Last Seed von totalwarANGEL (Die letzte Hoffnung der Menschheit) ================================================================================ Kapitel 8: Gefrierbrand ----------------------- “Zum Reichtum führen viele Wege. Die meisten sind schmutzig.” (Peter Rosegger)   Operationsbasis von Last Seed Liberty Bay, 23. April 2037   Gebannt starrten die Teammitglieder - und jene, die es vielleicht noch werden würden - auf die Anzeige der gläsernen Oberfläche des Smart Table und lauschten der Sprachausgabe aus den Lautsprechern, welche Worte ausstieß, die den Raum eigentlich nicht verlassen sollten, in dem sie gesprochen wurden. Der In-Ear im Ohr von Lamar übertrug den tollkühnen Plan von Darius und seiner Gang. Während Mandy, Melanie und Mr. Rivera ihren Ohren nicht trauten, zuckte Victor mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammen, als Merrill ihm den Ellenbogen in die Seite stieß. Endlich hatte er verstanden und entfernte seine Hand von ihrem Rücken, auf dem sie von seinem vorherigen Schieben noch zurückgeblieben war. Vom Nettigkeitenaustausch zwischen dem schwarzhaarigen Jungen und dem rothaarigen Mädchen bekam Jian nicht viel mit. Er saß an seinem Arbeitsplatz, umringt von 4K-Monitoren, wie in den wildesten Träumen eines jeden Profi-Gamer, und erledigte simultan mehrere Aufgaben. Dafür benötigte er den größten Teil seiner Konzentration. Das was da noch übrig blieb, investierte er darauf, der Übertragung zu folgen.   Median Park Wenige Momente zuvor   Es war gar nicht möglich in Worte zu fassen, wie wenig Lamar darauf erpicht war, wieder zurück in die enge Zweizimmerwohnung zu müssen, wo er sich ausschließlich mit dem Versuch beschäftigen konnte, die eigenen Ausdünstungen unter dem Gestank der anderen Kerle zu erschnüffeln. Zwar gab es eine Dusche, doch keine frische Unterwäsche. Da er kein Cowboy aus dem Wilden Westen war, der nach dem Bad pflegte, zurück in die schmutzige Kleidung zu springen, unterließ er die Körperpflege gleich ganz. Wenn man ihn vor die Wahl stellte, ob er sich waschen solle und danach in gebrauchte Unterwäsche steigen solle oder er gleich dreckig bleiben konnte, entschied er sich für das weniger eklige. Er blieb dreckig. Zu seinen Ungunsten sahen das die anderen ähnlich. Darum inhalierte er die schwach mit Abgas angereicherte Luft im Median Park so lange er es noch konnte. Doch durchzuatmen beruhigte ihn kaum. Genauso wenig half der Mann in seinem Ohr, welcher stetig mithörte. Nach Tagen der Gefangenschaft war es Last Seed gelungen, ihm den unscheinbaren In-Ear-Stecker zukommen zu lassen. Er konnte nun nur noch hoffen, dass das Gerät in seinem Gehörgang niemandem auffiel und es seinen Zweck erfüllen konnte. Darius wurde niemals Müde von seinem tollen Plan zum ganz großen Geld zu berichten. Zur Abwechslung hatte es mal nichts mit Drogen zu tun - immer wieder mal was neues. Lamar plante ihn dazu zu bringen, die Einzelheiten noch einmal zu wiederholen, sodass es seine Kollegen von ihm aus erster Hand erfuhren. Noah wurde es offenbar lästig, Lamar beim Löcher in die Luft starren zuzusehen. “Hey”, sprach er ihn daraufhin an. Lamar hatte schon verstanden und folgte seinem Aufpasser ohne Widerstand zurück in den Apartmentkomplex.   Apartmentkomplex nahe Median Park   Die Tür zur Zweiraumwohnung öffnete sich und der strenge Geruch der menschlichen Ausdünstungen strömte Lamar entgegen. Jede einzelne Faser seines Körpers widersetzte sich dem Gedanken, zurück in dieses Dreckloch zu gehen. Er wäre der Erste, welcher sich freiwillig melden würde, den Ort zu entkernen, abzureißen und anschließend neu aufzubauen. Leider war ihm das als Gefangener nicht möglich und so musste er sich arrangieren. Doch noch bevor er einen Fuß vor den anderen setzte, wurde er schon von Noah durch den Türrahmen geschoben. “Na, hat es Spaß gemacht, Diggah?”, wurde er auf sein Eintreten hin von einem provokant grinsenden Darius gefragt. Lamar tat ihm nicht den Gefallen darauf einzusteigen und pflanzte sich stattdessen auf einen freien Platz auf der Couch und schlug die Arme über der Brust zusammen. “Redest du nicht mehr mit mir, Nigga?” “Wozu?”, entgegnete der Kahlköpfige. “Wir sitzen sowieso nur dumm rum.” Darius schenkte ihm daraufhin einen irritierten Blick. “Erst entführst du meine Schwester und erpresst mich mit ihr, damit ich dir bei dem Raub helfe und dann passiert tagelang nichts.” Lamar sah Darius direkt in die Augen. “Da könnte man fast glauben, das du auch nur eine feige Pussy bist.” Daraufhin zeigte Darius mit dem Finger auf Lamar und kniff die Augen zusammen. “Guter Versucht, Diggah!” So einfach ließ er sich wohl nicht provozieren. Darius nahm die Hand herunter. “Wir sind die letzten Tage nicht nur im Park spaziert”, fuhr er fort und fixierte nun ebenfalls sein Gegenüber. In der Tat verschwand öfters einer für eine gewisse Weile. Allerdings hatte man ihm natürlich außen vor gelassen. “Die Vorbereitungen für unseren Besuch bei Capital Five sind fast abgeschlossen.” “Solltest du mich nicht einweihen, wenn ich schon Komplize sein muss?” “Du brauchst nur zu tun, was ich sage, wenn ich es sage!” “Das ist mir nicht gut genug! Ich springe nicht auf Kommando von einer Brücke, nur weil du es befiehlst.” “Dann freut es dich sicher, dass du nur durch den Kanal kriechen musst.” Lamar war außerstande den Ekel zu verbergen, den diese Vorstellung in ihn auslöste. “Aber wenn du drauf bestehst…” Nach diesen Worten trat Darius an eine Tasche heran und wühlte in ihr herum, bis er einen Stift aus ihr heraus holte. Mit ihm trat er an die nackte weiße Wand heran. “Dann erkläre ich es dir.” Dann begann er eine Art Straßenkarte zu skizzieren und schrieb einige Stichpunkte auf. “Wir knacken den Tresor der Capital Five Bankfiliale in der Warren Street. Warum gerade die? Weil unter ihr ein Abflusskanal entlang führt, der in die Bay of Liberty führt. Wir kommen von unten und hauen von unten wieder ab. Ist doch genial. Damit rechnet kein Bulle.” “Musst du trotzdem erst durch den Stahlbeton.” “Wir haben einen Presslufthammer und einen Schweißbrenner von einer Baustelle geklaut und Sprengstoff aus irgend einer Drogenküche beschafft. Erst entfernen wir das Gestein, dann bohren wir die Betonschicht an. Sobald der Stahl freiliegt, wird geschweißt. Wenn wir das Material genug geschwächt haben, zünden wir die Bombe.” “Sehr unauffällig und subtil.” “Finn wird zur Ablenkung einen Böller zünden. Einen großen. Einen illegalen.” “Na super. Was hält euch noch ab?” “Uns fehlen die Fluchtfahrzeuge. Finn hat bisher nichts gefunden, wo wir Jetskis beziehen können.” “Du meinst klauen!” “Ist doch egal!” Darius wandte sich dem einzigen Weißen im Raum zu. “Hast du endlich was gefunden, Toast?”   Operationsbasis von Last Seed   “Das ist Ihr Stichwort, Senior Cheng!”, rief Mr. Rivera aus. “Sorgen Sie dafür, dass sie genau dorthin gehen, wo wir sie erwarten.” “Verstanden!”, bestätigte Jian und begann in die Tasten zu hauen. “Sie haben seine Schwester”, rekapitulierte Mandy. “Er hat mir nie gesagt, dass er überhaupt eine Schwester hat”, sagte Victor. “Aber dann ist auch klar, warum er so kopflos reagiert hat. Und warum er die Füße still hält.” “Ich habs!”, verkündete der asiatisch stämmige Computerspezialist. “Ich sorge jetzt dafür, dass die Suchmaschine der IP unser Suchergebnis überträgt.” Der Aussage folgte noch mehr geklimper auf der Tastatur. “M-Moment mal!”, schritt Merrill ein. “Ihr könnt denen frisierte Suchergebnisse schicken? Dann wisst ihr bestimmt auch, wo sie sich aufhalten!” “I-Ich hab die IP schon lokalisiert.” “Und warum unternehmt ihr dann nichts?!” “Was sollen wir denn machen?”, fragte Victor provokant. “Uns aus Helikoptern abseilen, die Fenster einschlagen und alles kurz und klein ballern?” “Ja! Nein! Ich meine, er ist doch einer von euch, verdammt!” “Jetzt loszustürmen schadet mehr, als es nützt”, erklärte Mr. Rivera. “Wir werden zuerst versuchen, die Schwester von Senior Summers zu finden. Sie wird vermutlich an einem anderen Ort gefangen gehalten. Sobald sie dieses Druckmittel nicht mehr haben, können wir auch offensiver vorgehen. Um das Wohlergehen von Senior Summers müssen wir uns keine Sorgen machen. Schließlich wollen sie etwas von ihm.” “Ab jetzt sollten sie immer zur ausgesuchten Vermietung verlinkt werden”, verkündete Jian nach getaner Arbeit. “Sehr gut.” Rivera wandte sich Victor zu. “Sie werden sich dort umsehen, Senior Krueger”, orderte er anschließend. “Lassen Sie sich aber nicht erwischen.” “Ich doch nicht!”, entgegnete der Schwarzhaarige selbstsicher. “Ich schicke dir noch die Adresse”, sagte Jian. “Alles klar!” Victor kehrte der Versammlung den Rücken und machte sich auf den Weg. Mit seinen Fahrgewohnheiten sollte er es problemlos vor den zu Observierenden zum Ort des Geschehens schaffen.   Jetski-Vermietung am Strand   Der Sportwagen rollte die letzten Meter aus, bevor er zum Stehen kam. Es war die perfekte Beobachtungsposition auf den Strand. Man konnte von hier aus alles im Blick behalten und wurde dennoch nicht gleich entdeckt. “Ich bin in Position”, gab Victor durch. Die Maschinen von Interesse schwammen in Reihe und Glied im seichten Wasser wie eine blecherne Entenfamilie. Etwas weiter ab auf trockenem Grund befand sich ein Schuppen, in welchen sie mutmaßlich jede Nacht eingeschlossen wurden. Ein Mann ging zwischen den Jetskis auf und ab, während er offensichtlich auf Kundschaft wartete. Eine ganze Weile geschah nichts interessantes. Als Victor gerade begann sich zu fragen, ob es dafür wirklich notwendig gewesen war, einen neuen Rekord beim Missachten von Verkehrsregeln aufzustellen, tauchten drei schmierige Gestalten auf: zwei Dunkelhäutige und ein Weißer. Schon allein ihr Gang verriet Victor, dass diese Typen nichts Gutes im Schilde führen könnten. Wobei der hellhäutige Kerl mehr den Eindruck eines Mitläufers machte, der nur irgendwie zu den coolen Kids dazugehören wollte. Victor ließ seine Augen den Männern folgen. Ohne große Umwege begaben sie sich direkt zu den Jetskis und dem Mann, welcher sie zur Miete anbot. Das mussten diese faulen Eier sein, die Lamar gefangen hielten! Der Mann begann sofort sie in ein Gespräch zu verwickeln. “Drei hässliche Entlein sind gelandet”, übertrug Victor an Mission Control. “Ich hab dir gesagt, du sollst diese lächerlichen Codenamen unterlassen!”, fauchte ihn ein äußerst selbstsicherer aber genervter Jian durch seinen In-Ear ins Ohr. “Sorry. Das war so verlockend.” Derweil schien das Angebot des Vermieters, einem indianisch stämmigen Mann in achtziger Jahre Gedächtnis-Hawaiihemd und langen lockigen Haaren, einem der drei Besucher nicht besonders zu gefallen. Er regte sich auf, schrie und gestikulierte wild umher. Der zweite versuchte augenscheinlich ihn zu beruhigen. Leider erfuhr er vom Mitläufer wenig Unterstützung. So verwunderte es wenig, das die Saat der Eskalation erblühte und der cholerische Geselle den Vermieter schubste, was dieser ebenfalls mit einem Schubsen beantwortete. Die Lunte brannte lichterloh und die Faust des aggressiven Schwarzen streckte den Hawaiihemdträger nieder. “Leute, hier gibt es gerade voll auf die Zwölf. Soll ich eingreifen?” “Auf keinen Fall! Nur beobachten!” “Na schön.” Nachdem die vermeintliche Kundschaft kurz kraftvolle Worte austauschten, welche den ungeplanten Einsatz von Fäusten thematisierten, entschieden sie sich dazu, ihre Differenzen beiseite zu legen und den Niedergeschlagenen links liegen zu lassen. Sie rannten auf die Jetskis zu und jeder von ihnen setzte sich auf eines der Geräte. Die Motoren liefen an und die Männer setzten sich in Bewegung. Victor zog den Zündschlüssel aus dem Schloss und sprang aus dem Wagen. “Die haben Jetskis geklaut und hauen ab!”, hielt er seine Leute auf dem Laufenden. Dabei stürmte er eiligst zu dem niedergeschlagenen Mann und untersuchte ihn. Der Treffer bewirkte einen KO in der ersten Runde, sonst fehlte ihm aber nichts. “Ich muss was tun!”, verkündete der Schwarzhaarige. “Du kannst denen nicht einfach so hinterher fahren!”, echauffierte sich sein Mann im Ohr. “Würde ich doch nie machen!” “Aber klar würdest du!” Victor entschied, dass er keine weitere Zeit verlieren durfte, schnappte sich selbst einen der Jetskis und schoss nun ebenfalls hinaus in die Bay of Liberty. “Höre ich da einen Motor?”, fragte Jian entsetzt. “Du träumst, Kollege.” Noch während er sprach, beschleunigte er das Wasserfahrzeug unter ihm, um doch noch mit den Flüchtigen aufzuschließen. Diesmal schrie ihm eine andere Stimme ins Ohr. “Du lässt sofort den Scheiß sein!”, befahl ihm Mandy. “Was ist, wenn sie Waffen haben? Du bist auf dem Wasser. Da funktionieren deine Kräfte nicht!” “Ach, was soll schon passieren?”, beschwichtigte er seine Schwester. Taub für jede weitere Belehrung, folgte er unbeirrt den flüchtigen Jetski-Dieben hinaus in die Bucht.   Die wilde Fahrt führte einmal um die kleine Insel im Zentrum der Bucht herum. Auf ihr befand sich der Sockel einer mächtigen Bronzestatue. Früher war sie das erste, was Siedler aus der alten Welt zu Gesicht bekamen, wenn sie ihr neues Leben in den Staaten begannen. In einem Land, das die Freiheit mehr schätzte als alles andere. Heute stellte sie nur eine verwitterte, von Seevögeln vollgekotete, Erinnerung dar, welche nicht einmal mehr als Touristenziel taugte. Wie auch, wenn sich kaum jemand eine Reise in den reichsten Stadtstaat an der Ostküste leisten konnte? Und wenn der Blick von der begehbaren Fackel noch so atemberaubend war. Victor gelang es tatsächlich, die drei Gestalten einzuholen. Er hielt jedoch Abstand, damit sie ihn nicht doch noch bemerkten. Vorsichtig folgte er ihnen. Sie führten ihn zu einem Abwasserabfluss, groß genug, dass man mit einem Jetski hinein fahren konnte. Nicht weniger als das taten sie und verschwanden in der Dunkelheit. Victor erreichte den Zugang wenig später, blieb allerdings davor stehen. “Ich denke, ich habe den Fluchtweg gefunden”, teilte er Misson Control mit. “Sie sind mit ihren Jetskis in einen Abwasserkanal reingebrettert.” “Ich bestimme deine Position”, antwortete Jian. Während er in die Tasten haute wie ein Wahnsinniger, schauten die anderen Anwesenden gebannt auf den Smart Table. Ihr Warten sollte sich auszahlen. Auf der Anzeigefläche erschien ein Stadtplan, über den eine Karte des Kanalsystem gelegt war. Auf dem Stadtplan markierte Jian die Capital Five Bankfiliale. Sie lag genau über jenem breiten Abwasserkanal, dessen Ausgang Victor so eben gefunden hatte. “Die sind gar nicht mal so dumm”, kommentierte Mandy. “Es ist genau, wie er gesagt hat”, meinte Melanie. “Und jetzt? Ruft ihr die Bullen?”, erkundigte sich Merrill. “Wir lassen sie machen?”, mutmaßte Victor über Funk. “Exakt, Senior Krueger”, bestätigte der Gruppenleiter. “Sie können die doch nicht einfach die Bank überfallen lassen?!”, tobte das rote Gewitter. “Ruhig, Süße!”, versuchte Mandy sie zu beschwichtigen. “Ich will mich aber nicht beruhigen!” “Wir werden unseren Mann nicht in Gefahr bringen”, erklärte Rivera mit Engelsgeduld. “Die Polizei schalten wir erst dann ein, wenn es sicher ist.” “Mhmm…” Seine Worte vermochten es nicht sie abzuholen. Sie empfand es als unverantwortlich, die Kriminellen einfach ihr Ding drehen zu lassen und schien nicht bereit, sich vom Gegenteil überzeugen zu lassen.   ~~~   Capital Five Bankfiliale 24. April 2037   Neben einem geöffneten Gullideckel parkte ein Van der Stadtreinigung. Schläuche und Kabel waren in die Finsternis herabgelassen worden. Das Fahrzeug stand seit mehreren Stunden hier direkt in Sichtweite der Bank und dennoch nahm niemand Notiz davon. Mutmaßlich glaubten die braven Bürger wohl, es handelte sich um einen wirklich sehr verdreckten Kanal. Untertage war die Bande von Darius bereits zu Werke. Den Van der Stadtreinigung hatten sie schon vor der Entführung Kaylas und der Zwangsrekrutierung Lamars entwendet. Etwas vor über einer Woche. Lamar war sichtlich überrascht, wie gut ausgearbeitet der Plan war und mit wie vielen Details er aufwartete. Zwar war ihm bewusst, dass Darius ein hinterhältiger kleiner Mistkerl war, aber so viel Raffinesse hatte er ihm nicht zugetraut. Auch wenn die Informationsbeschaffung höchstwahrscheinlich auf diesen Finn zurückgegangen war. Er ertappte sich kurzzeitig dabei, so etwas wie Bewunderung zu empfinden. Dieses Gefühl wurde aber schnell wieder vom Verlangen abgelöst, Darius seine Faust spüren zu lassen, dafür dass er sich an seiner Familie verging. Leider musste das noch warten. Während Noah die zuvor von Levin mit dem Presslufthammer freigelegten Stahlstreben im Beton mit dem Schweißbrenner bearbeitete, konnte der Kahlköpfige nur zusehen. Von diesen Handwerksarbeiten verstand er nichts und außerdem hatten sie sowieso nur einen Schweißbrenner akquirieren können. Zum Nichtstun verdammt, stellte er sich an die Kanalwand wo er niemanden im Weg herum stand. Der Abwasserkanal führte in der Mitte Wasser und hatte links und rechts einen schmalen Weg, auf dem man sich bewegen oder auch schweres Gerät abstellen konnte. Gefolgt von einem erleichterten Seufzer stellte Noah die Arbeit ein und riss sich die Schweißerbrille vom Gesicht. “Weiter komme ich nicht, Boss!”, kommunizierte er dem Anführer. “Jetzt muss der Sprengstoff ran.” Kontrollliebend wie er war, musste Darius sich zuerst selbst die angebohrte Stelle ansehen, bevor er den nicht anwesenden Finn anrief. “Hey, Toast”, sprach er. “Halt deinen Knallfrosch bereit.” Jetzt konnte es nicht mehr lange dauern.   Der verwaiste Ausgang des Kanalsystem sah in den letzten Tagen mehr Verkehr als ein Hafenbordell beim Matrosenlandgang. Auch jetzt ließ man ihn einfach nicht in Frieden in die Bay of Liberty auslaufen. Das Geräusch eines Motors verzerrte das monotone Rauschen des Meeres und die gelegentlichen Rufe der Seemöwen, als Victor mit einem Jetski zum Ausgang des Abwasserkanals fuhr. “Ich bin in Position”, meldete er.   Einraumwohnung nahe Median Park   Wie es ihn ankotzte, dass er nicht bei der Action dabei war. Anstatt ihn an forderster Front einzusetzen und die verdammte Bank einfach zu stürmen, hatte Darius ihn dazu verdammt auf diese unterbelichtete Tusse aufzupassen, während er seinem Smart Ass Plan nachging. Und er durfte sie nicht einmal anfassen. Das kotzte ihn fast noch mehr an. Wie gern hätte er sie schreien gehört. Aber Kai hatte noch nie die Befehle von Darius in Frage gestellt und er wollte heute auch nicht mehr damit anfangen. Die Einraumwohnung befand sich nur wenige Blocks von dem Ort entfernt, in dem die anderen seit Tagen aufeinander hockten. Wenn Lamar, dieser Wichser, das gewusst hätte, hätte es für ihn bestimmt kein halten mehr gegeben. Wäre bestimmt sehr unterhaltsam gewesen, seiner Schwester genau in dem Moment, indem er die Tür eintritt, um sie zu retten, eine Kugel in den Kopf zu jagen. Ein flüchtiges böses Grinsen machte sich auf Kais Gesicht breit. Aber was nicht war, das war leider nicht. Das Mädchen, auf das er aufpassen sollte, war ganz ruhig. Sie hatte auch keine andere Wahl, da er sie gefesselt und geknebelt hatte. Wenigstens musste sie so aufhören, sich über den Zustand der Wohnung auszulassen. Behindert, aber zetern und meckern konnte das Miststück wie jede andere Frau auch. So schlimm sah es nun wirklich nicht aus! Auf dem Boden lagen zwar ein paar alte Pizzaschachteln neben halb abgegessenen Tellern von undefinierbaren Speisen - überbleibsel längst vergangener Tage - und gelegentlich kroch ein längliches schwarzes Insekt über den Boden. Aber immer wenn Kai eins dieser hartnäckigen Biester zu Gesicht bekam, die anscheinend jedes Gift überlebten, zertrampelte er es. Was sich die Bekloppte überhaupt darüber aufregte. Das war eine ganz normale Junggesellenwohnung! Bei den ganzen Schachteln überkam ihn der Hunger. Kai wurde bewusst, dass er seit dem Vortag schon nichts mehr gegessen hatte. Er verbrachte seine Zeit damit, Löcher in die Luft zu starren. Unglaublich! Es verlangte ihm nach einer schönen Pepperonipizza, also bestellte er sich eine. Der Typ am anderen Ende der Leitung musste mindestens so behindert sein, wie seine Geisel, denn er begriff einfach nicht, dass er ihm gefälligst extra Chilli drauflegen sollte. Letztlich schaffte er es doch, seine Bestellung abzugeben und musste nun warten. Sein Blick fiel auf Kayla. Sie würde ihm nicht schon wieder jeden Bissen Essen abgucken! Er ergriff den Stuhl, an dem er sie gefesselt hatte, und zog diesen unter ihrem stummen Protest in das Badezimmer. Er stellte sie zwischen Waschbecken und Toilette und schloss die Badtür. Erleichtert atmete er auf. Auf die Idee hätte er schon viel früher kommen können! Wenig später klingelte es an seiner Tür. Endlich, dachte er. Die Pizza! Er kramte ein paar zerknitterte Scheine zusammen, welche er nicht gerade zum einsaugen illegaler Substanzen brauchte, und begab sich an die Tür, um die Bestellung entgegenzunehmen. Er lugte durch den Türspalt und erspähte eine süße Blonde. Sie trug ein Cappy mit dem Firmenlogo der Pizzeria und die Pizzapackung auf dem linken Arm. Eigentlich machte er sich nicht so viel aus weißen Mädels, aber die war echt ein Hingucker! Am liebsten hätte er sie in seine Wohnung gezerrt und ihr gezeigt, warum schwarze Männer viel besser im Bett sind, als Weißbrote. Leider hätte er dann wohl nie wieder eine Pizza in dem Laden bestellen können und das war es ihm jetzt auch nicht wert. “Moment!”, sagte er und entriegelte die Tür. “Das macht noch mal wie viel?”   Schon als sich die Tür öffnete und sie einen ersten Einblick auf die Zustände an diesem Ort erhaschte, wurde es Mandy speiübel. Überall lagen alte Pizzapackungen oder anderer Unrat herum. Ein absolut widerlicher Ort, selbst wenn man nicht tagelang hier gefangen gehalten wurde. Es wurde Zeit, dass sie etwas unternahm. Während der dunkelhäutige Typ ihr gegenüber seine verranzten Scheine sortierte, nutzte sie seine Unachtsamkeit, um ihn zu überraschen. Die Pizzaschachtel fiel und die Blondine drängte den Mann in seine Wohnung hinein. Ein Schlag ins Gesicht, womit er offensichtlich nicht gerechnet hatte, brachte ihn zu fall. Er stürzte auf einen mit Unrat vollgestapelten Tisch, welcher unter seinem Gewicht sofort zusammenbrach. “Wo ist sie?”, verlangte Mandy zu wissen. Der Kerl versuchte sich aufzurappeln. “Süße, ich wollte nur eine Pizza!”, behauptete er. “Rede keine Scheiße! Wo ist Kayla!” Jetzt ging ihm offenbar ein Licht auf. “Ach, bist du SEIN Snow Chick?” “Ich bin von niemanden das Snow Chick!” “Das ist echt schade”, meinte der mutmaßliche Entführer. “Du bist so heiß, da würde ich gern für die Schneeschmelze sorgen.” Mandy spürte erneut ihren Magen rebellieren. Der Ekel war so groß, dass ihr für einen Moment entging, dass ihr Gegner nach irgend etwas unter sich tastate. Als es ihr endlich auffiel, war es schon zu spät. Er zog eine Pistole aus dem Unrat hervor und richtete sie auf sie. “Und jetzt werden die Karten neu gemischt, Schätzchen!” Sein widerliches Grinsen war Jenseits von ekelhaft. Der Gefahr bewusst, hob Mandy schnell die Hände an. Der Entführer stand unterdessen seelenruhig auf, während er sie weiter mit seiner Bleispritze bedrohte. “Und jetzt machst du dich mal schön nackig!”, forderte er anschließend. Unfassbar! Der hatte Nerven! Ungeduldig fuchtelte er mit der Knarre herum. “Na los!” “Na schön. Wie du willst.” Nach diesen Worten zerlegte Mandy ihren Körper in seine Wasserform. Nass und durchgeweicht fielen ihre Kleidungsstücke zu Boden, während von ihr augenscheinlich nicht die geringste Spur übrig blieb. An dem Dunkelhäutigen ging dies nicht spurlos vorbei. “Was ist das jetzt für eine kranke Scheiße?!”, rief er aus. Der musste gerade reden! Nervös drehte er sich immer wieder um, auf der Suche nach der verschwundenen Pizzabotin, doch er konnte sie nirgends ausmachen. Allmählich stellte er seine hektischen Bewegungen ein. Er senkte seinen Waffenarm und stellte seine geistige Gesundheit in Frage. Konnte das wirklich gerade passiert sein? Hinter ihm nahm Mandy wieder Gestalt an. Nackt, denn ihre Kleidung lag schließlich noch immer in der Mitte des Raumes. Bevor ihr Gegner begriff, was mit ihm geschah, entwaffnete sie ihn. Die Handfeuerwaffe fiel zu Boden und noch im gleichen Moment bedeckte Mandy die Atemwege des Entführers und würgte ihn in die Bewusstlosigkeit. Vorsichtig legte sie den Körper des Mannes ab und kniete sich vor ihm hin, den Rücken zur Tür zugewandt. Genau in diesem Moment ertönte das Kläffen irgend eines Pinschers. Eine alte Dame kam an der noch immer offenstehenden Eingangstür vorbei und ihr rattengroßer Handtaschenköter wollte gar nicht mehr aufhören zu bellen. Entsetzt sah Mandy über ihre Schulter. Das eine Fremde sie nackt sah, war alles andere als angenehm.  Die ältere Frau beäugte das nackte Mädchen, welches über ihrem Nachbarn kniete. “Mhph!”, gab sie die Nase rümpfend von sich. “Diese jungen Leute von heute. Fallen übereinander her und machen nicht mal die Tür zu!” Nach diesen Worten zog die Frau ihre noch immer kläffende Töle vom Wohnungseingang weg. Anschließend griff sie nach dem Türknauf und schloss die Tür von außen. “Komm, mein Kleiner”, hörte Mandy sie noch sagen. “Wir gehen jetzt zu deinem Lieblingsbaum.” Mandy verlor keine weitere Zeit und bekleidete sich wieder. Keinesfalls hatte sie vergessen, warum sie hier war. Mit dem Typen im Reich der Träume, hinderte sie nun nichts mehr daran, nach Kayla zu suchen. Sie ließ ihren Blick schweifen. Dieses verdreckte Loch von einer Wohnung konnte nicht mit so vielen möglichen Verstecken für eine Person aufwarten. Noch bevor Mandy weiter überlegen konnte, hörte sie ein schwaches Wimmern aus dem Badezimmer. Sofort öffnete sie die Tür und fand Kayla gefesselt und geknebelt auf einem Stuhl vor. Umgehend befreite sie sie. “Danke”, sagte Lamars Schwester mit deutlich hörbarem Sprachfehler. “Der böse Mann hat mich mitgenommen.” Eine erwachsene Frau, die wie ein kleines Kind sprach. Die Gangster hatten keine Probleme damit, eine Behinderte für ihre Zwecke zu missbrauchen. Mandy ekelte das bald noch mehr an, als dieser Ort hier. “Keine Angst! Ich bring dich weg.” Daraufhin geleitete sie sie aus dem Gebäude hinein in ihr Fahrzeug. Nachdem beide angeschnallt waren, startete sie den Motor. “Ich habe Kayla da rausgeholt”, gab sie noch an Mission Control weiter, bevor sie das Gaspedal durchtrat.   Capital Five Bankfiliale   Unter der Bank war inzwischen alles verkabelt. Vier Gestalten in orangenen Westen der Stadtreinigung krochen aus ihrem Loch und brachten den nötigen Sicherheitsabstand zwischen sich und die Sprengladung. Darius stand am nähsten dran, gefolgt von Levin und Noah. Lamar stand am weitesten entfernt. Wahrscheinlich hätte er einfach abhauen können, doch ihm war klar, dass er diese Möglichkeit nicht hatte. Seine Schwester war ein gewichtiges Faustpfand und solange ihm niemand sagte, dass sie nicht mehr in der Gewalt dieser Verbrecher war, musste er wohl oder übel weiter mitspielen. “Wer will den Knallfrosch zünden?”, fragte Darius die anderen Bankräuber und fuchtelte dabei äußerst unprofessionell mit dem Zünder herum. Die anderen antworteten nicht, da sie viel zu viel Angst davor hatten, dass er wohlmöglich verfrüht die Explosion auslöste. “Na gut, dann eben nicht!” Mit der freien Hand kramte Darius sein Handy hervor und wählte eine Nummer auf Kurzwahl. Am anderen Ende wurde abgenommen. “Jo!”, meldete sich Finns Stimme. “Halt den Böller bereit, Toast!”, orderte der Bandenchef.   In einer Gasse kauerte Finn vor dem illegalen Feuerwerkskörper. Es war ein massives Stück Pyrotechnik. Vielleicht hätten sie damit auch die Bank aufsprengen können. Die Gasse, welche Finn ausgesucht hatte, würde den Knall akustisch verstärken und direkt auf die Bankfiliale lenken. Perfekt! Er wartete noch auf das Kommando seines Bosses, mit welchem er gerade telefonierte. “Tue es!”, sprach Darius. Finn gehorchte und zückte sein Feuerzeug. Er entzündete die Lunte und nahm danach die Beine in die Hand. Er wollte nicht mehr in der Nähe sein, wenn das Ding hoch ging. “Zwölf Sekunden, Boss!”, brüllte er in sein Handy und verließ die Gasse.   Im Kanal zählte Darius die Sekunden. Genau im rechten Moment betätigte er den Auslöser. Das Signal entzündete den Sprengsatz und ein mächtiger Rums verkündete den freigelegten Weg zum Reichtum, gefolgt von einer Wolke von Schutt, welche die Anwesenden husten ließ.   Auf der Straße hallte der Knall des Kanonenschlag mehrere Viertel weit. Auf diese mexikanischen Knallfrösche war Verlass! Nicht nur, dass sie hochgradig illegal und gefährlich waren, nein sie fabrizierten auch mindestens so viel Krach, wie man von ihnen erwartete. Mehrere Hunde wurden von der Explosion aufgeschreckt und kläfften ohne Unterlass. Ebenso regten sich ungezählte Stadtbewohner auf. Sie empörten sich über den Idioten, welcher mitten am Tag einen Kanonenschlag zünden musste. Sogar eine Alarmanlage eines Autos ging aus unerfindlichen Gründen los.   Derweil legte sich der Staub im Kanal. Darius und die anderen traten an das Loch in der Wand heran. “Auf geht’s, Niggers!”, kommandierte der Anführer seine Handlanger, zu denen sich Lamar bedauerlicherweise auch zählen musste. Nacheinander krochen sie hinein, der Beute entgegen.   Ein von seiner Position noch immer gut hörbarer Knall signalisierte Victor, dass der Raub im vollem Gange war. Kurz zuvor hatte er die Information erhalten, das Kayla befreit war. “Ich gehe rein!”, meldete er dem Teamleiter. Dann startete der Schwarzhaarige den Motor des Jetskis, auf dem er saß, und fuhr hinein in den dunklen Kanal. Einzig ein paar schwache Wartungsleuchten wiesen ihm den Weg durch die Finsternis. Ihr schein spiegelte sich im ungeklärten Abwasser der Metropole und Victor wollte gar nicht wissen, was da alles in der Brühe vor sich hin schwamm. Unbeirrt steuerte er sein Wasserfahrzeug weiter gerade aus, bis er von weitem die anderen Jetskis erkennen konnte. Er stoppte den Motor und vollzog das Kunststück einer hundertachtzig Grad Drehung in diesem engen Kanal, bevor er abstieg und sich trockenen Fußes auf den Seitenweg schwang. Es wäre nicht nur hinderlich nass zu werden, weil dann seine Fähigkeiten nicht funktionierten, in diesem Kanal wäre es zudem absolut eklig gewesen! Sofort zückte er sein Handy und beleuchtete die Umgebung mit der Taschenlampenfunktion. Staub, Schutt und letztlich schweres Gerät und ein Loch in der Wand. Hier war er richtig.   Der große und mächtige Tresor, wie er standardmäßig von der Capital Five Bank in ihren Filialen verwendet wurde, war ein unzerstörbares Bollwerk. Die kreisrunde Tür aus einem Meter dicken Stahl wurde von den kompliziertesten Verschlusssystemen geschützt und die Siliciumcarbid verstärkten Wände würden sicherlich einen mittleren Atomschlag überleben. Würden sie nicht, aber diese Legende war weit verbreitet und hielt sich hartnäckig. Auch Dave, der Wachmann, glaubte an sie. Er stand beeindruckt vor dem majestätischen Gebilde. Dieses Monstrum war unknackbar, da war er sich sicher. Der entspannteste Job, den ein Angestellter von einem Sicherheitsdienst sich nur wünschen konnte. Ihn brachte auch der Knall von eben nicht aus der Ruhe. Ganz sicher irgend so ein Idiot, der dachte, Sylvester wäre im April. Keine Gefahr! Was war das? Dave war es so, als habe er eine Stimme aus dem inneren des Tresors vernommen. Ungläubig lauschte er, konnte aber nichts hören. Schnell tat er es als seine lebhafte Fantasie ab. Wie soll auch jemand da rein kommen. Das war absurd! Dave wusste leider nicht um den schwerwiegenden Konstruktionsfehler des Tresormodells, das es verwundbar für Attacken von unten machte.   Im Inneren waren die Räuber bereits zu Werke. “Los, mach sie auf!”, befahl Darius. Seine Worte richteten sich an Lamar, welcher sogleich - wenn auch widerwillig - an die Schließfächer heran trat und seine Fähigkeit einsetzte. Binnen Sekunden gefroren die Schließvorrichtungen und ein beherzter Schlag mit der Brechstange genügte nun, um sie zu zertrümmern, sodass sie Geld, Schmuck und Dokumente freigaben. Lamar sah hilflos dabei zu, wie Levin und Noah alles was sie in die Finger bekamen in dunkelgrüne Sporttaschen stopften. Es war ihnen offenbar völlig egal, was sie klauten. Irgendeinen Wert würde es schon haben. Finn würde ihn später schon beziffern. “Was trödelst du denn rum?”, konfrontierte ihn Darius. “Sorry!” Umgehend setzte Lamar das Einfrieren der Schlösser fort. Unscheinbar lugte ein mit schwarzen Haaren bedeckter Kopf aus dem in den Boden gesprengten Loch hervor. Victor wartete auf den richtigen Moment. Als keiner im Raum in seine Richtung sah, war dieser gekommen. Er erhob sich aus dem Loch und ging hinter einem Handwagen in Deckung. Er beobachtete, wie Lamar durch Handauflegen jedes Schloss sinnlos machte und war mal wieder leicht beeindruckt von seinem eiskaltem Freund. Dann entschied er, dass er genug gesehen hatte. Mit einem gequälten Schrei ging Levin zu Boden. Noch bevor Noah begriff, was da gerade abging, trauf auch ihn der Schlag. Als Darius seine beiden Handlanger zusammenbrechen sah, tat er das in seinen Augen einzig richtige und richtete seine Waffe auf Lamar, welcher nur etwa einen Meter von ihm entfernt stand. “Was soll die verfickte Scheiße, Nigger?!”, forderte er Lamar auf, Klartext mit ihm zu reden. Victor begriff, dass er die falschen Leute schlafen geschickt hatte, und trat aus seinem Versteck hervor. In seiner Hand konzentrierte sich bereits die nächste Ladung Elektrizität. “Willst du echt auf die harte Tour herausfinden, ob du schneller schießt, als der Blitz?”, fragte er den Kriminellen provokant. Seinen Blick auf Victor fixiert, fragte Darius Lamar: “Wer hat dir erlaubt, deine Freaks zur Party mitzubringen?” Plötzlich spürte er, dass die Waffe in seiner Hand immer kälter wurde. Er sah sich zu Lamar um, der eine Hand auf die Pistole gelegt hatte. “Ich brauche keine Erlaubnis”, entgegnete der Kahlköpfige. Das kalte Stück Metall in seiner Hand brannte, woraufhin Darius es fallen ließ. Die Waffe schlug auf dem Boden auf und zerbrach in Einzelteile. Die extrem niedrige Temperatur, der sie ausgesetzt war, hatte das Metall spröde gemacht, weshalb sie den Sturz aus über einem Meter Höhe nicht überstand. Darius hielt seine Hand. Die Stellen, welche mit der Waffe in Kontakt gekommen waren, zeigten Zeichen von akuter Unterkühlung. “Hey!”, machte Lamar auf sich aufmerksam. Darius sah ihn mit Schmerz entstelltem Gesicht an, nur damit ein Faustschlag seines unfreiwilligen Komplizen ihm noch mehr Schmerzen bereiten konnte. Lamar schüttelte seine Hand. “Das wollte ich schon seit Tagen machen!”, kommentierte er die Talfahrt des Bandenchefs. Victor schloss seine Hand zur Faust und brachte die sprühenden Funken zum schweigen. Gemeinsam fesselten sie Darius, Levin und Noah neben ihrer Beute. “Ihr habt euch ganz schön viel Zeit gelassen”, tadelte Lamar. “Halt die Klappe!”, echauffierte sich Victor gekünzelt. “Sei froh, dass wir überhaupt gekommen sind.” “Ihr kommt doch ohne mich nicht klar!” Sein schelmisches Grinsen war fast ansteckend. “Wir sollten jetzt die Bullen rufen.” “Stimmt. Die können den Rest erledigen.” Nachdem sie Jian über Funk instruierten, anonym die Polizei zu verständigen, stiegen Lamar und Victor gemeinsam durch das Loch im Boden in den Kanal herab und besetzten je einen der vier Jetskis, welche noch immer im Abwasser bereit standen. Lamar war erleichtert, als er von Victor erfuhr, dass es seiner Schwester gut ging und sie in Sicherheit war. “Der vierte Jetski ist von dir, oder?”, erkundigte er sich anschließend. “Genau”, bestätigte Victor. “Vier Leute, drei Jetskis. Dieser Penner!” Wütend ballte Lamar die Hand zur Faust. “Er hätte mich einfach meinem Schicksal überlassen, nachdem er hatte, was er wollte.” “Ruhig, Großer!” Victor musste lachen. “Sonst taust du noch auf.” “Am Liebsten würde ich nochmal rein gehen und ihm noch ein paar Zähne korrigieren.” “Ich hab eine bessere Idee.” Der Motor unter Victor begann zu arbeiten. Lamar startete ebenfalls. Hintereinander fuhren sie den Kanal entlang, bis er sie in die Bay of Liberty führte. “Was ist denn deine Tolle Idee?”, wollte Lamar wissen. Victor beschleunigte. “Mal sehen, wer zuerst die Bucht durchquert!” Ein Schwall von aufgeschäumten klaren Küstenwasser spritzte Lamar von oben bis unten nass, als sein Freund verfrüht startete. “Du willst mit mir um die Wette fahren?! Na warte!” Auch er beschleunigte. Die beiden leisteten sich eine wilde Fahrt, direkt um die zentrale Insel der Bucht, bevor sie bei Victor's Wagen an Land gingen.   ~~~   Operationsbasis von Last Seed, Botanik 25. April 2037   Merrill ließ die Arme über dem Geländer des Fußweges baumeln. Er führte ein Stockwerk über dem Boden einmal um den Innenraum herum und gewährte Blick auf den Baum im Zentrum des mehrere Stockwerke hohen Raumes. Sie war auf Erkundungstour mit dem Besucherausweis, der ihr von Victor zugesteckt worden war. Merrill war ehrlich überrascht, hier so einen Ort zu finden. Das passte so gar nicht zu dem sonst so kalten und sterilen Ambiente des Verstecks. Die LED-Lampen bestrahlten das Gewächs mit einem dem Sonnenschein nachempfundenen Licht und regten das Wachstum an. Auch gab es mehrere Blumenkästen mit verschiedensten Pflanzen, die ebenfalls gediehen. Im Hintergrund ertönte klassische Musik in angenehmer, kaum wahrnehmbarer Lautstärke. Merrill fragte sich, wer dieses Paradies zu verantworten hatte. Plötzlich öffnete sich hinter ihr eine Tür. Die Rothaarige rollte mit den Augen und machte sich bereit, eine ganz bestimmte Nervensäge mit dem ihr bestmöglichen zickigen Verhalten zu vertreiben, bis sie eines besseren belehrt wurde. “Hey, Süße!”, grüßte die Stimme von Mandy. Zum Glück, die Vernünftigere der beiden! Merrill atmete auf. Mandy stellte sich neben sie an das Geländer und mimte ihre Haltung mit den Armen schlapp über ihm hängend. “Gefällt es dir hier?” “Schon”, antwortete Merrill zaghaft. “Nicht so kalt wie sonst überall. Weißt du, wer diesen Garten hier angelegt hat?” “Klar. Aber das würdest du mir sowieso nicht glauben.” “Wenn du das sagst.” “Hast du drüber nachgedacht, bei uns einzusteigen?”, kam die Blondine zum Punkt. “Bist du deshalb hier? Um mich das zu fragen?” “Dann müsste ich zumindest nicht mehr alleine rumzicken.” Merrill lächelte. “Ich habe es wohl dieses Mal übertrieben?” “Es hätte wohl jeder so reagiert.” Mandy legte ihren Arm über Merrills Schulter. “Für dich ist das alles neu, Süße.” Die Blondine klimperte vertrauenserweckend mit den Lidern. “Danke.” Mandys Hand rutschte langsam Merrills Rücken herunter. Entsetzt schreckte die Rothaarige hoch, als Mandy ihr einen Klapps auf den Hintern gab. Entgeistert sah sie sie an. “Vergiss aber nicht, dass wir diesen Hintern gerettet haben.” Offenbar hatte Mandy keine Probleme damit, Merrill mit ihrer Verwirrung allein zu lassen. Mit einem breiten Grinsen verschwand sie aus der Tür, durch die sie zuvor eingetreten war.   FORTSETZUNG FOLGT... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)