Horrible Pleasure von Farbenmaedchen ((Leseprobe)) ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Wunderschön. Er war so wunderschön. Die Fesseln, welche in seine Handgelenke schnitten und sie aufschürften, waren wunderschön. Der Knebel in seinem Mund, der ihn am Sprechen hinderte und an dem Speichel aus den Mundwinkeln lief, war wunderschön. Diese Augen, die ängstlich geweitet waren, voller Tränen und Furcht... Einfach alles an ihm war wunderschön. Aber es genügte nicht. Dieser Anblick schnürte mir die Kehle zu, betäubte mich. Ich bekam keine Luft mehr. Je schneller ich nach Sauerstoff rang, desto weniger konnte ich atmen. Es genügte einfach nicht. Ich brauchte ihn, ich wollte ihn. So sehr, dass es schmerzte, dass es mein Herz zerriss. Er sollte nur mir gehören. Er gehörte nur mir. Schwankend ging ich zu ihm und kniete mich hin. Erstickte Laute klangen durch den festen Stoff, der zwischen seinen wunderschönen Lippen steckte. „Ist schon gut...“, sagte ich beschwichtigend und streichelte ihm über seine warme und weiche Wange. Diese Haut war betörend. Wie eine Droge schlich sich das atemberaubende Gefühl durch meine Fingerspitzen, kribbelte, elektrisierte und explodierte in einer Welle der Befriedigung. Er versuchte meiner Hand auszuweichen, indem er seinen Kopf zurückzog. Ich grinste. „Das wird wohl nichts.“, raunte ich sanft und streichelte ihn erneut an der selben Stelle, um ihm zu demonstrieren, dass es aussichtslos war. Er gab sich geschlagen und kniff lediglich die Augen zusammen. „Siehst du? Geht doch.“, lachte ich glücklich und schenkte ihm mein liebstes Lächeln, dass nur für ihn bestimmt war. „Du bist wirklich sehr brav.“, lobte ich und tätschelte ihm zur Belohnung den Kopf. „Tut mir leid, dass ich solche Maßnahmen ergreifen musste...“, raunte ich und deutet auf die Fesseln. „Aber du warst nicht artig und wolltest nicht mitkommen. Was hätte ich denn sonst tun sollen?“ Ein weiteres Keuchen erklang. „Möchtest du etwas sagen?“, fragte ich und legte den Kopf schief. „Weißt du was? Du bist so lieb gewesen, da belohne ich dich gerne.“ Vorsichtig fasste ich an seinen Hinterkopf und öffnete den Knoten. Ich zog ihm das Tuch aus dem Mund, woraufhin er hustete. Die blonden Haare, die heller leuchten als die Sonne, lagen ihm wirr und verklebt über der Nase. Ich strich sie zur Seite. Diese seidigen Strähnen waren zarter als das Netz einer Spinne und gleichzeitig genauso verwoben. Begab man sich in seine Fänge, konnte man nie wieder zurück. Es war zu berauschend. „Bitte!“ Er sah mich direkt an, als sein Husten verstummte. Seine Stimme klang verstört und flehend zugleich. Wie wunderschön... „Bitte lass mich gehen! Ich werde es auch niemandem erzählen! Ich verspreche es! Bitte, nur bitte lass mich gehen!“ „Dich gehen lassen?“, wiederholte ich seine Worte, die er mir zugeworfen hatte, als wäre ich ein Monster, vor dem man sich fürchten musste. Als wäre ich ein grauenvolles Ungeheuer, entflohen aus den tiefsten Untiefen. „Ja... Ich habe dir doch nichts getan. Bitte, es ist noch nicht zu spät! I-Ich habe nichts gesehen! Niemand erfährt davon!“ Ich runzelte die Stirn: „Du hast nichts getan? Wer sonst, wenn nicht du? Nur du hast Schuld.“ „Ich? Warum ich!? Du hälst mich gefangen! Du tust mir das an... Du...“ Er verstummte sofort, als ich meine Nägel unter seinem rechten Augen gleiten ließ und sie langsam in ihn bohrte. Sowas sollte er nicht sagen. Sowas durfte er nicht sagen. Ich hielt ihn nicht gefangen. Ich beschützte ihn. Er gehörte immerhin nur mir und wer ließ schon jemand anderes mit seinem Spielzeug spielen? Fester und fester drückte ich zu, bis seine helle Haut unter meinen Nägeln riss. Sie zog sich auseinander, sodass ich das nackte Fleisch darunter verletzte und kleine Tropfen seines wunderschönen Lebenssafts herausquollen. „Hör auf...“, winselte er erstickt. Aber warum nur? Es war doch so wunderschön, alles an ihm. Zwei, drei Sekunde hielt ich es noch, dann senkte ich meinen Arm und betrachtete das Kunstwerk, dass ich erschaffen hatte. Die dunkle und dicke Flüssigkeit, lag seicht auf der winzigen Wunde. Dieser Kontrast seines blassen Teints und des roten Bluts war wie der Tod in einer Schneelandschaft. Ich beugte mich herunter und küsste die Stelle. Ich leckte über sie, nahm das Blut auf und benetzte sie mit Spucke. Es schmeckte grandios! Ein Erlebnis des unsagbaren Genusses explodierte auf meiner Zunge und verbrannte sie. So schmeckte nur er... „Du bist verrückt! Du bist irre!“, hörte ich ihn unter mir und ich richtete mich auf. Aber was sagte er denn da? Das hörte sich alles andere als schön an. „Solch schmutzige Worte sollten nicht aus deinem Mund kommen...“, raunte ich. „Da kommen aber so viele Wörter heraus, wie sie wollen!“, fauchte er mich an. Ich verengte die Augen. Mit der einen Hand griff ich sein Kiefer und drückte ihn weit auseinander, mit der anderen umschloss ich seinen Hals. Wo eben noch Mut in seinem Blick lag, war er jetzt der Panik gewichen. Das sah schon viel schöner aus. „Na, na, wer wird denn unartig werden?“, hauchte ich gegen seine geöffneten Lippen. „Du willst doch nicht, dass ich dir die Zunge rausschneide, oder? Das gäbe eine rieeeeesen Sauerei und natürlich tut es furchtbar weh. Und eigentlich möchte ich das gar nicht machen. Ich will deine wunderschöne Stimme doch hören können.“ Er schüttelte panisch den Kopf. Ich nahm es als Zeichen, dass er nicht mehr unartig sein wollte und schenkte ihm ein warmes Lächeln. „Keine Angst, ich tue dir nicht weh... solange du lieb bist.“ Ich ließ ihn los und er sackte erschöpft in sich zusammen. Das musste alles sehr viel für ihn sein. Kein Wunder, dass er kraftlos war. Aber ich würde mich schon gut ihm ihn kümmern. ,,W-Was habe ich dir nur getan?", schluchzte er. ,,Ich habe dir doch gerade gesagt, dass du Schuld bist. Erst verführst du mich und dann beklagst du dich jetzt.", sagte ich vorwurfsvoll. ,,Ich habe dich weder verführ..." Er stoppte mitten im Satz, als er zu mir heraufsah. Ich funkelte ihn wütend an, aber als ich hörte, dass er sein Fehler selbst bemerkte, wie konnte ich ihm da noch böse sein? Ich tätschelte ihm den Kopf. Das hatte er ganz fein gemacht. Er war eben ein sehr schlauer Junge, das wusste ich schon immer. Sehr lernfähig. Ich stand auf und klopfte mir den Staub aus den Sachen. Hier unten im Keller war es immer etwas schmutzig. Es stank auch etwas, was wohl an den Leichen in der Ecke lag. Ihr Blut, das sich in Lachen auf dem kalten Steinboden gesammelt hatte, war ganz anders als seins. Es roch nicht süß, oder lecker oder so wunderschön. Es war einfach ekliges, rotes, glibberiges Zeug, das sich wie die Pest in Rillen und Fugen sammelte und nur schwer wieder zu entfernen ging. Die Leichen sahen tot auch nicht schön aus. Ihre Münder standen weit offen, ebenso ihre Augen. Ihr Angst und Furcht hatte nichts schönes an sich. Ganz anders, als bei ihm. Seine Leiche würde bestimmt strahlen und glänzen, sie wäre eine Bildgewalt, die sich nicht in Worte fassen ließ. Ich ging zu dem tiefen Tisch, von dem ich das Messer nahm. Besudelt mit dem Blut dieser Trottel hatte es jeglichen Wert verloren. Danach ging ich zur Tür und holte den schweren Eisenschlüssen aus meiner Hosentasche und den kleinen, zierlichen. Erst kümmerte ich mich um den Riegel, der sich mit dem schmächtigen Metall öffnen ließ, dann das reguläre Schloss. Ich zog die Tür mit aller Kraft auf und die ersten Lichtstrahlen fielen in die dunkle Kammer. „W-Wo willst du hin?“, jammerte mein wunderschöner Schatz. „Keine Angst, ich kümmere mich nur schnell um die Spuren, dann bin ich sofort wieder für dich da.“ Ich beglückte ihn ein letztes Mal mit einem Lächeln, dann trat ich nach draußen und schloss zu. Kapitel 1: ----------- „Nein, bitte hör auf! Ich kann nicht mehr...!“ „Jetzt hab dich nicht so. Ich steck ihn jetzt rein.“ „Nein!!“ „Halt die Klappe!“ „Was...? Nein! AH!!“ „Heulst du jetzt etwa!?“ „Wieso...? Wieso hast du das getan...?“ „Bist du ein Waschlappen, ey!“ „Es tut weh, so fürchterlich weh...! Immer hintergehst du mich.“ „Ich habe getan, was getan werden musste.“ Als ich Ethans Schrei vernahm sah ich zu den beiden Streithähnen hinüber. Daniel verband gerade den Controller mit der Spielekonsole. „Mann, ich kann nicht mehr! Du hast mich eben schon voll abgezogen! Seit wann bist du so gut in dem Game!?“, motzte Ethan und schob sich seine Brille auf der Nase zurecht. „Tja, ich hab halt geübt!“, verkündete Daniel mit dickem Grinsen. „In Basketball bin ich unschlagbar. Egal ob Realität oder Spiel.“ Ich wandte mich meiner Cola zu und nahm sie vom Couchtisch. Gähnend betrachtete ich die kleinen Bläschen, die sich durch die Kohlensäure bildeten. Eigentlich hatte ich gar nicht herkommen wollen, als unser neuer Mitschüler uns zu sich eingeladen hatte. Ich war nicht sonderlich gut in irgendwelchen Games und auf Besaufen bis zum Umfallen konnte ich verzichten. Der einzige Grund warum ich hier war, waren die beiden Tunichtgute vor mir, die meine besten Freunde darstellten. „Ich hab’s gefunden!“, rief jemand hinter mir und hielt eine Disc hoch, die im Dunkel der Nacht durch die Deckenlampe glitzerte. Naja, einen weiteren Grund gab es da doch... Und zwar er. Unser neuer Mitschüler, der kurz vor Abschluss noch zu uns gewechselt war und uns geradezu genötigt hatte, bei ihm vorbeizuschauen. „Nein...“, hauchte Ethan leise und starrte fassungslos auf die Dics. „Sag nicht... Das ist das neueste Fußballspiel, oder? Das gibt es erst seit ein paar Tagen!“ Oliver grinste wie ein Honigkuchenpferd, als er sich vorbeischlängelte und sie dem aufgeregten Ethan in die Hand drückte. „Krass, krass, krass, krass!“ „Ja, Mann.“, bestätigte Daniel. „Lass sie uns gleich ausprobieren!“ Ich gähnte abermals kräftig. Mich interessierte das alles herzlich wenig. In der Hoffnung, vielleicht ein bisschen dösen zu können, schloss ich die Augen und lehnte meinen Kopf zurück. Dann spürte ich, dass sich jemand neben mir auf das Sofa setzte. „Gefällt es dir nicht?“, fragte Oliver. Ich spähte zu ihm und erkannte, dass er sich durch seine Welle in den Haaren fuhr. Die Seiten waren abrasiert und seine Augen glänzten wach und aufmerksam. Er war auch sehr trainiert und groß. Wahrscheinlich war er der Typ, auf den jedes Mädchen stand und mit dem jeder Junge befreundet sein wollte. Aber auf seltsame Weise war seit Anfang an eine gewisse Distanz da, die ich nicht überbrücken wollte. „Doch, doch, aber ich bin müde.“, log ich so halbwegs. „Soll ich den beiden sagen, dass sie etwas anderes spielen sollen, etwas, das dir auch gefällt?“, fragte er. Seine Stimme klang besorgt. Ich öffnete die Augen, weil ich eh keine Ruhe fand und drehte mich zu ihm. „Ach Quatsch, lass die mal, die haben ihren Spaß.“ „Sicher? Sie hören bestimmt auf mich.“ „Warum denn? Wir können die ja jetzt nicht einfach da wegzerren.“, sagte ich, weil mir nichts anderes mehr einfiel. Sah er denn nicht, dass es mir ganz egal war, was die beiden da machten? „Doch, das könnte ich. Für dich würde ich töten.“, erwiderte Oliver. Ich suchte die Belustigung in seiner Haltung, aber er blieb ganz ernst. „Haha... ja...“, lachte ich verlegen und kratzte mich im Nacken. Was war das denn für ein komischer Kauz?Auf solche freudlosen Witze stand ich ja mal gar nicht. „Ich, ähm...“, stammelte ich eine Ausrede zusammen: „Bin mal auf Toilette.“ Ich stand auf und sah mich um. „Den Flur runter und dann rechts.“, sagte er kurz und ich nickte, machte mich dann gleich auf den Weg. Ich verließ das Wohnzimmer und trat in den stockfinsteren Flur. Suchend tastete ich die Wand ab, bis ich einen Schalter fand, mit dem ich das Licht einschaltete. Ich folgte Olivers Beschreibung und kam an der Toilette an. Es war ein Gäste-WC und ich beeilte mich fertig zu werden. Das war ein unsagbar großes Haus. Die Tatsache, dass Oliver hier alleine wohnen sollte, ließ es leer, fast schon gespenstisch wirken. Zwar war ich kein Angsthase, aber ich musste nicht länger alleine bleiben als nötig. Im Flur hörte ich bereits unzählige Flüche von Ethan, der anscheinend wieder am Verlieren war und überlegte, ob ich da wirklich zurück wollte. Vielleicht könnte ich mich stattdessen ein bisschen im Haus umsehen? Oliver war gerade beschäftigt, der bekam das sicherlich nicht mit. Deshalb bog ich nach rechts ab und kam in eine Küche, die ebenfalls nur durch das Licht des Vollmonds beleuchtet wurde. Leider fand ich hier nicht so schnell heraus, wo der Schalter für die Lampen war. Also tapste ich unbeholfen hinein und versuchte meine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Das funktionierte nur halbwegs. Dass ich keine Eule war, musste ich feststellen, als ich mir den Zeh am Tisch stieß und einen Schrei erstickte, indem ich mir auf die Lippe biss. Doofes Teil... Wer stellte das mitten in den Weg!? Fluchend ging ich zur Arbeitsfläche und stützte mich ab. Wo sich am Eingang keiner befand, so gab es hier doch tatsächlich einen Lichtschalter, direkt unter der Dunstabzugshaube. Als alles hell war, sah es schon viel angenehmer aus. Die Küche war genauso groß, wie ich es für ein Einfamilienhaus auch erwartet hatte und selbst am Esstisch gab es sechs Stühle. Doch was mir sofort auffiel, waren die Messer. Eine ganze Landschaft aus Schneidewerkzeugen reihte sich fein säuberlich an die Wandfliesen und glänzte poliert. Ich zählte nach und kam auf insgesamt fünfzehn der scharfen Klingen. Staunend trat ich näher und nahm eines aus dem Block. Es hatte eine breite Schneide, einen metallenen Griff, lag leicht aber mit gutem Gewicht in der Hand und war sehr ordentlich gepflegt. Entweder hier kochte jemand äußerst gerne, oder er hatte eine Leidenschaft für diese Dinger... Naja, jedem das seine. Manche sammelten Steine und er eben... Messer. Ich steckte es zurück ins Holz und fischte mir ein weiteres heraus. Im Gegensatz zum vorherigen war es sehr dünn und leicht, dafür etwas länger. Als ich es genauer betrachtete, stellte ich jedoch einem kleinen Fleck an der Spitze fest. Ich musste die Augen zusammenkneifen und es mir direkt unter die Nase halten. Dieser Fleck war zwar klein, aber das dunkle Rot bot einen guten Kontrast zum Silber. Ich fragte mich, was Oliver damit zubereitet hatte. Es sah fast nach Blut aus... Aber nicht nach dem Blut, das man manchmal noch im Essen hatte. Eher wie Blut, dass noch dickflüssig und tief rot gewesen war. Hatte er etwa selbst ein Tier ausgeweidet? Das war ja widerlich... Ich packte das Messer angeekelt an Ort und Stelle zurück. Dieser Typ wurde mir immer suspekter. „Was machst du da?“ Ich fuhr erschrocken herum. Meine Augen weiteten sich, als Oliver mit verschränkten Armen vor mir stand. „Äh...Ähm...“ „Schnüffelst du etwa rum?“, fragte er ruhig, aber der Unterton war schneidender als die Klinge, die ich eben gehalten hatte. „I-Ich wollte nur... Also sorry, i-ich wollte nicht...“ Er trat neben mich und holte das Messer heraus, prüfte und drehte es herum. Ich starrte fieberhaft auf die gediegenen Bewegungen, bis sich sein Grinsen im Metall widerspiegelte. Er beugte sich zu mir herunter und kam so nah, dass ich meinen Atem anhielt. Sein Blick brannte auf den Liedern. „Weißt du was?“, fragte er. Auf einmal sah ich die Spitze des Messers neben meinem Gesicht aufblitzen. Ich schluckte hart und verkrampfte mich. Sie war so dicht, nur ein winziges Stück fehlte und es würde mich berühren, nein... verletzen. Noch immer spiegelte es ein dunkles Grinsen wieder, die Zähne blitzten auf. „Neugierde ist der Katze Tod.“, flüsterte er. Ich verstand nicht, was gerade passierte, als es auch schon vorbei war. Oliver nahm Abstand und seine freundliche Miene fand wieder zurück. „Du hättest doch sagen können, dass ich dich rumführen soll.“, sagte er glücklich lachend und räumte ein paar Sachen auf. Mein Herz raste wie wildgeworden und vereinzelte Schweißperlen rannen meine Stirn hinab. „Weißt du, ich hasse Schnüffler.“ Er nahm den Lappen und packte ihn in die Spüle, legte ein paar Gewürzdosen weg. Das seichte Prasseln des Wassers erklang, als er den Hahn öffnete. „I-Ich sollte zurück. Die beiden fragen sich sicherlich, wo ich bleibe.“, meinte ich, machte auf den Absatz kehrt und verschwand hastig aus der Küche. Ich lief schnell ins Wohnzimmer und stieß die Tür auf. Keuchend lehnte ich mich gegen sie. Was war das gerade? Dieser Moment... der Gedanke daran jagte mir einen Schauer über den Rücken. Dieses Messer... es war so nah gewesen. Egal, was in Olivers Kopf vorgegangen war, das ging entschieden zu weit. Das war kein Stück mehr witzig gewesen. „Hey, Ethan, Daniel...“, rief ich die beiden, weil sie so in dem Game steckten, dass sie mich gar nicht wahrnahmen. Sie drehten sich nur halbherzig zu mir. „Lasst uns abhauen. Ich fühle mich nicht wohl. Irgendwas stimmt hier nicht.“ „Was laberst du da, Digger? Ey, hier ist noch ein Controller. Schnapp dir den, dann zeige ich dir, was ich so drauf hab.“, meinte Daniel und schoss gerade ein Tor. Laut jubelnd streckte er die Arme in die Höhe. Ethan stöhnte entnervt. „Nein, ihr versteht nicht. Hier ist etwas faul, ich rieche es.“, versuchte ich erneut. „Das war Ethan, der alte Saukerl.“ „Sorry...“ Ich knurrte wütend. Hörten die mir denn gar nicht zu? Um mehr von ihrer Aufmerksamkeit zu bekommen, ging ich zum Fernseher und nahm ihnen kurzerhand die beiden Controller weg. „Hey!“, fauchte Ethan. „Nicht cool, Alter. Was soll das!?“, stimmte Daniel mit ein und stand auf. „Sonst hört ihr mir gar nicht zu.“, erklärte ich. „Lasst uns los. Vielleicht noch was trinken gehen oder so. Aber einfach hier weg. Ich glaube mit diesem Oliver stimmt etwas nicht. Der ist nicht ganz normal.“ Daniel riss den Controller wieder an sich. „Das einzige was nicht an ihm stimmt, ist, dass er voll die krassen Spiele hat. Die könnte ich mir im Traum nicht leisten. Wenn du rumzicken willst, dann geh doch. Wir machen uns nenˋ schönen Abend.“ Er wandte sich an Ethan. „Ob er wohl Bier hat?“ Das war doch zum Haareraufen! Die beiden Dumpfnasen kapierten nicht, was ich von ihnen wollte. Oliver Ich nahm das Messer nochmal genau unter die Lupe. Ich schmunzelte. Da hatte der Kleine doch tatsächlich etwas entdeckt. Ich hatte also beim Aufräumen geschlampt. „Naja, egal.“ Ich legte es endgültig beiseite und blickte zur offen Tür. Wenn man meine Pläne durcheinander brachte, dann hasste ich das. Ich hasste es... Ich hasste es... „Ich hasse es!“, brüllte ich und schmetterte meine Faust gegen das Schneidebrett. Es klirrte und fiel flach nach vorne. Meine Fingerknöchel waren aufgeschrammt. Ich strich darüber. Dann nahm ich das Brettchen und donnerte es mit aller Kraft gegen die Wand. Ich riss es zu Boden und trat dagegen, zerstampfte es, bis es in Stücke brach. Aus dem obersten Schubfach kramte ich das Sieb und die Suppenkelle heraus. Ich tastete mich suchend voran, bis ich es schließlich fand. Kurz prüfte ich das Taschenmesser auf seine Funktionstüchtigkeit, danach versank es in meiner Hosentasche. Draußen, im Flur, blieb ich beim Spiegel hängen. „Na, du gut aussehender Mann?“, grüßte ich mein Spiegelbild. „Schöne Grütze, was? Wie sollen wir jetzt vorgehen, hm? Hast du einen Plan?“ Mein Gegenüber grinste nur herausfordernd zurück. Nie antwortete er mir. Ich hasste es. „Natürlich hast du keinen Plan. Warum hasst du mich so?“ Aus dem Wohnzimmer drangen laute Stimmen. Wohl dieser komische Daniel. Er stritt sich anscheinend mit Liam. „Hm... ich glaube, mir kommt da eine Idee...“ „Lasst und abhauen. Ich fühle mich nicht wohl. Irgendwas stimmt hier nicht.“, vernahm ich Liamˋs wundervolle Stimme. „Hier stimmt etwas nicht? Vielleicht hat er ja recht...“ Ich hob meinen Ellenbogen. Mein Gegenüber tat genau das gleiche. Ich hasste es. „Vielleicht sollten wir ihm zeigen, dass hier etwas nicht stimmt.“ Ich hob meinen Arm über den Kopf und dehnte ihn, indem ich ihn auf die andere Seite beugte. „Dieser Ethan wird kein Problem. Ich glaube den sollten wir uns zuerst vornehmen. Aber Daniel... er ist sportlich und stark. Wann hatte ich das letzte Mal eine so ernstzunehmende Herausforderung? Ich glaube, das war damals mit dem einen Kommissar...“ Das versprach doch nur mehr Spaß, oder? „Lass uns ein kleines Spiel beginnen.“ Ich löste mich vom Spiegel und ging ebenfalls ins Wohnzimmer, lehnte im Türrahmen. Liam warf mir einen misstrauischen Blick zu, aber das ignorierte ich. „Na? Gefällt es euch?“, fragte ich. „Boah, Alter! Das ist krass!“, verkündete Ethan. Seine Spielfigur sprintete über das Feld, direkt zu seinem Gegner und grätschte ihn. Der Schiedsrichter pfiff ein Faul an. Es gab die rote Karte. Ethan verdrehte die Augen. „Wenn man falsch spielt, dann muss man auf die Strafbank.“, ermahnte ihn Daniel. Wie recht er doch hatte. Ich hätte es nicht besser formulieren können. Falschspieler waren etwas, das ich abgrundtief hasste. Dieser Ethan schien einer zu sein. Und wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich gesagt, Liam spiele gleichfalls mit gezinkten Karten. Er setzte sich gerade in den Sessel, ließ mich nicht aus den Augen. „Richtig so... schau mich schön an.“, flüsterte ich so leise, dass es keiner mitbekam. Die Spielfigur im Game regte sich mäßig über den Platzverweis auf und schubste sogar den Torwächter der anderen Mannschaft. „Wenn ihr das Spiel schon gut findet, dann werdet ihr bei dem anderen hellauf begeistert sein.“, versprach ich. Sie stoppten das Spiel, indem sie das Menü aufriefen. „Wie meinst du das, bei dem anderen?“, fragte Daniel. Ich lachte: „Wisst ihr das etwa nicht? Sagt bloß, ihr habt den Release dieses exzeptionellen, sagenumwobenen neuen Ablegers verpasst!“ Ich hielt mir die Hand schockiert vor den Mund. „Von welchem Game redest du?“, fragte Ethan. Seine Augen glänzten neugierig. „Das fragst du noch?“ Ich zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf. „Sowas muss man doch wissen. Ach, hat doch eh keinen Sinn bei euch...“ Ich drehte mich zum Wandschrank und betrachtete die Geranie im Blumentopf. Ihre Blätter hingen matt herab und den Kopf ließ sie trostlos hängen. Ein Greifen in die Erde zeigte mir, dass diese staubtrocken war. „Komm schon, jetzt sag!“, forderte Ethan und kniete sich auf. Aber ich blieb still. Das veranlasste ihn, vollständig aufzustehen und zu mir zu kommen. Er legte seine Hand auf meine Schulter, obwohl er mehr als einen ganzen Kopf kürzer war. Meine Mundwinkel zuckten, als ich das schmutzige Teil an mir betrachtete. Ich hasste es. „Wovon redest du?“ „Traurig, traurig, dass ihr das nicht wisst. Immerhin wurde das Spiel sogar für den Preis des Jahres nominiert.“, meinte ich und schenkte wieder meiner verblühten Geranie die Aufmerksamkeit. Ob man sie noch retten konnte, wenn ich sie goss? „Digger, komm. Lass mal sehen. Das ist bestimmt krass!“, sagte Ethan und folgte meinem Blick, konnte wohl aber nichts faszinierendes feststellen, weshalb er lieber Daniel zu sich heranwinkte. „Ich wäre lieber dafür, dass wir gehen. Ist schon... spät.“, meldete sich Liam zu Wort, der mir schon die ganze Zeit in den Rücken starrte. „Ne, lasst mal. Ihr Noobs wisst das gar nicht zu schätzen.“ „Doch, doch...!“, erwiderte Ethan hastig. „...Was soll das eigentlich heißen: Noobs? Ich bin doch kein...“ Ich unterbrach ihn, als ich mich umdrehte und die Arme verschränkte. „Hach... na schön, dann zeige ich es euch.“ Ethan strahlte und Daniel wollte aufstehen. Ich hielt ihn auf. „Aber zuerst dir.“ Ich zog mit meinem Finger große Kreise in der Luft, bis er bei Ethan hielt. „Warum willst du sie uns einzeln zeigen?“, fragte Daniel stutzig, aber Ethan blieb immer noch hellauf begeistert. Er streckte seinem Kumpel die Zunge raus. „Tja, hab ich mir halt verdient.“ Ich klatschte froh in die Hände und nickte heftig. „Ganz genau! Du hast es dir redlich verdient. Du wirst der erste sein...“ Ich grinste. „…der es sieht.“ Ich stieß mich von der Kommode weg und wollte vorgehen. Nur aus den Augenwinkeln bekam ich mit, wie Liam zu uns kam und Ethan zu sich zog. „Bist du dir sicher?“, flüsterte er ihm zu. Ich spielte nebenbei an dem kleinen Messer in meiner Tasche. Ziemlich praktisch das Ding. Immerhin konnte man damit nicht nur Flaschen öffnen. Neben dem Bieröffner gab es auch einen Korkenzieher, eine Schere und eine Nagelfeile. Ja, tatsächlich. Wörtlich könnte man also sagen: Mit dieser wundervollen Erfindung konnte man Kunstwerken den... letzten Schliff verpassen. „Na? Neidisch, was?“, stichelte Ethan und löste sich, gesellte sich zu mir. „Ich erzähl dir, wie es war.“ Endlich konnten wir dieses Zimmer verlassen. Mein Begleiter hüpfte quasi hinter mir her, so aufgeregt war er. Ich führte ihn den Gang entlang, bis wir vor einer Tür hielten. Als ich sie öffnete, musste ich den Besen auffangen, der mir entgegen fiel. Ich grub mich durch die Abstellkammer, dicht gefolgt von Ethan. Neben der Leiter, die mit Tüten und Toilettenpapierrollen bestückt war, stand ein Eimer, in dem sich noch Wasserreste befanden. Hier musste man aufpassen, sich nicht am Heizungskasten zu stoßen. Ich stellte den Eimer auf die andere Seite, zum Handfeger und Kehrblech. Dort befanden sich auch Scheuermittel und eine Menge Spülsachen. „Ähm... bist du dir sicher, dass wir hier richtig sind?“ Ich antwortete nicht, stattdessen fischte ich einen Schlüssel heraus und öffnete das Schloss am Boden, danach zog ich die Luke auf und schaltete das Licht an. „Was ist das?“ „Mein Keller.“ „Ein bisschen komischer Platz für einen Keller.“ Ich stöhnte gedrückt. „Willst du das Spiel nun sehen, oder nicht?“ „Natürlich!“ „Dann komm.“ Ich stieg die Holztreppe hinunter. Sie war gerade breit genug, damit eine Person darauf stehen konnte. Allgemein ziemlich eng, aber für mich reichte es. Doch unten angekommen, änderte sich das schlagartig. Die Decke war hoch genug, um springen zu können. Die runde Deckenlampe mit schwarzen Applikationen, verlieh dem ganzen eine helle Atmosphäre. Nur etwas kalt. „Ist das hier so eine Art Gaming-Base, oder was?“, erkundigte sich Ethan, als wir an einer Tür zu unserer Rechten vorbei schritten. „So einen großen Keller habe ich noch nie gesehen. Wahnsinnig...“ Wir kamen am Ende an. Eine weitere Tür wartete darauf, dass ich sie mit einem Schlüssel öffnete. Ich zog sie auf und ließ meinem Gast den Vortritt. „Krass... was für eine dicke Tür. Schützt die vor Lärm?“ „Ja, was hier drinnen passiert, dringt nicht nach außen, dafür habe ich gesorgt.“ Ich zog die Tür hinter mir zu, während er sich umsah. Er tappelte zum Tisch, wo einige Werkzeuge lagen. Hier stand noch ein Stuhl in der Ecke herum und eine einzelne Glühbirne flackerte hilflos. Sie war die einzige Lichtquelle. Es gab kein Fenster. Natürlich gab es das nicht... „Hier ist es ganz ok und so, aber hier steht weder ein Computer noch ein Fernseher. Zockst du hier drinnen überhaupt?“ Ich trat an den Tisch und strich über das gemaserte Holz. „Wo ist denn jetzt die Disc?“, fragte er leicht nervös. Ich blieb weiter still. Stattdessen nahm ich die Karaffe und schwenkte sie, sodass die gelbliche Flüssigkeit darin umhertänzelte. „Und warum sagst du gar nichts mehr?“ Ich hörte die leichte Anspannung darin. War er wütend? Aufgeregt? Ich tippte ja auf beides. „Hallo? Hörst du mir überhaupt zu? Hallo!?“ Er runzelte die Stirn, dann schüttelte er den Kopf. „Das wird mir jetzt irgendwie zu bunt. Ich hau ab.“, beschloss er und ging zur Tür. Das knackende Geräusch und das verwirrte Keuchen zeigte mir, dass er jetzt wohl mitbekommen hatte, dass sie sich nicht öffnen ließ. „Hey, warum ist die zu? Mach auf!“ „Ha... Haha... HAHAHAHA...!“, lachte ich so laut ich nur konnte. Es war so witzig, ich krümmte mich und hielt den Bauch. Mir ging echt die Luft aus. Schleichend drehte ich mich zu ihm und wischte die Tränen aus den Augen. Seine Gesichtsfarbe war unnatürlich blass und sein Körper sprach diese eine Sprache, die sie alle beherrschten, wenn man sie in die Enge trieb. „Weißt du, was an Geranien so besonders ist? Wenn sie verwelken, dann sehen sie so wunderschön traurig aus. Wie die klagende Oper einer entzückenden Dame. Ihre Ballade reitet ins Ohr, ins Herz und reißt es mit in den Abgrund.“ „W-Was erzählst du da?“ Hatte er jetzt schon Angst? Vermutlich. Seine Hände zitterten und seine Augen waren rund und groß. Mir ging ein Licht auf und ich mahnte mit dem Zeigefinger. „Wie wäre es? So eine Oper passt doch ganz gut.“ Neben dem Tisch stand ganz in Dunkelheit ein altes Grammophon. Ich strich den Staub herunter und schaltete es an. Die Platte lag bereits korrekt. „Was ist das hier für ein Scheiß? Willst du mich verarschen, oder so? Wenn ja, dann lass das. Du bist echt creepy...“ Die Musik begann zu spielen und die spanische Dame verkündete ihre ersten Worte. Wunderschön. Mit einem Seufzen stellte ich mich aufrecht hin und knackte den Kopf. „Rote Karte... mein lieber Falschspieler.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)