Die andere Seite des Monds von Augurey ================================================================================ Prolog: -------- „Überleg es dir“ Die Worte, dahin geflüstert von einer ruhigen Stimme, schweben im Raum. Ein Hauch nur, bald schon zerstoben, aber noch wahrnehmbar. Ein Nachklang wie das altvertraute Echo in den heimischen Kellerfluchten. Derjenige, der sie ausgesprochen hat, ist gegangen. Nahezu unbemerkt, in den Schutz der Schatten gehüllt, die das Kerkerlabor stets erfüllen. Nicht lautlos allerdings, das nicht. Ein deutliches Klacken war ertönt, als die Türe ins Schloss fiel. Doch selbst der lauteste Ton bleibt ungehört, wenn er auf Ohren trifft, die willentlich verschlossen sind. Zu spät blickt Severus auf. Erst als die Brise frische Luft, die einen Wimpernschlag zuvor durch den Türspalt hereinwehte, seine feine Nase kitzelt. Durch die Dunstschleier, die vom Zaubertrankkessel aufsteigen, fällt sein Blick ins Leere. Nicht einmal verschwommen regt sich irgendwo noch die Gestalt, die doch wenige Augenblicke zuvor noch um seinen Kessel her schritt wie ein überneugieriger Lehrer. Die einen Redeschwall auf ihn niederprasseln ließ wie ein Schüler auf Plappertrank. Der Hocker ist fein säuberlich zurück vor das Kesselregal geschoben. Die Schlammkrusten der Spuren auf dem Boden getrocknet. Nichts ist von seinem Besucher geblieben. Nichts außer diesen drei Worten. Diesen Worten, die ihn treffen wie Nadelspitzen einen Nerv.   Überleg es dir Gibt es denn irgendetwas zu überlegen? Severus schließt die Augen, versucht sich gleichsam dem Stechen zu verschließen. In der Tiefe des Zaubertrankkessels brodelt es gefährlich auf. Mit einem entnervten Schnauben reißt der Tränkemeister die Lider wieder auf, zieht den Zauberstab, drosselt die Temperatur. Es ist ungewöhnlich heiß im Kerker. Das Feuer mischt sich mit der Glut eines außerordentlich milden Frühlingstags. Wärme pulsiert durch Severus‘ Glieder, treibt ihm den Schweiß auf  die Stirn. Oder ist es die Angst vor der Antwort? Die Antwort, die er weniger sucht als er ihr flieht, weil sie ihm längst zentnerschwer auf der Zunge liegt? Gedankenbenommen blickt Severus in den Kessel, in die undurchdringliche Tiefe des dunklen Gebräus. Vor einem halben Jahr noch wäre sie federleicht gewesen. Damals, im Herbst, hätte er seinen Gast vor die Tür gesetzt, ehe dieser auch nur die Lippen auseinanderbekommen hätte. Ein Lächeln kräuselt Severus‘ Lippen. Er hat ihn vor die Tür gesetzt. Hat ihn achtkant rausgeworfen, als ihm sein Gefasel vom Vergessen der Vergangenheit in den Ohren schmerzte. Hat ihm den Zaubertrank absichtlich versauert und mit süßer Genugtuung sein angewidertes Gesicht beobachtet. Damals, als Severus ihn noch Werwolf nannte, ausgeschmückt mit wechselnden Beleidigungen. Damals… Das Lächeln auf Severus Lippen gefriert. Die Wärme in seinen Gliedern aber, die bleibt. Sie lässt einen Kloß in seiner Kehle anschwellen, der beim Herunterschlucken ein seltsam flaues, seltsam leichtes Gefühl in der Magengrube auslöst und geht dann in ein Zittern über. Nein, er braucht sich nichts vorzumachen. Weder die Flammen unter dem Kessel noch die Frühlingsglut vor dem Schloss tragen Schuld an diesem Wechselbad der Empfindungen. Noch kann Severus sie spüren, wenn auch nur leicht. Die Druckstelle auf seiner Schulter. Dort, wo seine Hand gelegt hat. Weich und heiß. Zu heiß, siedend. Vor wenigen Minuten erst. Und doch ist sie inzwischen ausgekühlt. Lauwarm allenfalls noch. Und schwer, schmerzvoll schwer. So schwer wie Verrat. Wie das Brechen eines Schwurs, den man einst grünen Augen geleistet hat. Ein Versprechen, das für die Ewigkeit besiegelt worden war. Wütend, wütend auf sich löscht Severus das Feuer und lässt mit einem jähen Schlenker seines Zauberstabs und einem stummen Evanesco den Sud verschwinden. Der Trank war eh verdorben unter der Hitze. Verdorben wie  der Inhalt seines Magens, der Severus inzwischen schmerzt. Matt und verwirrt lässt er sich auf den Schemel fallen, krallt die Hände ins fettige Haar. Zerrt an den schwarzen Strähnen, als wollte er sich die unerwünschten Gedanken aus dem Kopf reißen. Warum zum Teufel vermisst er diese Wärme auf seiner Schulter? Diese Wärme, die er eigentlich hassen sollte?  Warum drehen sich all seine Gedanken um diesen Kerl, der sein Feind war und nun ein Freund geworden ist. Nein, mehr als ein Freund. Etwas… Unaussprechliches. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Hoffentlich nicht. Doch Severus kennt auf diese Frage keine Antwort. Plötzlich blickt er wieder auf, als hätte jemand seinen Namen gesagt oder ihm die Lösung zugerufen. Überleg es dir, schallt es aus allen Ecken. Die Worte sind nicht zerstoben. Sie halten länger als gedacht, prasseln auf Severus ein. Unsicher lässt er seinen Blick durch den Raum schweifen bis schließlich die Türe in sein Blickfeld tritt. Die Türe! Durch diese Tür ist er gegangen: Remus Lupin. Durch diese Tür könnte Severus ihm folgen. Noch fällt ein wenig Licht unter dem Schlitz hindurch in den Raum wie von einem hell erleuchteten Zauberstab. Doch die Kerkerdunkelheit beginnt schon, den Schein zu verschlucken. Ein Hoffnungslicht, das in seiner selbstgeschaffenen Finsternis verglimmt… oder das vielleicht erst jetzt zu wachsen beginnen wird? Schwindelnd atmet Severus ein, dann ergibt er sich. Ergibt sich den Rufen und überlegt. Überlegt wie das alles eigentlich begonnen hat… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)