Gegensatz und Vorurteil von Ana1993 (- Ehemals Schubladenmagnet -) ================================================================================ Kapitel 9: ----------- *reinschleich* Psssst! Ich freue mich immer sehr über jede Art der Rückmeldung! Auch durchaus gerne mal kritische Meinungen ;)   Ich probiere hier mal etwas anderes aus: Kürzere Kapitel, die dafür aber (hoffentlich) in kürzeren Abständen erscheinen und nach Möglichkeit immer nur aus der Perspektive einer Person geschrieben wurden.   ~ 9 ~   Pauls POV   Als ich erwache, besteht meine Welt im ersten Augenblick nur aus Schmerzen, Übelkeit und dem Gefühl, schwerelos und tonnenschwer zugleich zu sein. Meine Augenlider lassen sich erst mit sehr viel Mühe heben, mein Arm steht vor der unlösbaren Aufgabe, die Decke von mir zu schieben. Der Rest meines Bewusstseins schwirrt in einem wirren Strudel umher. Wo bin ich? Bett. Meins, glaube ich. Kommt mir vertraut vor. Viel sehen kann ich, trotz inzwischen geöffnetem linken Auge, nicht. Die Rollos sind also unten, immerhin. Mein Schädel pocht und weigert sich, noch mehr Informationen preiszugeben. Auch gut. Mühsam öffne ich auch das rechte Auge. „Oh shit...”, murmel ich vor mich hin. Die Welt dreht sich mit einem Mal noch ein bisschen rasanter, meine Gliedmaßen beginnen unheilverkündend zu kribbeln. Um einiges wacher hieve ich mich hoch und husche ins Badezimmer, nur damit sich mein Magen beim rettenden Anblick der Kloschüssel doch wieder beruhigt. Ich warte noch einige Minuten, aber bis auf den latenten Schwindel und die skalierenden Kopfschmerzen passiert nichts weiter. Seufzend krame ich nach einer Packung Schmerzmittel, schlucke die Tablette trocken, spüle mit Wasser nach und putze mir dann den pelzigen Geschmack von der Zunge, wenn ich eh schon einmal am Waschbecken stehe. Zurück im Flur zögere ich, horche in mich hinein. Trinken? Essen? Uärghs. Ne, bestimmt mein Magen. Kein Essen. Fein, dann gehe ich halt wieder ins Bett. Vorher öffne ich aber noch die Fenster, der Geruch hier drin ist nicht wirklich förderlich. Die Erinnerungen an den vergangenen Abend klopfen in meinem Hinterkopf an, doch ich dränge sie zurück. Dafür hab ich auch noch Zeit, wenn mein Kopf sich nicht mehr anfühlt, als würde er explodieren wollen. Später. Ja, später...   Wie viel Zeit wirklich vergangen ist, kann ich nicht sagen, schließlich war die Uhrzeit bei meinem letzten Erwachen keine meiner Prioritäten gewesen. Vorsichtig strecke ich mich. Meine Muskeln sind immer noch merkwürdig schlapp, aber ansonsten geht es mir besser. Auf dem Weg zur Dusche begegne ich meinem Vater. Nachsichtig lächelnd betrachtet er meine verkaterte Erscheinung. „Chinesisch?”, fragt er und hält schon Telefon und Speisekarte in der Hand. Ich nicke und brummel was von „Das Übliche”. Dann stutze ich und drehe mich mit gefurchter Stirn nochmal zu ihm um. „Wie spät ist es denn?” Wenn er jetzt schon Essen bestellen will...? „Halb vier durch.” „Oh.” 'Schon Essen bestellen' passt da wohl nicht mehr. „Lange Nacht, hm?” Erneut nicke ich und verschwinde im Bad, während mein Vater bereits die Nummer des Lieferdienstes wählt. Ich schäle mich aus den Klamotten und lasse mir vom warmen Wasser den Dreck und Geruch der letzten Nacht abwaschen. Und dann ist es, als würde es zeitgleich den Schleier vor meinen Erinnerungen hinfortspülen, der bislang gnädig auf mir gelegen hat. „Oh nein!” Beschämt schlage ich die Hände vors Gesicht, während die Bilder auf mich einprasseln. Was habe ich mir nur dabei gedacht? Ich habe Joshua geküsst! Ich habe ihn geküsst, einfach so und er... hat es erwidert, oder? Durch einen Spalt meiner Finger starre ich in den Abfluss, den kleinen Strudel Wasser, der im Gitter verschwindet. In meiner Brust rumpelt es aufgeregt. Unbewusst lecke ich mir über die Lippen, doch außer einem Rest Zahnpasta kann ich dort natürlich nichts mehr schmecken. Ist das wirklich passiert oder bilde ich mir das bloß ein? Haben wir uns wirklich... vor dem Haus? Das Wasser verschluckt mein gequältes Stöhnen. Ich versuche mich erneut an der bewährten Verdrängungstaktik, die bereits früher am Tag funktioniert hat, doch natürlich lässt sich die Büchse der Pandora nicht mehr schließen, sobald sie einmal geöffnet wurde. Ich soll ihn anrufen – oder anschreiben – sobald ich ausgenüchtert bin, hat er gesagt. Das ist doch gut, nicht wahr? Irgendwie habe ich das Gefühl, mir fehlen noch ein paar wichtige Puzzleteile, aber mein Verstand weigert sich beharrlich, seine Arbeit wieder richtig aufzunehmen. Je mehr ich nachdenke, umso schlimmer wird es. Seufzend gebe ich auf und konzentriere mich auf das gleichmäßige Prasseln des Wassers auf meinen Schultern. Später. Dieses eine Wort wird wohl mein neues Lebensmotto. Den Rest der Duschroutine erledige ich auf Autopilot und stehe anschließend mit noch feuchten Haaren in der Küche. Es klingelt an der Tür, kaum dass ich mir ein Glas Wasser eingeschenkt habe. Mein Vater kommt mit dem gelieferten Essen zurück. Gemeinsam decken wir den Tisch und verteilen die unterschiedlichen Schüsseln und Boxen. „Und, wie war der Abend?”, fragt mein Vater nach dem ersten Löffel Peking-Gulasch-Suppe. Prompt werde ich rot. „Ähm... gut.” Ich verstecke mein Gesicht über meinem Teller mit Frühlingsrollen. „Der Pub war wirklich toll.” „Also so, wie du es dir vorgestellt hast?” Ich nicke. „Wart ihr denn lange dort? Ich habe dich gar nicht nach Hause kommen gehört.” Schulterzucken meinerseits. „Ich weiß gar nicht, wann wir los sind. War aber ziemlich spät.” Kein Wunder, dass ich so lange geschlafen habe. Aber es beruhigt mich, dass Papa einen seiner guten Tage zu haben scheint. „Freut mich auf jeden Fall, dass du mit deinen Freunden einen schönen Abend hattest.” Wir schweigen eine Weile und genießen unser Essen. Ich habe mir gerade meine gebratenen Nudeln mit Gemüse und eingelegtem Tofu aufgetan, da wirft mich seine nächste Frage schon wieder fast aus der Bahn. „Was gab es denn Schönes an Geschenken?” Ich stocke, versuche dann möglichst unbeteiligt zu wirken, auch wenn ich mich räuspern muss, um überhaupt antworten zu können. „Ach, so das Übliche.” Ich kämpfe gegen die aufsteigende Röte in meinen Wangen an. „Ein Shirt, Bücher, ein Gutschein für den Comicladen... oh, und noch ein Gutschein für den Feinkostladen drüben, zu dem ich unbedingt mal wollte.” Ich muss unwillkürlich lächeln, als ich daran denke, wer ihn mir geschenkt hat. Die blöden Gummis hingegen erwähne ich nicht. Es gibt einfach Dinge, die muss mein Vater nicht wissen. „Ach wie schön. Fahrt ihr dann zusammen rüber? Oder soll ich dich demnächst mal mitnehmen?” „Ähm... keine Ahnung. Ich hab gar nicht gefragt...” Mit nachdenklich gerunzelter Stirn schiebe ich einen Pilz mit meinen Stäbchen hin und her. Ich glaube, Josh hätte sogar theoretisch einen Führerschein und zumindest ein Familienauto. Aber ich kann ihn doch nicht wirklich fragen? Oder doch? Warum eigentlich nicht? Aber was, wenn er das doof findet und gar nichts weiter mit dem Geschenk zu tun haben will? So nach dem Motto, aus den Augen, aus dem Sinn? Und kann es sein, dass ich mir mal wieder viel zu viele Gedanken mache? Ich seufze lautlos und trete auf die Bremse meines Gedankenkarussells. Mein Gegenüber scheint von meinem inneren Konflikt nichts zu bemerken. „Dann mach das doch mal. Ihr könnt dann doch auch direkt zusammen kochen, das machst du doch so gerne.” Er zögert. „Ich... muss nächstes Wochenende wahrscheinlich nach Frankfurt, zu einer Messe. Es wäre doch schön, wenn du dann nicht ganz so alleine wärst.” Erschrocken blicke ich auf, direkt in seine schuldbewussten Augen. Warum tut er eigentlich immer so, als ob ich hier das Sorgenkind wäre? Aber ich kann ihm auch nicht böse sein. Er meint es ja nur gut. „Ich komm schon klar, Papa.” Ich zwinge mich zu einem beruhigenden Lächeln. „Bin doch jetzt erwachsen.” Er schnaubt leise, erwidert mein Lächeln. „Das warst du auch vorher schon. Die blöde Zahl im Papier ist doch nur für die Bürokratie.” „Stimmt.” Mir blieb auch nichts anderes übrig. Doch das würde ich ihm nie vorwerfen. Es ist für uns beide nicht leicht, aber wir schaffen das schon. Ich wende mich wieder meinem Essen zu. Ob Joshua sich wohl von mir bekochen lassen würde?   ~*~   Es ist bereits fortgeschrittener Abend, die Wintersonne hat sich schon vor Stunden auf die andere Seite der Erdkugel verdrückt. Ich starre auf den Fernseher, ohne wirklich etwas zu sehen und drehe immerfort das Smartphone in meinen Händen. Dass ich Joshua schreiben will, habe ich ja immerhin schon mit mir selbst ausdiskutiert. Nur über den Inhalt bin ich mir noch uneins. Was schreibt man jemandem, mit dem man betrunken rumgeknutscht hat? Ich war doch noch nie in so einer Situation! Nur weil ich es nicht bereue, heißt das ja noch nicht, dass es Josh auch so geht. Immerhin hatte er auch reichlich getrunken. Andererseits sprechen seine Worte vor meiner Tür dagegen. „Argh!” Frustriert raufe ich mir die Haare. Das darf doch alles nicht wahr sein! Mein Smartphone fällt dabei neben mich aufs Bett und starrt mit schwarzem Bildschirm zurück. Es wäre so viel einfacher gewesen, wenn Joshua zuerst geschrieben hätte, aber mich beschleicht das Gefühl, er würde bewusst auf eine Reaktion von mir warten. Leider hilft mir mein Bauchgefühl auch nicht weiter, von dem latenten schlechten Gewissen mal abgesehen, ich würde ihn unnötig warten lassen. Ja ja, bloß kein Druck. Ich schnaube. Schnappe mir das blöde Handy. Tippe und schicke die Nachricht ab, ohne noch einmal zu überlegen.   [Paul] hi sry, lag bis eben flach, doofer kater ps: ich bereue nichts   Na, ein Erguss geistiger Finesse war das nicht, aber besser als gar nichts. Jetzt heißt es warte- Mein Handy vibriert. Vor Schreck schmeiße ich es glatt vom Bett. Mein heldenhafter Hechtsprung hinterher kann es zwar nicht mehr retten, aber ich schaffe es kurz vor knapp noch den Anruf anzunehmen. „Hi”, melde ich mich atemlos, hieve mich nebenbei umständlich aufs Bett zurück. „Hi”, antwortet Josh ebenso gehaucht. Augenblicklich fängt es in meinem Magen an zu rumoren und eine angenehme Wärme breitet sich in mir aus, nur von seiner Stimme. „Ich habe auf deine Nachricht gewartet.” Es klingt kein Vorwurf in seiner Stimme mit, auch wenn er dazu jedes Recht hätte. Stattdessen spricht einfach nur Erleichterung und Freude aus seinem dunklen Timbre. Ich fange an, dümmlich zu grinsen. „Tut mir Leid. Ich glaube das Guinness hat mich umgehauen.” Ich kuschel mich tiefer in meine Kissen. „Glaub ich dir.” Josh lacht leise. „Also kein Alkohol mehr für dich?” „Ne, in nächster Zeit besser nicht”, erwidere ich schmunzelnd. „Geht es dir denn jetzt besser?” „Ja. Bin noch ein bisschen matschig, aber sonst ist alles gut.” „Das ist schön.” Und dann schweigen wir. Es ist nicht unbedingt unangenehm, aber trotzdem schwebt da dieser riesige rosa Elefant im Raum, den keiner ansprechen will. Die Finger meiner rechten Hand nesteln unruhig am Rand der Bettdecke herum. „Ich wollte-” „Das gestern-” Wir brechen ab und lachen auf. „Erst du”, bestimme ich , erleichtert, nicht den Anfang machen zu müssen. „Du... erinnerst dich doch an alles, oder?”, fragt der Metaller mit einem Hauch Unsicherheit. „Ich... ja.” Ich schlucke. „Und du meintest das auch ernst, in deiner Nachricht?”, hakt er vorsichtig nach. Für einen Moment muss ich wirklich überlegen, was er meint. „Natürlich!” „Das ist schön”, antwortet er ungewöhnlich sanft. Das Lächeln kann ich förmlich hören. „Und du?”, frage ich zaghaft nach. „Was? Ob ich es bereue?” Josh schnaubt, lacht erstickt. „Teufel, nein! Niemals.” Er seufzt und irgendwie vermitteln die Geräusche von seiner Seite, dass er sich über das Gesicht streicht. Ich weiß auch nicht, wie ich darauf komme. „Ach Paulchen, hätte ich geahnt... Sagen wir mal, ich hätte die ein oder andere Runde verhindert.” Zum Glück kann er nicht sehen, wie rot ich gerade bin. „Ich glaube, dann hätte ich das aber auch nicht getraut.” Und das Gespräch hier ist auch nur möglich, weil es übers Telefon stattfindet, wenn ich ehrlich bin. „Das wäre wirklich schade gewesen.” Wieder klingt er so sanft. Ich atme tief durch und nehme all meinen Mut zusammen. „Hättest du nächstes Wochenende Zeit und Lust deinen Gutschein mit mir einlösen zu fahren? Ich koch anschließend auch was für uns.” „Dieses Wochenende? Äh, natürlich!” Es folgt eine kurze Pause, dann flucht er unterdrückt. „Ich hab Samstag Abend noch Bandprobe. Wir treten in zwei Wochen wieder auf. Die killen mich, wenn ich nicht komme.” „Oh.” Ich hoffe, er kann meine Enttäuschung nicht allzu sehr hören. Dann kommt mir eine Idee. „Kannst du nicht von hier aus dahin fahren? Wenn das erst abends ist, haben wir ja vorher noch Zeit.” „Naja... eigentlich schon. Stimmt. Wenn es dich nicht stört, dass ich meinen Bass mitschleppe?” „Nein, gar nicht.” Erleichtert atme ich auf. „Ich hab Platz genug.” „Und deine Eltern? Die stört das auch nicht?” „Ich bin allein, mein Vater ist auf Geschäftsreise.” Innerlich verfluche ich mich, doch mein Biss auf die Zunge kommt zu spät. Wie klingt denn das!? Wie eine eindeutige Einladung zum... „Ah, okay.” Er schweigt kurz perplex, denkt sich wahrscheinlich seinen Teil. Zu meinem Glück geht er weder auf die Zweideutigkeit meiner Einladung, noch auf die fehlende Erwähnung meiner Mutter ein. „Soll ich schauen, ob ich mir ein Auto leihen kann? Ist vielleicht einfacher als mit dem Zug.” Dankbar für die Ablenkung atme ich auf. „Gerne, mach das.” Wieder schweigen wir. Ich lausche dem Atmen von der anderen Seite des Hörers. „Dann... sehen wir uns morgen?” „Klar.” Ich räuspere mich leise, will das Gespräch noch nicht beenden. „Okay.” Ebenso unwillig. „Ach, Paul?” „Hm?” „Wenn du willst, dann behalten wir das erstmal für uns okay?” „Was? Ach, ähm, ja. Vielleicht.” „Mir ist es egal”, stellt er schnell klar. „Ich denk nur, vielleicht ist es dir lieber so, für den Anfang? Bis wir... mehr wissen?” „Klingt vernünftig.” Mit einem Mal habe ich einen Kloß im Hals, der sich nicht so einfach weghusten lassen wird. Das, was andere denken könnten, habe ich bis hierhin sehr erfolgreich verdrängt. Verdammt, ich sollte wirklich aufhören, alles von mir zu schieben. Das wird mich noch in ernste Schwierigkeiten bringen. Hatte ich nicht in allzu ferner Vergangenheit noch vorgehabt, mich komplett von Josh fernzuhalten? Oder zumindest meine Gefühle für ihn zu verdrängen? Sieht man ja, wie gut das geklappt hat. Nämlich gar nicht. „Dann... bis morgen?” „Ich hoffe doch”, schmunzelt Josh leise. „Ich freu mich.” „Ich mich auch”, hauche ich leise. Aber immerhin, das kann ich zugeben. „Bis morgen.” „Hmm.” Ich grinse. Keiner von uns scheint gewillt, das Gespräch zu beenden. Als wir es dennoch irgendwann tun bleibe ich noch lange so sitzen, tippe nur ab und zu das Display an, damit es nicht wieder vollkommen dunkel wird. Verliebtsein fühlt sich doch gar nicht so schlimm an. Und für einen Moment glaube ich sogar fast, dass wir eine Lösung für alle anderen Schwierigkeiten in meinem Leben finden könnten.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)