Gegensatz und Vorurteil von Ana1993 (- Ehemals Schubladenmagnet -) ================================================================================ Kapitel 13: ------------ Vorsicht, heute morgen gab es schon Kapitel 12! Eventuell also nochmal dahin zurück, wenn noch nicht gelesen. So, zur Abwechslung mal wieder ein durchweg positives Kapitel, nach der leichten Depristimmung vom letzten Mal ;)   PS: Sollten euch Fehler/Unstimmigkeiten in der Personen- oder Ortsbeschreibung auffallen, bitte sagen! Ich bemühe mich zwar, alle Eigenschaften in die Steckbriefe einzutragen, aber wenn ich das vergesse, ist es manchmal wirklich schwer, noch die passenden Infos in über 40k Wörtern und fast 2 Jahren ständig unterbrochener Schreibarbeit zu finden :/ und jemand, der die Geschichte am Stück liest, behält doch gerne mal eher im Hinterkopf, wer jetzt welche Haar- oder Augenfarbe hat     ~ 13 ~   Pauls POV   Ich sehe dem Schwarzhaarigen noch lange nach. Längst sind die Rücklichter seines Autos hinter der Abzweigung verschwunden, doch ich kann mich nicht von der Haustür lösen. Meine Schwankungen zwischen Mut und Unsicherheit nerven mich ja schon selber. Hätte uns der Timer beim Kochen nicht unterbrochen, weiß ich nicht, wie weit ich mich hätte mitreißen lassen. Und später in meinem Zimmer mache ich völlig grundlos einen Rückzieher, nur weil er meine nackte Haut berührt hat. Ich erschaudere angenehm bei der Erinnerung an das Gefühl seiner rauen Fingerkuppen auf mir. Einerseits hätte ich es wirklich gerne noch länger ausgekostet, andererseits geht mir mein eigenes Tempo schon zu schnell. Oder bin ich eigentlich zu langsam? Ich weiß es doch nicht! Joshua ist eindeutig erfahrener als ich und trotz seiner Worte und Taten werde ich das Gefühl nicht los, ihn unnötig früh unterbrochen zu haben. Er hätte mehr gewollt. Nicht nur er, auch mein eigener Körper. Es war mein Kopf, der blockiert hat. Mit einem leisen Knurren reiße ich mich aus der Abwärtsspirale meiner Gedanken und mache nicht nur mental symbolisch die Tür zu. „Ich bestimme das Tempo”, wiederhole ich laut Joshuas Worte in den stillen Flur hinein. Das dumpfe Echo gibt mir recht. Der Abend war schön, der ganze Tag war toll. Das lasse ich mir nicht von mir selbst vermiesen, Basta.   Später im Bett fühle ich den Erinnerungen nach, welche die großen Hände auf mir hinterlassen haben. Die Hände eines anderen Mannes. Gänsehaut bildet sich dort, wo meine eigenen Fingerkuppen den unsichtbaren Spuren folgen, Pfade zeichnen, die weitergehen. Ich schließe die Augen und stelle mir vor, was gewesen sein könnte, nein, was werden wird. Irgendwann. Finger, die sanft aber bestimmt den störenden Stoff beiseite schieben, das Blut zum Pulsieren bringen und mich an Stellen berühren, wo mich noch nie jemand zuvor angefasst hat. Braune Augen, in deren sanften Tiefen ich ertrinke, bis mich die Welle hinfortreißt, schnell und heftig. Schwer atmend öffne ich meine Augen und starre an die Decke. Shit, wenn mich meine eigene Fantasie schon sowas mit mir anstellt... Ich beende den Gedanken nicht, greife nur träge das der Packung Taschentücher auf dem Nachttisch. Vielleicht sollte ich jetzt doch noch duschen gehen.   ~*~   Am Montag kann ich Josh kaum in die Augen sehen, so sehr schäme ich mich für das, was ich am Wochenende in seiner Abwesenheit getan habe. Aber ich will ihm auch nicht das Gefühl geben, er habe etwas Falsches gemacht. Ein Dilemma. In der Pause, als wir noch alleine sind, frage ich ihn das Erstbeste, was mir einfällt. „War dein Angebot ernst gemeint, dass ich mal mit zu dir kommen kann?” Verwundert blick Josh von seinem Handy auf, lächelt dann jedoch. „Klar. Wann hast du denn Zeit und Lust?” Ich zucke mit den Schultern, von mir selbst überfordert. „Am Freitag?” Er überlegt kurz, nickt dann aber. „Klar, warum nicht. Da ist wohl die ganze Truppe anwesend.” Leicht zweifelnd zieht er die Augenbrauen zusammen. „Ist das schlimm?”, frage ich verunsichert nach. Will mich ja nicht aufdrängen. Da lacht er kurz. „Nicht wirklich. Könnte nur noch chaotischer werden, als ohnehin schon.” „Dann besser nicht?” „Doch doch”, winkt er ab. „Du musst nur sagen, wenn es dir zuviel wird.” „Okay...” Nun ist es an mir, zweifelnd zu gucken. „Keine Angst, die beißen nicht. Also nicht mehr, seit wir keine Kinder mehr sind.” Er zwinkert und berührt mich kurz am Arm. „Die sind nur schrecklich neugierig auf dich.” „Du hast ihnen von mir erzählt?” Meine Stimme klingt hoffentlich nur in meinen Ohren leicht schrill. „Sicher.” Der große Kerl neben mir zuckt unbeeindruckt mit den Schultern. „Du bist toll, da will ich doch mit dir angeben.” Aus seinem Grinsen wird schnell ein Lachen und ich spüre, wie neben meiner Stimmlage auch die Wärme in meinem Kopf rapide ansteigt. Das kann er doch nicht einfach so sagen! „Was ist so lustig?” Neugierig blickt Matz zwischen uns hin und her. „Ach, ich hab mich nur über die Antwort lustig gemacht, die Paul eben der alten Schrapnelle gegeben hat.” Über den Köpfen der anderen zwinkert er mir zu. Wenigstens sind wir uns einig, das, was auch immer zwischen uns ist, noch nicht mit den anderen zu teilen. Dafür bin ich einfach noch nicht bereit. Erleichtert atme ich auf und lasse mich auf die Sticheleien der anderen ein.   ~*~   Der Freitag lässt wieder auf sich warten, die letzte Unterrichtsstunde zieht sich ewig und darüber hinaus, weil unser Lehrer uns auch noch nach dem Klingeln dabehält, um Organisatorisches für die nächsten Wochen zu besprechen. Als er uns endlich freigibt, bin ich mit der Erste, der aus dem Klassenraum stürmt. Hektisch durchquere ich das Schulgebäude, doch den großen Schwarzhaarigen kann ich nirgendwo finden. Hoffentlich denkt er nicht, ich hätte ihn versetzt. Der Schulhof rauscht an mir vorbei und endlich entdecke ich Joshua, wie er neben dem Eingangstor lehnt und Ausschau nach mir hält. Kaum komme ich bei ihm an, schleicht sich ein Lächeln auf unsere Gesichter. „Hi”, begrüße ich ihn leicht atemlos. „Hey. Hat euch der alte Grawinski länger dabehalten?” Dankbar, dass er nicht böse zu sein scheint, nicke ich. „Na dann komm. Lass uns zu Fuß gehen, ist nicht weit. Der nächste Bus kommt eh erst in zehn Minuten und wird garantiert voll sein.” Josh streckt eine Hand nach mir aus, vielleicht in der Absicht, den Arm um mich zu legen, lässt ihn im letzten Moment aber wieder sinken. Dass die feige Geste auf meinem Mist gewachsen ist, treibt mir einen Stich durchs Herz, doch ich schaffe es nicht, ihn zu bitten, die anderen Schüler zu ignorieren. Was ich aber schaffe ist, mich zumindest im Gehen sehr nah an seine Seite zu begeben, näher als unter Freunden eigentlich üblich. „Sorry”, sage ich leise. „Kein Ding”, wiegelt Joshua ab, mit einem Lächeln in der Stimme. „Geht die Idioten hier eh nichts an.” Und damit scheint das Thema für ihn erledigt zu sein. Wir gehen eine Weile schweigend nebeneinander her und hängen einvernehmlich unseren Gedanken nach. Plötzlich werde ich am Arm gepackt und hinter eine Hausecke gezogen. Ehe ich reagieren kann, spüre ich die Wand in meinem Rücken und warme Lippen auf den meinen. Mein Herzschlag setzt rasend schnell wieder ein. Meine Arme schlinge ich um den Nacken des Größeren und verhindere, dass er direkt wieder zurückweicht. Kurz darauf stehen wir nach Luft ringend voreinander, atemlos grinsend. Mein Hirn ist noch leicht duselig und ich will mich gar nicht damit beschäftigen, warum wir wo sind und was wir eigentlich vorhatten. Ich weiß nur, was mir die ganze letzte Woche gefehlt hat. „Sorry”, sagt Josh, klingt aber alles andere als entschuldigend. „Das musste sein, ich wäre sonst noch verrückt geworden.” „Mh-hm...”, stimme ich brummend zu, während ich seine leicht glänzenden Lippen fixiere. Ich will nochmal. Josh lacht leise auf. Habe ich das laut gesagt? Egal. Hauptsache, er kommt meinem Wunsch nach.   Bevor wir uns Joshuas Haus nähern, bringen wir gegenseitig unsere derangierten Frisuren wieder in Ordnung. Mit mir und der Welt im Reinen, gehe ich neben ihm her, werde aber schlagartig nervös, als sein Haus in Sicht kommt. Welches das ist, muss er gar nicht sagen. Inmitten der spießigen Einfamilienhäuser sticht eins ganz besonders hervor. Statt perfektem englischen Rasen beherrscht eine bunte Wildblumenwiese den Vorgarten. Vor der Garage stehen die unterschiedlichsten Fahrräder und blockieren diese, sodass der Familienvan mit den ganzen Aufklebern am Heck in der Einfahrt parken muss. Die einstmals weiße Fassade ist auf Höhe des Erdgeschosses von bunten Bildern übermalt, die von einfachen Graffiti bis hin zu wahren Kunstwerken alles beinhalten, wobei einzelne Motive schwer auszumachen sind. Die bunte Eingangstür öffnet sich, noch bevor wir sie erreicht haben. Heraus stürmt ein Mädchen, etwas jünger als wir. In einem Wirbel aus blond, schwarz und rosa hält sie auf uns zu und wirft sich quietschend Josh an den Hals, ehe sie sich von ihrem überrumpelten Bruder direkt an mich wendet. Ich habe das Gefühl, das war reine Taktik. „Du musst Paul sein!” Sie grinst, wartet meine Antwort gar nicht ab, sondern zieht auch mich in eine stürmische Umarmung. „Ich bin Holly! Schön dass du da bist.” „Holly, lass ihn leben!” Leicht besorgt löst Joshua seine kleine Schwester von mir. „Alles gut”, versichere ich, noch leicht perplex von dem Überfall. Die beiden Geschwister liefern sich derweil ein nonverbales Blickduell, dann dreht sich die Jüngere schmollend um und flitzt zurück ins Haus. Ihr Bruder seufzt und rollt die Augen gen Himmel. „Auf in den Kampf”, ermutigt er uns beide schief grinsend. Eine Hand auf meinem unteren Rücken, schiebt er mich ins Haus, über die Fußmatte mit einem Spruch hinweg, den ich kaum lesen kann. „Immer rein in die gute Stube.” Ich weiß sofort, was Joshua letztes Wochenende meinte, als er unsere Häuser miteinander verglich. Die ursprüngliche Farbe der Wände lässt sich kaum mehr erahnen, so zugekleistert sind sie. Das Garderobenbrett quillt über vor – hauptsächlich schwarzen - Jacken, die Seite gegenüber wird von einem großen Spiegel mit schwarzem, gotisch anmutendem Rahmen eingenommen, daneben eine ausgeblichene Regenbogenflagge mit Peace-Zeichen, die aussieht, als wäre sie schon einige Male an der frischen Luft und unter Leuten gewesen. Zumindest erklärt das zum Teil, warum Joshua keinen Hehl aus seiner sexuellen Orientierung zu machen scheint. Nach dem unmittelbaren Eingangsbereich finden sich Fotos über Fotos an den Wänden wieder, nur leider habe ich jetzt gerade keine Zeit, sie zu betrachten. „Stell die Schuhe einfach irgendwohin, wo Platz ist”, weist mich Josh an und nimmt mir zeitgleich die Jacke ab, um sie auf den Haufen über den Haken zu werfen. Danach geht er in Richtung einer Tür zur Linken, aus der bereits geschäftiges Gewusel und Stimmengewirr erklingt. Die Küche, wie ich direkt merke. Ein großer Raum, an dessen linker Seite sich eine riesige Einbauküche in weiß und hellbraun erstreckt. Der Herd ist gigantisch, ganze acht Platten! Sowieso ist alles hier in vielfacher Ausführung vorhanden. Mittig rechts steht ein riesiger, länglicher Tisch aus dunklem Holz mit abgerundeten Ecken und kunterbunt gemischten Platzdeckchen. Was mich noch mehr erschreckt, als die reine Anzahl der Stühle ist, wie viele davon tatsächlich besetzt sind. Als Josh und ich bemerkt werden, verstummen die zuvor sehr angeregten Gespräche und ich werde neugierig beäugt. Mir wird unwohl und ich widerstehe nur schwer dem Drang, mich hinter meinem Freund zu verstecken. „Ah, du musst Paul sein!” Eine große, schlanke Frau unbestimmten Mittleren Alters kommt auf mich zu. Lange, seidig schwarz Haare fallen ihr bis auf den Rücken, der Körper steckt in einem knielangen, dunkelroten Wollkleid. Sie lächelt mich aufrichtig erfreut an, während sie die Hand nach mir ausstreckt. Höflich, wie ich bin, ergreife ich sie. „Ich bin Erika. Joshis Mutter.” Joshua neben mir räuspert sich leicht genervt und ich werfe ihm einen kurzen Blick zu. „Das ist mein Mann Holger-” Ein ebenso großer, stämmiger Kerl mit ergrautem Vollbart nickt mir zu. Unter den buschigen Augenbrauen blicken mir die gleichen braunen entgegen, die auch der junge Mann neben mir hat. Er trägt eine schwarz-rote Handwerkerlatzhose und ein ausgeblichenes Bandshirt. „-meine jüngste Tochter Holly, aber die kennst du ja schon-” Das Mädchen mit den bunten Haaren winkt mir übertrieben grinsend mit beiden Händen zu. „-meine Älteste Alexis und ihr Verlobter Martin-” Eine jüngere Kopie von Erika, nur mit blauen Strähnen im schwarzen Haar und ein junger, eher unauffälliger Mann, mit kurzen dunklen Haaren, nicken uns lächelnd zu. „-und hinter euch versucht sich gerade unser Jüngster vorbeizuschleichen.” Ihre Stimme schwenkt von freudig zu leicht vorwurfsvoll. Ein genervtes Raunen in meinem Rücken bestätigt die Anwesenheit einer weiteren Person. Ich blicke über meine Schulter und stutze. Joshua hatte mich ja schon vorgewarnt, dass sein kleiner Bruder anders sei. Doch der hellblonde Teenager, mit dem viel zu großen Shirt, der groben Stahlkette um den Hals, der halb in den Knien hängenden Baggypants und dem schief sitzenden Cap mit breiten, flachen Schirm auf dem Kopf ist doch schon sehr... anders. Witzigerweise fällt mir mit als erstes auf, dass er kein einziges schwarzes Kleidungsstück trägt, alles ist hell. Ein krasser Kontrast zu dem Rest der Familie. Selbst seine Augen sind heller. Er mustert mich ebenso, dann zuckt sein Blick zu Josh und er grinst schief. „Nate!” Auf die Ermahnung seiner Mutter hin hebt er kurz die Hand, mit der er nicht das Longboard hält und brummt ein „Hi.”. Dann dreht er wortlos um und verschwindet. „Mach dir nichts draus, Nate ist doof”, meint Holly, die Jüngste, unbekümnmert. „Holly...” Erika seufzt resigniert. Mir scheint, das alles ist im Grunde nichts Neues, wenn man mal von meiner Anwesenheit absieht. Lächelnd wendet sie sich wieder an mich. „Willst du gleich mitessen?” „Ähm... gerne aber...” Ich weiß nicht so recht, wie ich es ansprechen soll und es ist mir fürchterlich unangenehm. „Mum, Paul ist Vegetarier”, mischt sich Joshua ein. „Ach, kein Problem, sag das doch gleich. Nur vegetarisch oder ganz vegan?” Verwundert blicke ich Erika an, so unkompliziert ist es wirklich selten. „Äh, vegetarisch reicht. Ich will keine Umstände machen.” Resolut winkt sie ab. „Machst du nicht. Setzt euch doch einfach.” Leicht widerwillig folge ich meinem Freund zum Tisch und setze mich. Holger liest in einer Motorradzeitschrift, Holly hat eindeutig Schulaufgaben um sich herum verteilt und Alexis und ihr Verlobter brüten über Notenheften. „Du bist also der Kleine, der unserem Joshi den Kopf verdreht hat?” „Alexis!”, zischt Joshua neben mir, doch seine Schwester ignoriert ihn. „Wir hatten ja anfangs gedacht, dich würde es gar nicht geben, bis Holly ein bisschen in der Schule spioniert hat.” „Hab ich gar nicht”, empört die sich. „Das war viel zu offensichtlich, da brauchte ich nicht spionieren.” „Ähh...”, mache ich eloquent. „Lasst den Blödsinn, ihr verschreckt den armen Kerl noch”, brummt der Vater, ohne aufzusehen. „Dann sollen die Mädels keinen Stuss reden”, empört sich jetzt auch noch Josh. Es entspinnt sich eine mehr oder weniger hitzige Diskussion, der ich bereits nach zwei Sätzen nicht mehr folgen kann und deren Sinn und Inhalt mir verborgen bleibt. Ein Tippen auf meine Schulter lässt mich zusammenzucken. Erneut steht der jüngste Spross der Familie hinter mir. Ist das so eine freakige Angewohnheit von dem!? „Ey, du hast doch Ahnung von Computern, oder?” „Öh, ja schon, irgendwie. Warum?”, frage ich misstrauisch. „Meiner zickt rum und ich hab kein' Plan wieso. Kannste mal draufschaun?” Er deutet mit dem Daumen über seine Schulter Richtung Flur. Ich schau unsicher zu Joshua, doch der zankt sich mit seinen Schwestern. Ich bin hin und hergerissen, doch letztendlich siegt der Wunsch, mal zwei Minuten durchatmen zu können um diesen Überfall zu verarbeiten. „Okay”, stimme ich daher zu. Nathan zieht seinen linken Mundwinkel hoch, was mich unheimlich an seinen Bruder erinnert und dreht sich wortlos um. Ich folge nach kurzem Zögern. Er führt mich in sein Zimmer. Der Raum ist klein, aber hell. Dunkle Farben scheinen nicht sein Fall zu sein, sofern sie nicht gerade auf Postern zu finden sind. Und davon hat er so einige. Die Namen sagen mir zumeist nichts, aber die ganze Attitüde der abgebildeten Künstler schreit HipHop und Rap. In einer Ecke hat er sogar ein spezielles Regal mit halbrunden Ständern für Basecaps. Die von eben liegt dort, die prominenteste Stelle in der Mitte ist jedoch frei. Während der Teenager an seinem Schreibtisch fuhrwerkt, sehe ich mich weiter um. Das Bett ist schmal, dafür hat er eine Couch und einen kleinen Fernseher. Die Wände sind ebenso bedeckt mit Fotos, wie der Flur, nur dass hier nur wenige Familienfotos in Rahmen und dafür umso mehr blanke Bilder von ihm und seinen Freunden hängen. Am See, in der Stadt, auf einer Skaterampe. Nathan scheint das genaue Gegenteil von mir zu sein, unheimlich gesellig und gerne draußen auf Achse. Neugierig trete ich an ein kleines Tischchen heran, auf dem ein Stapel Bilder liegt, die halb aus einer Tasche vom Fotolabor herausragen. Wieder der blonde Junge, wieder sein Freundeskreis, den man nur als Divers beschreiben kann. Und ein etwa gleichaltriges Mädchen, um das Nate einen Arm gelegt hat, mit schokoladenbrauner Haut, einem schelmischen Grinsen, dass ihre weißen Zähne nur so blitzen lässt und einem giftgrünen Cap. Mein Blick huscht wie von selbst zu der auffällig leeren Stelle im Regal zurück. Ich bin wirklich neugierig, welche Geschichte sich hier verbirgt, doch zu schüchtern, um zu fragen. Mit einem Mal taucht ein abgegriffener Xbox-Controller in meinem Sichtfeld auf. „Hier, du kannst doch garantiert ein bisschen Rennspiele zocken, oder?” Irritiert schaue ich zu Nate und dann zu seinem Computer. „Aber ich dachte-” Er winkt ab und drückt den Controller gegen meine Brust. „Ausrede. Irgendwie musste ich dich doch da rausholen. Ich weiß, wie anstrengend meine Familie sein kann und du sahst aus, als ob du mal ein paar Minuten da weg müsstest.” Er zwinkert und geht dann zum Sofa. Auf dem Fernseher flimmert das Logo eines älteren Forza Titels [AdR: Autorennspiel]. „Aber Josh wird-”, setze ich erneut vergeblich an. „Keine Sorge. Dein Ritter in strahlend schwarzer Rüstung wird dich in spätestens zehn Minuten retten kommen. Also trödel nich' rum und komm her, sonst war die ganze Mühe umsonst.” Seufzend setze ich mich auf das Polster, auf das er fordernd klopft. Ohne viel Tamtam startet er das Spiel im lokalen Multiplayer mit Splitscreen. „Danke”, sage ich leise, als sich unsere virtuellen Wagen bereits auf der Straße befinden und Motorengeheul aus den Lautsprechern dringt. „Hmpf.” Mehr sagt der Jüngere nicht mehr. Erst, als Joshua kurze Zeit später die Tür aufreißt, lässt er ein paar Sprüche vom Stapel, die ein bisschen zu provozierend klingen, um beruhigend und erklärend zu sein. Statt zurück in die Küche, schleppt Josh mich mit in sein Zimmer. „Entschuldige.” Seufzend fährt er sich über die Haare und schaut mich schuldbewusst an, wie ein Welpe, der gerade wider besseren Wissens die Hausschuhe zerkaut hat. „Schon okay. Es war... ein bisschen viel, glaube ich”, sage ich dann ehrlich, aber mit einem beruhigenden Lächeln. Das lässt ihn nur noch zerknirschter dreinblicken und so umarme ich ihn kurzerhand. „Ich hätte einen Tag suchen müssen, an dem hier nicht so viel los ist”, brummt er resigniert. „Gibt es den denn?”, frage ich, aus einer Vermutung heraus. Sein Brustkorb vibriert unter seinem Lachen und bestätigt mich. „Eher selten. Meistens ist sogar noch mehr los.” „Noch mehr!?” Entsetzt halte ich eine Armlänge Abstand und blicke ihn mindestens so entgeistert an, wie ich klinge. „Naja... ich glaube, wir sind... recht gesellig”, druckst Josh herum. Nun lache ich, wenn auch leicht hysterisch, in den Stoff seines Oberteils. Das alles ist so fern von meiner Lebensrealität, das ist einfach nur absurd. „Alles okay?”, fragt der Ältere besorgt und streicht mir über den Rücken. „Mh-hm...”, brumme ich bestätigend, die Berührung genießend.     ~*~   Machen wir hier einen kleinen Cut, dann gibt es die zweite Hälfte des Besuchs im nächsten Kapitel. Bin mir noch nicht sicher, aus welcher Sicht, das muss ich noch schauen.   Ich hoffe die Szene mit Nate war nicht zu ausufernd und einnehmend? Es ist eine kleine Idee, gewissermaßen ein „Vor-Shadowing” (wie schreibt man das? Ich kenne das bislang nur aus Podcasts) auf eine kurze Geschichte, die ich nebenbei schreibe, aber erst veröffentliche, wenn sie wirklich 110% fertig ist. Außerdem mag ich Nate irgenwie einfach ;)         Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)