Animus captimente von yamimaru ================================================================================ Prolog: [04. Mai] "Gebt mich nicht auf, bitte." ----------------------------------------------- „Doktor Fujida?“   „Ja?“   „Macht Uruha Fortschritte?“ Reita zupfte unbehaglich an der Nagelhaut seines Daumens und ließ seinen Blick immer wieder vom Krankenbett zu der Ärztin und zurückwandern. „Ich meine … er ist nun schon über vier Wochen bei Ihnen und …“   Doktor Fujida sah von dem Klemmbrett am Fußende des Krankenbetts hoch, auf dem sie soeben die Vitalwerte ihres Patienten notiert hatte, und lächelte die beiden Männer mitfühlend an.   „Der Zustand Ihres Freundes ist unverändert. Es tut mir leid, Suzuki-san, ich würde Ihnen gern etwas anderes sagen. Aber seien Sie sich versichert, dass wir hier alles tun, um Herrn Takashima genau die medizinische Versorgung zukommen zu lassen, die ein Patient im Wachkoma braucht. Er ist hier in den besten und erfahrensten Händen.“   „Aber …“   Aoi riss den Blick von der Betrachtung seiner Schuhspitzen los und fixierte Reita, der blass und angespannt nah am Krankenbett stand. Ohne sich Gedanken darüber zu machen, was die Ärztin von ihnen halten mochte, umfasste er seine Hand. Ein schwaches Lächeln legte sich auf Reitas Lippen, als er seinen Blick erwiderte, und in den glänzenden Augen erkannte Aoi die Tränen, die auch er am liebsten vergossen hätte.   „Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben, Rei“, murmelte er und umfasste mit der freien Hand Uruhas, streichelte über die Finger, die warm und etwas geschwollen von all den Infusionen reglos auf der blaugeblümten Decke lagen.   „Sie wissen ja, wie wichtig es ist, mit ihrem Freund zu reden. Erzählen Sie ihm von seinen Kollegen, von Dingen, die er gerne tut. Sie sind doch Musiker?“ Reita und Aoi nickten zeitgleich, ersparten sich jedoch eine verbale Antwort. „Dann spielen Sie ihm etwas vor oder lesen ein Buch für ihn. Menschen im Wachkoma brauchen immer wieder Reize von außen, um zurückfinden zu können.“ Aoi lächelte die Ärztin dankbar an, auch wenn er diese Ratschläge in den letzten Monaten schon viel zu oft gehört hatte. „Ich lasse Sie jetzt mit Herrn Takashima allein. Zögern Sie nicht, zu klingeln, wenn Sie etwas benötigen.“   Sie nickten mechanisch, während ihre verzweifelten Blicke auf ihren Freund und Geliebten gerichtet blieben, dessen Augen nichtssehend an die Decke starrten. Hin und wieder blinzelte er, zuckte, als würde er träumen, aber wenn man genau hinsah, erkannte man hinter dem dunklen Braun seiner Iris lediglich den verzweifelten Kampf eines gefangenen Geists.   ~*~   „Wie geht es ihm?“ Rukis und Kais hoffnungsvolle Gesichter waren wie ein Schlag in die Magengrube und Reita musste sich zusammenreißen, nicht einfach stumm an ihnen vorbeizugehen. Er glaubte, ihre unausgesprochenen Fragen ebenso hören zu können, wie die Worte ihres Managers vor einigen Tagen.   „Wie soll es eurer Meinung nach weitergehen, wenn Uruha nicht bald das Bewusstsein wiedererlangt? Wir können die Aktivitäten der Band nicht auf unbestimmte Zeit auf Eis legen. Es gibt Verträge, an die wir uns halten müssen, Sponsoren, die nicht ewig auf den nächsten Gig warten werden.“   Matt schüttelte er den Kopf und rieb sich über die Schläfen, hinter denen sich Kopfschmerzen zusammenbrauten.   „Sein Zustand ist unverändert.“   „Aber ich dachte, sie könnten ihm hier besser helfen? Spezialklinik, pah, für ‘n Arsch!“   „Ruki.“ Kai legte ihrem Sänger beschwichtigend eine Hand auf die Schulter, was ihn zumindest ein wenig zu beruhigen schien. „Ich bin mir sicher, dass sie hier alles tun, um Uruha zu helfen.“ Ruki schnaubte, sagte jedoch nichts weiter und senkte den Blick zu Boden.   Reita betrachtete die schmale Gestalt seines langjährigen Freundes und fühlte sich mit einem Mal so schuldig, als läge es einzig und allein an ihm, dass er keine besseren Neuigkeiten für ihn hatte. Rukis Gesichtsausdruck zeugte noch immer von Zorn und Ärger, aber wenn er genau hinsah, erkannte er dieselbe Verzweiflung, die auch er in sich trug. ‚Alles nur Fassade, um nicht zu zerbrechen‘, dachte er und musste ein verzweifeltes Auflachen mit aller Macht zurückhalten.   „Er braucht Zeit“, murmelte Aoi und klang dabei so erschöpft, dass er unwillkürlich einen Schritt auf ihn zumachte. Sein Liebster lächelte nur und wieder schlossen sich Finger um seine Hand, drückten kurz zu, als würde er ihn mit dieser kleinen Geste aufmuntern wollen.   „Wenn das alles ist, was wir im Moment für ihn tun können, dann werden wir ihm genau diese Zeit verschaffen.“ Kai straffte sichtbar die Schultern und wirkte so, als würde er in den Kampf ziehen wollen – eine Feststellung, die gar nicht so weit hergeholt war. Zeit für Uruha und damit auch für die Band herauszuschlagen, würde eine nicht zu unterschätzende Herausforderung werden.   „Können wir noch zu ihm?“ Ruki hatte sich von Kai losgemacht und war bereits ein paar Schritte auf die Tür des Krankenzimmers zugegangen, als er sich noch einmal zu ihnen umdrehte.   „Ja, nur nicht mehr allzu lang. Die Besuchszeit ist bald vorbei.“   „Kai, wie immer die Vernunft in Person.“ Reita versuchte sich an einem schiefen Lächeln, als ihn der Seitenblick ihres Leaders streifte.   „Einer von uns muss es ja sein.“ Kai nickte ihm zu, mehr ein Zeichen des Verständnisses als der Zustimmung, und verschwand nach Ruki durch die unscheinbare, weiße Tür.   „Lass uns nach draußen gehen. Ich brauch frische Luft“, bat Aoi und wer wäre er, ihm diesen kleinen Wunsch nicht zu erfüllen? Dennoch fiel es ihm schwer, dem Krankenzimmer und damit Uruha den Rücken zu kehren und mit jedem Schritt, der ihn von seinem Geliebten trennte, wurde sein Herz schwerer.   „Ich fühl mich so hilflos“, wisperte er, als sie durch die automatischen Schiebetüren nach draußen auf den Vorplatz der Klinik traten.   „Ich auch, Rei … ich auch.“   Unweit von ihnen war ein kleiner Bereich für Raucher überdacht und sie schlugen den Weg dorthin ein, während er in der Innentasche seiner Lederjacke nach der Packung Zigaretten suchte. Stumm hielt er sie Aoi hin, der sich eine der Kippen herausnahm und anzündete.   „Er würde mir die Hölle heißmachen, wüsste er, dass ich wieder zu rauchen angefangen habe.“   „Sobald er wieder wach ist, hören wir einfach gemeinsam damit auf, was hältst du davon?“   Aoi erwiderte seinen Blick für einen langen Moment schweigend, bis sich ein schmales Lächeln auf seine Lippen legte, das Reita mehr schmerzte, als hätte er mitansehen müssen, wie sein immer so starker Geliebter vor ihm in Tränen ausbrach.   „Gute Idee“, murmelte er mit heiserer Stimme und nahm einen langen Zug. „Er versucht ja schon seit Jahren, dir das Rauchen auszureden. Das wird ihn sicher freuen.“   „Na, dann, abgemacht.“ Er hielt seinem Gegenüber die Hand entgegen, die Aoi ergriff, kurz drückte, nur um ihn in eine unerwartete Umarmung zu ziehen. „Er wird es schaffen, hörst du? Uruha wacht wieder auf.“   Reita schloss die Augen und wünschte sich in diesem Moment nichts sehnlicher, den Worten seines Partners einfach nur glauben zu können. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)