Die mit den Tierwesen tanzt von Calafinwe ================================================================================ Kapitel 3: Sightseeing und Dr. Feld ----------------------------------- „Wenigstens das Wetter ist schön ...“, murmelte ich, als wieder in der realen Welt angekommen war. „Huh? Wo sind Sie denn so plötzlich hergekommen?“ Ich zuckte zusammen. Neben mir stand eine Oma mit einem Dackel an der Leine, der mich ankläffte. „Entschuldigung ...“, stammelte ich und druckste mich weg. Als ich die Alte hinter mir gelassen hatte, sah ich mich um. Ich hatte keinen blassen Schimmer, wo sich das Botanische Museum befand und auch einen Wegweiser konnte ich in meiner direkten Umgebung nicht erkennen. Also zog ich mein Handy hervor und öffnete eine meiner zahlreichen Stadtplanapps. Mit Erschrecken stellte ich fest, dass ich mit den Öffentlichen mindestens eine Stunde unterwegs sein würde, eher mehr. Ich scrollte auf der Karte in der App herum. „KaDeWe?“ Das sagte mir was und es lag nicht allzu weit entfernt. Allerdings hatte Dr. Müller gemeint, ich solle sofort beim Botanischen Museum aufschlagen. Ich war hin- und hergerissen zwischen meinem Wunsch, Berlin etwas näher zu erkunden und den Leuten vom Ministerium mein Pflichtbewusstsein zu beweisen. Doch meine Neugierde siegte, und so fuhr ich mit dem Bus zum Kaufhaus des Westens, Berlins Konsumikone schlechthin und eine Kampfansage an meinen Geldbeutel. Das Kaufhaus war gut besucht, wie ich es von einem Berliner Wahrzeichen erwartete. Ich hörte viele verschiedene Sprachen aus dem Stimmengewirr heraus; Japanisch, Spanisch, Arabisch und natürlich Englisch und Deutsch. Viele Besucher waren offensichtlich wie ich zu touristischen Zwecken hier und ich ließ mich von der Masse mittreiben, sah hier und da in die Auslage, ohne jedoch groß irgendwo stehen zu bleiben. Es machte schließlich keinen Sinn, etwas zu kaufen, das ich nur mitschleppen musste. Mein Rucksack war auch so schon schwer genug und zusätzliche Tüten würden mich nur behindern. ‚Wird wohl besser sein, die Tage mal eine Bestandsaufnahme davon zu machen, was die mir nach Berlin gebracht haben und alles Fehlende nachzukaufen‘, dachte ich. Alsbald fand ich mit in der Lebensmittelabteilung wider, die so ganz anders wirkte als die Lebensmittelabteilungen, die ich von Karstadt und Galeria Kaufhof kannte. Offener, größer, geräumiger und bei weitem weniger miefig. Das hatte mich vor allem bei Karstadt immer abgeschreckt, da sich dort der Geruch aus der Frischfischtheke immer besonders gut in den restlichen Abteilungen verteilte und man ihn überall riechen konnte.  An einem der Stände kaufte ich mir ein Sandwich für später und packte es in meinen Rucksack, ehe ich mit dem Aufzug nach oben fuhr. Dort landete ich als Nächstes in der Markenabteilung und aus Lautsprechern dröhnte mir nervige Technomusik in meine Ohren. „Wie wollen die da Gucci Handtaschen und Jimmy Choo Latschen verkaufen?“, wunderte ich mich und verkrümelte mich. Schließlich stellte ich fest, dass das KaDeWe scheinbar nur Klamotten, Beauty Produkte, Schuhe und Accessoires verkaufte. Enttäuscht darüber, dass es keine Buchabteilung gab, verließ ich das Kaufhaus wieder. „So, und wie komm ich von hier jetzt zum botanischen Museum?“, fragte ich mich. „Mit dem Bus natürlich“, raunte mir ein älterer Herr mit Schiebermütze und Schal zu und ich zuckte zusammen. „M46 bis Schöneberg und dann in die S-Bahn.“ „D-danke ...“, stammelte ich und entfernte mich etwas von ihm. Als der Alte weitergezogen war, zückte ich mein Handy und überprüfte, was er mir gesagt hatte. „Hmpf, scheint ja tatsächlich zu stimmen.“ Ich steckte das Mobiltelefon wieder weg und machte mich auf die Suche nach der richtigen Bushaltestelle, die wegen der vielen Passanten jedoch gar nicht so leicht zu finden war. Endlich angekommen, überprüfte ich noch mal, dass ich auch wirklich an dem richtigen Bushäuschen stand. „Sind se das erste Mal in Berlin, Kind?“ Ich zuckte schon wieder zusammen. Hatte ich etwa „Bitte ansprechen“ auf der Stirn stehen? Ich drehte mich um. Dieses Mal sah ich mich einer Greisin mit Rollator gegenüber und ich lächelte sie gezwungenermaßen höflich an. „Ja, mein erster Tag“, bestätigte ich. „Wo wollen’s denn hin?“ „Zum Botanischen Museum.“ „Ai, aber da sind se hier doch ganz falsch. Se müsse da rüber, net hier in de Bayreuther Straß‘n.“ Ich unterdrückte ein Seufzen, bemühte mich weiterhin um mein sonnigstes Lächeln und fragte: „Ganz sicher?“ Der Dialekt der Dame kam mir nicht wie Berlinerisch vor, was mich an ihrer Wegbeschreibung zweifeln ließ. „Abe‘ natürlich ...“ Ich lächelte noch immer, drehte mich um und ging einige Meter weiter weg, damit mich die Alte nicht mehr sah. Ich schaute noch einmal zum Haltestellenschild, das klar und deutlich mit Wittenbergplatz bezeichnet war. Darunter stand N46. Ich musste etwa zwei Minuten warten, ehe ein Bus dieser Linie kam, und stellte dann fest, dass ich tatsächlich falsch war. „Also wieder zurück auf Los, streichen Sie keine 3.000€ ein, und gehen Sie direkt in die Klappse“, säuselte ich verdrießlich. Ich lief den Weg zurück, den ich gekommen war. Im Zweifelsfalle musste ich einfach nur noch mal von neuem vom Ausgang am KaDeWe starten. Aber so schwer konnte das doch mit der Trackingapp nicht sein, oder? Ich brauchte fast fünf Minuten, ehe ich Handy, App und Kartenausrichtung soweit hatte, dass ich etwas damit anfangen konnte. Die App lotste mich direkt in die Mitte des Wittenbergplatzes. „Aber da steht nur n Häusel“, überlegte ich. Misstrauisch ging ich auf das alt aussehende Gebäude zu und fand heraus, dass sich darin zumindest die U-Bahn-Station Wittenbergplatz befand. Von einer Bushaltestelle war weit und breit nichts zu sehen. „Das ist ja schlimmer als in München, hier.“ Meine Hoffnung schwand, doch noch die richtige Bushaltestelle zu finden. Stattdessen prüfte ich, welche U-Bahn-Haltestelle in der Nähe des Museums lag und ob ich von meinem jetzigen Standpunkt dorthin kommen würde. „Tze, da muss ich ja wieder umsteigen und nach einer Bushaltestelle schauen.“ Aber vielleicht hatte ich an der Bülowstraße ja mehr Glück. Ich stieg in die entsprechende U-Bahn ein und fuhr zwei Stationen. Die U-Bahn war um diese Zeit zum Glück weniger stark frequentiert und die entsprechende Busstation hatte ich schnell gefunden. Dafür musste ich jetzt fast 20 Minuten warten, der letzte Bus war mir wohl vor der Nase weggefahren. Oder ein Bus ist komplett ausgefallen. Entnervt ließ ich mich auf einem der kleinen Sitze nieder, lehnte mich hinten an und schloss die Augen. Es fühlte sich so an, als sei es keine besonders gute Idee gewesen, in das Kaufhaus zu gehen. Mir war auf der U-Bahnfahrt leicht schlecht geworden und das Gefühl hielt nach wie vor an. Die Straßenluft Berlins machte es nicht wirklich besser und hier direkt an der Straße war ich dem lärmenden Verkehr direkt ausgesetzt. Etwas rührte sich neben mir und ich öffnete träge die Augen, nur um festzustellen, dass sich ein anderer Passant neben mir niedergelassen hatte. Ich schloss die Augen wieder. Hernach kam der auf die Idee, mich noch anquatschen zu wollen. Das war mir in letzter Zeit zu häufig passiert, dass mich Fremde anquatschten. Gut, die eine Omi von vorhin hatte vermutlich nur nett sein wollen, als sie mir den Weg erklärte. Aber wirklich weiter gebracht hatte es mich auch nicht. Ich döste so vor mich hin und wäre fast eingeschlafen, doch dann hielt endlich ein Bus vor meiner Nase. Entsetzt darüber, dass ich ihn knapp hätte verpassen können, sprang ich auf und stieg ein. Der Bus war nur schwach besetzt und ich ergatterte im vorderen Bereich einen Fensterplatz. Erleichtert stellte ich fest, dass er die nächste Straße rechts einbog, die Richtung, in die ich musste. Ich schaute einige Zeit aus dem Fenster, lehnte meinen Kopf dann jedoch dagegen und döste wieder vor mich hin. Zwischendurch gähnte ich herzhaft, der Tag heute war wohl einfach schon viel zu anstrengend gewesen. Ich wurde rüde an der Schulter geschüttelt. „HE!“, beschwerte ich mich. „Aussteigen! Hier ist Endstation!“ Ich sah dem Rüpel hinterher und stellte erst auf den zweiten Blick fest, dass es der Busfahrer war. Schnell sammelte ich meinen Rucksack ein und drängte mich auf den Gang. Die anderen Gäste hatten den Bus schon verlassen. „Wo sind wir denn hier?“, fragte ich den Fahrer. „Innsbrucker Platz“, erhielt ich nur als Antwort. „Eh? Sind wir da schon am botanischen Museum vorbei?“, fragte ich verwirrt. „Nein. Das hier ist die kurze Linie, die nicht weiter fährt. Außer, Sie wollen zurück ins Zentrum, da können Sie hier sitzen bleiben. Zum botanischen Garten müssen Sie den nächsten Bus nehmen und bei der Station Unter den Eichen/Botanischer Garten raus.“ „Ach so ...“ Ich bedankte mich bei dem Busfahrer und stieg aus. „Scheiße.“ An der Außenanzeige des Busses stand tatsächlich Innsbrucker Platz und ich Schussel hatte nicht aufgepasst, ob meine Station davor oder dahinter lag. Seufzend sah ich mich um. Der nächste Bus der Linie würde erst in zehn Minuten kommen. Wenn er nicht auch wieder ausfiel. Inzwischen war es kurz nach drei Uhr nachmittags, ich hatte Kohldampf und das schöne Wetter forderte seinen Tribut. Also beschloss ich, nicht auf den nächsten Bus zu warten, sondern mir irgendwo ein nettes Plätzchen zum Verweilen zu suchen und mein Sandwich zu verdrücken. Direkt an der U-Bahn-Station kaufte ich im Supermarkt eine Flasche Cola und schaute kurz auf mein Handy. Ein kleiner Park schien sich nicht weit weg zu befinden und so beschloss ich, ihn aufzusuchen und dort Pause zu machen. Nach dem Marsch von zehn Minuten suchte ich mir ein Plätzchen auf einer Parkbank und ließ mich geschafft darauf fallen. Ich ließ mir das inzwischen zerknautschte Sandwich und die Cola schmecken, fühlte mein ärgstes Übelkeitsgefühl verschwunden und beobachtete die Leute in dem Park. Jogger, Radfahrer, Spaziergänger, Mütter mit Kindern, Männer mit Hunden, Halbstarke. Rentner am Rollator, Junge, Alte, homosexuelle Pärchen, jegliche Hautfarben, die man sich nur vorstellen konnte; Berlin war wahrlich bunt gemischt. Ich hockte fast eine Stunde auf der Parkbank, ehe ich mich wieder auf die Füße kämpfte und mich umsah. Etwas weiter entfernt gab es ein gülden glänzendes Ding in der Höhe. Ich beschloss, es mir aus der Nähe anzusehen, und kam bald an einem Kiesplatz an, in dessen Mitte ein Brunnen angelegt war. Im Zentrum des Brunnens befand sich eine Säule mit einem goldenen Hirsch darauf. „Hm, scheint wohl ein Andenken an die Zeit zu sein, als man hier Hirsche jagend konnte“, überlegte ich laut. Ich zog mein Handy hervor, konnte aber nichts Näheres dazu herausfinden. Trotzdem machte ich ein Bild von dem Hirsch, der nur so im Sonnenlicht strahlte. Andere Touristen machten gestellte Fotos, so, als ob sie mit dem Hirsch gerade an der Leine gingen. Ich schüttelte den Kopf. Die Generation Instagram kam auf die abenteuerlichsten Ideen. Was war ich froh, mich dem Hype nie angeschlossen zu haben. Ich schlenderte etwas in dem Park umher, kam bald an einen großen Teich, an dem fleißig Enten und andere Vögel gefüttert wurden. ‚Und die wundern sich dann immer, dass alles zugeschissen ist‘, dachte ich. Der Park selbst war nicht besonders breit. Zu beiden Seiten konnte man die Häuserfronten sehen, die sich hinter den Bäumen verbargen. Und der Straßenlärm machte fast jede Art von Erholung zunichte. Die Parkanlage um die Straße des 17. Juni schien da bei weitem mehr Ruhe und Entschleunigung zu ermöglichen, auch wenn Teile der Anlage zum Tiergarten gehörten und eine der am stärksten befahrenen Straßen Berlins mitten durch führte. Ich kam zu einer Stelle, an der der Park einen Schlenker machte und von einer Straße vom Rest des Parks getrennt war. Grummelnd beschloss ich, auf der anderen Seite wieder zurückzugehen. Die Passanten hatten sich mittlerweile etwas gelichtet, was vermutlich auch daran lag, dass es auf Abend zuging. Ich sah auf mein Smartphone. „Scheiße, schon fast 18 Uhr!“ Ich beschleunigte mein Tempo. Über meinen kleinen Spaziergang hatte ich ganz vergessen, dass ich ja eigentlich einen Auftrag zu erledigen hatte. Dr. Feld wartete vermutlich schon seit Stunden darauf, dass ich kam. „Scheiße“, murmelte ich noch einmal. Wie peinlich, dass ich mich von meiner Sucht nach Umgebungserkundung hab ablenken lassen. Das machte ich immer, wenn ich irgendwo im Urlaub war. Am ersten Tag, direkt nach dem Ankommen in der Unterkunft, in der nächsten Umgebung herumlaufen. Ein strammer Fußmarsch brachte mich zurück an den Bahnhof Innsbrucker Platz. Die richtige Bushaltestelle musste ich zum Glück nicht suchen. Dafür war der Bus gerammelt voll. Warum hatte ich nur solange getrödelt? Jetzt war ich mitten in den Berufsverkehr geraten. Zum Glück dauerte die Fahrt nicht lange, aber es stiegen nur sehr wenige Leute aus, weshalb ich bis zur Haltestelle Unter den Eichen/Botanischer Garten stehen musste. Ich kämpfte mich zur Tür, als die Automatendame die Station ankündigte, drückte aufs Knöpfchen und schälte mich aus dem Bus. War gar nicht so einfach, da es auch hier Leute gab, denen jeder Anstand fehlte und die einfach einstiegen, obwohl noch Leute aussteigen wollten. Ich rammte einem Mittfünfziger meinen Ellbogen in seine Seite, als ich ausstieg und ignorierte sein Gezeter. Erschrocken stellte ich dann fest, dass ich direkt vorm Ordnungsamt Steglitz raus gekommen war. Hoffentlich hatte niemand meine Handgreiflichkeit von gerade eben bemerkt. Ich wandte mich nach links und konnte das Hinweisschild zum Botanischen Museum schon sehen.  „Scheiße, die haben ja schon zu!“, stellte ich dann entsetzt fest. Na toll, was machte ich denn jetzt? Das Museum hatte schon geschlossen und ich stand hier, an meinem ersten Arbeitstag beim Ministerium und hatte bereits kläglich versagt. Nicht etwa darin, dass mich ein Tierwesen zur Strecke gebracht hätte. Nein, ich war einfach nur so dämlich gewesen und zu spät zu meinem ersten Auftrag gekommen. Und zwar Stunden zu spät. Ich blickte in den Eingangsbereich hinein. Es war noch alles hell erleuchtet, was mich stutzig machte. Ein Blick auf mein Smartphone verriet mir, dass es kurz vor 19 Uhr war. Vielleicht war noch eine Reinigungsfirma unterwegs? Frenetisch klopfte ich an die Glastür. Brummte dann und ging einmal um die Eingangstür herum, um von dort gegen die Scheibe zu hämmern. Meine Mühen schienen endlich von Erfolg gekrönt zu sein. Ich sah einen Schatten im hinteren Teil des Eingangsbereichs, der jetzt in mein Sichtfeld kam. Nahezu hysterisch winkte ich, die Person stockte kurz, kam dann aber näher. Und sah zum Glück nicht aus, als wär sie vom Reinigungspersonal. Die Person trat an die Glasfront heran und musterte mich. Jetzt erkannte ich, dass es sich bei ihr um eine Frau handelte, die etwas jünger war als ich. Sie zog einen dicken Schlüsselbund hervor und öffnete den Besucherhaupteingang. Ich stellte mich bei ihr mit meinem Decknamen vor. Den Ausweis ließ ich vorerst in meiner Tasche. „Na Sie haben Nerven, jetzt noch hier aufzukreuzen. Wir haben schon vor Stunden mit Ihnen gerechnet.“ „Entschuldigen Sie“, meinte ich und schob mich unhöflich an ihr vorbei in den Eingangsbereich. Wenn ich schon mal drin war, konnte sie mich nicht mehr so leicht abwimmeln. „Ist Dr. Feld noch da?“ „Ja. Ihr Glück, dass er schon damit gerechnet hat, dass Sie zu spät kommen.“ Die Frau, deren Namensschild sie als Frau Müller-Haider auswies, schloss die Tür wieder hinter mir. Ich zog neugierig die Augenbraue hoch. Sie hatte sich mir nicht vorgestellt, also fragte ich nicht danach. Doch zu gerne hätte ich gewusst, ob sie mit Dr. Müller verwandt war. ‚Hm, könnte seine Tochter sein ...‘, überlegte ich. Sie seufzte. „Wissen Sie, ich hab noch viel zu tun. Also kommen Sie.“ Ich musste ihr nicht weit folgen. Die Büros der Angestellten waren ebenfalls im Haupthaus untergebracht. Doch statt in den ersten Stock hochzugehen, bog Frau Müller-Haider nach links ab, verließ das Haupthaus und führte mich ins direkt dahinter stehende Gewächshaus. „Dr. Feld, sie is‘ endlich da!“, rief sie in das Zwielicht hinein. Ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen, drehte sie sich um und stolzierte davon. Ich machte einige Schritte in das Gewächshaus hinein, blieb stehen und sah mich um. Und stellte fest, dass ich im Kakteen- und Sukkulentengewächshaus gelandet war. Noch immer rührte sich nichts. Ich trat an eines der Beete heran und betrachtete die Gewächse vor mir. Eine Pflanze erweckte dabei meine besondere Aufmerksamkeit. Auf den ersten Blick schien sie zur Familie der Sukkulenten zu gehören, hatte aber einen langen Stiel mit einer dunkelfarbenen, glockenförmigen Blüte daran. Ich kniete mich vor die Blüte und betrachtete sie fasziniert, unschlüssig darüber, ob die Blütenblätter nun schwarz waren oder nur sehr dunkellila. „Gefällt sie Ihnen?“, fragte mich jemand. Ich zuckte zusammen und sprang auf die Füße. Unbemerkt hatte sich ein älterer Herr genähert, er war sehr korpulent, hatte eine schimmernde Vollglatze, dafür einen langen, grauen Rauschebart, bei dem ich unweigerlich an Gandalf aus Herr der Ringe denken musste und trug eine fleckige Schürze. Mich musternd schob er sich seine rahmenlose Brille zurecht. „Sie müssen Fräulein Schuster sein. Ich bin Dr. Feld, freut mich, Sie kennenzulernen“, stellte er sich vor. „Bitte entschuldigen Sie, dass ich so spät erst gekommen bin“, meinte ich und streckte ihm meine Hand entgegen. Er sah mich nur an, ohne sie zu ergreifen. Verwirrt ließ ich sie wieder sinken. „Äh, es ist mein erstes Mal in Berlin und ...“ Dr. Feld lachte schallend. „Haha, ja, die jugendliche Neugierde. Kein Grund, warum Sie sich schämen müssten. Gefällt sie Ihnen?“ Ich zog eine Augenbraue hoch. Dr. Feld deutete auf die Blume. Ich folgte seinem Finger. „Oh ja!“, meinte ich begeistert. „Ich habe mich gerade gefragt, welche Farbe ihre Blüten haben.“ „Haha, ganz unterschiedlich. Im Licht schimmern sie mal lila, mal dunkelblau, aber ihre Grundfarbe ist schwarz.“ „Oh, also ähnlich wie bei Perlmutt?“, hakte ich nach. „Ganz genau. Sie kapieren schnell!“ Ich errötete dezent, was aber im schummrigen Licht des Gewächshauses nicht zu erkennen war. Zumindest hoffte ich das. „Wollen Sie sie?“ „Huh?“ „Die Blüte? Wollen Sie sie?“ „Geht das denn so einfach?“, fragte ich. „Natürlich. Von ihnen wachsen hier noch mehr. Außerdem sind Sie ja vom Ministerium, da kann ich schon mal eine Ausnahme machen.“ Ich strahlte ihn an. Dr. Feld griff unter seine Schürze und förderte eine Gartenschere zu Tage. Er bückte sich und zwickte die Blüte ganz unten am Stängel ab. Grinsend reichte er sie mir. „Vielen Dank!“ Ehrfürchtig nahm ich sie entgegen. „Können wir sie hier irgendwo ins Wasser stellen?“, fragte ich dann. „Ich soll ja noch den Fall bearbeiten.“ „Oh natürlich, Sie haben vollkommen Recht. Wo bin ich nur mit meinen Gedanken? Kommen Sie!“ Dr. Feld fuhr herum und stiefelte den Weg entlang, den er zuvor scheinbar gekommen war. Er führte mich zu einem Arbeitsplatz, an dem eine Bankerlampe leuchtete. Die schienen beim Ministerium der letzte Schrei zu sein. Dr. Feld kramte eine kleine Vase hervor und goss mit einer Gießkanne über sie drüber. „Hier, stellen Sie sie vorerst hier rein. Sie dürfen sie nachher nur nicht vergessen.“ Ich parkte die Blume auf seinem Arbeitstisch und sah Dr. Feld dann ernst an. „Also? Was haben Sie für mich?“ Er sah sich verstohlen um. „Nicht hier, kommen Sie mit.“ Wieder folgte ich ihm. Seine Vorsicht schien einen Grund zu haben. „Ist Frau Müller-Haider auch ... Sie wissen schon ...“, versuchte ich. „Nein. Eben deswegen ja.“ Ich unterdrückte ein Brummen. Das konnte ja noch was werden. Ich hatte eigentlich erwartet, dass mehr magisch Begabte im Museum arbeiten würden, aber da hatte ich mich wohl getäuscht. „Überschätzen Sie die Leute nicht. Frau Haider ist nur Buchhalterin und hat liebenswürdigerweise auf den Haupteingang geachtet.“ „Äh ...“ „Sie hatte noch Schulden bei mir.“ Ich verzichtete darauf, nach der Art der Schulden zu fragen. Einen späten Besucher noch ins Museum zu lassen, erschien mir vergleichsweise harmlos und sie konnte sich wohl nicht darüber beschweren.  Dr. Feld blieb mitten auf dem Weg stehen. Links und rechts ragten zwei mächtige Kakteen nach oben, die mich an jene, mehrarmigen Exemplare aus Mexiko erinnerten. Zumindest glaubte ich, dass sie dort heimisch waren. Der Doktor sah sich noch einmal verstohlen um, zückte seinen Zauberstab und schwang ihn. Einen Zauberspruch konnte ich ihn nicht sprechen hören. Aber vermutlich war ich auch einfach noch nicht vertrauenswürdig genug, als dass er ihn mir so einfach verraten wollte. Die Luft zwischen den beiden Kakteen vibrierte kurz, stand dann wieder still. „Folgen Sie mir“, meinte Dr. Feld und schritt durch das Portal. Ich durchquerte es ebenfalls, spürte etwas wie Frost, als ich es direkt berührte. Die Welt dahinter sah genau gleich aus wie das Gewächshaus, aus dem ich gerade kam. Nur dass es noch dunkler war, und kühler. Abgekühlt, als wär alles Leben daraus gewichen. „Äh, ist das ein Raumausdehnungsportal?“, fragte ich neugierig. „So ähnlich“, erklärte Dr. Feld. „Eher ein Zeitportal. Wir befinden uns hier in einer Art Zeitschleife. Eine kleine Blase innerhalb des Kakteen- und Sukkulentengewächshauses, in der man sich jedoch nicht ewig aufhalten kann. Zu lange und man bekommt furchtbare Kopfschmerzen.“ „Äh, Sie können die Zeit beeinflussen?“ „Nur in sehr begrenztem Maße. Eine Schleife ist möglich, aber man sollte sich nicht zu lange in ihr aufhalten, wie gesagt. Von den körperlichen Beschwerden einmal abgesehen. Die Schleife merkt, dass man nicht zu ihr gehört. Während die Gegenwart weiter voranschreitet und Sie und ich weiterhin Gegenwart sind, driftet eine Zeitschleife immer weiter in die Vergangenheit.“ „Äh, wie das? Ich dachte, in einer Zeitschleife würde die Zeit nie vergehen.“ „Tut sie ja auch nicht, der Augenblick ist darin gefangen. Aber Sie vergehen weiter. Deshalb sind alle Pflanzen, die Sie hier sehen können, nur ein Schatten der Gegenwart. Sie sind nicht echt.“ „Äh ...“ „Können wir uns bitte auf das Wesentliche konzentrieren?“, unterbrach Dr. Feld meinen Fragenschwall. „Wir müssen immerhin ein Tierwesen aufspüren.“ In meinem Kopf ratterte es. Hatte ich gerade tatsächlich so etwas wie eine Zeitreise gemacht? Ich verzichtete jedoch darauf, noch einmal eine entsprechende Frage danach zu stellen. „Okay, was können Sie mir denn über das Tierwesen sagen? Haben Sie es gesehen?“ Dr. Feld brummte und strich sich über seine Glatze. „Nicht direkt. Es ist weggelaufen, als es sich gerade meine Sichel unter den Nagel gerissen hat.“ „Ihre Sichel?“ „Ja, meine Sichel. Ein Familienerbstück, müssen Sie wissen, seit sieben Generationen in Familienbesitz und noch genauso scharf wie am ersten Tag.“ Ich fragte nicht danach, woher er das zu wissen glaubte. „Wie sieht die Sichel denn aus?“ „Vergoldet an der unscharfen Kante und mit kleinen Edelsteinen, die eingelegt wurden.“ „Oha, klingt mir nach einer sehr wertvollen Sichel!“ „Oh ja! Natürlich hat sie abgesehen vom materiellen Wert eine viel höhere immaterielle Bedeutung für mich und meine Familie.“ Ich nickte verständnisvoll. „Und haben Sie das Wesen auch sehen können?“ Dr. Feld sah nach unten, überlegte und kratzte dabei seinen Bart. „Nicht genau, leider. Es war heute Morgen, als es noch ziemlich dunkel draußen war und das Gewächshaus entsprechend unbeleuchtet. So wie jetzt in etwa. Ich kam gerade zu meinem Arbeitsplatz, die Sichel hatte ich am Tag zuvor in der Schublade meines Arbeitstisches verstaut.“ „Äh, Dr. Feld, entschuldigen Sie, aber ich verstehe nicht ganz“, unterbrach ich seinen Redeschwall. „Wenn Ihre Sichel so wertvoll ist, lassen Sie die doch nicht so vergleichsweise öffentlich herumliegen, oder? Haben Sie denn nicht Angst, dass einer der MaKas sie sieht und ... na ja, stiehlt?“ „Oh nein. Die Sichel ist verzaubert. Für einen MaKa sieht sie wie eine gewöhnliche Sichel aus. Kein Gegenstand, der in der heutigen, modernen Welt noch häufig gebraucht wird. Und meine oberste Schublade ist magisch gesichert.“ „Magisch gesichert? Wie konnte der Dieb Ihre Sichel dann stehlen?“ „Tja, das würde ich gerne von Ihnen wissen.“ „Oh, ähem, na ja ... Bisher haben Sie mir aber leider noch nichts über das Wesen gesagt. Also haben Sie etwas gesehen, oder nicht?“ Ich hatte schon eine Vermutung, was für ein Wesen seine Sichel gestohlen hatte, wollte diese aber erst einmal für mich behalten. Vorsicht war schließlich besser als Nachsicht. „Nun, also es war klein und schwarz und ist schnell davon gehuscht, als es mich kommen hörte. Sah sich einmal nach mir um und sprang vom Arbeitstisch.“ „Äh, war es kleiner als Ihre Sichel?“ „Hrm, etwas kleiner meine ich, aber wie gesagt, es war dunkel ...“ Ich schüttelte den Kopf. Schüttelte ihn noch einmal. „Oh, das sind wohl die ersten Wehwehchen von der Zeitschleife. Na ja, ich denke, wir können wieder nach draußen treten.“ Dr. Feld nahm meinen Oberarm und führte mich sachte durch das Portal zurück in das gegenwärtige Gewächshaus. Die hier herrschende Wärme munterte mich etwas auf. „Is‘ mir übel ...“ „Atmen Sie einfach ein paar Mal tief durch, das vergeht dann wieder.“ Ich tat, wie er mir riet, kam aber trotzdem nicht umhin, mich nach vorne zu beugen und mich auf meinen Knien abzustützen. „Huh, deswegen sind Zeitreisen wohl nicht möglich.“ Dr. Feld schüttelte den Kopf. Ich atmete noch einmal tief ein und aus und richtete mich dann wieder auf. Kopfweh hatte ich zwar noch immer, aber ich wollte weiter machen. „Können Sie mir bitte einmal den Tatort zeigen?“ „Natürlich, gleich an meinem Platz.“ Wir gingen wieder zurück. Die schwarze Blume war noch genauso hübsch, wie ich sie zurückgelassen hatte. Dr. Feld beugte sich rechts von seinem Arbeitsplatz auf den Boden. „Das ist ja ein Metalltisch“, stellte ich überrascht fest. „Ist das besonders?“, fragte Dr. Feld aufgeregt. „Vielleicht. Können Sie die Schublade einmal für mich öffnen?“ Er sah mich misstrauisch an. „Ich will nur einmal ihre Beschaffenheit in Augenschein nehmen“, erklärte ich schnell. „Okay, drehen Sie sich bitte um.“ Ich gehorchte widerspruchslos. Wie er seinen Privatkram sicherte, ging mich schließlich nichts an. „Okay, jetzt.“ Auch das Schubfach an sich war komplett aus Metall, was mich irritierte. In einem Gewächshaus hätte ich eher Holzmöbel vermutet, schon allein deshalb, weil Metall in der Hitze und Feuchtigkeit bestimmt schnell rostete. Dr. Feld verschloss die Schublade wieder, sprach jedoch keinen Zauber darauf. „Warum verwenden Sie keine Holztische zum Arbeiten?“ „Um keine Schädlinge einzuschleppen. Metall ist neutral, steril, wenn Sie so wollen. Bei Holzmöbeln müssen wir befürchten, dass sie mit Pilzen oder anderen Schädlingen befallen sind. Selbst wenn sie frisch aus einer Schreinerei kommen und äußerlich einen perfekten Eindruck machen, weiß man nie, was in ihnen steckt.“ „Oh.“ „Also sehen Sie hier, da ist das kleine Biest vom Tisch gesprungen und hat sich dann da durch die Kakteen davon gemacht.“ Ich zwängte mich an ihm vorbei und kniete mich auf den Boden, um in der Finsternis etwas zu erkennen. Viel mehr als die hellen Stacheln der Kakteen konnte ich indes jedoch nicht erkennen. Brummend zog ich mein Smartphone hervor und leuchtete die Ecke aus. „Was machen Sie denn da?“, fragte Dr. Feld verwirrt. „Mir leuchten, damit ich was sehe.“ „Ja, aber warum zaubern Sie nicht?“ Ich drehte mich um und sah zu ihm hoch. „Dr. Feld, man hat es Ihnen vielleicht nicht gesagt, aber heute ist mein erster Tag beim Ministerium. Und ich weiß seit etwa 24 Stunden, dass ich eine Hexe bin. Bei den Zaubersprüchen habe ich es noch nicht weiter als bis zu Wingardium Leviosa und Protego gebracht.“ „Äh ...“ „Und außerdem ist es so doch sicherer für den Fall, dass Frau Müller-Haider kommt, finden Sie nicht auch?“ Er starrte mich entgeistert an, aber ich ignorierte es und wandte mich wieder um. Vorsichtig kroch ich noch etwas näher an die Kakteen heran. Leuchtete einmal von dieser Seite mit meinem Smartphone, einmal von einer anderen und bemerkte endlich etwas, was ein Hinweis sein konnte. Ich streckte meine Hand aus und griff nach etwas, dass sich an einer der Kakteen verfangen hatte. Ich löschte das Licht meines Smartphones, stand auf und hielt Dr. Feld triumphierend ein kleines Büschel schwarzer Haare vor die Nase. „Da wäre ich ja nie drauf gekommen ...!“, meinte er fasziniert. „Tiere haben ja zum Gewächshaus keinen Zutritt, oder?“ „Nur Hunde und das nur, wenn sie angeleint sind.“ „Oh.“ Ich sah auf Dr. Felds Arbeitstisch. „Darf ich mir ein Blatt und einen Stift ausleihen?“, fragte ich. Er nickte. Schnell griff ich nach den entsprechenden Gegenständen und kritzelte etwas auf. „Sah es ungefähr so aus?“ Dr. Feld massierte wieder seinen Bart. „Hrm, das könnte es schon gewesen sein. Sieht mir nach einem Maulwurf aus. Einem ziemlich hässlichen Maulwurf, wenn ich das sagen darf.“ „Bitte, ich bin kein Picasso.“ „Der hat auch nur abstrakt gemalt.“ „Touché!“ „Also, wissen Sie, welches Wesen mir meine Sichel geklaut hat?“, fragte er dann. „Nicht genau“, log ich. „Ich weiß nur, dass sie Maulwürfen zum Verwechseln ähnlich sind. Und, dass sie alles mitgehen lassen, was glitzert und glänzt.“ Dummerweise hatte ich zuvor nicht in meinen Fauna-Büchern geschaut, ob der Niffler dort bereits beschrieben war. Aber wenn Dr. Feld meine Beschreibung der kleinen Kerlchen nichts sagte, war dem wohl tatsächlich nicht so. „Wie Elstern?“, fragte er. „Wie Elstern“, bestätigte ich. „Äh ... Und wie kann so ein kleiner Maulwurf sich mit meiner kompletten Sichel aus dem Staub machen?“ „Ähem ...“ Ich hatte mal in einem Harry Potter Wikipedia darüber gelesen, dass Niffler vorne dran einen Beutel hatten, der ähnlich wie ein Raumausdehnungszauber funktionierte. Darauf würde sich Dr. Feld vielleicht noch einlassen. Aber wie erklärte ich, dass sich das kleine Ding durch alle möglichen Metalle schieben konnte? Und Dr. Feld daher seine Sichel besser irgendwo aufbewahrte, wo es niffler-sicherer war? Vorausgesetzt natürlich, wir bekamen sie zurück. „Vielleicht kann er nur furchtbar schwere Lasten heben?“, überlegte ich laut. „Da verwechseln Sie wohl etwas. Schwere Lasten hebt in der Regel ein Phönix in die Lüfte. Hätte ein anderes Wesen diese Fähigkeit, wäre es bestimmt bekannt.“ „Äh, da haben Sie vermutlich Recht. Entschuldigen Sie bitte, es ist wie gesagt mein erster Tag und mein erster Fall heute. Ich konnte mich noch nicht wirklich in die Materie einarbeiten. Ich bin schon froh, wenn ich überhaupt einen Hinweis bekommen kann.“ Er grunzte. „Aber Sie wissen, wie wir es fangen können?“ „Ja. Wenn glitzernde Sachen es anlocken, sollte es offensichtlich sein. Gibt es hier im Gebäude ein Bankschließfach oder so etwas? Um zum Beispiel die Tageseinnahmen zu lagern?“ „Die Tageseinnahmen werden direkt zur Bank gebracht und auf dem Konto eingezahlt, soweit ich weiß. Aber wir haben natürlich immer die Tageskassen der Mitarbeiter mit entsprechend Wechselgeld bestückt im Tresor.“ „Oh, ein Tresor. Aber außer dem Wechselgeld ist da nichts drin?“ „Nein. Vielleicht noch wichtige Dokumente oder Urkunden? Sicher aber nichts Wertvolles. Worauf wollen Sie hinaus?“ „Na ja, wir brauchen auch irgendetwas, um ihn hervorzulocken. Sie haben nicht zufällig noch etwas anderes Wertvolles in Ihrer Schublade? Oder vielleicht in Ihrem Spindt?“ Dr. Feld sah mich abschätzig an. Und griff dann an seine rechte Hand, um etwas von einem Finger zu ziehen. Er hielt einen Siegelring hoch. „Vielleicht das hier?“ „Das wäre perfekt.“ Er sah mich streng an. „Ich verlasse mich auf Sie. Wenn mein Ring hinterher auch weg ist, können Sie was erleben.“ Ich schluckte. „Selbstverständlich, Herr Dr. Feld. Aber ich werde Ihre Hilfe benötigen.“ Er nickte, steckte sich den Ring dann wieder an den Finger. „Wie wollen Sie’s anstellen?“ „Zuerst einmal müssen wir sichergehen, dass keine MaKas mehr im Gebäude sind.“ Dr. Feld grunzte zustimmend. „Dann brauchen wir Ihren Ring. Ich will ihn mit Wingardium Leviosa vor dem Tresor schweben lassen, sodass es der kleine Kerl sieht, wenn er aus dem Tresor hervor kommt. Falls er nach so vielen Stunden überhaupt noch da ist.“ „Mhm. Sie machen mir keine Hoffnung, wissen Sie das?“ „Entschuldigung. Ich tappe hier auch im Zwielicht. Jedenfalls, ab da wird es für mich kniffelig, weshalb Sie ran müssen. Ich kenne wie gesagt nur den Schwebe- und den Schutzzauber. Um den Dieb zu fangen, wäre ein Zauber gut, der ihn betäubt. Und ihn am besten betäubt hält, sodass ich ihn ins Ministerium bringen kann.“ „Da fällt mir schon was ein“, brummte er eifrig. „Also los jetzt, bevor er weg ist.“ Wir machten uns auf dem Weg. Zum Glück lag alles im Hauptgebäude, Tresor im Büro des Museumsdirektors. Frau Müller-Haider hatte ihr Buchhaltungsbüro am anderen Ende des Ganges. Es war komplett dunkel. Wir vergewisserten uns, dass sie wirklich gegangen war, und wandten uns dann zum Büro des Direktors um. Je näher wir der Tür kamen, desto mehr schlichen wir vorwärts. Nichts war zu hören in dem Raum. Ob sich der kleine Dieb in dem Tresor gerade gütlich tat oder nicht, war für uns nicht zu erkennen.  „Das ist seltsam“, flüstere Dr. Feld. „Hm?“ „Herr Borsch macht die Tür normalerweise zu, wenn er geht.“ Wir sahen uns misstrauisch an. „Ist es möglich, dass Frau Müller-Haider noch einmal in dem Zimmer war?“ „Das bezweifle ich. Sie hat im Direktionsbüro nichts verloren. Sie macht ja nur Buchhaltung, wissen Sie?“ „Und die Buchhaltungsordner stehen dann bei ihr im Büro, nehme ich an?“ „Ja. Wo sollten die denn sonst sein?“ Ich erwiderte nichts. Dr. Feld musste ja nicht wissen, dass das bei meinem alten Arbeitgeber stellenweise anders gehandhabt wurde. Wir schlichen uns in das Büro und ich hob schnell den Finger, als er was sagen wollte. Einer der Schränke war geöffnet, zufälligerweise gerade der, in dem sich der Tresor befand. Alle anderen waren offen. Ich zückte meinen Zauberstab und hielt dann Dr. Feld meine geöffnete Hand hin. Er sah verwundert darauf. „Ihr Ring“, flüsterte ich. „Ach so“, flüsterte er zurück. Dr. Feld zog sich den Ring vom Finger und reichte ihn mir. Ich bedeutete ihm, sich hinter dem Schreibtisch zu positionieren. Er schlich hinüber und bückte sich, sodass gerade sein Kopf über der Kante zu sehen war. Ich legte seinen Siegelring auf den Boden vor dem Tresor, etwa einen halben Meter entfernt und stahl mich dann zu meinem Komplizen hinüber. Ich richtete meinen Zauberstab auf den Ring. „Wingardium Leviosa“, flüsterte ich so deutlich wie möglich. Der Ring vibrierte, schwebte dann aber ansehnlich in der Luft. „Nicht schlecht“, hauchte Dr. Feld. „Sie sind hoffentlich bereit?“ „Bereit wie noch nie zuvor in meinem Leben.“ Ich ließ mich ebenfalls hinter den Schreibtisch sinken. Dummerweise schwenkte ich meinen Zauberstab dabei etwas zu viel, denn der Zauber löste sich und der Ring fiel zu Boden. „Mist“, fluchte ich leise. „Gleich noch mal.“ Ich wollte den Zauber gerade sprechen, als wir etwas klappern hörten. Gebannt starrten wir auf den Safe. Etwas Kleines schob sich daraus hervor, wir erkannten es gerade so, sahen aber nicht genau, was es war. „Lassen Sie den Ring noch mal klappern“, riet mir Dr. Feld. Ich verstand ihn gerade so, machte mich aber daran, Wingardium Leviosa ein zweites Mal zu sprechen. Und musste es dann ein drittes Mal machen, so angespannt waren meine Nerven. Aber es zeigte Wirkung. Der Ring flutschte einmal gegen die Kante des Schranks, in dem der Tresor stand. Das finstere etwas schob sich noch weiter heraus. Dr. Feld und ich hielten den Atem an. Ein platter Schnabel kam zum Vorschein, dann der Rest des possierlichen Tierchens. Ich seufzte. Niffler waren ja eigentlich ziemlich süß. Aber ihre Kleptomanie war einfach nur nervig. Unserem Exemplar hing ein Griff aus dem Bauch. Scheinbar gehörte der zu der goldenen Sichel und bestand nicht aus Metall, weshalb der Niffler ihn nicht weiter hatte schieben können. Wie er es schaffte, den Holzgriff durch den Tresor zu bekommen, war mir schleierhaft. Ich ließ den Ring noch mal auf dem Boden wirbeln. Der Niffler schob sich nun ganz aus dem Tresor heraus und betrachtete den Ring neugierig. Ich glaubte, sogar etwas wie ein Glitzern in seinen Augen zu erkennen. Mühsam krabbelte der kleine Dieb auf den Ring zu. Der Sichelgriff schien ihn arg zu behindern. „PETRIFICUS TOTALUS!!“, brüllte Dr. Feld neben mir und schwang seinen Zauberstab. Und verfehlte den Niffler. Er versuchte, weg zu krabbeln, und war dabei flinker, als ich gedacht hätte. Statt meinen Zauberstab ebenfalls zu nutzen, stolperte ich um den Schreibtisch herum und dem Niffler hinterher. Dank seiner Behinderung war ich schneller als er. Schnell hatte ich die wenigen Meter überwunden, die uns trennten. Der Niffler wollte gerade durch die Tür des Büros flüchten, ich bückte mich hastig nach ihm, als mich etwas in den Hintern traf. Ich erstarrte zu Stein, konnte mich plötzlich gar nicht mehr bewegen und knallte auf den Boden. Nicht mal ein aua brachte ich heraus, sah nur, dass ein Schatten über mich hinweg sprang. „Entschuldigen Sie!“, rief mir Dr. Feld noch zu und verschwand durch den Gang. Ich konnte ihn noch mehrmals Petrificus Totalus rufen hören. Und einige Einrichtungsgegenstände, die er dabei wohl beiseite fegte. Sehen konnte ich nichts. Entweder war der Niffler die Sense losgeworden oder Dr. Feld war sehr langsam. Ich konnte nichts mehr hören, nur der Straßenlärm von draußen drang schwach an meine Ohren. Ein aufheulender Motor, jemand, der als Antwort darauf wie wild hupte. Nicht einmal mit den Augen konnte ich rollen. Nach einer gefühlten Ewigkeit kam Dr. Feld endlich zurück. „Ich hab sie!“, erzählte er voller Stolz. ‚Schön für dich!‘ Wenigstens Denken konnte ich noch. Und in manchen Situationen war Reden Silber und Schweigen Gold. Trotzdem fing mein Körper nicht an, sich zu vergolden. „Oh, entschuldigen Sie, das hätt‘ ich jetzt fast vergessen. ... Rennervate!“ Die Lähmung löste sich augenblicklich. Mein ganzer Körper kribbelte, so, als wär jede Ecke meines Körpers eingeschlafen. Wackelig stand ich auf. „Haben Sie Ihre Sichel?“, fragte ich nur. Dr. Feld hielt sie triumphierend hoch. „Und auch meinen Ring.“ Ich blickte auf das Chaos, das sich hinter ihm im Gang ausbreitete. „Gut. Ich bräuchte dann den kleinen Dieb.“ Er sah mich ausdruckslos an. „Wo ist er denn?“ „Äh ...“ „Dr. Feld?“ „Nun ...“ „Der Maulwurf, wo ist er?“, fragte ich, so streng ich konnte. „Er ist mir leider entwischt.“ Ich musste mich zusammenreißen, ihm nicht an die Gurgel zu springen, so wütend war ich. Da hatten wir den Dieb schon vor uns, und er ließ ihn entwischen. Wo hatte er mit seinem Petrificus Totalus überhaupt hingezaubert? „Immerhin hab ich meine Sichel wieder“, meinte Dr. Feld zufrieden. „Immerhin“, bestätigte ich. „Und der Maulwurf ist fort, hat sich vermutlich in sein Versteck eingebuldet, wo es mir unmöglichsein wird, ihn zu finden. Ich war so kurz davor. Dr. Feld, wie soll ich denn den kleinen Quälgeist jetzt fangen? Mit nur den zwei Zaubern, die mir zur Verfügung stehen?“ „Ach, Ihnen wird doch bestimmt jemand helfen, so addrett, wie Sie sind“, wiegelte er ab. „Adrett? Wie meinen Sie denn das jetzt bitte?“, fragte ich misstrauisch. „Ach nur so.“ Er sah sich auffällig unauffällig in dem Gang um. Ich seufzte. „Na, ich mach mich wohl besser auf den Weg zurück zum Ministerium. Der Dieb wird inzwischen über alle Berge sein. Vielleicht hat ja Dr. Müller einen Rat für mich.“ „Vergessen Sie nicht Ihre Suculentus Campanula Mortalis.“ „Was für’n Ding?“ „Na, Ihre Blume natürlich.“ „Ah ja, richtig.“ Die Blume hatte ich schon wieder vergessen. Wenigstens kam ich nicht völlig mit leeren Händen zurück, auch wenn die Blume natürlich alles andere als hilfreich für die Lösung des Falls war. Wir gingen gemeinsam ins Gewächshaus zurück. Dr. Feld drückte mir gleich die ganze Vase in die Hände und bat darum, sie ihm bei Gelegenheit zurückbringen. Danach brachte er mich zum Haupteingang zurück. „Zeigen Sie mir den kleinen Kerl, sobald Sie ihn gefangen haben?“, fragte er. „Öh, ich weiß nicht, ob das gestattet ist“, stammelte ich. „Da muss ich erst mal Dr. Müller fragen.“ Er schaute etwas niedergeschlagen. ‚Hättest Du ihn nicht entwichen lassen, hättest Du ihn Dir jetzt nach Herzenslust anschauen können‘, dachte ich griesgrämig. Ich schlüpfte durch die Tür. „Auf Wiedersehen!“, verabschiedete ich mich so höflich wie möglich. „Auf Wiedersehen. Passen Sie gut auf. Berlin ist nachts nicht immer ganz einfach“, rief mir Dr. Feld hinterher. Ich brummte nur und ging zur Bushaltestelle. Dass Berlin speziell war, wusste ich von zwei Freundinnen, die mir das jeweils unabhängig voneinander berichteten. Ob ich sie mal besuchen sollte? Falls ich durfte? Ich konnte ja behaupten, dass ich im Urlaub hier war. Obwohl es sich trotz allem eher noch wie ein Traum anfühlte. Aber der Petrificus Totalus von vorhin hat mich eines Besseren belehrt. Der Bus kam endlich, und ich schaffte es sogar, mich auf den Weg zurück zum Ministerium nicht wieder heillos zu verfahren. Jetzt, Mitten in der Nacht, dauerte der Rückweg nur noch etwa eine dreiviertel Stunde, was vermutlich dem niedrigeren Verkehrsaufkommen geschuldet war. Goldelse begrüßte mich in ihrem von Scheinwerfern erleuchteten Gewand. Langsam überquerte ich den Kreisel zu dem Platz, auf dem sie stand und musste dann einen großen Satz machen. „EY DU PENNER!!!“, schrie ich dem Autofahrer hinterher, der mich um ein Haar erfasst hatte. Er hupte nur zur Antwort und raste weiter. „Wichser! Also Berlin ist wirklich asozial!“ Ich stapfte zur Siegessäule hinüber und rannte einmal durch den geheimen Durchgang, ganz ohne darauf zu achten, ob mich irgendwelche MaKas dabei beobachteten. Erschöpft fuhr ich erst einmal ins vierte Untergeschoss und ging in mein Zimmer. Dort stellte ich die Blume samt Vase auf den kleinen Schreibtisch, zog mir meinen Rucksack von den Schultern und die Jacke aus. Und betrachtete dann nur kurz die Tür, die sich am Morgen noch nicht auf der rechten Wandseite befunden hatte. ‚Dusche‘, schoss es mir durch den Kopf. Ich blickte einmal in den Raum hinein und war zufrieden. Waschbecken, Duschkabine und sogar eine eigene Toilette befanden sich in dem kleinen Kabuff. Kein Luxus aber zum längeren Leben im Ministerium durchaus ausreichend. Ich seufzte und beschloss, nachzuschauen, ob Dr. Müller noch da war. Workaholic, der er laut Frau von Bülow war, stand die Chance bestimmt nicht schlecht. So fuhr ich noch eine Etage tiefer und schlurfte niedergeschlagen den Gang entlang. Es brannte tatsächlich noch Licht, er saß an seinem Schreibtisch und schrieb etwas. Seinen Jobberknoll entdeckte ich leider nicht. Ich schlurfte weiter und ließ mich in Dr. Müllers Besuchersessel fallen, seufzte niedergeschlagen. „Ihrem Seufzen entnehm ich, dass Sie etwas bedrückt?“, fragte Dr. Müller, ohne aufzuschauen. Er schrieb einfach weiter. „Dr. Feld ... ich hatte Ihnen nicht geglaubt, als Sie meinten, er sei eigenbrötlerisch.“ Müller lachte schallend. „Und? Was haben Sie?“ Ich schilderte ihm grob den Verlauf meines ersten Arbeitstages. „Na ja, immerhin hat er seine Sichel zurück. Die ist tatsächlich wertvoll, wissen Sie?“ Ich ließ den Kopf sinken. Wenn Dr. Müller jetzt auch noch davon anfing, von dem Teil zu schwärmen, wollte ich keine Garantie mehr für irgendwas übernehmen. „Wieso gehen Sie nicht erst einmal ins Bett und ruhen sich von dem ereignisreichen Tag aus? Sie werden sehen, morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus.“ „Oh, ich bete dafür, dass Sie Recht haben.“ „Nur zu. Wir haben alle einmal klein angefangen und gleich an Ihrem ersten Tag einen Erfolg vorweisen zu können, ist etwas vermessen, finden Sie nicht?“ „Na ja ... ich hatte ihn ja schon vor meiner Nase!“ Dr. Müller lächelte verständnisvoll.  „Ihr Pflichtbewusstsein und Engagement ehrt Sie natürlich, aber übertreiben Sie es nicht. Ein überarbeiteter Agent ist uns auch nicht von großem Nutzen.“ „Öh ...“ „Hm?“ „Ach nichts.“ „Nichts? Gut! Jetzt ab mit Ihnen ins Bett!“ Ich verabschiedete mich von Dr. Müller, fuhr wieder eine Etage nach oben und ließ mich ins Bett fallen, ohne mich groß bettfertig zu machen. Nur wenige Augenblicke später war ich im Land der Träume. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)