Ich, er und die Liebe von Maginisha ================================================================================ Kapitel 38: Von vergangenem Kummer und momentanem Glück ------------------------------------------------------- Die Parkplatzsuche gestaltete sich beim zweiten Versuch sehr viel einfacher. Das lag vor allem daran, dass Julius einfach in ein Parkhaus mit absolut horrenden Gebühren fuhr. Als ich ihn darauf aufmerksam machte, winkte er jedoch ab. „Du kriegst hier sonst kaum was und ich hab keine Lust, mich wegen irgendwelche abgelaufener Parkscheine beeilen zu müssen. Ich will die Zeit mit dir lieber genießen.“   Als wir das Parkhaus verließen, eröffnete sich der Blick auf ein riesiges Wasserbecken, in dessen Mitte eine gigantische Fontäne unermüdlich das kühle Nass in die Luft schleuderte. Und nicht nur der Wasserstrom riss nicht ab. Es sah aus, als wäre irgendwo auch eine gewaltige Tüte Menschen geplatzt und hätte sich ausgerechnet hier über die Stadt ergossen. Da war wirklich kaum Platz zwischen den vielen sich drängelnden Spaziergängern. Julius steuerte dieses Mal allerdings nicht das Wasser an, sondern zog mich weiter zwischen die umliegenden Gebäude. Wir liefen eine Weile, überquerten zwei Ampeln und standen dann plötzlich auf einer riesigen Einkaufsmeile. Und wenn ich riesig sage, dann meine ich riesig. Das hier war quasi eine vierspurige Shopping-Autobahn. Ich stöhnte. Innerlich und äußerlich. „Du willst jetzt aber nicht shoppen gehen, oder?“ „Was denn?“, neckte er mich. „Du bist schwul und gehst nicht gerne shoppen?“ „Nee, du etwa?“ „Es hält sich in Grenzen.“   Dessen ungeachtet begannen wir trotzdem, in gemächlichem Tempo durch die Stadt zu bummeln. Es war wirklich unglaublich, was die Leute hier alles durch die Gegend schleppten. Einmal kam uns sogar ein Mann mit einem Paar Skier entgegen, was immer er zu dieser Jahreszeit auch damit wollte. Vorherrschend waren allerdings allerhand Taschen und Täschchen der verschiedensten Bekleidungsgeschäfte und Schuhläden und natürlich gab es auch jede Menge Leute, die ebenso wie wir einfach nur mit leeren Händen unterwegs waren. „Der Wahnsinn“, entfuhr es mir, nachdem wir eine gefühlte Stunde lang nur herumgelaufen waren und jetzt im Eingang des wohl größten Buchladens standen, den ich je gesehen hatte. Während ich sofort losstürzte, um in der schier unendlichen Vielfalt an Gedrucktem nach neuem Lesestoff zu suchen, zog sich Julius heimlich, still und leise in die Kinderecke zurück. Ganz kurz überlegte ich noch, ob ich jetzt ein schlechtes Gewissen haben musste, aber dann tauchte auf einmal die Science-Fiction- und Fantasy-Abteilung vor mir auf und ich vergaß, was ich hatte denken wollen. Meine Güte, was für eine Auswahl …     Als ich einige Zeit später reumütig zu Julius zurückschlich, unterhielt er sich gerade angeregt mit einem kleinen Mädchen über die Raupe Nimmersatt. Die Mutter, die das Ganze offenbar aus einiger Entfernung kritisch beäugt hatte, entspannte sich bei meinem Auftauchen sichtbar. Sie lächelte uns zu und rief dann das Mädchen zu sich, um eine ganze Reihe von Büchern zur Kasse zu tragen. Julius sah ihr nach und ein freudloses Lächeln verzog seine Lippen. „Tja, siehst du. Manchmal können Vorurteile auch nützlich sein.“ „Zum Beispiel?“ „Wenn du schwul bist, macht sich keiner mehr Sorgen, dass du dich an den kleinen Mädchen vergreifst.“ Ich lachte, bevor er hinzusetzte: „Dann geht es nämlich auf einmal um die kleinen Jungs.“   Ich sah ihn grummelig an und er machte ein zerknirschtes Gesicht.   „Tut mir leid. Ich hab nur vorhin bei Lali darüber nachgedacht, wie es wohl wäre, später mal ein eigenes Kind zu haben. Aber eigentlich weiß ich gar nicht, ob das wirklich so eine gute Idee wäre.“ „Warum nicht? Du wärst bestimmt ein toller Vater.“   Er lachte. „Meinst du? Na ich weiß nicht. Vor allem hätte das Kind dann ja gleich zwei davon und ob das nun so super ist.“   Ich runzelte die Stirn. „Wie meinst du das?“   „Na, stell dir das doch mal vor. Das geht doch schon im Kindergarten los. Was meinst du denn, wie lange es dauert, bis die Frage 'Wo ist denn deine Mama?' auftaucht? Dass Babys nicht auf Bäumen wachsen, wissen heutzutage schließlich schon die Kleinsten. Von deren Eltern ganz zu schweigen. Und selbst wenn die Sache dann mit 'Ich hab eben zwei Papas' geklärt ist, werden Kinder älter. Sie verbringen den größten Teil ihres Tages mit unglaublich grausamen Menschen, nämlich mit anderen Kindern. Die Sprüche, die dann später in der Pubertät dazukommen, muss ich dir ja wohl nicht bildlich vor Augen führen. Ich weiß nicht, ob man einem Kind das zumuten sollte. Das kann dich doch eigentlich nur dafür hassen, dass du ihm mit voller Absicht den gleichen Scheiß antust, den du selbstschon durchhast.“   Julius unterbrach sich und schüttelte den Kopf. „Tut mir leid. Ich weiß nicht, was heute mit mir los ist. Ich hab mich so auf diesen Tag gefreut und jetzt mache ich irgendwie alles kaputt.“   Ich trat ein Stück näher und nahm seine Hand. Hier achtete gerade sowieso keiner auf uns. „Quatsch. Du machst gar nichts kaputt.“   Er schüttelte noch einmal den Kopf.   „Wahrscheinlich liegt es einfach am Wetter.“ Er lächelte matt. „Komm. Ich hab dir doch noch eine Überraschung versprochen.“ „Ach, das Shopping war nicht die Überraschung?“ „Wo denkst du hin? Die liegt aber gleich hier um die Ecke. Du wirst staunen.“     Tatsächlich erwartete mich die „Überraschung“ gleich zwei Querstraßen weiter. Es war ein Café, vor dem auf dem Bürgersteig einige Tische und Stühle aufgestellt waren. Komischerweise waren die nicht alle besetzt. Stattdessen steppte drinnen der Bär.   „Los, komm mit rein.“   Julius fasste nach meiner Hand und zog mich nach drinnen. Als wir die Glastür passierten, schlug uns reges Stimmengewirr entgegen. Es war wirklich ziemlich voll. Und schon im nächsten Moment sah ich, warum wir hier waren. An einem Tisch saßen zwei Kerle. Und knutschten. Also eigentlich war es ein sehr zivilisierter Kuss, wenn wir mal ehrlich sind. Ich starrte sie trotzdem an, wie ne Kuh, wenn’s donnert, bis Julius mich anstieß. „Findest du das nicht ein bisschen unhöflich?“ „Äh, ja, natürlich.“   Oh man, war das peinlich. Ich benahm mich ja kein Stück besser als irgendwelche Heteros. Wobei das jetzt bitte nicht als Schimpfwort zu verstehen ist. Ich war einfach so überrascht. „Komm, da hinten ist noch was frei.“   Ich ließ mich zu einem Tisch bringen und saß nur kurze Zeit später auf einer braunen, ledernen Sitzbank, während mich Julius von der anderen Seite des Tisches vergnügt anfunkelte. Als der Kellner kam, um uns die Karten zu bringen, grinste er umso breiter. „Na, ihr zwei Hübschen. Wisst ihr schon, was ihr trinken wollt?“ „Milchkaffee“, antwortete Julius und sah zu mir rüber. „Äh … ne Cola.“ „Zum Kuchen?“ „Was für Kuchen?“   Der Ober schnalzte mit der Zunge. „Du bist wohl neu hier. Was dein Freund sicherlich meint, ist, dass du unmöglich gehen kannst, ohne was von unseren leckeren, selbstgebackenen Kuchen zu probieren. Ich würde übrigens die Rhabarber-Baiser-Torte nehmen. Die ist wirklich köstlich.“   Julius sah mich fragend an. „Willst du welche? Der Käsekuchen ist auch zu empfehlen.“ „Dann nehme ich den.“ „Zweimal“, machte Julius die Bestellung komplett. Als der Kellner weg war, griff er über den Tisch hinweg nach meiner Hand. „Und? Hab ich zu viel versprochen?“   Ich sah mich um. Optisch machte das Café jetzt nicht unbedingt was her. Also es war hübsch. Die Wände waren in einem mittleren Beige gestrichen, die Möbel in dunklem Holz gehalten, deren Farbton sich in einigen Wandtatoos mit kaffeehaltigen Themen wiederfand. Es gab eine große Glastheke, in der die angekündigten Kuchen und Torten aufgebahrt waren, dahinter standen zwei chromglänzende Kaffeeautomaten, ein gut ausgestattetes Flaschenregal und zwei rührige Kellner sowie eine Dame mittleren Alters, die offenbar die Herrschaft über die Kasse innehatte. Im Grunde war das Einzige, was es von jedem anderen Café unterschied die Tatsache, dass hier tatsächlich auffallend oft zwei Männer – oder eben Frauen – zusammen am Tisch saßen die ziemlich offensichtlich ein Paar waren. Hier und da saß auch jemand allein am Tisch, ob auf jemanden wartend oder vielleicht in der Hoffnung, dass sich jemand interessiertes dazu setzte, war auf den ersten Blick nicht erkennbar. Während ich noch schaute und dabei mit Julius Händchen hielt, kam bereits unsere Bestellung. Zwei riesige Stücke Käsekuchen. Mit Sahne. Ich stöhnte ein wenig.   „Du willst mich wohl mästen.“ „Musst ja nicht alles essen.“ „Bist du verrückt? Das ist Käsekuchen. Den kann ich doch nicht liegenlassen.“   Der erste Biss bestätigte mir, dass ich das wirklich nicht konnte. Der war so gut.   „Ich glaube, ich bin gestorben und in den Himmel gekommen.“ „Ich sagte ja, dass er lecker ist.“   Julius schmunzelte und steckte sich ebenfalls ein Stück Kuchen in den Mund. Dabei wirkte er entspannt wie schon den ganzen Tag nicht. Ich fragte mich …   „Warst du schon mal hier?“   Er verschluckte sich beinahe an seinem Kaffee.   „Wie kommst du darauf.“ „Na, weil du wusstest, dass der Kuchen so gut ist.“ „Könnte ich ja auch im Internet gelesen haben.“ „Mhm, nein. Das passt nicht zu dir.“   Er piekste noch ein winziges Stückchen Kuchen auf, steckte es aber nicht in den Mund, sondern betrachtete es nachdenklich. Schließlich seufzte er und legte die Gabel weg.   „Ja, ich war schon mal hier“, gab er zu. „Mit dem Kerl, von dem du mir erzählt hast?“   Er sah mich nicht an, sondern nickte nur.   „Ist ne Weile her.“ „Wie lange?“ „Ein Jahr ungefähr. Etwa genauso lange, wie wir vorher zusammen waren. Ich hatte immer gedacht … “ Er brach ab und sah mich entschuldigend an.   „Ich sollte nicht von irgendwelchen Exfreunden erzählen.“ Ich grinste ihn an. „Ach, gleiches Recht für alle. Immerhin kennst du ja auch alle meine Verflossenen.“ „Die Liste ist aber ausnehmend kurz.“ „Ist deine so viel länger?“ Er seufzte und fing nun doch an, seinen Kuchen zu essen.   „Nicht wirklich. Also da waren ein paar, aber nichts Ernstes. Nach der Sache an meiner Schule habe ich eine Weile gebraucht, um ich wieder zu fangen. Aber irgendwann wollte ich dann wenigstens was davon haben, dass alle Welt Bescheid wusste. Ich bin in Bars gegangen, Diskos, von denen ich wusste, dass sich dort Schwule treffen. Bin am Wochenende hier nach Hamburg gefahren, um mich auszuprobieren. Allerdings habe ich schnell gemerkt, dass das nicht meine Welt ist. Die meisten, die ich dort kennengelernt habe, wollte nur das Eine. Und sie wollten es auf eine Weise, die mir nicht gefiel. Es war nicht ganz schlecht, aber nicht das, wonach ich mich sehnte. Also hab ich mich im Internet umgesehen. Über eine Webseite habe ich dann jemanden kennengelernt. Er suchte eine diskrete Bekanntschaft. Wahrscheinlich hätte mir das schon komisch vorkommen sollen. Allerdings fand ich seine Anzeige so ansprechend, vor allem weil er gleich klarstellte, dass er nicht … nun ja … aufs Ganze gehen wollte. Viele, bei denen ich das vorher zur Sprache brachte, reagierten sofort ablehnend. Ganz oder gar nicht schien überall das Motto zu sein. Aber er war anders. Wir chatteten eine Weile, doch irgendwann wurde die Neugier auf ein Treffen zu groß.“   Julius machte eine Pause, um an seinem Kaffee zu nippen. Als er weitersprach, waren seine Augen in weite Ferne gerichtet. „Es harmonierte perfekt zwischen uns. Er war ein ganzes Stück älter als ich, aber das störte mich nicht. Auch dass wir uns immer nur alle paar Wochen an versteckten Orten treffen konnten, kam mir nicht komisch vor. Ich dachte, er sei eben nicht offiziell geoutet, zumal er irgendeinen einflussreicheren Posten zu haben schien, von dem er jedoch nie sprach. Wenn wir uns trafen, ging es immer nur um uns beide. Wir verbrachten allmählich mehr Zeit miteinander, fuhren sogar mal ein Wochenende zusammen weg. Drei volle Tage nur für uns. Es war toll. Doch irgendetwas verschwieg er mir und je länger es ging, desto misstrauischer wurde ich. Bis ich ihn irgendwann vor die Wahl stellte, mir endlich die Wahrheit zu sagen oder mich zu verlieren. Er versuchte zunächst noch mir auszuweichen, sich mit seiner Arbeit herauszureden, bis er mir schließlich auf den Kopf zusagte, dass er verheiratet sei und nicht vorhabe, seine Frau zu verlassen.“   Ich holte tief Luft. „Ist nicht dein Ernst? So ein Arsch!“   „Tja, das dachte ich auch. Ich wollte sofort mit ihm Schluss machen, aber es ging nicht. Die Sehnsucht war zu groß. Also tat ich etwas sehr Dummes. Ich fand heraus, wo er wohnte, und wollte ihn dort zur Rede stellen. Wollte ihm seine Ehe ruinieren, weil ich mir einbildete, dass er dann endlich zu mir stehen würde. Dass wir endlich glücklich miteinander sein würden, wenn er aufhörte, in dieser Lüge zu leben. Ich war so naiv.   Als ich klingelte, öffnet mir seine Frau. Ich fragte nach ihm, doch als er an die Tür kam, sah ich sofort, was für einen Riesenfehler ich gemacht hatte. Sein Gesicht war vollkommen versteinert, sein Blick wie Eis. Ich wusste instinktiv, dass ich das zwischen uns zerstört hatte. Endgültig. Als ich dann im Hintergrund auch noch eine helle Stimme nach ihrem Papa rufen hörte, war es vorbei. Ich drehte mich um und rannte so schnell ich nur konnte. Seit dem habe ich ihn nie wieder gesehen.“   Er rührte in seinem Kaffee herum und starrte blicklos in die braune Flüssigkeit.   „Ich bin dann zu Lali geflüchtet. Sie und mein Onkel haben mich quasi bei sich aufgenommen. Mehrere Wochen habe ich bei ihnen gewohnt, geschlafen und gegessen. Zumindest in denn Zeiten, in denen ich mir nicht die Augen aus dem Kopf geheult habe. Ich konnte einfach nicht verstehen, wie er mir das antun konnte. Wie er seinem Kind das antun konnte. Seine Frau war mir, wie ich gestehen muss, dabei sogar total egal. Er liebte sie schließlich nicht und es wäre nur fair gewesen, sich von ihr zu trennen. Stattdessen hatte er ein doppeltes Spiel gespielt, bei dem es im Endeffekt nur Verlierer gegeben hatte. Seit dem hab ich niemandem mehr vertraut. Ich wollte nicht riskieren, mich noch einmal so zu verlieben. Noch einmal so verletzt zu werden.“   Julius sah auf und es war ein bisschen, als würde die Sonne an einem trüben Tag aufgehen.   „Und dann hab ich auf einmal dich da stehen sehen. Ich weiß nicht genau, was es war, das mich so angezogen hat. Ich glaube, es war der Ausdruck in deinen Augen. So warm und zärtlich und so … rein. Da konnte ich einfach nicht anders, als dich anzusprechen. Eigentlich hatte ich mir nicht einmal sehr große Chancen ausgerechnet. Vor allem nicht, als dann dieser Manuel auf der Bildfläche erschien. Aber jetzt … jetzt sitze ich hier. Mit dir. Ich kann’s eigentlich kaum fassen.“   Irgendwas zog ganz gewaltig in meiner Brust, als er das sagte. Ich glaube, ich war kurz davor anzufangen zu heulen. Stattdessen stand ich auf. Setzte mich neben Julius und nach einem kurzen Zögern lehnte ich mich zu ihm rüber und küsste ihn. Einfach so. Hier mitten in diesem Café. Und es war in Ordnung. Es war das, was er sich gewünscht hatte. So lange gewünscht hatte.   Er lächelte und strich mir zärtlich eine Haarsträhne aus der Stirn. „Du hast deinen Kuchen noch nicht aufgegessen.“ „Ach, der kann warten. Ich habe gerade Wichtigeres zu tun.“ „Das sehe ich anhand der Güte des Kuchens als großes Kompliment an.“     Wir blieben noch eine ganze Weile in dem Café sitzen, bis es langsam Zeit wurde, wieder zurückzufahren. Draußen wollte Julius meine Hand loslassen, aber ich hielt sie fest, bis wir wieder beim Auto waren. Am helllichten Tag inmitten der ganzen Menschen würde uns schon nichts passieren. Nicht hier.   Einen Moment lang musste ich daran denken, was Manuel wohl sagen würde, wenn er mich so sehen könnte. Wahrscheinlich würde er gegen diese Mauer dort gelehnt stehen, spöttisch eine Augenbraue hochziehen und mich fragen: „Ist es das, was du willst, Bambi? Dein Leben mit diesem Waschlappen verbringen? Haus mit Garten, Kind und Hund? Das bist doch nicht du. Ich weiß das. Ich kenne dich.“   „Geh weg“, fauchte ich die Einbildung an, die mich den ganzen Weg über verfolgte. Vielleicht, weil ich mir vorstellte, dass wir uns, sollte ich irgendwann mal in Hamburg wohnen, tatsächlich über den Weg laufen könnten. Einfach so, weil er von hier kam und vielleicht hierher zurückkehrte, wenn er sein Leben in den Griff gekriegt hatte. Vielleicht würden er, Julius und ich uns mal auf der Straße treffen. In einem Club. In der U-Bahn. Irgendwo, wo ich ihn nicht erwartete. Vielleicht würde er mich anmachen. Einfach nur um zu sehen, ob er es noch schaffte, mich rumzukriegen. Natürlich würde ich ihm nicht nachgeben – der Zug war abgefahren – aber der Gedanke lag mir trotzdem wie ein Stein im Magen. Ärgerlich ging ich ein wenig schneller.   „Geh weg! Lass mich zufrieden. Du wolltest mich nicht. Du hast mich angelogen. Jetzt verschwinde aus meinem Leben. Ich bin glücklich.“   „Ach ja?“, spottete die Erinnerung, während sie hinter mir zurückblieb. „Bist du das? Oder wirst du es erst sein, wenn du ihn tatsächlich gefickt hast?“   Ich blickte mich nicht um, sondern fasste Julius’ Hand nur umso fester. Natürlich war ich glücklich. Julius war so ein wunderbarer Mensch. Ich würde ihm niemals so wehtun. Ich würde nicht so ein Arschloch sein. Ich nicht.     Schweigend fuhren wir wieder zurück, ein jeder von uns mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Erst, als wir von der Autobahn abfuhren, ergriff Julius wieder das Wort. „Soll ich dich nicht doch lieber gleich nach Hause fahren? Wir sind fast da.“   Ich überlegte und schüttelte den Kopf. „Nein, warte. Ich ruf mal schnell meine Mutter an.“   Er fuhr rechts ran und ich zog mein Handy und wählte die Nummer von zu Hause. Es dauerte nicht lange, bis meine Mutter abnahm.   „Dorn.“ „Hallo, Mama.“ „Benedikt, was gibt’s? Ist was passiert?“ „Nein, alles in Ordnung. Es ist nur gerade so schön und ich … ich würde gern über Nacht bleiben. Wäre das okay? Morgen ist doch Sonntag.“ „Wenn Antons Eltern nichts dagegen haben.“ „Nein, sicherlich nicht. Ich krieg auch ne Ersatzzahnbürste.“   Meine Mutter lachte.   „Na dann ist ja alles in Ordnung. Viel Spaß und komm morgen trotzdem nicht zu spät nach Hause. Du hast noch Hausaufgaben.“ „Ja, Mama, geht klar.“   Ich legte auf und sah Julius an. „Und? Kann ich bei dir übernachten?“ Er antwortete nicht, sondern lehnte sich zu mir rüber und gab mir einen langen, langen, sehr langen Kuss. Danach setzte er den Blinker und wendete das Auto, um wieder zu ihm nach Hause zu fahren.     Ilona begrüßte uns und wollte wissen, wie unser Besuch in Hamburg gewesen war, aber Julius wimmelte sie mit ein paar freundlichen Sätzen ab. Sie fragte nicht weiter nach, sondern lächelte nur und sagte dann, dass sie mal sehen würde, ob die Nachbarin nicht Zeit für sie hätte.   Als die Haustür hinter ihr ins Schloss gefallen war, sah Julius mich an. „Wollen wir zusammen duschen?“ „Ich … ja gerne.“   Normalerweise war das bei uns selten ein Thema, aber nach diesem Tag hatte ich tatsächlich das Gefühl, eine Dusche gut gebrauchen zu können. Das kleine Badezimmer, in das neben Toilette, Waschbecken und Badewanne auch noch eine Waschmaschine gequetscht worden war, roch ein wenig komisch. So wie bei meiner Oma früher. Woher der Geruch kam, wusste ich nicht genau, doch das war im Grunde auch egal, denn im nächsten Moment war alles, was ich noch roch, Julius, der direkt vor mir stand. Sein warmer, irgendwie leicht an Räucherstäbchen erinnernder Geruch füllte meine Sinne. Langsam strichen seine Hände an meinen Seiten entlang, bis sie den Rand des T-Shirts erreichten. Sie schlüpften darunter und berührten meinen nackte Bauch. Ich bekam eine Gänsehaut. „Ist dir kalt?“ „Nein.“ „Gut.“   Er zog mir das Shirt über den Kopf und noch während er es zu Boden gleiten ließ, lagen bereits seine Lippen auf meinen. Sanft streichelten sie mich, ohne mich zu bedrängen. Genau wie seine Fingerspitzen, die über meinen Oberkörper glitten, gerade eben so, dass ich die Berührung spüren konnte. Als sie kurz meine Brustwarzen streiften, atmete ich scharf ein. Da war ich immer noch empfindlich. Ich spürte Julius in den Kuss lächeln. „Wollten wir nicht duschen?“, fragte er leise. „Ich bin immerhin schon nackter als du.“ „Stimmt auffallend.“ Er trat einen Schritt zurück und öffnete die Knöpfe seines Poloshirts. Einen Augenblick lang musste ich daran denken, wie dumm ich mich da mal angestellt hatte, aber die Erinnerung verflog, als Julius sich seines über den Kopf zog und als nächstes die Hand zu seiner Hose gleiten ließ. Langsam, sehr langsam öffnete er den obersten Knopf. „Soll ich weitermachen?“ „Unbedingt.“   Er grinste ein bisschen, aber das nahm ich nur am Rande wahr. Meine Augen klebten an seinem Schritt und seinen Händen, die sich jetzt daran zu schaffen machten. Der Reißverschluss schnurrte nach unten und darunter kam eine enge, schwarze Boxershorts zum Vorschein. Sie verbarg allerdings nur sehr unzureichend, was sich darin befand. Ganz im Gegenteil zeichnete es sich sogar sehr deutlich gegen den Stoff ab. Ich schluckte.   „Scheiße, bist du heiß.“   Er lachte.   „Ich nehme mal an, das sollte ein Kompliment sein.“ „Ja.“   Meine Stimme war nicht viel mehr als ein heiseres Flüstern. Keine Ahnung, warum ich jetzt auf einmal so geil war. Vielleicht weil … weil ich mir die ganze Woche ausgemalt hatte, wie es sein würde, wenn wir das nächste Mal zusammen waren. Teilweise mehrmals am Tag. Es kam trotzdem nicht an den Anblick heran, der sich mir bot, als Julius sich jetzt umdrehte. So ein … Fuck! Jetzt schob er sich doch glatt die Hose dermaßen aufreizend vom Hintern, dass ich einfach nicht anders konnte, als hinter ihn zu treten und mich an ihn zu drücken. Ich trug zwar immer noch meine Jeans, aber ich nahm an, dass er trotzdem spürte, was er für eine Wirkung auf mich hatte. Ich küsste seinen Nacken. Schlang die Arme um ihn und ließ meine Hände recht zielstrebig nach unten wandern. Scheiß auf verführerisch. Ich war hart und geil und er ebenso. Ich hielt das nicht länger aus.   Ganz automatisch drückte ich mich stärker an ihn, während ich ihn anfasste. Unser gemeinsames Keuchen hallte von den Badezimmerwänden wieder.   „Das muss doch unbequem sein“, wisperte er und griff zwischen uns. „Ich denke, du solltest das hier ausziehen.“   Ja. Ja! Ich wollte diese bescheuerte Hose sofort loswerden, aber das hätte bedeutet, dass ich mich von seiner Hand entfernen musste, die mich jetzt durch den festen Stoff hindurch massierte. Die Entscheidung war wirklich nicht einfach.   „Julius, ich komm gleich, wenn du so weitermachst.“   Sofort stoppte er die Bewegung.   „Ah, das wäre doch schade, obwohl …“ Er grinste, als er sich umdrehte. „Vielleicht solltest du dich erst mal ein bisschen abreagieren, bevor wir loslegen. Ich hab noch was mit dir vor.“   Fuck … fuckfuckfuck. Wir würden heute wirklich … oder? Warum hätte er sonst letztens gefragt. Mein Herz klopfte wie wild.   Das wurde auch nicht besser, als er sich jetzt tatsächlich komplett auszog und die Dusche anstellte. Der Anblick seines nackten Hinterns war einfach …   Belustigt funkelte er mich über die Schulter hinweg an.   „Willst du mit Klamotten duschen?“ „Was? Nein, natürlich nicht.“   Ich riss mir meine restlichen Sachen runter und stieg kurz darauf zu ihm in die Wanne. Ein wenig umständlich zog ich den Vorhang zu. Meine Finger zitterten.   Da der Wasserstrahl immer nur für einen von uns reichte, stellte ich mich nur kurz darunter, bevor ich für Julius Platz machte. Er ließ sich das Wasser über die dichten Locken laufen, bis sie nass und glatt herunter hingen. Dann nahm er das Duschgel. „Dreh dich um.“   Ich tat es und er zog mich an sich, sodass wir jetzt beide etwas von dem Wasser abbekamen. Seine Erektion drängte sich zwischen meine Pobacken. Ich bewegte mich leicht dagegen und erntete einen Biss ins Ohrläppchen.   „Nicht so ungeduldig. Erst waschen.“   Er ließ etwas von dem blauen Gel auf seine Hand tropfen und begann mich einzuseifen. Unnötig zu erwähnen, dass das das Ziehen zwischen meinen Beinen nur noch schlimmer machte. Diesen Bereich ließ er jedoch zu meinem Bedauern vollkommen aus. Erst, als schon ein Großteil des Schaums wieder heruntergewaschen war, nahm er noch eine neue Portion und griff zu. Dieses Mal an der richtigen Stelle. „Ah … Julius.“ „Mhm, ich bin da. Lass dich fallen.“   Und das tat ich. Lange dauerte es nicht, aber das hatte er wohl auch nicht erwartet. Sanft küsste er danach meinen Hals.   „Stütz dich an der Wand ab, ich erledige den Rest.“ Ich tat, was er gesagt hatte. In meinem Kopf drehte sich eh noch alles, also ließ ich ihn machen. Als er allerdings fertig war, nahm ich ihm das Duschgel ab. „Jetzt bin ich aber dran.“   Mit gleichmäßigen, kreisenden Bewegungen verteilte ich die frisch riechende Flüssigkeit auf seiner Vorderseite, bevor ich ihn auffordernd ansah.   „Umdrehen.“ „Wie du befiehlst.“   Zuerst wusch ich seine Schultern, dann den Rücken, aber schnell, viel zu schnell kam ich wieder bei diesem verführerischen Hintern an. Meine seifigen Finger glitten in das schmale Tal in dessen Mitte. Ich spürte kaum Widerstand. Und jetzt kam mir Julius auch noch ein Stück entgegen. Stemmte sich gegen meine Finger, die sich an dieser absolut intimen Stelle befanden. Ich meine, ja, ich hatte schon seinen Schwanz im Mund gehabt und auch sonst allerlei von ihm angefasst, aber das da hinten hatte ich schön in Ruhe gelassen. Jetzt jedoch schien ich wie fixiert darauf. Das war doch nicht normal. Zumal ihn das Ganze auch noch anzumachen schien, so wie er sich an meiner Hand rieb. Oh, heiliges Kanonenrohr. Bei mir regte sich schon wieder was. „Reicht das so?“, fragte ich krächzend. Meine Kehle war wie ausgedörrt, obwohl ich doch mitten im Wasser stand.   „Ich weiß nicht. Findest du, dass es reicht?“   Ich konnte nur noch nicken. Sprache wurde eh überbewertet. Gestik und Mimik brachten so viel besser zum Ausdruck, was ich jetzt wollte. Nicht zu vergessen die Körpersprache, denn mein Körper sprach gerade ganz außerordentlich deutlich. Da war absolut nichts genuschelt.   Mit einem Lächeln übernahm Julius es selbst, sich die Seife wieder herunterzuwaschen, während ich einfach nur zusah, wie seine Hände über seinen Körper glitten. Dabei wusste ich nicht, ob es mir lieber gewesen wäre, wenn ich ihn so angefasst hätte, oder ob ich wollte, dass er mich auf diese Weise berührte. All diese Wünsche verschwammen nur noch zu einem einzigen großen Wollen. Einem tiefen Drängen, einem Verlangen, das sich wohl auch in meinen Augen widerspiegelte und sein Pendant in Julius’ Blick fand. Auf einmal hatte er es sehr eilig, mich aus dem Bad in sein Zimmer zu bekommen. Nur mit zwei Handtüchern bekleidet jagten wir die enge Treppe hinauf, wobei ich meines schon kurz hinter der Zimmertür wieder verlor. Im nächsten Augenblick landete ich rücklings auf dem Bett, während Julius sich auf mich stürzte. Er küsste mich voller Leidenschaft. Seine Zunge tanzte in meinem Mund, bevor er begann, jeden Quadratzentimeter meines Körpers mit Küssen zu bedecken. Das hatte er zwar zuvor schon gemacht, doch heute schien er ungeduldiger, wilder, fast so als wäre er heute derjenige, der es nicht abwarten konnte.   Ich spürte ein Zittern durch meinen Körper laufen. Gefangen zwischen dem Drang, mich seiner Administration einfach zu ergeben oder aber selbst endlich wieder aktiver zu werden, lag ich regungslos da und genoss, was er mit mir tat. Willig spreizte ich die Beine, als er dazwischen und im nächsten Moment vom Bett glitt. Seine weichen Lippen und flinke Zunge erforschten jetzt mein Heiligstes und ich war nicht unerstaunt, als er nach noch mehr Platz verlangte, mich noch weiter entblößte und dann …   „Fuck, Julius!“   Oh Gott, fühlte sich das irre an. Ein bisschen eigenartig zwar, aber gut und mit absolut nichts zu vergleichen, was ich vorher schon mal gespürt hatte. Trotzdem war es nach dem ersten, guten Gefühl doch komisch. Außerdem war es nicht das, was ich wollte. Also streichelte ich ihm durch die Haare und als er mich ansah, lächelte ich. „Kommst du wieder zu mir hoch?“ „Gefällt es dir nicht?“ „Doch, aber ich … will dich lieber bei mir haben.“   Er lachte, bediente sich an einem der Handtücher, um sich das Gesicht abzuwischen, und kam dann zu mir aufs Bett. Sanft küsste er mich. „Und was möchtest du stattdessen machen?“   Ich wusste es. Ich wusste, was ich wollte. Und eigentlich war es mir sogar vollkommen egal, wie rum wir es taten. Das Einzige, was ich wollte, war, mich mit ihm zu vereinen. Ein Teil von mir wusste, dass das vollkommen bescheuert war und das wir auch ohne das sehr, sehr viel Spaß hatten, aber … es fühlte sich einfach richtig an. Für mich zumindest tat es das. Aber was war mit ihm?   Mein Zögern schien Julius Antwort genug zu sein. Er lächelte.   „Anscheinend hast du über meine Frage nachgedacht.“ „Ich … äh … ja.“ „Alles gut, keine Panik. Ich hätte es dir nicht angeboten, wenn ich nicht dazu bereit wäre.“ Er grinste und fügte hinzu: „Außerdem hätte ich ja sonst vollkommen umsonst eingekauft.“   Ein bedeutungsschwangerer Blick traf den Schreibtisch, der neben dem Bett stand.   Einen Moment lang starrte ich Julius nur an, dann drehte ich mich so schnell um, dass ich beinahe vom Bett fiel. Ich riss die Schublade des Tischs auf und fand eine Packung Gleitgel und Kondome. Wie ein Kind unterm Weihnachtsbaum starrte ich die beiden Packungen an. „Aber du … du hast doch gesagt.“ „Mit dem richtigen Partner, kann man alles genießen.“   Ich schluckte. Plötzlich wusste ich nicht, ob ich das wirklich tun sollte. Julius war bereit, so weit für mich zu gehen. Für mich! Und ich … ich hatte auf einmal wieder Manuels höhnische Stimme im Kopf, die mich fragte, ob ich jetzt endlich einsah, dass ich auch nicht besser war als er. Langsam ließ ich meine Hände sinken. „Hey.“   Julius hatte meinen inneren Tumult anscheinend bemerkt. Er legte den Zeigefinger unter mein Kinn und hob es an, um mir in die Augen zu sehen. „Wir müssen auch nicht, wenn du nicht willst.“ „Doch, ich will ja, aber … ich glaube, ich will es nicht heute. Ich hatte gedacht, dass ich es will, aber ich kann auch noch ein bisschen warten.“   Julius lächelte und beugte sich vor, um mich zu küssen. „Dann lass uns einfach was anderes Schönes machen.“ „In Ordnung.“     Irgendwann später lag ich satt und befriedigt mit Julius zusammen auf dem Bett. Wir hatten hinterher nochmal geduscht und uns dann eine Pizza bestellt, deren Preis wir uns brüderlich geteilt hatten. Zum Glück mochten wir beide Ananas, sodass die Frage nach dem Belag ganz schnell geklärt gewesen war. Ich wusste wirklich nicht, was mir jetzt noch zu meinem Glück fehlen sollte. Außer vielleicht ein paar Zentimeter mehr Bett. „Meinst du, wir kriegen das heute Nacht hin?“ „Klar. Zusammen kriegen wir alles hin.“   Ich lächelte und er gab mir einen nach Hawaii-Pizza und Zahnpasta schmeckenden Kuss, bevor er das Licht löschte, damit wir noch ein bisschen die Sterne beobachten konnten, die langsam vor dem dreieckigen Dachfenster aufgingen. Mit einem Seufzen lehnte ich mich an ihn und war mir in diesem Moment absolut sicher, dass es genau das war, was ich wollte. Das und nichts anderes auf der ganzen großen, weiten Welt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)