Seelenheil von MarryDeLioncourt ================================================================================ Kapitel 5: Kompromisse und eine Überraschung -------------------------------------------- Während des Fluges hatte ich kaum ein Auge zu bekommen und fühlte mich deshalb jetzt ziemlich gerädert. Die Hälfte meiner Klamotten hatte ich in Deutschland lassen müssen, doch Jule versprach sie nachzuschicken. Erschöpft ließ ich die Koffer im Flur stehen und fiel auf’s Sofa. Naoki reichte mir ein Glas Wasser und brachte unser Gepäck die Treppe hoch zum Schlafzimmer. Die Penthousewohnung bot um einiges weniger Platz, als meine Haushälfte in Deutschland, doch es reichte für uns drei. Ich mochte das große Wohnzimmer mit der offenen Küche und auch das Badezimmer gefiel mir. Außerdem bot unser Balkon eine atemberaubende Sicht auf Tokio und im hintersten Eck des Wohnzimmers hatte sich Naoki ein kleines Aufnahmestudio eingerichtet. Ich genoss die Kühle, denn trotz Penthouse schien das Gebäude gut isoliert zu sein. Da fiel mir auf einmal ein, dass ich Alice Zimmer noch gar nicht gesehen hatte. Ich kannte diesen Raum nur als Gästezimmer. Also erhob ich meine müden Glieder und schaute nach, was meine beiden Liebsten so trieben. Sie räumten gerade ihren Schrank ein. Die Wände im Kinderzimmer waren fliederfarben gestrichen und an der Wand über Alice ihrem Bett hing ein grünes Moskitonetz, wie ein Prinzessinnenbett, dachte ich. An der Wand gegenüber waren verschiedene Figuren aufgemalt. Das kunterbunte Bild passte so perfekt zu unserem kleinen Schatz und bei genauerem Betrachten stellte ich fest, dass es sich um Figuren aus Alice um Wunderland handelte. Die Grinsekatze auf dem Baum, Alice mit der Raupe, beide Königinnen und die Zwillinge sowie die Teegesellschaft des verrückten Hutmachers. „Hast du das gemalt?“, fragte ich Naoki. Lachend schüttelte er den Kopf. „Wenn es eine Sache gibt, die ich nicht kann, ist es zeichnen…das war Lukas. Er saß fast eine ganze Woche an dem Bild.“ „Wow…es ist perfekt.“ Mein Liebster legte seine Arme um mich. „Wie du.“ „Schleimer“, ärgerte ich ihn und er schnappte spielerisch nach meiner Unterlippe. „Mama, fahren wir am Wochenende ins Disneyland?“ „Hast du ihr diesen Flo schon wieder ins Ohr gesetzt?“ Entschuldigend hob Naoki die Hände. „Ich bin unschuldig, ich schwöre es.“ „Lukas und Juka wollen dahin“, klärte uns Alice auf. Aha. „Können wir gerne tun…ich glaub ich ruhe mich noch ein wenig aus. Irgendwie bin ich platt.“ Naoki küsste mich zaghaft auf die Stirn. „Alles klar. Sag Bescheid, wenn du was brauchst.“ Ich nickte nur und ging die Wendeltreppe empor zur zweiten Ebene, wo sich das Schlafzimmer befand. Hier hatte ich mein erstes Mal mit Naoki erlebt. Der Gedanke bereitete mir einen Schauder, doch im positiven Sinne. Ich ließ mich ins Bett fallen und schaute aus dem großen Fenster. Moment Mal, war die Decke schon immer verspiegelt? Daran erinnerte ich mich nicht. Genauso so wenig wie an den kleinen Balkon, der vom Schlafzimmer ins Freie führte. Dieser Kerl war weitaus verrückter, als ich bisher angenommen hatte, doch ich schmunzelte. Wieder verglich ich unbewusst meine jetzige Beziehung mit der davor und stellte nicht zum ersten Mal erleichtert fest, dass ich froh war, diesen Schritt gewagt zu haben. Langsam dämmerte ich weg und driftete hinüber in die Traumwelt.   Naoki: Alice war noch immer damit beschäftigt ihre Sachen in den Schrank einzuräumen und Ordnung in ihrem Zimmer zu schaffen. Naoki ließ sie deshalb allein und widmete sich seiner Musik. Doch wenige Minuten später stand sein kleiner Engel wieder neben ihm. Da kam ihm auf einmal eine Idee. Er nahm das Mädchen auf seinen Schoß. „Willst du auch eine Strophe singen?“, fragte er und das Leuchten in ihren Augen verriet die Antwort schon. „Also pass auf. Du musst singen: Dreaming of a world. I can hear the future calling me. Only a believer gets to see. 何もかも 超えて. A place where we unite. 僕がだけが 見える未来 . It started with the BANG! Bekommst du das hin?“ Alice nickte eifrig und übte den Text noch ein paar Mal mit ihrem Papa zusammen. Dann drehte er das Mikrofon auf ihre Höhe runter, setzte ihr die Kopfhörer auf und gab ihr das Zeichen zum Einsatz. Sein Herz blühte auf, als sein kleines Mädchen den Text nahezu perfekt sang und dabei eine solche Energie ausstrahlte, dass es ihn fast zu Tränen rührte. Er begleitete sie mit der Akustikgitarre. „Okay Süße, das war schon sehr gut…bekommst du das noch Mal hin?“ Alice nickte und trällerte erneut den Text, dabei schloss sie die Augen und bewegte ihre Hände dazu. Überwältigt schüttelte er den Kopf und winkte sie wieder zu sich. „Komm ich jetzt auf dein Album Papa?“, fragte sie schließlich. „Möchtest du das denn?“ „Unbedingt.“ „Mh, dann würde ich sagen, kommst du morgen mit mir ins Studio. Da werden Lukas und Juka sicher staunen, wenn sie dich so singen hören.“ „Glaubst du?“ „Klar. Du bist ein kleiner Star.“ Lächelnd kam Jojo die Treppe herunter. „Machst du einen Rockstar aus unserer Kleinen?“ „Hast du mich gehört Mama?“ „Ja das hab ich. Und ich bin wirklich beeindruckt. Wo hast du so singen gelernt?“ Etwas verlegen schaute sie zwischen ihren Eltern hin und her. „Hab manchmal ein bisschen mit Papa geübt“, gestand sie und Jojo lächelte nur. „Das ist schön Kleines. Und ich finde jetzt sollte uns Papa was zum Essen kochen“, richtete sie sich an Naoki. „Ach ja? Sollte er das? Was bekomm ich dafür?“ „Mh, das klären wir später“, flüsterte sie ihm zu und er grinste süffisant.   Lukas: Heute war wieder einer der Tage, an denen es ihm schlechter ging, als er sich selbst eingestehen wollte. Er verzog sich mit seinem Kaffee auf die Terrasse, um eine zu rauchen. Immer wieder schaffte es seine Mutter ihn zu verletzten und das seit Jahren. Wütend ballten sich seine Hände zu Fäusten. Er hasste sie so sehr und fragte sich, ob es irgendwann aufhörte, dass diese Frau sich in sein Leben einmischte. Er band seine Haare zu einer Art Knoten zusammen und strich sich über seine kurzen Seiten, die er erst gestern wieder getrimmt hatte. Da draußen sommerliche Temperaturen herrschten, entschloss sich Lukas, seine luftige Aladdinhose mit den grünen und schwarzen Mustern anzuziehen. Dann schlüpfte er noch in eines seiner unzähligen Totenkopfshirts, steckte den Schlüssel und sein Handy in die Umhängetasche und begab sich auf den Weg zur Arbeit. Dort erwartete ihn eine kleine Überraschung. Auch Naoki und Alice hatten sich dort eingefunden und scheinbar wollte seine kleine Nichte auch in die Fußstapfen ihres Daddys treten. Irgendwie erfüllte ihn das mit Stolz. Seine Kollegen begrüßten ihn freundlich und Lukas begab sich in den Aufnahmeraum. Juka drehte sich um und lächelte, als er seinen Mann erblickte. „Hoher Besuch heute“, stellte der Schwarzhaarige fest. „Ja, ich war auch sehr überrascht…scheinbar haben deine Schwester und Naoki ein kleines Naturtalent in die Welt gesetzt.“ Lukas grinste und nickte. Nachdem die Aufnahme im Kasten war, feilte Lukas noch an seinen eigenen Songs. Natürlich wollte seine kleine Nichte unbedingt bleiben, um ihm zuzuhören. Seine Stimmung, um seiner düsteren Musik Ausdruck zu verleihen, passte perfekt. Wie so oft verlor er sich in den Songs und damit waren die ersten Takes des neuen Albums im Kasten. „Ich geh kurz eine rauchen“, sagte er zu seinem Liebsten und jetzt schien auch Juka zu merken, in welcher Stimmung sich sein schöner Mann befand. Sie ließen Naoki und Alice kurz allein. In dem kleinen Innenhof lehnte sich Lukas an die Wand und schob sich eine Zigarette zwischen seine gepiercten Lippen. „Alles okay?“, fragte ihn sein Juka, doch er zuckt nur mit den Schultern und nahm einen tiefen Zug. „Das übliche und es nervt mich, dass es mich auch nach Jahren noch so trifft…ich will dir jetzt nich die Ohren vollheulen…du kannst auch gern wieder hoch, immerhin gibt’s noch genug Arbeit.“ Juka schob seine Hände unter Lukas Shirt und hauchte ein Kuss auf dessen Stirn. „Luki, ich höre mir das auch zum tausensten Mal an…du weißt doch, wie ich es finde, wenn du alles in dich rein frisst…“ Früher wäre der Japaner viel sensibler mit seinem Schatz umgesprungen, doch mittlerweile wusste er nur zu gut, dass er ihm alles erzählte und Juka spürte schon nach der Abreise aus Deutschland, dass das Aufeinandertreffen von Lukas und seinen Eltern alte Wunden wieder hatte aufbrechen lassen. „Ich weiß und dafür liebe ich dich, aber ich mag gerade echt nich drüber reden…“ Juka hob seine rechte Augenbraue. „Echt nicht? Ganz sicher?“ „Nein, echt nich“, lachte der Angesprochene jetzt und die Hände seines Mannes machten ihn schon wieder ganz kirre. „Und falls doch, sagst du Bescheid…“, wisperte er ihm zu und senkte seine Lippen auf Lukas Mund. Der Kuss trug nicht gerade dazu bei, um seine Lust zu dämpfen, deshalb schob er seinen Liebling sachte ein Stück von sich weg. „Ich fürchte, wir hatten schon wieder viel zu lange keinen Sex.“ „Mh, vorgestern“, überlegte Juka und schaute in diese smaragdgrünen Augen seines Schatzes, die ihm auch noch nach Jahren den Verstand raubten. „Sag ich ja, viel zu lang“, antwortete Lukas und zog Juka in einen nicht ganz so jugendfreien Kuss. „Süßer, ich fürchte, das muss bis heute Abend warten…“ „Wir könnten auch in dein Büro gehen“, schlug Lukas vor und grinste verführerisch. „Das wird langsam irgendwie zur Gewohnheit…aber ich kann dir einfach nicht widerstehen…“, flötete Juka und kam dem Wunsch seines Mannes nach.   Jojo: Naokis Tour stand bevor und da wollte er Alice und mich unbedingt dabei haben, was ich irgendwie ziemlich süß fand. Mein Bruder hatte damit mehr als richtig gelegen, dass ich das verrückte Tokio irgendwann lieben lernen würde, denn das tat ich mittlerweile. Die letzten drei Monate vergingen wie im Fluge und auch meinen Japanischkurs besuchte ich brav. Naoki hatte mich unbedingt in seinem Video dabeihaben wollen, doch musste ich feststellen, dass er einen harten Trainer abgab und nicht anders mit mir umsprang, nur weil ich seine Frau war. Es fiel mir manchmal schwer, ihn während des Unterrichts nicht die ganze Zeit anzuschmachten, wenn er uns vortanzte und dabei einfach nur umwerfend schön aussah. Mit den anderen Tänzern unterhielt ich mich meist auf Englisch oder testete hin und wieder, wie gut mein Japanisch schon war. Wir verstanden uns super und da alle wussten, dass ich mit dem Chef liiert war, gab es da auch keine Komplikationen. Wir respektierten uns und irgendwie wuchs mir unsere kleine Truppe ans Herz. Sie wurden mehr und mehr zu Freunden, die mich liebten und akzeptierten. Mit Miyu, einer der Mädels verstand ich mich besonders gut und wir unternahmen auch hin und wieder etwas zusammen. Sie hatte einen totalen Narren an Alice gefressen und wünschte sich selbst so gern Nachwuchs, doch fehlte ihr noch der richtige Partner. Als wir wieder einmal mitten in der Tanzstunde waren und Naoki uns ganz schön ran nahm, fühlte ich mich plötzlich unwohl. Mir wurde speiübel und mein Kreislauf beschloss völlig verrückt zu spielen. Ich rannte zu den Toiletten und kam gerade noch rechtzeitig dort an, denn wäre ich eine Sekunde zu spät gewesen, hätte sich mein Mageninhalt vermutlich vor dem Klo verteilt. Ich hielt mir mit zittrigen Händen die Haare zurück und erneut musste ich mich übergeben. Ich hörte, wie die Tür hektisch auf und wieder zugeschlagen wurde. „Jojo, ist alles okay?“, fragte mich Miyu besorgt. „Mh, bin nicht sicher“, antwortete ich und erlag ein drittes Mal meiner Kotzattacke. Doch jetzt fühlte ich mich ein wenig besser. Ich zog mich an der Wand hoch, spülte und kam aus der Kabine. Meine Freundin stützte mich und führte mich zum Waschbecken. Dort säuberte ich mich ein bisschen und wir kehrten in den Trainingsraum zurück. Doch der war wie leergefegt. Sogleich eilte mein schöner Mann zu mir und beäugte mich mit sorgenvoller Miene. „Süße, was ist los? Du wirst doch nicht etwa krank?“ Krank? Auf einmal beschlich mich eine leise Vorahnung, was mit mir los sein könnte, denn dasselbe Szenario kam mir mehr als bekannt vor. Und meine Periode hätte auch schon längst einsetzen müssen. Etwas nervös kaute ich auf meiner Unterlippe umher. Auch Miyus besorgter Blick ruhte noch immer auf mir. Beide schienen auf eine Antwort meinerseits zu warten. „Kannst du mit mir zu Sayuri ins Krankenhaus fahren?“, fragte ich Naoki und jetzt verwandelte sich seine Sorge in Panik. Jukas Schwester arbeitete mittlerweile als Frauenärztin im Krankenhaus und sie hatte gesagt, egal, was sei, ich könne immer zu ihr kommen. Mein Liebster erfasste meine Hände und küsste sie. „Wenn du mir vorher sagst, was los ist mein Herz? Ich dreh sonst durch.“ Seine Sorge berührte mich zutiefst, deshalb lächelte ich ihn liebevoll an. „Du weißt schon welche Art von Ärztin Sayuri ist oder?“, fragte ich deshalb ein bisschen amüsiert und jetzt schien auch bei Naoki der Groschen zu fallen. Seine Augen weiteten sich und seine Kinnlade klappte nach unten. Die arme Miyu schien nur noch Bahnhof zu verstehen. „Du meinst…du…bist…?“, fragte er vorsichtig nach und ich nickte. „Ja, vermutlich bin ich schwanger.“ Meiner Freundin entfuhr ein erfreutes Quietschen und mein liebster Mann, hob mich hoch und wirbelte mich durch die Luft. Behutsam setzte er mich wieder ab und wir packten unsere Sachen. Miyu war so lieb und telefonierte mit Sayuri, die meinte, sie würde auf uns warten. Dann verabschiedete sie sich von uns und wir stiegen ins Auto. Nervös trommelte mein Liebster mit den Fingern auf dem Lenkrad herum und schob sich seine Sonnenbrille wieder auf die Nase. „Du findest es also nicht schlimm?“, erkundigte ich mich bei ihm. Naoki biss sich auf die Unterlippe und schüttelte mit dem Kopf. „Warum sollte ich es schlimm finden?“ „Keine Ahnung, weil…ich weiß es nicht…“, gestand ich, weil mir tatsächlich kein triftiger Grund einfiel. Wir suchten eine Parklücke und ich hakte mich bei meinem Liebsten unter. Immer wieder suchte sein Blick den meinen und darin fand ich so unendlich viel Vertrauen. Jukas Schwester bat mich, auf der Liege platz zu nehmen und drehte den Monitor in unsere Richtung. Dort konnten wir dann via Ultraschall erkennen, dass mich mein Gefühl nicht getäuscht hatte. „Du bist knapp über den ersten Monat hinaus…oh Jojo, ich freu mich sehr. Ich lege eine Akte für dich an und du kommst jetzt regelmäßig. Falls ich keinen Dienst hab, rufst du mich auch an. Ich kümmere mich darum.“ Ich erhob mich wieder. „Danke. Dann, bis bald würde ich sagen.“ Sayuri lächelte mich an und umarmte mich kurz. Naoki war verdächtig still geworden und ich fragte mich, was ihm wohl durch den Kopf ging. Seine Eltern passten heute auf Alice auf und würden sie heute Abend zu uns bringen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)