Fünfmal Weihnachten von FreeWolf (Ein Adventskalender mit Mut zur Lücke) ================================================================================ Kapitel 4: Viermal Vorweihnachtszeit ------------------------------------ Mao lungerte gemeinsam mit Lai am Rand der Tanzfläche vor der kleinen Bühne im Loop, einer Bar, in der regelmäßig Live-Musik spielte und die seine Schwester seit kurzem besuchte, weil dort ein gewisser Bassist, für den sie schwärmte, Stammgast war. „Die Band ist so gut!“, plapperte sie aufgeregt, während sie darauf warteten, dass besagte Band – Lai wusste nichts über sie, abgesehen von Maos Schwärmereien über das Aussehen des besagten Bassisten – endlich auftauchte und das Konzert losgehen konnte. Der Schwarzhaarige zuckte unbeteiligt mit den Schultern, ließ seine Schwester reden. Ihn interessierte die Musik nicht wirklich; eigentlich interessierte ihn momentan gar nichts, bis auf – Lai unterbrach seinen Gedankengang, indem er heftig den Kopf schüttelte. Seine kleine Schwester sandte ihm einen Blick, der alles heißen mochte, von du armer, liebeskranker Trottel (Er war liebeskrank, aber kein Trottel. Sein Schwarm würde ihn niemals wollen) zu fang‘ dich endlich du Dramaqueen. (Er war weder eine Queen noch Drama, aber damit kam er bei Mao nicht durch.) Bevor er den Mund öffnen und etwas erwidern konnte, trat die Band auf die kleine Bühne und Mao hängte sich an seinen Arm, während die Menge schwerfällig in Bewegung geriet. „Wir müssen näher ran!“, beschloss sie in einem Tonfall, der keine Widerrede zuließ. Noch bevor er reagieren konnte, zerrte sie ihn mit sich in die Menge. Er stolperte ihr hinterher wie auf den unsicheren Brettern eines Floßes in der stürmischen See, ohne innere Balance oder Balance in seinen Gliedern. Er wurde von allen Seiten her angerempelt, während seine kleine Schwester sich scheinbar mühelos durch die Menge hindurch bewegte, bis sie einen Platz gefunden hatte, der ihr zu gefallen schien, ganz vorne an der Bühne. Lai suchte nach einem Griff, fand jedoch keinen, brandete an der Bühne auf und wurde durch die stürmischen Wogen der Tanzenden weggerissen. Der pinke Haarschopf seiner Schwester verschwand. Lais Atem wurde kurz – ob das an der Menge lag oder an der aufsteigenden Desorientierung zwischen blitzenden Lichtern und lauter Musik wusste er nicht. Jemand Unbekanntes schubste ihn nach hinten und seine Füße verloren den Boden unter sich.   Lai machte sich schon darauf gefasst, mit dem klebrigen Boden und den trampelnden, springenden Fußen der Tanzenden rundum Bekanntschaft zu machen.   Anstelle des Bodens rammte der Chinese einen Unbekannten hinter sich, der einen erstickten Laut von sich gab. Beinah automatisch schlossen sich sehnige Arme um ihn, hielten seinen Fall auf. Unter dem festen Griff fiel es Lai plötzlich leichter, zu atmen. Er fing sich, gewann ein wenig Balance in sich und in den Füßen zurück. Als er sich umdrehte, um sich zu entschuldigen und zu bedanken, stockte er. Der rote Haarschopf kam ihm seltsam bekannt vor: Der Chinese blinzelte überrascht als er Raul Fernandez erkannte, der verlegen grinste. „Raul, du-“, Lai schluckte trocken, während seine Füße, die soeben noch im Meer aus Menschen den Boden verloren hatten, feste Wurzeln schlugen. „Ich-“ „Lai“ Rauls grüne Augen blitzten einen Moment lang im Scheinwerferlicht auf, ernst, dann weich. Verdammt. Lai hatte nicht damit gerechnet, ausgerechnet im Loop auf den anderen zu treffen. „Warum bist du hier?“, platzte es aus ihm hervor. Der Spanier blinzelte überrascht, ehe er in Richtung der kleinen Bühne zeigte. Er sagte etwas, doch das ging im Schlagzeuggewitter unter und Lai traute sich nicht, nochmal nachzufragen. Er folgte Rauls Geste in Richtung Bühne, auf der eine Frau mit Gitarre neben den Sänger getreten war. Lai erkannte zwischen den grellen Lichtern der rotierenden Scheinwerfer Julia Fernandez, herrisch und selbstbewusst auf eine einschüchternde Art, selbst aus der Distanz, mit einer Gitarre in der Hand.   Raul – für dessen grüne Augen Lai schwärmte seit er ihn zum ersten Mal gesehen hatte – hatte ihn noch nicht losgelassen. Seine Hände umfassten Lais Unterarme warm und fest, erdeten ihn gegen die Musik. Der Spanier lächelte und beugte sich vor, an Lais Ohr. „Das nächste Stück ist unglaublich gut!“, rief er. „Tanzen wir?“ Lai schluckte, ehe er nickte, das Herz in der Kehle. Sie warteten, bis das nächste Lied begann, das voller weicher Klänge war. Raul begann sich zu wiegen, langsam und im Takt mit dem Schlagzeug, das nach den ersten Akkorden einsetzte. Bald fühlte er, wie sie im Klang verschwammen, sich sanft in den Wellen der Menge treiben ließen. Diesmal ließ Lai es zu, sträubte sich nicht dagegen, sondern überließ die Führung Raul, dessen Hände ihn niemals verließen. Der Chinese fühlte sich seltsam körperlos und zugleich war die Berührung wie ein elektrischer Schlag, der ihm bis ins Herz fuhr. Er lauschte dem dumpfen Pochen des Herzschlags in seinen Ohren, das im Rhythmus zum Bass schlug.   Inmitten der Menge sah er auf und zu Giulia. Ihr Blick schweifte über die Menge, blieb in seiner Nähe hängen – und plötzlich zwinkerte sie Lai zu. Oder war das nur Einbildung? Lai schluckte, trat einen halben Schritt zurück, um seine Hände von Raul zurückzuziehen. Dieser sah ihn einen Moment lang verwirrt, sehnsüchtig an, ehe Lai in den leiser werdenden Klängen des Stückes sein Gesicht in die Hände nahm und ihn küsste, im Rhythmus des Schlagzeugs, seines wilden Herzschlags im Meer aus Farbflecken und Klängen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)