Die Geister der Unterwelt von Alaiya (Wichtelgeschichte für Futuhiro) ================================================================================ Epilog: Die Geister des Winters ------------------------------- Die Fenster von Olgas Zimmer knarzten vor Kälte, während eine Windbö von draußen daran rüttelte. Natürlich war auch die Nacht eisig. Es war drei Uhr in der früh. Das neue Jahr, 1993 war drei Stunden alt und Olga fand keinen Schlaf. Stattdessen saß sie an ihrem Schreibtisch, hatte ein leeres Buch vor sich aufgeschlagen, den Titenfüller in der Hand. Sie wusste selbst nicht, was sie versuchte aufzuschreiben. Ihre Wunden waren geheilt. Ihre Familie hatte reagiert, als hätten sie geahnt, dass etwas passieren würde. Als hätten sie gewusst, dass nur einer der beiden Prüflinge zurückkommen würde. Ihr Vater hatte mit ihr nicht gesprochen. Ihre Mutter hatte ihr „Ist schon gut“ zugeflüstert und auf ihre Schulter geklopft. Das war alles. Man hatte sie geheilt. Sie hatte gebadet, während draußen überall das Feuerwerk hochgegangen war. Eigentlich hatte sie bei ihren Kommilitonen sein wollen, doch jetzt hatte es sich falsch angefühlt. Wieso hatte ihr niemand etwas gesagt? Jetzt saß sie hier, überlegte, versuchte sich zu erinnern, während Yefim in seinem Korb unter dem Schreibtisch lag. Vielleicht hatte sie deswegen das Buch herausgeholt: Im Versuch sich zu erinnern, im Versuch irgendwelche Erinnerungen zu Papier zu bringen. Sie konnte die Erinnerungen spüren. Sie waren da. Doch jedes Mal, wenn sie sie in ihr Bewusstsein ziehen wollte, entglitten sie ihren geistigen Fingern. Ein weiteres Knarzen des alten Glases ließ sie nach draußen schauen. Die Wintergeister hatten sich vom Feuerwerk wohl nicht vertreiben lassen. Es war halt nicht mehr wie früher. Früher, als Gevatter Frost selbst Teil der Feierlichkeiten war. Natürlich kam er noch in einige Häuser, doch die Touristen in Moskau interessierte es nicht. Darüber hätte Vanya sicherlich auch viel zu sagen gehabt. Vanya … Sie war ihrem Bruder nie besonders nahe gewesen. Er war zusammen mit Vaska aufgezogen worden. Es war immer fast gewesen, als wäre er eigentlich Vaskas Bruder und Olgas Cousin. Das schlimmste war die fehlende Erinnerung. Wenn sie nur wüsste, was genau passiert war. Sie würde es irgendwann erfahren. Und wenn sie einen Gefallen von einem anderen Geist annehmen müsste. Bis dahin … Sie starrte auf die leere Seite vor ihr. Zumindest galt ihre Ausbildung als endgültig abgeschlossen, obwohl sie Vanya verloren hatte. Sie verstand es nicht, doch hatte sie nicht widersprechen wollen. Dafür hatte ihr ohnehin die Energie gefehlt. Ihr Studium wäre in zwei Jahren fertig, wenn alles gut ging. Bis dahin konnte sie die Zeit nutzen, um Kontakte zu knüpfen. Die UdSSR war genau so, wie das Zarenreich gefallen und im Moment war sie sich nicht sicher, ob dieses neue Russland überleben konnte. Eine Gruppe aber hatte durch alles überlebt, oft aus dem Chaos noch Profit geschlagen. Böse Zungen sagten, dass sie nicht zuletzt geholfen hatten, die jetzige Regierung aufzubauen. Die Vory v Zarkone. Ihre Fähigkeiten waren vielleicht nicht so ausgereift, wie die von Vaska oder Vanya, aber sie wären sicher von Wert. Vielleicht würden sie reichen, um von hier fortzukommen. Um etwas mehr zu erleben, zu erwarten vom Leben, als Berater von irgendeinem Politiker oder Unternehmensführer zu werden. Es war einen Versuch wert. Und sei es nur, um von den Traditionen fortzukommen. Sie hatte genug. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)