Die Geister der Unterwelt von Alaiya (Wichtelgeschichte für Futuhiro) ================================================================================ Kapitel 2: Balaya ----------------- Wenigstens im Aufzug war es warm. Nun, „warm“ war relativ, doch zumindest hatte man nicht das Gefühl zu erfrieren. Die anderen Gäste schauten irritiert zu ihnen, da sie keinen Aufzug für sich bekommen hatten und die Tatsache, dass alle drei Familiare bei ihnen waren nun einmal neugierig machte. Vor allem zwischen Yefim und der Eule Nika, die wahrscheinlich kaum jemand je in einem Innenraum gesehen hatte. Olga vergrub ihre Hände in den Taschen. Die Anwesenheit der anderen Menschen sorgte dafür, dass ein Gespräch über die Aufgabe kaum möglich war – selbst wenn wenigstens ein Teil der anderen Menschen wie Touristen aussah. Gerade die Frau, die offenbar zwei Mäntel übereinandertrug wirkte nicht ganz wie von hier. Doch sie schwiegen. Vanya wippte auf seinen Füßen vor und zurück, während er die Hände in die Taschen seiner Jacke gesteckt hatte. Vaska hatte sich gegen die Wand gedrückt und wartete, Kir auf dem Arm. Endlich erklang das Pling, dass sie aus der kleinen Metallkabine erlösen sollte und die Türen des Aufzugs wurden vom Begleiter geöffnet. Yefim steckte den Kopf aus der Tür heraus, bevor es jemand anderes machen konnte. Innerlich strafte Olga sich dafür, ihrem Familiar kein Halsband angelegt zu haben. Zwar hasste er es, doch es war eine Möglichkeit weniger aufzufallen. Immerhin gab es die ein oder andere Person, die einen Fuchs als Haustier hielt. So aber zog er Blicke auf sich, als sie das Restaurant im Hauptraum der Aussichtsplattform betraten. Ihr Onkel hatte die Betreiber informiert. Sie waren noch immer angesehen genug als Familie, als dass niemand sie aufhielt, doch seltsame Blicke gab es dennoch. Umso mehr von den Touristen, von denen es dieses Jahr wirklich viele zu geben schien. Vanya schaute besonders missmutig zu einem deutlich amerikanischen Paar hinüber. Sie trugen ihre Nationalität sehr offen mit sich herum. Dagegen war Vaska mehr auf ihre Aufgabe konzentriert: „Wo müssen wir hin?“ „Nach oben“, antwortete Olga mit gesenkter Stimme. Sie glaubte nicht, dass die Balaya im vollen Restaurant auftauchen würde. Daher vermutete sie die Plattform darüber. Auch wenn sie sich selbst nicht auskannte, führte sie die beiden Jugendlichen zu einer Treppe, die nach oben ging. Da müsste es langgehen. Wahrscheinlich gab es eine Tür, doch Olga hatte den Schlüssel. Tatsächlich stand sie kurz darauf vor einer metallenen Tür. Die herrschende Kälte verriet ihr, dass es herausging. Sie tauschte einen Blick mit Yefim, der die Ohren angelegt hatte, ehe sie in ihrer Manteltasche wühlte und schließlich den Schlüssel hervorzog. Tief atmete sie sich durch, fasste ihren Mantel enger und trat hinaus. Die Kälte schlug ihr hier besonders stark entgegen. Der in der Höhe sausende Wind verstärkte sie nur, bließ ihr den Schal um die Ohren. Auch Yefims Ohren und Schwanz schlackerten im Wind, während er versuchte sich eng am eigentlichen Turm zu halten. Sie standen auf einer weiten Betonfläche, die an den Seiten abgezäunt war. Wahrscheinlich konnten bei besserem Wetter sogar Touristen hier heraus. Von der Balaya fehlte jedoch soweit jede Spur, wie auch Vanya bemerkte. „Wo ist denn nun die weiße Frau?“, meinte er. Olga seufzte. Sie wusste es nicht, bevorzugte es aber deutlich mit diesem Teil der Aufgabe schnell abzuschließen, um so sich in die Wärme zurückziehen zu können – selbst wenn nur für einen Moment. Allerdings mussten sie dafür wohl die eigentliche Aufgabe erst einmal erhalten. Und dabei konnte sie den beiden nicht helfen. Immerhin war es ihre Prüfung und sie war nur dafür da, die beiden zu schützen und auf dem rechten Pfad zu halten. So wirklich hatte nie jemand gesagt, wie viele Hinweise sie geben durfte. Doch im Moment wusste sie nicht einmal, was sie ihnen hätte raten können. Die Balaya hatte sie selbst ja nie gesehen. Kir drückte sich an Vaska, während diese weiter auf die Fläche lief. Offenbar passte der Katze trotz langem Fell der eisige Wind so gar nicht. Doch während sich ihr Cousin am Turm hielt, schaute Vaska sich weiter um. Sie nahm ein Amulett von unter ihrem Mantel und hob es. Auf die Entfernung konnte Olga nicht erkennen, was für ein Amulett es war, doch einen Moment später spürte sie einen magischen Puls über die Fläche hinwegfegen, während das Mädchen sich weiter umsah, Kir eng an sich gedrückt. Da knallte die Tür zur Treppe hinter ihnen zu, ließ auch Vanya und Olga zusammenzucken, ehe für einen Moment der Wind nachzulassen schien. „Seid willkommen, Sichel und Stern“, flüsterte eine leise Stimme. „Seid ihr gekommen, um die Münze zu werfen?“ Die beiden jungen Magier sahen sich um. Da ging ein neuer, dieses Mal jedoch deutlich wärmerer Windstoß über die Plattform hinweg, als eine Frau am Rand eben dieser erschien. Sie war schwer zu beschreiben, wirkte gleichzeitig alt und jung. Während ihre Gesichtszüge glatt waren, so war ihr Körper doch klein und in sich eingefallen. Weiße Gewänder waberten um sie herum, wie auch ihr ebenso weißes Haar. Ihre Augen waren geschlossen, ihre Hände an einen Stab geklammert. Vanya runzelte die Stirn. „Münze?“ Dennoch gesellte er sich zu seiner Cousine und trat näher. Olga hielt sich zurück. Sie war sich nicht sicher, wie sie sich dem Geist gegenüber verhalten sollte. Deswegen schwieg sie, beobachtete nur. Eine Art Lächeln erschien auf dem Gesicht der Frau. „Die Münze des Schicksals hat mehr als zwei Seiten“, sprach sie und zog tatsächlich eine Münze aus dem Ärmel ihres Gewandes. Eine silberne Münze, so viel konnte Olga erkennen, jedoch nicht die Symbole, die die Balaya den beiden zeige, indem sie die Münze mehrfach drehte. „Sie kann Segen und Fluch mit sich bringen.“ Offenbar schienen weder Vanya, noch Vaska zu wissen, wie sie reagieren sollten. Es war jedoch das Mädchen, das sich am Ende ein Herz fasste. „Wir sind wegen der Aufgabe hier. Unsere Großmutter hat vorhergesehen, dass du sie uns geben sollst.“ „Es ist eine Aufgabe, die ihr sucht, oder einen Pfad zu einem noch unbekannten Ziel?“ Jetzt tauschten die beiden Blicke und zuckten beinahe synchron mit den Schultern. „Den Pfad?“, meinte Vanya mit einem deutlich fragenden Ton. Die Frau lächelte weiter und hob die Münze ein Stück. „Dann hört mir zu, Sichel und Stern. Denn was ich euch auftrage, ist so leicht nicht zu finden: Folgt dem Silber in den Schoß der Welt. Erlangt den Einlass aus der göttlichen Hand. Hinab und wieder hinauf. Dann findet die Tür, hinter der sich verbirgt, ein Schicksal golden wie Sterne, oder schwarz wie die Nacht. Als die Balaya verstummte, tauschten die beiden einen noch verwirrteren Blick. Vanya hatte die Stirn gerunzelt. „Bitte was?“ Die Balaya lächelte, als hätte sie damit gerechnet und wiederholte ihren kleinen Spruch noch mal. Ein Gedichtsrätsel, soweit konnte es Olga zuordnen. Von so etwas hatte sie häufiger gehört. Es kam in der ein oder anderen Legende vor. Dass es wirklich Geister gab, die so etwas stellten … es erschien doch unnötig kompliziert. „Das ist unsere Aufgabe?“, fragte Vaska, als die Balaya das zweite Mal fertig war, und strich durch Kirs Fell. „So ist es“, bestätigte der Geist. Vaska zögerte, ehe sie Kir, die empört fauchte, auf den Boden absetzte. Dann zog sie dank ihrer Handschuhe sehr ungeschickt ein Notizbuch aus ihrer Umhängetasche hervor, wie auch einen einfachen Füller. „Könntest du es bitte ein drittes Mal wiederholen.“ Die Balaya kam der Aufforderung nach, während Vaska mit raschen Strichen mitschrieb. „Vielen Dank.“ „Ihr habt bis das Jahr endet“, meinte die Balaya. „Wissen wir“, murrte Vanya auf eine dem Geist gegenüber vielleicht etwas unfreundliche Art. „Dann wünsche ich euch viel Glück“, erwiderte die Balaya. Eine eisige Bö fegte über die Plattform hinweg, ehe der Geist verschwunden war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)