Together through timeless justice von Daelis ================================================================================ Kapitel 1: Direktor Nezu ------------------------ Whirlwind hatte nicht zu viel versprochen und mich tatsächlich bis zur Akademie begleitet. So hatte ich zumindest auf dem Flug jemanden gehabt, mit dem ich mich unterhalten konnte, wenngleich die Heldin mir nichts Neues über den Angriff auf die Grabungsstätte hatte erzählen können. Ebensowenig, wie es meine eigenen Aufzeichnungen gekonnt hatten. Die zeugten nämlich vor allem von meiner großen Liebe zum alten Ägypten, von der Aufregung, wenn sich neue Erkenntnisse ergaben und den schlaflosen Nächten, wenn mich eine davon nicht losließ. Von diesen Nächten folgten nach meiner Ankunft in Japan noch so einige. Bisher hatte ich noch nie einen Jetlag erlebt, doch nach dem langen Flug holte ein solcher mich mit voller Gewalt ein, sodass ich von Glück sagen konnte, dass ich kurz vor den Abschlussprüfungen eintraf und die Akademie beschied, dass es vorerst genügte, wenn ich hin und wieder als Besucher im Unterricht saß, um mir ein Bild zu machen, und bei Bedarf erkrankte Lehrer vertrat, während ich mich an alles gewöhnte. Und zum dran gewöhnen gab es eine Menge. Alles erschien mir fremd. Angefangen mit der Kultur selbst, bis hin zu all den Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten. Sie alle mochten damit groß geworden sein, doch nach meinem Ermessen war ich erst jetzt in dieser Realität angekommen und ich ertappte mich immer wieder dabei, wie ich einen neuen Quirk gedanklich zerlegte oder sichtbare Auswirkungen staunend beobachtete. Nach wenigen Wochen jedoch war das meiste Teil der Normalität für mich geworden. Alles hier mochte bis vor wenigen Wochen nicht mein Leben gewesen sein, jetzt allerdings wurde es das mit jedem Tag etwas mehr. Dennoch dachte ich nicht selten wehmütig an alles, was ich im Tausch hierfür verloren hatte. Ich vermisste Zuhause, vermisste mein altes Leben. Ob ich jemals dorthin zurückkehren könnte? Könnte ich überhaupt irgendwem verraten, was mir widerfahren war oder würde man mich für verrückt erklären? Für den Moment wollte ich das lieber nicht ausprobieren. Während der ersten Tage schon hatte ich einen Überblick über meine Lehrerkollegen bekommen, wenngleich die meisten während der folgenden Wochen nur flüchtig kennengelernt. Unerwartet gab es nämlich noch andere Aufgaben, die nach meiner Aufmerksamkeit verlangten. Wie sich zeigte, hatte ich nämlich vorher für eine Universität im Feld gearbeitet und die erwartete den einen oder anderen Bericht zu den Funden und ihrer Bedeutung. Zwar schrieb ich diese Berichte jedes Mal pflichtbewusst, aber zugleich trieben sie mich jedes Mal an den Rand des Wahnsinns. Ohne die vielen sorgsam geführten Notizbücher, die mein anderes Ich hier geführt hatte, wäre ich verloren gewesen. Die meiste Zeit verbrachte ich schließlich jedoch damit, mich mit dem vorgeschriebenen Unterrichtsstoff zu beschäftigen, den ich unterrichten würde. Einiges davon war für mich immerhin auch neu. Besonders die jüngere Vergangenheit stellte mich vor lauter neue Fragen und Antworten. Dass ich im Unterricht vor allem mit älterer Geschichte konfrontiert wäre, war da sicher etwas Gutes. Die Zeiten, in denen kein Mensch einen Quirk hatte, kam den Leuten hier zwar fremd und unvorstellbar vor, doch ich hatte es ja wirklich nur so gekannt und vielleicht könnte ich deshalb umso besser vermitteln, wie der Alltag ohne Quirks ausgesehen hatte. War ich jedoch ehrlich, freute ich mich mehr darauf, über die Antike oder die Renaissance zu sprechen, die beide auf dem Lehrplan standen, der leider auch so manch drögen Pflichtstoff beinhaltete. Ich hoffte nur, dass es nicht zu viele Schüler gab, die meinen Unterricht eigentlich nur absitzen wollten. Dass es lästige Fächer gab, die man nur mitmachte, weil man keine Wahl hatte, daran erinnerte ich mich zu gut. Ich konnte meine zukünftigen Schützlinge also gut verstehen. Jedoch hatte ich schon als Schüler Lehrer gehasst, die aus Prinzip jedem eine mittelmäßige Note gaben, weil sie nicht den Ärger riskieren wollten, eine berechtigte schlechte Note zu geben und sich dann mit wütenden Helikoptereltern befassen zu müssen. So ein Lehrer wollte ich auf keinen Fall sein. Ich wollte diejenigen belohnen, die sich bemühten, auch wenn Geschichte vielleicht nicht ihr Ding war. In mancher Hinsicht, glaubte ich, würde es fast wie im Abitur. Nur, dass ich auf der anderen Seite des Pultes stünde und mich nicht länger vor Klausuren und Referaten fürchten müsste. Letztere allerdings müsste ich dann gefühlt jeden Tag halten. Nicht unbedingt ein Traum. In der Schule hatte ich es gehasst, etwas vortragen zu müssen. Doch auch das würde sicher mit der Zeit einfacher. Was mir einige Sorgen bereitete, waren die Quirks. Nicht nur, dass einige Schüler ihre Quirks benutzen würden, um zu schummeln, sie würden mich vielleicht nicht ernst nehmen, weil ich keinen Quirk hatte. War man ehrlich, wäre ich jedem von ihnen in einer körperlichen Auseinandersetzung weit unterlegen. Dass dieser Umstand meine Schützlinge dazu verleiten würde, mir auf der Nase herumzutanzen, ahnte ich. Quirk oder nicht, ich wollte, dass mich meine Schüler als Lehrerin ernst nahmen. Hinter meinem Rücken war ich vielleicht sogar seitens der Lehrer, die immerhin alle Helden waren, das Ziel gewissen Spotts und Skepsis, weil ich ohne Quirk ausgerechnet an einer Schule für zukünftige Helden unterrichtete. Wie viel Kritik dafür auch die Schulleitung hatte einstecken müssen, wollte ich mir nicht einmal ausmalen. Dennoch war es die Schule selbst gewesen, die mich gebeten hatte, hierher zu kommen und zu unterrichten. Das machte mich schon etwas stolz, auch wenn ich mich ein wenig zurück in die sandige Wüste Ägyptens wünschte. Zum Glück schien tatsächlich niemandem in dieser Welt aufzufallen, dass ich nicht hierher gehörte. In meinem Handy hatte ich nur wenige Kontakte gefunden, fast alles Archäologie-Kollegen, die genau wussten, wo ich jetzt war, und mit denen mich scheinbar keine zu enge Freundschaft verband, denn bis auf ein paar oberflächliche Nachrichten tauschte ich nichts mit ihnen aus. Wie auch immer mein Ich dieser Welt gelebt hatte, sie war mir offenbar nicht zu unähnlich und pflegte glücklicherweise eher sporadischen Kontakt zur Familie, was mir nur recht war. Außer meiner Schwester war ich ja auch keinem nahe gewesen. Ein echter Luxus lag auf jeden Fall darin, dass ich in der U.A. wohnen konnte, auch wenn mir direkt bei Einzug mitgeteilt wurde, dass diese Maßnahme vor allem meinem Schutz diene. Immerhin wären, das wurde Nezu nie müde zu betonen, gewisse Leute eindeutig hinter mir und meinem Wissen her. Abseits und ohne Schutz zu leben, käme also nicht in Frage. Ich fand diese Sicherheitsmaßnahmen etwas übertrieben. Solange niemand meine Adresse herausposaunte, war das doch kein Problem. Schließlich war ich kein Promi, dem dauernd Paparazzis folgten. Abgesehen davon glaubte ich ohnehin nicht, dass man wirklich hinter mir her war. Eher hinter der ägyptischen Steintafel und die war selbstverständlich in der Schule versteckt. Wenigstens die nahe Stadt konnte ich alleine besuchen, obwohl ich wusste, dass Schuldirektor Nezu auch das nicht guthieß. Ich sollte, so seine Worte, zu meinem eigenen Wohl auf dem Schulgelände bleiben, wo es genug Helden gab, die direkt eingreifen könnten, falls sich tatsächlich einer meiner Verfolger hierher wagte. Er meinte es sicher gut, aber mir gefiel der Gedanke, eine Ausgangssperre zu bekommen, so überhaupt nicht. Also ging ich dennoch und erkundeten die Stadt, jedoch nicht, ohne mich einige Male zu verlaufen und nach dem Weg fragen zu müssen. Das war auch das einzige, was mich als ortsfremd verriet. Niemand hier kannte mich und dank der ganzen Veränderungen, seitdem Quirks normal geworden waren, fielen nicht einmal mehr mein doch eindeutig europäisches Aussehen in Japan auf. Zumindest nicht mehr wirklich. “Daelis? Direktor Nezu hat nach dir gefragt. Er will wohl irgendetwas Wichtiges mit dir besprechen”, hielt mich Sekijiro Kan, einer meiner Kollegen, auf dem Schulflur an. Eigentlich hatte ich noch ein paar Unterlagen kopieren wollen, die die Erstklässler in den ersten Stunden von mir bekommen würden. Das Lehrerdasein war neu für mich, deshalb wollte ich wenigstens gut vorbereitet sein. Doch wenn Nezu mich sprechen wollte, würde ich die nächsten Stunden erst einmal anderweitig beschäftigt sein. Der Direktor war wirklich ein Kuriosum. Neben ihm waren die meisten Leute fast langweilig, denn bei Nezu handelte es sich um eine kindgroße, anthropomorphe Ratte oder sowas in der Art. Seine Spezies hatte ich bis heute nicht ganz einordnen können und nachzufragen wagte ich nicht. Das wäre schon sehr unhöflich, zumal er vielleicht die intelligenteste und gebildetste Person war, die ich je getroffen hatte. Wäre da nur nicht seine lästige Angewohnheit, ewig um den heißen Brei herumzureden, ehe er zum Punkt kam. So sehr wie ich Smalltalk hasste, schien er ihn zu lieben. Entsprechend hielt sich meine Begeisterung in Grenzen, doch ich nickte meinem Kollegen dennoch zu. “Danke. Ich werde direkt zu ihm gehen.” “Kein Thema.” Er hob noch die Hand zum Gruß, dann war Sekijiro um eine Ecke verschwunden. Bei ihm war ich mir wirklich nicht sicher, ob er einfach nur oft grimmig dreinsah oder mich schlicht nicht leiden konnte. Ich hatte dank des guten alten Internets herausgefunden, dass er den Ruf hatte, sehr umgänglich zu sein, also war es vermutlich letzteres. Dass ich die Namen meiner Kollegen alle mal kräftig durch die Suchmaschinen gejagt hatte, verstand sich von selbst. Sie alle waren so bekannt, dass es vermutlich seltsam gewirkt hätte, wenn ich gar nichts über sie wusste. Als ich an die Tür des Büros Nezus klopfte, antwortete dieser prompt. "Komm doch herein, Daelis." Woher er wusste, dass ich es war, die klopfte, hinterfragte ich nicht, ebenso wenig wie den Umstand, dass er mich mit meinem Vornamen ansprach. Bei unserem Kennenlernen hatte er stundenlang darüber gesprochen, dass er es faszinierend fände, dass in Europa die Vornamen so viel häufiger und ungezwungener benutzt würden und ob es mich störe, wenn er mich auch beim Vornamen nannte. Tat es nicht. Im Gegenteil. Wann immer jemand meinen Nachnamen benutzte, fühlte ich mich irgendwie alt und distanziert. Frau Lange, das war meine Oma. Obendrein, hatte er mir anvertraut, sprachen sich sowieso die meisten Lehrer mit Vornamen an, zumindest wenn keine Schüler dabei waren. Im Stillen hoffte ich, dass es bei diesem Gespräch nicht darum ging, dass ich mich seltsam verhielt oder eine miese Lehrerin war. Ersteres konnte ich nicht wegerklären und zweiteres war nunmal Teil der Herausforderung, der ich mich nicht ganz freiwillig stellte. Immerhin hatte ich nicht Lehrerin werden wollen. Nie. Sollte Nezu mich wirklich schon wieder kündigen, würde ich halt nach Ägypten zurückkehren. Es war ja nicht so, als wäre das etwas Schlechtes. Klar, mein Stolz wäre angefressen, doch gleichzeitig lockte mich der Gedanke, zurück zur Ausgrabung zu fliegen. Alle Hoffnungen, der Direktor könnte ausnahmsweise mal direkt zum Thema kommen, ließ ich fahren, als ich sah, dass er, als ich eintrat, für zwei Leute Tee eingoss. Das hieß dann wohl, dieses Gespräch würde länger dauern. Als hätte der hochintelligente Nager meine Vermutung erahnt, schenkte er mir ein freundliches Lächeln, während er mir mit einer Hand gestikulierte, doch Platz zu nehmen. "Bitte", meinte er einladend und sah kurz zu der Teetasse, die er mir entgegenschob, bevor er nach seiner eigenen griff und vorsichtig an dem heißen Getränk nippte. "Ah, köstlich. Du solltest probieren", begann Nezu das Gespräch und einfach nur, weil ich hoffte, er würde dann zum nächsten Thema kommen, griff ich nach meiner Tasse, um seinem Beispiel zu folgen. Dabei verbrannte ich mir jedoch erst einmal die Zunge gehörig. Mist! Aber lecker war der Tee tatsächlich. Sehr süß und aromatisch. Diese Sorte kannte ich gar nicht. Ob Nezu die ungestellte Frage in meinem Blick gesehen hatte oder schlicht, wie es seine Art war, jede Chance auf Smalltalk nutzte, wusste ich nicht, aber er verriet ohne Umschweife, was er mir da serviert hatte. "Dieser Tee kommt aus Italien und wird aus Orangen und verschiedenen Blüten gewonnen. Für diese Gegend sehr ungewöhnlich, nicht wahr? Manchmal probiere ich gerne etwas Neues aus. Die Welt ist so groß und voller kleiner und großer Wunder, die es zu entdecken gilt. So wie diesen Tee hier." Ich nickte zögerlich. Wollte er mit mir über Tee oder Wunder sprechen? Ging es dabei vielleicht um die Tafel, die ich in Ägypten gefunden hatte, und das, was darauf zu sehen war? Als Wunder ginge das bestimmt durch. Über die Tafel hatten wir aber eigentlich schon viel diskutiert und bei unserem letzten Gespräch darüber, hatte er selbst noch gemeint, wir sollten alles weitere vertagen, bis wir mehr über das Fundstück wüssten. “Warst du jemals in Italien, Daelis?”, unterbrach Nezu meine sich drehenden Gedanken unvermittelt. “Äh, ja. Zur Abschlussfahrt im Abi. Es war wirklich toll”, entgegnete ich etwas verwirrt. Ging es nun nicht um Wunder oder die Tafel? Worauf wollte Nezu hinaus? Der Direktor nickte nur nachdenklich, ein versonnenes Lächeln auf den Zügen. Mir riss der Geduldsfaden. “Wieso wollten Sie mich eigentlich sprechen?”, fragte ich ohne Umschweife, doch wie erwartet, erhielt ich keine konkrete Antwort. “Natürlich wegen der Schüler dieser wundervollen Schule.” Ganz toll. Weiter im Text bitte. “Der letzte Jahrgang war wirklich herausragend. Ich bin sehr sicher, dass sie alle formidable Helden werden, die vielen Menschen Hoffnung und Vorbild sind.” Man hörte ihm wirklich an, wie stolz er war. Mir half das jedoch überhaupt nicht weiter. Immerhin hatte ich die Abgänger kaum kennengelernt und da ich auch die anderen Klassen nicht wirklich kannte, fehlte mir obendrein jeder Vergleich. Dennoch nickte ich einfach in der Hoffnung, Nezu würde dann fortfahren. Wäre es doch nur einfach gewesen. Die nächsten Minuten, die sich eher anfühlten wie Stunden, verbrachte er damit, über die Abschlussklasse zu lamentieren und wie die einzelnen Schüler mit ihren Fähigkeiten beeindruckende Entwicklungen durchgemacht hatten. Gerade, als ich anfing, gedanklich abzuschalten, entschied Nezu, nun doch endlich damit herauszurücken, wieso er mich zu sich hatte rufen lassen. “Am Wochenende werden die Aufnahmeprüfungen stattfinden.” Ich nickte. Das war kein Geheimnis. Selbst in den Medien wurde davon berichtet und einige Lehrer - allen voran Present Mic - waren deswegen ziemlich aus dem Häuschen. “Als Lehrerin dieser Schule wirst du natürlich auch dabei zusehen”, fuhr Nezu fort und nippte dann entspannt an seinem Tee, als wolle er mich extra auf die Folter spannen. “Da es für dich die erste Aufnahmeprüfung ist, möchte ich dir gerne erklären, wie diese überhaupt abläuft.” Ah! Ich nickte energisch. “Natürlich. Ich bin ganz Ohr”, entgegnete ich rasch. Hoffentlich verlief sich Nezu jetzt nicht wieder in belanglosem Smalltalk. “Neben einer theoretischen schriftlichen Prüfung, wie sie die meisten Schulen durchführen, gibt es bei uns noch eine praktische Prüfung, um herauszufinden, ob die Anwärter als Helden geeignet sind”, erklärte der Direktor und lehnte sich nun zurück. Seine Teetasse schien inzwischen leer. Gut, dann kamen wir nun vielleicht ja etwas zügiger voran. “Während dieser Prüfung werden sich die Prüflinge Robotergegnern stellen müssen, die teils sogenannte Villain Points geben, teils auch nicht.” “Aber gefährlich ist das nicht, oder?”, wollte ich wissen. Nezu schmunzelte und winkte ab, meine Frage damit abtuend. Nicht gerade beruhigend, aber was hatte ich auch erwartet? Im Manga hatte ich ja gesehen, dass es eben doch gefährlich war und kleinere Verletzungen von der Schule ziemlich gelassen hingenommen wurden. Zwar fand ich es irgendwie bedenklich, dass so etwas als normal galt - immerhin sprachen wir hier immer noch von Kindern! - doch auf der anderen Seite konnte ich schwer leugnen, dass es auch Sinn machte. Jemand, der die kleinsten Kratzer scheute, würde als Held niemals seiner Rolle gerecht, weil er zu große Angst vor Verletzungen hätte, als dass er sich in Gefahr begäbe. Für einen Helden brauchte es Opferbereitschaft, die groß genug war, jenen in Not auch dann zu helfen, wenn das eigene Wohl dabei in Gefahr geriet. Ich seufzte leise und ignorierte Nezus abwartenden Blick. Bestimmt sah er mir an der Nasenspitze an, dass ich so meine Zweifel ob dieser Prüfungsmethode hatte. Als ich jedoch schwieg, fuhr er mit seinen Erläuterungen fort. “Neben diesen Villain Points, über die wir die Prüflinge vorab informieren, gibt es noch die sogenannten Rescue Points. Wer jemanden beschützt, jemandem hilft oder seine Fähigkeiten einsetzt, um zivile Opfer zu verhindern, wird mit diesen Punkten belohnt.” Nezu lächelte nun breit. “Davon wissen natürlich nur die Lehrer.” Klar. Sonst würden Schüler diese Punkte ausnutzen und nicht erwerben, weil sie ehrlich jemandem helfen wollten. Es ginge ihnen um die Punkte. In gewisser Weise würde die Prüfung also zeigen, wem es nur um seine Punkte und seinen Erfolg ging und wem darum, auch dann zu helfen, wenn er sich keinen Gewinn davon versprach. Ich nickte Nezu zu, als Zeichen, dass ich verstanden hatte. “Da du zum Kollegium gehörst, ist es wichtig, dass du eingeweiht bist, damit du selbst entsprechend die Punkte vergeben kannst.” Meine Augen weiteten sich überrascht. Dass ich zusehen sollte, war ja eine Sache, aber selbst auch Punkte vergeben? Wie kam ich denn zu der Ehre? Anders als alle anderen Lehrer hier, war ich immerhin niemals ein Held gewesen und würde es auch niemals sein. “Ich weiß wirklich nicht, ob das eine gute Idee ist”, begann ich zögerlich. “Immerhin bin ich nicht aus dem Heldenbusiness. Die einzigen Helden, mit denen ich mich auskenne, sind lange tot und ihre wahren Geschichten mit ihnen untergegangen.” Ich grinste entschuldigend und zuckte mit den Schultern. Nezu jedoch blieb unbeirrt. “Du wirst die Helden der Zukunft ausbilden. Also solltest du auch daran teilhaben, ihnen wichtige Werte zu vermitteln.” Dagegen konnte ich schwerlich etwas sagen. Er hatte nicht Unrecht. Ethik und Moral waren als Held wohl letzten Endes wichtiger als irgendeine Note in Mathe, Sprachen oder Geschichte. “Außerdem interessiert mich deine Meinung.” Verwundert sah ich Nezu an. “Meine Meinung?”, hakte ich nach. Nezu nickte. “Was denkst du, macht einen Helden aus?” Seine Frage mochte salopp dahergesagt klingen, doch ich wurde das Gefühl nicht los, dass er es genau auf diese Frage abgezielt hatte. Sie war der Grund, warum ich hier war. Sonst hätte er mir wohl auch direkt vor der Prüfung erklären können, dass es mir ebenfalls zustünde, Rescue Points zu vergeben. Zumal ich gar keine Relation zum Wert eines Punktes erklärt bekommen hatte. Nezus abwartender Blick lag unverwandt auf mir. Hätte ich noch Zweifel daran gehabt, dass diese Frage der Kern dieser Unterhaltung war, dann wären sie spätestens jetzt verflogen. “Was einen Helden ausmacht. Mhm”, begann ich zögerlich. Spontan fielen mir einige Dinge ein, doch die meisten klangen selbst in meinen Gedanken nicht wirklich relevant. “Ich denke, was einen Helden letztlich ausmacht, sind neben sehr hohen moralischen und ethischen Ansprüchen an sich selbst, der Wunsch, jenen zu helfen, die Hilfe brauchen, ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten.” Ein Held, der käuflich wäre, das erschien mir einfach falsch und widersprach zugleich der in meinen Augen wichtigsten Anforderung: hohe ethische und moralische Ideale. Unsicher blickte ich zu Nezu, der mich nur weiter unverwandt aussah. Ich hatte keine Ahnung, was er über meine Antwort dachte. Seine Miene war so neutral, als sprächen wir über etwas absolut Belangloses. Nervös machte mich aber vor allem das Schweigen zwischen uns, von dem ich einfach das Gefühl hatte, es durchbrechen zu müssen. Dabei kannte ich diese Gesprächstaktik sogar. Wenn man schwieg, fühlte sich der andere Gesprächspartner, genau wie ich jetzt, dazu genötigt, zu sprechen und gab damit womöglich mehr preis, als er eigentlich wollte. “Mir ist klar, dass das eine ziemliche idealisierte Vorstellung ist und nicht gerade realistisch”, wandte ich kleinlaut ein, da lächelte Nezu plötzlich und hob die Hand als Zeichen, dass ich nicht fortfahren brauchte. Zum Glück, denn sicher hätte ich mich in irgendwelchen Erklärungen verzettelt. “Ohne gewisse Ideale wäre die Bezeichnung Held womöglich auch nicht gerechtfertigt, oder?”, schmunzelte der Direktor und fuhr dann direkt fort. “Wende deine Standards zur Vergabe der Rescue Points an. Oh, schon so spät!” So spät am Arsch. Ich war zwar schon eine Stunde hier, doch das war keine lange Zeit für ein Gespräch mit Nezu - was vor allem daran lag, dass er viel zu gerne über allerlei Kram sprach, ehe er zum Punkt kam. Er wollte sich einfach nur nicht weiter erklären. Wen glaubte er bitte, mit so miesem Schauspiel täuschen zu können? Innerlich seufzte ich, sparte mir aber den Versuch, mehr aus dem klugen Nager herauszukriegen. Was er nicht erzählen wollte, würde er mir auch nicht erzählen. “Dann möchte ich Sie gar nicht weiter aufhalten, Direktor Nezu”, meinte ich also höflich und leerte noch flugs meine Teetasse, ehe ich mich erhob. “Ah, aber nicht doch. Es war ein wirklich interessantes Gespräch. Aber jetzt solltest du vielleicht in dein Zimmer zurückkehren, um dich für das Wochenende auszuschlafen. Die Prüfungen werden ziemlich aufregend.” Oh ja, das würden sie bestimmt. Doch wohl eher für die Prüflinge als für mich, hoffte ich. “Vielen Dank für den Tee.” “Gerne. Solltest du Sorgen auf dem Herzen haben, zögere nicht, mich aufzusuchen”, wiederholte Nezu das Angebot, das er mir schon bei meiner Ankunft gemacht und das ich bis heute nicht in Anspruch genommen hatte. Ich nickte. “Das werde ich. Danke.” Mit höflichen Floskeln begleitete mich Nezu noch bis zur Tür. “Wir sehen uns dann spätestens bei den Prüfungen”, meinte Nezu noch mit einem Lächeln, das ich etwas unsicher erwiderte. So ganz wohl war mir bei dem Gedanken, die armen Prüflinge bewerten zu sollen, nicht. Was wusste ich schon vom Heldendasein? Im Fernsehen hatte ich beim Durchzappen sogar ganze Shows über Helden bemerkt, doch Zeit und Lust, mir davon etwas anzusehen, hatte ich nicht gehabt. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf machte ich mich auf den Weg zum Lehrerzimmer, um zumindest noch die Kopien anzufertigen, auf die ich eigentlich aus gewesen war. Zurück in meinem Zimmer, das schon mehr eine kleine Wohnung war, denn immerhin hatte ich eine kleine Küchenzeile und ein eigenes Bad anliegend, sortierte ich erst einmal in Ruhe meine Kopien auf dem ohnehin schon ziemlich überfüllten Schreibtisch. Im Kopf war ich jedoch die ganze Zeit viel mehr bei den Aufnahmeprüfungen und einer Notiz, die ich im Lehrerzimmer an der Pinnwand entdeckt hatte. Die hatte mein Hirn nämlich sofort auf Hochtouren laufen lassen. Auf den ersten Blick war der Zettel unscheinbar gewesen, doch die wenigen Worte darauf, bedeuteten Ärger, soviel war klar. “Mit Beginn des neuen Schuljahres wird All Might dem Lehrerkollegium der U.A. High School beitreten. Bitte heißt euren neuen und alten Kollegen herzlich willkommen. - Direktor Nezu.” Was das bedeutete, war im Grunde klar. Ich war nicht irgendwie irgendwann in eine Zeitlinie von Boku no Hero Academia geworfen worden, sondern etwa zu Start des Mangas. Das hatte ich bisher nur nicht mitbekommen, weil ich nicht in Kontakt mit den Protagonisten gestanden hatte. Seufzend schob ich meine Notizen zusammen. Wenn All Might nun hier unterrichten würde, hieß das, Deku käme an die Schule und die mir bereits bekannten Ereignisse würden bald folgen. All for one würde sich zeigen, die Liga der Bösewichte, All Mights nicht ganz so kleines Geheimnis, die Nomus. Das konnte ja heiter werden. So hatte ich mir bis heute meine Zeit als Lehrerin wirklich nicht vorgestellt. Nur gut, dass ich innerhalb des Schulgebäudes sicher wäre und nicht versehentlich in Kämpfe stolperte. Zumindest bis zu meinem Stand des Mangas. Für meine Schüler jedoch würde das nicht gelten. Nur ungern dachte ich an die Verletzungen, die sie erwartete. Vielleicht könnte ich ja Tenyas Bruder Ingenium wenigstens irgendwie vorwarnen? Und generell alle vor Stain und der Welle, die seine letzten Worte schlagen würden. Je mehr ich darüber nachgrübelte, desto mehr pochte mein Kopf, als wollte mich mein Körper davor warnen, zu viel in der Zeitlinie herumzupfuschen. Gerade, als ich erwog, mir einfach eine Kopfschmerztablette zu suchen, ehe ich weiter darüber grübelte, wie man den richtigen Leuten die richtigen Dinge anonym zukommen lassen könnte, klingelte das Telefon und riss mich damit so abrupt aus meinen Überlegungen, dass ich erschrocken zusammenzuckte. Holy! Ich brauchte einen Sekundenbruchteil, um den Schrecken abzuschütteln, dann griff ich nach dem Hörer. “Daeli-” “Hey, ich bin’s, Arif.” Erleichterung durchflutete mich. Bisher hatte ich von Ryoko, die ich von der Ausgrabungsstelle kannte, und Gilly, der Sekretärin, die sich um das ganze Bürozeug drumherum kümmerte und die ich mir insgeheim als etwa 60-jährige Lady in schickem Kostüm vorstellte, nur gehört, dass Arif sich von seinen Verletzungen erholen würde, aber noch im Krankenhaus lag. Es war das erste Mal seit dem Zwischenfall, dass ich Arifs Stimme hörte. “Arif! Wie geht es dir? Ist alles in Ordnung? Wurdest du entlassen?”, bombardierte ich ihn mit Fragen, was er mit einem Lachen kommentierte. “Ruhig, ruhig. Ja, ich bin schon seit ein paar Tagen aus dem Krankenhaus raus und bin heute direkt zurück nach Ägypten geflogen”, erklärte er mir gut gelaunt. Wow, er musste die Archäologie ebenso lieben wie ich. “Aber darum rufe ich nicht an”, fuhr er fort. “Wir haben nämlich noch ein paar andere Dinge gefunden, die ganz in der Nähe der Tafel gelegen haben. Sind nur ein paar Kleinigkeiten, wenn man so will.” Arifs Grinsen konnte ich förmlich hören. “Was denn genau?”, wollte ich sofort wissen und wieder lachte er einfach nur. “Wirst du sehen. Wenn du willst, schicken wir dir die Sachen zu, sonst schick ich dir einfach später eine Mail, wenn wir alles katalogisiert haben und mache ein paar hübsche Bilder.” Mein Herz machte einen deutlichen Satz. Glaubte er wirklich, ich würde dieses Angebot ablehnen? Damn, no! “Schick mir die Sachen!”, gab ich aufgeregt zurück. So hätte ich wenigstens ein kleines bisschen Ägypten bei mir, Spuren des Traumes, der sich erfüllt und direkt wieder in Luft aufgelöst hatte. “Alles klar. Wir packen sie dir ei-he!” Es knackte in der Leitung, dann hörte ich Ryokos Stimme. “Daelis? Wusst ich's doch! Du wirst lieben, was wir entdeckt haben! Die Sachen sind so gut wie auf dem Weg zu dir. Verschreck uns deine Schüler nicht, ja? Und meld dich, wenn was sein sollte. Aber jetzt muss ich dir Arif entführen, damit er mit der Katalogisierung hilft.” Nun war es an mir, zu lachen. “Verstanden. Passt auf euch auf. Man hört sich.” Leises Tuten verriet mir, dass sie aufgelegt hatten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)