Mary Sue-Projekt Shuffle von Mary Sue-Projekt (Interne Jubiläumsaktion 2020) ================================================================================ 01 Versprochen -------------- Ich würde ihn schlagen. Vielleicht nicht jetzt, vielleicht nicht heute, aber wusste Gott, ich würde diesen arroganten, selbstgefälligen, egozentrischen Pisser schlagen und es würde sich gut anfühlen. Um mich zu beruhigen, atmete ich tief durch. Nicht, dass das wirklich half, dafür war ich viel zu wütend. Wäre ich nicht hoffnungslos abhängig davon, dass Gilgamesh entschied, mich a) am Leben zu lassen und mir b) das Buch weiterhin zu überlassen, hätte ich ihm genau dieses schon mehrmals kräftig über den königlichen Schädel gezogen. Ächzend rieb ich mir über die Augen. Womit hatte ich das nur verdient? Erst wurde ich aus meiner Wohnung gesogen und dann auch noch als Heldengeist beschworen, nur um dann zu erfahren, dass hier ein Gralskrieg gigantischen Ausmaßes stattfand. Eine ganze verdammte Stadt war beteiligt. Das bedeutete eine schier unendliche Flut an Gegnern, denn am Ende konnte nur einer den Gral erhalten. Und dieser jemand wollte ich sein. Ich brauchte den Gral, wenn ich hoffen wollte, jemals wieder nach Hause zu kommen - und zwar lebendig! Ein bisschen jedoch blieb die Furcht, dass ich tatsächlich gestorben war und nur deshalb als Servant beschworen hatte werden können. Allerdings machte auch diese Theorie überhaupt keinen Sinn, wenn ich sie zerlegte, denn es erklärte überhaupt nicht, wieso das Zauberbuch, das der eigentliche Servant war, ausgerechnet mich ausgesucht hatte, um es zu benutzen. Wir hatten keine Verbindung zueinander. Das alles erschien mir fast, wie ein ziemlich misslungener Scherz. “Caster, bringst du mich noch ins Bett und erzählst mir eine Geschichte?”, riss mich Elisabeth, mein kleiner Master, aus den finsteren Gedanken, in denen ich mir ausmalte, wie ich Gilgamesh anschrie. “Natürlich. Ich bin gleich bei dir. Putz dir schonmal die Zähne”, wies ich sie an und Eli nickte eilig. Schmunzelnd sah ich ihr nach. Sie mochte zwar den Regeln des Gralskrieges nach mein Master sein, aber eigentlich gab ich den Ton an, was zweifellos nicht zuletzt daran lag, dass Elisabeth erst 13 Jahre alt war und in mir eine Mutterfigur sah. Ein Umstand, der mir zugute kam. Einige meiner Entscheidungen hinterfragte Elisabeth gar nicht erst und auch wenn sie manchmal ihren eigenen Kopf durchsetzen musste, war sie im Grunde ein liebes und sehr artiges Mädchen. Blöd nur, dass sie auch leicht beeinflussbar war wie die meisten Jugendlichen in ihrem Alter. Gilgamesh hatte schon bei seinem ersten Besuch hier großen Eindruck auf sie gemacht und jetzt hielt Elisabeth ihn nicht nur für einen König - zugegeben, er war ja einer - sondern glaubte obendrein - und das war das viel größere Problem - er wäre zu Lebzeiten in mich verliebt gewesen. Gilgamesh und ich wussten das beide besser, aber anstatt ihr das auszureden, hatte der König der Helden nur leise gelacht. Nicht hilfreich! Allerdings galt das bisher für fast alles, was von King Bling gekommen war. Warum er dauernd uneingeladen bei uns herumhing, war mir sowieso schleierhaft. Hatte er nichts Besseres mit seiner Zeit zu tun? Offenbar nicht, denn kaum, dass ich Elisabeths Schlafzimmer verließ, konnte ich schon diese absolut grauenerregend hässliche Schlangenmusterhose sehen. König oder nicht, Gilgameshs Modegeschmack war so grässlich, dass Enkidu deswegen im Grab rotieren müsste. Seufzend ergab ich mich meinem Schicksal und wandte mich, anstatt dem Wohnzimmer der Küche zu, um eine Karaffe zu holen. Das war schon fast Routine. Gilgamesh tauchte auf, ließ sich von mir Wein zaubern und soff die Kanne dann im Laufe weniger Stunden alleine leer, ehe er sich wieder vom Acker machte. Wenn er dabei wenigstens mal so hackedicht wäre, dass etwas Lustiges dabei herumkäme, aber nein. Meistens philosophierte er nur vor sich hin, fragte gelegentlich nach meiner Meinung oder machte Witze auf meine Kosten. Müsste ich wetten, dann hörte er sich einfach nur gerne reden und stand darauf, sich bedienen zu lassen. Vorgestern hatte er auch kackedreist von den Muffins, die ich für Eli und mich gebacken hatte, genascht ohne zu fragen und sich dann darüber beklagt, dass sie nicht gut genug für ihn wären. Arsch, die waren ja auch nicht für dich! So schlecht konnten sie auch gar nicht gewesen sein, sonst hätte er nicht gleich drei davon verputzt. Wen glaubte er hier verarschen zu können? Mein einziges Problem war der König der Helden jedoch nicht. Abgesehen von Tristan, mit dem ich zwar offiziell verbündet war, aber der mich womöglich noch weniger leiden konnte als ich ihn, gab es da noch einen gewissen blauhaarigen Iren, der auch glaubte, dass es cool wäre, uneingeladen auf unserem Sofa aufzutauchen. Sein Angebot eines Bündnisses mochte dafür anfangs der Grund gewesen sein, doch inzwischen war ich fest überzeugt, dass er nur noch herkam, um mich zu mobben. Nachdem ich durchsickern lassen hatte, dass ich gerne etwas über Magie von ihm lernen wollte, hatte es sich Cú Chulainn nicht nehmen lassen, bei jeder Gelegenheit ein bisschen mit kleinen Zauberstückchen anzugeben. Ich ärgerte mich über mich selbst, weil ich mich jedes Mal davon ablenken ließ und dann nicht mitbekam, wie er mir auf die Pelle rückte. Dass er seine Finger nicht bei sich behalten konnte, hatte ich ziemlich schnell lernen müssen. Cú Chulainn war ein wandelnder Flirt. “Ngh…” Endlich Ruhe. Gilgamesh hatte mich ganze vier Stunden damit vollgeblubbert, was für ein hervorragender König er gewesen war. Dass es sein Caster-Ich war, den er da lobte, hatte ich mir nur schwer verkneifen können. Wie konnte jemand nur so von sich überzeugt sein? Bäuchlings lag auf ich auf dem Sofa, das Gesicht halb in einem Kissen vergraben, und zog ernsthaft in Erwägung auszutesten, ob ich als Servant nicht vielleicht doch von Schlaf profitierte. Erschöpft pustete ich gegen ein loses Haar, das meine Nase kitzelte. Eigentlich wollte ich die Nacht nutzen, um ein bisschen in meinem Buch zu blättern, in der Hoffnung, darin noch einmal Hinweise auf irgendetwas zu finden, das mir helfen könnte, in dieser Welt als Servant zu überleben. Angesichts des Vorsprungs, den jeder andere Servant hatte, der seine Fähigkeiten kannte und womöglich zu Lebzeiten ein Krieger gewesen war, durfte ich es mir eigentlich nicht erlauben, wertvolle Zeit zu vergeuden. Also setzte ich mich auf und zog das Buch auf meine Knie. Dann wollten wir mal. Vermutlich würde ich zwar wieder nur auf leere Seiten starren, so wie die meisten Nächte, aber manchmal offenbarte mir das Buch kleine Hinweise. Einen winzigen Zauber oder einen Blick auf Dinge, die gerade anderswo geschahen. Zettel und Stift, um schnell mitzuschreiben, hatte ich sowieso längst bereitliegen. Behutsam schlug ich die erste Seite auf. Sie war leer. Ein weißes Blatt. Einen Versuch, meinerseits hineinzuschreiben, startete ich schon gar nicht mehr. Das hatte ich schon nach meinem ersten Gespräch mit Cú Chulainn getestet und dabei herausgefunden, dass kein Stift auf diesen Seiten schrieb. Also blätterte ich weiter. Und weiter und weiter. Eine Seite nach der nächsten und jede einzelne war leer. Wie von selbst bewegten sich meine Finger schneller. Nichts, war ja klar. Ich war drauf und dran, das Buch einfach zuzuschlagen, als mir das Buch doch noch etwas offenbarte. Mein Herz machte einen Satz, während ich die in ordentlicher Schrift aufgezeichnete Zahlenfolge musterte. Was war das denn? Zwölf Ziffern standen auf der Seite, ganz ohne jede Erklärung oder einen Tipp, was sie bedeuteten oder wofür man sie benutzen könnte. Missmutig starrte ich die Zahlen an, als würde mir das irgendwie helfen, ihr Geheimnis zu entziffern. Himmel, das könnte einfach alles sein! Eine Chiffre, die Nummer eines Bankfaches, eines Kontos oder eine Telefonnummer. Soweit es mich anging, könnte das sogar ebensogut irgendeine berühmte Zahl aus einer Goldbachschen Vermutung sein. Ganz toll. Seufzend schrieb ich die Zahlenfolge aber trotzdem ab, nur für den Fall. Dann schlug ich das Buch zu. Da ich sowieso nichts besseres zu tun hatte, könnte ich auch versuchen, dieses Rätsel zu knacken. Mein Magielehrer Cú Chulainn war nicht hier, Gilgamesh hatte sich verkrümelt und hielt mich auch nicht beschäftigt, Elisabeth schlief tief und fest. Draußen stand der Mond hoch am Himmel, verbarg sich jedoch heute hinter dichten Wolken. Die perfekte Zeit, um irgendetwas sinnbefreites zu tun. Ich schnappte mir Elis Tablet und rief die Internetsuche auf. Vielleicht könnte ich herausfinden, ob es sich bei den Ziffern um eine Bankleitzahl handelte oder vielleicht eine IBAN. Tat sie nicht. Klar, wäre ja auch zu einfach gewesen, hätte das magische Buch entschieden, mich spontan mit Reichtum zu segnen. Wobei ein Konto, das in etwa so alt war wie mein Zauberbuch, angesichts der Zinsen heutzutage wohl eh leer gewesen wäre, weil die Kontoführungsgebühren ein Vermögen gekostet hätten. Eine Chiffre konnte ich ebenfalls schnell ausschließen. Die hatten alle noch Buchstaben in ihrer Zeichenfolgen. Generell sagte mein Bauchgefühl mir, dass das eine Telefonnummer sein müsste. Also griff ich schließlich, anstatt weiter ziellos Google mit dummen Fragen wie “Wofür steht eine Zahlenfolge mit 12 Ziffern?” zu belästigen, nach dem Telefon und tippte die Nummer einfach mal ein. Was sollte schon Schlimmes passieren? Schlimmstenfalls rief ich damit The King of Bling oder den Master of Dick-Magic an. In beiden Fällen hätte mich das Zauberbuch zwar kräftig getrollt, aber wenigstens keinen größeren Schaden angerichtet und was hatte ich schon zu verlieren? Nichts. Obwohl ich mir dies immer wieder im Geiste sagte, war ich doch nervös, als das vertraute Tuten an mein Ohr drang. Damit war schonmal klar, dass die Telefonnummer existierte. Eigentlich war ich ein Idiot. Ich hätte wenigstens versuchen können, vorher herauszufinden, wem die Telefonnummer gehörte. Wer weiß? Vielleicht rief ich ja jetzt beim Kundenservice eines Beate Uhse-Shops oder der Telekom an. In letzterem Fall hinge ich garantiert für die nächste halbe Stunde in der Warteschlange. Es knackte. “Hallo?”, ertönte eine Stimme, die mir vertraut war. Sehr sogar. Doch nicht aus diesem Leben, sondern aus meinem richtigen Leben, aus dem als Mensch, als Lebende! Aus dem Leben, das ich geführt hatte, ehe ich unvermittelt hierher befördert worden war, um dem magischen Buch als Nutzerin beizustehen. Mein Hals fühlte sich an wie zugeschnürt. Durfte ich das wirklich hoffen? Irrte ich mich auch nicht? Vielleicht hoffte ich auch einfach nur, dass… “Hallo?”, erklang es noch einmal, dieses Mal etwas gereizt. “Blaze?”, antwortete ich ungläubig. Tränen bildeten sich in meinen Augen. “Blaze, bist du das?” “Daelis?” “Ja! Ja, ich bins! Blaze, du ahnst nicht, wie glücklich ich bin, dich zu hören. Alleshieristabsolutirreundichweißüberhauptnichtwasichüberhaupthiertue!”, sprudelte es so hastig aus mir heraus, dass ich dabei mehrmals über meine eigenen Worte stolperte. Kein Wunder, dass Blaze mich nicht verstanden hatte. “Was? Was ist denn überhaupt los? Ich hab seit Wochen keinen Ton von dir gehört! Was zum Fick?!” Am liebsten hätte ich mich einfach hingekauert und geheult. Wie die Zeit verflogen war, hatte ich fast nicht mitbekommen, so sehr stand ich unter Strom seit ich ein Servant geworden war und auf Elisabeth aufpasste. Ihr Umfeld war so verrückt und potentiell gefährlich, dass ich gar nicht bemerkt hatte, dass ich schon seit fast einem Monat hier war. Eine kleine Ewigkeit! “Daelis?” “Ja. Ja, ich bin noch da”, schniefte ich leise zurück. Auch wenn Blaze nicht sofort etwas sagte, konnte ich ihre Verwirrung förmlich in der Stille hören. “Es… es ist was wirklich absolut Irres passiert”, erklärte ich halb erstickt, wobei ich den Zettel mit ihrer Telefonnummer immer wieder in der freien Hand drehte. “Weinst du? Was ist denn los?” Jetzt sorgte sie sich definitiv. Ich schniefte noch einmal und rieb mir über die Augen und die Nase. “Das ist ne wirklich sehr, sehr lange Geschichte. Ich wollte mich melden, wirklich, aber… Blaze?” In der Leitung hatte es verdächtig geknackt. “Blaze?” Noch einmal knackte es. Ich konnte hören, dass sie etwas sagte, doch es kam so verzerrt bei mir an, dass ich kein Wort verstand. “Blaze?” “Ja? Hörst du mich?” “Ja”, atmete ich erleichtert auf. “Scheint, als wäre die Verbindung instabil.” Das hieß dann wohl, mir blieb nicht viel Zeit. “Also kurz und knapp: Ich bin in einer Art Fate-Welt mit einer Magierstadt, in der alle Magier Master sind”, überrannte ich die arme Blaze einfach und verwirrte sie damit prompt nur noch mehr. “Du bist was? Wo steckst du? Du guckst eine neue Fate-Serie?”, hakte sie irritiert nach. “Nicht ganz.” Ich atmete tief durch, um mich zu beruhigen. “Blaze, ich bin in Fate. Irgendwie zumindest. In dieser Stadt gibts hunderte von Mastern und überall laufen Servants herum”, versuchte ich etwas besser zu erklären, wo ich mich befand. “Du willst mich verarschen.” “Das ist mein voller Ernst. Ich weiß aber nicht, wie ich hergekommen bin. Und ich bin ein Servant. Also irgendwie zumindest. Ist ne lange Geschichte”, winkte ich das Thema durch. Dass ich hier nur eine Art Hilfsmittel für ein Buch war, das der eigentliche Caster-Servant war, wollte ich nur ungerne ausführen. Eine Sekunden blieb es still. “Du verarschst mich doch”, war dann zu vernehmen. Übel nehmen konnte ich Blaze die Reaktion wohl nicht. Auch wenn es die Wahrheit war, klang es doch ziemlich irre. “Nope”, antwortete ich also platt. “Das ist mein voller Ernst. Ich stecke hier als Servant eines kleinen Mädchens fest.” Wieder war es einige Sekunden still. “Blaze?”, wagte ich dann leise nachzuhaken, als mir die Stille unangenehm wurde. “Daelis… Deine Nummer wird auf meinem Display ganz seltsam dargestellt. Dabei ist das Caster-Symbol aus Fate”, entgegnete sie schließlich und klang ähnlich erschrocken wie ich mich gefühlt hatte, als ich hier angekommen war. “Scheiße, was ist dir passiert?” Ich wünschte, ich hätte darauf eine plausible Antwort. “Das ist völlig irre”, fasste Blaze ziemlich gut zusammen, in was ich hier geschliddert war, nachdem ich nochmal versucht hatte, alles grob zusammenzufassen. Dabei hatte ich wild herumgestikuliert und für jeden, der einen Blick durch das Fenster in das dunkle Wohnzimmer geworfen hätte, einen ziemlich bekloppten Anblick geboten. “Japp. Volle Kanne.” “Und? Welche Servants hast du schon getroffen?”, wollte sie nun hörbar aufgeregt wissen, jetzt, da klar war, dass ich immerhin gesund war, soweit es denn gesund war, ein Geist zu sein jedenfalls. “Ein paar. Sherlock Holmes und Charlemagne sind zum Beispiel Ruler in diesem Gralskrieg”, berichtete ich betont langsam und kicherte. “Und einen gewissen blauhaarigen Iren habe ich zuuufällig auch getroffen”, fügte ich hinzu, wohl wissend, was das bei meiner Freundin auslösen würde. Wenn es da draußen irgendeinen Fan von Cú Chulainn gab, dann sie. “Welchen?! Alle?! Mach unbedingt Fotos! Ist er genauso heiß wie auf Bildern?!”, prasselten mir die Fragen entgegen, mit denen ich eigentlich hätte rechnen müssen. Der Trübsinn, der mich vorhin noch erfasst gehabt hatte, war jetzt wie weggeblasen. Es tat einfach gut, nach all der Zeit mit ihr reden zu können. Allerdings rief es mir auch in Erinnerung, wie sehr ich sie vermisste. Sie und all meine Freunde, meine Familie, all die Menschen, die Teil meines Lebens gewesen waren. Ich hoffte nur, sie gaben mich nicht schon auf, weil ich verschwunden war. “Caster. Ich hab Caster getroffen und er ist… eh… groß und sieht aus wie… naja, wie Cú?” Mental schlug ich mir vor die Stirn für diese absolut sinnbefreite Beschreibung. “Er sieht aus wie auf den Bildern, ja”, korrigierte ich meine Antwort. Welche Reaktion das auslöste, konnte ich mir gut ausmalen. Auch wenn es am anderen Ende der Leitung einen Moment lang still blieb, sah ich Blaze doch vor meinem inneren Auge, wie sie gerade völlig durchdrehte und, ganz das Fangirl, vor Glück über den Boden rollte. Wäre es andersherum und sie hier an meiner Stelle, würde ich das nämlich ziemlich wahrscheinlich tun und zwar schamlos. Live, echt und in Farbe war das alles hier jedoch irgendwie nicht mehr so geil. Nicht, wenn das eigene Leben dabei auf dem Spiel stand und man leider sehr genau wusste, wie fähig die Leute um einen herum waren, wenn es darum ging, ihre Feinde auszumerzen, zu denen man selbst blöderweise auch zählte. “Falls er heute Nacht aufläuft, gebe ich gerne das Telefon an ihn - Blaze? Blaze, hörst du mich noch?” Wieder hatte es verräterisch in der Leitung geknackt. “Blaze?” “... Uck...hin… auf… lis?” Knacken. Dann war die Leitung tot. “Scheiße”, schimpfte ich leise und glättete eilig den Zettel mit Blaze’ Telefonnummer. Hoffentlich hatte sie noch Netz. Oder ich. Wir. Wie auch immer das hier genau funktionierte. Ich war so aufgeregt, dass ich mich prompt vertippte und die ganze Nummer noch einmal eintippen musste. Als ich das Telefon jedoch an mein Ohr drückte, ertönte kein Freizeichen. “Die von Ihnen gewählte Rufnummer ist nicht vorhanden. The number you called...” Ich legte auf und tippte die Nummer noch einmal ein, dieses Mal extra aufmerksam, damit mir kein Fehler unterlief. “Die von Ihnen gewählte Rufnummer…” Ernüchtert legte ich wieder auf. Was auch immer uns beiden erlaubt hatte, zu telefonieren, funktionierte nicht mehr und ich wusste nicht einmal, was es gewesen war oder wie ich es wiederholen könnte. Nach allem, was ich bisher wusste, könnte das das letzte Mal gewesen sein, dass ich mit Blaze oder überhaupt jemandem von Zuhause gesprochen hatte. “Scheiße”, wisperte ich leise, da rollten auch schon Tränen über mein Gesicht. “Meinst du das ernst?” Cú Chulainns Gesicht war für meinen Geschmack viel zu nah an meinem. “Ja”, gab ich gepresst zurück, unwillig, meine Bitte zu wiederholen. Schlimm genug, dass er wieder uneingeladen mitten in der Nacht hier aufgelaufen war. Da musste er nicht auch noch wie so ein wandelnder Glückskeks vor sich hin grinsen. “Frag mich nochmal”, forderte der Ire mich eindeutig zu gut gelaunt auf. Am liebsten hätte ich ihn gepackt, geschüttelt und durch den Raum geworfen. Nichts, dass Blaze guthieße, um deretwillen ich meine Bitte ja überhaupt erst formuliert hatte. “Ich würde gerne ein paar Fotos von dir machen. Es wäre wirklich nett”, betonte ich steif, “wenn du dich einverstanden erklären würdest.” Wie gerne würde ich jetzt einfach im Boden versinken. Cú Chulainn grinste nur noch breiter als sowieso schon. “Ich meine mich zu erinnern, dass da ein kleines Wort fehlt.” Gott, ich wollte ihn so gerne… Nein. Nein, tief durchatmen. Tu es für Blaze, die dich auf offener Flamme grillt, wenn du Cú etwas tust oder keine Fotos mitbringst, sagte ich mir im Stillen wie ein Mantra. “Also, was ist nun? Kriege ich die Fotos?”, fragte ich also, anstatt auf seine Bemerkung einzugehen. Die Wahrheit, wieso ich die Fotos wollte, hatte ich gar nicht erst versucht, ihm zu verkaufen. Zum einen hätte ich dann eine Menge erklären müssen, das ich nicht richtig erklären konnte, und zum anderen hätte er das vielleicht eh als Ausrede abgetan. Also konnte ich mir die Mühe auch gleich sparen und einfach zusehen, dass ich an die Fotos kam. Was man nicht alles für eine liebe Freundin tat. “Okay, ich hole die Kamera. Lauf nicht weg”, wies ich den Blauhaarigen an, der so zufrieden schmunzelte, dass ich eigentlich eher Angst hatte, dass er hier einzog, als dass er sich vom Acker machte. Mit dem, was mich jedoch erwartete, als ich mit der Kamera wieder aus Elisabeths Zimmer - mein kleiner Master schlief um diese Zeit nämlich tief und fest - zurück ins Wohnzimmer schlich, hatte ich nicht gerechnet. Cú hatte es sich nicht, wie ich fast erwartet hatte, auf dem Sofa bequem gemacht und sich an den Keksen bedient, sondern stand stattdessen noch mitten im Raum, allerdings halbnackt und spielerisch in Pose geworfen. “Gut so?” Am liebsten hätte ich ihm die Kamera direkt ins Gesicht gepfeffert. Ich musste wirklich aufpassen, dass sich meine Finger nicht um die Kamera verkrampften, als ich sie hüstelnd hob. “Einmal recht freundlich”, versuchte ich, die Situation mit Galgenhumor zu nehmen und einfach schnell ein Foto zu machen, um mein Gewissen zu beruhigen. Der Blitz erhellte kurz den Raum, dann ließ ich die Kamera wieder sinken. “Perfe- WAS ZUR HÖLLE?!” Vor lauter Schreck über den Anblick, der sich mir jetzt bot, ließ ich die Kamera einfach fallen, um mir die Hände vor die Augen zu schlagen. Zwar konnte ich Cú nicht mehr sehen, aber sehr wohl lachen hören. “Sei doch nicht so, Süße. Du wolltest doch ein ‘sexy Foto’ haben. Du kannst so viele machen, wie du willst”, feixte er entspannt. Mein Gesicht brannte förmlich unter meinen Fingern. Hatte dieser hinterlistige Mistkerl doch einfach in genau dem Moment, in dem ich das Foto machte, dem Exhibitionisten in sich freien Lauf gelassen. Er stand einfach so, splitterfasernackt, im Raum und störte sich daran offenkundig nicht im geringsten. “Zieh dich sofort wieder an!”, keifte ich, die Hände noch immer fest vor den Augen. Gott, dieser Anblick hatte sich garantiert in meine Netzhäute gebrannt! Warum nur?! Hoffentlich hatte die Kamera das überlebt, dann konnte ich den Abzug für Blaze einstecken und mich aktiv der Verdrängung widmen. Wenn ich eines nicht wollte, dann wahlweise meinem Master oder Gilgamesh erklären müssen, warum ich ein Nacktfoto von Cú Chulainn besaß, oder zeitnah intensive Gespräche mit Blaze darüber führen, dass der 32cm-Witz nicht so fern der Realität war und das eben doch an Körperverletzung grenzte. “Was denn? Gefällt dir etwa nicht, was du siehst?”, konnte ich Cús Flüstern unvermittelt an meinem Ohr hören. Was hatte ich mir da nur eingebrockt? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)