また春に会いましょう。 von rumwolf ================================================================================ Kapitel 1: let's meet again next spring --------------------------------------- Immer, wenn Ruki auf Tour war, zogen sich die Tage für Mao ewig in die Länge. Knapp über einen Monat war es jetzt schon her, dass er seinen Freund in Tokyo nach dem Eröffnungskonzert der Tour verabschiedet hatte. Gelangweilt stand er, an sein Auto gelehnt, auf dem Parkplatz des Labels und wartete darauf, dass der Nightliner endlich vorfuhr. Anscheinend hatte es wie immer Stau im Stadtverkehr gegeben, was die Ankunft der Gazette Jungs um eine Viertelstunde verzögert hatte. Als er den Bus auf den Parkplatz biegen sah, schaute er auf. Sein Magen machte einen Rückwärtssalto vor Vorfreude und ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht, als der kleine Sänger verschlafen und offensichtlich mies gelaunt aus dem Bus kletterte. Seine braunen Haare waren unter einer Mütze versteckt und über seine Nase hatte er eine Maske gezogen. Es grenzte an ein Wunder, dass er nicht direkt wieder eine Sonnenbrille trug. Ruki hatte die fast schon nervige Angewohnheit sein Gesicht komplett zu verstecken. „Hey, willkommen zuhause!“ Mao breitete die Arme aus und der kleine Sänger ließ sich zwar umarmen, erwiderte es jedoch nicht. Einen kleinen Stich versetzte es ihm schon, doch Ruki war nicht immer zu Zuneigung fähig. So war es schon von Anfang an gewesen, auch wenn die Momente sich in letzter Zeit gehäuft hatten. Deswegen hatte er sich dieses Mal sogar etwas vor dem Ende der Tour gefürchtet. Und er wusste nicht, wie er dieses Gefühl deuten sollte. „Sollen wir noch was zu essen holen oder willst du direkt heim?“ „Heim. Ich bin hundemüde. Meine Schlafkabine war direkt über Aoi und der hat sich auf Tour erkältet und die ganze Nacht geschnarcht.“ kam die genuschelte Antwort. Mao löste die Umarmung und küsste seinen Freund auf die Stirn. „Setz dich schon mal ins Auto, ich hole eben deinen Koffer.“ Die Rückfahrt zu ihrer Wohnung verlief schweigsam. Auch wenn Mao gerne Erzählungen von der Tour gehört hatte, wusste er, dass er Ruki in seinem aktuellen Zustand alles aus der Nase ziehen müsste, weswegen er es gar nicht erst versuchte. Morgen früh, wenn der Sänger wieder eine Nacht im eigenen Bett geschlafen hatte, würde die Welt schon wieder ganz anders aussehen. Zu Hause angekommen verschwand Ruki direkt ins Badezimmer, um ein Bad zu nehmen, auch eine Angewohnheit, wenn er von einer Tour zurückkam. Zum Abendessen bestellten sie Sushi, obwohl Mao eigentlich vorgehabt hatte zu kochen. Er hatte so viele Ideen gehabt, sich so viele Gedanken gemacht, wie man Ruki’s Rückkehr von der Tour hätte genießen können, doch der Sänger schien nicht dazu in der Stimmung, also sagte er nichts und fügte sich den Wünschen seines Freundes. Ruki war einfach nur müde. Morgen früh würde die Welt anders aussehen, redete er sich ein, während sie starr nebeneinander auf dem Sofa saßen und einen Film anschauten, der keinen von ihnen wirklich interessierte. Ruki musste einfach nur ein paar Tage entspannen, um von der Tour herunterzukommen. - „Würde es dich umbringen mal etwas weniger gleichgültig mir gegenüber zu sein?“ Die Worte waren von Mao’s Zunge gerollt, bevor er sie stoppen konnte und jetzt hingen sie zwischen ihnen. Ruki sah von seiner Schüssel Misosuppe auf, hatte in seinen Bewegungen innegehalten. Sein Gesicht verriet keine Emotion. Mao war schon beim Aufwachen aufgefallen, dass sein Freund seine Künstlermaske noch nicht abgenommen hatte. Nicht einmal beim Sex am gestrigen Abend war der echte Ruki hervorgekommen. „Was genau willst du von mir?“ „Dass du dich endlich wieder so wie du selbst benimmst. Du bist zuhause, du kannst Ruki mal in die Ecke stellen und Takanori sein.“ Als er keine Antwort bekam, fügte Mao kleinlaut hinzu: „Ich habe dich vermisst, weißt du das eigentlich?“ Noch immer nichts. Ruki war am überlegen, er suchte die Worte, das konnte man ihm ansehen. Doch er öffnete nicht einmal seinen Mund. „Sag was. Bitte“, flehte Mao und hasste sich selbst für seine versagende Stimme. Er hatte schon seit Wochen gewusst, dass sie reden mussten. Schon vor der Tour, wenn er ganz ehrlich mit sich selbst war. Doch er hatte es auf den Stress geschoben und geduldig gewartet, bis sein Freund wieder zurückkam. Manchmal machte Entfernung Sachen ja besser. Umso enttäuschter hatte er aber festgestellt, dass Ruki noch immer so distanziert war wie vorher. Mehr als je zuvor hatte er das Gefühl ihn nicht einmal erreichen zu können. Selbst seine Ehrlichkeit und seine Hilflosigkeit prallten ab, obwohl er damit bis jetzt immer zu Ruki hatte durchdringen können. Warum auf einmal nicht mehr? Was hatte sich geändert? „Was soll ich dir sagen?“ Die Antwort des Gazette-Sängers traf Mao wie ein Faustschlag in die Magengrube. Verstand Ruki denn wirklich gar nicht? Er spürte, wie seine Augen zu brennen begannen. Ein klares Zeichen der sich anbahnenden Tränen, doch er blinzelte sie tapfer weg. Er würde jetzt nicht am Frühstückstisch anfangen zu weinen. Verdammt noch mal, er war schließlich ein erwachsener Mann, der doch eigentlich in der Lage sein sollte ein ernstes Gespräch mit seinem Partner führen zu können, ohne dabei in Tränen auszubrechen. Doch warum fiel es ihm so schwer? Natürlich verlor er den Kampf und die erste Träne kullerte seine Wange herab und tropfte in seine Kaffeetasse. Als er noch jünger gewesen war, hatte Mao immer geglaubt, dass nur schwerwiegende Dinge, wie Fremdgehen, Beziehungen töten konnte. Doch jetzt musste er schmerzlich feststellen, dass Distanz der Liebe größter Feind war. Und auch wenn Ruki und er nicht mehr physikalisch voneinander getrennt waren, blieb die emotionale Distanz. Es brach ihm das Herz, ganz langsam. Zentimeter um Zentimeter, Riss um Riss. Stück für Stück. Zu Boden stürzen, klirren. Noch mehr Scherben. Noch mehr Schmerz. Konnte er überhaupt etwas sagen, was es besser machen würde? So viele Sachen lagen ihm auf der Zunge, doch er brachte nichts davon hervor. Auch Ruki schwieg eisern. Als er merkte, dass Mao nichts zu sagen wusste, widmete er sich wieder seinem Frühstück. Als wäre nie etwas gewesen. - Ruki versuchte den verletzten Blick zu ignorieren, den Mao ihm zuwarf. Seit drei Tagen war er jetzt bereits zurück von der Tour und tapste auf Eierschalen um seinen Freund herum. Woher dessen plötzliche Empfindlichkeit kam, konnte er sich nicht wirklich erklären. Und alles was er jetzt getan hatte, war zu seufzen, weil Mao die ganze Zeit auf dem Sofa herumrutschte, in dem Versuch eine bequeme Position zum Lesen zu finden. Er wollte doch lediglich in Ruhe arbeiten. War das denn zu viel verlangt? Auch wenn die Tour erstmal vorbei war und sie von der Band den nächsten Monat über nichts geplant hatten, schrie sein Modelabel dafür umso mehr nach Aufmerksamkeit. Die Aufgaben türmten sich nur so in seinem E-Mail Postfach. Die letzten Wochen hatte er es etwas schleifen lassen. Konnte man denn nicht verstehen, dass er nun einmal zwei Karrieren führte und beide zeitaufwendig waren? Es tat ihm schon leid, dass er seit seiner Rückkehr nicht wirklich viel Zeit für seinen Freund gehabt hatte, doch gleichzeitig fehlte ihm auch einfach der Nerv, sich damit auseinander zu setzen. Er liebte Mao. Abgöttisch. Manchmal sogar so sehr, dass es weh tat, doch trotzdem war manchmal irgendetwas nicht so, wie es sein sollte. Dass es an ihm lag stand völlig außer Frage. Dass er kein großer Beziehungskünstler war, wusste jeder, der sich länger als fünf Minuten mit dem Gazette-Sänger unterhalten hatte. Vielleicht lag es daran, dass er keine Pause machen konnte. Es war einfach zu viel zu tun. Das musste Mao doch verstehen. Nicht immer hieß das Ende einer Tour, dass man sich entspannen konnte. Früher war das vielleicht noch so gewesen, doch mittlerweile war der Terminkalender mit der Band und dem Label einfach zu straff. Hatte er zu wenig Zeit für seinen Freund? Vielleicht würde er sich nächste Woche mal einen halben Tag freinehmen können. - Außer Atem sackte Mao auf seine Seite des Bettes zurück. Ein dünner Schweißfilm überzog seinen Körper und auch wenn er theoretisch befriedigt sein müsste, blieb die ersehnte Ruhe in seinem Inneren aus. Nichts schien sie ihm zurückbringen zu können. Dabei hatten sie es versucht, alles probiert. An Ruki’s Blick konnte er sehen, dass es ihm genau so ging. Irgendwo war etwas verloren gegangen und sie hatten es beide nicht rechtzeitig gemerkt. „Ich glaube“, begann Mao, „wir sollten eine Auszeit nehmen.“ „Voneinander?“ Endlich. Endlich klang wieder klare Emotion in Ruki’s Stimme mit. Auch wenn er sich wünschte, sie nicht hören zu müssen. Nicht diese Verletzlichkeit, diesen Schmerz. „Ja. Ich glaube, das ist das beste. Auch, wenn ich dich liebe. Vielleicht gerade deswegen.“ Lange Zeit wagte keiner von ihnen zu sprechen. Die einzigen Geräusche, die zu hören waren, waren das Prasseln des Frühlingsregens gegen die Schlafzimmerfensterscheibe und ihre eigenen Atemzüge. Ein ersticktes Schluchzen durchbrach die Stille. Ruki war aus dem Bett geklettert, die Matratze bewegte sich. Als Mao ihm nachsah, wie der kleine Sänger mit einer Hand vor den Mund gepresst ins Bad lief und nicht einmal die Tür hinter sich zu zog, brach sein Herz endgültig. Immer dann, wenn er es nicht mehr für möglich gehalten hatte, überraschte ihn die Tiefe, die Schmerz haben konnte. Aus dem Badezimmer waren hektische Schluchzer und Wimmern zu hören, die ihm durch Mark und Bein gingen. Eine einzelne Träne löste sich aus Mao’s Augenwinkel und lief an der Seite seines Gesichts herunter und tropfte in sein Ohr. Deswegen sollte man nicht auf dem Rücken liegend weinen. Doch es blieb bei der einen Träne, auch wenn er sich wünschte, zu weinen. Sein Schmerz ging einfach nur ins Leere. Mit einer fast schon erschreckenden Gelassenheit stieg er ebenfalls aus dem Bett und zog sich ein T-Shirt und seine Jogginghose an. Dann holte er einen großen Koffer unter dem Bett hervor und begann seine Kleider aus dem Schrank zu nehmen. Es würde einfacher für Ruki sein, wenn er einfach still ging. Auch wenn eine Stimme in ihm danach verlangte ins Bad zu gehen und seinen Freund in den Arm zu nehmen, ihm zu sagen, dass er sich geirrt hatte und sie doch keine Pause brauchten, hielt die Vernunft ihn davon ab. Sie brauchten die Pause. Die Distanz. Als er fertig mit Packen war, war es im Bad still geworden, doch Ruki war noch nicht daraus hervorgekommen. Mao setzte sich an den Schreibtisch und nahm ein Blatt Papier aus dem Drucker. Einen normalen Stift zwischen Ruki’s Wassermalfarben und Filzstiften zu finden war eine kleine Herausforderung, doch schließlich wurde er fündig. Vielleicht wäre es besser gewesen den Brief im voraus zu schreiben. So hätte er alles so ausformulieren können, dass es Ruki so wenig verletzen würde wie möglich und gleichzeitig noch auf Nummer sicher gehen können, dass er nichts vergaß. Doch sein eigenes Handeln war ihm zuvor gekommen und jetzt musste er versuchen seine schwirrenden Gedanken so gut wie möglich zu ordnen und zu Papier zu bringen. Mao ließ die Haustür hinter sich ins Schloss fallen und für einen Moment bildete er sich ein, Ruki laut Schreien zu hören. Im nächsten Augenblick war es jedoch wieder still und er zwang sich mit seiner Tasche und dem Koffer zum Aufzug zu gehen. Der Rest zog wie ein Film in Zeitraffer an ihm vorbei. Im Parkhaus ihres Gebäudes lud er seine Sachen in sein Auto. Er fuhr durch, machte nur eine Pause zum Tanken. Außerhalb von Tokyo hörte der Regen auf und der Nachthimmel wurde klar. Am Morgen war er in Osaka und parkte den Wagen in der Einfahrt seines Elternhauses. Seine Mutter lief im entgegen, ein Lächeln auf dem Gesicht, das jedoch verblasste, als ihr Sohn weinend vor ihren Füßen zusammenbrach. - Ruki, Ich liebe dich. Ein dummer Anfang, nachdem ich gerade noch gesagt habe, dass wir eine Auszeit voneinander brauchen, aber es ist wahr. Ich liebe dich mehr als ich jemals zuvor jemanden geliebt habe. Du bist alles, was für mich wichtig ist. Meine ganze Welt dreht sich um dich. Ich will, dass du das weißt. Zerreiß den Brief nicht (Ich weiß, dass du gerade schon dazu angesetzt hast. Ich kenne dich). Lies ihn dir durch, auch wenn es schmerzhaft ist. Ich weiß, dass du mich liebst. Und ich weiß, dass du beschäftigt bist mit Gazette und deinem Label. Ich liebe es, dass du so leidenschaftlich bist und alles, was du hast, in deine Projekte fließen lässt. Ich nehme es dir auch nicht übel, dass du manchmal deswegen weniger Zeit für mich hast, weil ich weiß, dass es dich glücklich macht und ich will nichts mehr. Du sollst glücklich sein, weil du mich glücklich machst. Du musst es sogar sein, weil ich es mir sonst nicht verzeihen könnte. Ich weiß auch, dass du manchmal überwältigt von Gefühlen bist und nichts mit ihnen anzufangen weißt. Weder mit deinen eigenen noch mit denen anderer. Es ist fast so, als würdest du sie für eine Weile verlieren und dann wiederfinden. Wie ein T-Shirt, das in den Tiefen von deinem Kleiderschrank verloren geht. Du findest sie immer wieder, zumindest hast du das bis jetzt stets und ich vertraue darauf, dass du sie auch dieses Mal wiederfinden wirst. Dennoch scheinst du sie dieses Mal etwas weiter weg verlegt zu haben. Vielleicht hast du sie auf Tour verloren. Ich weiß es nicht, doch ich habe das Gefühl, dass wir uns nur mehr und mehr kaputt machen, wenn wir jetzt zusammen bleiben und so tun, als wäre nie etwas gewesen. Lass uns einander in einem Jahr wiedersehen, wenn wir beide noch etwas füreinander fühlen. Ein Jahr ist lang, zumindest klingt es gerade lang, doch es wird schnell vorbeigehen. Du hast so viele Projekte, gerade für dich wird es nur so vorbeifliegen. Ehe du dich versiehst, wird es wieder Frühling sein. Wenn du mich in einem Jahr von jetzt noch immer liebst, komm zu dem kleinen Park, in dem ich dir damals meine Gefühle gestanden habe. Kitschiger Treffpunkt, aber etwas Besseres fällt mir gerade nicht ein. Warte dort auf mich. Wenn ich dich in einem Jahr von heute noch immer liebe, werde auch ich dort auf dich warten. Mein Herz bricht gerade und es tut mir leid, dass ich dir auch solche Schmerzen zufüge. Ich liebe dich. Unendlich. Dein Mao - „Ruki, wir haben heute ein Interview. Wo zur Hölle bist du?“, meckerte Kai vom anderen Ende der Leitung, doch Ruki hörte ihm schon gar nicht mehr zu. „Ich habe heute einen wichtigen Termin. Habe ich dir gestern doch schon gesagt. Ihr müsst das Interview heute ohne mich machen.“ „Was für einen Termin?“ „Einen wichtigen.“ Er hatte seinen Bandkollegen nichts von der Auszeit erzählt. Sie hätten ihn bemitleidet und das hatte er nicht gewollt. Mao war nicht für immer aus seinem Leben verschwunden, auch wenn es sich am Anfang verdammt so angefühlt hatte. Noch bevor es begonnen hatte zu dämmern war er in sein Auto gestiegen und war zu dem vereinbarten Treffpunkt gefahren. Vielleicht war es verrückt, doch er wollte Mao auf keinen Fall verpassen. Durfte ihn nicht verpassen. Er brauchte seinen Freund zurück. Dieses eine Jahr war das härteste gewesen, an das er sich jemals erinnern konnte. Wie viele Male hatte er überlegt Mao einfach anzurufen? Er hatte nach 100 aufgehört zu zählen. Wie oft war er drauf und dran gewesen ins Auto zu steigen und nach Osaka herunterzufahren? Zu oft. Am schlimmsten war der Tourstop in Osaka während ihrer Pause gewesen. Es hatte ihn beinahe um den Verstand gebracht zu wissen, dass Mao so nah und doch so fern war. Er liebte den anderen genug, um dessen Wunsch zu akzeptieren. Selbst, wenn es ihn innerlich zerriss. Umso sicherer war er sich, dass er Mao nich immer liebte. Der Parkplatz des Parks war noch menschenleer, als er ankam. In der Kirschblütensaison war dies eine Seltenheit, doch er war auch zu einer unmenschlich frühen Stunde hier. Der Himmel färbte sich gerade in den brillantesten Gold- und Pinktönen, als er sich auf der mitgebrachten Picknickdecke niederließ. Es hatte eine Weile gedauert, doch er hatte den richtigen Baum wiedergefunden. Hier würde er warten und hoffen. Stunden vergingen und der Park füllte sich. Menschen gingen mit ihren Hunden und mit Kinderwagen spazieren. Keine Spur von Mao. Ruki packte sein Frühstück aus, dass er sich vorbereitet hatte. Er würde warten. Wenn nötig würde er den ganzen Tag warten. Dabei war er doch immer schon eher ungeduldig gewesen. Wann hatte eine Beziehung ihn so verändert? Er wusste, dass es Mao war, noch bevor die Gestalt völlig sichtbar war. Ruki hätte den anderen blind erkennen können. Die Art, wie er sich bewegte, wie er seinen Körper trug war in seine Netzhaut eingebrannt. Ohne seine eigenen Bewegungen bewusst zu realisieren, hatte er sich von der Picknickdecke erhoben und stand still – wartend – da. Mao kam näher und als er endlich das Gesicht seines Freundes wieder vor sich sah, wurde ein Wirbelwind der Gefühle in ihm losgetreten. Nicht einmal bei ihrer Trennung vor einem Jahr war er so von seinen Gefühlen überwältigt gewesen. Wäre seine Freude darüber Mao zu sehen nicht so groß, hätte es ihm wahrscheinlich selbst Angst gemacht. Mit Emotionen hatte er noch nie viel anfangen können, weder mit denen anderer Leute noch mit seinen eigenen. Mao’s Gesicht verriet keine Emotion als er Ruki gegenüber stand. Das Herz des Sängers drohte zu zerspringen vor Anspannung. War es zu spät? Aber Mao war gekommen, das musste doch eigentlich bedeuten, dass er sich ebenfalls entschlossen hatte ihnen noch eine zweite Chance zu geben, oder etwa nicht? Oder war Mao lediglich hier um ihm zu sagen, dass es endgültig vorbei war und er sich keine Hoffnungen mehr zu machen brauchte? „Hi“, stolperte es schließlich über seine Lippen. Warum klang er so atemlos? Mao sah ihn weiterhin an. „Hey. Wie lange bist du schon da?“ „Seit Sonnenaufgang.“ Die sündhaft teure Armbanduhr an seinem Handgelenk zeigte mittlerweile 5 Uhr nachmittags an. Sein erster Impuls war es gewesen sich nicht zu sehr bloßzustellen und es cool zu spielen. Zu behaupten, dass er erst ein paar Minuten hier wartete. Doch gerade das war es ja gewesen, was Mao von ihm gestoßen hatte und die Distanz überhaupt erst erschaffen hatte. Noch einmal würde er diesen Fehler nicht machen. „Ich habe gehofft, dass du kommen würdest.“ „Hast du wirklich daran gezweifelt?“ Hilflos zuckte Ruki mit den Schultern. Plötzlich fühlte er sich wie ein dummer, kleiner Junge und das sanfte Lächeln, das sich auf Mao’s Gesicht ausgebreitet hatte, machte die Situation nicht besser. Seine Augen brannten und zu seinem eigenen Erstaunen musste er feststellen, dass sich Tränen begonnen hatten darin zu sammeln. Wann hatte er das letzte Mal geweint? Als sie sich getrennt hatten. Ansonsten nicht einmal während des ganzen Jahres. „Versuchen wir es noch einmal?“, fragte er endlich. Seine Stimme war brüchig und er verabscheute sich selbst dafür, wie erbärmlich und schwach er gerade klang. Das Lächeln auf Mao’s Gesicht wuchs und eine sanfte Hand fand ihren Weg an Ruki’s Wange und wischte eine verirrte Träne weg. „Natürlich. Glaub nicht, ich hätte auch nur einen Tag aufgehört dich zu lieben.“ Es war beinahe so, als hätten die Worte einen Damm in Ruki losgetreten. All die Tränen, die er im letzten Jahr runtergeschluckt hatte, brachen jetzt aus. Sie quollen nur so aus seinen Augen und der Raum, den sie machten, wurde mit purer Erleichterung durchflutet. Der Sänger fiel dem anderen geradezu um den Hals und verbarg sein Gesicht in dessen Schulter, atmete den vertrauten und doch etwas veränderten Duft ein. Fühlte es sich so an, nach Hause zu kommen? Schluchzer schüttelten seinen Körper für eine halbe Ewigkeit, ehe er endlich erschöpft die Worte hervorbrachte, die er noch sagen musste – sagen wollte: „Ich liebe dich, Mao. Mehr als alles andere. Verlass mich bitte nie wieder.“ „Für mich war das Jahr auch schlimm. Aber wir haben das gebraucht.“ Eine beruhigende Hand streichelte über Ruki’s Rücken. Die Wärme, die von ihr ausging, schien ihn von innen heraus aufzuwärmen. Wie hatte er es nur ein ganzes Jahr ohne Mao und dessen Wärme ausgehalten? Irgendwann dirigierte Mao sie zurück auf die Picknickdecke und sie saßen still nebeneinander. Sein Arm war noch immer eng um Ruki geschlungen, der schweigend die Nähe genoss. Die Wunde, die jetzt ein Jahr lang offen gelegen hatte, begann langsam zu heilen. Das Schlimmste war überstanden. Gemeinsam hatten sie noch den Rest ihres Lebens um die zerbrochenen Stücke wieder zusammen zu setzen und die Risse zu flicken. Sie würden einander dabei helfen. Sie blieben bis die Sonne erst hinter den Kirschbäumen und dann hinterm Horizont verschwand. Die Frühlingsluft wurde kalt, ohne die wärmenden Sonnenstrahlen. „Lass uns heim fahren, ja?“, durchbrach Mao schließlich das Schweigen. In einer vorsichtigen Geste hob er die Hand seines Freundes, mit der er seine eigenen Finger verschränkt hatte, an seine Lippen und hauchte einen zärtlichen Kuss auf dessen Handrücken. Ruki seufzte auf, teils wegen der warmen Berührung durch Mao’s Lippen, teils wegen des Satzes, den er so sehr vermisst hatte. „Bitte.“ Gemeinsam räumten sie die Picknickdecke zusammen und schlenderten Hand in Hand in Richtung des Parkplatzes. Vielleicht war es der Streit oder die lange Zeit, die sie getrennt verbracht hatten, doch Ruki fühlte sich wieder ein klein wenig so, als wäre er auf dem ersten Date. Vielleicht hatte Mao recht gehabt und die Auszeit war genau das, was sie gebraucht hatten um zueinander zurückzufinden. - Ruki hatte fast vergessen, wie schön es war nicht alleine aufzuwachen. Er war bereits wach bevor die ersten Sonnenstrahlen durch das große Schlafzimmerfenster fielen. Eigentlich viel zu früh für ihn, den eingefleischten Langschläfer. Doch die Aufregung und das Glück hatten ihn kaum ein Auge zu tun lassen. Vielleicht war es auch Angst gewesen, dass es alles nur ein Traum gewesen war. Solche Träume hatte er durchaus öfter gehabt und jedes Mal war das Aufwachen einfach nur ernüchtern gewesen. Doch dieses Mal war Mao wirklich da. In Fleisch und Blut. Ein Arm war um Ruki’s Brust geschlungen und die Wärme, die von ihm ausging, war fast schon zu heiß. Es war ungewohnt wieder so nah neben einer Person zu schlafen. Für so etwas hatte Ruki schon immer eine Gewöhnungsphase gebraucht. Viel zu früh wurde der andere wach. Mao beim Aufwachen zuzusehen war schon immer faszinierend gewesen. Es begann immer mit dem Nase kräuseln, als würde sich ein Niesreiz anbahnen. Danach kniff der Sänger die Augen immer fester zu, als wolle er gar nicht aufwachen. Als würde er sich weigern. Und letztendlich öffnete er seine Augen Millimeter für Millimeter, bis sie irgendwann zu winzigen Schlitzen geöffnet waren. Dazu noch strubbelige Haare und das morgendliche Bild seines Freundes war perfekt. Hin und wieder hatte er sich über den Anblick lustig gemacht und Mao liebevoll damit aufgezogen, doch heute ging ihm einfach nur das Herz auf. War es überhaupt möglich, dass so eine simple Sache solche Glücksgefühle in einem auslösen konnte? „Guten Morgen“, flüsterte er schüchtern, als hätte er Angst die Illusion durch zu lautes Sprechen zu zerstören. Doch anstatt sich in grauen Nebel aufzulösen wie Traum-Mao es immer getan hatte, lächelte dieser nur verschlafen und nuschelte etwas Unverständliches und auf einmal war Ruki sich wirklich sicher, dass es kein Traum war. Sein Leben war wieder so, wie es sein sollte. Gestern Abend waren sie früh schlafen gegangen. Mao hatte sie zurück in die Stadt gefahren, Ruki’s Auto hatten sie für’s Erste über Nacht auf dem Parkplatz stehen lassen. Sie würden es heute oder die Tage irgendwann holen. Sie hatten keine Eile. Die meiste Zeit der Fahrt über hatten sie einfach geschwiegen. Keiner wusste genau, was in so einer Situation an Gesprächsthemen angebracht war. Smalltalk war zu bedeutungslos und tiefe Gespräche über Gefühle zu schwer und zu anstrengend. Mit zu viel Risiko behaftet. Auch in der Wohnung waren sie vorsichtig miteinander umgegangen. Ehe jemand etwas Falsches sagte, wurde gar nichts gesagt und auch wenn sie theoretisch Redebedarf gehabt hätten sollen, schien doch alles so klar zu sein, dass es keiner Worte bedurfte. Sie waren nacheinander unter die Dusche gestiegen, hatten sich Sushi bestellt und nach einem schweigsamen Essen entschieden schlafen zu gehen. Sie hatten ja auch noch den nächsten Tag. Noch nicht einmal richtig geküsst hatten sie sich, seit ihrem Aufeinandertreffen in dem Park. Erst jetzt, als Ruki auf Mao’s schiefes Grinsen sah, fiel es ihm auf. Für einen Moment überlegte er, sich einfach vorzubeugen und die Lippen des anderen kurzerhand mit seinen zu versiegeln, doch er entschied sich dagegen. Auch wenn der Moment vermeintlich perfekt war, wollte er dennoch den Richtigen abpassen. Es sollte richtig sein. Wie oft bekam man schon die Chance auf einen zweiten ersten Kuss? „Kaffee?“, fragte Ruki stattdessen und bekam ein energisches Grummeln als Antwort. Er schwang sich aus dem Bett und machte sich barfuß auf den Weg in die Küche. Mit routinierten Bewegungen setzte er den Wasserkocher auf und begann währenddessen Kaffeebohnen zu mahlen. Seine Liebe für Kaffee und sein Hobby-Barister Dasein (er hatte tatsächlich sogar mal einen Kurs gemacht, den Mao ihm zum Geburtstag geschenkt hatte) sorgten zwar regelmäßig für Spott bei seinen Freunden und Kollegen, doch jeder musste sich eingestehen, dass Ruki guten Kaffee kochte. Und heute Morgen gab er sich besonders Mühe. Ruki wollte sich gerade mit der Kaffeetasse auf dem Weg ins Schlafzimmer machen, als ihm ein verstrubbelter Mao entgegen schlurfte und mit einem Mal war seine heile Welt fast vollständig repariert. Die letzten Splitter würden auch schnell an ihren Platz zurückkehren. Jegliche Anspannung und Nervosität, die gestern noch geherrscht hatte, war verschwunden und da war einfach nur diese Vertrautheit und gleichzeitig das frische Gefühl des Verliebtseins. Nach dem ersten gemeinsamen Kaffee beschlossen sie kurzerhand brunchen zu gehen und auf einmal schien der ganze Tag nur noch an ihnen vorbeizuziehen. Sie plauderten, erzählten wie es ihnen im letzten Jahr ergangen war, was sie erlebt hatten. Nicht immer waren die Themen einfach und nicht immer fiel es ihnen leicht darüber zu sprechen, doch sie taten es dennoch. Mao berichtete von seiner Zeit bei seiner Familie und Ruki erzählte von seinem Label und der Band. Auch wenn in dem Jahr viel passiert war, hatte keiner von ihnen das Gefühl, den anderen verloren zu haben oder auf einmal weniger zu kennen. Am späten Nachmittag fuhren sie zurück zu dem Park, um Ruki’s Auto abzuholen und gerade als die Sonne den Park und die Kirschbäume im Licht der sogenannten goldenen Stunde badete, zog Mao seinen Freund zu sich, legte sanft eine Hand in dessen Nacken und küsste ihn zum ersten Mal seit etwas über einem Jahr. Spätestens jetzt, wo sie beide in den Kuss schmolzen, war ihnen klar, dass alles wieder gut sein würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)