge, ließ ihn genussvoll brummend die Augen schließen, während sein Mann sein Tun mit einem innigen Stöhnen begleitete. Finger schoben sich in seine Haare, ohne ihn jedoch zu dirigieren oder zu drängen. Himmel, selbst jetzt strahlte sein Mann diese ihm eigene Kontrolle aus, für die er ihn immer wieder beneidete. Aber auch diese würde er ihm rauben, ebenso wie seinen Verstand oder die Fähigkeit, sich zurückzuhalten. Als zurückhaltend konnte man auch Reita in diesem Moment nicht mehr bezeichnen, als er mit Nachdruck begann, sich um seinen Liebsten zu bemühen. Die leisen Laute, die Aoi nicht unterdrücken konnte, wurden stetig lauter, wurden zur Symphonie seines Tuns. Reitas Hände rieben unruhig über die sich erhitzende Haut, Nägel kratzten über die gezeichneten Oberschenkel, machten seinen Besitzanspruch noch deutlicher. Himmel, wie liebte er diesen Mann, wie sehr wollte er, dass Aoi für einen Augenblick alles vergessen konnte. All seine Sorgen, all den Schmerz. Uruhas Ring schwang an der Kette um seinen Hals im Rhythmus seiner Bewegungen vor und zurück, hinterließ ein brennendes Gefühl auf seiner Haut, jedes Mal, wenn er sie berührte. ‚Er ist bei uns‘, wollte er sagen, doch ein schneller Blick nach oben zeigte ihm, dass Aoi es ebenso spüren konnte.   „Rei~, Gott, ich …“   Die gestammelten Worte seines Liebsten waren wie Wasser auf seine Mühlen, ließen ihn sich nur noch inniger um ihn bemühen. Seine Finger kneteten die festen Hoden, rieben und massierten über den verborgenen Eingang, während ihm das Becken seines Mannes immer dringlicher entgegenruckte. Er entspannte seine Kehle, ließ Aoi so noch tiefer vordringen und gab ihm damit den Rest. Laut stöhnend, ohne jegliche Zurückhaltung, erzitterte Aois Leib unter ihm, als er seinem Höhepunkt erlag. Reita schluckte, die Augen geschlossen und selbst nicht in der Lage, sein Zittern zu unterdrücken. Ob Aoi wusste, welche Wirkung er auf ihn hatte? Wie unglaublich es sich anfühlte, das Vertrauen spüren zu können, das er ihm jedes Mal entgegenbrachte, wenn er sich ihm derart ungezügelt hingab? Irgendwann würde er ihm das beichten müssen – irgendwann. Lächelnd drückte er der geröteten Eichel noch einen Kuss auf, bevor er sich über die Lippen leckte und sich aufrichtete. Wenn möglich, war das Bild, das sein Mann nun abgab, noch verführerischer als zuvor. Es erinnerte ihn daran, dass er sich zwar um Aois Bedürfnisse gekümmert, seine eigenen jedoch ziemlich vernachlässigt hatte. Keuchend rieb er sich über den Schritt, spürte die Feuchtigkeit, die seine Shorts längst durchdrungen hatte.   „Ich nehme alles zurück – jetzt siehst du aus, wie die pure Sünde.“   „Mmmh“, brummte Aoi tief und herrlich heiser, was ihm einen erneuten Schauer bescherte. „Dann erlieg dieser Sünde und komm her, damit sie sich um dich kümmern kann.“ Aois Finger hatten die seinen beiseitegeschoben und sich einen Weg unter den Stoff seiner Shorts gesucht. Stöhnend ließ sich Reita nach vorn fallen, stützte sich mit einem Arm neben Aois Kopf ab und ließ sich nur zu gern in einen wilden, atemlosen Kuss ziehen.   „Er ist hier“, wisperte er zwischen zwei Berührungen ihrer Lippen, als er das Gefühl hatte, sanfte Küsse in seinem Nacken zu spüren. Geisterhafte Hände schienen sich um seine Mitte zu legen, ihn sicher zu halten.   „Ich weiß.“   Mit enormer Anstrengung gelang es ihm, die Augen zu öffnen und seinen Blick auf seinen wunderbar ausgelaugten Mann zu richten. Von den zerwühlten Haaren, über den Schlafzimmerblick bis hin zu den roten Malen, die er auf der blassen Haut hinterlassen hatte – der Anblick war einfach zu schön, um ihn sich entgehen zu lassen.   „Aoi“, seufzte er, als sich der Griff um seine Männlichkeit verfestigte und ihn mit geübten Bewegungen seiner Erlösung immer näher brachte. „So gut“, nuschelte er, musste erneut die Augen schließen, als die Hitze wie in Wellen durch seinen gesamten Körper jagte. Der Ring auf seiner Haut brannte, als er sich halb auf Aoi sinken ließ, ihre Oberkörper gegeneinander presste. Dadurch schränkte er die Bewegungen seines Liebsten zwar ein, aber viel hatte er ohnehin nicht mehr gebraucht. Mit einem langen Stöhnen, das er an Aois Halsbeuge dämpfte, und zwei beherzten Rucken seines Beckens verlor er den Kampf gegen die Lust. Vollkommen ausgelaugt sackte er auf dem warmen Körper unter ihm zusammen und fand sich sogleich in einer willkommenen Umarmung wieder. Ihm war egal, dass sie eine ziemliche Sauerei aufeinander hinterließen, wofür gab es eine Dusche? Und als erneut geisterhafte Küsse auf seinen Rücken herab regneten, hätte er nicht sagen können, ob seine Augen der vollkommenen Glückseligkeit wegen feucht wurden oder aus gänzlich gegenteiligem Grund.   „Ich liebe euch“, wisperte er so leise, dass er glaubte, Aoi würde ihn nicht hören. Aber der Halt seines Mannes verstärkte sich und warme Lippen fanden sein Ohr, um ebenso leise zu erwidern: „Ich euch auch.“   ~*~   „Seine Mutter hat über eine Stunde auf ihn warten müssen.“ Reita lachte leise in sich hinein, während er den Blumenstrauß, den er eben noch im Kiosk des Krankenhauses gekauft hatte, in einer Vase auf Uruhas Nachttisch stellte. „Es sollte mir wirklich leidtun, ihn aufgehalten zu haben, oder? Aber du hast selbst mitbekommen, weshalb er sich verspätet hat.“ Er beugte sich über seinen Geliebten, küsste erst die vollen Lippen, dann Nasenspitze und Stirn. „Es wäre doch ein Frevel, deshalb nun ein schlechtes Gewissen zu haben, findest du nicht auch?“ Er strich Uruha einige der lang gewordenen Strähnen hinters Ohr, bevor er sich setzte und sich im Stuhl zurücklehnte. Sein Körper schien noch immer zu vibrieren und von innen heraus zu glühen. Jedes Mal, wenn er an den Morgen dachte, fühlte er, wie seine Wangen warm wurden. „Wir haben dich wieder gespürt, Ruha, wir wissen, dass du bei uns warst.“ Er griff nach der Hand seines besten Freundes, hielt sie für einen langen Moment, bevor er auch auf die Fingerknöchel einen kurzen Kuss drückte. „Es wird Zeit, dass du wieder richtig bei uns bist, hörst du?“ Mit jedem Wort berührte er die warme Haut, senkte den Kopf, bis seine Stirn gegen die reglosen Finger lehnte. „Lass dir nicht zu lange Zeit.“ Er zuckte zusammen, als das Handy in seiner Jackentasche zu vibrieren begann. „Tschuldige.“ Umsichtig legte er Uruhas Hand auf das Bett zurück und zog das schmale Telefon hervor. Ein kurzer Blick auf das Display zeigte, dass es Ruki war, der ihn gerade anrief. Milde verwundert nahm er ab und begrüßte seinen Kollegen.   „Morgen, Reita“, entgegnete dieser und bildete er es sich nur ein, oder schwang ein seltsamer Unterton in der Stimme ihres Sängers mit?   „Ist alles in Ordnung?“, erkundigte er sich ein wenig besorgt. Mit gerunzelter Stirn erhob er sich, ging zum Fenster hinüber, um es zu öffnen und etwas frische Luft in den Raum zu lassen. Ruki gab ein eigenartiges Geräusch von sich, das er mit Unmut oder Ärger in Verbindung gebracht hätte, hätte es dafür einen Grund gegeben. Aber gerade, als er erneut fragen wollte, ob alles in Ordnung sei, meldete sich der andere doch noch zu Wort.   „Es ist Kai.“   „Was ist mit ihm?“   „Er ist furchtbar, das ist mit ihm.“   „Nimm es mir nicht übel, Ruki, aber aus den paar Brocken Information werde ich nicht schlau.“   „Kai sitzt gerade bei den Bossen. Sie scheinen nun doch der Meinung zu sein, dass eine Auszeit von den Bandaktivitäten nicht das Schlechteste wäre. Zumindest solange wir nicht wissen, wie es mit Uruha weitergeht.“    „Wa… was?“, stammelte er, von den unerwarteten Neuigkeiten komplett überrumpelt. „Wow, es geschehen noch Zeichen und Wunder.“ Er schüttelte den Kopf und spürte, wie sich ein Teil seiner allgegenwärtigen Anspannung löste. „Damit hätte ich nun wirklich nicht gerechnet. Wie kommt das so plötzlich? Sie haben sich doch bislang immer dagegen gewehrt, obwohl wir ihnen längst gesagt haben, dass eine Auszeit für alle das Beste wäre.“   „Was fragst du mich das? Ich vermute, dass der Druck der Fans einfach zu viel geworden ist. Die sind doch nicht dumm. Im Netz überschlagen sich die Gerüchte. Jetzt ist es eben auch bei den Oberen angekommen, dass wir lieber ein Statement abgeben sollten, bevor es noch ausufert. Mich wundert es ohnehin, dass wir den ganzen Vorfall so lange klein halten konnten.“   „Mh“, brummte er, „damit könntest du recht haben. Aber … was ist jetzt mit Kai? Es ist doch gut, dass er nun unsere Interessen durchsetzen kann. Bislang hat er doch nur ständig auf Granit gebissen.“   „Schon, aber …“   „Ruki?“   „Ja, verdammt, ich hab mich mit ihm gestritten.“   „Was? Warum das denn?“   „Na, weil wir heute beide endlich mal frei gehabt hätten und etwas unternehmen wollten. Endlich mal abschalten, an nichts denken, keine Termine oder … Ach, egal. Alles ist egal, wenn die Bosse in aller Herrgottsfrühe anrufen und Kai zu sich zitieren.“   „Du weißt doch, dass er das nur für uns und die Band tut.“   „Ja, natürlich weiß ich das. Aber Kai tut immer alles nur für die Band und vergisst darüber, dass er keine Maschine ist. Wir wissen beide, was beim letzten Mal passiert ist. Ich hab keine Lust darauf, dass Uruha bald nicht der Einzige ist, der im Krankenhaus liegt. Er muss endlich lernen, auch Nein sagen zu können, selbst wenn es die Bosse sind, die etwas von ihm wollen.“   „Ich glaube, das würde keinem von uns leicht fallen, wären wir in seiner Position.“   „Mir schon.“ Reita lachte und nach einer kurzen Pause am anderen Ende der Leitung hörte er auch Ruki leise glucksen. „Wo bist du gerade?“   „Bei Uruha.“   „Oh, seid ihr gleich nach dem Aufstehen in die Klinik gefahren?“   „Ehm … ja, also ich bin ins Krankenhaus gefahren, Aoi trifft sich heute mit seiner Mutter in der Stadt.“ Gut, dass Ruki ihn nicht sehen konnte, denn seine Wangen fühlten sich so an, als würde sie erneut eine gesunde Röte zieren. Hoffentlich hatte sein Freund sein anfängliches Zögern nicht bemerkt oder interpretierte wenigstens nichts hinein.   „Hättest du was dagegen, wenn ich euch Gesellschaft leiste? Wenn ich schon so schändlich in meiner Freizeitplanung allein gelassen werde, brauch ich Ablenkung, um nicht noch mehr in Frust zu verfallen.“   „Nein, hab ich nicht, aber nur, wenn du mir versprichst, dich später mit Kai auszusprechen. Er hat es nicht verdient, dass du aus so einem Grund wütend auf ihn bist.“   „Hast ja recht …“, seufzte der Sänger einsichtig. „Seit wann bist eigentlich du der emotional Intelligentere von uns beiden?“   „Das war ich schon immer.“   „Wage ich zu bezweifeln.“   „Tu, was du nicht lassen kannst, aber schieb deinen Mikrohintern jetzt hierher, damit ich dich zum Mittagessen einladen kann. Das Menü im Klinik-Café sah heute recht vielversprechend aus.“   „Wer hat hier einen Mikrohintern?“   „Immer der, der fragt.“   „Arsch.“   „Hab ich, sag ich doch.“   „Ich fahr jetzt los, bevor ich dir noch den Hals umdrehen möchte.“   „Mach das.“ Reita lachte erneut, während vom Sänger nur genuscheltes Murmeln zu hören war. „Ach und Ruki? Fahr vorsichtig, hörst du?“   „Tu ich immer. Bis gleich.“   „Bis gleich.“   Er steckte das Handy zurück, schloss das Fenster und ging erneut auf Uruhas Bett zu, um sich auf den Plastikstuhl davor zu setzen. „Ich mag es nicht, wenn Kai und Ruki streiten. Seit die beiden zusammen sind, kommen sie mir immer wie eine Konstante oder der sprichwörtliche Fels in der Brandung vor. Verstehst du, wie ich das meine? Vielleicht reagiere ich aber auch nur über, weil ich jeden Tag sehe, wohin Streitereien führen können.“ Er schluckte, streichelte erneut über Uruhas Finger, bevor er die Schultern straffte. „Aber genug davon, willst du wissen, welche Blumen ich dir mitgebracht habe? Ich hab zwar vergessen, zu Hause nach deinem Pflanzenlexikon zu suchen, aber das krieg ich auch ohne hin. Sind nämlich Rosen, Tulpen und … ehm … ja genau! Calla, so hießen die. Gut, ich geb zu, die nette Dame am Kiosk hat mich ein bisschen mit Infos versorgt, aber der Wille zählt, oder?“ Reita lächelte und strich mit den Fingern über die noch geschlossene Blüte einer Tulpe. „Von den Farben her ist alles zwischen gelb und rot dabei, aber du weißt ja, dass ich es mit detaillierten Beschreibungen nicht so hab. Sie meinte auf jeden Fall noch, dass der Strauß so viel wie tiefe Verbundenheit, Bewunderung und den Wunsch nach schneller Genesung ausdrückt. Das hat mir gefallen. Sie wollte mir zwar noch mehr erzählen, aber um ehrlich zu sein, bin ich nach den ersten Sätzen ausgestiegen. Über Motorräder hätte ich Stunden mit ihr philosophieren können, aber …“ Er grinste, fuhr sich durch die Haare und zuckte mit den Schultern. „Kennst mich ja, mit so filigranen Dingen hab ich eher wenig am Hut.“ Für einen langen Moment verstummte er und sah vor sich hin, ohne jedoch etwas Bestimmtes zu fixieren, bis schließlich ein Ruck durch ihn ging und er sich erhob. „Was meinst du, soll ich dir noch vorlesen, bis Ruki kommt? Es ist schade, dass Aoi heute nicht hier sein kann. Ich hatte so sehr gehofft, ich könnte noch einmal versuchen, zu dir zu kommen, aber allein hat das nie funktioniert.“ Während er gesprochen hatte, war er zum Besuchertisch hinübergegangen, auf dem er das Tagebuch hatte liegen sehen, in dem Aoi gestern noch gelesen hatte. Nun setzte er sich erneut und schlug es auf der Seite auf, die sie mangels besserer Alternativen mit einem Kassenzettel vom Klinik-Kiosk markiert hatten.   Ach Reita …   Er musste grinsen, als die ersten Worte, die er las, gleich so deutlich an ihn gerichtet waren. Er konnte zwar nicht behaupten, dass er sich mittlerweile wohl damit fühlte, Uruhas intimste Gedanken zu lesen, aber er schien sich daran gewöhnt zu haben. Hieß es nicht, dass der Zweck die Mittel heiligte? Er hatte dieses Sprichwort nie gemocht. Es war ihm immer als eine Rechtfertigung von Taten vorgekommen, die genau genommen nicht zu rechtfertigen waren. Und dennoch griff er nun selbst darauf zurück. Er seufzte, straffte die Schultern und versuchte, seinen übereifrigen Denkapparat wenigstens für die Zeit des Vorlesens auszuschalten.   Ach Reita, was machst du nur wieder? Nicht, dass ich dich nicht gern um mich habe oder dir mein Sofa zum Pennen überlasse, aber hast du dich wirklich so abschießen müssen? Nicht einmal mehr geradeaus laufen konntest du noch. Wie du es geschafft hast, in mein Stockwerk zu kommen, ohne dir sämtliche Knochen zu brechen, will ich gar nicht so genau wissen. Du riechst wie eine Sake-Brennerei und dabei wissen wir beide, dass Sake die schlimmsten Kopfschmerzen macht. Du wolltest dich selbst quälen, was? Vermutlich, denn das, was ich aus deinem unzusammenhängenden Stammeln heraushören konnte, lässt mich nichts Gutes ahnen. Hat sie also doch Schluss gemacht, ich hab es befürchtet. Warum suchst du dir aber auch immer so oberflächliche Frauen aus? Dein Geschmack ist doch besser als das. Aber nein, je aufgetakelter und je mehr sie von sich selbst überzeugt sind, desto schneller hängst du an ihrem Rockzipfel. Dabei ist es jedes Mal dasselbe. Siehst du nicht, dass sie dich nur ausnutzen? Dass sie gar kein Interesse daran haben, dass du ihnen dein Herz zu Füßen legst? Und weißt du was? Ich kann sie verstehen. Nicht deinetwegen, das sicher nicht, aber ich sehe es in ihren Augen, in der Art, wie sie sich bewegen und wie sie mit dir umgehen. Sie sind wie ich. Vielleicht haben sie Angst, sich zu binden, vielleicht wollen sie aber auch nur ihre Freiheit nicht aufgeben. Du bist so anders, Reita. Wenn du jemandem dein Herz öffnest, dann mit allen Konsequenzen und … na, ja, vermutlich sind sie damit genauso überfordert, wie ich es wäre. Manchmal habe ich aber auch das Gefühl, dass du dir mit Absicht immer diesen Typ Frau aussuchst. Als würdest du hoffen, dass sich nichts Festes entwickelt, ohne selbst daran schuld zu sein. Vermutlich tue ich dir damit unrecht und wenn ich dich so ansehe, strafen mich die getrockneten Tränenspuren auf deinen Wangen Lügen. Wenn Absicht dahinterstecken würde, würde es dich nicht immer so mitnehmen, oder? Wenn es dir nur ums Körperliche gehen würde … Ich würde dir aushelfen, das weißt du, nicht wahr? Aber obwohl du in einer offen queeren Familie aufgewachsen bist und deine Mütter die tolerantesten Menschen sind, die ich je kennengelernt habe, reagierst du immer etwas spröde, wenn ich auch nur Andeutungen in diese Richtung mache. Liegt es an mir? Oder befürchtest du, etwas deiner Maskulinität einzubüßen, wenn du mit deinem besten Freund rummachst? Dass es an dem, was uns beide verbindet, nichts ändern würde, ist, glaube ich, nicht das Problem. Aber was ist es dann? Ach, Reita. Wieder einmal bleibt mir nichts anderes übrig, als einen Eimer neben das Sofa zu stellen, damit du mir nicht die Wohnung versaust, und morgen früh dein Gejammer mit Fassung zu tragen. Und wenn das alles ist, was du an Hilfe von mir annehmen kannst, werde ich das akzeptieren. Ich wünschte mir nur, du würdest besser auf dein Herz achten – es ist viel zu kostbar und verdient es nicht, so oft verletzt zu werden.   Reita schluckte schwer und ließ das Buch aufgeschlagen auf das Bett sinken. Selbst wenn er nach dem, was er gerade gelesen hatte, noch hätte weiterlesen wollen, der Kloß in seinem Hals machte ihm das unmöglich. Er konnte sich nur zu gut an diese Phase seines Lebens erinnern. Es war beinahe schockierend, nun schwarz auf weiß zu sehen, dass ihn sein bester Freund damals schon so gut wie durchschaut hatte. Gleichzeitig jedoch warfen seine Worte die Frage auf, wie sein Leben verlaufen wäre, hätte er damals den Mut gehabt, Uruha von seinen Gefühlen zu erzählen. Natürlich hatte er immer spröde reagiert, wenn sein bester Freund damit angefangen hatte, dass er die Finger von den Weibern lassen und lieber Hand an ihn legen sollte. Dass sie beide in solchen Fällen meist schon etwas angetrunken waren, hatte die ganze Sache auch nicht einfacher gemacht. Aber seine Abwehr hatte weder etwas mit Uruhas Person, noch mit der Angst zu tun gehabt, seine Maskulinität einzubüßen. Himmel, allein die Vorstellung war lächerlich, wenn er sich doch damals schon mit jeder Faser seines Körpers zu Uruha hingezogen gefühlt hatte. Jeden Tag hatte er Angst gehabt, seine geheimen Gefühle würden entdeckt werden und nur deswegen hatte er sich in eine hoffnungslose Beziehung nach der anderen gestürzt. Denn mit einem hatte Uruha recht – er hatte gewollt, dass sie scheiterten.   „Klopf, klopf“, riss ihn Rukis Stimme aus seinen Grübeleien, nachdem die Tür geöffnet worden war. Ihr Sänger stand für einen Moment mit unleserlicher Miene im Rahmen, bevor er die Tür hinter sich ins Schloss zog. „Freude, mich zu sehen, sieht aber anders aus.“   Reita lachte kurz, weil sich Rukis Lippen zu einer schmollenden Schnute verzogen hatten, die er ihm jedoch keine Sekunde lang abkaufte. „Tschuldige, ich war gerade nur in Gedanken.“   „Mh, okay. Nachdenken ist Schwerstarbeit für dich, ich verstehe.“ Frech grinste der andere ihn an, trat näher und erst jetzt sah Reita den Heliumluftballon, den er an einer Schnur in der linken Hand hielt.   „Ist das eine Ente?“   „Passend, nicht? Den hab ich gesehen und musste ihn einfach mitnehmen.“ Noch immer grinsend war Ruki an das Krankenbett herangetreten, hatte sich kurz umgesehen und sich dafür entschieden, das niedliche Comic-Entchen am Kopfende festzubinden.   „Wo hast du den denn her?“   „Ach, unten im Besucherpark läuft einer herum, der die Ballons verkauft. Vermutlich eher für Kinder, aber …“ Ruki zuckte mit den Schultern.   „Egal, das interessiert doch unseren Ducky nicht.“ Auch auf Reitas Lippen hatte sich ein breites Grinsen gelegt, während er beinahe glaubte, Uruhas Motzen hören zu können. Sein Geliebter beschwerte sich meist, wenn er ihn mit einer Ente in Verbindung brachte oder ihn Ducky nannte, aber er wusste nur zu gut, dass das alles nur Show war. Diesmal blieb eine Reaktion jedoch aus, natürlich tat sie das, und mit einem unhörbaren Seufzen erhob er sich von seinem unbequemen Stuhl. „Sehr passend“, murmelte er noch, bevor er Ruki auffordernd ansah. „Na? Hunger mitgebracht? Mir hängt der Magen gerade irgendwo und das soll was heißen.“   „Dann wollen wir dieses seltene Ereignis lieber nicht ungenutzt verstreichen lassen, was?“   „Meine Rede.“ Ruki war bereits vorgegangen und bevor er die Tür hinter sich schloss, schaute Reita noch einmal kurz zu seinem Geliebten hinüber. Der Heliumballon schwebte rechts neben Uruhas Kopf, reglos in der Stille des Raums, nur ein weiterer Farbklecks, der die sterile Umgebung freundlicher wirken ließ. „Bis gleich“, wisperte er, dann fiel die Tür ins Schloss.   Plötzlich begann die Comic-Ente ein kleines Stück nach rechts und links zu schweben, als hätte sie ein Windstoß in Schwingung versetzt. Aber das Fenster war geschlossen und die Tür lange zugeschoben. Die Seiten des aufgeschlagenen Tagebuchs raschelten, als sie sich wie von Geisterhand erst langsam, dann immer schneller umblätterten. Die Bewegung stoppte abrupt auf einer unbeschriebenen Seite. Für eine Sekunde blieb alles still, schien selbst der leere Raum die Luft anzuhalten, bis erneut die roten Buchstaben erschienen.   FINDET MICH! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)