Sehnsucht von Norrsken ================================================================================ Kapitel 2: 2001-01-22 --------------------- Mit großen Schritten war Boris den Flur hinunter zu seinem Zimmer und warf die Tür in einer Lautstärke ins Schloss, die keinen Zweifel daran ließ, dass diese Tür geschlossen bleiben sollte. Das Gespräch mit Veselov war nicht beendet, als er so abrupt aufstand, dass der Stuhl nach hinten über kippte, doch von den Worten des Betreuers hatte er ohnehin nichts mehr hören können. In seinen Ohren rauschte das Blut so laut, dass er nichts anders wahrnahm. Hinter geschlossener Tür in seinem eigenen Zimmer lief er unruhig vom einen Ende des Raumes zum anderen, machte am Fenster kehrt und ging zurück bis zur Tür. Seine Finger behielt er ebenso in Bewegung, um das Zittern zu ignorieren. Mit Mühe konzentrierte er sich aufs Atmen, holte tief Luft und stieß sie aus, ein Schreien dabei unterdrückend. Die Wände waren ihm viel zu nah. Der Platz reichte ihm nicht. Seine Augen huschten über das spärliche Mobiliar, während er abwog, was davon entbehrlich war, um sich mehr Platz zu schaffen. Er griff nach dem klapprigen Regal neben dem Schreibtisch, doch bevor er es mit einem Ruck zu Fall bringen konnte, schloss sich eine Pranke von Hand um sein Handgelenk und zwang ihn, von seinem Vorhaben abzulassen. In seinem Tunnelblick hatte Boris nicht mitbekommen, wie Sergeij sein Zimmer betreten hatte und in der allgemeinen Überraschung schaffte der Hüne es spielend, ihn in einer Bärenumarmung zu fixieren. Wie Mehlsäcke plumpsten sie vor seinem Bett auf den Boden und Boris war gezwungen stillzuhalten. Trotz des Gefühls, nicht atmen zu können, blieb die Gegenwehr halbherzig, war Boris sehr bewusst, dass der Griff von Sergeij eisern war. Sein widerwilliges Knurren erstarb, als er erschrocken die Luft einzog. Unerwartet hatte ihn etwas Weiches und Kühles an der Stirn getroffen und wurde von Ivan unerbittlich weiter dagegen gedrückt. Irritiert blinzelte er dem Giftzwerg entgegen, der ihn taxierte und schließlich zu dem Ergebnis kam, dass er den Klumpen von Boris' Stirn nehmen konnte. Ivan drückte die Knete bestimmend in seine Hand und verließ anschließend das Zimmer. Statt sich weiter aus Sergeijs Armen winden zu wollen, begann seine Hand wie automatisch die weiche Masse aus ihrer Form zu quetschen. Das Rauschen in seinen Ohren wurde leiser und mit erwartungsvoller Haltung starrte er zur Zimmertür. Ivan ließ nicht lange auf sich warten und kam bewaffnet mit den Kissen aus seinem und Sergeijs Zimmer zurück. Demonstrativ warf er jedes von ihnen einmal auf Boris, bevor er sie an die Seite legte und sich zu seinen beiden Freunden auf den Boden fläzte. Abwartend sah Boris ihn an und zog die Augenbrauen tief zusammen, während er eine Erklärung für diesen Auftritt erwartete. Ivan spürte die Seitenblicke, doch ließ sich nicht von ihm aus der Ruhe bringen. Gelangweilt betrachtete der das Streifenmuster seiner Socken. »Yuriy spricht gerade noch mit Veselov.« In Boris wurde es augenblicklich still. Wie erstarrt saß er da und fühlte, wie seine Kopfhaut zu prickeln begann. Trotz fehlender Erfolgsversprechungen versuchte er sich zu konzentrieren und etwas von außerhalb seines Zimmers wahrzunehmen. Stimmfarben oder andere Geräusche, die einen Schluss darauf gaben, was sich dort abspielte, aber es war ruhig. Irgendwann waren da leise Schritte, die sich auf ihn zubewegten. Gleichmäßig und ohne Eile. Yuriy trat in die Tür und sah auf seine drei Kameraden. Über seine Stirn zogen sich dünne Fältchen, die sich glätteten, als er mit der Hand durch sein Haar strich. »Für heute herrscht Waffenstillstand«, erklärte er und trat mit seinem Kissen unterm Arm in den Raum. Die Tür fiel leise ins Schloss und Yuriy bequemte sich zu den anderen auf den Boden. Der Griff von Sergeij lockerte sich und ließ Boris frei. Da merkte er, wie sich jeder Muskel in seinem Körper wieder entspannt hatte. Nur seine Hand formte weiter die Knete, aber in einem viel gemächlicheren Tempo als vor ein paar Minuten noch. Wo sie alle zusammen hockten, erkannte er die Situation wieder, wie sie bis vor wenigen Tagen vollkommen normal gewesen war, bevor die Anweisung gegeben wurde, in getrennten Zimmern zu schlafen. Sergeij ließ sich einem Baumstamm gleich zur Seite fallen, während Ivan sich mit seinem Kissen im Arm zusammenrollte. Boris fiel dazu nichts ein und wurde von jedem weiteren Gedanken abgelenkt, als er einen gedämpften Schlag in die Seite spürte. Seinen vorwurfsvollen Blick ignorierte Yuriy und klopfte weiter sein Kissen gegen Boris, bevor er sich bequem lang machte. Von Sergeij hörte er bereits ein gleichmäßiges Brummen, während er selbst da saß und den Daumen in das Stück Knete bohrte. »Du brauchst Ruhe«, sagte Yuriy und sah mit wachen Augen zu ihm auf. »Den Rest klären wir morgen.« Boris betrachtete seinen Freund. Mit dem vertrauten Gewicht an seiner Seite und den gewohnten Schlafgeräuschen seiner Freunde um sich, würde er Ruhe finden und schlafen können. Dann war er morgen hoffentlich weniger gereizt, um sich noch mal mit Veselov an einen Tisch zu setzen. Vielleicht würde er um zusätzliche Sitzungen bei seinem Therapeuten bitten. Wenn Yuriy dabei war, fielen ihm diese Dinge leichter. Er nickte und sank in seiner Position zusammen, bis sie einer halbwegs angenehmen Schlafposition entsprach. Sein Arm steckte unter Yuriys Kopfkissen fest und an seinem Handgelenk konnte er dessen Finger spüren. Entspannt atmete er aus, merkte, wie ihn die letzte Unruhe verließ, und schloss die Augen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)