Dämon von Cocos ================================================================================ Kapitel 1: Die Einladung ------------------------ Kevins Hand, mit der er sein Handy hielt, zitterte. Ein Todesurteil, in Form einer knappen Ankündigung – pressewirksam öffentlich –, dass Evermore zum ersten Mal seit Jahren seine Tore für exzellente Spieler anderer Mannschaften öffnete und sie zum Sommercamp holte. Vier Wochen Training in den dunklen Mauern der Edgar Allan. Vier Wochen in den Klauen von Sadisten.   Kevin starrte auf seine Hand, die grässlich entstellte, stets zitternde und steife Hand. Zerschmettert durch den Kapitän der Ravens, dessen lächelndes Foto die Mitteilung zierte. Er konnte nicht atmen vor Angst, seine Kehle wie zugeschnürt, sein Brustkorb ein steifes Ding ohne Muskeln und Bewegung, das ihn erstickte.   Die Hand in seinem Nacken, die an der Grenze zur Brutalität zupackte, erschreckte ihn nicht mehr so wie vorher. Zu oft hatte sie sich exakt auf diese Stelle Haut gelegt und sich eingebrannt in ihrer Dominanz und Sicherheit.   „Atme.“   Besser wäre es, wenn er es nicht tat. Wirklich besser.   „Atme.“   Einen Monat in dem dunklen Gefängnis, dem er entkommen war, mit nichts zwischen seinem ehemaligen Kapitän und ihm.   „Atme.“   Wer wusste denn schon, ob sie ihn nicht einfach dabehielten? Er war schließlich ein Gegenstand, ein Besitz, temporär ausgeliehen an die Foxes.   „Atme.“   Seine Bewusstlosigkeit kam schneller als seine Bereitschaft, Andrews Worten zu folgen.     ~~//~~     „Oh mein Gott! Oh mein Gott! Oh. Mein. Gott!“   Sara rollte mit den Augen und starrte aus dem Fenster in die langweilige Landschaft der Hinterwäldler, die sich endlos an ihnen vorbeizog und durch die sie schon endlos lange gefahren waren.   Wuhu, die beste Mannschaft ihres Distriktes, nein, ihrer Liga, hatte zum Sommercamp ins dunkle Schloss eingeladen. Nur die besten Spieler anderer Mannschaften. Was fühlte Sara sich doch geehrt, ihre hochheiligen Ferien in den dunklen Kellern der arroganten Arschlöcher verbringen zu dürfen.   Sie rollte mit den Augen. Auch über ihren Kapitän.   Jer war schon hibbelig gewesen, als sie einem Tag zuvor ihre sonnige Heimat verlassen hatten. Die Kombination aus Schlafmangel, zu viel Hitze und zu viel Landschaft tat ihm nicht gut. Endlich konnte er die Ravens sehen und den Ex-Raven-Striker, zu dem er so aufsah. Den Backliner, auf den er schon seit seinem ersten Semester am College scharf war.   Wie gut, dass Jer das Wort Franzose kein einziges Mal in den Mund genommen hatte, während sie mit ihm zusammen hier in dem alten, klapprigen Bus ihres College-Exy-Fuhrparks eingesperrt war.   Gut für Jer, denn Sara hatte keinen Vertrag damit, ihrem Kapitän einen Kinnhaken zu verpassen.   „So hübsch ist das hier!“, schwärmte besagter, lebensmüder Junge und Sara schloss die Augen. Ja, total hübsch, diese Bäume, diese unendlichen Bäume bis zum Horizont und die verfallenen Tankstellen am Rand, die noch nie bessere Zeiten gesehen hatten und vermutlich schon seit ihrer Errichtung Bruchbuden gewesen waren.   Ein Zeugnis der Armut ihres Landes, das pervertierte Überbleibsel des amerikanischen Traumes.     ~~//~~     Langsam zog der, den er Kevin nannte, sich sein Shirt über den Kopf und präsentierte sich der stillen, aber geschäftigen Umkleide der Ravens. Jean konnte das nicht selbst, nicht vor ihnen. Selbst jetzt nicht, nach Monaten der Rache. Er hätte keine Kraft gehabt, sich vor ihnen zu entblößen und so übernahm das Wesen in ihm diese alltägliche Handlung.   Er sah sich um und seine Lippen öffneten sich zu einem Lächeln, als sich alle Blicke von ihm abwendeten. Hochgezogene Schultern und angstvolles Zittern, wo er hinsah. Er pfiff leise, eine Undenkbarkeit noch vor Monaten. Irgendein Lied, das er im Internet gehört hatte. Schiefe Töne, denn Kevin konnte nicht pfeifen.   Er zog seine Hose aus und stieg in sein Trikot. Schwarz und rot, wie die Wände in dieser Gruft seines Daseins. Uniformität. Dominanz.   Pfeifend schlenderte er zur Nummer 1 dieser Todgeweihten.   Angstumkehr.   „Augen hoch, Kapitän“, lockte er und der vormals sadistische Blick zuckte verzweifelt zu ihm, die Schrecken der letzten Nacht noch auf dem Gesicht. Er tätschelte die schwitzige Haut und lächelte, während Jean vor Ekel schauderte.   Tu das nicht. Er kann dir nichts tun. Sieh nur, er hat Angst vor unseren Fingern. Ich will ihn nicht ansehen und ihn nicht berühren.   „Dreh dich weg“, befahl er und das Arschloch gehorchte augenblicklich. Es wusste es besser, als das nicht zu tun.   Siehst du, ich kümmere mich. Er starrt dich nicht mehr mit seinen kleinen Glubschern an. Ich kann sie ihm auch herausreißen, was hältst du davon? Jean schüttelte den Kopf und zog sich in seine Sicherheitsecke zurück, die Kevin für ihn eingerichtet hatte. Tief in seinem Innersten – wenn es zuviel wurde, was er tat. Was sie taten. Hier war er in Sicherheit. Noch mehr als sonst. Hier waren noch die Erinnerungen an den richtigen Kevin, an den Grünäugigen, der es weggeschafft hatte. Oder an den Blauäugigen, der soviel lächelte und strahlte.   Dieser gefiel dem Wesen in ihm und auch Jean war nicht abgeneigt, ihn anzusehen.   Apropos…   „Schön brav sein, wenn die Gäste kommen“, richtete er an niemand Bestimmten im Raum. Alle hörten ihm zu. Keiner bewegte sich. „Keine gebrochenen Hände, keine Peitschen oder Ruten, keine blutenden Ärsche und schon gar keine Queues.“ Leise lachte er und dämpfte Jeans Erinnerungen an die Vergangenheit, wie er es immer tat, wenn es zuviel wurde. Ein Junge fing an zu weinen, leise und gedämpft.   Er war keiner derjenigen gewesen, an denen er sich gerächt hatte.   Oh nein.   „Heißen wir unsere geschätzten Gäste willkommen.“   Jean spürte Freude in sich, ein zaghaftes Gewächs in all der Dunkelheit.     ~~//~~     Ehrfürchtig sah Jeremy an den alten, ehrwürdigen Mauern Evermores hoch, die sich dunkel vor dem hellen Sonnenschein des Sommers abzeichneten. Beinahe kam es ihm vor wie eine Zaubererakademie oder eine Schule für magische Wesen… oder Oxford. So stellte er sich Oxford vor, ohne jemals dagewesen zu sein.   „Bitte folgen Sie mir“, sagte einer der Co-Trainer der Ravens, sonor und ausdruckslos, gleichzeitig aber auch herablassend und arrogant.   Sie wurden hineingeleitet in die kühlen Mauern und Jeremy schauderte. Als die Türen sich hinter ihnen schlossen, erlosch auch das Tageslicht. Neonröhren, kalt und hart ersetzten die heiße Sommerhitze, die Jeremy so sehr liebte. Trotzdem er sie jetzt schon vermisste, war Jeremy aufgeregt, was sie erwarten würde.   Je tiefer sein Team und er in den Schlund gezogen wurden, desto stiller wurde es. Ein Kribbeln prickelte auf Jeremys Haut und er hatte das Gefühl, dass die dicken Steinwände immer näherkamen. Stirnrunzelnd blieb er stehen, als er ein zischendes Wispern hörte.   Er sah sich um, doch da war nichts außer dem starken Gefühl, von etwas Dunklem beobachtet zu werden.   Jeremy schauderte, als sich Gänsehaut auf seinen Armen ausbreitete und er instinktiv zu seinem Kreuz griff, das um seinen Hals hing. Das Gefühl zog sich zurück, doch es verschwand nicht, so als würde es darauf lauern, zurück zu kehren, wenn er nicht aufpasste.   „Alles klar, Jer?“, fragte Sara und kam besorgt zu ihm. Er zuckte mit den Schultern. „Ja. Irgendwie schon…“, erwiderte er zögerlich, sich seiner eigenen Sache aber nicht ganz sicher.     ~~//~~     Da kamen sie, die Unschuldigen, Naiven. Die Hellen, Sonnigen, Externen. Die, die seiner Einladung so bereitwillig und unfreiwillig gefolgt waren.   In ihren Trikots standen sie hier und entweihten die hochheiligen Farben von Rot und Schwarz. Bunt waren sie, ängstlich, nervös, aufgeregt. Jean sah den Grünäugigen, der bleich war, als hätte das Arschloch ihm gerade die Hand gebrochen. Er wurde geschützt durch den mordlustigen kleinen Blonden, dessen Gewaltbereitschaft wie süßer Nektar auf seiner Zunge lag. Er sah ebenso den blonden Kapitän, den er damals nicht ins Krankenhaus getreten hatte. Dieser roch nach etwas Anderem. Aufregung, Begeisterung, Bewunderung   Jeans Nacken prickelte von dessem Blick, der immer dann auf ihm ruhte, wenn er nicht hinsah.   Er mag dich. Mochte er auch ihn? Jean wusste es nicht. Aber er war fasziniert. Vier Wochen. Ja, solange hatte er Zeit, bis die Bunten abreisten und er wieder alleine war. So traurig? Du hast mich. Jean vermisste den Grünäugigen. Er ist hier. Ich habe ihn für dich eingeladen. Genieß die Zeit.   Jean hörte den pseudohöflichen Worten des Arschlochs bewegungslos zu, mit denen er die Anderen begrüßte und ihnen erklärte, was die kommenden vier Wochen ihr Ziel war. Er sah das Lächeln, das falscher nicht sein konnte und konzentrierte sich auf Kevin, dessen großer Körper unter jedem Wort und jeder Bewegung zusammenzuckte wie unter Peitschenhieben.   Der Kapitän der Ravens beendete seine Ansprache und Jean wurde erneut in den Hintergrund gedrängt.   Was machst du?, fragte er erschrocken und Kevin lachte. Wart’s ab.   Langsam kam er zu Riko, der dem Grünäugigen hasserfüllt entgegenstarrte. Er legte ihm schwer eine Hand auf die Schulter und sah mit Genugtuung, wie das Arschloch zusammenzuckte. Jean hatte seine Augen fest auf den Flüchtling mit der gebrochenen Hand gerichtet, während er sich zu seinem Kapitän hinunterbeugte.   „Es reicht“, flüsterte er schmunzelnd und den Körper vor sich durchlief ein Schaudern. Gehorsam senkte der Junge die Augen zu Boden und nickte. „Geh“, wisperte Jean und das Arschloch drehte sich kommentarlos und gehorsam um.   Jean erlangte die Kontrolle über seinen Körper zurück und fühlte sich hilflos im Angesicht des überrumpelten und erschrockenen Starren des Grünäugigen. Hilflos, aber doch zufrieden, denn das Arschloch konnte niemandem mehr Schaden zufügen.   Langsam setzte Jean sich in Bewegung und kam unter dem unerfreuten Blick des blonden Wachhundes zu Kevin. Schweigend musterten sie sich, ein Novum in dieser Halle. Noch nie hatten sie sich ohne Angst so offen gemustert. „Jean“, sagte der andere Junge nicht ohne Hoffnung und Zuneigung in seiner Stimme und Jean spürte eben solche in sich selbst. „Kevin“, erwiderte er und Sorge kolorierte das markante Gesicht. „Es tut mir leid, Jean. Es tut mir so leid, dass du noch hier bist und in seiner Nähe bleiben musst. Es tut mir leid, dass ich dich zurückgelassen habe. Es tut mir so leid.“   Er warf einen Blick zurück auf den Kapitän der Ravens.   „Er hat gelernt, wo sein Platz ist“, entgegnete Jean ruhig, als hätte Kevin nichts gesagt, und lächelte so, wie das Wesen in ihm lächeln würde. Unglauben schlug ihm entgegen. „Wie meinst du das?“, flüsterte Kevin, als wären sie wieder alleine in ihrem Zimmer im unterirdischen Kerker und müssten leise sein, damit das Monstrum sie nicht hörte.   Vieles hätte er darauf antworten können. Er hätte verschwenderisch mit der Wahrheit umgehen können. Er hätte das Arschloch vor Kevin den Boden küssen lassen können.   „Du bist in Sicherheit. Wir sind es“, war alles, was er sagte, bevor er sich herumdrehte und zu der gesichtslosen, schwarz-roten Masse zurückkehrte.     ~~~~~~   Wird fortgesetzt.     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)