Time Bomb von rokugatsu-go ================================================================================ Kapitel 3: Einer von uns ------------------------ „Dazai! Dazai!!“ Atsushis panische Rufe verhallten ungehört. Blitzschnell drehte er sich Ranpo zu. „Du kannst dich doch an Dazai erinnern, oder?!“ Ranpo nickte. „Jetzt hat es wohl auch ihn getroffen.“ „Erinnern Sie sich an ihn??“, fragte Atsushi auch die beiden Damen. „Auf jeden Fall“, antwortete Murasaki. „Der schamlose Kavalier, der mit seinen wunderschönen Lippen so unverschämt meine Hand geküsst hat.“ „Und meine nicht“, sagte Sei etwas verbittert klingend. Ein wenig erleichtert atmete der Junge aus. Immerhin war Dazai noch nicht in Vergessenheit geraten. „Hoffentlich geht es ihm und Kyoka gut.“ „Wir können erst einmal nichts für sie tun außer diesen Zeitanomalien auf den Grund zu gehen“, entgegnete Ranpo, ehe Sei aufgeregt nach vorne zeigte. „Da! Ich kann mich erinnern, dieses runde Ungetüm gesehen zu haben, nachdem wir uns plötzlich hier befunden hatten.“ „Dies ist die Stelle, an der wir angekommen sind“, stimmte Murasaki ihr zu. Die beiden Detektive folgten mit den Augen dem Fingerzeig zum Riesenrad und mit einem Mal stockte Ranpo der Atem. „Das ist … viel schlimmer als ich angenommen habe.“ Ahnungslos blinzelte Atsushi ihn an. „Warum?“ „Das ist nicht das Riesenrad, das wir kennen, sondern das Vorgängermodell“, erklärte Ranpo. „Und einige der Hochhäuser sind bereits verschwunden. Hier ist ein Riss im Raum-Zeit-Gefüge.“ Er zeigte zum Himmel hoch und Atsushi kniff die Augen zusammen, um etwas erkennen zu können. Hoch oben am Himmel schien an einer Stelle die Luft zu wabern, kleine dunkle Blitze zuckten dort hin und wieder auf. „Das ist gar nicht gut.“ Ranpos Blick wanderte weiter. „Ich zähle mindestens vier solcher Risse allein von hier. Sie scheinen sich zu vermehren.“ „Und was machen wir dagegen?“, hakte Atsushi schwer schluckend nach. „Nichts“, war die Antwort des Dunkelhaarigen. „Du kannst keine Raum-Zeit-Risse flicken als wären sie ein kaputtes Hemd. Sie werden sich immer weiter ausbreiten, bis sie die gesamte Gegenwart, wie wir sie kennen, verschluckt haben werden.“ Atsushi packte seinen Kollegen an den Schultern. „Aber dagegen müssen wir doch etwas tun!“ Nicht erfreut über das grobe Zupacken streifte der Meisterdetektiv die Hände des Jungen von seinen Schultern. „Dagegen können wir gar nichts machen. Wir müssen denjenigen finden, der das verursacht hat.“ „Also, tatsächlich ein Befähigter, der die Zeit manipulieren kann.“ Murasakis ernster Blick wanderte erneut zum Himmel hinauf. „Welch faszinierende und gefährliche Fähigkeit.“   Dazai blinzelte irritiert die Wand an, die in dem halbdunklen Gang vor ihm stand. Wo war er? Wieso hatte er keine Erinnerung mehr daran, was zuvor geschehen war? Ein Filmriss? Er hatte sich noch nie so sehr die Kante gegeben, dass er sich danach an überhaupt nichts erinnern konnte. Wobei … sein Kopf fühlte sich wirklich merkwürdig an. So schwer und vernebelt. Dazai fasste sich an den Kopf und berührte dabei den Verband, der um sein rechtes Auge gewickelt war. Irgendetwas war seltsam, aber er konnte nicht identifizieren, was es war. „Hier steckst du.“ Aufgeschreckt drehte sich Dazai zu dem Mann herum, der gerade den Flur betreten hatte. „Chuuya?“ „Was?“ „Nichts … denke ich.“ „Bist du besoffen?“ „Möglich.“ Chuuya stöhnte entnervt. „Also echt, du bist absolut wahnsinnig. Du kannst dich doch nicht am helllichten Tag volllaufen lassen.“ „Ist es Tag?“ „Ja, noch ….“ Kritisch beäugte der Rotschopf ihn. „Du siehst total durch den Wind aus.“ „Sind wir im Hauptquartier der Hafen-Mafia?“ Chuuya sah ihn an als hätte sein Partner wirklich und wahrhaftig den Verstand verloren. „Natürlich. Wo sollen wir denn sonst sein?“ Schwach lächelnd schüttelte Dazai den Kopf. „Natürlich. Es ist nur … ich habe das Gefühl, ich sollte eigentlich woanders sein.“   Die vier waren zur Detektei zurückgeeilt, bevor noch mehr Leute aus ihren eigenen Reihen verschwanden. Erleichtert stellte Atsushi fest, dass alle anderen noch da zu sein schienen. Nachdem Ranpo flugs berichtet hatte, was sie herausgefunden hatten, sagte Atsushi aufgeregt: „Dazai ist verschwunden.“ „Dazai?“ Diese Nachfrage des Chefs hatte Atsushi beinahe schon befürchtet. „Haben Sie auch Dazai vergessen?“ „Soll das auch einer von uns sein?“, fragte Tanizaki nach. Der Junge nickte energisch. „Er ist ein wichtiger Teil der Detektei und Kunikidas Partner.“ Naomi und ihr Bruder tauschten wieder ahnungslose Blicke aus und zuckten entschuldigend mit den Schultern. „Mir ist zwar ein Dazai namentlich bekannt“, sagte Fukuzawa, „doch der arbeitet ganz sicher nicht für uns.“ Gerade als Atsushi nachfragen wollte, was er damit meinte, ertönte lärmendes Gebrüll. Wie von einem Baby. „Chef“, Yosano kam hinein, gefolgt von Kenji, der ein Baby auf dem Arm trug, das offenbar in ein schwarzes Hemd gewickelt war. „Kunikida treibt uns in den Wahnsinn. Er schreit und schreit und egal, was wir machen, er gibt keine Ruhe.“ „D-das ist Kunikida??“ Atsushis Kiefer klappte nach unten. „Das ist übel. Sehr übel“, bemerkte Ranpo und hielt sich die Ohren zu. „Und sehr laut. Stellt das ab.“ „Fragt Ha ...“, begann Fukuzawa, doch brach irritiert ab. „Diese Frau … sie hieß irgendetwas mit Ha …. Hier hat doch mal eine weitere Bürokraft gearbeitet, oder?“ Man konnte ihm zunehmend anmerken, dass er an seinem Verstand zweifelte. „Außer Naomi?“, fragte Kenji überrascht und wog Kunikida hin und her. „Haruno ist verschwunden?“, warf Atsushi ein. „War das ihr Name? Ich kann nicht glauben, dass ich tatsächlich meine eigenen Mitarbeiter vergesse.“ Der Gedanke nagte sichtlich an Fukuzawa. „Ranpo, hast du dir mittlerweile etwas überlegt?“ „Bin dabei, Chef.“ Unter den wachsamen Augen von Sei breitete Ranpo einen Stadtplan von Yokohama aus und begann, darauf Markierungen und Linien einzuzeichnen.   „Irgendwie ist heute was seltsam.“ Chuuya dachte angestrengt nach, während er mit Dazai den Gang entlang ging. „Aber ich komm nicht drauf was.“ „Wenn du zu viel nachdenkst, explodiert noch dein Kopf, Chuuya. Und es wäre doch schade um den schönen Hut.“ „DU SPINNER! Ich zeig dir, was du gleich schade finden wir-“ „DAZAI?!“ Ein rauer und sehr aufgebrachter Ausruf unterbrach den Rothaarigen rüde. „Oh, Akutagawa. Was gibt’s?“, begrüßte Dazai ihn nonchalant. Akutagawa starrte ihn entgeistert an. Wieso sprach er mit ihm als wäre es das Normalste der Welt, dass sie hier im Hauptgebäude aufeinander trafen? Und wieso sah er aus wie zu der Zeit, bevor er die Mafia verraten hatte? „Was machst du hier?!“, knurrte der Jüngere. Sein ehemaliger Mentor und Chuuya sahen sich verwundert an, dann schauten sie zu Akutagawa zurück. „Was meinst du?“, fragte Dazai. „Wo soll ich sonst sein, wenn nicht hier?“ „Spielen heute alle verrückt?? Erst verschwindet Higuchi vor meinen Augen, dann verwandelt sich das Auto, mit dem wir unterwegs waren, in eine Kutsche und jetzt tauchst du hier auf und tust so als wäre nie etwas gewesen!“ „Na na.“ Dazai schüttelte selbstgefällig grinsend den Kopf. „Die Frage sollte wohl eher lauten, was denn mit dir los ist. Redet man so etwa mit einem Vorgesetzten?“ „Vorgesetzter?!“ Akutagawa schrie ihn an als würde er gleich in die Luft gehen. „Du hast uns verraten und bist zu diesen lächerlichen Detektiven übergelaufen!“ „Jetzt mach mal halblang“, schritt Chuuya ein. „Dazai ist zwar ein Spinner, aber immerhin gehört er zur Führung.“ „ZUR FÜHRUNG?! Seid ihr alle wahnsinnig geworden?!“ „Chuuya, du verletzt meine Gefühle, während du mich zu verteidigen versuchst. Das trifft und berührt mich gleichermaßen.“ „Weis du deinen Schützling lieber mal zurecht“, entgegnete Chuuya genervt, während sein Handy klingelte. „Es ist der Boss.“ Er nahm den Anruf an und machte sogleich große Augen, als ein Redeschwall auf ihn einprasselte. „Nein, ich weiß nicht, wo Elise ist“, kam der Angerufene nach einiger Zeit endlich zu Wort. „Nach welchem Gefangenen soll ich sehen? Wells? Tut mir leid, Boss, ich weiß nicht, von wem Sie sprechen. Ja, natürlich werde ich mich darum kümmern und Ihnen natürlich auch sofort Bescheid sagen, wenn ich etwas vom Verbleib von Elise erfahre.“ Chuuya legte auf und sah unschlüssig das Handy an. „Seltsam …. Dazai, weißt du was von einem Gefangenen namens Wells?“ „Wells? Nie gehört.“ Der Rotschopf kratzte sich verwirrt mit einer Hand unter seinem Hut. „Da muss irgendjemand Mist gebaut haben …. Ich werd dem mal auf den Grund gehen.“ Kopfschüttelnd ging Chuuya davon. „Sag mal, Akutagawa“, wandte sich Dazai an seinen vermeintlichen Zögling, „von welchen Detektiven hast du eben gesprochen?“ Anstatt zu antworten knurrte dieser jedoch nur und machte kehrt. „An einem falschen Dazai habe ich kein Interesse!“, schnaubte er noch, ehe er seinen früheren Mentor allein zurückließ. „Detektive …“, wiederholte Dazai gedankenverloren und fasste sich an den Kopf. „Wieso werden plötzlich meine Kopfschmerzen schlimmer?“   „Das Büro der bewaffneten Detektive.“ Tanizaki hatte den Telefonhörer abgenommen und blickte plötzlich ziemlich verschreckt drein. „Atsushi, ich glaube es ist für dich. Ein sehr schlecht gelaunter Mann möchte den Menschentiger sprechen.“ Atsushi zuckte erschrocken zusammen. Menschentiger? Es gab nur einen, der ihn immer so nannte. Und der immer schlecht gelaunt war. „Ist es Akutagawa?“ „Er hat keinen Namen gesagt“, antwortete Tanizaki und damit befürchtete Atsushi, dass sein Kollege selbst ihren Feind von der Mafia vergessen hatte. „Erinnert sich keiner von euch an Akutagawa?“ „Doch, ich“, sagte nur Ranpo als einziger, während er weiter auf dem Stadtplan herumkritzelte und Sei nun ebenfalls einen Stift zur Hand nahm und – nachdem sie das neuartige Schreibwerkzeug bewundert hatte – ebenso auf dem Plan herummalte. Alle anderen blinzelten Atsushi wieder nur fragend an. Seufzend nahm der Junge den Hörer entgegen. Sie hatten tatsächlich selbst Akutagawa vergessen. Der nun in der Detektei anrief. Konnte der Tag noch merkwürdiger werden? „Menschentiger!“, fauchte es aus der Leitung. „Was habt ihr mit Dazai angestellt?!“ „Dazai?“, wiederholte Atsushi und ein Funken Hoffnung kehrte in ihn zurück. War dieses verrückte Genie doch noch irgendwo? „Hast du Dazai etwa gesehen?“ „Ja“, knurrte Akutagawa, „im Mafia-Hauptquartier.“ „W-was??“ „Er denkt, er gehöre noch zur Führung und kann sich nicht an euch erinnern.“ „Hääääh?? W-was?? Ist das dein Ernst??“ „Klinge ich, als wäre ich zu Scherzen aufgelegt?“ „Akutagawa“, sagte Atsushi atemlos, aber ernst, „dir wird doch auch aufgefallen sein, dass in der Stadt so einiges nicht stimmt, oder?“ „Hältst du mich für dumm, Menschentiger?“ „Nein, aber das, was mit der Stadt passiert, ist auch mit Dazai passiert. Bei uns herrscht ebenso Chaos. Unter anderem ist Kyoka verschwunden.“ „Kyoka ist verschwunden? War sie nicht in deiner Obhut?“ Atsushi nahm sich eine Sekunde, um erleichtert auszuatmen. Jemand erinnerte sich an Kyoka. „Die ganze Stadt wird von solchen Raum-Zeit-Riss-Dingern verschlungen, deswegen ist alles durcheinander geraten.“ „.... Verstehe.“ „Ich denke, wir brauchen Dazai. Wenn ein Befähigter dies verursacht hat, dann kann er dieses Chaos aufheben.“ „Er wird nicht freiwillig zu euch kommen. Ich kümmere mich darum. Sei in zwei Stunden bei der Statue am Pier.“ Ohne die Antwort des Anderen abzuwarten, legte Akutagawa auf. „Dazai ist bei der Mafia.“ Gedankenschwer hielt Atsushi den Hörer, aus dem nur noch ein Piepton erklang, weiter in der Hand. „Das ist schon wieder sehr, sehr übel“, warf Ranpo ein, ohne aufzusehen. „Osamu Dazai ist ein Führungsmitglied der Mafia“, sagte Fukuzawa. „Das ist mir bekannt, aber was hat das mit uns zu tun?“ Allmählich wurde es Atsushi leid, den Anderen ständig eigentlich selbstverständliche Dinge erklären zu müssen, doch so schwer es auch für ihn war, sich als fast einziger an alles erinnern zu können, es brachte nichts, wütend zu werden. Sie konnten nichts dafür, dass sie Kyoka und Dazai und Haruno vergessen hatten. „Dazai“, richtete Atsushi todernst das Wort an Fukuzawa, „gehört zu uns. Nicht zur Hafen-Mafia. Wir müssen ihn da wieder herausholen, bevor er noch etwas tut, was er eigentlich nicht tun würde. Außerdem besitzt er die Fähigkeit, andere Fähigkeiten zu neutralisieren, daher wäre es sicher von Vorteil, wenn er bei uns wäre.“ Fukuzawa fasste sich angespannt mit einer Hand an die Stirn und atmete hörbar aus. „Ich glaube, ich verstehe die Welt nicht mehr.“ „Vertrauen Sie Atsushi, Chef.“ Ranpo kritzelte weiter auf dem Stadtplan herum. Einen Moment lang herrschte absolute Stille im Büro, selbst Kunikida gab keinen Laut von sich, während Fukuzawa angestrengt nachdachte. „In Ordnung“, sagte er schließlich. „Wenn Atsushi der festen Überzeugung ist, dass Osamu Dazai zu uns gehört, dann glaube ich ihm. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass er uns freiwillig helfen wird.“ „Das sagte Akutagawa auch schon.“ Atsushi nahm tief Luft. „Wir werden Dazai zurückholen und wenn es gegen seinen Willen geschieht! Es ist zu seinem Besten!“ „Wenn er tatsächlich ein Kamerad von uns ist, dann tut es mir umso mehr leid, dies sagen zu müssen,“ schwor Fukuzawa seine Leute ein, „aber wir müssen uns auf eine Kampf gegen ihn einstellen. Und dies wird nicht leicht werden.“ „Ich habe eine Fähigkeit, die für den Kampf geeignet ist“, sprach Murasaki entschlossen. „Ich werde mit Euch kommen und dem schamlosen Kavalier zur Rettung eilen.“ „Naomi, du passt auf Kunikida auf. Ranpo, Sei, wenn wir zurück sind, müssen wir einen Schlachtplan haben.“ „Verlasst Euch auf uns!“, rief Sei enthusiastisch. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)