Second Chance von Khaleesi26 (Drabble-Woche) ================================================================================ Kapitel 1: Rettung ------------------ Stell dir vor, dein Leben verwandelt sich von der einen auf die andere Minute in einen Albtraum. Und du kannst nichts dagegen tun… Ich dachte, den schlimmsten Teil meines Lebens hätte ich bereits hinter mich gebracht, als ich sie aus dem brennenden Auto gezogen hatte. Als ich dachte, sie würde sterben. Dass es noch schlimmer kommen sollte, ahne ich noch nicht. „Herr Takaishi? Können Sie mir sagen, was genau passiert ist?“ Der Polizist sieht mich an und erwartet eine Antwort, doch ich starre noch immer auf meine Hände, an denen ihr Blut klebt. „Kari, sie… sie ist gefahren. Die Straße war gefroren und dann…“ In dem Moment sehe ich den Arzt auf mich zukommen. Ich lasse den Polizisten stehen und laufe ihm entgegen. „Wie geht es ihr?“ Sorge schwingt in meiner Stimme mit. Und Verzweiflung. Unser Auto hat sich zwei Mal überschlagen, als Kari von der vereisten Fahrbahn abgekommen und wir einen Abhang hinuntergestürzt sind. Dass ich mir dabei lediglich eine Rippe gebrochen und ein paar Schürfwunden zugezogen habe, grenzt an ein Wunder. Zum Glück, denn so konnte ich sie wenigstens retten. „Es geht ihr… den Umständen entsprechend.“ „Was soll das heißen?“ „Das heißt“, sagt der Arzt und sieht mich bedeutungsschwer an. Mein Herz springt mir beinahe aus der Brust. „Wir konnten die inneren Blutungen stoppen, aber…“ Und? Warum erzählt er nicht weiter? „Kann ich sie sehen?“ „Natürlich, aber…“ Ich lasse ihn nicht ausreden, sondern stürme an ihm vorbei auf die Intensivstation. Sie liegt in einem Bett, an irgendwelchen Kabeln angeschlossen, aber sie ist wach und sieht mich mit großen Augen an. „Kari“, seufze ich erleichtert, eile zu ihr, drücke ihr einen Kuss auf die verbundene Stirn. Sie sieht geschockt aus. Wieso nur? Und im nächsten Moment bricht meine Welt ein zweites Mal an diesem Tag auseinander. „Wer bist du?“ Kapitel 2: Symphonie -------------------- Er gibt sich so viel Mühe. Seit ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, tut T.K. alles erdenklich Mögliche, um es mir zu erleichtern. Aber es wird immer schwerer, von Tag zu Tag. Mein Gedächtnis sollte längst zurückgekehrt sein, aber es ist, als hätte ich ein großes, schwarzes Loch in meinem Kopf. Und in meinem Herzen. Denn da ist nichts. Nichts, was ich fühle. Nichts, was er fühlt. „Ich habe eine Idee“, sagte er heute Nachmittag zu mir und nahm mich an die Hand. Er hat ständig irgendeine Idee. Aber das macht es nicht besser. Trotzdem bin ich mitgegangen. Jetzt sitzen wir auf der Wiese eines Parks und sehen uns ein Konzert an. Beethovens Mondscheinsonate. T.K. ist wirklich süß. Ich möchte mich ihm so gerne öffnen und auch er möchte einen Weg in mein Herz finden. Aber ich lasse ihn nicht rein. Dabei würde ich so gern… „Das ist unsere Symphonie, weißt du noch?“, fragt er. Ich höre die Hoffnung in seiner Stimme, die ich wie eine bittere Pille hinunterschlucke. „Bei diesem Stück habe ich dich das erste Mal geküsst, als wir mit der Schule bei einem Orchesterkonzert waren.“ Er drückt meine Hand und beugt sich zu mir, doch ich weiche zurück. „Tut mir leid“, schiebe ich schnell hinterher, als ich sein enttäuschtes Gesicht sehe. Anstatt ihn zu küssen, lehne ich meinen Kopf an seine Schulter und atme seinen Duft ein. Ganz tief in mir regt sich etwas. Ich weiß, ich habe diesen Duft einst geliebt. Es ist so schwer. „Ist schon gut“, sagt er liebevoll. Es beruhigt mich. Das tut er immer. Er gibt mir Zeit. Aber selbst Zeit heilt nicht alle Wunden. Ich frage mich, ob ich ihn je wieder so ansehen kann wie früher. Ob ich sie je wieder spüren kann... Die Liebe, die uns verbindet? Kapitel 3: Ängste ----------------- Ich habe Angst, sie zu verlieren. Sie entgleitet mir immer mehr, rinnt mir wie Sand durch meine Finger. Eng umschlungen halte ich sie im Arm, aber ich spüre, dass sie meilenweit von mir entfernt ist. Wie kann ich sie nur erreichen? „Geht es dir gut?“, frage ich und fahre mit dem Finger vorsichtig ihre Narbe am Arm nach. Ich höre, wie sie lächelt. „Du musst mich das nicht ständig fragen.“ Sie kuschelt sich noch dichter an mich und ich grinse. Immerhin schlafen wir wieder in einem Bett, teilen ein gemeinsames Leben. Und doch fühlt es sich manchmal immer noch so an, als wären wir zwei Fremde. Ihre Erinnerungen sind nicht zurückgekehrt. Kari gibt sich Mühe, es sich nicht anmerken zu lassen, aber ich spüre mit jeder Faser meines Körpers, wie schwer es ihr fällt so zu tun, als wäre alles normal. Denn genau das tun wir. Die Ärzte sagen, wir sollen einfach weiter machen, wie bisher, dann würde sie sich schon wieder erinnern. Aber wie soll das funktionieren? „T.K., möchtest du Kinder?“, fragt sie mich plötzlich. Ich zucke zusammen. „Darüber haben wir schon gesprochen“, antworte ich, aus Scheu ihr eine ehrliche Antwort zu geben. Ja, ich will Kinder. Wir wollten Kinder. Aber ich habe Angst, sie mit dieser Antwort zu verschrecken. Sie ist nicht mehr dieselbe und ich weiß nicht, was sie von mir erwartet. „Lass uns jetzt nicht darüber reden“, sage ich und drücke ihr einen Kuss aufs Haar. Sie nickt. Klar, das ist nicht das, was sie hören wollte. Aber ich weiß überhaupt nicht mehr, was sie denkt. Oder was sie vom Leben erwartet, ich weiß nichts. Früher waren wir zwei Seelen, die zu einer verschmolzen. Was ist nur aus uns geworden? Sanft schiebe ich sie von mir und stehe auf. Ich halte das nicht mehr aus… Kapitel 4: Hormone ------------------ Was ich gerade tue ist nicht fair, doch ich fühle mich nun mal alles andere als gebunden. Ich bin seine Partnerin, aber stattdessen benehme ich mich Takeru gegenüber wie eine Fremde. Er spürt das und sagt keinen Ton dazu, nimmt alles schweigend hin. Diese Stille zwischen uns macht mich krank! Deshalb versuche ich mich abzulenken. Deshalb ich bin in dieser Bar. Mit einem Typen, den ich gestern bei der Arbeit kennengelernt habe. Er ist neu in der Firma und hat mich gleich gefragt, ob wir mal zusammen was trinken gehen. „Und was hast du davor gemacht?“, fragt Makoto, der gerade mal zwei Jahre älter ist als ich. Ich habe bewusst das Gespräch auf seine Person gelenkt, denn er weiß nichts von meinem Unfall. Das ist zur Abwechslung ganz erfrischend. Ich möchte nicht ständig wie etwas Krankes, etwas Kaputtes behandelt werden. Endlich jemand, der mich als den neuen Menschen sieht, der ich jetzt bin, nicht als den, der ich mal war. „Ich habe vorher gekellnert“, lüge ich, weil ich ehrlich keine Erinnerung daran habe. „Achso und… hast du einen Freund?“ Er grinst. Seine Hand landet auf meinem Bein. Ich schlucke schwer, schüttle den Kopf. Mein schlechtes Gewissen schreit mich an, doch es schreit lange nicht so laut wie die vielen Hormone, die durch meinen Körper schießen, als seine Hand noch höher wandert. Er lehnt sich zu mir. „Was meinst du, Kari? Wollen wir woanders hingehen?“ Scheiße. Ich sage nichts, nicke nur und verlasse mit ihm die Bar. Im selben Moment, als wir auf die Straße treten, fährt ein Auto an uns vorbei. Mein Blick kreuzt sich mit dem des Fahrers. Die Welt steht still… für eine Sekunde. Ich sehe in Takerus fragendes Gesicht und mein Herz zerspringt. Trotzdem hält er nicht an. Er fährt einfach weiter. Und auch ich gehe weiter… Kapitel 5: Trennung ------------------- Schweigend sitzen wir nebeneinander im Auto, nachdem ich sie von der Arbeit abgeholt habe. Inzwischen hat Kari sich so weit von mir entfernt, dass es an körperlichen Schmerz grenzt, sie noch immer an meiner Seite zu sehen. „Warum tun wir uns das an, T.K.?“ Stur starre ich weiter geradeaus. „Was meinst du?“ Ich weiß genau, worauf sie anspielt. Es ist eine Woche her, dass ich sie mit diesem Kerl vor der Bar gesehen habe. Ich kann nicht sagen, welcher Moment mir mehr das Herz zerrissen hat: der Moment nach dem Unfall, als sie nicht mehr wusste, wer ich bin. Oder der Moment, in dem ich begriffen habe, dass ich sie endgültig verloren habe. Trotzdem halte ich sie weiter fest. „Ich weiß, dass du mich gesehen hast“, sagt sie herausfordernd. „Warum sagst du nichts dazu?“ Meine Antwort ist Schweigen – wie immer. „Scheiße, T.K.“, schreit sie mich nun an, doch es prallt an mir ab. „Sag irgendwas! Schrei mich an, sei wütend, du hast jedes Recht dazu.“ „Warum sollte ich das tun?“ Sie fängt an zu weinen. Ich möchte sie trösten. Sie in den Arm nehmen. Ihr sagen, dass alles gut wird, wie ich es immer getan habe. Aber das wäre eine Lüge. Und ich kann sie nicht mehr belügen… „Es ist okay, wenn du uns aufgegeben hast.“ Wieder schweige ich. Und das sagt alles. „Meine Gefühle sind nicht zurückgekehrt, Takeru. Du musst mich gehen lassen.“ Takeru. So hat sie mich noch nie genannt. Ich parke vor unserem Haus und wir steigen aus. Es ist unvermeidbar – die Trennung. Ich wusste es lange, bevor sie es ausgesprochen hatte, wollte es nur nicht wahrhaben. Ich gehe um den Wagen herum und gebe ihr einen Kuss auf die Stirn. Dann… tue ich das Einzige, was ich noch für sie tun kann. Ich lasse sie gehen. Kapitel 6: Erinnerungen ----------------------- Ich habe mir ein neues Leben aufgebaut. Aber vergessen konnte ich ihn nie. Ich führe das Leben, das ich so unbedingt wollte und trotzdem spüre ich eine tiefe Leere in mir. Eine klaffende Wunde, die niemals ganz verheilt ist. Sollte ich nicht glücklich sein? Ich bin es nicht. Am Abend verlasse ich seufzend das Bürogebäude und halte sofort Ausschau nach einem Taxi. Es ist kalt, Schnee fällt vom Himmel. Fröstelnd ziehe ich den Kragen meines Mantels enger und versuche ein Taxi anzuhalten, doch sie fahren alle weiter. Es ist total bescheuert, aber jedes Mal, wenn jemand an mir vorbeifährt und ich dem Fahrer dabei in die Augen blicke, sehe ich T.K.`s Gesicht vor mir. Voller Schmerz. So wollte ich ihn nie in Erinnerung behalten… Gerade, als ich aufgeben und zur U-Bahn gehen will, hält ein Taxi wenige Meter vor mir an. „Warten Sie“, rufe ich und renne los. Einen Moment später erwische ich eine gefrorene Pfütze, die vom Schnee bedeckt ist und rutsche aus. Es zieht mir den Boden unter den Füßen weg und alles, was ich jetzt noch wahrnehme, ist das Geräusch eines dumpfen Schlages, bevor es um mich herum schwarz wird. „Hey! Sie da… sind sie okay?“ Die fremde Stimme eines Mannes dringt an mein Ohr und ich schlage die Augen auf. Mein Kopf schmerzt, doch ich richte mich auf. „Alles okay“, sage ich. „Wo bin ich?“ „Äh… was?“ Der Taxifahrer kniet besorgt neben mir. „Wo ist T.K.? Ist er nicht hier?“ Suchend sehe ich mich nach meinem Freund um. Jetzt sieht er mich an, als hätte ich einen Knall. „Wer ist T.K.?“ Ein Wimpernschlag. Mehr braucht es nicht, um mich mit einem mal wieder an alles zu erinnern. Es ist alles wieder da. Meine Gefühle. Meine Erinnerungen an früher und auch… mein Herz verkrampft sich… der Schmerz. Kapitel 7: Regenbogen --------------------- Dass Kari und ich uns vor einem Jahr getrennt haben, war das Schwerste, was ich je durchstehen musste. Ich vermisse sie, Tag und Nacht. Und trotzdem weiß ich, dass es das Richtige war. Ich hoffe, sie ist glücklich, egal wo sie gerade ist. „Möchten Sie noch einen Cappuccino?“, fragt mich die Kellnerin des kleinen Cafés, in dem ich gerade sitze und lese. Ich schüttle den Kopf und bin ganz in Gedanken. „Nein, danke.“ Als sie mir trotzdem einen hinstellt, sehe ich auf. Beinahe bleibt mir das Herz stehen, als ich in das Gesicht von meiner geliebten Kari blicke, die leibhaftig vor mir steht. Sie lächelt mich an, während sie im Licht der Sonne steht, einen Regenschirm in der Hand. „Kari, was machst du hier?“, frage ich überrascht. „Wie hast du mich gefunden?“ „Naja“, sagt sie und setzt sich mir gegenüber. „Ich wusste nicht, wo ich dich sonst suchen sollte. Du bist ja schließlich umgezogen. Aber manche Gewohnheiten ändern sich zum Glück wohl nie.“ Erstaunt sehe ich sie an. Clever von ihr, mich ausgerechnet in meinem Lieblingscafé aufzusuchen, aber… Moment mal. „Wie konntest du das wissen? Ich war nicht mehr hier seit…“ „Seit dem Unfall“, beendet sie meinen Satz. „Ich erinnere mich wieder an alles, T.K.“ Nur ein Satz. Und er verändert alles. „Und ich möchte neu anfangen… mit dir. Egal, ob als Freund oder als Partner. Du fehlst mir einfach.“ Ich schlucke schwer. „Ich weiß nicht, ob wir das schaffen.“ „Oh, ich auch nicht“, sagt sie und wirkt irgendwie glückselig. So habe ich sie seit einer Ewigkeit nicht gesehen. Als wäre sie wieder die Alte. Kari lässt den Blick in die Ferne schweifen. „Sieh mal, ein Regenbogen.“ Ich folge ihrem Blick und lächle. Es macht mich glücklich, dass sie hier ist. Endlich habe ich das Gefühl, dass nun alles gut wird… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)