The fragrant Flower von Ryouxi ================================================================================ Kapitel 2: Nelke ---------------- [[BILD=8423801.png]] Milo war keine Stunde unterwegs gewesen, als sich der Himmel über ihm zuzog. Der Abend war noch fern und dennoch sah es aus, als würde sich die Nacht über die Erde legen. Das leise Grollen in der Ferne bestätigte die unheilvolle Vermutung des Mannes – ein Gewitter zog auf. Spätestens als der erste Regentropfen durch das dichte Blätterdach seinen Kopf traf bereute er es, nicht doch das Angebot der jungen Frau in der Ortschaft angenommen zu haben. Statt aber in Selbstmitleid zu versinken, zog er sich seine Kapuze über den Kopf und begann damit, nach einem Unterschlupf Ausschau zu halten. Entgegen seiner Behauptung hatte er es nicht eilig und konnte es sich leisten, einen halben Tag zu verlieren. Er folgte dem schmalen Trampelpfad, der von der Ortschaft weggeführt hatte, noch lange, bis er tatsächlich den Umriss eines Gebäudes inmitten des Waldes ausmachen konnte. Mittlerweile war selbst seine Kapuze aus rauen Material durchnässt, so dass er sich über diese Sichtung freute. Ohne zu zögern verließ er den Pfad und steuerte die kleine Hütte an. Schnell wurde ihm klar, dass diese Gebäude verlassen war. Die zahlreichen Löcher in dem Strohdach und den Lehmwänden sprachen für sich. Zumindest wäre er so nicht auf die Gastfreundschaft eines Einsiedlers angewiesen. Dennoch verlangsamte sich sein Schritt, je näher er kam, bis etwas im Augenwinkel seine Aufmerksamkeit erregte. Vollkommen untypisch sowohl für einen Wald, als auch für dieses nasse Wetter flatterte dort ein Schmetterling friedlich zwischen den Bäumen herum. Doch nicht nur sein Erscheinen hier war ungewöhnlich, sondern auch sein Aussehen. Seine Farben schienen in dem düsteren Wald geradezu zu scheinen. Sie reichten von einem dunklen Blau über ein warmes Violett bis hin zu einem frischen Türkis. Augenblicklich schloss sich Milos Hand fester um seinen Stab, den er auf dem weichen Waldboden als Stütze missbrauchte. Es war nicht das erste Mal, dass er einen solchen Schmetterling sah, weswegen er sich gar nicht erst wunderte, was ein derart schönes Geschöpf inmitten dieses verregneten Waldes zu suchen hatte, wenn es doch eigentlich auf eine bunte Blumenwiese gehörte. Aufmerksam lauschte er nach vorne, während er stehen blieb. All seine Sinne waren jäh zum zerreißen gespannt. Er war sich sicher, dass von dem Insekt keine Gefahr ausging, doch in der Vergangenheit hatte er die Erfahrung gemacht, dass oft ein Ereignis bevorstand, wenn diese Art von Schmetterling auftauchte. Nicht immer, aber oft genug, so dass er lieber zu vorsichtig war, als blind in sein Verderben zu laufen. Nicht nur einmal hatte er sich gefragt, ob es sich dabei um ein mystisches Wesen handelte. Eine Art Schutzgeist, der immer bei ihm war und sich nur dann zeigte, wenn er ihn auf etwas aufmerksam machen wollte. Nachdem er für einige Sekunden still gestanden aber nichts gehört hatte, setzte er sich langsam, seinen Stab noch immer fest umklammernd, wieder in Bewegung. Er rechnete damit, jeden Augenblick angegriffen zu werden, doch der Wald um ihn und vor allem die Hütte vor ihm blieb still. Der Schmetterling war genauso schnell wieder verschwunden, wie er aufgetaucht war. Lediglich das mulmige Gefühl, dass er in Milo hervorgerufen hatte, zeugte noch von seiner Anwesenheit. Ohne einen weiteren Zwischenfall erreichte er die Hütte, deren Tür herausgebrochen war und auf dem Boden lag. Das Holz war größtenteils von Blättern und Ranken verdeckt, doch das, was davon noch zu sehen war, war bereits halb verrottet. Milo beschlich das Gefühl, dass dieser Unterschlupf nicht allzu trocken sein würde. Gerade als er einen tiefen Atemzug nahm und über die Tür hinweg in das dunkle Innere trat, war ein unmenschlicher Aufschrei zu hören, gefolgt von einem lauten Krachen. Der Mann erschrak sich derartig über den plötzlichen Lärm aus der Hütte, dass er nach hinten stolperte, wobei sich sein Fuß in den Ranken am Boden verfing. Er stürzte und schlug hart mit dem Hinterkopf auf dem Boden auf. Keine Sekunde später kam durch die Tür eine riesige Bestie auf ihn zugestürzt. Milo konnte nichts weiter tun, als verzweifelt seinen Stab zu heben. Doch das gut drei Meter lange Ungetüm sprang über ihn hinweg, schien ihn gar nicht wahrzunehmen, und donnerte hinter ihm in einen Baum. Alles was Milo sah war das rostbraune, drahtige Fell, ehe er sich schnellstmöglich auf seine zitternden Beine kämpfte. Kurz hatte er die Hoffnung, dass er das Biest nur in seinem Schlaf erschreckt und es nun die Flucht ergriffen hatte. Doch als er sich mit vor sich gehobenen Stab umdrehte, schüttelte es gerade seinen Kopf. Dem Baum, der es gestoppt hatte, fehlte ein Teil der Rinde. Nachdem die Bestie ihre Benommenheit überwunden hatte, starrte sie Milo aus ihren kleinen, grünen Augen an. Ihr Atem ging schwer, mit einem grunzenden Unterton. Das Maul stand offen und legten spitze Zähne frei. Auf jeder Seite wuchsen zwei lange, gebogene Eckzähne heraus, die definitiv tödlich waren. Dazu ragte ein weiteres Horn aus dem Nasenrücken des großen, vernarbten Schweinerüssels. Das rostbraune Fell wurde zum Rücken hin länger und schwarz. Eine derart beeindruckende und bedrohliche Bestie war Milo selten unter die Augen gekommen. Er war sich nicht sicher, ob er ihrer schieren Kraft etwas entgegenzuwirken hatte. Trotzdem zögerte er keine Sekunde, als das geifernde Ungetüm auf ihn zustürzte. Er schleuderte seinen Stab und traf es an der Schulter, während er selbst zur Seite sprang. Erst bei seiner Landung bemerkte er den stechenden Schmerz in seinem Knöchel. Im Gegensatz zu dem Wiesel wurde dieses Wildschwein nicht von dem Treffer weggeschleudert. Es taumelte kurz und drehte sich dann mit einer derartigen Wendigkeit um, dass Milo nicht viel mehr tun konnte, als seinen Stab vor sich zu reißen und so den Stoß abzublocken. Dieses Mal war er es, der durch die Gegend geschleudert wurde. Mit einem lauten Aufkeuchen schlug er auf dem Boden auf, so dass nun auch noch sein Rücken schmerzte. Noch bevor er durchatmen konnte, zwang er sich auf die Beine, um nicht von der Bestie überrannt zu werden. Kurz bereute er es, nach der Sichtung des Schmetterlings nicht einfach weitergegangen zu sein, doch für solche Gedanken hatte er nun wirklich keine Zeit. Ohne ihm eine Pause zu gönnen, stürmte der Keiler wieder auf ihn zu. Unter seinen Füßen bebte die Erde und Milo wusste nicht, wie er gegen diese Macht vorgehen sollte. Er wich ihm mit einem Sprung aus, schlug wieder zu und nutzte das Taumeln seines Gegners, um etwas Abstand zwischen sie zu bringen. Dieses Spiel wiederholte sich einige Male, bis der Mann außer Puste war. Sein Fuß schmerzte bei jedem Schritt und ließ ihn immer langsamer werden. Schließlich gelang ihm das Ausweichen nicht mehr. Erneut wurde er durch die Luft geschleudert. Bei dem Aufschlag ließ er seinen Stab los, der in hohem Bogen davon flog. Milos Körper schmerzte so stark, dass er es nicht wieder auf die Füße schaffte. Er kroch von der Bestie weg, bis er mit seinem Rücken gegen einen Baumstamm stieß. Der Keiler kam beinahe gemächlich auf ihn zu, als wüsste er, dass er dieses Spiel gewonnen hatte. Konnte das wirklich das Ende sein? Reiß dich zusammen, Milo! Die Schelte zeigte keine Wirkung, seine Beine verweigerten ihm den Dienst. Die Bestie baute sich vor ihm auf, ihre grünen Augen bohrten sich überlegen in ihn, als sie ihren riesigen Kopf senkte, um zu fressen. In einer Verzweiflungstat riss Milo seine Hände hoch, um sie wegzustoßen. Er traf den schmierigen Rüssel. Entgegen seiner Erwartungen schrie der Keiler auf einmal auf und ging dann in die Knie. Irritiert starrte er ihn an, als er von einem auf den nächsten Augenblick wie leblos vor ihm lag. Ein schwaches Heben und Senken seines Brustkorbes war zu sehen, bis auch der Atem stoppte. Milos entsetzter Blick richtete sich auf seine Hände, die er ungläubig anstarrte. War das wirklich er gewesen? Wie? Erst das leise Geräusch von Schritten in dem nassen Laub ließ ihn wieder aufschauen. Hinter dem toten Körper der Bestie stand eine Person, die in in weinrotes Gewandt gehüllt war, was augenblicklich die Alarmglocken bei Milo schrillen ließ. Menschen die sich derartige Kleidung leisten konnten waren meist Nobelleute. Und solche hatten nichts alleine in einem Wald bei einem solchen Wetter zu suchen. Jedoch stach Milo noch etwas anderes ins Auge. Im Rücken des Keilers steckte ein Stab. Bei genauerem hinsehen erkannte er seinen Hirtenstab. Er brauchte kein Genie zu sein, um eins und eins zusammenzuzählen. Dieser Fremde musste seinen Stab, den er zuvor hatte fallen lassen, aufgehoben und die abgelenkte Bestie so mit einem gezielten Stoß erledigt haben. Stark genug war seine Waffe dafür, das wusste er. Jetzt blieb nur noch die Frage, wer dieser Fremde war und warum er ihm geholfen hatte. War er Feind oder Freund? Milo hatte auf jeden Fall nicht vor, so schutzlos am Boden zu liegen, wenn er es herausfand. Mit seiner neu gewonnen Hoffnung, gelang es ihm sich wieder auf seine zitternden Beine zu kämpfen. Er stolperte einen Schritt nach vorne, um seinen Stab zu ergreifen, wobei er den Fremden nicht aus den Augen ließ. Dieser stand einfach nur da, schien ihn von unter seiner Kapuze aus zu beobachten. Sein Gesicht war im Schatten dieser in dem düsteren Wald nicht zu erkennen. Nur zu deutlich spürte Milo, dass mit diesem Kerl irgendetwas nicht stimmte. Als es ihm nicht gelang, seinen Stab so einfach aus dem Leichnam zu ziehen, dachte er kurz darüber nach, ohne diesen das Weite zu suchen. Bevor er sich aber länger mit diesem lächerlichen Gedanken beschäftigen konnte, erwachte der Fremde auf einmal aus seiner Starre und kam auf ihn zu. Er ergriff den Stab oberhalb von Milos Hand und zog ihn mit einer schnellen Bewegung heraus. Milo geriet kurz ins Taumeln, doch er hatte seine Waffe wieder. Eben diese richtete er nun auf die Person, die ihm gegenüber auf der anderen Seite des Keilers stand und gerade noch geholfen hatte. „Wer bist du?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)