Postkarte an: [Empfänger leer] von Rix ================================================================================ Kapitel 1: Absender unbekannt ----------------------------- Sometimes when you meet someone, there’s a click. I don’t believe in love at first sight, but I believe in that click. Ann Aquirre „Blue Diablo“ I. Die ersten kalten Regentropfen trafen Kageyama unerwartet mitten im Nacken. Irritiert schaute er zum Himmel auf, der von einer dichten, dunklen Wolkendecke verzogen war. Kaum eine Sekunde später fielen die nächsten Tropfen unangenehm auf sein Gesicht und verwandelten sich rasant zu einem dauerhaften Niederschlag. Um ihn herum veränderte sich das lebhafte Treiben des späten Stadtlebens. Bummelten die Leute vorher noch an den vielen Geschäften vorbei, stoben sie jetzt wie Ameisen auseinander und suchten entweder Schutz in den Läden oder unter einer Vielzahl von bunten Regenschirmen. Da Kageyama nur mit seiner Sporttasche und einer Sportkappe bewaffnet war, tat er es den meisten Menschen gleich und rannte in das nächstbeste Ladengeschäft. Im Eingangsbereich blieb er unschlüssig stehen, um über die Angebote zu schauen, die sich in den Regalen tummelten. Seine Rettung vor dem plötzlichen Regen hatte ihn in einen größeren Shop getrieben, der hauptsächlich Zeitschriften, Bücher und kleinere Snacks verkaufte. Hier und da erblickte er auch Kinderspielzeug wie Flummis oder Kuscheltiere. In eine Ecke entdeckte er auch Stehtischen und ein Kaffeeautomaten, um den sich die meisten ungewollten Besucher sammelten. Mehrere Minuten blieb er fast schon regungslos im Eingang stehen, bis ihm der Ladenbesitzer und einige Kunden sonderbare Blicke zuwarfen, wodurch ihm unwohl in seiner eigenen Haut wurde. Um ihnen daher auszuweichen, setzte er endlich einen Fuß weiter in den Laden hinein und lief planlos die Zeitschriftenregale ab. Es waren solche Momente, wo er die Gesellschaft seiner alten Schulfreunde vermisste, insbesondere die laute Art von Hinata. Mit ihnen hatte er sich niemals deplatziert gefühlt. Mit seinen viel zu langen Gliedmaßen und seiner sozialen Inkompetenz war es ohne sie und mit dem ständigen Druck des Erwachsenwerdens immer schwerer geworden. Der Schritt aus dem Teenageralter raus fühlte sich an, wie das Bauen eines Kartenhauses, wo keine Karte mehr der Form der Anderen glich. Auf seine eigenen Gedanken schnaubte er und verdrängte die Negativität gewaltsam. Er konnte förmlich Hinatas Gelächter hören, würde er ihm von ihnen erzählen. Solch eine tiefgründige Grübelei war unerhört für die Majestät, flüsterte ihm der Geist eine altbekannte Stimme spöttisch ins Ohr, was einen Schauer über seinen Rücken jagte, der alles andere als unangenehm war und über den er nicht weiter nachdenken wollte. Erst jetzt bemerkte er, wie er vor vier großen Postkartenständer stehen geblieben war. Mehr aus Langeweile und der Gewohnheit die Motorik seine Körpers zu benutzen, schaute er sich die Karten an und ließ die Ständer sich dabei mehrmals im Kreis drehen. Ein gesamter Ständer handelte nur um Glückwunschkarten zu Geburtstagen, Hochzeiten oder anderen Anlässen. Dabei waren die meisten Motive bunt und auffällig mit lustigen Sprüchen oder Zeichnungen geschmückt. Daneben befand sich ein weiterer Ständer, der die selbe Thematik behandelte, dessen Postkarten aber bei Weitem aufwendiger gestaltet waren. Die Pop-up Karten gingen von süßen Tiermotiven bis hin zu komplizierten Motiven, die unzählige kleine Details enthielten. Ehrfürchtig betrachtete Kageyama die Karten länger als seine standardisierten Mitbewerber, bevor er er sich dem nächsten Ständer zuwandte. Dieser bot Postkarten mit Landschafts- oder anderen Umgebungsmotiven an. Kageyama war gerade dabei die unzähligen Strandbilder sich selbst zu überlassen, als die halbe Drehung des Ständers ihn den Blick auf eine Karte gewährte, die ihn innehalten ließ. Die Postkarte war nichts besonderes, weder von ihrem Motiv, noch von ihrer Machart. Dennoch löste sie in ihm ein Gefühl aus, dessen Name er auf der Zungenspitze erahnen konnte. Die Karte zeigte die örtliche Bahnstation. Sogar ohne bildliche Vorlage könnte Kageyama die Station beschreiben, da sie die letzten drei Jahre fast sein drittes Zuhause gewesen war. Hatte er sie tagtäglich benutzen müssen, um zur Schule und wieder zurück nach Hause zu kommen. Vorsichtig griff er nach dem Stück billiger Pappe, beinahe als fürchtete er einer Illusion zu unterliegen. Doch seine Hände, rau vom Volleyball spielen, umgriffen die glatte Fläche der Karte und er zog eines der Exemplare von seinen Geschwistern fort, um sie näher zu betrachten. Während Kageyama die Postkarte musterte, verharrte sein Körper auf der Stelle, wobei sein Kopf in vergangene Tage abtauchte. Fast schon kann er das Rattern der Schienen vernehmen, was ihn stets aus seinem Sekundenschlaf gerissen hatte. Hörte das Gesprächsmischmasch der Leute um sich herum, welche je nach Tageszeit unterschiedliche Nuancen trugen. Sah die vorbeiziehende Landschaft, entsann sich an seinen Lieblingsabschnitt, wo das Gold der Morgensonne durch die Spalten alter Häuser in das Zugabteil flutete. Atmete die Variation der verschiedenen angenehmen und unangenehmen Düfte ein, welche ebenso nach Jahreszeiten variierten. Vor allem jedoch erinnerte er sich an einer warmen Schulter an seiner. An das scharfe Seitenprofil eines Jungen, der nie mehr als ein „Guten Morgen eure Hoheit“ ihm entgegenwarf, bevor er seine Kopfhörer aufsetzte. Tag um Tag, Woche um Woche, Monat um Monat, Jahr um Jahr, nie ein Zentimeter näher, aber auch niemals einen mehr entfernt. Eine Präsenz, die Kageyama mit aller Macht der Nostalgie (und mehr, so viel mehr, was er aber nicht verstand) bei der ersten Zugfahrt in die andere Richtung vermisst hatte. Tsukishima und er waren für drei Jahre zur selben Schule gegangen, womit sie ebenso den selben Weg gehabt hatten. Was zuerst mit gehässigen Worten und aufgebrachten Gezeter angefangen hatte, hatte sich in wenigen Wochen in eine feste Routine entwickelt. Dabei hatte Kageyama sich über die Jahre nie getraut, all die Fragen zu stellen, die währenddessen in seinem Kopf aufgekommen waren. Die Frage, warum Tsukishima ihn nicht einfach ignorierte, wenn er ihn so wenig abkonnte. Weshalb er sich nicht in ein anderes Abteil setzte? Weswegen er stets so dicht neben ihm stand, aber ihn nie eines Blickes würdigte. Und warum Kageyama sich so wohl in seiner Nähe fühlte. Doch die Fragen waren unausgesprochen geblieben, ebenso wie das Ende ihrer seltsamen Zusammenkunft zur Schulzeit. Abrupt und ohne ein großes Wiedersehen. Alles was blieb, war ein Loch, welches mit den Geistern vergangener Jahre gefüllt war. Neben ihm riss ihn das Gekicher von zwei Mädchen in die Realität zurück. Anstatt die Geräusche einer U-Bahn, strömten leise Radiomusik durch die Lautsprecher des Ladens, das Prasseln des Regens gegen die riesigen Schaufenster und das Gemurmel des Besucher auf ihn ein. Für eine Sekunde war alles zu viel und ein bedrohliches Schwindelgefühl kam auf, bevor er sich gerade noch so fassen konnte. Eins der beiden Mädchen, fuchtelte mit der Postkarte vor dem Gesicht ihrer Freundin herum, bevor sie ihre Aktion laut begründete. „Wenn du ihn wirklich magst, schick ihm einfach eine Postkarte!“ Ihre Freundin verzog darauf eine Miene und streift dabei unschlüssig mit ihren Fingern durch ihre langen Haare. „Ich weiß ja nicht, ist das nicht zu altmodisch?“ Ohne es zu wollen, lehnte sich Kageyama näher an die Beiden heran, um ihr Gespräch besser verfolgen zu können. Das erste Mädchen schüttelte energisch den Kopf. „Nuhu! Nach dem Interview mit Aya in „Be yourself“ sagt sie, dass es nichts romantischeres gibt.“ Mädchen Nr. 2 schien dennoch nicht überzeugt zu sein, auch wenn irgendein Star das Gegenteil behauptete. „Was ist daran so romantisch?“ Ihre Freundin schien nur auf die Frage gewartet zu haben, da sie jetzt begeistert strahlte, so als hätte sie eine Million im Lotto gewonnen. „Weil es super, duper persönlich ist! Deine pure Liebe per Hand geschrieben und von dir an deinen Schwarm gesendet, ist 100 Prozent süßer als irgendeine Messenger-Nachricht oder ein olles Geständnis nach einem halbgaren Date mit Kino und Essen.“ Das Mädchen mit den langen Haaren ließ sich vom Enthusiasmus ihrer Freundin nicht beeindrucken. „...ist sowas nicht eigentlich super peinlich?“ Sichtlich frustriert stemmte die Postkarten-Verfechterin die Hände in die Hüfte. „Nur weil du kein bisschen Romantik in dir hast. Nach Aya haben sie und ihr Freund sich tausende von Postkarten geschickt, bevor sie überhaupt miteinander ausgegangen sind. Sie selbst sagt, dass sie durch seine Karten seine wahren Gefühle förmlich spüren konnte. Ist das nicht mega süß?!“ Nach einigen stillen Sekunden will Mädchen Nr. 2 etwas erwidern, hält aber inne, als sie bemerkte, dass Kageyama ihr Gespräch verfolgte. „Können wir etwas für dich tun?“, fragte sie höflich, während ihre Freundin herumwirbelte und lieber die Angriffstaktik wählte. „Urgh, bespannst du uns, du Creep?“ „Saya! Sogar wenn er ein Creep ist, sagt man das nicht so direkt!“, empörte sich ihre Freundin ebenso laut. Was dazu führte, dass sich einige Ladenbesucher zu ihnen umdrehten. „Was, so einen Spanner muss man direkt konfrontieren laut Aya. Ansonsten denken sie, dass es dir sogar gefällt und werden dann meistens handgreiflich“, erläuterte die andere mit ihrer bombischen Stimme. Kageyama überfordert mit der Situation und den vielen Blicken, die sich auf ihn richteten, entschloß in einer Kurzschlussreaktion zwei Dinge zu tun: „K-Klappe! Ich würde niemals so Lügnerinnen wie euch anschauen!“, war seine erste, mehr als unhöfliche, Reaktion. Seine Zweite war die Beine in die Hand zu nehmen und aus dem Laden zu flüchten. Erst einen langen Sprint später, hielt er nach Luft ringend in einer Unterführung an. Nachdem er sich einigermaßen gesammelt hatte, fielen ihm mehrere Dinge auf. Er war durch den Regen komplett durchnässt, wodurch sich langsam die Kälte in seine Knochen fraß und er aber noch eine gute Viertelstunde in diesem Zustand nach Hause laufen musste und der Fakt, dass er noch immer die Postkarte mit der U-Bahnstation in der Hand hielt. Dümmlich starrte er das Stück geklaute Pappe an, während der Regen sich langsam lichtete, nahm der Sturm in seinem Herzen erst an Intensität zu. II. Nervös schob Kageyama die Kappe noch tiefer in sein Gesicht. Irgendwo hinter ihm kläffte ein Hund, worauf ein anderer mit ebenso lautem Gekläffe antwortete. Dennoch drehte er sich nicht um, da seine ganze Konzentration auf dem Apartmentkomplex vor ihm ruhte. Er war sich mehr als sicher, dass ihn niemand sehen konnte, wenn er zu dem Briefkästen der Apartments lief, da diese sicher im Durchlauf bei den Treppen in die Wand gelassen waren. Weiterhin war er sich sicher, dass der Besitzer des Apartments entweder nicht Zuhause war oder keinerlei Interesse hatte nach vorne aus dem kleinen Fenster zur Hauptstraße zu schauen. Immerhin hatte er die Eingangstür und das Fenster seit mehr als einer Stunde von seiner Position hinter dem Müllcontainer überwacht. Fahrig wischte er seine schwitzenden Händen an seinen Oberschenkeln ab, die langsam protestierten, da ihnen das viel zu lange Kauern hinter dem Container zu viel wurde. Er atmete noch einmal tief durch, bevor er zum Briefkasten hechtete. Hastig überflog er die Namenskärtchen bis er den Gesuchten fand. Tsukishimas Name lachte ihn in dessen üblicher Handschrift an. Klein und ein wenig schnörkelig, aber weitem lesbarer als Kageyamas. Noch zu gut entsann er sich an die Sticheleien, die ihm der Blonde stets gegeben hatte, wenn er seine Hausaufgaben für den Preis eines Kaffees korrigiert hatte. Obwohl es nur ein kleiner Sprint gewesen war, schlug Kageyamas Puls bis zum Anschlag und seine Hände zitterten unkontrollierbar, als er in seine Jackentasche griff. Ein wenig verknickt und mit einigen Wasserschäden holte er die gestohlene Postkarte hervor. Bedächtig hob er sie an und hielt sie vor den Briefkastenschlitz – nur um erneut zu zögern. Zweifel rannen wie tausend Regentropfen durch seinen Kopf. Der Großteil davon schrie ihn an, wie lächerlich das Ganze war. Immerhin war die Karte nicht einmal beschrieben. Den ganzen vorherigen Abend hatte Kageyama über dem Stück Pappe gebrütet. Überlegt, was er mit dem Diebesgut anstellen sollte. Und irgendwo in den Stunden zwischen tiefster Nacht und Morgengrauen, war der Drang geboren, sie Tsukishima zu überreichen. Doch als es dazu kam, die Rückseite der Postkarte zu beschriften, versagte ihm sein Wortschatz. Nicht das Kageyama jemals gut mit Worten gewesen war, aber ihm fiel nicht ein, wie er das, was er empfand, in Tinte und Linien verwandeln sollte. Besonders da er sich selbst unschlüssig darüber war, was es war, dass ihn dazu trieb so zu handeln. Es war wie ein Zuspiel beim Volleyball, wo er nicht den richtigen Winkel oder das perfekte Tempo fand. Deswegen blieb die Postkarte leer. Trotzdem gab Kageyama sich einen letzten Ruck und schmiss sie in den Briefkasten. Im schlimmsten Fall würde Tsukishima es als eine Art Streich oder Fehler sehen. Wenn es ihn überhaupt interessierte und er sie nicht mit einem achtlosen Schulterzucken sofort zerknüllte und wegwarf. Bei der Vorstellung zog sich Kageyamas Inneres zusammen, schüttelte es jedoch rasch ab. Kurz verharrte er noch, bis er förmlich davon rannte mit dem Herz im See aller Wünsche und Hoffnungen und dem Kopf im Graben aller Ängste und Enttäuschungen. III. Leichte Nebelschwaden hingen noch dicht über der Erde, als die ersten rosaroten Sonnenstrahlen sich ihren Weg durch die seichte Wolkendecke suchten. Die Luft war noch so feucht und kühl, dass sie bei jedem koordinierten Atemzug sichtbar wurde. Irgendwo in der Ferne rauschten die ersten Autos über die Landstraße, allein gedämpft durch weite Flächen von Baumwänden und sumpfartigen Wiesen. Obwohl einige der erwachenden Vögel den Tag mit schrillen Tönen begrüßten, ergaben sie mit dem rhythmischen Pochen von Schritten eine angenehme Melodie. Womöglich war das eine kitschige Empfindung und seine Freunde würden Kageyama dafür auslachen. Aber niemand musste es erfahren, weswegen er an ihr mit einem warmen Schaudern festhielt, während seine Euphorie noch etwas anstieg und er sein Lauftempo erhöhte. Seine Beine protestierte daraufhin, was er jedoch geflissentlich ignorierte. Stattdessen konzentrierte er sich lieber auf die anderen Warnrufe seines Körpers. Wie das Brennen seiner Kehle oder das angespannte Ziehen seiner Muskel, welche alle unangenehm sein sollten, ihn aber nur weiter beflügelten. Höchstwahrscheinlich war er tief im Inneren ein Masochist. Kein normaler Mensch würde solch eine physische Anstrengung als angenehm empfinden. Wobei ihm zum Beispiel Sawamura hierbei widersprechen und ihn motivieren würde. Wahrscheinlich mit einer Ansprache darüber, dass jeder Mensch ein Individuum war und Normalität an den Grenzen des eigenen Erfahrungswertes bewertet wurde. Oder so ähnlich. Wie auch immer. Was auch immer. Wen kümmerte es wirklich? Tsukishima. Blondes, kurzes Haar. Goldbraune Augen, die mit ihrem kühlen Starren dem Nebel um seine Fußgelenken ähnelten. Eine Stimme, emotionslos wie ein Stein und gleichzeitig scharf wie ein Messer. Eine ganz andere Art von Schmerz erfasste Kageyama und er erhöhte sein Tempo nur noch mehr. Raus aus dem Rhythmus und jeglicher Kontrolle. Bewusstes Rennen wurde förmlich zum Davonlaufen. Und Kageyama hatte keine Ahnung, wie lange er durchhalten würde, bevor er einfach umkippen würde. Er war definitiv ein Masochist. IV. Einige Tage später befand sich eine unbeschriebene Postkarte in seinem Briefkasten. Auf ihr war das der örtliche Eiscafé abgebildet, was in der Nähe seiner alten Schule lag. Sofort schossen ihm warme Sommernächte in den Kopf. Ein schelmisches Grinsen, was ihn einen Kinderbecher mit einem süffisanten Spruch in die Hand drückte. Der Geschmack von süßen Aromastoffen, welche der von Erdbeeren gleichen soll, erfasste seine Geschmacksnerven. Ein langer Spaziergang zurück, jedes Verkehrsmittel und jede Zeit vergessen. Nur die untergehende Sonne und die gleichmäßigen Schritte des Jungen neben sich. Mit einem flatternden Gefühl im Magen klebte Kageyama die Postkarte an seinen Kühlschrank. V. Bei der nächste Postkarte bezahlte Kageyama den dreifachen Preis. Was zu einem seltsamen Gespräch mit dem Shopbesitzer führte, wo er schlussendlich mehr schrie als logisch zu argumentieren. Aber er brachte es nicht über sich, die Wahrheit über die gestohlene Postkarte preiszugeben. Besonders da ihn sein neuer Teamkapitän davor gewarnt hatte, kurz vor ihrem ersten wichtigen Volleyballspiel in Schwierigkeiten zu geraten. Und Kageyama war sich sicher, dass darunter sowas wie Ladendiebstahl fiel. Schlussendlich gab der Besitzer äußerst verwirrt nach. Zufrieden mit sich und einer Schuld weniger auf dem Gewissen, marschierte Kageyama wie der König der Welt aus dem Laden. Beflügelt brachten ihm seine Füße zu einem bestimmten Apartmentkomplex und er zögerte auch nur etwa eine halbe Minute, bevor er zum Briefkasten hechtete. Mit einem letzten Blick auf die Karte in seiner Hand, schmiss er sie bei Tskushima ein. Das Motiv war simpel. Das örtliche Nationalmuseum. Ein Nachmittag voller Dinoknochen. Imposant und Jahrtausende alt. Tot, aber dennoch erstaunlich. Und ein Junge, der sonst nie begeistert von irgendwas zu sein schien, mit einem Glitzern in den Augen. Eine Erinnerung, die so wenig vergessen war, wie die majestätischen Wesen, dessen Knochen einst voller Fleisch waren und die Erde bewanderten. Und erneut befand sich ein paar Tage später eine Postkarte in Kageyamas Briefkasten. Ein Feld voller Blumen, was er zuerst nicht zuordnen konnte. Bis es ihm nach einigem Grübeln einfiel und er genervt schnaubte. Ein Ausflug zur Schmetterlingsinsel, wo sie feststellen mussten, dass er eine Allergie gegen eine bestimmte Art von Blumen hatte. Das besorgte Verhalten von Sugawara und Asahi. Hinatas schallendes Gelächter. Kiyokos hilfreiche und beruhigende Lösung. Und zwischen all dem Chaos Tsukishimas höhnische Seitenkommentare. Kageyama konnte förmlich das breite Grinsen des Blonden sehen, als er die Postkarte ausgesucht hatte und dessen trockenes Kichern hören, als er sie einwarf. Noch mehr konnte er sich dessen Freude über Kageyamas verärgertes Grimassenziehen vorstellen. Und seltsam wie es war, vermisste Kageyama, dass er sich den Anderen dabei nur vorstellen und nicht wirklich sehen konnte. Er klebte die Postkarte an den Kühlschrank. VI. Zum ersten Mal seit vier Monaten besuchten ihn einer seiner neue Teamkameraden in seinen eigenen vier Wänden. Was auf mehr als einer Ebene seltsam war, da es sich hierbei um Ushijima Wakatoshi handelte. In einem Flug von seltsam abgehackten Sätzen und sozialen Überlebensskills die von ihnen Beiden zusammen addiert nicht einmal ein halbes Glas füllen würden, hatte er den Älteren auf was zu Essen und dem Anschauen von alten Volleyballspielen eingeladen. Tatsächlich stellte sich im Laufe des Abends heraus, dass Ushijima und er sich äußerst gut verstanden. Sie Beide brauchten keine großen Worte und ihre Gehirne waren so sehr auf Volleyball funktioniert, dass ihre Gespräche niemals unangenehm oder ins Stocken geriet. Seit Langem genoss Kageyama die Gesellschaft eines anderen Menschen und auch, wenn ihn eine leichte Sehnsucht nach seinen alten Freunden heimsuchte, übertraf sie nicht die Möglichkeit einer neuen, unvorhergesehenen Freundschaft. Als es spät wurde und langsam der letzte Bus fahren würde, machte sich Ushijima bereit zu gehen. Jedoch hielt er in der Küche inne und anstatt seinen Schal fest um sich zu schlingen, musterte er die Kollektion an Postkarten, die am Kühlschrank hingen. „Von wem sind die ganzen Postkarten?“, fragte er geradeheraus. Kageyama konnte nicht sagen warum, aber plötzlich schien seine Ohren Feuer zu fangen, so heiß wie sie wurden. „V-Von niemanden“, log er, wobei seine Stimme sich überschlug. Ushijima legte nur verwirrt den Kopf schief. „Warum hast du dann so viele? Ist der Sinn nicht, sie zu verschicken oder mit irgendwelchen Botschaften zu bekommen?“ Beinahe platzte es Kageyama heraus, dass die Karten sehr wohl Bedeutungen hatten. Aber sein Magen überschlug sich und die Wahrheit erstickte auf halbem Weg zur Lunge. „Sie erinnern mich halt an Sachen!“, erwiderte er trotzig. Hm“, machte Ushijima nur. Es verstrichen einige Sekunden, bevor Kageyama sich einen Ruck gab. Mehr als einmal hatte ihn Yachi dazu ermutigt, Dinge offen zu sagen – wenn auch weniger direkt, sollten sie unangebracht sein. „Sie sind von Tsukishima.“ Kurz runzelte der Ältere die Stirn, bis er allem Anschein den Namen zuordnen konnte. „Ah“, schwach lächelte er. „Tendou tendiert ebenso dazu, mir ständig seltsame Sachen zu schicken und mich dann anzurufen, um mit mir darüber zu reden.“ „Oh“, war alles, was Kageyama dazu sagen konnte, da er nicht damit gerechnet hatte, dass ihn der Andere sowas privates mitteilte. Ushijima schien seine Unsicherheit zu erahnen, da er jetzt zu den Karten nickte. „Sind das Orte, die er besucht und von denen er dir schreibt? Wobei es viele örtliche Sachen sind, nicht?“ „Oh“, sagte Kageyama erneut, bevor er anfügte: „Nein. Nur Dinge...Orte, wo wir mal gewesen waren.“ Sogar in seinen Ohren hörte sich die Begründung lächerlich an. Trotzdem schien Ushijima nicht so zu denken und wenn, sprach er es nicht aus. Stattdessen zog er sich jetzt seine Jacke an. „Also sind es nur, Erinnerungen?“ „...sowas in der Art?“ „Hm.“ Damit war allem Anschein das Gespräch vollständig beendet. Erst als Kageyama Ushijima noch bis zur Bushaltestelle begleitete, griff der Ältere das Thema ein erneutes Mal auf. „Diese Postkarten...“, fing er an und zögerte leicht. „Was ist damit?“, wobei Kageyama mehr als verteidigend klang. Doch der Andere ließ sich nichts anmerken, runzelte nur nachdenklich die Stirn, während die Lichter des Busses am anderen Ende der Straße um die Ecke erschienen. „Erinnerungen sind gut, Kageyama. Aber sie sind nur das, Erinnerungen, verstehst du?“ Kageyama verstand nicht und es musste sich in seinem Gesicht widerspiegeln, da Ushijima erneut zu einer Erklärung ausholte. Dabei war sie genauso vage, wie die davor. „Erinnerungen können einen für den Moment glücklich machen, wie das Bekommen einer Postkarte. Aber sie sind dafür gemacht in der Vergangenheit zu leben. Nicht in der Zukunft.“ „Wa-?“ Der Bus hielt vor ihnen und ohne große Fanfaren stieg Ushijima ein. Kurz bevor sich die Türen schlossen, wandte der Ältere sich ihm noch einmal zu. „Ich bin kein Experte in….Gefühlen. Aber ich habe gelernt, dass es besser ist, sie manchmal direkt anzusprechen, als ihnen auszuweichen.“ Bevor Kageyama noch etwas erwidern konnte, schlossen sich die Türen und damit die Möglichkeit zu erfahren, was der Andere gemeint hatte. Besonders da er nicht den Mut aufbrachte, es zwei Tage später bei ihrem Training wiederaufzugreifen, aus Angst, die dünne Balance zwischen dem, was er erahnte und dem was er wusste über seine Gefühle hinsichtlich Tsukishima, diese bloß zu stellen. Erst ein paar Abende später als Kageyama alleine in seiner Wohnung stand, sackten die Worte von Ushijima wie dickflüssiger Syrup in sein Verständnis. Umgeben von der Dunkelheit und der Leere, schwebten die geisterhaften Erinnerungen von seinen Freunden um ihn herum. Und am Kühlschrank hing eine ganze Ansammlung davon. Geister von Momenten, die sein Herz schwer und leicht machten, die ihn wärmten und für einen Augenblick in eine Umarmung der Nostalgie zogen, die vertraut und sicher war. Aber das war alles, was sie waren. Geister, vergangen und fort. Und wenn Kageyama genauer darüber nachdachte, sind sie alles Zeugnisse von seiner verpassten Zukunft mit Tsukishima. VII. Eine allerletzte Postkarte wog schwer in Kageyamas Hand. Auf ihr war ein wunderschöner See zu sehen. Nicht so wunderschön, wie der in Kageyamas Erinnerung, da er diesen im tiefsten Winter besucht hatte. Dann wiederum würde es nie wieder einen geben, der sein Herz so sehr zerquetschte. Schwer schwappte das eisige Wasser des Sees gegen ihr Schwanenboot und brachte es zum Wackeln. Sicherheitshalber griff Kageyama nach dem Bootrand, als könnte es dazu führen, dass sie nicht kentern würden. „Wenn wir schon mit dieser Todesmaschine fahren müssen, könntest du zumindest das Ding still halten“, warnte er seinen Begleiter. Dieser warf ihm nur ein spitzbübisches Grinsen zu. „Ist doch romantisch, findest du nicht?“ Kageyama zog den Rotz in seiner Nase hoch, die er durch die Kälte nicht mehr spüren konnte. Der Rest von ihm war in dicken Sachen eingepackt und dennoch halb erfroren. Ansonsten erstreckte sich nur die Leere des Sees vor ihm, wo kein Tier im Winter sich aufhielt und die Flussufer ebenso grau erschien, wie der Rest des Winters. Außerdem war ein schwarzer Beutel komplett um den Kopf des Schwanenbootes gezogen wurden, was mehr als makaber wirkte. „Wenn Romantik so aussieht, dann ist sie definitiv tot“, erwiderte er nur trocken, worauf Tsukishima gehässige kicherte. Kageyama hatte noch immer keine Ahnung, wie der Andere es geschafft hatte, ihn zu überreden, mitten im tiefsten Dezember, eine Fahrt mit den Schwanenboot zu machen. Aber hier waren sie, sinnlos über das Wasser treibend, ohne Ziel und ohne einen Antrieb irgendwo anzukommen. Ein Seufzen entfuhr Kageyama und er kratzte sich die Stelle an der Stirn, die durch den Stoff seiner Wollmütze besonders juckte. Sofort biss die Kälte nach seinen nackten Fingern und mehr als einmal bereute er es, an dem Morgen seine Handschuhe Zuhause vergessen zu haben. „Wow, das Seufzen klang wie Atlas, der die ganze Welt stemmen muss. Eure Majestät muss ein schwere Leben tragen“, kommentierte Tsukishima und durchbrach ihre aufgekommene Stille. Darauf knurrte Kageyama nur „Klappe, Idiot!“ „Hm, geistreich und eloquent wie eh und je.“ Das Boot wackelte abermals gefährlich hin und her. „Pass auf, Idiot! Ich habe keine Lust baden zu gehen!“ „Ich hab' gehört, dass es äußert gut für das Herz sein soll. Die Finnen machen das einmal jährlich als Tradition, oder so. Jemand der so irre ist, wie du, sollte es also kaum abwarten können, ins Kalte zu springen.“ Kageyamas Geduldsfaden riss in dem Moment, der sowieso nie besonders lang war, wenn es um Tsukishimas Sticheleien ging. „Hast du mich auf den See eingeladen, um mich zu beleidigen oder gibt es noch einen weiteren Grund, warum wir hier sind?!“ Plötzlich wurde Tsukishimas Miene ernst und irgendwas in Kageyamas Inneren zog sich zusammen. Mit solch einer Reaktion hatte er nicht gerechnet. Sondern eher mit einem weiteren bissigen Kommentar. Immerhin war das ihr einstudierter Akt und offene Gespräche über ernsthafte Themen vermieden sie wie die Pest, da sie die unsichtbaren, selbsterbauten Mauern zwischen ihnen einreißen würden. Wobei Kageyama sich in den letzten Monaten mehr als einmal dabei erwischte, wie er diese Mauern zerbröckeln sehen wollte. „Bald ist unser drittes Jahr vorbei“, fing Tsukishima an und führte dann den Satz nicht weiter, so als wüsste er nicht, was danach kommen sollte. Etwas Nasses berührte Kageyamas Gesicht und er blickte von den Blonden auf und in Richtung Himmel Himmel. Fasziniert beobachtete er, wie leise Schneeflocken gen Boden flogen. Bald würde es noch kälter auf dem See werden, wobei er glaubte, dass nichts die kalte Panik übersteigen könnte, die ihn derzeit übermannte. „Sag, Kageyama. Was würdest du sagen, wenn ich dir erzähle, dass ich auf Männer stehe?“ Eine der Schneeflocken landete auf seinen Augenlider, weswegen Kageyama wie wild blinzelte. „Und was würdest du sagen, wenn ich dir erzähle, dass ich in jemanden verliebt bin?“ Alles in Kageyama schrie und zog und er warf dem tiefen Wasser einen langen Blick zu, welches dunkel und bedrohlich sich Meter um Meter um ihn herum erstreckte. „Kageyama. Was würdest du sagen, wenn ich dir erzähle, dass ich-“ Finnen waren irren, dachte Kageyama, als er ins kalte Wasser sprang und es sich anfühlte, als würden ihn tausend kleine Eisnägel attackieren. Aber alles war einfacher, als das Ende von Tsukishimas Satz zu hören und sich einer Tatsache zu stellen, auf die er noch nicht vorbereitet war. VIII. Die Seekarte fand nie ihren Weg in Tsukishimas Briefkasten. Ebenso keine Weitere. In seinem Eigenem lagen zuerst noch eine. Dann eine Weitere. Und dann gar keine mehr. Sein Kühlschrank bar von jeder Postkarte. IX. Die Hochzeit von Hinata und Yachi fand im tiefsten Winter statt. Kageyama hatte keine Ahnung, warum sie ausgerechnet im Winter auf einem kleinem Schloss feiern mussten, aber dann hatte er im Generellen keine Ahnung von solchen Festlichkeiten. Vor ihm plätscherte ein Schokobrunnen, während Hinata neben ihm probeweise den Finger in die Flüssigkeit steckte. Sofort bekam er einen Klaps von Yachi. „Shouyou!“, tadelte sie ihn. „Es ist nur der kleine Finger“, versuchte es sein bester Freund. Doch seine Ehefrau war unnachgiebig. „Hinata, Kageyama, Yachi!“, ertönte hinter ihnen die freudige Stimme von Sugawara, der in Begleitung von Daichi und Asahi war. Ihre alten Freunde zogen sie allesamt in eine kräftige Umarmung und danach war es ein Wirrwarr an Wiedersehens. Man tauschte sich aus, es wurde gelacht und Kageyama fühlte sich einerseits überglücklich und andererseits nagte an ihm eine Unruhe, die er sich nicht erklären konnte. Bis zum dem Zeitpunkt als er Tsukishima erblickte. Mit gelangweilter Miene kam er neben Yamaguchi und dessen fester Freundin in den Raum. Freudig wurden sie von Hinata begrüßt und dann fielen andere altbekannte Gesichter über sie her. Dabei blickte der Blonde sich nicht ein einziges Mal um. Die seltsame Enttäuschung schluckte Kageyama hinunter und konzentrierte sich auf andere Dinge. Erst als sie ihre Plätze für die Trauung einnahmen, trafen sich ihre Blicke. Tsukishima sagte nichts und Kageyama auch nicht. X. „Lasst die Hüften kreisen!“, heizte Kuroo den Tanzflur an und legte dabei ein Lied auf, was ein hohes Tempo vorgab. Man konnte vieles über Kuroo sagen, aber sein Job als DJ machte er gut. In der Mitte lachte Yachi als Hinata wild mit ihr über das Paket tanzte. Sogar Oikawa, der schon einiges im Kahn hatte, griff nach Iwaizumi und ließ das Tanzbein schwingen – und überraschenderweise machte der Andere freudig mit. Kageyama selbst hielt sich zurück. Nach einem Fiasko in seinem ersten Jahr bei einer der Feiern von den Schweiden Adlers, was eine Menge Alkohol und einen geklauten Billiardtisch um 3 Uhr morgens beinhaltet hatte, hatte er gelernt sein Bier in Maßen zu sich zu nehmen. Zumal er keinerlei Ambition aufbringen konnte, seine nicht vorhandenen Tanzkünste auszuleben. Weshalb er seine Aufmerksamkeit dem riesigen Buffet widmete, was je länger der Abend fortfuhr, leerer wurde. Erst als ein äußerst betrunkener Tanaka und Nishinoya ihn dazu überreden wollten, den Schokobrunnen zum Fliegen bringen zu wollen, nahm er reißaus. Das Schloss war nicht besonders groß, verfügte dafür aber für eine weite Aussichtsplattform. Im Sommer konnte man hier höchstwahrscheinlich sitzen und auf das Tal unterhalb schauen. Jetzt im Winter war der Platz jedoch leer und nur mit einer dünnen Schicht aus Schnee bedeckt. Da es keinerlei Schutz von Bäumen gab, zerrte der Wind sofort an jedem freien Stückchen Haut, was er erhaschen konnte. Fröstelnd steckte Kageyama seine Hände unter seine Achseln und trat an den Rand der Plattform. Unter ihm erstreckte sich ein dunkler Abhang und in der Ferne kleine Lichter der nächsten Stadt. Hinter ihm ertönte gedämpft die Partymusik und das Knäul an zigtausend Stimmen, die eine ganz eigene Melodie ergaben. „Die Musik ist nicht so schlecht, dass man sich umbringen muss, Eure Hoheit“, durchbrach plötzlich eine neckische Stimme seine persönliche Welt. Wie von einer Tarantel gestochen, drehte er sich herum, um Tsukishima zu erblicken. Dieser trat an neben ihn an den Rand der Plattform, jedoch eine ganze Armlänge entfernt. Zu geschockt von dem Auftauchen des Blonden, starrte er ihn nur an, bis dieser sich eine Zigarette ansteckte. „Du rauchst?“ Tsukishima hob angriffslustig eine Augenbraue. „Problem?“ „Es ist ungesund“, erwiderte er defensiv. Humorlos lachte der Blonde einmal trocken auf. „Seit wann kümmert dich meine Gesundheit? Sowas ziemt sich nicht für einen König.“ Kageyama schwieg. Mehr als die alte Stichelei, traf in die erste Aussage tiefer als er es geglaubt hatte. Die Minuten vergingen zwischen ihnen, ohne dass jemand was sagte. Die Zigarette brannte nach und nach ab und die Winterkälte frass sich unter ihre Haut, in ihre Knochen und in die tiefste Ecke von Kageyamas Herz. Die letzte Asche verglühte im Wind und der Blonde drückte den Stengel auf dem Rand der Veranda aus. Kageyama schloss die Augen, wartete auf die Schritte, die knirschend im Schnee von ihm verschwinden würden. Aber nichts geschah. Bis ein „Oh“ von Tsukishima ertönte. Perplex öffnete Kageyama die Augen und schaute zum Blonden hinüber. Dessen Augen waren auf dem Nachthimmel gerichtet. Neugierig folgte er dem Blick, nur um eine Schneeflocke ins Gesicht zu bekommen. In dieser Sekunden prallten Vergangenheit und Gegenwart aufeinander, dass Kageyama glaubte wieder ein verwirrter Teenager zu sein, der keinerlei Ahnung hatte, wie der Name dafür war, was er für den Mann neben sich empfand. Einige Sekunden schaute er dem Fall fasziniert zu, bis plötzlich ihn Tsukishima ins Hier und Jetzt zurückbrachte. „Sag Kageyama, würdest du von der Plattform springen, wenn ich dir sage, dass ich weiterhin auf Männer stehe und verliebt bin?“, neckte ihn der Blonde, obwohl sich im selben Moment eine kräftige Hand um seinen Arm klammerte. Kurz schwieg er und dachte an all die alten Postkarten, die in einem Schuhkarton unter seinem Bett hausten. „Was würdest du tun, wenn ich dir sage, dass es mich nicht stört?“ Fragte er die fallenden Schneeflocken. Die kalte, starke Hand um seinen Arm zog ihn an einen warmen Körper und in einen hitzigen Kuss. XI. „Warum hast du keine Postkarte mehr geschickt?“, fragte ihn Tsukishima von der einen Seite des Bettes, während Kageyama seine Hose vom Boden aufhob. Verdutzt schaute er zu dem Blonden auf, der noch immer komplett entblößt unter den Laken war. Bei dem Wissen wandert Kageyamas Blut erneut nach unten, aber er riss sich zusammen. Anders als der Andere musste er zurückreisen, da er noch Abends Training hat. Ein professioneller Volleyballspieler zu sein, gab nicht sehr viel Spielraum für Freizeit. „Ushijima meinte, es wäre nicht gut, nur in Erinnerungen zu schwelgen“, antwortete er langsam, worauf ihn der Blonde kritisch musterte. Unsicherer fügte er an: „Außerdem dachte ich...es wäre vergebene Liebesmühe? Und es wäre besser, wenn ich...endlich loslasse von dir?“ Das Gelächter des Anderen war laut und er konnte spüren wie die Scham ihn jede Faser seines Körpers sickerte. „Hör auf zu lachen, du Idiot!“, brüllte er ihn an und warf sich samt Kissen auf den Größeren. Zuerst rangelten sie einige Sekunden, bis Tsukishima ihn unter sich festsetzte und küsste. Kageyama würde es definitiv nicht pünktlich zum Training schaffen. „Du bist wirklich ein königlicher Idiot“, flüsterte der Blonde ihm ins Haar, während seine langen Finger Kreise auf Kageyamas Armen drehten. Er runzelte die Stirn. „Warum?“ „Ich habe dich seit unserem letzten Schuljahr geliebt, deswegen.“ „Oh.“ Erneut runzelte Kageyama die Stirn. „Aber damals auf dem See wolltest du mir von jemanden erzählen, den du liebst...“ Eine kurze Stille. Dann ein Ungläubiges: „Ich wollte dir sagen, dass ich in dich verliebt war...bin...“ Eine Stille entstand, in der er sich keiner von ihnen rührte. „Ah….scheiße“, fluchte er in Tsukishimas Nacken, worauf dieser sich kaum mehr einkriegte vor Lachen. Kageyamas Kühlschrank reichte bald nicht aus, um all die Postkarten zu halten, die nicht mehr nur Erinnerungen beinhaltete, sondern zukünftige Versprechen. Wobei stets die Karte mit dem See in der Mitte verweilte. Direkt unter dem gemeinsamen Bild von Tsukishima und ihm. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)