Seelenheil von MarryDeLioncourt ================================================================================ Kapitel 8: Nachwuchs -------------------- Johanna: Am nächsten Morgen ließ ich ihn schlafen und schlich mich aus dem Bett, um das Frühstück vorzubereiten. Wenig später klingelte es auch schon und mein kleiner Wirbelwind kam angestürmt. Doch verkrümelte sie sich gleich in ihr Zimmer, weil sie mit Lukas schon gefrühstückt hatte. „Na, wie war die Party?“ „Gar nicht so übel. Ich hab nette Bekanntschaften gemacht“, grinste ich bis über beide Ohren. „Juka hat mir schon davon erzählt. Sind ganz cool die Jungs, ich hab sie mittlerweile auch schon oft gesehen. Schläft Naoki noch?“ Ich nickte und reichte Lukas einen Kaffee, den wir mit auf die Terrasse nahmen. „Ja, er hat sich dezent abgeschossen. War Alice lieb?“ „Klar. Das glaub ich. Juka war auch nicht mehr ganz nüchtern, als er irgendwann die Nacht kam. Und du?“ „Wie und ich?“ „Naja, hast du nicht auch ein bisschen gefeiert?“ „Doch, nur muss ich mich ja nicht abschießen. Schließlich muss ja einer halbwegs fit sein, wegen Alice und so.“ Eigentlich wollte ich auf Naoki warten, doch vermutlich dauerte das noch eine Weile.        Naoki: Naoki fühlte sich alles andere als in der Lage um aufzustehen, doch das Geräusch nackter kleiner Kinderfüße auf der Treppe riss ihn dann doch vollends aus dem süßen Land der Träume. Das Bett gab etwas nach, als Alice hineinsprang. „Otōsan ga okiru!“, (Papa, aufstehen) flötete ihre zuckersüße glockenhelle Stimme und er blinzelte ihr entgegen. „Mh Onaji.“, (gleich) grummelte er, fischte nach seiner Hose, die irgendwo neben dem Bett lag und zog sie an. „Mama wa chōshoku o tsukurimashita.“ (Mama hat Frühstück gemacht). Als sich Naoki endlich aus dem Bett bequemte, hängte ihm sich Alice an sein linkes Bein und kicherte dabei. Er schnappte das kleine Energiebündel und warf sie auf die Matratze. Alice quietschte auf und lachte noch mehr. Sie hüpfte auf dem Bett herum und wollte zum Sprung ansetzen, da kam ihr Naoki zuvor und warf sie um, um sie durchzukitzeln. Das Mädchen strampelte mit Händen und Füßen. Ihr Lachen hallte mittlerweile durch die ganze Wohnung. „Otōsan o tasukete!“, brachte sie aus zwischen ihrem Lachanfall hervor. (Hilfe Papa, ich bin jetzt lieb). Naoki ließ von ihr ab und nahm sie Huckepack. Sie wollte noch in ihrem Zimmer spielen. Er kochte sich einen Kaffee. Nach Essen war ihm noch nicht. Auf der Terrasse begrüßte er seinen Schwager und setzte sich in die Sonne. „Bist du aus dem Bett gefallen?“, fragte Lukas etwas amüsiert, doch Naoki schüttelte den Kopf. „Ich wurde fast liebevoll geweckt.“ Der Schwarzhaarige zündete sich eine Zigarette an und warf dem anderen Mann einen fragenden Blick zu. Doch dieser verneinte. „Ich hab aufgehört…und vielleicht sollte ich das nächste Mal auch weniger trinken“, murrte er und nippte vorsichtig an seinem Kaffee. „Oh, wie kam es denn dazu?“, erkundigte sich Lukas und Naoki warf seiner Johanna einen prüfenden Blick zu. Sie nickte. „Verantwortung und so. Außerdem sind wir bald zu viert…“ Der überraschte Blick von Jojos Bruder sprach Bände. Da rief Alice von drinnen und Johanna sprang auf. „Krass, freut mich für euch. Hast du dir das auch gut überlegt?“ „Klar. Ich möchte es dieses Mal richtig machen Lukas.“ „Ich bin ein bisschen stolz auf dich. Ehrlichgesagt hätte ich dir nie zugetraut, dass du das mit meiner Schwester so gut auf die Reihe bekommst.“ Die Worte seines Schwagers trafen ihn ein bisschen und er lächelte traurig. „Ja, ich hab viel Mist gebaut und ich hab dir schon einmal versprochen, dass ich Jojo nicht weh tue…trotzdem würde ich dieses Versprechen gern erneuern. Sie bedeutet mir alles, genau wie Alice und unser Baby…und ich wünsche mir, dass du mir irgendwann verzeihen kannst.“ Ein erheitertes Grinsen schob sich auf Lukas Gesicht. „Manchmal hab ich das Gefühl, dass wir uns gar nicht so unähnlich sind…vielleicht bin ich deshalb so empfindlich.“ „Da scheinst du nicht ganz unrecht zu haben…immerhin haben wir uns Mal echt gut verstanden.“ Lukas nickte. „Ja und ich finde, dahin sollten wir zurück Naoki. Du hast in den letzten Monaten mehr als einmal bewiesen, wie sehr dir Jojo am Herzen liegt…also willkommen zurück in der Familie.“ „Danke. Das bedeutet mir sehr viel.“ „Und ganz ehrlich…immerhin bist du der Grund, weshalb mein Schwesterchen hier ist…das habe ich dir zu verdanken.“ „Gern geschehen“, lächelte er. Lukas zog den Blauhaarigen in eine lange Umarmung und insgeheim freute er sich Naoki zurück zu haben, denn gemocht hatte er den anderen Musiker schon immer. Auch wenn er hin und wieder leicht chaotisch war, doch wer konnte von sich behaupten perfekt zu sein?   Johanna: Mein Bruder und Naoki lagen sich in den Armen und dieses Bild rief ein warmes zufriedenes Gefühl in mir hervor. Bedeutete das etwa, dass sich die beiden wieder mochten? Also so richtig? Nicht nur meinetwegen? „Was ist denn bei euch los?“, erkundigte ich mich und zog die Tür hinter mir zu. „Wir haben uns wieder lieb“, antwortete Lukas und lächelte mich an. Ich erwiderte es und legte meine Arme um meine Jungs. „Das freut mich.“ „Na gut ihr zwei, ich geh dann Mal wieder. Juka brauch auch noch ein bisschen Fürsorge“, witzelte mein Bruder.   Der Sommer war nun fast vorbei und mein Bäuchlein wurde immer runder. Ich fühlte mich nicht schlecht, doch war auch weit vom Zustand gut entfernt. Die Wärme setzte mir immer mehr zu und irgendwie hangelte ich mich von einem Fressflash zum nächsten, der nicht all zu selten ein Gang zur Toilette nach sich zog. Durch Naokis Beziehungen hatte ich einen Fotografen kennengelernt, der mit mir in naher Zukunft zusammenarbeiten wollte. Draußen herrschten noch immer nahezu tropische Temperaturen und da Naokis Eltern gerade wieder verreist waren, verbrachten wir viel Zeit in deren Haus. Das kam auch unserer Tochter zugute, denn sie liebte den Pool und mit dem kleinen Junge Akio aus der Nachbarschaft hatte sie schon Bekanntschaft geschlossen, deshalb spielten die beiden gerade sehr oft zusammen. Bei mir handelte es sich jetzt nur noch um Tage und ich fühlte mich ein bisschen wie ein Walross. Alice schien sich mittlerweile mit dem Gedanken angefreundet zu haben bald eine kleine Schwester zu haben. Ja, es würde ein Mädchen werden, wie sich Naoki gewünscht hatte. Der Gedanke ließ mich lächeln. Mein Liebster bestand darauf gerade nur von zu Hause aus zu arbeiten, denn es könnte ja jederzeit so weit sein. Ich wollte mich gerade von meinem Liegestuhl erheben, um mir ein bisschen Obst aufzuschneiden, da schritt Akios Großmutter die Steinstufen zu dem Haus hinauf. Sie winkte mir freundlich zu und ich winkte zurück. „Akio soll zum Essen kommen“, teilte sie mir mit und der Junge gehorchte auf’s Wort. „Bis später Aki-chan!“, rief ihm Alice hinterher. Als die beiden aus unserem Sichtfeld verschwunden waren, nahm ich meinen Weg in die Küche wieder auf. Naoki schaute vom Tisch kurz auf und lächelte, welches ich erwiderte. Ich legte mir ein paar Erdbeeren in eine Schale und fischte mir ein Glas aus dem Schrank. Da durchfuhr meinen Unterleib auf einmal dieser stechende Schmerz und ich wusste, was das bedeutete. Ich ging in die Knie und hielt mir den Bauch. Beinahe wäre mir die Schale aus den Händen geglitten. Mein schöner Mann sprang sofort auf und hielt mich fest. „Alles okay Süße?“ „Mhhh, ich fürchte nicht…vielleicht sollten wir ins Krankenhaus fahren.“ Vor ein paar Tagen hatte ich schon eine Tasche mit den nötigen Sachen zusammengepackt und sie bereit gestellt, falls der Fall X eintreten sollte. Naoki schnappte sich die Tasche, stützte mich und rief Alice zu, dass sie sich etwas anziehen solle. „Was ist Papa?“, fragte unsere Kleine besorgt. „Wir müssen mit Mami ins Krankenhaus fahren. Beeil dich“, beruhigte er sie. Im Auto durchfuhr mich eine zweite Wehe und schmerzhaft verzog ich das Gesicht. Naoki tätschelte meine Hand und versuchte sich seine Nervosität nicht anmerken zu lassen, doch ich kannte ihn gut genug um zu wissen, dass wohl gerade die Nerven mit ihm durchgingen. Deshalb versuchte ich tapfer zu lächeln, auch, wenn die Schmerzen langsam unerträglich wurden. Die nächste Wehe setzte zum Glück erst im Krankenhaus ein, doch die hatte es in sich. Ich krallte mich an Naokis Arm fest, um nicht umzukippen. Sayuri, die ich vom Auto aus irgendwie noch hatte anrufen können, kam schon mit einer Liege geeilt, auf die ich verfrachtet wurde. Bei der nächsten Wehe verlor ich das Bewusstsein und alles um mich herum verschwamm und wurde dunkel.     Naoki: Panik stieg in Naoki auf, als sich Jojos Finger an ihm festkrallten und sie beinahe umkippte. Glücklicherweise verlor Sayuri keine Zeit. Ab jetzt hieß es wohl warten. Wenige Minuten später kam ein Arzt auf ihn zu und wieder erfasste ihn diese Panik. „Sind Sie der Mann der jungen Dame?“ Naoki nickte nur. „Ja…gibt es Probleme?“, fragte er mit zittriger Stimme. „Nichts, was nicht machbar wäre…nur wollte ich sagen, dass sie vermutlich nicht bei der Geburt anwesend sein können, da wir ihre Frau notoperieren müssen. Das Baby hat sich wohl gedreht und kann nicht auf natürlichem Weg zur Welt kommen. Sie dürfen gerne warten. Ich werde später noch Mal zu ihnen kommen.“ Naoki wurde speiübel. Was war, wenn Jojo etwas passierte oder dem Baby? Das würde er nicht ertragen. Heftig biss er sich auf die Unterlippe, setzte sich auf einen der Sessel im Wartebereich und nahm Alice auf seinen Schoß. Sie schaute ihren Papa besorgt an. „Was ist mit Mama?“, fragte sie schließlich. Der Blauhaarige seufzte tief. „Naja…das Baby wird jetzt aus ihrem Bauch geholt…das wird jetzt ein bisschen dauern.“ „Werden die Ärzte Mama weh tun?“ „Sie versuchen ihr Bestes…die machen sowas jeden Tag mein Schatz.“ Auch, wenn er Alice versuchte davon zu überzeugen, dass alles gut werden würde, wusste er selbst nicht so recht, ob das der Wahrheit entsprach. Seine innere Unruhe brachte ihn an seine Grenzen und einerseits vermied er vor seiner Tochter Schwäche zu zeigen, doch dann fragte er sich, ob das nicht auch normal ist? Gehörte es nicht auch zum Leben dazu vor seinen Kindern Schwäche zu zeigen? Schließlich war er auch nur ein Mensch mit Gefühlen und gerade jetzt, da alles so gut lief, war die Angst, all das wieder zu verlieren, am größten. Und jetzt kamen die Tränen doch und Naoki hielt sie nicht mehr zurück. „Papa, warum musst du weinen?“, fragte Alice jetzt auch besorgt. „Ich weiß es nicht mein Schatz…weißt du, ich hab das auch noch nie erlebt, wenn ein Baby auf die Welt kommt…es ist so neu für mich…“ Und als die Worte seine Lippen schon verlassen hatten, wurde ihm die Message dieser Aussage erst klar. Am liebsten hätte er sich die Zunge abgebissen. In seinem Kopf herrschte Chaos und er fühlte sich mit allem auf einmal mehr als überfordert. Deshalb schrieb er Lukas, ob er auf schnellstem Wege ins Krankenhaus kommen könne. Wenn möglich mit Juka. Alice kuschelte sich an ihn und gab ihm einen Kuss auf die feuchte Wange. Dann wischten ihre kleinen Finger seine Tränen weg und sie versuchte seine Mundwinkel zu einem Lächeln hoch zu ziehen, was ihr irgendwie auch gelang. „Aber ich bin doch da…wir warten einfach, bis der Arzt kommt und sagt, dass wir zu Mama können.“ Naoki schlang seine Arme um sein kleines Mädchen und musste erneut schluchzen. „Ja. Solange müssen wir eben warten. Weißt du eigentlich wie lieb ich dich habe mein Schatz?“ Das Mädchen löste sich ein bisschen, um ihren Papa anschauen zu können. „Nein, wie lieb denn?“, fragte sie mit einem neckischen Unterton, der ihn erneut zum Schmunzeln brachte. Manchmal kam es ihm so unwirklich vor, dass dieses kleine wundervolle Mädchen tatsächlich seine Tochter sein sollte. Immerhin war es äußerlich nicht mehr so ganz zu verleugnen, doch würde ihn Alice auch so lieben, wenn sie wüsste, was er früher für ein Mensch gewesen war? Diesen Gedanken schob Naoki schnellstens zur Seite. „Sehr lieb, bis zu den Sterne und wieder zurück.“ „Oh das ist viel…Papa, weißt du, den Akio hab ich auch ein bisschen lieb. Nicht so, wie Mama und dich. Anders hab ich ihn lieb.“ Jetzt grinste Naoki und wischte sich dem Handrücken über die tränenverschmierten Augen. „Und mag er dich auch?“ Alice zuckte mit den Schultern. „Ich glaub schon. Er wollte mir auch schon einen Kuss geben, das wollte ich aber nicht. Und er sagt immer, ich bin seine Freundin.“ „Das ist doch schön. Aber bald, wenn du in die Schule kommst, wirst du auch noch andere Kinder kennenlernen.“ Irgendetwas schien gerade in ihr vorzugehen, denn sie schaute an ihm vorbei, als dächte sie über irgendetwas nach. „Papa…Lukas und Juka sind doch zwei Männer. Können auch zwei Frauen hochzeiten?“ „Klar. Wenn du jemanden lieb hast, so wie ich deine Mama, ist es egal, ob er ein Mann oder eine Frau ist.“ „Und was ist, wenn ich mal ein anderes Mädchen lieb habe?“ Naoki schmunzelte wieder und war auch beeindruckt, über was sich sein Mädchen schon alles Gedanken machte. „Dann ist das so.“ „Bist du mir dann nicht böse?“ „Quatsch. Wie kommst du denn darauf?“ „Naja, weißt du, als ich mit meiner Freundin in Deutschland mal auf dem Spielplatz war, hat ihre Mama Helen zu einer anderen Mama gesagt, sie will, dass Mädchen immer rosa tragen. Sonst sind sie keine richtigen Mädchen. Und der Papa von Susen hat mal gesagt, dass sie nicht mehr mit spielen darf, weil Lukas mit einem anderen Mann zusammen ist.“ „Weißt du Alice, manche Leute sagen das einfach so, weil sie nicht mögen wenn sich zwei Männer oder zwei Frauen lieb haben. Sie finden das komisch.“ „Ich hab dich auch lieb Papa. Zum Glück bist du nicht so komisch wie andere Papas. Oh schau, da kommen Lukas und Juka.“ Alice sprang auf und rannte ihren Onkels in die Arme. Auch Naoki erhob sich und bewegte sich in die Richtung der beiden Männer. Alice letzter Satz löste dieses Gefühl in ihm. Er fühlte sich gebraucht und irgendwie schien es egal zu sein, ob er traurig oder fröhlich war. Seine kleine Tochter liebte ihn und das bedeutete ihm alles. „Was ist los?“, fragte Lukas gleich und der Angesprochene schluckte, die Tränen kamen trotzdem von ganz allein. „Ich weiß es noch nicht…sie ist schon eine Weile im OP…und ich ein nervliches Wrack…“, brach es aus ihm heraus und Lukas zog Naoki in eine Umarmung. „Alles wird gut…Jojo packt das schon…“, redete er ihm zu. „Ich weiß…meinst du, ihr könnt Alice mitnehmen? Ich will nur hier nicht weg, falls es Neuigkeiten gibt.“ Sein Schwager schaute ihn mitfühlend an. „Du bleibst sicher nicht allein hier. Ich frage Juka, ob er mit Alice zu uns fährt.“ „Danke…“ Lukas klärte das mit seinem Mann, der darin kein Problem sah. Sein Töchterchen hingegen schon. Sie löste sich von Juka und rannte zurück zu ihrem Papa. Er hockte sich hin, um mit ihr besser auf einer Höhe sein zu können. „Süße, ich weiß dass du hier bleiben willst, doch ich weiß nicht, wie lange das alles noch dauert. Du kannst solange mit Juka spielen. Ihr könnt ja auch zu uns und du fragst deinen Akio, ob er zu dir kommt. Lukas und ich kommen später nach.“ „Ich will aber bei dir bleiben!“, schimpfte Alice und klammerte sich an ihn. Naoki entfuhr ein tiefes Seufzen. „Das geht aber jetzt nicht. Bitte tue mir den Gefallen und sei lieb.“ „Und wenn Mama was passiert?“ „Mama passiert nichts. Und jetzt geh mit. Wir sehen uns später, versprochen.“ Das Mädchen umarmte ihn lange, gab ihm noch einen Kuss und tat, was ihr Papa von ihr verlangte. Naoki gab Juka den Schlüssel für das Haus seiner Eltern. Erschöpft sank er zurück in den Sessel, in dem er zuvor auch schon gesessen hatte. „Willst du was trinken?“, fragte Lukas. „Eine Cola wäre super“, erwiderte er und wenig später kehrte sein Schwager mit zwei Dosen zurück. Nervös wippte Naoki mit dem Fuß. Wie viel Zeit nun schon verstrichen war und noch immer keine Neuigkeiten. Er vergrub sein Gesicht in den Händen. Da legte sich eine Hand auf seinen Rücken. „Ihr passiert schon nichts…“ „Und was wenn doch? Das dauert schon den halben Tag…ich hab das Gefühl ich dreh gleich durch Lukas…“, wimmerte Naoki sichtlich ratlos. „Vielleicht müssen sie nen Kaiserschnitt machen…das dauert eben…“ Der Blauhaarige seufzte und trank einen Schluck. Endlich kam der Arzt und teilte ihnen mit, dass die OP gut verlaufen sei und Jojo jetzt Besuch empfangen könne. Naoki sprang auf und eilte hinter dem Arzt her. Die Fahrt mit dem Fahrstuhl schien eine halbe Ewigkeit zu dauern. Seine Augen folgten der Displayanzeige. Und im dritten Stock öffnete sich die Tür mit einem leisen: Bing. Die leere Coladose entsorgte er im nächsten Mülleimer. Sein Mädchen lag in einem Einzelzimmer. Aus ihren sonst so rosigen Wangen war jegliche Farbe gewichen, doch sie lächelte und in den Armen hielt sie ein kleines Bündel, von dem nur der Kopf ganz leicht zu sehen war. Naoki schnappte sich einen Stuhl und rutschte zu seiner Jojo, nahm ihr Hand und drückte sie. „Hey Liebling…wie geht es dir?“, fragte er mit erstickter Stimme. „Irgendwie ziemlich erschöpft…willst du Maiyuu hallo sagen?“, fragte sie und deutete auf das kleine Bündel. Vorsichtig schob Naoki den Stoff des Tuches beiseite und zum Vorschein kam ein puppenähnliches kleines Wesen. So zart und lieblich. Dieser Anblick überwältigte ihn vollends und mit etwas zittrigen Händen nahm er sein kleines Mädchen entgegen. Als seine schon fast riesige Hand ihre kleinen Finger berührte, schlossen sie sich darum und Naoki war fasziniert, wie viel Kraft schon in den der kleinen Hand steckte. Er hauchte der Kleinen einen sanften Kuss auf die Stirn. „Kon'nichiwa Maiyuu-chan. Sekai e yōkoso (willkommen in der Welt). Kanojo mo anata to onaji kurai kawaī (du bist so süß wie deine Schwester). Watashi no chīsana on'nanoko (mein kleines Mädchen)“, flüsterte er ihr zu und mit jedem Wort, das er an dieses kleine Wesen richtete, glänzten seine Augen mehr. Als sie ein bisschen zu quengeln anfing, gab er sie Jojo zurück, die sie stillte. Naoki war gefangen zwischen der Schönheit seiner beiden Mädchen und dem erdrückenden Gefühl, dass es seiner liebsten Jojo noch immer nicht gut ging. Sie mussten Höllenqualen erlitten haben und doch wirkte sie zufrieden. Naoki blieb bis zum Abendessen bei ihr, dann wurde er mehr oder weniger rausgeschmissen und ihm fiel es mehr als schwer zu gehen. Seine kleine Schönheit einfach hier im Krankenhaus zu lassen und ohne sie nach Hause zu fahren, fühlte sich so falsch an. Doch zu Hause wartete Alice auf ihn, die sicherlich auch ein bisschen durch den Wind war. Während der Fahrt fiel es ihm nicht leicht sich auf den Verkehr zu konzentrieren. Lukas saß auf dem Beifahrersitz und auch er sagte nicht viel. Als sie am Haus seiner Eltern ankamen und er den Wagen geparkt hatte, stiegen sie schweigend die Treppen zur Terrasse hoch. Sobald seine Kleine ihn erblickte, sprang sie auf und kam in seine Arme gerannt. Ihr munteres Lächeln gab Naoki Kraft und neuen Mut. „Brauchst du noch was?“, fragte Lukas schließlich, doch der Angesprochene schüttelte mit dem Kopf. „Nein danke…ihr habt schon genug getan. Ich denke wir sehen uns die Tage.“ Lukas und Juka verschwanden und Naoki fühlte sich noch immer so hilflos. Jojo war immer der starke Part in ihrer Beziehung, doch jetzt musste er irgendwie allein klarkommen. „Papa, ich hab hunger.“ „Mh und was machen wir da jetzt? Hat dir Juka nichts gekocht?“ „Vorhin wollte ich noch nicht essen. Ich weiß, dass in der anderen Wohnung noch Pizza ist.“ Jetzt musste er lachen. „Pizza klingt ziemlich gut. Dann auf. Ich schließ noch ab, dann können wir los.“ Alice räumte ihre Spielsachen auf und wartete brav an der Treppe.   Im Penthouse heizte Naoki den Ofen vor und zehn Minuten später schob er die Tiefkühlpizza hinein. Erschöpft stützte er seine Ellenbogen auf der Arbeitsplatte ab und vergrub den Kopf in seinen Händen. Da umfingen ihn zwei zierliche Ärmchen. Alice tänzelte um ihn herum. Wenn er jetzt alleine wäre, würde er sich vermutlich abschießen, doch das konnte er unmöglich vor den Augen seiner kleinen Tochter bringen. „Papa, warum bist du traurig?“, fragte sie schließlich und Naoki nahm sie hoch und setzte sie auf die Arbeitsfläche. Sie streichelte über seine Wangen. Dann zuckte er mit den Schultern. „Ich weiß es nicht Süße…ich wünschte deine Mama wäre hier. Die wüsste, was zu tun ist.“ Alice schien einen Moment zu überlegen. „Aber du bist doch auch erwachsen und wenn du nicht weißt, was du machen sollst, frag doch mich“, schlug sie durchaus ernst gemeint vor und brachte ihren Dad zum Lachen. „Was würde ich bloß ohne dich tun. Und was schlägst du vor?“ „Mh, wir können Pizza essen und dann Frozen 2 schauen.“ Naoki verdrehte die Augen. „Seit wann gibt es davon einen zweiten Teil?“ „Seit gestern…bitte Papa…bitte, bitte…“, flehten ihn diese lieblichen Kinderaugen an und wie konnte er da nur widerstehen. Er suchte den Film raus und währenddessen backte die Pizza fertig. Also fläzten sich die beiden auf’s Sofa und ließen sich berieseln. Doch schaffte es Naoki nicht wirklich der Handlung zu folgen, da er immerzu an Jojo denken musste. Er wäre so gern bei ihr nur um aufzupassen, dass ihr nichts passierte. Alice kuschelte sich an ihn und er legte seinen Arm um seine Kleine. „Papa, darf ich bei dir schlafen?“ „Klar. Komm her mein Liebling!“ Das Mädchen sprang auf seinen Arm und ließ sich die Treppe hochtragen. Es dauerte nicht lange, da war sie eingeschlafen, nur Naoki fand keine Ruhe. Hin und wieder wälzte er sich hin und her, doch die Bilder des letzten Tages schwirrten unbeirrt durch seinen Kopf. Wie eine Endlosschleife eines schlechten Filmes. Langsam zog er seinen Arm unter dem Kissen hervor und stand wieder auf. Jojo würde ihn vermutlich auf ewig hassen, doch er wusste sich nicht anders zu helfen. Leise schlich er ins Wohnzimmer, holte ein Glas aus dem Schrank und schenkte etwas vom Whiskey ein. Das erste und auch das zweite leerte er in einem Zug. Dann baute er sich aus seinen letzten Reserven einen Joint und verzog sich damit auf den Balkon. Dort brach er dann zusammen, ließ seinen Gefühlen endlich freien Lauf und auch der Joint trug wenig dazu bei, dass es ihm besser ging. Noch immer trug er nur seine Shorts, in der es jetzt echt ziemlich kalt war. Schließlich holte er seine Gitarre und klimperte ein bisschen darauf herum. Währenddessen trank er immer wieder einen Schluck und so langsam stieg ihm der Alkohol zu Kopf. Die Melodie und der Text flossen wie von alleine und es hörte sich sehr traurig an. Nach einer Weile weckte der den halbaufgerauchten Joint wieder zum Leben. Er öffnete die Tür einen Spalt und horchte, ob Alice noch schlief. Kein Ton, scheinbar noch alles okay. Auch, wenn er wusste, dass er diesen Aussetzer morgen bitter bereuen würde, trank er noch mehr. Den Text schrieb er auf ein leeres Blatt, vielleicht konnte er daraus tatsächlich ein brauchbares Musikstück komponieren. Naoki spielte mit seinem Handy herum und dann verfasste er eine Nachricht an seinen Bruder. Wie schon so viele Male, wenn es ihm mies ging. Ob es ihm Haruto manchmal übel nahm, das er sich nur meldete, wenn er sich beschissen fühlte und ihm dann die Ohren vollheulte? Haruto stand wenig später vor seiner Haustür, wie immer eben. Manche Dinge schienen sich wohl nie zu ändern. Etwas benommen ließ er ihn ein. „Oh oh, was hast du angestellt? Ich dachte du bist verheiratet und vernünftig geworden“, sagte Haruto mit diesem mahnenden Unterton in der Stimme. Doch Naoki ignorierte diesen, fiel seinem großen Bruder um den Hals und schluchzte. Behutsam strich er dem Jüngeren über den Rücken. Als erstes nahm er Naoki die Whiskeyflasche weg und delegierte ihn zum Sofa. Mit stockender brüchiger Stimme erzählte er ihm, was passiert war. „Und deshalb hockst du jetzt hier und betrinkst dich?“ „Ziemlich erbärmlich, was?“ Haruto seufzte. „Nicht wirklich. Ich stell mir das echt heftig vor. Schläft Alice?“ „Ja oben…Jojo killt mich, wenn sie davon erfährt…ich bin ein so miserabler Vater Haru…“ Der Ältere lächelte seinen kleinen Bruder liebevoll an. „Nein bist du nicht. Du bist der coolste Dad, den ich kenne Naoki. Und jetzt gehst du noch Mal Zähne putzen und legst dich wieder ins Bett. Ich penn die Nacht hier, wenn du magst.“ Naoki umarmte den Älteren und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Du bist der Beste…ich bring dir noch Bettzeug.“ Er holte die Bettwäsche und brachte sie zum Sofa. Dann verschwand er kurz im Bad, putzte seine Zähne und legte sich wieder ins Bett. Alice schien von dem ganzen Dilemma nichts mitbekommen zu haben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)