Die Wölfe 3 ~Der Pianist des Paten~ von Enrico (Teil III) ================================================================================ Kapitel 13: ~Der Müll des Capos~ -------------------------------- „Enrico, bitte mach die Augen auf!“, erreicht mich undeutlich eine panische Stimme. „Bitte!“, fleht sie weiter inständig. Dabei will ich die Augen nicht mehr öffnen, nicht sehen was da vor sich geht. Dort erwartet mich nur Vincents gieriger Blick und seine erbarmungslose Art. Doch so sehr ich auch versuche in dieser Dunkelheit zu bleiben, der Schmerz gräbt sich dennoch in mein Bewusstsein. Meine Kehle fühlt sich an wie zugeschnürt, ich kann kaum Schlucken und bekomme nur schwache Atemzüge zustande. In meinem Kopf schlägt ein Presslufthammer gegen meine linke Schläfe. Ich stöhne gequält und bin dabei so leise, dass ich mich selbst kaum hören kann. Mein restlicher Körper fühlt sich an, wie in eine Fleischpresse geraten. Lautes Krachen und das Ächzten von Metall, schlägt mir ins Gehör und lässt mich zusammenfahren. „Nein!“, höre ich die Stimme von eben erneut panisch schreien. Ich brauche einen Moment bis mir klar wird, dass es Toni Stimme ist. Was immer um uns herum vor sich geht, muss ihm wahnsinnige Angst machen. Ich will nicht nachsehen, was es ist. „Enrico, bitte!“, wird er energischer. Ich spüre seine Finger, wie sie sich um meine Handgelenke schließen und er an mir zieht. Meine Arme strecken sich und ziehen mein ganzes Körpergewicht mit sich. Mein Rücken reibt über einen ledernen Untergrund und brennt dabei wie in Feuer getaucht. Ein deutlich lauteres Stöhnen gebe ich von mir, das ist nicht auszuhalten. Ebenso wie das Krachen und Knallen, Glas geht zu Bruch und regnet auf mich herab. Nun kann ich doch nicht anders, ich muss nachsehen was hier passiert. Als ich die Augen öffne, fällt etwas schweres auf mich und begräbt mich unter sich. Ein schneller Atem hebt und senkt den Oberkörper, der auf mir liegt. Er zittert heftig und bleibt doch schützend über mir liegen. Der Raum um mich herum wird kleiner, meine Gliedmaßen werden immer enger an meinen Körper gedrückt. Es kracht noch einmal laut, dann schleift etwas über den Boden. Für einen kurzen Moment wird es still. Einen Augenblick später schrillt ein lautes Warnsignal, wie von einer elektrischen Anlage, die einen Fehler meldet. Fluchende Laute einer Männerstimme folgen. „Verdammte alte Presse!“, knurrt jemand, dessen Stimme ich nicht zuordnen kann. „Was ist los?“, fragt ein anderer Mann. Dieser dunkle Tonfall geht mir durch Mark und Bein. Vincent! „Es muss sich was verklemmt haben, einen Moment!“, sagt der erste Mann. „Seh‘ zu das sie wieder läuft. Ich will das der Wagen verschrottet und danach sofort eingeschmolzen wird. Bekommst du das nicht hin, kannst du deine Bezahlung vergessen!“ „Ja sicher, einen Moment!“ Schritte bewegen sich über Kiesboden, dann sind Hammerschläge zu hören. Der Körper über mir erhebt sich, ich kann nun direkt in Tonis grüne Augen sehen. Tränen und panische Angst liegen noch immer in ihnen, aber auch ein Funken Hoffnung. „Bitte… bitte sag mir, dass du dich bewegen kannst!“, sagt er leise, als wolle er nicht das man uns hören kann. Ich sehe an ihm vorbei. Um uns herum sieht es aus wie in einem Automobil. Nur das die Türen und Sitze eng zusammengeschoben sind. Die Fensterscheiben sind zerbrochen, ihr Glas verteilt sich um uns herum. Wie kommen wir denn in ein Auto und warum ist das so kaputt? Hatten wir einen Autounfall? „Was dauert da so lange?“, fragt Vincent. „Ich habe es gleich!“, entgegnet sein Komplize, dann sind wieder die Schläge des Hammers gegen Metall zu hören. Toni bewegt sich rückwärts und greift erneut meine Arme. Er zerrt an mir, doch seine Kraft reicht nicht aus. Flehend sieht er mich an. „Enrico, bitte!“, sagt er immer wieder. Ich versuche meinen Körper wieder in Besitz zu nehmen, doch jede Bewegung fühlt sich an, als würden mich Fausthiebe treffen. Ich verziehe das Gesicht und versuche meine Füße unter dem Sitz herauszubekommen, um sie gegen den verbogenen Rahmen der Tür stemmen zu können. „So jetzt müsste es wieder gehen!“, sagt der Komplize, die Hammerschläge hören auf. Tonis Augen weiten sich, nackte Angst spiegelt sich in ihnen. Als wir erneut Schritte hören können, zerrt er energischer an mir. Seine Panik jagt auch mir das Adrenalin ins Blut, auch wenn ich noch nicht begreifen kann, was hier vor sich geht, ist mir klar, dass wir wohl sterben werden, wenn wir in diesem Auto bleiben. Der Schmerz meines Körpers tritt in den Hintergrund, ich schaffe es meine Beine zu befreien und hebe sie auf das Sitzpolster. Meine Finger lege ich um Tonis Handgelenke, so haben wir beide mehr Halt am anderen, denn unsere Handflächen sind kalt und schwitzig. Mit den Füßen stemme ich mich gegen die verzogene Tür, dann ist das Anlaufen eines Motors zu hören und das Bersten von Metall. Der Raum um uns herum wird noch kleiner, die Türen und Sitzpolster kommen immer näher. Ich halte den Atem an und versuche rückwärts über den Sitz zu robben. Toni hat die Tür hinter sich aufgetreten und steigt eilig aus, während er weiter an mir zerrt. Das Dach des Automobils knickt über mir ein, ich schreie, doch meine Stimme wird von dem ächzenden Metall übertönt. Strampelnd bewege ich mich weiter Toni entgegen und schließe die Augen, vor der immer kleiner werdenden Hölle um mich herum. Der Zug auf meine Arme wird stärker, dann falle ich einen halben Meter tiefer und werde über kalten Metallboden gezogen. Ein ohrenbetäubender Lärm dröhnt mir in den Ohren. Als ich die Augen wieder öffne, wird direkt vor mir das Automobil, in dem wir eben noch waren, von zwei gigantischen Metallplatten zu einem handlichen Würfel zusammengepresst. Ich kann noch immer nicht atmen. Wie gelähmt sehe ich diesem Schauspiel zu und werde dabei weitergezogen. Um uns herum schiebt sich auf einmal ein Tunnel in mein Blickfeld, der alles Licht schluckt. Ich will noch einmal schreien, fürchte ich doch in der nächsten Schrottpresse zu landen, doch Toni legt sich neben mich und hält mir den Mund zu. „Keinen Mucks!“, sagt er todernst. Ich schaue aus der Öffnung zurück zur Schrottpresse. Dabei begreife ich langsam, dass Toni uns in ein großes Rohr bugsiert hat, das für gewöhnlich beim Bau von unterirdischen Wasserkanälen zum Einsatz kommt. In seinem Inneren sind wir vor den Blicken von außen geschützt. Rechts und links davon säumen berge aus Altmetallschrott mein Blickfeld. Wir sind also auf einem Schrottplatz? Will uns Vincent hier etwa wie Müll entsorgen? Die Schrottpresse öffnet sich und gibt den Klumpen Altmetall in seinem Inneren frei. Ihr gegenüber stehen zwei Männer. Einer von ihnen ist Vincent, der gerade ein Geldbündel an den Schrotthändler übergibt. Der Mann in der fleckigen Latzhose betrachtet die Scheine gierig und lässt seinen Daumen über ihre Kante gleiten. „Du wirst den Schrotthaufen noch heute einschmelzen! Verstanden?“, befiehlt Vincent. „Sehr wohl!“, sagt der Schrotthändler und besteigt einen Gabelstapler, mit dem er den Mettallklumpen auflädt. Vincent dreht sich um, ohne einen letzten Blick zurück verlässt er den Schrottplatz. „Wir müssen hier weg“, flüstert Toni mir ins Ohr. Das sehe ich genauso, doch je mehr die Panik in mir abflaut um so deutlicher spüre ich die rasenden Kopfschmerzen und die etlichen Blessuren meines Körpers. Als ich an mir hinabsehe, bin ich noch immer nackt. Mein Körper ist von Schürfwunden und blauen Flecken übersäht, überall klebt getrocknetes Blut. Meine Kehle ist noch immer wie zugeschnürt und kratzt unter jedem Atemzug. Egal wie viel ich auch schlucke, es wird nicht besser. Keine Ahnung ob ich überhaupt aufstehen kann. Toni sieht über die Schulter weit in das Rohr hinein. Ich tue es ihm gleich. Am Ende ist Licht zu erahnen, scheinbar kommen wir auf diesem Wege auf der anderen Seite des Schrottberges heraus. Toni zieht sich sein fleckiges Hemd aus und legt es mir über die Schultern. Seine Körperwärme ist darin gespeichert und lässt es mich krampfhaft umschlingen. Ich schlottere am ganzen Leib und weiß nicht mal, ob vor Kälte oder wegen allem, was hinter uns liegt. „Komm!“, sagt Toni leise und krabbelt auf allen vieren Rückwärts durch das Rohr. Ich versuche ihm zu folgen, doch jede Bewegung lässt mich innehalten. Das ist einfach nicht auszuhalten. Mein zugeschwollener Hals macht es nicht leichter, bekomme ich doch einfach nicht genug Luft für große Anstrengungen. Auf der Hälfte des Weges lasse ich mich einfach schwer atmend fallen. Der Boden des Rohres stinkt modrig und mein Atem wirbelt Staub und Spinnweben auf. Käfer krabbeln auf der Flucht vor uns davon. Hier ist wirklich nicht der richtige Ort, um liegen zu bleiben, aber ich schaffe es nicht mehr mich aufzuraffen. „Enrico?“, fragt Toni und hat bereits das Ende des Rohres erreicht. Seine Gestalt hebt sich dunkel gegen den helleren Hintergrund ab. Die Erinnerung an meine letzten wachen Momente holen mich ein. Vincent und seine brutale Art, auch mein Versuch ihn umzulegen. Der lässt uns nie in Ruhe. Sobald er weiß, dass wir noch leben, sind wir tot. Aaron ist uns auch keine Hilfe, hat er uns doch erst in diese Situation gebracht. Da draußen gibt es keinen Schutz, keinen sicheren Ort. Warum sich also noch anstrengen? „Enrico, komm schon!“, bittet Toni mich. Mich überkommen Tränen, die ich nicht mehr gestoppt bekomme. „Ich kann nicht mehr!“, sage ich mit erstickender Stimme. Toni sieht über die Schulter zurück und scheint sich auf dem Gelände umzusehen. Schließlich seufzt er ergeben und kommt in das Rohr zurückgekrabbelt. Er robbt bis zu mir und legt sich vor mich, seine Hände greifen die meinen, seine Stirn lehnt er gegen meine. „Ich bin auch ziemlich am Ende!“, sagt er mit brüchiger Stimme. Das er so offen zu seiner Schwäche steht, das kommt so selten vor, dass ich den Kopf doch noch mal hebe. Sein Gesicht ist blass und sein Atem geht stockend, Schweiß tropft ihm von der Stirn und lässt den Dreck der Umgebung an seiner Haut haften. Das Gift kommt mir wieder in den Sinn. Drei Stunden hat Vincent gesagt, sind die schon um? Kann ich ihn noch in ein Krankenhaus bringen? Können wir ihn noch retten? Ich versuche mich aufzurichten, doch mein Körper weigert sich. Da ist keine Kraft mehr, nur noch Schmerz. Keuchend breche ich wieder zusammen. „Toni, du musst gehen. Geh, solange du noch laufen kannst. Geh, bevor dieses Gift dich umbringt…“, sage ich eindringlich. Toni lächelt mich warmherzig an, seine Hand hebt er an meine Wange und sieht mir direkt in die Augen, als er sagt: „Wenn mich das Zeug umbringen könnte, dann wäre ich schon tot. Vincent muss was verwendet haben, gegen das mich die Drachen versucht haben immun zu machen.“ Ich lege den Kopf schief und verstehe nicht, was er mir damit sagen will. „Immun? Aber du hattest doch Schmerzen und bist zusammengebrochen.“ Das er sich wieder bewegen kann und sich nicht mehr am Boden krümmt, spricht allerdings für seine Theorie. Es scheint ihm immerhin besser zu gehen. „Die Wirkung spüre ich immer noch, aber ich sterbe offensichtlich nicht mehr daran“, erklärt Toni und setzt ein bitteres Lächeln auf. „Da war Michaels Folter wenigstens einmal für was gut!“, sagt er. Ich atme erleichtert aus. Toni wird also nicht hier vor meinen Augen sterben, das ist wahrlich beruhigend. Ich lasse den Kopf auf seine Hand sinken und schließe die Augen. „Enrico? Hey! Bleib wach!“, sagt Toni und rüttelt mich an der Schulter, doch ich schaffe es nicht mehr mich zu rühren. „Wir können hier nicht bleiben!“, sagt er energischer, doch mit schwindender Stimme. „Du brauchst einen Arzt… wir müssen… müssen zu Susen…“, sagt er immer leiser. Warme Tränen tropfen mir auf die Wange und Schulter, schließlich legt Toni seinen Kopf auf meinem ab. „Es… es tut mir so leid! Ich… ich habe dich schon wieder… schon wieder nicht beschützen können!“, murmelt er, während immer mehr Nässe von seinen Wangen fällt. Er ist mindestens genauso am Ende wie ich. „Wir ruhen uns nur… ein bisschen… ein bisschen aus!“, sage ich und drücke seine Hand so fest ich noch kann, dann lösen sich meine Gedanken langsam auf und nehmen diese grausame Welt mit sich fort. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)