Astronaut von Mitternachtsblick ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Yuriy war kalt und feucht wie ein Frosch, als er zu Sergei unter die Decke schlüpfte. Er grinste ihn an, die Zähne im Halbdunkel glimmend wie geschärfte Sicheln, dann schob er die kalten Füße zwischen Sergeis und lachte unterdrückt, als der quiekte. „Wo warst du?“, wollte Sergei wissen und schaffte es nicht, so erzürnt zu klingen, wie er gerne wollte. Er sah auf Yuriy herab, den nur das Licht von der Straße draußen ausleuchtete, und dieses Licht war regenverweht und unzuverlässig, sodass es ihn in tausend Schatten brach. Dazwischen: helle Flecken Haut, fast weiß gegen ihn selbst, helle Augen, die in dieser Beleuchtung fast wie farbloses Eis wirkten, oder wie Glas. Festes Glas, hart genug, dass es ein Haus vor Wind und Regen schützte, hart genug, dass es nicht zersprang, wenn man darauf trat. Feuchtes rotes Haar kitzelte ihn am Hals, als Yuriy versuchte, auch noch die Hände unter Sergeis Shirt zu stecken. Er antwortete nicht. „Wo warst du?“, wiederholte Sergei, leiser diesmal und erfüllt mit einer gewissen sehnsüchtigen Resignation. Hatte er jemals gewusst, wo Yuriy wirklich war, wohin seine Gedanken wanderten? Hatte er ihn jemals wirklich gekannt, bei sich gehabt? Manchmal lag er wach und wünschte sich, dass Yuriy nicht immer nur zu ihm kam wie ein Astronaut, der auf der Erde nach einer Ruhepause suchte. „Draußen“, sagte Yuriy schließlich. Seine Stimme fuhr Sergei in Mark und Bein, so rau flüsterte sie, so sehr wirkte sie wie ein Geräusch, das in einen tiefen, dunklen Wald gehörte, in einen tiefen, dunklen See. „Es regnet“, erwiderte Sergei, fing die kalten Finger auf, die unbeirrt unter sein Shirt zu klettern versuchten, und begann damit, wieder Wärme in sie zu reiben. „Du holst dir noch den Tod, Yura.“ Er antwortete nicht. Da war nur erneut dieses Lächeln, rasch und schattenweich und amüsiert, dann drückte sich eine kalte Nase gegen Sergeis Brustbein und ließ seinen Atem stocken. „Du bist kalt wie ein Frosch“, wisperte Sergei schließlich, während er in einer Hand Yuriys Finger hielt und mit der anderen sein Haar berührte, an dem die Feuchtigkeit noch hing wie ein Nebelstreif, dann hinabglitt über Yuriys Nacken und die Wirbel seines Rückgrats. Der Regen und der Wind verschluckten jedes Geräusch, das seine Finger auf Yuriys Haut machen konnten, verschluckten auch das Geräusch von Yuriys Atem, der tiefer wurde, je tiefer Sergeis Finger wanderten. Er trug nur Boxerbriefs. Sergei merkte, dass er eine Weile zu lang den Atem angehalten hatte und ließ ihn nun entweichen. Was tust du hier?, wollte er fragen, aber in seiner Kehle war ein so großer Klumpen, dass er die Frage nicht daran vorbeibrachte. Er gab nach, als Yuriy eine Hand in seinen Nacken legte und ihn zu sich zog. Der Kuss war keine Überraschung, aber dennoch ein bisschen wie ein Herzinfarkt. Er schmeckte Regen und kalten Rauch, und dann hatten sich Yuriys kühle Finger in seinen Haaren verfangen und er schlang unwillkürlich die Arme fester um Yuriys sehnigen Körper. Der Regen war auch auf Yuriys Haut. Sergei spürte ihm nach, glitt mit den Lippen über den heftig flatternden Puls an Yuriys Kehle und hörte ihn scharf einatmen, nur einmal, aber es war genug, um in seiner eigenen Brust einen Brand auszulösen, der sich in alle Winkel seines Körpers zu ziehen schien. „Wo warst du?“, wisperte er ein drittes Mal, und Yuriys Finger gruben sich in seine Schultern. „Draußen“, wisperte Yuriy wie zuvor zurück, die Lippen nur Millimeter von der weichen Stelle unter Sergeis Ohr entfernt, so nahe, dass Sergei jeden einzelnen Atemzug spüren konnte. „Aber ich, will, dass du aufhörst, darüber nachzudenken.“ „Warum?“, fragte Sergei und ließ eine Hand auf Yuriys Hüfte ruhen. Er spürte, dass Yuriy ihn ansah und richtete den Blick auf ihn. Ein Mundwinkel wurde vom Straßenregenlicht ausgeleuchtet: In die Höhe gehoben, schattenweich, fast zart bei diesen dünnen Lippen. Dann wölbte Yuriy sich ihm plötzlich und kraftvoll entgegen, zog ihn an sich und über sich, als er in der Bewegung wieder hinabsank in die Kissen. Sergei verlagerte sein Gewicht unwillkürlich auf ein abgestütztes Knie und einen Arm, auch wenn er wusste, dass Yuriy es manchmal mochte, sein Gewicht auf sich zu spüren wie eine Steinplatte. Sie küssten sich erneut und Yuriy gab einen rauen Laut von sich, als Sergei sich enger an ihn presste. Dann legte er eine Hand an Sergeis Wange und zwang ihn, ihn erneut anzusehen. „Weil ich jetzt hier bin“, sagte Yuriy leise. „Ich merke es“, sagte Sergei genauso leise. Ein rätselhaftes Lächeln umspielte Yuriys Lippen. Wo die Schatten an seinem Licht brachen, wirkte es fast traurig. „Aber verstehst du es auch?“ Was tust du hier?, wollte Sergei ihn erneut fragen. Yuriy lieferte ihm Antworten, ohne dass er sicher sein konnte, ob es auch wirklich die Antworten auf seine Fragen waren. Mit Yuriy war nur wenig sicher, und gleichzeitig waren mit Yuriy einige Dinge unumstößliche Tatsachen: wie sehr er ihn wollte, immer, wie sehr er ihn vermisste, immer, wie sehr er ihn dem Regen und dem Sturm und der Sonne entreißen und bei sich behalten wollte, nachts, immer. Immer. Er antwortete nicht, aber im Gegensatz zu ihm erwartete Yuriy auch keine Antworten. Stattdessen neigte er ihm den Kopf zu und sie küssten sich erneut, und dann dirigierte er Sergeis Finger zum Bund seiner Boxerbriefs und schlang die Arme um ihn, dann die Beine. Er hatte die Augen geschlossen, sodass weder Schatten noch Licht sie erreichen konnten. Aber Sergei spürte ihn, jedes Beben und jedes scharfe Einatmen, jede Ahnung von Zähnen und Händen, die ihn festhielten, unerbittlich festhielten, bis er den Regen vergaß und den Sturm, und nichts anderes mehr wahrnahm als den Astronauten, der für einen Moment lang die Sterne für ihn verlassen hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)