Kirschblüten im Sommerregen von Last_Tear ================================================================================ Kapitel 6: Blütentornado ------------------------ Das laute Trommeln des Regens gegen seine Fensterscheibe musste ihn geweckt haben, denn als Ryoga sich verschlafen umsah, wurde ihm bewusst, dass es immer noch dunkel war. Lange konnte er nicht geschlafen haben. Hatte er überhaupt geschlafen oder war er ohnmächtig geworden, nachdem Koichi aufgelegt hatte? Bei dem Gedanken an Koichi saß er aufrecht im Bett, fluchte jedoch leise als ihn sofort eine Schwindelattacke überfiel, welche ihn zurück sinken und noch mehr fluchen ließ. Die dazugehörige Übelkeit ließ ebenfalls nicht lange auf sich warten und für einige Momente war er damit beschäftigt zu atmen und zu versuchen sich nicht zu übergeben. Dann kam nach und nach die Erinnerung an ihr Telefonat zurück und ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen, welches jedoch sehr schnell durch Tränen ersetzt wurde. Ausgerechnet Koichi. Was hatte er nur getan? Da hatte er Tsuzuku als Arschloch bezeichnet, aber er selbst war auch nicht viel besser. Betrunken bei dem Mann anzurufen, welchen er vor den Kopf gestoßen hatte, musste auch die Meisterleistung seiner bisherigen Karriere sein und ein leises Schluchzen entkam Ryoga, bevor er sich die Hand auf den Mund presste um nicht zu schreien. Er hätte so viele Leute anrufen können, Freunde, er hätte seine Bandkollegen anschreiben können, aber er hatte sich die Mühe gemacht, Tsuzukus Handy zu durch suchen. Er war ein grauenvoller Mensch. Ohne zu wissen, was er von Koichi wollte, hatte er diesen mit seinen Problemen belästigt und jetzt fühlte er sich absolut beschissen. Der Regen schien mittlerweile noch stärker geworden zu sein und ein schweres Seufzen entkam Ryogas Lippen. Wieso ließ sein Körper ihn nicht ein Mal Ruhe finden? Dabei brauchte er Schlaf, seine Stimme litt mit jedem Konzert mehr und er würde seine Medizin bald wieder auffüllen müssen. Schlussendlich hatte er sich vorsichtig aus dem Bett gequält und es sofort bereut, kaum dass er drei Schritte in Richtung Badezimmer gemacht hatte. Alles drehte sich um ihn und sein Gleichgewichtssinn schien sich verabschiedet zu haben aber irgendwie schaffte er es ins Bad und erst als er die Tür ins Schloss geworfen hatte, wurde ihm bewusst, dass das Bett neben ihm nach wie vor leer gewesen war. Es sollte ihn nicht kümmern, aber zu wissen, dass Tsuzuku die Nacht mit Kifumi verbrachte, ließ ihn vor der Toilette zu Boden sinken und nachdem er sich beinahe die Seele aus dem Leib gekotzt hatte, fühlte er sich nur noch leer. Wie hatte er auch je erwarten können, dass jemand es mal ernst mit ihm meinte? Seine bisherigen Freundinnen hatten ihn jedes Mal verlassen wenn der Tourstress so groß gewesen war, dass er keine Zeit mehr gehabt hatte um sich jeden Tag mit ihnen zu treffen, sein letzter Exfreund hatte sich von ihm getrennt, weil er zu müde und zu erschöpft für Sex gewesen war nach Tour. Vielleicht war dass der Grund, wieso er sich so sehr an Tsuzuku geklammert gehabt hatte. Ein schwaches Lachen entkam Ryogas Lippen bevor er sich auf die Beine gekämpft hatte, dass er sich ordentlich den Mund ausspülen und Zähne putzen konnte. Er schwankte nicht mehr ganz so schlimm, dafür zitterte er jetzt am ganzen Körper und kurz bleckte er die Zähne um sein Spiegelbild dunkel anzufunkeln. Wenn er so oder so nicht schlafen konnte, wieso musste er sich denn trotzdem so zittrig fühlen, als wäre er immer noch am Rand eines Nervenzusammenbruchs? Vielleicht war es keine gute Idee gewesen, das Hotel zu verlassen. Vor allem nicht in dem Zustand, in welchem er sich befand, aber nachdem er es geschafft hatte, sich anzuziehen war ihm nur noch danach gewesen zu verschwinden. Sie hatten morgen sowieso den Tag frei und ob er sich im Bett unruhig von einer Seite auf die andere Seite drehte oder ob er spazieren ging machte auch keinen großen Unterschied mehr. Im Bett wäre es zumindest weniger nass gewesen. Ryoga verzog kurz die Lippen, bevor er mit den Schultern zuckte und einen Blick in den Himmel warf. Vermutlich würde es die ganze Nacht lang regnen. Hieß, menschenleere Straßen, niemand der ihn aufhalten konnte. Und ihn würde niemand suchen kommen. Seine Band würde davon ausgehen, dass er schlief. Tsuzuku hatte ihm gesagt, dass es ihm egal war, was mit ihm passierte. Theoretisch würde er also problemlos verschwinden können, ohne dass irgendwer davon etwas merkte. Morgen würden sie ihn dann suchen kommen. Die Fans würden verzweifeln. Und Koichi? Ryoga stoppte mitten im Schritt als er gerade dabei gewesen war, eine Brücke zu betreten. Richtig. Koichi. Obwohl er ihn behandelt hatte wie den letzten Dreck, hatte er mit ihm telefoniert, ihm zugehört und ihn sich ausweinen lassen. Und er hatte ihm eine Chance gegeben, sich zu erklären, ihm die Möglichkeit gegeben, das alles rational zu überdenken. Wobei sich Ryoga verdammt sicher war, dass er momentan alles andere als überlegt handelte und mit einem leisen Laut war er schließlich neben dem Brückengeländer auf die Knie gesunken und hatte den Kopf in den Händen vergraben. Er sollte nicht hier sein, allein im Regen, durchnässt bis auf die Haut, unausgeschlafen und komplett übermüdet aber es war niemand hier, der ihm hätte Gesellschaft leisten können. Keiner seiner Freunde welche ihn hätten anschreien können, keine Bandkollegen, keine Fans, keine Expartner. Nicht mal Tsuzuku. Es war, als hätte sich ein grauer Schleier über alles gelegt, jegliche Geräusche gedämpft, die Farben welche nicht durch den Regen verwaschen waren, mit sich genommen und ihn aus der Wirklichkeit in eine andere Welt gebracht. Er war komplett auf sich gestellt. Allein, mit einer instabilen Psyche, welche ihm Lügen einflüsterte und niemandem, der das Gefühl der Einsamkeit in seinem Innern vertreiben konnte. Ohne dass es ihm bewusst war, waren die Tränen zurück gekommen und Ryoga ließ den Kopf in den Nacken sinken um erneut in den Himmel zu starren. Jetzt saß er hier, auf der Straße, im schönsten Gewitter und ihm wurde bewusst, dass er alles dafür geben würde, Koichis Lächeln zu sehen. Oder dessen strahlende Augen, wann immer ihre Blicke sich begegnet waren. Er hatte den einzigen Menschen verletzt, der von sich aus nett zu ihm gewesen war, ohne etwas dafür zu erwarten, außer respektvoll behandelt zu werden. Nicht mal das hatte er hinbekommen. Vielleicht sollte er über eine Auszeit nachzudenken. Nach dem letzten Konzert. Immerhin brauchte er seine Fans. Je länger er auf dem Boden saß und in den Regen starrte, umso absurder kam Ryoga die Situation vor in welcher er sich befand und ein leises Lachen entkam ihm, während er langsam den Kopf schüttelte. Seine Beine fühlten sich an, als wären sie nicht mehr länger ein Teil seines Körpers und seine Hände zitterten vor Kälte. Jeder der ihn so zu Gesicht bekam, würde ihn für verrückt erklären. Vielleicht war er das ja aber auch. Denn langsam war Ryoga sich sicher, wieso sein Weg ihn zu dieser Brücke geführt hatte. Sie war nicht weit weg vom Hotel, aber niemand hätte ihn sehen oder aufhalten können, wenn er gesprungen wäre und für einige Sekunden wurden die Gedanken, wie einfach es wäre alles zu beenden, übermächtig und er presste sich eine Hand auf den Mund um das gequälte Wimmern zu dämpfen, welches ihm entkommen war. Wegrennen war etwas, dass er beherrschte. Das tat er seit Jahren. Aus zerbrochenen Beziehungen hatte er sich immer in die Musik geflüchtet, wenn die Musik zu viel wurde, hatte er sich jemand neues gesucht, der ihn ertragen konnte, es war ein Teufelskreis. Das alles hatte er schließlich auch noch mit Alkohol kombiniert und es war mit den Jahren immer schlimmer geworden. Koichi war anders gewesen, von Anfang an. Jemand der zwar Musik hörte, aber sich nicht aktiv mit Bands beschäftigte, der kein Interesse an One-Night-Stands hatte, geschweige denn an Musikern. Und anstatt es zu genießen, dass jemand sich für ihn interessierte und sein Bühnen-Ich ignorierte, hatte er zuerst versucht ihn zu verführen und war dann vor ihm davon gerannt weil er Angst bekommen hatte, sich erneut zu verlieben. Er war so ein verdammter Idiot. Dass der Regen stärker geworden war, wurde Ryoga erst bewusst als ein lauter Donner ihn hoch schrecken ließ und er blinzelte verschlafen, versuchte sich zu orientieren. Nach und nach wurde ihm wieder bewusst, was er getan hatte, wo er sich befand und vor allem wieso. Seine Kleidung klebte mittlerweile an seinem Körper, seine Haare hingen ihm ins Gesicht und er war einfach nur müde. Allerdings wollte er nicht abwarten ob das Unwetter ein Einsehen haben würde, weswegen er versuchte sich schwerfällig auf die Beine zu kämpfen. Im nächsten Moment fand er sich mit dem Gesicht voran auf dem nassen Asphalt und ein Schluchzen verließ seine Lippen. So wie seine Wange brannte, hatte er sich offenbar die Haut aufgeschürft. Vielleicht sollte er doch einfach hier liegen bleiben und in einer Pfütze ertrinken. Es hatten sich immerhin genug auf dem Asphalt gesammelt. Das wäre zwar kein schöner Tod, aber es würde ihm eine Menge Probleme ersparen. Er würde sich weder Tsuzuku stellen müssen, noch dem Staff, geschweige denn Koichi. Aber ob es so viel besser war, als sich von einer Brücke zu stürzen? Wie gut, dass Koichi ihn so nicht sehen konnte, denn Ryoga war sich nicht sicher, ob dieser ihn nicht packen, schütteln und anschreien würde, bis er nicht mehr wusste wo oben oder unten war. Andererseits hatte dieser Gedanke etwas unheimlich tröstendes an sich und mit einem lauten Fluch, schaffte er es schlussendlich wenigstens sich auf alle viere zu kämpfen auch wenn er dafür am ganzen Körper zitterte. Seine Beine schienen keine Lust mehr zu haben, ihn zu tragen, aber er wollte nicht hier bleiben. Nicht, nachdem der Donner immer bedrohliche klang und die Regentropfen welche auf seine Haut trafen, mittlerweile grauenvoll weh taten. Sie schienen sich in seine kalte Haut brennen zu wollen und als er vorsichtig begann sich zu bewegen, hatte er geschrien. Sein ganzer Körper schien nur noch aus Schmerzen zu bestehen und Ryoga schluchzte erneut. Es tat weh. Jeder Meter, den er sich krabbelnd fortbewegte, war ein Meter zu viel und als er endlich am Hotel angekommen war, wusste er nicht, wie spät es war. Mit Mühe und Not hatte er es geschafft, sich an einer Laterne hochzuziehen, bevor er das Hotel schwankend betreten hatte und er brauchte mehrere Anläufe um den Fahrstuhlknopf zu drücken, weil seine Finger taub waren und er am ganzen Körper zitterte. Wenigstens konnte er die Tür problemlos mit der Schlüsselkarte entsperren. Ein Blick zum Bett zeigte ihm, dass Tsuzuku immer noch nicht da war und Ryoga verzog das Gesicht zu einer Grimasse, bevor er ins Bad geschwankt war um heißes Wasser in die Wanne laufen zu lassen. Im Endeffekt hatte er sich mit den Klamotten in die Badewanne sinken lassen, weil er es nicht schaffte sich auszuziehen und mit einem Lächeln hatte er die Augen geschlossen und einen tiefen Atemzug genommen. Vielleicht würde er es schaffen sich auszuziehen, wenn er seinen Körper wieder spüren konnte. Als Ryoga die Augen wieder öffnete, hatte er sie im ersten Moment sofort wieder zusammen gekniffen, immerhin war es verflucht hell im Zimmer. Dass ihm jemand sanft über die Wange streichelte, bemerkte er kurz danach und mit einem leisen Laut hatte er sich den Streicheleinheiten und dem warmen Körper neben sich entgegen gedrängt. So konnte jeder Morgen anfangen. Zumindest in der Theorie. In der Praxis wurde Ryoga langsam bewusst, dass er allein ins Bett gegangen war, oder besser, er hatte sich ins heiße Wasser in der Badewanne gelegt gehabt. Was tat er denn dann jetzt bitte im Bett? Mühsam hatte er sich gezwungen, die Augen zu öffnen und erstarrte. Tsuzuku lag mit ihm im Bett und so wie sich das anfühlte, waren sie Beide nackt. Zusammen unter einer Decke. Die Hand an seiner Wange hielt still, dann wurde sie zurück gezogen und auf Tsuzukus Lippen legte sich ein sanftes Lächeln. „Guten Morgen, mein Hübscher.“ Alles was Ryoga von sich geben konnte, war ein gequältes „Was?“ Dann begann er zu husten und schlug sich gerade noch rechtzeitig die Hand vor den Mund. Sein Rachen fühlte sich an, als hätte er ihn mit Sandpapier bearbeitet die Nacht davor und irgendwie hatte er es geschafft, sich von Tsuzuku zu lösen und im Bad zu verschwinden, wo er sich mit zitternden Fingern am Waschbecken festhielt. Dieses Mal musste er sich wenigstens nicht übergeben, aber es war schon schmerzhaft genug, den Schleim welchen er hoch gehustet hatte, auszuspucken. Außerdem war etwas Blut dabei wie Ryoga mit schreckensweiten Augen feststellen musste und er fluchte leise, bereute es im nächsten Moment jedoch sofort wieder, weil der Schmerz so übermächtig war, dass er ihm die Tränen in die Augen trieb. So vorsichtig wie möglich hatte er sich den Mund ausgespült, ein paar Schlucke aus dem Wasserhahn getrunken und war dann zitternd auf die Knie gesunken. Sein kompletter Hals tat grauenvoll weh als ob er mit Rasierklingen gegurgelt hätte, sein Körper schmerzte noch mehr als in der Nacht und er wollte nichts anderes tun als weiter schlafen. Wäre Tsuzuku nicht ins Bad gekommen, wäre er jedoch so sitzen geblieben. Ryoga ließ sich widerstandslos an den anderen Sänger ziehen, welcher ihn schließlich kopfschüttelnd hoch gehoben und zurück ins Bett getragen hatte. Wenigstens etwas. Nur mit einem Ohr bekam Ryoga noch mit, dass Tsuzuku telefonierte, das Wort Arzt fiel mehrfach und dann war er auch schon wieder eingeschlafen. Lange war ihm die Ruhe nicht vergönnt, da er sich dieses Mal direkt wach gehustet hatte und er krümmte sich auf dem Laken zusammen. Ob der Schmerz vergehen würde, wenn er sich den Kehlkopf heraus riss? Mühsam hatte er sich aufgesetzt, nachdem er sicher war, dass er sich nicht gleich wieder übergeben musste und hatte sich müde umgesehen. Das Zimmer war leer, Tsuzuku war verschwunden, was vielleicht auch besser so war und vorsichtig war Ryoga aus dem Bett gerutscht um zu seiner Reisetasche zu gelangen. Nachdem er Shorts, eine Jogginghose und ein Shirt über gezogen hatte, fühlte er sich doch wieder um einiges besser. Wenn man von den Halsschmerzen absah und mit einem lautlosen Seufzen hatte er seine Reservewasserflasche aus der Tasche gezogen. Er schaffte es, die halbe Flasche auszutrinken, bevor er erneut begann zu husten und die Augen schloss. Trinken tat unglaublich weh, husten ebenfalls. Er fühlte sich viel zu schlapp um seinen Inhalator aus der Tasche zu holen, aber irgendwo auf dem Nachttisch mussten seine Tabletten liegen. Eigentlich. Ryoga runzelte die Stirn, während er sich verwirrt umsah. Keine Tabletten. Dann wurde ihm bewusst, dass er die letzte Tablette genommen hatte, bevor sie trinken gegangen waren und er verfluchte sich. Wenigstens wusste er jetzt wieder, warum er nicht so viel hatte trinken wollen. Andererseits würde er sicherlich einen Staffmember zur nächsten Apotheke schicken können. Theoretisch. Sofern er sprechen konnte, ansonsten hatte er wohl schlechte Karten. Schließlich hatte er sich nach seinem Handy umgesehen, aber als er dieses gerade in die Hand nehmen wollte, klopfte es an der Tür und Ryoga hob eine Augenbraue. Sein Versuch ein „Herein.“ Hervor zu bringen, ging in einem weiteren Hustenanfall unter und er ließ sich müde aufs Bett sinken um das Gesicht in den Händen zu vergraben. Dass er gestern Nacht einen wahnsinnig großen Fehler begangen hatte, wurde Ryoga so richtig bewusst, als Tsuzuku zusammen mit einem Arzt das Zimmer betrat. Scheiße. Was hatte er seiner Stimme nur angetan? Die Untersuchung ging schneller vorbei als gedacht, aber das Ergebnis war nicht gut und Ryoga starrte auf die Zettel in seiner Hand, welche ihm der Arzt übergeben hatte, bevor er gegangen war. Fünf verschiedene Rezepte. Ein Hustenlöser, ein Hustenstiller, etwas für seine Immunabwehr. Dazu noch Antibiotika und fiebersenkende Schmerzmittel. Und als hätte das nicht gereicht, klingelten ihm immer noch die Ohren von der Warnung des Arztes, dass er in dem Zustand absolut nicht singen sollte und er seine Gesundheit riskieren würde, sollte er es trotzdem tun. Er hätte beinahe lachen müssen, sich aber zurück halten können. Sie waren auf Tour, wie konnte er jetzt daran denken, aufzuhören oder besser gesagt abzubrechen? Andererseits brachte er kaum ein Wort heraus ohne husten zu müssen und er schloss müde die Augen. Das hier war allein seine Entscheidung, das war ihm auch gesagt worden, aber hatte er wirklich eine Wahl? Es waren nur noch zwei Auftritte. Das Konzert morgen würde er so oder so absagen müssen und das Tour Finale in Tokyo konnte nach geholt werden. Theoretisch. Wenn er sich erholt hatte. In Ryogas Kopf drehte sich alles und er griff nach seinem Handy, starrte benommen auf das kleine, mobile Gerät. Koichi würde ihm raten, abzusagen. Die Fans würden enttäuscht sein, aber verständnisvoll. Und Tsuzuku? Ryogas Finger zuckten leicht, als sie sich um sein Handy schlossen und dieses fest drückten. Was interessierte ihn denn Tsuzukus Meinung? Sicher, dieser war so nett gewesen ihm einen Arzt zu rufen, aber da hörte es auch schon wieder auf. Kopfschüttelnd erhob sich Ryoga langsam, das Handy fest in einer Hand, die Rezepte in der anderen Hand, war an der Tür in seine Hausschuhe geschlüpft und hatte sich auf den Weg gemacht zum Zimmer ihres Managers. Sie würden reden müssen. Dringend. Und danach würde er vielleicht Koichi schreiben um sich von den grauenvollen Halsschmerzen abzulenken. Das Gespräch mit ihrem Tourmanager war zum Glück besser verlaufen als erwartet. Zuallererst hatte er eine Maske bekommen, diese sofort aufgesetzt und sich entschuldigt, dass er daran nicht gedacht gehabt hatte. Dann waren zwei ihrer Roadies zur nächsten Apotheke geschickt worden um ihm seine Medikamente zu holen und im Endeffekt hatte man ihm keine Wahl gelassen. Der Manager schien die Warnung des Arztes ernster genommen zu haben als er selbst und er hatte sogar eine kurze Strafpredigt gehalten bekommen, wie er in dem Zustand auch nur daran denken konnte, aufzutreten. Tot umfallen wollte er allerdings wirklich nicht, deswegen war die restliche Band auch in Kenntnis gesetzt worden und er hatte sich bei jedem einzeln entschuldigt, soweit seine Stimme das zugelassen hatte. Sie waren alle wahnsinnig verständnisvoll gewesen, nur Kifumi hatte ihn skeptisch beäugt aber das war ihm auch egal gewesen. Tsuzuku hatte sich angeboten, seine Sachen zu packen, Tomo hatte mit ihrem Manager zusammen die Aufgabe übernommen, die Livehäuser anzurufen und ihre Auftritte abzusagen, ihr Manager würde sich anschließend noch darum kümmern, die Informationen an die Fans zu bringen. Heute Nacht würden sie sich auf den Weg nachhause machen. Ryoga schloss müde die Augen, griff eher blind zu seiner Wasserflasche und nahm einen großen Schluck. Die Roadies würden ihm auch medizinischen Tee mit bringen der zusätzlich seine Stimmbänder beruhigen sollte. Das Zeug schmeckte zwar nicht, aber es war wirklich hilfreich. Bis dahin sollte er sich ausruhen, was grob zusammen gefasst hieß, dass er im Bett bleiben und schlafen sollte, sofern es ging. Schlafen klappte dank den Hustenanfällen absolut nicht, aber er lag zumindest im Bett. Dass er immer wieder sein Handy in der Hand drehte und überlegte, Koichi zu schreiben, sich aber nicht traute, musste niemand erfahren. Vor allem war Ryoga unsicher, was er schreiben sollte. Ob Koichi sich überhaupt freuen würde, wenn er sich bei ihm meldete? Zwar hatten sie gestern telefoniert, aber musste ja nichts bedeuten. Trotzdem konnte er das Handy nicht los lassen, was aber vielleicht auch daran liegen mochte, dass eine Stimme tief in ihm nicht aufhören wollte zu schreien. Nach einer weiteren halben Stunde ohne Schlaf, resignierte er schließlich. Nachdem die Nachricht getippt war, fühlte er sich halbwegs besser, hatte allerdings sofort wieder nach der Wasserflasche gegriffen um einem weiteren Hustenanfall vorzubeugen und betete innerlich, dass Koichi ihm antworten würde. Auch wenn sie sich nicht würden aussprechen können wenn er zurück war, er brauchte die Gewissheit, dass Koichi es sich nicht anders überlegt hatte und während Ryoga doch langsam begann einzuschlafen, hätte er schwören können, Koichis Stimme zu hören, welche ihm ein leises Schlaflied sang. Zwei Stunden später, schlug Ryoga die Augen auf, weil er sich erneut wach gehustet hatte und er gab einen gequälten Laut von sich. Wo bitte befand er sich? Bewegte sich sein Bett? War er überhaupt richtig wach oder hatte er Halluzinationen bekommen durch sein hohes Fieber? Vorsichtig hatte er eine Hand ausgestreckt um nach der Wasserflasche neben dem Bett zu greifen und zuckte zusammen als seine Finger stattdessen etwas kaltes, glattes berührten. Mühsam drehte Ryoga den Kopf zur Seite und nach mehrmaligem Blinzeln bemerkte er, dass es ein Fenster war, welches er berührte. Einige Minuten vergingen und langsam aber sicher wurde Ryoga bewusst, dass er sich im Tourbus befinden musste. Es gab keine andere Möglichkeit. Das bedeutete allerdings wohl auch, dass sie endlich auf dem Weg nachhause waren und mit einem erschöpften Seufzen schloss Ryoga die Augen wieder. Er fühlte sich immer noch erschlagen. Sein Hals schmerzte, wenigstens konnte er ohne Probleme atmen. Nur wie sollte er an etwas zu trinken kommen? Er konnte weder zaubern, noch eine Flasche Wasser aus seinen Gedanken materialisieren. Eigentlich schade, aber sie lebten ja in keiner Fantasiewelt. Mit einem lautlosen Murren hatte er begonnen, seine Taschen abzuklopfen, vergeblich. Sein Handy war auch nicht in Reichweite. Je länger er sich jedoch zwang, die Augen offen zu halten, desto mehr begann er Dinge zu erkennen und schließlich hatte sich Ryoga vorsichtig gestreckt, dass er seine Handtasche vom Fußende packen und zu sich ziehen konnte. Mit zitternden Fingern hatte er die Tasche durchwühlt und als er endlich sein Handy in der Hand hielt, hätte er beinahe geweint vor Freude. Es konnte allerdings auch daran liegen, dass der Sperrbildschirm ihm neue Linenachrichten anzeigte und er sicher war, dass diese von Koichi stammten. Woher diese Gewissheit kam, konnte er jedoch unmöglich sagen. Zuallererst jedoch machte er sich daran, eine Nachricht in den bandinternen Gruppenchat zu schicken, dann musste er das Handy sinken lassen, weil ihn ein neuerlicher Hustenkrampf überfiel. Als er sich halbwegs beruhigt hatte, wurde der Vorhang zu seiner Koje auch schon zur Seite gezogen und Tomo sah ihn besorgt an, bevor er ihm eine Wasserflasche reichte. Ryoga bedankte sich mit einem knappen Nicken, bemerkte nur aus dem Augenwinkel heraus, dass Tomo eine medizinische Maske trug und musste beinahe schmunzeln. Lieber hatte er sich dann jedoch dem Wasser gewidmet und sich von Tomo seine Medikamente geben und erklären lassen. Das war so viel, dass er beinahe nicht sicher war, ob er es schaffen würde, all das tatsächlich zu schlucken, aber er war erleichtert, als Tomo erklärt hatte, dass er nicht alles zusammen nehmen musste. Den Tee durfte er sowieso nur abends trinken, weil dieser genau so hustenstillend war, wie die Tabletten. Der Hustenlöser musste morgens eingenommen werden und die Antibiotika, zum Essen. Die fiebersenkenden Schmerzmittel nach Bedarf. Und die Tabletten für seine Immunabwehr konnte er einnehmen, wann immer er wollte. Das war dann doch eine große Erleichterung und nachdem Ryoga es geschafft hatte, eine der Schmerztabletten hinunter zu würgen, hatte es nicht lange gedauert, bis er erneut eingeschlafen war. Dieses Mal mit seinem Handy in der Hand weil der Schlaf ihn überrascht hatte, als er gerade seine neuen Mitteilungen hatte durch gehen wollen. Hoffentlich war Koichi ihm nicht böse. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)