Die mit den Tierwesen tanzt von Calafinwe ================================================================================ Kapitel 4: Wie Katz und Niffler ------------------------------- Ich öffnete träge die Augen. Sie fühlten sich völlig verklebt an, aber das war nicht der Grund, warum ich wach geworden war. Ein Brummen auf dem Nachttisch hatte mich aufgeweckt. Mein Handy. Ich griff danach. Warum nur hatte ich gestern den Wecker auf 5 Uhr morgen gestellt? Es gab doch überhaupt keinen Grund, so früh aufzustehen. Vor allem weil ich erst nach Mitternacht ins Bett gekommen war. Ich grunzte verdrießlich. Immerhin wusste ich, dass ich mich im deutschen Zaubereiministerium in Berlin befand. Gestern war ich blindlinks in Möbelstücke gerannt und hatte mich dabei fies gestoßen, weil ich dachte, ich sei in meinem Schlafzimmer. Ich betätigte die Taschenlampenfunktion am Handy, quälte mich aus dem Bett und ging zur Tür, um den Lichtschalter einzuschalten. Eine Nachttischlampe gehörte leider nicht zu meinem Inventar. ‚Gut, Lumos sollte ich mir vielleicht auch irgendwann mal beibringen. Oder einen Zauberspruch, mit dem ich vom Bett aus den Lichtschalter einschalten konnte. Ob es so einen überhaupt gibt?‘, dachte ich. Ich dehnte mich etwas und wuselte dann auf die Toilette. Und weil der Tag noch frisch, ich aber entsprechend durch war, hing ich auch gleich noch eine Dusche mit dran. Das Wasser aus dem Duschkopf machte mich schnell wach, obwohl es heiß war. Nachdem ich mich gewaschen und das Shampoo in meine Haare einmassiert hatte, stellte ich es vorsichtig auf kalt. Sofort zuckte ich zusammen, denn es kam eiskalt aus dem Duschhahn. Ich zappelte und bibberte noch einen Moment unter dem Eiswasser und stellte es dann ab. Jetzt war ich wenigstens richtig wach. Schnell kletterte ich aus der Duschkabine, trocknete mich ab und ließ mich mit einem Handtuchturban ins Bett fallen. Zuhause würde ich jetzt noch mal eine Runde im Bett gammeln, aber im Ministerium wollte ich mir das nicht erlauben. So gönnte ich mir fünf Minuten im Bett, um festzustellen, dass ich am Handy keinen Empfang hatte. „War ja klar, so tief unter der Erde ...“ Ich quälte mich wieder auf meine Beine, zog meine Klamotten vom Vortag an und schaute mich dann im Bad um. Danach ging ich zu meinem Bett zurück und schaute in meine Truhe. „Na toll, kein Föhn da. Und wie krieg ich jetzt die Haare trocken?“ Mein Blick fiel auf den kleinen Schrank, in dem sich meine Bibliothek befand. Ob es einen Haartrocknerzauberspruch gab? Aus den Büchern wusste ich, dass es zumindest einen Lockenwicklerzauberspruch gab, warum also nicht auch einen zum Haare trocknen? Und hatte Newt im zweiten Film nicht einen Trockenzauber angewendet, nachdem er mit dem Kelpie in dem Pool geschwommen war? Argh, es war zum grün und blau ärgern. Wieso hatte ich nur so ein schlechtes Gedächtnis, was die Zaubersprüche in den Büchern und Filmen betraf? Meine To-Do-Liste wurde immer länger. Ich verzichtete erst einmal darauf, in meiner Bibliothek nachzuschlagen, und rubbelte meine Haare soweit als möglich trocken. Danach fuhr ich zur Kantine hoch und sah mich um. Unglaublich, aber die hatten sogar um sechs Uhr morgens schon auf. Ich sammelte mir mein Frühstück auf einem Tablett zusammen, weniger viel, als am Tag zuvor. Außerdem konnte ich ein zweites Mal gehen, wenn notwendig. Ich setzte mich an einen etwas abseits gelegenen Tisch, von dem aus ich das Treiben in dem großen Pausenraum gut im Blick behalten konnte. Wer kam? Wer ging? Vielleicht fand Jost ja den Weg hierher. Aber vielleicht lag der Gute noch zuhause in seinem Bett und schlief. Ich trank von meinem Kaffee und ließ mir den Vortag durch den Kopf gehen. Warum musste es ausgerechnet ein Niffler sein? Wieso konnte es nicht ein Einhorn sein? Friedlich irgendwo auf der grünen Wiese in einem Park weidend. Oder meinetwegen auch ein Erumpent. Das zerlegte dann zwar den halben Tiergarten, aber ich würde es schnell finden. Und meine mir bis dato noch unbekannten Zaubererkollegen konnten mir helfen, es einzufangen. Dann würde ich die Herrschaften von der Abteilung für magische Landwirtschaft auch gleich mal in Aktion sehen. Aber nein, es musste ja ausgerechnet ein Niffler sein. Klein, schwarz, flink und furchtbar knuffig, sodass es nahezu jedem den Kopf verdrehte. Das Biest hatte sich vermutlich in seinen Bau zurückgezogen und sortierte gerade das Wechselgeld aus dem Botanischen Museum. Ich löffelte meinen Obstsalat. ‚Und wenn ich den kleinen Gauner nicht bald finde, geht er noch mehr stiften‘, dachte ich verdrießlich. Ich beendete mein Frühstück, brachte das Geschirr weg und fuhr ins fünfte Untergeschoss hinunter. Die Abteilung für magische Landwirtschaft lag verlassen da. Irritiert ging in mein Zimmer zurück. Es war jetzt kurz vor acht Uhr morgens. Ich fragte mich, was meine Vorgesetzten konkret von mir erwarteten. Gestern hatte ich noch so etwas wie Welpenschutz. Aber heute? Erwartete Dr. Müller, dass ich ihn morgens aufsuchte? Oder würde man mich nur benachrichtigen, wenn man mich benötigte? Frau von Bülow hatte gesagt, dass Müller ein Workaholic war. Warum er um die Zeit noch nicht im Büro war, verwunderte mich. Aber vielleicht hatte sie es auch nur so gemeint, dass er immer bis spät abends in der Nacht arbeitete und morgens dann nicht so früh kam? Ich zuckte mit den Schultern und beschloss, noch den ein oder anderen Zauberspruch zu lernen. Die Zeit mit sinnlosen Grübeleien zu verschwenden, war nicht hilfreich. Dr. Feld hatte am Vortag versucht, den Niffler mit einem Petrificus Totalus zu erwischen. Mir erschien der Zauberspruch sinnvoll, ich kannte ihn aus den Filmen und konnte ihn entsprechend in meinen Büchern nachschlagen. Doch wie ich ihn trainieren sollte, so ganz ohne Testperson und einen Zauberer oder eine Hexe als Back-up, die die Versuchsperson wieder entlähmen konnte, war mir schleierhaft. Trotzdem musste ich es darauf ankommen lassen. Ich konnte nur hoffen, dass mir nicht irgendwelche MaKas im Weg standen, sobald ich de Zauber nutzte. „Rennervate!“ Zum Glück hatte ich mir wenigstens den Spruch gemerkt, mit dem Dr. Feld mich am Abend zuvor von der Lähmung befreit hatte. Es würde sicher nicht schaden, diesen gleich parallel zum Petrificus Totalus zu lernen. Ich kletterte durch den kleinen Schrank in meine Bibliothek und stieß mir dabei das linke Knie. „Autsch!“ Das Buch mit den Zaubersprüchen lag zum Glück noch aufgeschlagen auf meinem Schreibtisch. Ich blätterte durch das Inhaltsverzeichnis des ersten Bandes und fand, was ich suchte. „Perfekt!“ Ich klappte das Buch zu, fischte meinen Zauberstab aus meinem Bett und machte mich auf den Weg zum Trainingsgelände. Der Aufzug eine Etage nach oben war mit zwei Hexen besetzt, die beide kleiner waren als ich. Anders als die meisten anderen Hexen und Magier, die ich bisher getroffen hatte, waren sie wie Hexen gekleidet, wie man sich Hexen üblicherweise so vorstellte. Schwarze Kleider, bei der einen lang und mit Samt, bei der anderen kurz und mit Spitze, Umhänge dazu und ein Hexenhut. Die eine schien Anfang 20 zu sein, die andere schon etwas älter. Sie sahen mich abschätzig an, als ich die Kabine betrat. Mir nichts denkend, wandte ich ihnen den Rücken zu. „Drittes Untergeschoss“, bat ich den Aufzugwärter. Die eine kicherte hinter mir und tuschelte mit der anderen so leise, dass ich nichts verstehen konnte. Ich seufzte. Sollte das jetzt womöglich wieder wie in der Schule laufen, dass ich eine Außenseiterin war, die man gut mobben konnte? Ich drehte mich zu den beiden Damen um. „Gibt’s ein Problem?“, fragte ich sie rundheraus. Sie wirkten etwas überrascht, die Junge kicherte dann aber wieder. „Nein“, gackerte die andere. Ich sah sie nacheinander an. „Wo ist denn eure Muhme abgeblieben?“, fragte ich dann. Das Lächeln der beiden Hexen verschwand wie im Flug. Ernst sahen sie mich an, auch ein bisschen verwirrt. „Heute mit dem falschen Fuß aufgestanden?“, setzte ich hinzu. „Oder ist sie wetterfühlig?“ „Was faseln Sie da?“, fragte mich die Ältere der beiden. „Ich wundere mich nur, wo die dritte in Ihrem Bunde ist. Sie bilden doch einen Hexenzirkel, oder nicht? Wenn ich mich recht erinnere, müssten Sie Mutter und Jungfrau sein? Wie geht es denn der werten Alten?“ „Der werten Alten geht’s prima!“, schoss die Jungfrauenhexe aus ihrem Mund. „Psst, Marlene, sei still“, mahnte die Ältere. Immerhin wusste ich jetzt zumindest, wie die Jüngste hieß. Die Jungfrau des Hexenzirkels. Ob es sich um ihren echten Namen handelte, oder Marlene auch nur ein Deckname war, blieb vorerst ein Geheimnis. „Drittes Untergeschoss!“, verkündete der Aufzugwärter. „Sie entschuldigen mich?“ Ich schob mich an den beiden vorbei. „Einen guten Tag wünsche ich!“, säuselte mir die Ältere ins Ohr. „Ebenfalls, guten Tag!“ Die Aufzugtüren schlossen sich hinter mir und ich stand im Trainingsgelände. Atmete einmal tief durch und versuchte, meine Nerven etwas zu beruhigen. Das Intermezzo hatte vielleicht eine Minute gedauert und war eigentlich harmlos. Trotzdem raste mir der Puls. Mannoman, was für zwei Schreckschrauben. Und die Alte des Trios war bestimmt noch schrulliger. Das Trainingsgelände direkt am Eingang sah genauso aus wie am Tag zuvor. Das entfernte Gebirge war zur Abwechslung nicht wolkenverhangen. Ein strahlendblauer Himmel lag über der Szenerie und ich beschloss, mich nicht allzu weit vom Aufzug und dem Stein, an dem sich der Schalter befand, zu entfernen. Mit Zauberspruchbuch und Zauberstab bewaffnet verkrümelte ich mich zum nächsten Waldrand. Dort hockte ich mich hin und schlug das Buch auf. Petrificus Totalus war von der Zauberstabbewegung her schon etwas kniffliger als das, was ich bereits kannte. Ähnlich wie bei Wingardium Leviosa beschrieb man zunächst eine kreisartige Bewegung gegen den Uhrzeigersinn. Gefühlt sah es wie ein ⅔-Kreis aus, aber das konnte auch eine optische Täuschung sein. Danach ging die Bewegung quer nach rechts, ehe sie kurz nach unten geführt wurde. Ich nahm meinen Zauberstab zur Hand und übte die Bewegung mehrmals, ohne den Spruch dabei zu sagen.  Danach legte ich meinen Zauberstab vorsichtshalber zur Seite, und sah mir an, wie genau man den Spruch betonen musste. Auch dies übte ich mehrmals, was aber gar nicht so leicht war.  „Oh man, da bricht man sich ja eher die Zunge. Petrifics Totalus. ... Hmpf.“ Laut der Beschreibung musste ich jeweils die zweiten Silben von vorne betonen, also tri und ta. „PeTRIficus ToTAlus“, sprach ich erneut, ohne überhaupt einen Hinweis darauf zu haben, ob es so richtig war. Ich seufzte. Weiter darüber grübeln, brachte mich aber auch nicht weiter und so beschloss ich, Zauberstab und Spruch zu verbinden. Ich übte auch das mehrmals, doch nichts tat sich. Frustriert sah ich mich um. Bisher war niemand durch den Aufzug gekommen, um ebenfalls hier zu trainieren. Ich war zwar etwas weiter weg, aber nicht so weit, dass ich nicht entsprechende Geräusche gehört hätte. Und auf dem Rückweg war bisher auch noch niemand vorbei gekommen. Schlecht gelaunt sah ich zum Blätterdach hoch. „Tze, nicht mal Vögel gibt’s hier.“ Was vermutlich aber auch besser war. Die würden einen Petrificus Totalus vielleicht nicht überleben. Vor allem dann nicht, wenn er von mir kam.  „Gut, dann auf zum Nächsten.“ Nach Rennervate musste ich nicht lange suchen, er befand sich direkt auf der nächsten Seite meines Spruchbuches. Dieser Zauberspruch war etwas anders gestrickt, die Betonung lag auf der vorletzten Silbe. „RennerVAte. ... Hm.“ Die Bewegung beschrieb eine V-Form, wie wenn man mit dem Stift ein V schrieb. Auch hier übte ich Spruch und Bewegung noch mehrmals gemeinsam, ohne zu wissen, ob ich es richtig machte. „Wie machen die das eigentlich in Hogwarts mit solchen Zaubersprüchen?“, fragte ich mich dann. Gab es da Freiwillige, die die Schüler solche Zaubersprüche an sich erproben ließen? Ich erinnerte mich nicht mehr wirklich an die Bücher und die Filme waren sehr abgespeckt. Trotzdem meinte ich zu erinnern, dass in beidem zum Beispiel nur der Levitationszauber gelehrt und gelernt wurde. Wie sie Petrificus Totalus übten, war weder in den Büchern, noch in den Filmen enthalten. Lediglich Hermione hatte am Ende vom ersten Teil Neville mit dem Zauber gelähmt. Und von Petrificus Totalus getroffen zu werden, war keine angenehme Erfahrung. Ich hatte sie selbst bereits am eigenen Leib erlebt. Mich hatte ein eiskalter Schauer überzogen, ausgehend von der Stelle, an der mich der Fluch getroffen hatte. Der Zauber hatte sich also von meinem rechten Schulterblatt über den ganzen Körper hinweg gezogen. Besonders am Kopf und im Gesicht war das unangenehm. Es war nicht schmerzhaft in dem Sinne, aber ich hatte kurzzeitig das Gefühl, mir würden die Augen eingefrieren. Das Frostgefühl hatte zum Glück nicht angehalten. Dafür war ich bewegungsunfähig nach vorne gefallen. Auf meine Nase, die mir heute immer noch weh tat. Ich verzog das Gesicht. Und im zweiten Jahr hatten die unter den Fittichen von Gilderoy Lockhart einen Duellierklub an Hogwarts gegründet. Und zwölf Jahre alte Schüler hatten sich dort duelliert. Also faktisch Knirpse, Kinder, Schutzbefohlene, die man in Deutschland den Familien wegen Kindeswohlgefährdung wegnehmen würde, käme das heraus. Die Autorin hatte viele Themen in den Büchern eingebracht, die kritisch zu betrachten waren. Ich mochte mir gar nicht ausmalen, dass das hier in der Realität, in der ich jetzt lebte, tatsächlich so gehandhabt wurde. Dass es vielleicht auch in Arenberg so gelebt und gelehrt wurde. Ich schluckte schwer. ‚War vielleicht doch gar nicht so schlimm, dass die meine Akte verschludert haben‘, dachte ich. Ich grunzte, packte mein Zeug zusammen und trat den Rückweg an. Der Aufzugstein lag nach wie vor verlassen da. Ich trat an ihn heran, drückte auf den Knopf und wartete. Urplötzlich brach eine Sintflut über mich herein, durchnässte mich komplett bis auf die Knochen und war so schnell verschwunden, wie sie gekommen war. „Was zur Hölle?!“, rief ich erschrocken und schnappte nach Luft. Riss den Kopf herum, doch niemand war zu sehen. Auch hörte ich nichts. Ich grummelte. Keine einzige Wolke trübte den strahlend blauen Himmel des Trainingsgeländes. Hatte sich das jemand einen Scherz mit mir erlaubt?  Immer noch wütend trat ich in die Aufzugskabine, als sie endlich kam. Der Wärter verzog keine Mine. Vermutlich war er so einen Anblick gewohnt. Leute, die völlig durchnässt vom Trainingsgelände kamen, waren vermutlich noch harmlos. „Wo wollen Sie hin?“, fragte er mich nur. „Runter! Eine Etage!“ „Kein Grund, so pampig zu sein.“ Ich ersparte mir eine Antwort, ließ mich runter fahren und stapfte den Weg zurück zu meinem Zimmer. „Scheiße!“ Ich flitzte los, riss die Tür zu meinem Zimmer auf und knallte sie hinter mir zu. Mein ganzes Zauberbuch war nass. Das hatte ich völlig vergessen. „Scheiße, scheiße, SCHEISSE!“, schrie ich aufgebracht. Ich schlug es auf. Und stieß dann einen Seufzer der Erleichterung aus. Es war offensichtlich nicht mit wasserlöslicher Tinte beschrieben. „Oh Gott!“ Mir fiel der sprichwörtliche Stein vom Herzen. Nicht auszudenken, hätte ich das Buch an meinem zweiten Tag schon ersetzen müssen. Obwohl ich noch nicht mal etwas richtig zustande gebracht hatte. Ich holte ein Handtuch aus meinem Bad und versuchte, das Buch so gut es ging, abzutrocknen. Dass ich währenddessen auf den Boden tropfte, ignorierte ich vorerst. Das Buch war mir bei weitem wichtiger. Lediglich der Ledereinband machte keinen so guten Eindruck. Vermutlich quillte das Leder jetzt auf und find dann zu Bröseln an, sobald es komplett getrocknet war. Wie ärgerlich. Aber wenigstens die Zaubersprüche hatte ich noch. Ich breitete das Handtuch auf dem Schreibtisch aus und legte dann mein Buch zum Trocknen drauf. Danach zog ich mir die nassen Klamotten aus, trocknete mich selber ab und zog frische Kleidung an. Die Haare trocken rubbeln ersparte ich mir dieses Mal. Alle meine Handtücher waren inzwischen zu feucht, als dass es einen großen Unterschied gemacht hätte. Stattdessen wrang ich sie mir über dem Waschbecken aus und knotete sie dann mit einem Haargummi zu einem Dutt zusammen. Als ich aus dem Bad kam, lag ein Briefumschlag vor der Tür. „Diesmal keine Eule?“ Ich fischte den Umschlag vom Boden auf. Darin stand, dass ich umgehend zu Dr. Müller kommen sollte. Ich fragte mich, ob der Brief von einer Eule zugestellt worden war. Wie war sie gestern in meine Privatbibliothek gekommen? Und warum wurde mir ein Brief in mein normales Zimmer über den Schlitz unter der Tür zugestellt? Hatten die Eulen möglicherweise zur Zuflug zu den verzauberten Räumen in den Unterkünften? Fragen über Fragen. Ich grunzte, sackte meinen Zauberstab ein und fuhr wieder eine Etage nach unten. „Oh!“ Zwei Leute arbeiteten und saßen seltsamerweise soweit auseinander, wie es die Raumgröße und die zur Verfügung stehenden Tische zuließen. Ich kannte niemanden von ihnen. „Äh, guten Morgen“, stammelte ich, als ich das Büro betrat. Beide drehten sich zu mir um. Eine ältere Dame mit dunkelbrauner Haut und schwarzen Locken, die sie offen trug. Und ein rothaariger Mann, der jünger war, als ich. Die Frau stand auf und kam auf mich zu. „Wer sind Sie denn?“, fragte sie. „Äh, Lizzy Schuster, ich bin seit ... äh, vorgestern Abend hier. Freut mich, Sie kennen zu lernen“, antwortete ich verunsichert. „Ach so. Sie sind das. Ich bin Jennifer Oakley. Freut mich ebenfalls, Sie endlich kennen zu lernen.“ Wir schüttelten uns die Hände und meine Unsicherheit fiel ab. „Endlich bekommen wir hier mal Verstärkung“, hörte ich es aus der Ecke. Der andere war nicht aufgestanden, um sich mir vorzustellen. Jennifer lächelte entschuldigend in seine Richtung, ehe sie sich mir wieder zuwandte. „Sie müssen es Rüdiger verzeihen, er arbeitet eigentlich in einer anderen Abteilung.“ „Oh.“ Ich warf ebenfalls einen kurzen Blick in seine Richtung. „Äh, und Sie sind feste Mitarbeiterin der Landwirtschaftsabteilung?“ Jennifer nickte, schüttelte dann den Kopf. „Ich bin nur für meine Dissertation hier. Mein Spezialgebiet sind die magischen Pflanzen und Kräuter.“ „Oh, dann arbeiten Sie eng mit Dr. Feld zusammen?“ Ihr Blick verfinsterte sich. „Hab ich etwas Falsches gesagt? Entschuldigen Sie, ich wollte nicht ...“ Sie winkte ab. „Nein, das können Sie nicht wissen. Machen Sie sich keinen Kopf drum. Feld und ich, ... na ja, wir haben unterschiedliche Ansichten, was die Herangehensweise an magische Pflanzen betrifft. Ich bin da eher progressiver Natur, wenn Sie verstehen.“ ‚Und Dr. Feld ist der Hobbit, der Konservative, der alles bewahren wollte, so wie es war‘, dachte ich. „Ich glaube, ich verstehe halbwegs, wie Sie es meinen. Äh, ist Dr. Müller da? Ich hab‘ eine Benachrichtigung bekommen, es hat wohl einen schlimmen Vorfall gegeben?“ Jennifer winkte mich durch. „Ja, Sie kommen gerade recht. Es ist alles ein fürchterliches Chaos, wenn man den Berichten glauben darf. Gehen Sie direkt in sein Büro. Ich hab ihn bisher nicht rauskommen sehen, er sollte also noch drin sein.“ „Vielen Dank!“ Sie wandte sich wieder ihrem Arbeitsplatz zu. Rüdiger hatte den Kopf über eine Schreibarbeit gerichtet und ignorierte mich. „Dann nicht“, murmelte ich und stapfte direkt zu Dr. Müllers Büro. Ich klopfte an den Türrahmen und trat ein. Müller saß an seinem Platz und sah aus, als wäre er die ganze Nacht auf den Beinen gewesen. Rot unterlaufene Augen, die wenigen Haare, die er noch hatte, standen ihm wirr vom Kopf. „Äh, wie viel Kaffee haben Sie intus?“, fragte ich ihn. Ich klaubte einige Zettel und Akten von den Besucherstühlen zusammen und legte sie zurück auf seinen Schreibtisch. Ich setzte mich. Sein Jobberknoll war nirgends zu sehen. „Ach Lizzy, zu viel! Sie werden es nicht glauben, Ihr kleiner Dieb hat sich gestern noch auf große Diebestour begeben.“ Ich spürte, wie mir alle Farbe aus dem Gesicht wich. Zum Glück saß ich auf einem der Sessel, sonst wäre mir vielleicht schwarz vor Augen geworden. „Äh, seit gestern Abend?“ „Ja. Es ging um kurz nach 10 Uhr los. Ich glaub, da sind Sie erst hier angekommen. Sagt Ihnen die Schlossstraße etwas?“ Ich schüttelte den Kopf. „Das ist Berlins erste Adresse für Juweliere. So viele Juweliere wie in der Schlossstraße finden sich sonst in ganz Berlin nicht.“ „Äh, und die Schlossstraße liegt wo, wenn ich fragen darf?“ Ich hatte eine böse Vorahnung. „Unweit vom botanischen Museum. Das kleine Biest muss das gemerkt haben. Ist beim ersten eingestiegen, hat sich bedient und ist zum nächsten.“ „Äh, Dr. Müller. Sie wollen mir sagen, ... also verstehe ich Sie da richtig? Dass es einen Laden nach dem anderen ausgeräumt hat?“ „So gut wie. Momentan sind es elf Stück. Die Wahrscheinlichkeit, dass es erneut zuschlägt, ist ziemlich gorß.“ „Elf Geschäfte ...?!“, murmelte ich entsetzt. Wie konnte so ein kleines Biest elf Geschäfte ausrauben? Die meisten davon Schmuckgeschäfte. Wie viel passte in die Taschen so eines Nifflers bitteschön rein? Ich spürte, wie meine Knie weich wurden. Wie mir alles Blut aus dem Gesicht wich. Wäre ich gestanden, wäre ich auf der Stelle bewusstlos umgekippt. „Lizzy, ist Ihnen nicht gut?“ „Äh nein, geht schon. Nur etwas schwindelig.“ „Wollen Sie ein Wasser?“ Dr. Müller wartete nicht. Er schwang nur einmal seinen Zauberstab. Aus den Untiefen der Abteilung kam ein Glas Wasser angeschwebt. Ich registrierte nicht einmal richtig, wie es vor mir auf Müllers Tisch landete. Einige Tropfen schwappten über den Rand und landeten auf den Unterlagen. „Nein, bitte. Machen Sie sich wegen mir keine Umstände, es ist nur ein bisschen ... viel. Elf Geschäfte?“, stammelte ich. „Ja, so ungefähr. Zwei Bankfilialen, neun Juweliergeschäfte.“ „Äh, ich nehme an, dass ich mich sofort auf den Weg machen soll?“ Müller nickte nur. „Äh ...“ „Hm? Haben Sie noch was auf dem Herzen?“ „Ja. An den Tatorten werden doch sicher auch noch normale Polizisten und Ermittler sein und nach Spuren suchen, oder nicht?“ „Worauf wollen Sie hinaus?“ „Äh, also, wissen Sie. Ich meine, ich fand es gestern schon hilfreich, Dr. Feld an meiner Seite zu haben. Einen erfahrenen Zauberer, und ...“ „Ich kann Ihnen leider niemanden an die Seite stellen, Fräulein Schuster.“ Ich zuckte. Müller hatte mich wieder beim Nachnamen genannt, von dem altmodischen ‚Fräulein‘ ganz zu schweigen. Ob er das immer dann machte, wenn er einen strengen Eindruck erwecken wollte? „Äh, und was ist mit Jennifer Oakley? Oder Rüdiger?“ Ich hatte den Bogen wohl überspannt. Dr. Müllers Gesichtsausdruck verdunkelte sich. „Oakley ist nur auf dem Papier Mitarbeiterin dieser Abteilung. Sie forscht derzeit zu ihrer Dissertation. Und ich kann von Glück sagen, dass ich Rüdiger von der Nachrichtenbeschaffung bekommen habe. Die schuldeten mir noch einen Gefallen, und ich brauche Rüdiger, weil bei ihm die Fäden über die Einbrüche zusammen laufen.“ Er sah mich einmal streng an. „Hier sind alle Unterlagen, die wir zu dem Fall bisher haben. Besser, Sie beeilen sich.“ Ich ließ die Schultern hängen, griff nach der Mappe, die er mir reichte und stand auf. Nahezu blind verließ ich sein Büro und ging zwischen den Tischen hindurch. Ich ignorierte Jennifer, die mir irgendwas zurief und Rüdiger, der mich seinerseits höflich zurück ignorierte. Wie ich den Weg zum Aufzug zurücklegte, war mir schleierhaft. Ich sammelte mir die wichtigsten Sachen aus meinem Zimmer zusammen und stopfte es zusammen mit den Unterlagen, die Müller mir gegeben hatte, in meinen Rucksack. Das Ministerium verließ ich auf schnellstem Wege. Draußen angekommen, zückte ich als Erstes mein Handy und fand heraus, dass ich ganz einfach mit der U-Bahn vom Hansaplatz zur Station Rathaus Steglitz fahren konnte. Ich musste nur etwa eine viertel Stunde laufen, um zur Station am Hansaplatz zu kommen. Und da mir der Regen ins Gesicht schlug, beeilte ich mich. Wenigstens waren bei dem Mistwetter auch weniger Passanten unterwegs, ich musste also kaum jemandem ausweichen. Trotz meiner Eile kam ich fast durchnässt an der U-Bahn-Station an, auch mein Rucksack schien einiges abbekommen zu haben. Ich schaute mich in der Station um und entdeckte nach kurzer Suche das, was ich jetzt brauchte. Einen Fahrkartenautomaten samt Preisübersicht. „34 EURO?!“, stellte ich dann überrascht fest. Zugegeben, ich hatte keinen blassen Schimmer, wie teuer aktuell die Wochenkarten für den öffentlichen Nahverkehr im Stadtgebiet München waren, aber ich bezweifelte, dass sie teurer als ihr Berliner Pendant waren. Zähneknirschend zog ich mir ein Wochenticket für die Zonen A und B und machte mich auf zum Bahnsteig. Die entsprechende Bahn kam nach zwei Minuten und ich bekam einen Sitzplatz entgegen der Fahrtrichtung, dafür am Fenster. Doch dafür hatte ich keinen Nerv.  Ich legte meinen Rucksack auf meinen Schoss und holte vorsichtig die Unterlagen von Dr. Müller hervor. Vorsichtig, um den anderen Fahrgästen um mich herum keine Einblicke zu gewähren, lugte ich hinein. Viel war es indes nicht an Information. Eine Übersichtsseite mit den Adressen und Kontaktdaten von Ansprechpersonen und Zeugen vor Ort. Und für acht Einbrüche gab es Informationen auf einer A4 Seite. Ich prüfte vorsichtshalber auch die Rückseiten der Papiere. „Was ist mit den letzten drei?“, murmelte ich. Ich blätterte noch einmal gründlich durch die Unterlagen, fand aber nichts dazu. Die Berichte schienen also noch nicht fertig zu sein. Wenigstens hatte ich die Adressen, da konnte ich die drei fehlenden Tatorte auch selbständig aufsuchen und die Zeugen befragen. Zeugen befragen. Nie hätte ich gedacht, selber einmal Ermittlerin zu sein. Ich kam mir schon ein bisschen wie die zwei Ermittler von den Rosenheim Cops vor, die immer am Dienstag am Vorabendprogramm im Zweiten Deutschen Fernsehen liefen. Wobei es mittlerweile nicht mehr nur zwei waren, sondern die munter durch tauschten. Wenigstens gab es bei mir keine Leichen und niemanden, der die Leichen mit „Es gabat a Leich“ den Ermittlern ankündigte. Doch mir war nicht nach Lachen zumute. Ich verscheuchte die Gedanken an die beliebte ZDF-Serie und konzentrierte mich wieder auf meinen eigenen Fall. An der nächsten Station stieg eine Mutti mit kleinem Kind zu, die sich in meine Vierersitzgruppe setzten. Das Kind ausgerechnet neben mich. Sobald sich die Türen wieder geschlossen und die U-Bahn losgefahren war, fing der Junge an, herumzuzappeln. Ich krümelte mich auf meinem Sitz zusammen. „Kannst du bitte auf deiner Seite bleiben?“, fragte ich ihn zuckersüß, als er mir dann doch gegen die Beine trat. Der Mutter schien das Verhalten ihres Sohnes völlig egal zu sein. Sie tippte nur auf ihrem Handy rum. Irgendwann trat ich dann doch mal halbherzig zurück. „He, was fällt Ihnen ein?!“, beschwerte sich da die Alte lautstark. „Merken Sie eigentlich nicht, dass Ihr Sohn mich ständig tritt?“ „Der macht sowas nicht!“, behauptete sie felsenfest. „Sagt diejenige, die die ganze Zeit nur aufs Handy gafft“, blaffte ich zurück. „Ich versuche, hier zu arbeiten und Ihr Sohn stört mich dabei.“ „Haben Sie was gegen Kinder?“, konterte sie. „Nein. Ich habe was gegen Eltern, die ihre Kinder nicht erziehen. Bei Hunden ist schließlich auch das andere Ende der Leine das Problem!“ „Also wirklich. Was fällt Ihnen ein? Mein Sohn ist doch kein Hund!“ „Stimmt! Jeder Hund ist besser erzogen als Ihr Sohn!“ Schließlich stand die Schreckschraube auf und zog ihren Sohn mit. Im Weggehen konnte ich noch einige Schimpfwörter hören, zuckte aber nur mit den Schultern. Schimpfworte waren nicht mein Niveau. „Sind Sie immer so unfreundlich?“, fragte mich ein älterer Herr mit Berliner Akzent von schräg gegenüber. „Dren Berliner Kinda imma gega de Hax’n vo anderne Leid? Leana dean de goar nix vo eich Äidane!“, pampte ich in meinem bayerischsten Akzent zurück. Der alte Sack riss die Augen auf, hielt aber zum Glück den Schnabel. Und auch sonst schien sich niemand mehr mit mir anlegen zu wollen. Ich steckte meine Nase wieder in meine Unterlagen, konnte mich wegen der Sache aber nicht mehr richtig konzentrieren. Es war nur ein Bankeinbruch aufgeführt, der zweite Banküberfall war wohl bei den drei Fällen, zu denen es noch keine Übersicht gab. Ich sah auf mein Handy. Es war kurz vor Mittag, die ersten Einbrüche hatten wohl um kurz nach 22 Uhr in der Nacht zuvor angefangen. Ich schaute mir den chronologisch letzten Bericht an, den ich hatte. Im Schätzen war ich nie besonders gut, aber der Niffler schien nirgends länger als eine Stunde gewesen zu sein. Eher weniger, denn er musste ja auch von einem Juwelierladen zum anderen kommen. Ich sah die Berichte noch mal durch. Heutzutage waren Juwelierläden, Pfandhäuser und Banken alle mit Alarmanlagen gesichert. Und die hatten auch alle zuverlässig ausgelöst. Dass sich der kleine Kerl da nicht allzu lange aufgehalten hatte, war verständlich. Der Chronologie nach hatte er einen Laden betreten, diesen um alles erleichtert, was funkelnd genug war und war dann zum nächsten Laden gezogen. Eine Pause schien er zwischendrin nicht gemacht zu haben. Zumindest nicht bei den ersten acht Fällen. Ich seufzte. Nicht zum ersten Mal an diesem beschissenen Tag fragte ich mich, wie viel in die Tasche eines Nifflers eigentlich rein ging. Ich zog das Übersichtsblatt aus der Mappe hervor, faltete es in A6-Größe zusammen und schob es in meine Jackentasche. Danach klappte ich die Mappe mit den Unterlagen zusammen und stopfte sie in den Rucksack zurück. Bei der nächsten Station musste ich raus. In dieser Station war bei weitem mehr los, ich schob es darauf, dass die Schlossstraße bestimmt auch noch jede Menge andere Läden beherbergte, nicht nur die ganzen Juweliere. Ich kämpfte über zwei Rolltreppen an die Oberfläche und stellte erleichtert fest, dass der Regen nachgelassen hatte. Interessiert sah mich um.  Die Schlossstraße war weniger spektakulär, als ich erwartet hatte. Das verrieten mir die Filialen einer Drogeriekette und eines Schuhladens, in dem ich vor Jahren auch immer meine Treter gekauft hatte. Bis ich auf hochwertigeres Schuhwerk umgestiegen war. „Also wollen doch mal sehen, wo wir hier sind.“ Ich holte mein Handy und die Adressübersicht hervor. Den ersten Tatort konnte ich nicht vom U-Bahn-Aufgang aus sehen. Ich prüfte den Standort noch einmal auf meinem Smartphone. „Hm, scheint wohl in einem größeren Einkaufszentrum zu sein.“ Ich überquerte die Straßenkreuzung an der Ampel und stand dann in der Schlossstraße auf der linken Seite. Mein Weg führte mich mehrere Meter wieder Berlin einwärts und dann links in einen wuchtigen Gebäudekomplex, das sich als Einkaufszentrum „das Schloss“ entpuppte. Den Laden hatte ich schnell gefunden. Von außen wirkten die zwei Schaufenster schon seltsam, beim Näherkommen stellte ich fest, dass der Laden größtenteils leer war. Und die Auslage im Schaufenster war komplett weg. Der Niffler hatte gewütet, als hinge sein Leben davon ab. Leere Ringtabletts, verwaiste Schmuckbüsten, nackte Ohrringständer. „Ein normaler Dieb hätte wohl die ganzen Dinger auch mitgenommen, der Niffler hat sich nur den Schmuck einverleibt und ist weiter.“ Ich wandte mich vom Schaufenster zur Eingangstür. Einen Knopf für eine Klingel konnte ich nicht finden, so klopfte ich einfach gegen das Glas. Ich musste mehrmals klopfen, doch niemand kam. Das Licht machte den Anschein, dass auf jeden Fall jemand in dem Laden war. Auch wenn es gedimmt war. Aber gut, vielleicht befand sich die Person auch einfach außer Hörweite. Ich zog mein Handy und die Liste wieder hervor, um den nächsten betroffenen Laden ausfindig zu machen. Es stellte sich heraus, dass es ein zweiter Amber-Laden war, dieses Mal das Trauringstudio, das sich ebenfalls in dem Einkaufszentrum befand. Ich musste etwas herumsuchen, ehe ich die zweite Filiale fand. Mir bot sich das gleiche Bild wie schon zuvor. Nur, dass dieses Mal jemand im Laden stand und telefonierte.  Ich packte Handy und Liste weg, kramte meinen Dienstausweis hervor und versuchte, den Herrn mittleren Alters auf mich aufmerksam zu machen, als er in meine Richtung blickte. Er sagte noch mal etwas in sein Telefon und legte dann auf. Er kam an die Tür und öffnete sie einen Spalt breit. „Wer sind Sie?“, fragte er verwirrt. „Schuster ist mein Name, von der Soko Goldmarie“, log ich. Ich hielt ihm meinen Dienstausweis unter die Nase und hoffte, dass Dr. Müller Recht behielt, was dessen MaKa-Sicherheit betraf. „Ich wusste nicht, dass eine Soko gegründet wurde.“ „Wurde sie. Darf ich eintreten?“ Der Mann zögerte kurz, trat dann aber zurück und ließ mich in den Laden schlüpfen. Die Glastheken und Vitrinen boten dasselbe Bild wie die Schaufensterauslagen. Betroffen sah ich mich um. „Ich hatte eigentlich schon alles Ihren Kollegen erzählt.“ „Äh, ja, Herr ...?“ „Yildirim.“ Ich wollte ihm die Hand reichen, aber er ignorierte sie. ‚Hm, Muslim der traditionellen Erziehung‘, dachte ich. „Sind Sie wirklich Ermittlerin?“ „Ja. Gibt es ein Problem damit?“, fragte ich ihn rundheraus. „Wie gesagt, ich habe schon alles Ihren männlichen Kollegen erzählt“, wehrte er ab. „Leider haben meine männlichen Kollegen nicht wirklich gut aufgepasst“, gab ich zurück. „Weshalb ich hier bin. Ich müsste zum Beispiel noch einmal die Aufnahmen Ihrer Überwachungskameras sehen, Herr Yildirim.“ Sein Gesichtsausdruck wechselte von verwirrt zu genervt. Es schien ihm wohl nicht zu schmecken, dass ich als Frau nun scheinbar die Ermittlungen übernommen hatte. Dass es sich bei meiner Geschichte um eine blanke Lüge handelte, konnte er nicht wissen. Vermutlich würde er mich hochkant rauswerfen. „Also, wollen Sie nun Ihre Ware zurück, oder nicht?“, hakte ich nach. Er brummte und wandte sich um. „Kommen Sie.“ Ich folgte ihm an die Hinterseite der Filiale, in der es ein Büro mit zwei Arbeitsplätzen, einer Miniküchenzeile und eine Toilette gab. Er setzte sich an einen der Plätze, an dem ein alter Röhrenbildschirm stand, tippte etwas in die Tastatur und ein Fenster öffnete sich. „Da sieht man ja so gut wie gar nichts!“, stellte ich verdutzt fest. „Dafür hätten Sie nicht extra herkommen müssen, oder?“ Ich brummte nur.  „Haben Sie keine Lichter, die automatisch bei Bewegung im Laden anspringen?“ „Doch, natürlich. Aber die Diebe scheinen sie irgendwie außer Gefecht gesetzt zu haben.“ ‚Oder waren einfach nur zu klein, um von dem Bewegungssensor erfasst werden zu können.‘ Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, während ich mir die Aufnahme noch mal anschaute. Anders, als Herr Yildirim dachte, war auf den Bildern schon etwas zu erkennen. Nämlich, von wo aus im Laden der Niffler anfing, den Schmuck zu entwenden. Nur ganz schwach und auch nur, weil Licht aus dem Gang des Einkaufszentrums in den abgedunkelten Laden drang. Wie sich das kleine Biest Zugang verschafft hatte, war mir jedoch nach wie vor ein Rätsel. Und es war leider nicht zu erkennen, wo er den Laden verließ. Nur ein kleines schwarzes Etwas, das nach dem Schmuck griff und das nicht zu erkennen war, wenn man nicht wusste, worauf genau man achten musste. Und mindestens eine der Überwachungskameras schien einen toten Winkel zu haben. „Ich muss mir etwas in Ihrem Laden anschauen“, meinte ich, nachdem ich mir die Aufnahmen ein fünftes Mal angesehen hatte. Herr Yildirim grunzte, führte mich aber in den Verkaufsraum zurück. Dort begutachtete ich die Ecke, in der ich den Niffler auf den Überwachungskameras hatte erkennen können. Herr Yildirim stand mir im Nacken und sah mir über die Schulter. „Was wollen Sie denn in der Ecke?“, fragte er. „Nur was überprüfen.“ Ich betrachtete den Schrank, auf dem die Auslagevitrine stand. Kaum erkennbar führten einige Kratzer nach oben. Oder eher Tapser von fettigen Pfoten. Wo der kleine Kerl wohl davor war? „Gut, das wär dann alles“, meinte ich. Ich stand wieder auf. Herr Yildirim stand gerade einmal einen halben Meter hinter mir. Viel zu nah für meinen Geschmack, aber ich sagte nichts. „Und jetzt?“, fragte er. „Jetzt werde ich den nächsten Tatort begutachten.“ Ich sah ihn motiviert an, aber er schien nicht zu kapieren, worauf ich hinaus wollte. „In Ihr anderes Geschäft ist doch auch eingebrochen worden.“ „Ah ja, das wollen Sie sich auch ansehen?“ Ich nickte. „Haben Sie denn hier schon was rausgefunden?“, fragte er mich. „Äh, wie meinen Sie?“ „Na, Sie haben sich mehrmals das Video angeschaut und haben hier in der Ecke gekauert, aber rausgefunden haben Sie noch nichts.“ „Herr Yildirim, wir stehen noch ganz am Anfang der Ermittlungen.“ „Sollten Sie nicht mittlerweile dem Täter ganz nah auf der Spur sein?“, raunte er. „Herr Yildirim, offenbar haben Sie eine Vorstellung von ... Polizeiarbeit, die von der Realität abweicht.“ Er sah mich wütend an. „Nun, da Sie mich bei meiner Arbeit offenbar nicht weiter unterstützen wollen, werde ich mir den nächsten Tatort auf meiner Liste anschauen. Ich bin mir sicher, dort wird man hilfsbereiter sein.“ Sagte ich, drehte mich um und verließ sein Geschäft. Der Inhaber der zwei Schmuckgeschäfte schimpfte mir auf Türkisch hinterher, aber es war mir egal. Wenn er nicht genügend Eier in der Hose hatte und sich nicht traute, mich in einer Sprache zu beleidigen, die ich auch verstand, lag das Problem eindeutig bei ihm. ‚Und seinem verkorksten Verständnis von Polizeiarbeit.‘ Ich quälte mich aus der Passage heraus und zurück an die Schlossstraße. Es tat gut, wieder etwas Frischluft um die Nase zu spüren. Ein Blick auf meine Liste verriet mir den Standort des nächsten geschädigten Ladens. Ich drehte mich einmal um.  Die Filiale der Berliner Sparkasse, in die der Niffler ebenfalls eingebrochen war, hatte eine Mietfläche der Einkaufspassage, die zur Schlossstraße hin zeigte. Sie war ebenfalls mit Polizeiabsperrband markiert, aber ein Sigel befand sich dort nicht. Offenbar war es dem Personal gelungen, die Polizei davon zu überzeugen, die Filiale weiter zu betreiben. Was mir ein Rätsel war. Vermutlich hatte die SpuSi schon alle wichtigen Spuren am Tatort gesichert. Ich betrat die Filiale, in der sich gerade zwei Kunden aufhielten. Eine ältere Dame mit Rollator und Teppichporsche im Körbchen wurde gerade bedient. Ein älterer Herr hatte in dem Wartebereich Platz genommen. „Sind Sie als Nächstes dran?“, fragte ich ihn höflich. Er nickte, schüttelte dann den Kopf. Ich grinste ihn überfordert an. „Mei‘ Frau braucht no‘ a bissl“, meinte er dann. Mein Grinsen wurde noch breiter. Scheinbar jemand aus meiner alten Heimat. Ich stellte mich höflich hinter die Dame mit Rollator und Fiffi im Körbchen und wartete. Und wartete. Und begann, mich in der Filiale umzusehen. Zunächst nahm ich die Theke in Augenschein. Sie war mit dunkler Holzoptik gestaltet, was ich etwas altmodisch fand, aber vielleicht wollte man hier lieber am Interieur statt an den Mitarbeitern sparen. Hoffte ich zumindest. Das Furnier wies keinerlei Spuren auf. Vermutlich hatten die Angestellten den Kundenbereich sauber gemacht, sobald er von der Polizei freigegeben worden war. Die Omi ließ sich gerade noch einmal erklären, warum sie für das Abheben von ihrem Konto jetzt eine Gebühr zu entrichten hatte. Ich verdrehte innerlich die Augen. Scheinbar hatte die Bank ein neues Gebührenmodell eingeführt und das Konto in das billigst mögliche Modell eingruppiert. Was mich wunderte, üblicherweise sortierten Banken bei einer Modelländerung in teurere Bereiche ein. Aber anders konnte ich mir nicht erklären, warum die Dame jetzt einen kleinen Obolus zu entrichten hatte.  Aus den Augenwinkeln fiel mir eine Bewegung auf und ich drehte den Kopf zur Sitzecke. Ihr Gatte mühte sich damit ab, aufzustehen. Ich trat zu ihm und bot ihm meine Hand. „Darf ich Ihnen helfen?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, griff ich ihn am Ellbogen und half ihm auf. Er nickte mir kurz dankbar zu und humpelte zu seiner Ehefrau an den Schalter. Die Fußhupe bellte einmal lautstark. Ich stellte mich wieder in gemessenem Abstand hinter das Paar und wartete. Die Bankangestellte, möglicherweise eine Auszubildende, versuchte nun schon zum dritten Mal zu erklären, warum die Dame noch eine Gebühr zu zahlen habe. Ich seufzte und trat nun ebenfalls hinzu. „Was ist denn das Problem, wenn ich fragen darf?“ „Die Dame hat ihr Konto auf Economy umgestellt und beschwert sich nun, dass sie für das Geld abheben eine Gebühr bezahlen muss.“ Ich sah die Angestellte an. Eigentlich hätte sie mir das wegen der Datenschutzgrundverordnung nicht mal erzählen dürfen, aber das behielt ich für mich. Die Dame ihrerseits schien verzweifelt zu sein. „Um welchen Betrag geht es denn?“, fragte ich und fing an, in meinem Rucksack zu kramen. „2,95 Euro.“ Ich zog einen Geldschein hervor. „Hier haben Sie 10 Euro, den Rest bezahlen Sie der Dame bitte aus.“ „Aber das kann ich nicht machen“, meinte die Angestellte. „Warum denn nicht? Es ist doch im Endeffekt egal, wer die Gebühr bezahlt, oder nicht?“ „Nein, es muss auf dem Kontoauszug mit drauf sein.“ „Eh? Dann zahlen Sie halt die 10 Euro auf das Konto ein, das kann doch nicht so schwer sein.“ Die Bankmitarbeiterin sah mich noch einen Moment perplex an, griff dann nach dem Geldschein und begann, in ihren Computer zu tippen. „Vergelt’s Gott, gute Frau“, meinte die Oma. Erst jetzt sah ich, dass ihr wohl schon einige Tränen über’s Gesicht gelaufen waren. Umgehend hatte ich ein schlechtes Gewissen, hatte ich die 10 Euro doch nur hingelegt, damit ich selbst endlich dran kam. Ich fragte mich, warum das Pärchen in Berlin war. Ob es Verwandte besuchte? Den Sohn vielleicht, oder die Tochter? Die Bankangestellte hatte den Papierkram nun erledigt und zahlte der Dame das Restgeld aus. „Das reicht hoffentlich noch für den Besuch in einem Café“, meinte ich zu den beiden, die sich noch einmal überschwänglich bedankten und aus dem gerührt sein gar nicht mehr heraus kamen.  Als sie endlich draußen waren, atmete ich einmal tief durch und drehte mich wieder zu der Angestellten um. Nur, dass die dort jetzt nicht mehr stand. „Das darf doch nicht ...“ Ich sah mich im Kundenbereich um. Nein, die Dame schien in irgendwelche Hinterräume verschwunden zu sein. „Entschuldigung?!“, rief ich. Umgehend hörte ich Gerumpel im hinteren Bereich der Bankfiliale. Zum Vorschein kam eine ältere Dame, deren blonde Haare von grauen Strähnen durchwirkt waren. Auf ihrem Namensschild stand Klarissa Delau und Filialleiterin. Da war ich ja gleich an der richtigen Adresse. „Huch?“, meinte sie, als sie mich erblickte. „Entschuldigen Sie, ich hab heute leider noch einiges vor mir“, meinte ich und legte meinen Dienstausweis auf den Tisch. „Oh!“ „Ich müsste Sie noch einmal zu dem Bankraub heute in der Nacht befragen.“ „Oh, natürlich.“ Die Dame wandte sich wieder um. „Frau Grießmann, können Sie hier wieder übernehmen?“, rief sie in die Untiefen der Filiale hinein. „Es ist noch mal jemand von der Polizei gekommen.“ Es dauerte nicht lange, bis die Auszubildende wieder kam und ihre Vorgesetzte mich durch eine kleine Tür in den hinteren Bereich der Bank lotste. Ich sah mich einmal in dem kurzen Gang um, in dem sich ein Garderobenständer für Mitarbeiter und ein Kopierdrucker mit Scanfunktion standen. „Sie sind die Filialleiterin, Frau Delau?“ Sie nickte. „Gibt es außer Ihnen und Frau, äh ... Grießmann noch andere Angestellte?“ „Nur Herr Wanner, aber der ist noch im Urlaub. Deshalb sind wir hier leider etwas im Stress.“ „Verstehe. Und der Diebstahl ist Ihnen natürlich heute Morgen aufgefallen.“ Wieder nickte Frau Delau. „Wenn Herr Wanner nicht da ist, komme ich morgens meist als erstes und überprüfe alles. Wie es bei uns Vorschrift ist. Dabei ist mir der Diebstahl aufgefallen.“ „Ich habe mir die Informationen meiner Kollegen noch einmal angesehen und sie mit den, äh ... anderen Tatorten verglichen. Bei Ihnen ist ja das ganze, äh, Bargeld gestohlen worden, also Münzgeld jeglicher Währung?“ „Ja, wirklich ärgerlich. Kommen Sie.“ Die Dame führte mich in einen kleinen Raum mit verschieden großen Tresoren. Die Türen der Fächer waren alle geschlossen und schienen wie blank geputzt. Nicht verwunderlich, Niffler konnten sich ja einfach so durch jedes beliebige Metall schieben, ohne einen Hinweis zu hinterlassen. „Wir haben hier immer eine Auswahl der regulärsten Währungen. Neben Euro und diversen Dollar-Währungen natürlich auch Pfund, Rubel, Riyals, Renminbi und Yen.“ „Sie haben nur noch Scheine, oder?“ „Ja. Es ist, als hätten sich die Münzen einfach in Luft aufgelöst. Natürlich können wir Devisenwechsel vornehmen, aber bisher haben wir den Kunden immer mit Münzen ausbezahlt. Jetzt müssen wir hoffen, dass Kunden mit entsprechendem Kleingeld kommen, bevor eine Nachlieferung aus der Zentrale kommt.“ Ich nickte. Frau Delau öffnete eines der Zahlenschlösser eines größeren Faches. Dahinter kamen diverse Dollar-Stapel zum Vorschein. Das Fach für die Dollar-Münzen war komplett ausgeräumt. „Sehr seltsam, das alles.“ „Ja. Genau deshalb bin ich noch mal hier. Es ist höchst merkwürdig, dass ein Einbrecher nur das Münzgeld stiehlt und die Scheine, die in der Regel ja mehr wert sind, einfach liegen lässt.“ „Haben Sie schon einen Verdacht?“ Ich seufzte innerlich. Genau die gleiche Frage hatte Herr Yildirim auch gestellt, aber bei ihm war ja vor allem Schmuck geklaut worden. Mir war schleierhaft, inwieweit die anderen Geschädigten voneinander wussten. Falls Frau Delau wusste, dass vor allem Schmuckläden bestohlen worden waren, würde ihr der Vorfall sicher nur noch merkwürdiger vorkommen. „Nun, in Anbetracht der anderen, äh, Tatorte wirkt es seltsam, dass der Dieb sich überhaupt die Mühe gemacht hat, Ihre Bank zu bestehlen. Sagen Sie, haben Sie hier auch wertvolle Sammlermünzen?“ „Nein, eigentlich nicht. Wir sind eine ganz normale Bank. Dadurch, dass wir hier in der Schlossstraße relativ viele Touristen haben, haben wir entsprechend Fremdgeld. Möglich, dass unter den Münzen einige seltenen Exemplare sind, aber wir kontrollieren die nicht. Wie gesagt, in der Regel zahlen wir die Münzen den Kunden aus. Nur sehr selten kommt jemand, und will Fremdwährung in Münzen tauschen.“ Ich grummelte. „Hm?“ „Nichts. Vielleicht hat der Täter einfach alles eingeräumt in der Hoffnung, dass etwas Wertvolles dabei ist. Anders kann ich es mir leider nicht erklären.“ Ich hockte mich vor die geöffnete Tresortür und nahm sie in Augenschein. Weder außen noch innen war die Tür auffällig. Keine Kratzspuren von gewaltsamen Öffnungsversuchen, keine Tapser von fettigen Nifflerpfoten. Nur ein paar Fingerabdrücke, die vermutlich vom Personal stammten. „Sie müssen sich ja viele Zahlenkombinationen merken.“ „Ja. Aber das bringt der Job mit sich. Andere Filialen haben natürlich einen großen Tresorraum und die einzelnen Fächer dahinter sind mit Schlüsseln gesichert.“ Ich stand wieder auf und sah mich in der kleinen Kammer um. Mein Blick fiel an die Decke. „Hrm, ich werde mir im Präsidium wohl noch mal das Aufnahmeband ansehen müssen“, murmelte ich zu mir selbst. „Wie bitte?“ „Ach nichts. Ich bin soweit fertig hier. Bitte entschuldigen Sie, dass ich Ihre Zeit solange beansprucht habe“, meinte ich höflich. „Gerne. Ich hoffe, Sie finden den Dieb bald.“ Frau Delau begleitete mich zum Kundenbereich zurück. „Wir geben unser Bestes. Aber in Anbetracht der Dimension der Diebstähle wird die Aufklärung wohl noch etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen“, meinte ich. „Natürlich. Für uns als Bank ist es zwar ärgerlich, aber die Goldschmiede bleiben auf einem höheren Schaden sitzen, fürchte ich.“ Ich nickte nur, verabschiedete mich und verließ die Bank. Und stand wieder im Regen. „Na toll!“ Schnell huschte ich in den Eingangsbereich der Einkaufspassage zurück, in der sich einige Leute gesammelt hatten. Ich grummelte, nicht nur ob des schlechten Wetters. Warum der Niffler die Bank ausgeraubt hatte, war mir schleierhaft. Münzen hatten in der Regel nur einen sehr geringen Anteil an Metall und es waren nicht mal Edelmetalle. Warum also hatte er die Bank aufgesucht?  Ich sah auf mein Handy. Keine Nachrichten. Und es war schon fast zwei Uhr nachmittags. Da hatte ich ja noch einiges vor mir. Ich brummte erneut und machte mich auf den Weg, die weiteren Tatorte zu inspizieren. Abends, kurz nach Ladenschluss, stolperte ich aus Jacqueline’s Trauringstudio. Ich war im wahrsten Sinne des Wortes fix und fertig. Nach der Filiale der Berliner Sparkasse waren noch sieben weitere Schmuckläden bzw. Pfandleihhäuser und eine weitere Bank gefolgt. Bei allen hatte ich in etwa ähnliche Gespräche geführt wie zuvor bei Herrn Yildirim und Frau Delau. Zwischendurch war ich in ein Bistro gegangen und hatte mir ein Mittagessen organisiert. Die letzte Bestandsaufnahme im Trauringstudio war genauso wie die erste an diesem Tag. Der Inhaber war ebenfalls ziemlich ungehalten, dass die Berliner Polizei seine kostbare Zeit noch einmal verschwendete und noch nichts Belastbares ermittelt hatte. Abgestumpft hatte ich mir den Laden zeigen lassen, der ohne die Auslage ziemlich traurig wirkte.  Ich zog mein Handy hervor. Es war halb acht abends. Mein Magen grummelte, aber um diese Zeit würde es bei den zahlreichen Imbissbuden wohl nichts Frisches mehr geben. Ein kurzer Blick in meine Tracking-App verriet mir, dass das bullige Gebäude schräg gegenüber wieder eine Shopping Mall war. Die reihten sich hier auch aneinander. „Äh ...“, machte ich dann. Meine Tracking-App hatte meinen kompletten Tagesverlauf aufgezeichnet. Der Niffler hatte eine relativ gerade Schneise der Verwüstung durch die Schlossstraße gezogen. Warum er beim Trauringstudio aufgehört hatte, war mir schleierhaft. Ich vermutete, dass ihm die Passanten zu viel wurden, als dass er sich weiter ungestört hätte bedienen können. „Ach, kuck mal an! CHRIST Juweliere und Uhrmacher ...“ Ich starrte auf das Einkaufszentrum. Eine Filiale weiter die Straße runter war ja bereits ausgeraubt worden. Sicher war diese in Alarmbereitschaft. Aber in einem großen Einkaufszentrum würde es bestimmt Sicherheitspersonal geben, das regelmäßig patrouillierte. Ein Schmuckladen in einem großen Kaufhaus war für den Niffler sicher interessant, für mich aber kein sinnvoller Ort, ihn zu schnappen. Grummelnd sah ich auf mein Handy zurück. „Es wird ja wohl noch ein paar andere Läden geben.“ Nach kurzer Suche fand ich auch etwas Passendes und beschloss, mein Glück zu versuchen. „Aber erst brauch ich was für die Nerven.“ Ich wandte mich nach links, wo zwei Häuser weiter gleich ein goldenes M auf rotem Hintergrund den Weg zu einem Schnellrestaurant wies. Bewaffnet mit einem Chicken McNugget Small Menü machte ich mich auf den Weg stadteinwärts. Ich hatte die Wahl zwischen Juwelier Gabriel und Goldschmiedin Susanne Teuscher. Ich entschied mich für Juwelier Gabriel, da es auf den Bildern etwas repräsentativer aussah mit einem großen Schaufenster und reichhaltiger Schmuckauslage. Ich als Niffler würde definitiv da einsteigen. Als ich bei dem Laden ankam, war er noch geöffnet, weshalb ich mich windschief vor der Filiale einer namhaften Parfumeriekette postiert und anfing, mein McDonald’s Menü zu futtern. Nebenher ging ich meine Optionen durch.  Ganze fünf Zaubersprüche konnte ich halbwegs gut anwenden, wobei mir Petrificus Totalus als der hilfreichste erschien. Wenn ich richtig zielte, würde es mir natürlich ein Leichtes sein, den Ladenbesitzer außer Gefecht zu setzen und in dem Juwelierladen Wache zu halten. Jedoch brachte diese Herangehensweise das Problem mit sich, dass der oder die Angestellten alles hautnah miterleben würden. Und Obliviate hatte ich noch nicht erlernt. Es bestand also eine reelle Gefahr, dass der Mann gefunden würde, noch ehe ich zum Ministerium zurückkehren und die Situation entsprechend schildern konnte, damit ein Kollege ihn oblivierte. Außer, ich ließ mich von einem Taxi fahren, was bedeutete, dass ich wieder etwas von meinen kostbaren Euros hergeben musste, was ich nicht wollte. ‚Ich muss dringend klären, ob ich mir solche Auslagen erstatten lassen kann.‘ Apparieren war jenseits meiner Möglichkeiten und ich schätzte, dass ich diesen komplizierten Zauber nicht innerhalb der nächsten drei Jahre würde erlernen können. Auf mein McMenü wurde mir schlecht bei dem Gedanken daran, wie Ron im siebten Film zersplittert war. Die andere Möglichkeit bestand darin, dass ich mich als verdeckte Ermittlerin zu erkennen gab und mich im Laden einsperren ließ. Es würde zweifelsohne zu einem Kampf mit dem Niffler kommen, oder wenigstens zu einer Hetzjagd durch den Laden. Andererseits würden die Angestellten dann alles daran setzen, zumindest in der Nähe zu warten. Geschweige denn, dass sie andere, wichtige Leute würden hinzuziehen wollen. Und wie sollte ich erklären, dass ich alleine zur Verbrecherjagd abgestellt worden war. Eine schlaksige junge Frau, die gegen einen Dieb angehen wollte, möglicherweise sogar mehrere? Ich seufzte. Wie ich es drehte und wendete, beide Optionen bargen für mich auf den ersten Blick mehr Nachteile statt Vorteile. Doch die Zeit drängte, ein Mann trat aus dem Laden und schickte sich an, noch mal eine letzte Runde im und außerhalb des Ladens zu machen. Ich konnte sehen, dass er ein Namensschild trug, aber auf die Entfernung war es unleserlich. Ich pfefferte die Reste des McMenüs in den nächsten Mülleimer, zückte meinen Zauberstab und schlüpfte hinter dem Mann in den Laden. Er zuckte herum. „Wer ...“ „PETRIFICUS TOTALUS!“ Ich schwang meinen Zauberstab. Der Mann erschauderte, als hätte ihn ein Blitz getroffen und schlug der Länge nach hin. Ich hetzte zu ihm hinüber. „Entschuldigen Sie bitte vielmals“, stammelte ich bescheiden. Ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden, packte ich ihn an den Beinen und zog ihn tiefer in den Laden, sodass er vom Eingangsbereich aus nicht mehr zu sehen war. Danach hielt ich ihm kurz meinen Ausweis vor die Nase, wohl wissend, dass ihn das Dokument in seiner derzeitigen Situation nicht wirklich beruhigen würde. „Ich bin wegen der Diebstähle hier“, meinte ich, als ich ihn durchsuchte. Doch ich fand nicht, wonach ich suchte. „Scheiße, wo haben Sie den Schlüssel zum abschließen?“, fragte ich ihn. Aber er konnte mir keine Antwort geben. Statt noch einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, packte ich ihn wieder an den Beinen und zog ihn noch tiefer in den Laden. Und wurde im hinteren Bereich von einer weiteren Person überrascht. „Wer sind Sie?!“, kreischte sie mich erschrocken an. „Hilfe, Polizei!!“ „Shit.“ Ich ließ die Beine des Mannes fallen, wo sie waren, und griff wieder nach meinem Zauberstab. In der Hektik und nach dem Schreck verfehlte mein erster Schockzauber sie. Die Frau stürzte auf mich zu und rempelte mich zur Seite. Vermutlich wollte sie einen der Notschalter erreichen, den es in jedem Schmuckladen und in jeder Bankfiliale gab. Dann wäre ich geliefert. Ich zauberte noch mal Petrificus Totalus und erwischte sie zum Glück am Bein. Die Frau fiel hin und riss dabei eine kleine Stehvitrine zu Boden, die lauttönend zerbrach und ihren Inhalt auf den Boden ergoss. „Scheiße!“ Ich schleppte auch die Frau wieder zurück und bugsierte die beiden in den Mitarbeiterbereich. Da hatte ich ja ein schönes Malheur angerichtet. Doch ich hatte keine Zeit, mir noch weiter Gedanken darüber zu machen. Ich musste den Laden schleunigst zusperren und soweit abdunkeln, damit es so wirkte, als wäre alles wie immer. Ich durchsuchte die Frau und fand bei ihr einen Schlüsselbund. Damit konnte ich wenigstens das eine Schloss an der Innenseite zumachen. Wie man das Sicherheitsgitter herunter ließ, war mir schleierhaft. Ich hatte die Befürchtung, dass dies nur von außen möglich war, wie ich es schon häufiger im Fernsehen gesehen hatte. Nachdem der Laden soweit abgesperrt aussah für die Außenwelt, versuchte ich, mich mit dem Interieur vertraut zu machen. Dies war mir jedoch nur aus dem hinteren Bereich des Geschäfts möglich, weil man mich sonst vorne vom Gehweg ausgesehen hätte. Es gab insgesamt drei Schautische, die in einem L angeordnet waren. Der obere Bereich war jeweils ein Glaskasten, der zahlreichen Schmuck enthielt. Die Vitrine, welche die Dame vorhin herunter gerissen hatte, lag noch in ihren Überresten auf dem Boden. Auch die Wände waren voll schmuckbesetzter Glasschaukästen. „Was für ne dumme Idee ...“, murmelte ich. Aber es half nichts. Sich jetzt darüber zu ärgern, den Laden an der Straße ausgewählt zu haben statt der CHRIST Filiale in dem Kaufhaus war müßig. Ich konnte nur darauf vertrauen, dass der Niffler erst hervorkommen würde, sobald nicht mehr so viele Leute auf der Straße unterwegs waren. Und ich hoffte, dass er vielleicht erst in dem Konsumtempel zuschlagen würde und danach die weiteren Läden stadteinwärts aufsuchte. Vielleicht hatte ich also Glück und müsste mich erst mitten in der Nacht austoben. Das Mobiliar bot nicht viel Versteckmöglichkeit für mich. Die Tische waren durchweg ziemlich niedrig. Ich musste mich also hinter einem zusammenkauern, damit mich etwaige Fußgänger nicht erspähen konnten. Was hatte ich mir nur dabei gedacht? Die Mitarbeiter offen anzusprechen erschien mir jetzt als der klügere Weg, aber ich konnte nicht mehr aus. Und dumm, wie ich war, hatte ich die Umgebung des Juweliers zuvor nicht mehr geprüft. Ich wusste also nicht, ob es in der Nähe ein Polizeirevier gab. Ich konnte nur hoffen, dass die zuerst zu einem anderen Laden fuhren, den der Niffler ausgeraubt hatte. „Mist! Mist, Mist, Mist!“ Ich grummelte noch mehrmals vor mich hin, als ich in den hinteren Bereich ging. „Ich bin gerade dabei, Ihre Auslage zu retten, falls Sie sich wundern“, meinte ich zu den beiden. Sie hatten sich bisher nicht gerührt. Wie auch? Petrificus Totalus lähmte das Opfer und nur der Gegenspruch erlöste sie. Den konnte ich nach getaner Arbeit jedoch nicht anwenden. Vielmehr musste ich umgehend das Ministerium kontaktieren, damit die den Saustall aufräumten, den ich hinterlassen würde. Apropos Saustall. Ich begann, die hinteren Räume zu durchsuchen, und fand bald einen Handbesen und ein Kehrblech. Damit kehrte ich die Scherben von der Vitrine auf. Sorgsam sammelte ich die Schmuckstücke und Displays aus den Scherben und häufte alles auf einem Tisch in dem kleinen Büro auf. Die Glasscherben kippte ich in den nächsten Mülleimer. Ich überprüfte mein Handy. Es war kurz nach neun Uhr. Jetzt begann also die Zeit des Wartens und des Lauerns für mich. Ich hoffte, dass sich der Niffler nicht allzu lange bitten ließ. Und verfluchte mich umgehend wieder für diesen Gedanken. Je später er kam, desto besser. Aber nach dem anstrengenden Tag und dem schweren McMenü in meinem Magen war ich ziemlich erschöpft. Ich malte mir aus, wie meine Jagd verlaufen würde. Ich zweifelte nicht im mindesten daran, dass sie sich ebenso kompliziert gestalten würde, wie im ersten Film. Newt hatte sich mit Jacob angefreundet, und gemeinsam haben sie sich auf den Weg gemacht, die entkommenen Tierwesen einzufangen. Vermutlich würde es bei mir noch dramatischer ablaufen, aber das konnte ich jetzt nicht ändern. Ich verkrümelte mich im Gang zwischen Verkaufsraum und Privaträume und überlegte, womit ich die Wartezeit überbrücken sollte. Seit drei Tagen war ich jetzt hier in Berlin und es fühlte sich bereits an wie mehrere Wochen. Ich schob es auf den anstrengenden Tag, den ich hinter mir hatte. Ich würde elendig ins Bett fallen und morgen erst einmal die Cafeteria und insbesondere die Kaffeemaschinen aufsuchen. Warum hatte ich mir tagsüber keinen gegönnt? Ach ja, meine eigene Knauserigkeit hielt mich davon ab, die noch vorhandenen Euros zu verschwenden. Draußen wurde es langsam dunkel. Ich sah zu den beiden Mitarbeitern, die ich der Länge nach in dem einen Arbeitszimmer verstaut hatte. Sie konnten nur da liegen und auf den nächsten Tag und meine Kollegen vom Ministerium warten, die sie befreien und oblivieren würden. Ich vermutete, dass ich ob meiner unkonventionellen Methoden wieder einen Einlauf von Dr. Müller bekommen würde, aber das juckte mich momentan nicht. Wenn das Ministerium erst meine Akte verschluderte und dann auch noch nicht mal dazu in der Lage war, mir einen vernünftigen Crashkurs in Magie und Zauberei angedeihen zu lassen, konnten sie die Scherben, die ich hinterließ, auch selbst zusammenräumen. Ich schob meinen Rucksack zurecht, ließ mich auf den Rücken sinken und starrte an die Decke. Ich hob meinen Zauberstab in mein Sichtfeld und betrachtete ihn neugierig. Ich war mir sicher, dass dieses Exemplar mal einem anderen Zauberer gehört hatte. Was hatte Jost gemeint? Asservatenkammer? Der Zauberstab war komplett schwarz und vorne an der Spitze gerade. Hinten am Griff war er leicht wellig. Ansonsten war er schmucklos. Aus welchem Holz er geschnitzt und mit welchem Kern er bestückt war, war mir schleierhaft. Vielleicht konnten die aus der Asservatenkammer mir mehr über das gute Stück erzählen. Schließlich mussten sie ja Dokumente darüber haben, woher er stammte. Welcher Zauberin er einmal gehört hatte, welchem Magier. Oder ob es ein Fundstück war. Wobei Asservatenkammern Beweisstücke aufbewahrten. „Alles sehr merkwürdig“, murmelte ich. Ich steckte den Stab wieder weg und rollte mich auf die Seite. Sollte ich mein Handy hervorziehen? Den ganzen Tag über hatte ich keine Nachrichten bekommen. Weder von Freunden, noch von der lieben Familie. Und von der Arbeit hörte ich auch nichts, nicht einmal einer der Kollegen hatte sich bisher gemeldet, was ich etwas schade fand, weil ich mich doch mit dem ein oder anderen recht gut verstand. Aber vermutlich hatten sie gerade selber mit meinem cholerischen Ex-Chef zu kämpfen. Vor Jahren hatte er die Kollegen nahezu wöchentlich in sein Zimmer zitiert und zusammen gebrüllt. Ich fragte mich bis heute, ob er sich davon tatsächlich bessere Arbeitsleistung versprach. Stattdessen waren die Leute immer frustrierter zur Arbeit gegangen. Mich eingeschlossen, weshalb ich mittlerweile doch etwas froh war, dass er mir gekündigt hatte. „Scheiße“, brummte ich dann. Ob ich mich trotzdem beim Arbeitsamt melden sollte? Das musste man ja machen, sobald man erfuhr, dass man arbeitslos wurde. Sonst wurden einem die Bezüge für mehrere Monate gestrichen. Ich beschloss, Dr. Müller diesbezüglich zu fragen. Vielleicht würde es auch gar nicht nötig sein, wenn ich am Ende des Monats Gehalt bekommen würde. Und momentan wohnte ich ja im Ministerium. Aber ich sollte vielleicht jemanden bitten, meinen Briefkasten auszuleeren. Vielleicht meinen Bruder. „Scheiße!“ Wie sollte ich denn bitte erklären, dass ich jetzt in Berlin war? Oh man, noch etwas, was ich mit Dr. Müller besprechen musste. Meine Liste wurde immer länger und ich befürchtete, dass der morgige Tag genauso zeitintensiv werden würde, wie der heutige. Ich schloss erschöpft die Augen und versuchte, die Geräusche in mich aufzunehmen. Der Verkehr von draußen war mittlerweile weniger geworden. Ab und zu hörte man einen Motor von einem Poser aufheulen, das Lachen von Menschen auf dem Gehweg, Schritte, die vermutlich aus der Etage über dem Schmuckladen kamen. Nichts, was auf den ersten Moment verdächtigt wirkte. Ich grummelte und öffnete die Augen. Gähnte herzhaft. Rieb mir dann die Augen und ruckte mit dem Kopf hoch. War ich etwa eingeschlafen? Ich kämpfte mich in eine sitzende Position und kramte mein Handy hervor. 01:30 Uhr stand da in leuchtenden Lettern. Ich war tatsächlich eingeschlafen. „So ein Mist aber auch“, fluchte ich so leise wie möglich. Ich schloss die Augen erneut und konzentrierte mich auf die Geräusche, die da vorherrschten. Ich glaubte, das Atmen der beiden Angestellten zu hören. Vorsichtig kroch ich zu ihnen hinüber. Sie hatten die Augen immer noch geöffnet und starrten gerade aus. Bei dem Mann konnte ich sehen, dass er versuchte, seine Pupillen auf mich zu richten, aber es gelang ihm nicht. Hoffentlich bewirkte Petrificus Totalus keine bleibenden Schäden, wenn er zu lange nicht aufgehoben wurde. Dann klapperte etwas. Ich riss den Kopf herum und lauschte in der Dunkelheit. Die fünf Minuten, die ich auf das nächste Geräusch warten musste, fühlten sich wie Stunden an. Ich zog meinen Zauberstab hervor und schlich auf Zehenspitzen zu dem Durchgang zwischen Verkaufsraum und Privaträume. Dabei streifte mein rechter Fuß etwas auf dem Boden, meinen Rucksack! Ich hielt wieder still und lauschte. Einige Augenblicke später klapperte es wieder im Verkaufsraum. Ich lugte um die Ecke. Tatsächlich. Da stand das Mistvieh auf einem der Tische, dessen Glas er zertrümmert hatte, und bediente sich an der Auslage. Diverse edelsteinbesetzte Ringe schob er sich gerade in den Wanst. Danach folgten mehrere Ohrringe, die er von den Schmuckdisplays holte. Ich fragte mich, wie viel sich das Biest schon einverleibt hatte. Äußerlich sah es so aus, wie vermutlich jeder ausgewachsener Niffler aussah. Komplett schwarz, Breitbandentenschnabel und Krallenpfoten, mit denen er gut graben konnte. Seine Aufmerksamkeit hatte er auf den Schmuck gerichtet. Ich zückte meinen Zauberstab und zielte. In dem Moment riss der Niffler den Kopf herum, sah mich und sprang von dem Tisch. „Petrificus Totalus!“ Mein Zauber ging daneben. Natürlich! Wer hätte auch ahnen können, dass der Niffler so wendig sein würde. Trotz vollgestopftem Bauch. Anstatt sich hinter den Tisch zu retten, kam das Biest direkt auf mich zu. Ich folgte ihm mit der Spitze meines Zauberstabs, sprach den Lähmzauber erneut und traf wieder nicht. „Verflixt noch eins! HE!“ Der Niffler war mir auf meinen Fuß gesprungen und dann zwischen meine Beine hindurch. Anstatt mich umzudrehen, bückte ich mich nach vorne und sah durch meine Beine hindurch. Er wollte in die Privaträume. Ich nahm die Verfolgung auf, stolperte aber wieder über meinen Rucksack. Strauchelnd hetzte ich dem Niffler hinterher in das Büro, in dem auch die zwei Angestellten lagen. Der Niffler saß auf dem Schreibtisch und sah angriffslustig zu mir herüber. Ich näherte mich ihm vorsichtig. Vielleicht würde er sich nicht so flink bewegen, wenn ich mich ruhig verhielt und nicht mit meinem Zauberstab wedelte. Ich war auf einen halben Meter herangekommen, als er mir plötzlich auf den Kopf sprang und von dort auf den Boden zurück und in den Gang krabbelte, der wieder in den Verkaufsraum führte. „HE!“ Ich fuhr herum und setzte ihm nach. Geistesgegenwärtig überwand ich die wenigen Meter zur Haustür. Der Dieb hatte sich scheinbar gerade davonmachen wollen. Er saß mitten auf dem Gang und sah zu mir hoch. Fast schien es, als sei er beleidigt. „Durch die Wände kommst du wohl nicht, was?“, meinte ich triumphierend. Ich richtete meinen Zauberstab wieder auf ihn. „Petrificus Totalus“, sprach ich erneut, doch der Niffler sprang rechtzeitig aus dem Weg und um das Eck des letzten, noch nicht zerstörten Bedientisches. „Ah!“ Ich rührte mich nicht. Stattdessen sah ich mir die verschiedenen Schmuckstücke an, linste einmal zu der Auslage im Schaufenster. Entschied mich dann aber anders und schlich zu dem zerstörten Tisch hinüber. Nach etwas Wühlen hatte ich einen wertvollen Anhänger mit einem Diamanten im Brillantschliff gefunden. „Wollen doch mal sehen, wie dir das gefällt“, murmelte ich. Mit dem Anhänger bewaffnet ging ich zum Eingang zurück und setzte mich davor hin. Es brauchte einige Versuche, ehe ich das Schmuckstück mit Wingardium Leviosa zum Schweben gebracht hatte. Wenigstens fiel es mir nicht herunter, wie das Kräuterbuch in meiner Bibliothek. Ich ließ den Anhänger etwa einen Meter entfernt von mir knapp über dem Boden schweben. „Na komm, kleiner Niffler. Willst du das nicht haben?“, säuselte ich. Er ließ sich ziemlich lange Zeit, aber schließlich kam der kleine Pelzgeselle doch hervor. Bei diesem Diamanten konnte schließlich auch niemand nein sagen. Ich hätte das Schmuckstück auch nicht verschmäht, selbst wenn ich nie Gelegenheit gehabt hätte, es zu tragen.  Langsam kroch der Niffler näher, sah immer wieder misstrauisch zu mir. Gerade, als er in Greifnähe war, ließ ich das Schmuckstück etwas näher zu mir schweben. Ich traute mich nicht, ihm dabei direkt in die Augen zu sehen. Sein lautes Tapsen auf dem Boden verriet mir auch so, dass er darüber nicht erfreut war. Vorsichtig kroch er näher, blieb immer wieder stehen, um mich misstrauisch zu beäugen. Aber das Schmuckstück übte einfach eine zu große Anziehungskraft auf ihn aus. Nach etwa zehn Minuten hatte ich ihn so nah, dass ich nach ihm hätte greifen könnten, wenn ich mich vorgebeugt hätte. Stattdessen zauberte ich. Dieses Mal traf mein Lähmzauber sein Ziel. Der Niffler erstarrte und plumpste zu Boden. Ebenso der Diamantanhänger. Doch ich hatte nur Augen für den pelzigen kleinen Gesellen. Schnell hatte ich meinen Zauberstab weggesteckt und den Niffler aufgehoben. Er atmete ganz angestrengt, gerade so, als wehrte er sich innerlich gegen die Verzauberung. Aber es half ihm nicht. Vorsichtig ging ich mit dem kleinen Kerlchen zu meinem Rucksack und stopfte ihn in die hintere Tasche, die auch ein Fach für einen Laptop enthielt. Ich hoffte, dass es groß genug war, und verschloss den Reißverschluss nicht ganz, sodass der Niffler atmen konnte. Danach schulterte ich ihn und trat in das Hinterzimmer. „Hab den Dieb“, erklärte ich unumwunden. „Es wird bald jemand kommen und Sie erlösen.“ Ich schnappte mir die Schlüssel für die Eingangstür von der Dame und verließ den Laden. Um diese Zeit war nichts mehr los auf Berlins Straßen. Ob sich auf die Schnelle ein Taxi finden ließ? An einer U-Bahn-Station würde ich wohl am meisten Glück haben, deshalb zog ich mein Handy hervor. „Halb drei ist es schon“, stellte ich verwundert fest. Die nächste Station war zum Glück nicht weit. Ich wandte mich gen Norden, wo ich kurz danach schon das U-Bahn-Hinweisschild ausmachen konnte. Als ich an dem Abgang ankam, war jedoch weit und breit kein Taxi zu sehen. War ja klar.  Ich zückte erneut mein Handy. Etwas weiter Richtung Innenstadt gab es angeblich einen Taxistand. Ich musste nur der Schlossstraße folgen, die hier jedoch zur Rheinstraße wurde. Ich lief noch mal eine viertel Stunde, wurde aber dieses Mal mit Glück belohnt. Ich machte den Taxifahrer über das Beifahrerfenster auf mich aufmerksam und stieg hinten ein. „Zur Siegessäule bitte.“ „Was wollen Sie denn um diese Uhrzeit da?“ „Mich mit Freunden treffen“, log ich. „Ah ja?“, fragte der Fahrer misstrauisch. „Können Sie die Fahrt auch bezahlen?“ „Ja, natürlich. Wie kommen Sie darauf?“ Er musterte mich einmal von oben nach unten. „Was?“, fragte ich gereizt. Unbewusst griff ich an die Stelle, an der ich meinen Zauberstab trug. Scheinbar glaubte der Mann, dass ich eine Kriminelle war. Ich holte meine Börse hervor und zeigte ihm einen 20 Euro Schein in der Hoffnung, dass ihn das besänftigen und zum Losfahren bewegen würde. Endlich startete der Mann den Wagen. „Und zwar auf dem schnellsten Weg, wenn ich bitten darf“, sagte ich, als der Mann aus der Parkbucht fuhr. „Keine unnötigen Umwege über Nebenstraßen, die die Kosten in die Höhe treiben.“ Schlappe zehn Minuten später war ich am Ziel. Ich drückte dem Mann den 20-Euro-Schein in seine Hand in dem Wissen, dass er jetzt gerade mal 60 Cent Trinkgeld bekommen hatte. Er grummelte. „Für Unfreundlichkeit bekommen Sie eben nicht mehr Trinkgeld“, meinte ich zu ihm und knallte die Tür zu. Hinter seinem Wagen flitzte ich über den Kreisverkehr. „Na toll.“ Ich zog meinen Zauberstab hervor und hielt ihn nah an meinem rechten Bein. Der Platz war von Nachtschwärmern bevölkert. Ich schätzte die Klientel auf Alkoholiker, Obdachlose und Drogensüchtige. Keine Leute, mit denen ich mich gerne herumschlagen wollte. Zumindest nicht mit den Suchtkranken und vor allem nicht um die Uhrzeit. Es musste mittlerweile nach drei Uhr morgens sein und ich schleppte mich zu einer weniger frequentierten Seite der Säule. Ein Typ wollte mich gerade ansprechen, aber da war ich schon mit viel Widerstand in der Säule verschwunden. „Man, warum war das so hart?“, wunderte ich mich. Ich ließ mich vom Fahrstuhlwärter ins 5. Untergeschoss fahren und trottete mit meiner letzten Kraft zu Dr. Müllers Büro. Er war noch im Büro, lag quer über seinen Schreibtisch gebeugt und schnarchte. „Na toll, und was mach ich jetzt?“, fragte ich mich. Ich ließ den Alten schlafen, wo er war, schrieb ihm nur eine kurze Notiz und fuhr zur Lobby zurück. Dort schilderte ich dem dienstschiebenden Mitarbeiter das Chaos, was ich in der Schlossstraße hinterlassen hatte. Ich zeigte ihm den gelähmten Niffler, der immer noch schwer atmete. Der Mann nickte fasziniert und versprach, sofort ein Räumkommando von der magischen Müllabfuhr loszuschicken. Ich wunderte mich so gar nicht mehr über die Begrifflichkeiten, wünschte ihm eine gute Nacht und fuhr wieder nach unten. Erschöpft, wie ich war, fiel ich ins Bett. Binnen Minuten war ich eingeschlafen, während der Niffler den Rest der Nacht keuchend und schnaufend in meinem Rucksack verbrachte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)