Idol von Fara_ThoRn ================================================================================ Kapitel 1: Kapitel 1 - Leider zu schön, um wahr zu sein ------------------------------------------------------- Hallöchen. Ja, ich melde mich nach gefühlten Ewigkeiten auch mal wieder. Wenn auch nur kurz und mit nur einem kleinen Weihnachtsleckerli. Die Zeit fliegt wie immer nur so dahin und eigentlich hatte ich vor, euch schon viel früher mal wieder etwas neues von mir zu präsentieren (hatte ich das nicht auch irgendwann mal versprochen?), aber der Alltag lässt das momentan einfach nicht zu. Zu viel zu erledigen, zu viel Arbeit und zu wenig Zeit für kreative Gedankengänge. Das Schreiben muss da leider hinten anstehen. Dafür lese ich seit langer Zeit mal wieder und bin ganz erstaunt, wie viele neue Autoren es im Gay Bereich gibt. Wahnsinn! Da ich euch aber wenigstens zur Adventszeit nicht im Stich lassen will, habe ich angestrengt überlegt, was ich denn da machen könnte und da fiel mir doch auch gleich was ein. Da war doch eine unvollendete Geschichte, die ich schon vor drei Jahren begonnen hatte. Also nichts wie an den Computer, doch dann: Sie ist weg! Da wo eigentlich schon die ersten Seiten stehen sollten, befand sie eine andere Story. Ich erstmal keine Panik geschoben. Meine paranoide Seite sichert ja alles drei- und vierfach ab. Deshalb habe ich all meine Speicherkarten, Festplatten und den PC durchforstet, aber: Nichts!!! Überall die falsch abgespeicherte Story. Es war zum Haareraufen und ich stand kurz vorm Losheulen. Tja. Da blieb mir eben nichts anderes übrig als den Anfang nochmal zu schreiben. Ungefähr hatte ich ihn ja noch im Kopf. Ärgern tut es mich trotzdem. Aber es nutzt ja nichts. Vielleicht fällt mir die verschollene Datei ja noch in die Hände. Falls ja, wandert sie umgehend in den Papierkorb xDDD Euch jetzt viel Spaß mit den ersten Kapitel und meinen beiden Schneehasen. Das nächste gibt’s dann am kommenden Sonntag. Einen schönen ersten Advent euch allen :-* Eure Fara Leider notwendig zu erwähnen: Alle Rechte meiner Texte liegen allein bei mir. Meine Texte, mein Eigentum. Unerlaubte Veröffentlichungen, auch nur auszugsweise, auf anderen Plattformen oder Onlineshops sind verboten, und das mache ich Text-Dieben auch rechtlich begreiflich, falls es sein muss. Also? Klauen is nicht. Und wie ich kürzlich erfahren habe, haben meine lieben Leser ihre Augen überall und berichten mir jeden dreisten Text-Diebstahl. Auch ich werde in Zukunft besser aufpassen und genauer hinsehen, was einem auf digitalem Wege angeboten wird. In diesem Sinne wünsche ich euch trotzdem viel Spaß beim Lesen. Eure Fara Idol Kapitel 01 - Leider zu schön, um wahr zu sein Nervös atme ich tief ein und stoßweise wieder aus, was die Fensterscheibe direkt vor meiner Nase beschlagen lässt. Halbherzig wische ich mit dem Ärmel meiner Jacke die Sicht wieder frei. Eigentlich ein unnötiges Unterfangen. Da draußen gibt es wenig zu sehen. Alles weiß in weiß. Selbst der bedeckte Himmel: dreckig Weiß. Die Landschaft flitzt so schnell an mir vorbei, dass die schneebedeckten Wiesen und der weiß-graue Himmel zu einer einzigen weißen Wand verschmelzen. Erst als das Taxi links abbiegt, um in ein Waldstück hinein zu fahren, wechselt das Bild: Beinah schwarze Baumgerippe, weiß gepudert. Auch nicht besser. Ich löse meinen Blick von der tristen, winterlichen Außenwelt und starre stattdessen auf das Buch in meiner Hand. Leider keine gute Idee. Dadurch werde ich nur noch nervöser. Erst recht, als ich den Namen des Autors in dicken Lettern vor mir sehe. Lucian Harvest. Mein absoluter Lieblingsautor. Schon seit gefühlten Ewigkeiten. Sein Werk Aufgewacht war der erste Gay orientierter Roman, den ich gelesen habe. Kaum älter als fünfzehn bin ich gewesen, als ich es bei uns in der Buchhandlung gekauft habe. Ich konnte der Verkäuferin gar nicht in die Augen schauen, so peinlich ist es mir gewesen, als ich den dicken Wälzer vor ihr auf den Kassentresen gelegt habe. Keine Ahnung, ob sie wusste, um was es in dem Buch ging und ich nervöser Zappelphilipp wollte es auch gar nicht so genau wissen. Zu dieser Zeit hatte ich noch keinen Zugang zu Onlineshops. Man musste in die Geschäfte, um das zu bekommen, was man wollte. Kaum zu glauben in der heutigen Zeit, aber so war das damals. Jedenfalls eröffnete mir Lucians Buch eine Welt, die mich komplett in sich hineinzog. Ich verschlang ab da an jedes seiner Bücher, fiebere noch heute wie ein kleines Kind seinen Neuerscheinungen entgegen und kann es gar nicht erwarten, ein neues Exemplar von ihm in den Fingern zu halten. Deshalb hat mich der Anruf seiner Agentin vor über einem halben Jahr auch total aus der Bahn geworfen. /Mister Harvest würde gerne ein neues Projekt mit Ihnen zusammen verwirklichen. Hätten sie Interesse?/ Oh Gott ja!!!, wollte ich in die Hörermuschel schreien und dabei wie ein Irrer in die Luft springen. Tat ich natürlich nicht. Wie ich schlussendlich so ruhig am Telefon bleiben, und der Agentin zusagen konnte, ist mir immer noch ein Rätsel. Wahrscheinlich war mein Körper nach dieser Nachricht in eine Schockstarre verfallen, was ich jedoch nicht mitbekommen habe, da ich Mühe hatte, mich aufs langsame Ein- und Ausatmen zu konzentrieren, damit ich nicht hyperventilierend umkippte. Zum Glück hatte sich die Starre schnell wieder gelegt und nun sitze ich hier. In einem Taxi, das mich erst vom Flughafen abgeholt hat, und jetzt direkt zu Lucian bringt. Zu ihm nach Hause. In seine Wohnung. Fünf Tage vor Weihnachten. Das beste Weihnachtsgeschenk ever! Mein Herz rast, mit jedem gefahrenen Meter einen Takt schneller. Aufgeregt gehe ich nochmal alles in Gedanken durch, was ich gestern Abend in meine Tasche gepackt habe. 'Wechselklamotten, meine gesamten Zeichenutensilien, die ersten Entwürfe der Zeichnungen, das Skript, …' Oh das Skript! Davon habe ich euch ja noch gar nichts gesagt! Das Sahnetüpfelchen auf dem Weihnachtskuchen! Plus Zuckerkirsche! Nach meiner Zusage bekam ich schon gleich am nächsten Tag per Kurier Lucians neustes Werk zugesandt. Druckfrisch. Niemand sonst hatte es zuvor gelesen. Außer natürlich den Lektoren und die ganzen anderen Leute vom Verlag, die es sich durchlesen 'mussten'. Aber eben noch nicht die allgemeine Leserschaft. Ich musste sogar einen Wisch unterschreiben, dass ich weder Kopien davon mache, noch jemand anderen einen Blick in das Skript werfen lassen würde. Ansonsten bla, bla, bla … Die sich daraus ergebenen Folgen las ich mir erst gar nicht durch. Als ob ich diesen Schatz jemals aus meinen Händen gäbe! Noch während ich am Lesen war, kritzelte ich eine Szene nach der anderen daraus in meinen Skizzenblock. Noch zu schlecht, um sie Lucian zu zeigen, aber nachdem ich sie alle, und ich meine wirklich alle, als ordentliche Rohentwürfe überarbeitet habe, hoffe ich inständig, dass sie ihm gefallen und er einige davon verwenden möchte. Das wäre wirklich zu fantastisch! Ich kann es immer noch nicht ganz fassen ... "Warum sollten sie ihm nicht gefallen?", bluffte mich Billy, mein bester Freund/Agent an, als ich ihm die Entwürfe zeigte und ihn eben genau dies fragte. "Er wollte deine kunstbegabten Finger für sein neues Buch, also wird er auch ahnen können, was er bekommt." Er mag Recht gehabt haben, trotzdem verwandle ich mich jedes Mal in das reinste Nervenbündel, wenn ich mir auch nur für eine Sekunde vorstelle, wie Lucian meine Zeichnungen studiert. Es ist mir immer noch ein Rätsel, wie er ausgerechnet auf mich gekommen ist. Klar, inzwischen bin ich in der Szene kein Unbekannter mehr, aber auch nicht so berühmt wie manch anderer. Eigentlich krebse ich eher im unteren Ranking herum, was meinen Bekanntheitsgrad angeht. Das größte, was ich bis jetzt, also vor dem Anruf von Lucians Agentin, erreicht habe, ist ein Porträt von meinen Werken und mir in einer großen regionalen Zeitschrift. Und das auch nur, weil Billy es irgendwie geschafft hat, eins meiner Bilder an einen Redakteur besagter Zeitschrift zu verschachern. Ich weiß nicht, inwieweit er dabei genau seine Finger mit im Spiel hatte, beziehungsweise, wo diese anschließend bei dem Redakteur gesteckt haben, aber seitdem läuft es ganz gut bei mir. Bei Billy und dem Redakteur im Übrigen auch. Aber das ist eine andere Geschichte. Viel wichtiger ist jetzt, dass wir endlich ankommen, und ich hoffentlich nicht allzu aufgeregt sein werde, wenn ich letztendlich vor meinem Idol stehe, denn ja, Lucian ist eins meiner größten Idole, auch wenn er, nicht so wie ich, mit Farbe und Leinwand arbeitet, sondern die Bilder in den Köpfen seiner Leser entstehen lässt. *** Lucian lebt buchstäblich am Arsch der Welt. Wald, Wald, Wald und nochmals Wald. Bergauf und Bergab, über eine sich enge, windende Bundesstraße. Sind wir hier überhaupt richtig? Langsam mache ich mir Sorgen, dass das alles bloß ein dummer Scherz war, obwohl ich zugeben muss, wer auch immer dann dieses Skript geschrieben hat, meinen Respekt. Aber nein. Das Skript ist unverkennbar von Lucian. Ich kenne seinen Schreibstil und ich kenne auch seinen Hauptcharakter, Slate. Niemand kann ihn so darstellen wie Lucian. Diese innere Zerrissenheit, die tiefe Liebe zu seinem Partner Neil, die sie beide (noch) immer und überall verstecken müssen, in dieser düsteren dystopischen Fantasywelt, in der die beiden ums Überleben kämpfen müssen. Das kann keiner kopieren, auch wenn es viele auf einschlägigen Fanfictionseiten versuchen. Ja, ich gebe es zu, ich habe es auch mal versucht. Es blieb bei dem einem Mal und der Versuch landete nach einigen Seiten gleich im Papierkorb. Schreiben überlasse ich definitiv anderen. Bevorzugt natürlich Lucian. Schuster, bleib bei deinen Leisten. Meine Leiste ist die Kunst. Bunte Farben, ob Acryl, Bunt- oder Filzstifte, Kohle oder am Computer. Damit kann ich mich ausdrücken und genau auf diese Weise will ich mein Geld verdienen. Was anderes kann ich ja auch gar nicht. Ganz zum Leidwesen meiner Eltern. Beide Buchhalter und entsetzt darüber, dass ich mich nicht die Bohne für Zahlen und Kalkulationen interessiere. Ich bin eben ein Mathe-Analphabet. Pech gehabt. Schlimmer war allerdings, als sie spitz bekommen haben, was genau ich alles aufs Papier bringe. Auch hier war Lucian der Auslöser. Im wahrsten Sinne. Slate. Ich musste ihn einfach zeichnen! Diesen großen, kräftigen Kerl, der kämpferisch und selbstbewusst in einem langen Mantel gehüllt, umher schreitet. Geheimnisvoll und düster. Hey ich war fünfzehn! Irgendwie musste ich mir doch Luft machen. Ich wollte ihn vor mir sehen. Damit meine ich nicht als Wichsvorlage. Nein. Einzig die Neugier trieb mich. Konnte ich es? Die unglaublichen Bilder in meinem Kopf auf Papier bannen? Und wie ich es konnte! Ich fing an zu zeichnen was das Zeug hielt. Nicht nur Szenen und Personen aus Lucians Universum. Nein. Ich probierte mich aus, versuchte Dinge auf Papier zu bekommen, die ich mir selbst ausdachte. Ich experimentierte mit verschiedenen Stilen, vertiefte mich bis zu den Ohrenspitzen in das Thema Kunst, studierte die großen Künstler, Comiczeichner, Klassik, Moderne, und und und. Recht schnell begriff ich, dass das der Weg war, den ich weitergehen wollte. Wie gesagt, meine Eltern waren schockiert. Ihr Sohn wollte keinen gut bürgerlichem Beruf nachgehen, sondern lieber … Bilder malen?! Dass es nicht einfach nur 'Bilder malen' war, sondern mir ein richtiges Kunststudium vorschwebte, wollten sie anfangs nicht hören. Aber ich blieb eisern. Leider wuchs damit auch ihr Interesse für das, was ich denn alles so aufs Papier zauberte. Glaubt mir, eine herumschnüffelnde Mutter ist das aller Schlimmste, was einem Jugendlichen passieren kann. Besonders wenn sie Darstellungen von Slate und Neil findet, die es auf höchst anregende Art und Weise miteinander in einer von Krieg zerstörten Ruine treiben. Das Donnerwetter, das mich nach dem 'zufälligen' Fund meiner Mutter erwartete, als ich später das Haus betrat, könnt ihr euch gar nicht vorstellen. Meine Mutter, aufgelöst in Tränen auf der Couch sitzend, mein Vater krebsrot vor Wut, vor ihr auf- und abgehend. Willkommen bei meinem Outing! Meine Eltern konnten mir Wochenlang nicht in die Augen sehen. Nach dem ersten Schock meinerseits wechselte ich in den Sturmodus. Sollten sie halt enttäuscht vor mir sein! Ich hatte mir nichts vorzuwerfen. Einzig, dass ich meine Zeichenmappe nicht besser versteckt hatte vielleicht. Ich verhielt mich einfach wie immer, während sie langsam lernten, mit meiner Homosexualität umzugehen. All das löste sich zum Glück mit der Zeit in Wohlgefallen auf. Ich ging meinen Weg und sie lernten damit zu leben. Mit meinem Berufswunsch und meiner sexuellen Orientierung. Mein weiterer Weg führte mich direkt in das von mir lang ersehnte Kunststudium. Dort lernte ich auch Billy kennen. Seitdem sind wir, wie man so schön sagt, ein Kopf und ein Arsch. Er unterstützt mich seit je her, findet, dass ich der verfickt-beste - seine Worte, nicht meine - Künstler auf Erden bin. Ich sehe das etwas pessimistischer. Außerdem finde ich, man sollte sich nie allzu lange auf seinen Lorbeeren ausruhen, sondern immer weiter voran gehen, neues ausprobieren, dazulernen und Dinge wagen, die man sich vielleicht nicht zutraut. Wobei wir wieder beim Thema wären, nicht? Inzwischen holpern wir über einen holprigen Schotterweg. Der frisch gefallene Schnee verlangsamt die Fahrt zusätzlich. Scheint, als sei es unter dem Neuschnee gefroren, denn der Fahrer flucht immer wieder wenn die Räder des Taxis nicht richtig greifen und versucht den schlingernden Wagen auf Spur zu halten. Als er nach schier unendlich erscheinenden Stunden Fahrt endlich verkündet, dass wir gleich da sind, packe ich aufgeregt mein Buch in die Tasche und starre angespannt aus dem Fenster, bis ich ein Haus entdecke, das nach einer sanften Rechtskurve wie aus dem Nichts zwischen den hohen Tannen auftaucht. Es liegt unterhalb des Weges eingerahmt in einer idyllischen Wald-Winterlandschaft. Es kommt sogar die Sonne etwas durch den dunkelgrünen Nadelhimmel und es beginnt von neuem zu schneien, was dem Taxifahrer weitere unschöne Flüche entlockt. Ich kann ihn verstehen. Wer ist schon heiß auf eine Autofahrt bei diesem Wetter? Wie gut, dass ich die Fahrt nicht bezahlen muss. Ich mag gar nicht wissen, wie hoch die Kosten für diesen Trip sind. Ich steige aus und warte, bis der Taxifahrer mir meinen Koffer in die Hand drückt. Im Gegenzug bekommt er von mir noch ein mittelmäßiges Trinkgeld. Mehr hat der muffige Fahrer auch nicht verdient. Er scheint sich dennoch zu freuen, wünscht mir schöne Feiertage, und macht sich wieder auf den Heimweg. Als er hinter der Kurve verschwunden ist, atme ich tief ein und wende den Blick zum Haus ein paar Meter vor mir. Das zweistöckige, hellgrau gemauerte Haus hat schwarze, moosbewachsene Dachziegel und weiße Fensterläden. Einzig die dunkelrote Haustür sticht hervor. Und sie macht mir eine Heidenangst. Meine Aufregung wächst immer mehr. Ich muss mich beinahe dazu zwingen, auf die drohend-rote Haustür zuzulaufen, obwohl ich doch nichts sehnlicher möchte, als endlich die Klingel zu betätigen, und vor meinem Idol zu stehen. Trotzdem verlangt es mir einiges ab, den Finger zu heben, als ich direkt davor stehe, um den kleinen runden Knopf zu drücken. Ich atme noch einmal tief ein und aus, dann wage ich es. Innen hört man es läuten. Anstatt eines normalen Haustürläuten ertönt irgendeine kurze Melodie. 'Wie kitschig.' Bin ich hier überhaupt richtig? Ich warte. Und warte. Nichts tut sich jenseits der Tür. Ich klingle nochmal. Mit dem selben Ergebnis. "Hallo?!" Anstatt zu klingeln klopfe ich jetzt. "Ist jemand da?" Keine Reaktion. Erwartet Lucian mich denn nicht? Er muss doch wissen, dass ich heute komme, um mit ihm an den Illustrationen zu arbeiten. Was mache ich denn jetzt? Hier draußen herrschen mindestens 10 Grad unter Null. Wenn ich länger hier herumstehe, friere ich mir vermutlich nicht nur meinen Arsch ab. Meine Füße sind jetzt schon Eisklötze. Leicht verärgert versuche ich durch das gewölbte Glas in der Mitte der Haustür drinnen etwas zu erkennen. Irgendwo im Haus scheint Licht zu brennen. Oder ein Kamin. Es flackert schwach. 'Also muss jemand da sein', schlussfolgere ich daraus. Plötzlich ertönt ein dumpfer Schlag, dann ein Krachen. Ich zucke zusammen und starre in die Richtung, aus der die Geräusche gekommen sind. Und wieder. Hört sich an, als würde jemand Holz kleinschlagen. Ich folge den Geräuschen und laufe nach links an der Hausfront entlang. Eine weitreichende Fläche tut sich vor mir auf. Jetzt ist sie dick mit Schnee bedeckt, aber im Sommer muss hier eine große Wiese sein. Eine rechteckige Erhöhung neben dem Haus verrät mir, dass dort ein Pool sein muss. 'Schick.' Muss das schön hier sein in den Sommermonaten! Am Pool im Gras liegen, nichts weiter hören, außer die Bäume, die sich im Wind sacht wiegen ... Wieder ein Schlag und ein Rumpeln. Ich spähe ums Eck. Wie vermutet steht dort jemand und spaltet Holz. Dieser Jemand steht zwar mit dem Rücken zu mir, doch ich weiß sofort wer es ist. 'Lucian!' Ich stehe da wie angewurzelt und beobachte ihn bei seiner Arbeit. Lucian ist groß. Größer als ich. Breites Kreuz. Kräftig gebaut. All das wusste ich schon. Schließlich prangt auf jedem Buchrücken seiner Werke ein Bild von ihm, aber jetzt live vor ihm zu stehen … Ich bekomme weiche Knie! WAU! Ich erschrecke mich furchtbar. Ein Hund! Ein riesiger Köter! Sieht aus wie ein weißer Schäferhund. Er steht direkt vor mir, mit aufgestellten Nackenkamm und sieht mich nicht gerade freundlich an. Das Geknurre und Gebelle von dem Köter weckt natürlich Lucians Aufmerksamkeit. Sein Blick trifft auf meinen. Stirnrunzeln seinerseits. Die Axt, die er eben noch im Begriff war, über seinen Kopf zu heben, ruht nun schwer auf seiner Schulter. Er wirkt damit verdammt bedrohlich. Ob das seine Absicht ist? Trotzdem bekomme ich sofort das Bedürfnis, diese Szene vor mir zeichnen zu wollen. "Ramsey! Komm her." Sofort trollt sich der Köter und hockt sich brav neben Lucian, fixiert mich allerdings weiter misstrauisch. Genau wie sein Herrchen. "Äh ... hallo", stottere ich und versuche meine Gedanken auf Kurs zu halten, was ganz und gar nicht einfach ist. "Ich bin Nate. Nate Williams. Wir hatten einen Termin. Wegen den Illustrationen." Bin ich froh, dass ich die paar Sätze ohne größeres Stolpern über meine Lippen gebracht habe! Lucians Augenbrauen ziehen sich zusammen. "Das war heute?" Äh … "Ja", antworte ich ihm. Da bin ich mir hundert pro sicher. Das Datum steht schon seit einem halben Jahr fest. Habe es in meinem Kalender dick rot umrahmt und, um auf Nummer sicher zu gehen, in meinem Handy eingespeichert. Damit ich es auch ja nicht vergesse. Als ob ich das jemals hätte ... "Ah so." Soeben scheint Lucian ein Licht aufzugehen. "Dann geh schon mal rein. Ich komme nach." Wie bitte? Kein Hallo? Oder irgendwas in dieser Richtung? Ich schlucke einen bissigen Kommentar runter, schließlich stehe ich hier vor dem Mann, der meinen Lebensweg so entscheidend geprägt hat. "Die Haustür ist abgeschlossen", erwidere ich bloß und deute nach vorn zum Haus. "Die Terrassentür ist offen. Zieh aber deine Schuhe vorher aus." Mir fallen sämtliche Gesichtszüge gen Boden. Schuhe ausziehen?! Ist der geistige Vater einer meines absoluten Lieblingscharakters etwa ein alter Spießer?! Total verwundert über diesen Lucian, der dem in meiner Fantasie so gar nicht zu entsprechen scheint, betrete ich sein Haus durch die Terrassentür. Natürlich nicht, ohne mir vorher draußen die Schuhe von den Füßen zu streifen. Drinnen, scheinbar dem Wohnzimmer, empfängt mich eine angenehme Wärme. Wie vermutet, knistert ein Kamin links in der Ecke. Alles im Inneren des Hauses ist in honigfarbenen Holztönen gehalten. Dazu weiß und schokobraun. So ganz anders, als ich mir das Zuhause eines Schriftstellers vorgestellt habe. Irgendwie dachte ich, Lucian würde mehr so leben wie er in seinen Büchern beschreibt. Damit meine ich jetzt nicht diese Sci-Fi postapokalyptische Endzeitstimmung, allerdings irgendwas in Richtung Industrielook oder Moderne. Aber ganz bestimmt nicht diese Schöner-Wohnen-Waldhütten-Optik. Da sieht man mal wieder, wie sehr einem seine eigene Fantasie einen Streich spielen kann. Lucian Harvest, der Autor einer der düstersten und gleichzeitig der romantischsten und heißesten Buchreihe, lebt den Traum eines jeden Schöner Wohnen Abonnenten. Ich brech vom Glauben ab! *** Wie bestellt und nicht abgeholt sitze ich auf Lucians blütenweißer Couch, natürlich erst, nachdem ich mich auch vergewissert habe, dass meine Hose auch total sauber ist. Komme mir vor wie bei meiner Oma. Fehlt nur noch der Plastikbezug, damit auch ja nichts dreckig wird. Wie lange ich nun schon hier hocke, weiß ich gar nicht genau. Ich weiß nur, dass er immer noch da draußen Holz hackt, es neben an der Hauswand aufstapelt und wieder weiter hackt, als würde es mich gar nicht geben. Der hat echt die Ruhe weg! Ich könnte inzwischen seine gesamte Bude leergeräumt haben, und er würde es noch nicht mal bemerken. Langsam werde ich wirklich stinkig! Wer zum Teufel geht so mit seinen Gästen um?! Ich überlege, ob ich nicht einfach wieder abhauen soll, aber erstens geht das schlecht, denn bis das Taxi wieder hier wäre, würde es ewig dauern, und zweitens bekäme ich dann von Billy einen kräftigen Arschtritt verpasst. Und eigentlich mag ich auch gar nicht gehen, aber wenn er mich weiterhin übergeht, dann … Es klingelt. Noch ein Besucher? Super! Noch jemand, denn Lucian ignorieren kann. Das scheint er auch mit seiner Klingel gern zu tun. Er rührt sich keinen Millimeter. Aber wahrscheinlich hört er sie da draußen auch gar nicht. Ich seufze genervt. Ich spiele hier hundert pro nicht den Türöffner! "Jemand hat vorn geklingelt", kläre ich den Holz hackenden Lucian auf. "Ist es schon drei?" Keine Ahnung! Ich zucke mit den Schultern. Lucian schwingt das Beil elegant auf das große Hackklotz, sodass es darin stecken bleibt, putzt sich die Hände halbherzig an seiner dunklen Jeans ab und marschiert ums Haus. Ich schließe die Terrassentür wieder und harre der Dinge. Von Richtung Haustür kommen Geräusche. Lachen, leise Worte. Dann schnappt das Schloss auf. Lucian betritt das Haus. Im Schlepptau ein blonder junger Mann. Ungefähr mein Alter, aber ich mag mich auch irren. Im Erraten von Jahrgängen war ich schon immer eine Null. "Oh. Hi." Blondi ist sichtlich überrascht über meine Anwesenheit. "Hi", echoe ich und grinse schmal. Was will der hier? Ist das etwa Lucians Freund? Hat er überhaupt einen? Über Lucians Privatleben dringt nie etwas an die Öffentlichkeit. Nicht, dass es mich jemals ungemein interessiert hätte. Jedem steht sein privates Leben zu. Aber jetzt hätte ich doch gern eine Antwort darauf. "Geh schon mal hoch", weist Lucian Blondchen an und richtet sich danach an mich. "Fühl dich wie Zuhause. Essen und Trinken ist in der Küche. Bediene dich einfach." Und weg ist er, die Treppe am hinteren Ende neben besagter Küche nach oben, hinter Blondchen her. Ich soll was? Es wird ja immer bunter! Zuerst rühre ich mich gar nicht, zu verdutzt bin ich über diese ganze verquere Situation. Erstmal muss ich mich sammeln, und das dauert eine Weile. "Hat der sie noch alle?!" Wenn er mich augenscheinlich gar nicht hier haben will, warum hat er mich dann zu sich eingeladen? Eigentlich bin ich von Natur aus ein ziemlich geduldiger Geselle und mache nicht so schnell meinen Mund auf, dafür habe ich Billy. Aber alles hat irgendwann seine Grenzen. Vor allem, wenn man so dermaßen übergangen wird. Sauer bis in die Haarspitzen greife ich mir die Mappe mit meinen Skizzen und folge den beiden. Mein Plan ist, Lucian die Mappe um die Ohren zu hauen und dann irgendwie wieder von hier weg zu kommen. Selbst, wenn ich den Weg zu Fuß zurückgehen muss! Nicht wissend, was mich am oberen Ende der Treppe erwarten wird, stapfe ich dennoch voller Entschlossenheit hinauf. Am Treppenende angekommen, tut sich vor mir ein breiter Flur auf, von dem auf jeder Seite je vier Türen abgehen. Einige von ihnen sind offen. Ich atme tief ein und werde dann doch wieder leicht nervös. Trotzdem bin ich zu allem entschlossen. So lasse ich mit mir nicht umgehen! Selbst von einem Lucian Harvest nicht! Die erste Tür links neben mir ist nur angelehnt. Ich spähe hinein. Sieht aus wie ein Gästezimmer. Vielleicht ist das sogar für mich bestimmt, aber das ist mir gerade vollkommen egal. Rechts die Tür ist geschlossen. Ich überlege noch, ob ich doch lieber anklopfen soll, bevor ich sie öffne, da höre ich ein leises Rauschen. Unverkennbar eine Dusche. Woher das Rauschen kommt, darüber muss ich nicht lange grübeln. Die Geräusche kommen von ganz hinten. Die Tür ist noch nicht mal verschlossen. Ich weiß, ich sollte es nicht tun. Aber meine Beine handeln eigenmächtig. Kaum bemerke ich, dass ich mich bewege, da stehe ich auch schon vor der halb geöffneten Badezimmertür und schaue hinein. Nein, ich schaue nicht nur, ich gaffe! Lucian und Blondi, eng umschlungen, zusammen in einer gläsernen Duschkabine. Was sie da im Begriff sind tun könnte eindeutiger nicht sein und ich glaube, darauf muss ich auch nicht näher eingehen. 'Hör auf da hinzuglotzen!', schreie ich mich mental an, doch zu spät. Plötzlich trifft mich über Blondies Schulter hinweg Lucians Blick. Ich erschrecke furchtbar, spüre, wie mir das Blut in den Kopf schießt und ich regungslos erstarre. Spinne ich, oder grinst er?! Ich komme nicht mehr dazu, eine genaue Antwort auf diese Frage zu bekommen, denn meine Starre löst sich endlich wieder. So schnell ich kann, verlasse ich kopflos die obere Etage, rase die Stufen nach unten, immer noch die Skizzen in der Hand, und komme erst wieder einigermaßen zu mir, als ich wieder vor der weißen Couch stehe. Leise flatternd segelt mein Skizzenblock zu Boden. "Scheiße." Die Zusammenarbeit mit Lucian kann ich jetzt wohl knicken. *** "Ruf mich doch endlich zurück, Billy! Hier ist was passiert … Was, das kann ich dir am Telefon nicht sagen, aber ich …" Ich seufze hilflos in den Hörer. "Ruf mich einfach zurück!" Wie ein nasser Sandsack lasse ich mich auf die Couch fallen. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Eigentlich hatte ich gehofft, ein Gespräch mit Billy würde das ändern, aber dieser Mistkerl geht weder an sein Handy noch ans Festnetztelefon. Soll ich einfach abhauen? Hier bleiben und so tun, als wäre dieser Vorfall niemals passiert, in der Hoffnung, Lucian wird es genauso handhaben? Falls er das jedoch nicht macht, was wird er dann tun? 'Mich hochkant aus dem Haus werfen', ist die einzige plausible Antwort, die mir darauf einfällt. Wieso ihm also nicht einfach zuvorkommen? Ich lasse meine Skizzen einfach hier und mache mich vom Acker. Dumm nur, dass ich hier am Arsch der Welt hocke, einem bereits dämmernden Arsch, und ich bin absolut nicht für einen nächtlichen Winterspaziergang ausgerüstet. Selbst ein Taxi käme hier wahrscheinlich erst in ein, zwei Stunden an. So sehr es mir auch widerstrebt, nachher Lucian und seinem Lover zu begegnen, ich werde Wohl oder Übel bleiben müssen. Noch einmal versuche ich es bei Billy. Aber wieder geht nur seine Mobilbox dran. Langsam bekomme ich Kopfschmerzen von dem ganzen Stress. Ich reibe mir über die Schläfen und stöhne gequält, als plötzlich etwas gegen mein Bein stößt. Lucians Schäferhund! Ich versuche möglichst ruhig sitzen zu bleiben und das Vieh nicht direkt anzuschauen, doch will mir das nicht so recht gelingen. Der Köter legt seinen großen, schweren Kopf genau auf meine Oberschenkel und sieht mich unergründlich aus braunen Augen an. "Was?" Er antwortet mir nicht sondern starrt einfach weiter. "Musst du mal? Soll ich dich raus lassen?" Köter müssen doch ständig raus, nicht? Pinkeln, kacken. Was auch immer. Ich stehe also vorsichtig auf, darauf bedacht, keine ruckartigen Bewegungen zu machen, die das Vieh dazu animieren könnten, mich zu beißen. Als er bemerkt, dass ich zur Terrassentür laufe, hechelt er mir schwanzwedelnd hinterher. Kaum habe ich die Tür aufgemacht, rauscht er auch schon nach draußen in die Dämmerung. Schnell wieder zu. Es ist arschkalt! Ich will wieder rüber zur Couch, um es nochmal bei Billy zu probieren, da höre ich sie. Lucian und sein Fick kommen die Treppe runter! Panisch stürze ich auf die Couch zu, setze mich und versuche mich unsichtbar zu machen. Vorn an der großen Glasfront der Terrassentür kann ich die vagen Spiegelbilder der beiden sehen. Blondi geht vorne weg, Lucian hinterher. Er trägt nur einen Bademantel, den er sich notdürftig vorn zusammenbindet. Ich schlucke und schaue kurz weg. Allein daran zu denken, was die beiden eben noch miteinander getrieben haben … Mir wird ganz flau im Magen und ich bete, was ich sehr selten tue, dass sie nicht zu mir rüber kommen. Das Stoßgebet scheint zu funktionieren. Beide gehen zur Haustür. "Schönen Abend dir noch", höre ich Lucian zu Blondi sagen. "Dir auch", gurrt dieser und im spiegelnden Fenster sehe ich, wie Blondi Lucian einen Kuss auf den Mundwinkel gibt. Kotz! "Fahr vorsichtig bei dem Wetter." Blondi lacht, flüstert etwas, das ich nicht verstehen kann, dann trollt er sich. Weg ist er. Ich atme tief ein und stelle mich innerlich auf ein dickes Donnerwetter seitens Lucian ein. Nervös höre ich seine Schritte hinter mir. "Alles gefunden, wonach du gesucht hast?", fragt er mich mit einem unüberhörbaren sarkastischen Tonfall. Hundert pro eine Anspielung auf mein ungewolltes Badezimmerspannen. "Mehr als mir lieb war", antworte ich brummend und schalte auf stur. Das einzige, was ich ihm entgegensetzen kann, um mir noch wenigstens ein kleines bisschen Würde zu bewahren. Zu meiner Verwunderung lacht Lucian. Wirklich! Er lacht! Und als ob das noch nicht genug ist, setzt er sich auch noch neben mich. "Selbst schuld, wenn man so neugierig ist. Hat dir die Show wenigstens gefallen?" Ich hasse es, aber meine Wangen werden heiß. "Ich bin nicht hier, um mir irgendwelche Duschpornos zu Gemüte zu führen!", schieße ich zurück. "Sondern um dir meine Zeichnungen zu zeigen. Und zwar ausschließlich dafür." Da er mich geduzt hat, tue ich das auch einfach. Er scheint nichts dagegen zu haben. "Ach, entspann dich mal", brummt er zufrieden und gähnt. "In meinen Büchern gibt es weit Schlimmeres zu lesen." Bitte?! "Ja, ich weiß", knurre ich eingeschnappt. "Vieles davon habe ich die letzten Wochen über illustriert." Kleiner Wink mit dem Zaunpfahl. Ich habe nämlich eine Menge Arbeit da rein gesteckt, was mir natürlich einen riesigen Spaß gemacht hat und ich ihm deshalb auch sehr gerne das Ergebnis gezeigt hätte, aber nein! Der Herr vögelt einfach mit Blondi und tut so, als wäre ich gar nicht da! Ich fühle mich wirklich übelst übergangen. Lucian grinst, sagen tut er jedoch nichts mehr. Im Gegenteil. Er steht wieder auf und sieht sich um. "Ramsey? Es wird Zeit für dein Futter. … Ramsey?" "Der musste mal. Hab ihn raus gelassen", sage ich. "Was?" Lucian stürmt auf mich zu, was mich zusammenzucken lässt. "Hast du sie noch alle?! Du kannst Ramsey doch nicht mitten in der Nacht allein in den Wald lassen! Weißt du, was ihm da passieren kann?! Hier gibt es Wölfe und Bären!" Er sieht mich dermaßen sauer an, dass ich nervös schlucken muss und spüre, wie schon wieder meine Wangen heiß werden. "Sorry, ich …" "Verdammt!" Lucian eilt zur Küche. Ich stehe ebenfalls auf und schaue ihm dabei zu, wie er in einer Schublade herumkramt. Mit zwei Taschenlampen bewaffnet kommt er zurück zu mir und drückt mir eine davon in die Hand. "Hier! Du hilfst mit ihn suchen!" "Okay." Shit! Ich klinge verdammt kleinlaut. Aber woher soll ich denn wissen, dass der Köter Abends nicht raus darf? Lucian zieht sich bloß seinen dicken Mantel über den Bademantel, steigt in seine Stiefel und reißt die Terrassentür auf. Ich mache es ihm nach und folge ihm schnell. Er hat ein gewaltiges Tempo drauf. "RAMSEY! HIER HER, JUNGE!" Lucian pfeift laut. "RAMSEY!" Wir kämpfen uns durch den wadenhohen Schnee. Dicke Schneeflocken versperren uns dabei die Sicht. Ich kann mich einzig an Lucians Taschenlampe orientieren. "RAMSEY!" Keine Spur von dem Hund. "Scheiße", schimpft Lucian. "Das ist alles deine Schuld! … RAMSEY! KOMM HER!" Ich glaube ja wohl! "Hättest du mich nicht einfach stehen lassen, wie ein unwillkommener Eindringling, hätte ich deinen Köter erst gar nicht rausgelassen!", pflaume ich Lucian an. Er bleibt stehen und dreht sich zu mir um. Oh oh … "Unwillkommen?! Ich habe dir doch gesagt, du sollst dich wie Zuhause fühlen! Was hätte ich denn noch machen sollen? Dir eine Fußmassage geben?!" Lucian ist stinksauer. Aber da ist er nicht allein. "Zumindest nicht mit Blondi unter die Dusche steigen, während ich mit meinen Skizzen auf dich warte! Weißt du, wie bescheuert ich mir vorgekommen bin?!" Lucians Augen verengen sich, was wirklich unheimlich aussieht im schwachen Schein der Taschenlampen. "Dich hat niemand gezwungen, hier her zu kommen", zischt er bedrohlich. "Fein! Dann gehe ich jetzt zurück zum Haus und rufe mir ein Taxi!" Ich drehe mich um, will sauer davon stapfen, doch ich stoße plötzlich gegen etwas hartes. "Ramsey?" Tatsache! Lucians Köter steht vor mir, hechelt, und wedelt mit dem Schwanz. Lucian stürzt an mir vorbei. "Oh Gott sei Dank!", japst er, geht in die Knie und umarmt das sabbernde Vieh. Katastrophe abgewendet. Jedenfalls die Vierbeinige, denn das ändert nichts daran, dass ich immer noch von hier weg will. Und das so schnell wie möglich! ****** Na? wie gefällt es euch bis jetzt? War ja kein guter Start für eine Zusammenarbeit. Wie es weiter geht, erfahrt ihr nächsten Sonntag. Einen entspannten Adventssonntag euch noch. Kussi ;-) Kapitel 2: Kapitel 2 - Ein Sturm zieht auf ------------------------------------------ Kapitel 02 - Ein Sturm zieht auf "Das kann nicht Ihr Ernst sein! Ich muss dringend von hier weg!" /Tut mir leid, aber Dank des Schneesturms sind die Wege unbefahrbar. Selbst die Hauptstraßen sind größtenteils dicht. Bitte haben Sie dafür Verständnis./ Ganz sicher habe ich das nicht! "Hören Sie. Egal was es kostet, ich brauche ein Taxi! So schnell es geht … Hallo? Hallo?!" Kein Ton mehr am anderen Ende der Leitung. "Aufgelegt!" Das gibt es doch nicht! "Die Leitung ist tot. Das passiert hier draußen öfter", meint Lucian gelassen, der gerade an mir vorbei in die Küche schlendert. "Dann bleibst du also doch?" "Scheint so", knurre ich sauer und werfe das Telefon auf den Couchtisch. "Jedenfalls für heute Nacht." Lucian füttert seinen wieder aufgetauchten, schwanzwedelnden Köter. Seit das Vieh wieder hier ist, ist Lucian wie ausgewechselt. Er scheint die Ruhe in Person zu sein, was mich nur noch mehr aufregt. "Wenn du Hunger hast, greif zu." Er deutet auf den Herd, in dem er irgendeine Art Eintopf zubereitet hat. "Danke. Keinen Hunger", lüge ich. In Wahrheit knurrt mein Magen wie Wahnsinnig, da ich seit heute Morgen nichts mehr gegessen habe. Doch ich werde einen Scheiß tun, und das zugeben! Lucian zuckt nur unbeeindruckt mit den Schultern und setzt sich an den Küchentisch, wo er zu essen beginnt. Ich muss zugeben, es riecht wirklich gut, was er da gekocht hat … So ein Mist! Gegen mein Hungergefühl komme ich nicht lange an. Ich kann sehen, wie Lucian zu grinsen beginnt, als ich mich am Eintopf bediene. Zum Glück sagt er nichts weiter, sondern futtert still vor sich hin. Schlecht gelaunt setzte ich mich zu ihm an den Tisch und fange ebenfalls an zu essen. Ich muss zugeben, das Zeug schmeckt. Was auch immer da drinnen ist. Einzig die Fleischstückchen Sortiere ich aus. "Was tust du da?" Das bleibt natürlich nicht lange unbemerkt. "Ich esse kein Fleisch." Lucian runzelt die Stirn. "Du weißt schon, dass da aber trotzdem immer noch Fleischbrühe drinnen ist?" "Hab Hunger", brumme ich und zucke mit den Schultern. In der Not esse ich auch mal etwas Fleisch. So ein strenger Vegetarier bin ich nicht. Ich finde nur, wenn es sich vermeiden lässt, sollte man nicht so viel Fleisch essen. Und wenn, dann natürlich nur vom Biobauern. Lucian zieht spöttisch eine Augenbraue nach oben. "Ein Möchtegern-Vegetarier also", schnaubt er. "Ich bin gegen Massentierhaltung. Deshalb verzichte ich meistens auf Fleisch und Wurst", erkläre ich ihm giftig. "Da ist nichts möchtegernmäßiges dran. Nur der Ekel vor dieser scheinheiligen Fleischindustrie und deren geldgesteuerten Tierquälerei!" Wenn ich nur daran denke, wie überall Tiere, lebende und fühlende Wesen, wegen Profitgier und dem Geiz der Konsumenten misshandelt und schlecht gehalten werden, werde ich richtig sauer. Das will und kann ich nicht unterstützen! "Falls es dich beruhigt, das Reh habe ich selbst im Wald geschossen", meint Lucian. Er hat was? "Du jagst?" "Wenn ich nicht verhungern möchte, ja." "Das wusste ich nicht." "Woher auch?" Er schiebt den leeren Teller von sich und steht auf. "Bin eine rauchen." Und weg ist er. Mal ganz abgesehen, dass es unhöflich ist, einfach vom Tisch aufzustehen, bevor der andere aufgegessen hat, Lucian ist wirklich so verdammt anders, als ich ihn mir vorgestellt habe. Und vor allem so gegensätzlich. Einerseits kommt er mir wie ein Eigenbrödler vor. Dann wiederum, geht man nach der Einrichtung seines Hauses, wie eine Frau mittleren Alters. Er scheint sehr Naturverbunden zu sein, andererseits steckt sein Haus voller technischem Schnickschnack. Allein in der Küche tummeln sich unzählige elektronische Küchenhilfen. Schlimmer als bei meiner Mutter! Und was soll das mit diesem blonden Fickstück? Als wäre er der größte Playboy auf Erden. Bestellt sich Blondchen zum Vögeln her und danach verschwindet es wieder? Was soll man davon nur halten? Was soll ich nur von ihm halten? Meinem absoluten Lieblingsautor, der inzwischen scheiße sauer auf mich ist, auch wenn er jetzt ziemlich handzahm tut. Und natürlich bin ich auch richtig sauer auf ihn. Besonders wegen des Fickstücks … Ist das Eifersucht? Der Gedanke lässt mir meinen Hunger vergehen. Eifersüchtig? Ich? Auf 'Blondchen mit den weit spreizenden Beinen'? Leck mich am Arsch! Soweit kommt's noch! Das ist keine Eifersucht. Kann ja auch gar nicht. Auf was sollte ich eifersüchtig sein? Allerhöchstens darauf, dass Lucian diesen Fickfrosch mir vorgezogen hat, obwohl ich, nur wegen ihm, hier her gegondelt bin. Mitten im dicksten Winter und das auch noch in eine weit abgelegene Einöde, in der ich jetzt auch noch feststecke. Ich hatte mir diesen Trip ganz anders vorgestellt … Dass wir uns über seine Werke unterhalten, Ideen austauschen und ich mit ihm zusammen noch an meinen Entwürfen arbeiten würde … Aber stattdessen passiert sowas! Die Terrassentür schwingt auf. Lucian kehrt zurück. Ich weiche seinem Blick aus, stehe auf und nehme meinen Teller, den ich auf die Küchenspüle stelle. Schweigend räumt er den restlichen Tisch ab. "Bin müde", murmle ich. "Wo kann ich schlafen?" Eigentlich bin ich noch hellwach. Komisch, angesichts des langen, beschwerlichen Tages, doch ich will nicht länger in Lucians Nähe sein. "Komm mit." Er marschiert die Treppe hinauf. Ich schnappe mir meinen Koffer, der immer noch neben der Eingangstür steht, und folge ihm. Wie erwartet führt er mich in das Zimmer gleich vorn links. "Hier ist ein kleines Badezimmer", sagt er gefühllos und deutet auf eine sehr schmale Tür gegenüber des Bettes. "Du brauchst also nicht meins zu benutzen." Der sarkastische Unterton entgeht mir wieder nicht. "Keine Sorge", blaffe ich. "Dort werde ich keinen Fuß mehr hineinsetzen." Als ob ich mir das nochmal geben würde! Wer weiß, welche Betthäschen er dort noch gebunkert hat. "Gute Nacht", wünscht mir Lucian mit einem kalten Tonfall, dreht sich um und lässt mich allein im Gästezimmer zurück. "Nacht." Was für ein Idiot! *** Mitten in der Nacht bekomme ich riesigen Durst. Auf Leitungswasser stehe ich nicht besonders, also schleiche ich mich aus meinem Zimmer und stehle mich leise über den Flur zur Treppe. Auf halben Weg nach unten bemerke ich einen schwachen, orangenen Schimmer. Der Kamin? So leise es geht nehme ich eine Stufe nach der anderen. Auf der fünfletzten Stufe bleibe ich stehen und hocke mich hin, sodass ich gerade so durch die Holzstreben des Geländers neben mir schauen kann. So habe ich den perfekten Blick Richtung Wohnzimmer. Lucian sitzt auf der Couch, den Laptop vor sich. Er tippt mit schnellen Schlägen auf die Tastatur ein. Arbeitet er etwa an einem neuen Band? Aufgeregt versuche ich mehr zu erhaschen und wage mich noch eine Stufe weiter nach unten. Auf dem Tisch kann ich meine Skizzen erkennen. Er hat sie sich anscheinend angesehen! Meine Aufregung steigt. Auch wenn er ein totaler Arsch ist, hoffe ich trotzdem, dass ihm meine Entwürfe gefallen. Teils aus Stolz, teils deshalb, weil ich dennoch ein riesiger Fan seiner Arbeit bin. Das eine schließt das andere ja nicht aus. Angestrengt versuche ich irgendwelche Hinweise zu erkennen, wie ihm meine Zeichnungen gefallen haben. Sie liegen auf zwei Stapel verteil. Daneben ein beschriftetes Blatt, doch ich kann beim besten Willen nicht erkennen, was er sich darauf notiert hat. Ich bräuchte ein Fernglas … Wuff! Himmel! Lucians Köter steht vor der Treppe und sieht mich schwanzwedelnd an. Logisch, dass Lucian nun auf mich aufmerksam wird. Er sieht mich überrascht an und - ich fasse es nicht! - trägt eine Brille! "Entschuldigung." Ich räuspere mich. Lucian mit Brille! "Ich hatte Durst. Ich wollte nicht stören." Da ich jetzt entdeckt wurde, laufe ich die letzten Stufen nach unten und bleibe neben dem weißen Schäferhund stehen, der sich neben mich setzt und immer noch neugierig mustert. "Neben dem Kühlschrank. Bedien dich." Lucian nickt Richtung Kühlschrank. Ich schnappe mir eine Flasche und eins der sauberen Gläser, die auf dem kleinen Regal über der Spüle stehen und schenke mir ein. Lucian ist wieder voll und ganz in seine Arbeit vertieft. Ob ich zu ihm rüber gehen soll? Schließlich hat er sich meine Zeichnungen angesehen. Es ist somit mein gutes Recht, ihn deshalb zu befragen. Ich nehme all meinen Mut zusammen und nähere mich dem Wohnbereich. Neben der Couch bleibe ich stehen. Entweder, er ist so vertieft in seine Arbeit, dass er mich nicht bemerkt, oder es ist ihm schlicht weg egal. "Du hast dir meine Skizzen angesehen?", wage ich einen Versuch. Lucian nickt aber bloß, was in mir schon wieder die Wut aufsteigen lässt. "Und?" Sag schon was! "Gut." Gut? Einfach gut? "Bitte etwas mehr Input", bitte ich ihn gereizt. Der Typ bringt mich echt auf die Palme! Seine Hände hören auf, auf die Tastatur einzudreschen. Ich überfliege kurz die paar Textzeilen, die auf dem Bildschirm zu lesen sind, aber Lucian klappt den Laptop zu. Was ich jedoch noch erkennen konnte, er schreibt tatsächlich an der Geschichte von Slate und Neil weiter. Trotz des Ärgers, den mir dieser Autor immer wieder beschert, macht mein Fanherz einen riesigen Satz. "Du hast mir unfertige Skizzen gebracht", meint Lucian plötzlich und lässt die Freude über seine Schreiberei verblassen. "Zur Ansicht, ja", bestätige ich, zugegeben, nervös. "Aber sie sind nicht unfertig. Das sind die ersten Entwürfe." Lucian seufzt und mein Zornlevel steigt abermals an. "Ich hätte gern richtige Zeichnungen von dir gesehen." "Das sind richtige Zeichnungen! Nur eben im Rohentwurf." Himmel noch eins! Soll ich etwa Hochglanzabzüge mitbringen?! Obwohl ich noch gar nicht weiß, ob sie ihm gefallen? Bei Auftragsarbeiten mache ich das oft. Und wenn die Entwürfe den Vorstellungen entsprechen, arbeite ich sie aus. Das ist ganz normal! Doch anstatt ihm das um die Ohren zu schmettern, versuche ich mich zu beruhigen. "So kann ich noch an ihnen arbeiten", erkläre ich ihm. "Das können wir auch zusammen machen. Du sagst, was dich stört, und ich ändere es sofort." "Ich will keine Änderungen nach meinen Wunschvorstellung", grantet er mich an. "Ich will sehen, wie du dir die Szenen vorgestellt hast. Ich weiß, wie sie in meinem Kopf aussehen." Er tippt sich zur Verdeutlichung an die Stirn. "Das will ich nicht doppelt und dreifach auf deinen Zeichenblöcken sehen. DU sollst DEINE Vorstellungen umsetzen. Nicht meine." Er nimmt sich die beiden Stapel und hält sie mir hin. "Die hier sind gut", sagt er. "Wenn ich sie sehe, weiß ich sofort um welche Szene es geht. Aber die hier", er wedelt mit dem anderen Stapel "haben meiner Meinung nach keinen Bezug zum neuen Band." Bitte?! Keinen Bezug? "Ich habe hinten notiert, zu welcher Seite ich sie angedacht hatt…" "Ich will das nicht erst nachlesen müssen", unterbricht er mich rüde. "Entweder, du ändert das nochmal, oder lässt sie ganz weg." Die Skizzen landen vor mir auf den Tisch. Lucian klappt seinen Laptop wieder auf und beginnt von neuem, seine Tastatur zu malträtieren. "Du bist so ein Arsch!", platz es aus mir. "Ein Arsch, der weiß, was er will", brummt er nur und tippt weiter. Sauer schnappe ich mir meine Zeichnungen und verziehe mich wieder nach oben. Was bildet der sich eigentlich ein?! *** Am nächsten Morgen herrscht eine eisige Stimmung zwischen uns. Während Lucian in der Küche herumhantiert, versuche ich irgendwie ein Taxi hierher zu bekommen. Doch wie gestern: Ich habe damit keinen Erfolg. Heute Nacht muss ein wahrer Schneesturm gewütet haben. Alle Zufahrtsstraßen hier her sind dicht. Selbst der normale Straßenverkehr auf den Hauptstraßen kommt kaum durch. Dazu ist hier immer noch das Festnetz tot. Und mit meinem Handy habe ich nur mäßigen Empfang. Dank den hohen Bäumen rings um. Billy hat sich ebenfalls noch nicht gemeldet, oder konnte mich nicht erreichen. Wie auch immer. Ich stecke hier erstmal fest. "Shit!" Ich wische mir genervt über die Stirn und stecke mein Handy wieder ein. "Kaffee ist fertig", höre ich Lucian aus der Küche knurren. "Super!" Sarkasmus lässt grüßen. "Dann bleibe ich wenigstens wach, solange ich hier eingesperrt bin." Ich laufe rüber zur Küche und setze mich. "Sei froh, dass du nicht draußen übernachten musstest, nachdem du mich so nett als Arschloch betitelt hast." Bang! Eine volle Tasse Kaffee knallt vor mir auf den Tisch, deren Inhalt gefährlich hin und her schwappt, aber nicht über den Rand tritt. Lucian setzt sich mir gegenüber und krault den Kopf seines Hundes, der umgehend auf seinem Schoß Platz gefunden hat. "Und ich dachte wirklich, unter uns beiden würde so etwas wie ein künstlerischer Austausch stattfinden, wenn ich hier bin." Ich schüttle über meine eigene, verblendete Vorstellung den Kopf. "Hättest du nicht so pissig auf meine Kritik reagiert, hätte das sogar passieren können", kontert Lucian. "Kritik?!" Will der mich veräppeln?! "Wo, bitte schön, war das Kritik?" Er hat meine Zeichnungen nieder gemacht! Von wegen, die Hälfte meiner Entwürfe hätten keinen Bezug auf seinen neuen Band! Soll er seine Glotzaugen aufmachen und mal genauer hingucken, anstatt irgend so ein Bückstück unter der Dusche zu nageln!* Man kann spüren, dass es in Lucian brodelt, doch er lässt es nicht an die Oberfläche kommen. Fast schon bewundernswert. Ich wünschte, ich könnte mich in seiner Gegenwart so zurückhalten. "Weißt du", sagt er äußerlich ruhig und trinkt einen Schluck Kaffee. Ich habe meinen noch nicht angerührt. "Ich war so gespannt auf dich und deine Arbeit. Ich bin wirklich enttäuscht." "Dito", presse ich hervor. "Dabei sind deine sonstigen Illustrationen so gut. Ich hatte mir so viel von unserem Treffen erhofft. Echt schade." Hm? Lucian trinkt den Rest seines Kaffees und steht auf. "Wo gehst du hin?" Warum haut er jetzt einfach ab? "Holz holen. Nicht, dass sich mein Gast noch verkühlt." So gern ich will, aber darauf weiß ich nichts zu erwidern. Lucian, mein einstmals so geliebtes Idol, zieht sich Stiefel und Jacke über, dann marschiert er zur Terrassentür hinaus. Sein Köter folgt ihm fröhlich und ich bin allein. Er findet meine Illustrationen gut? Und er hatte sich viel von unserem Treffen erhofft? Also ging, geht, es ihm so wie mir. In gewisser Weise sind wir beide vom anderen enttäuscht. Na super! Tolle Ausgangssituation für eine Zusammenarbeit! Wir sollten das alles schnell vergessen und … Oder? Ich genehmige mir einen Schluck vom nur noch lauwarmen Kaffee. Auch wenn er nicht mehr brühwarm ist, hilft er mir trotzdem meine plötzlich überschäumenden Gedanken besser zu sortieren. Wie war das? Ich kann keine Kritik vertragen? Eigentlich kann ich das schon. Bei Leuten, deren Meinung mir sowieso am Arsch vorbeigeht. Kunst ist und bleibt Geschmackssache. Aber Lucians Worte haben mich wahrhaftig gekränkt. So sehr, dass ich ihm plötzlich unbedingt das Gegenteil beweisen möchte. Und hatte ich zu Anfang nicht gesagt, man sollte sich nie lange auf seinen eigenen Lorbeeren ausruhen, immer weiter voran gehen, dazulernen und Dinge wagen, die man sich nicht zutraut? Und um dieses Motto noch zu erweitern: Man sollte niemals einfach aufgeben, ohne es nicht wenigstens ein weiteres Mal versucht zu haben. *** Ob Lucian mich schon vermisst? Bestimmt nicht. Womöglich glaubt er, ich würde mich jetzt so lange im Gästezimmer einigeln, bis es endlich ein Taxi hier her geschafft hat. Auch gut. So kann ich wenigstens in Ruhe arbeiten. Und zwar an meinen Zeichnungen. Er will gleich sichtbare Bezüge zu den Textpassagen in seinem Buch? Die kann er haben! Ich habe nicht umsonst meine gesamte Zeichenausrüstung mitgeschleppt. Wobei ich eigentlich gedacht habe, sie im Beisein von Lucian zu benutzen, aber nun gut. Wie heißt es so schön? Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt. Noch nie hat der Spruch so gut in eine meiner Lebenssituationen gepasst, wie hier. Ich zeichne wie der Teufel, bessere aus und koloriere. Es dauert den ganzen Tag, aber ich schaffe es, all meine Bilder noch einmal komplett zu überholen und auszuarbeiten. Aus den Rohentwürfen sind fertige Illustrationen geworden. Ganz nach meinen Vorstellungen, wie Lucian wollte. Und die anderen Zeichnungen, die, die angeblich keinen erkennbaren Bezug auf sein Buch haben, habe ich ebenfalls nochmal genaustens unter die Lupe genommen. Wenn er den Bezug jetzt nicht sieht, dann weiß ich auch nicht weiter. Es ist kurz nach sieben, draußen ist es bereits dunkel. Als ich alles zusammenpacke und die Zeichnungen in die Mappe lege, höre ich meinen Magen knurren. Kein Wunder. Bis auf die Tasse Kaffee heute Morgen habe ich wieder nichts zu mir genommen. Das passiert mir aber oft, wenn ich in Arbeitsphasen bin. Dann geraten meine körperlichen Bedürfnisse komplett in den Hintergrund. So lange, bis ich fertig bin. Erst dann kümmere ich mich wieder um mein leibliches Wohl. Allerdings muss das noch eine Weile lang warten. Zu aller erst will ich Lucian zeigen, was ich die letzten Stunden über angestellt habe. Abermals nervös, wie ihm meine Illustrationen gefallen werden, gehe ich nach unten. Es duftet nach Essen. Irgendwas Leckeres steckt im Ofen, aber ich versuche das zu ignorieren. Lucian hat Vorrang. Ich finde ihn wieder unten im Wohnzimmer. Er hat sich auf der Couch lang gemacht und hält ein Buch in der Hand. Wieder mit Brille auf der Nase gibt er immer noch ein sehr ungewohntes und lustiges Bild ab, finde ich. Ich trete von hinten an die Couch heran und schiebe meine Zeichenmappe zwischen ihn und dem Buch in seiner Hand. Mit gerunzelter Stirn sieht Lucian zu mir auf. "Versuch jetzt mal, meine Arbeit zu kritisieren", sage ich nur und lasse die Mappe einfach auf seine Brust fallen. Er legt tatsächlich das Buch beiseite, setzt sich auf und öffnet die Mappe. Ich setzte mich kurzerhand neben ihn. Neugierig und nervös beobachte ich ihn dabei, wie er meine Arbeit der letzten Stunden betrachtet und versuche mir nicht allzu auffällig die Hände dabei zu kneten. Lucian nimmt sich wirklich Zeit dafür. Hoffentlich aus echtem Interesse und nicht, um mich nur noch mehr zu ärgern. Es sind auch einige Zeichnungen dabei, die eindeutig nicht für jüngere Betrachter geeignet sind. Als Lucian sie sich ansieht, werde ich noch ein wenig nervöser. Nicht, weil mir die Bilder peinlich sind. Es ist nur so, dass ich die Darstellungen unbedingt so hinbekommen wollte, dass man die ganze Liebe, die Slate und Neil füreinander hegen, auch unbedingt rüberkommt. Die wenigen Momente, die die beiden für sich haben, sind so kostbar. Gerade weil sie ihre Liebe nicht nach außen hin zeigen dürfen. Als Leser spürt man dies, aber ich will, dass man das auch meinen Bildern ansieht. Hoffentlich ist mir das gelungen. Als Lucian schließlich mit allen Zeichnungen durch ist, legt er sie geordnet vor sich auf den Tisch. Mein Herz rast, so aufgeregt bin ich über seine Meinung. Wenn er sie jetzt immer noch nicht gut findet, weiß ich nicht weiter. Besser kann ich es nicht. Ich habe all mein Herzblut und meine Bewunderung für sein Schaffenswerk hineingelegt. Zu mehr bin ich nicht fähig. "Genau so wollte ich das." Mein Herz setzt für ein paar Schläge aus. Was? Ehrlich? Hat er das gerade wirklich gesagt? Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Nach dem ganzen Desaster der letzten beiden Tage kommt mir sein Lob so unwirklich und irreal vor. "Wirklich? Es gefällt dir also?", frage ich deshalb mit dünner Stimme nach. Hinterher habe ich mich doch verhört … "Ja", meint er knapp. "Jetzt können wir an die Arbeit gehen und uns Gedanken über die Zusammenstellung machen." ****** * Da ist aber einer gekränkt, weil er nicht das Bückstück in der Dusche sein durfte xDDD Ob die beiden sich wirklich endlich zusammengerafft haben? Ihr dürft weiter gespannt bleiben ;-) Einen schönen zweiten Advent euch :-*** Kapitel 3: Kapitel 3 - Oh du Fürchterliche ... ---------------------------------------------- Kapitel 3 - Oh du Fürchterliche ... Eine wahre Zettelwirschaft liegt auf dem Wohnzimmerboden verteilt. Skriptblätter von Lucians Roman und meine Zeichnungen liegen vor uns auf dem weißen Teppich. Für Außenstehende muss es wie ein einziges, riesiges Chaos aussehen. Für uns jedoch, hat alles seine Ordnung. "Perfekt!" Eine perfekte Ordnung. "Wir haben es geschafft!", freue ich mich und bestaune das geordnete Durcheinander. "Ja. Ich denke, so wird ein Schuh draus." Lucian betrachtet unser 'Werk' und nickt. "Unglaublich, wenn man bedenkt, wie die letzten beiden Tage verlaufen sind." "Dazu sage ich jetzt nichts", brummelt Lucian und steht mit knackenden Knochen vom Boden auf. Dabei ächzt er und reibt sich über die Knie. "Okay, alter Mann", grinse ich ihn frech von unten an, während er ich das Nasenfahrrad vom Gesicht zieht. "Behalte deine Weisheiten diesmal für dich." "Ich gebe dir gleich alter Mann … Tee?" "Gerne. Danke." Während Lucian schleichend Richtung Küche verschwindet, schaue ich ihm grinsend nach. Endlich mal ein positiver und produktiver Tag! So hatte ich mir das vorgestellt. Nicht nur die Arbeit mit Lucian war richtig gut, sondern auch er selbst war unfassbar nett, hörte nicht nur zu, wenn ich Vorschläge oder Einwände hatte, sondern diskutierte sie auch ernsthaft mit mir, bis wir zu einem gemeinsamen Ergebnis kamen. "Soll ich alles zusammenräumen?" "Kannst du machen", kommt es aus der Küche. Lucian klappert in den Schränken herum während ich alles ordentlich sortiert zu einem Stapel packe. "Anstatt Tee könnten wir auch einen Wein trinken", schlägt er nach einer kurzen Weile vor. Hm Wein … "Auch gut." Warum nicht? Wir können wirklich auf unsere heutige Arbeit anstoßen. Lucian kommt mit einer Flasche Rotwein und zwei Weingläsern in der Hand zurück zu mir. Wie zuvor lümmeln wir uns auf den Boden, mit den Rücken gegen die Couch gelehnt. "Bitte sehr." "Vielen Dank." Ich halte das Weinglas hoch, während er es mit der dunkelroten Flüssigkeit füllt. "Bei dem Wetter da draußen wäre Glühwein auch nicht schlecht", grinse ich, ehe ich einen Schluck trinke. Am späten Abend hat es abermals angefangen zu Stürmen und wieder hat es dicke Flocken geschneit. "Hm! Gut!" "Besser als Glühwein?" Lucian Schmunzelt. "Etwas, ja." Ich funkle Lucian frech an. "Dir hole ich nochmal Wein aus der Küche." Er tut beleidigt, meint es aber nicht so. "Kann ich dich etwas fragen?", unterbricht er die angenehme Stille zwischen uns nach einer Weile. "Klar", antworte ich. "Was magst du an meinen Büchern?" Ich runzle für einen Moment die Stirn. "Fragst du das aus Eitelkeit, oder aus echtem, literarischen Interesse?" Lucian schmunzelt, wobei er wirklich hinreißend aussieht. "Beides", gibt er unverblümt zu und nippt an seinem Glas. "Okay", grinse ich. "Dann will ich mal versuchen, dir ehrlich zu antworten." "Zu gütig." "Nicht?" Wir lächeln uns an und ich überlege kurz, wie ich ihm an einfachsten erklären kann, was mir seine Werke bedeuten. "Ich denke", beginne ich "es ist die Tatsache, dass die beiden, Slate und Neil, ohneeinander wahrscheinlich schon längst in dieser völlig korrupten und zerstörten Welt zugrunde gegangen wären. Sie brauchen sich, halten zusammen und sich gegenseitig auf Spur, egal was passiert, und lieben sich wahrhaftig. Man spürt es. In jeder Zeile, auch wenn sie meist ziemlich ruppig miteinander umgehen. Am Ende gibt es nur sie beide. Und das finde ich irgendwie … beruhigend." "Beruhigend? So hat noch niemand meine Bücher genannt", lacht Lucian. Ich zucke mit den Schultern. "So empfinde ich es halt." Ich bin schon ein bisschen säuerlich, dass er das lustig zu finden scheint, was er wohl auch bemerkt, denn plötzlich berührt er mich am Arm. "Sorry, ich wollte nicht lachen. Ich denke, jeder empfindet da anders beim Lesen." Ich lächle schmal und nicke. "Na ja … Wenn man es genauer bedenkt könnte ihre Beziehung wirklich auf eine verrückte Art beruhigend sein." "Sie können sich aufeinander verlassen", sage ich und beobachte den Schein des Feuers durch mein Weinglas hindurch, während man draußen den Wind durch die Bäume pfeifen hört. "Das gibt es nicht sehr oft auf dieser Welt." "Wie wahr." Sein Glas stößt sachte an meins, dann trinkt er. "Auf wen kannst du dich verlassen?", frage ich, ohne groß darüber nachzudenken, da ich das Gefühl habe, damit bei ihm einen Nerv getroffen zu haben. "Auf mich", antwortet er. "Und auf Ramsey." Als der Hund, der direkt vor dem Kaminfeuer liegt, seinen Namen hört, hebt er müde den Kopf und senkt ihn wieder, als er merkt, dass sein Herrchen nichts bestimmtes von ihm will. "Sonst gibt es niemanden?" "Reicht das nicht?" Ich hebe die Augenbrauen und zucke leicht mit den Schultern. "Und auf wen kannst du dich verlassen, hm?" Er weicht mir aus. "Auf meine Familie. Und auf Bill … Sofern ich Handyempfang habe", scherze ich. Aber Lucian erwidert mein Grinsen nicht. Bin ich mit meiner Frage zu weit gegangen? Lucian sieht gedankenverloren ins Kaminfeuer. "Familie", murmelt er. "Wenn ich mich auf die verlassen müsste, wäre ich verlassen." Ich schlucke und schaue verlegen auf den Boden vor uns. "Sorry. Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen", murmle ich. "Hast du nicht", erwidert er. "Ich habe damit abgeschlossen." Lucian streckt sich, stellt das Weinglas auf den Wohnzimmertisch und steht auf. "Es ist spät geworden. Wir sollten schlafen und morgen vielleicht nochmal über unsere Arbeit drüber gucken." "Ja", seufze ich und trinke mein Glas leer. "Wäre wohl besser." Lucian stellt den Funkenschutz vor den Kamin und ich räume die Gläser in die Küche. Seine Worte gehen mir nicht aus dem Kopf und habe ich das Gefühl, dass die Stimmung schon wieder leicht umgeschwenkt hat. Irgendwie bedrückend. 'Ich hätte einfach meine Klappe halten sollen, jetzt, wo es so gut zwischen uns läuft', denke ich bitter. Immer muss ich es vermasseln! "Kann ich dich auch etwas fragen?", will ich von ihm wissen und lehne mich gegen die Arbeitsplatte. "Natürlich. Frag ruhig." "Warum ich?" "Hm?" Lucian runzelt die Stirn. "Warum hast du mich für die Illustrationen ausgesucht?" Das interessiert mich wirklich brennend. "Ich mag deinen Stil", antwortet er, als würde das alles erklären. "Und wie bist du auch mich aufmerksam geworden?" Lucian wischt mit der Hand über den Wasserhahn und dreht sich anschließend zu mir. "Manchmal google ich, was meine Fans so fabrizieren. Fanfics, Fanarts … Da bin ich auf deine Zeichnungen gestoßen." "Echt?" Er nickt. "Wow." Ich fühle mich ehrlich geschmeichelt. "Ich mag es, wie du Slate darstellst. Stark aber auch zerbrochen und suchend. Und Neal … Er wirkt auf dem ersten Blick wie ein kleiner Junge, doch er hat so ein inneres Strahlen. Genau das, was Slate braucht." "Ja", sinniere ich. "So stelle ich mir die Beiden vor. Danke." "Wofür?" "Einfach so", grinse ich und stoße mich von der Arbeitsplatte ab. "Gute Nacht", wünsche ich Lucian und lächle ihn an, ehe ich nach oben verschwinde. "Nacht." Er erwidert mein Lächeln und jagt Ramsey von seinem warmen Platz am Kamin. Als ich die Tür meines Zimmers hinter mir schließe, lehne ich mich von innen dagegen und starre ins Dunkle. Ich verzichte darauf, das Licht anzuschalten und nur langsam gewöhnen sich meine Augen an die Dunkelheit. Draußen im Flur höre ich Lucians Schritte, gefolgt vom scharbenden Tapsen Ramseys. Erst als ich nichts mehr höre, laufe ich zu meinem Bett und lasse mich drauf fallen. Ich bin plötzlich so müde, dass ich auf der Stelle einpenne. *** Es ist wirklich nicht angenehm, morgens in den Klamotten des Vortags aufzuwachen. Nach einer ausgiebigen, heißen Dusche fühle ich mich schon viel besser und vor allem wacher. Als ich nur mit einem Handtuch um die Hüften aus dem Bad schlurfe und auf die Uhr schaue, erschrecke ich. "Schon halb zwölf!" Ich habe total verpennt! In Windeseile ziehe ich mich an und gehe nach unten. Es duftet schon nach Essen. 'Kochen tut Lucian anscheinend wirklich gerne', denke ich innerlich grinsend. 'Hätte ich ihm gar nicht zugetraut.' "Morgen", grüße ich ihn etwas verlegen. Mit hochgezogener Augenbraue sieht er mich an. "Morgen? Es ist fast Mittag." "Ich weiß. Hab verpennt." Lucian lacht und läuft rüber zur Kaffeemaschine. "Noch was da?" Er nickt und reicht mir die Kanne. "Danke." Damit bewaffnet schlurfe ich zum Küchentisch, wo schon eine saubere Tasse auf mich wartet. Kaum habe ich mich gesetzt, taucht Ramsey bei mir auf, der seinen großen Hundekopf auf meinen Schoß legt und leise, fiepsende Geräusche von sich gibt. "Es wird nicht gebettelt", tadelt ihn Lucian. "Er riecht das Essen und denkt, du hättest etwas für ihn." "Tut mir leid, Großer. Ist nur Kaffee." Ich lasse ihn an der Tasse schnüffeln. Beleidigt zieht er von dannen, als er merkt, dass ich nichts Besseres als in Wasser getunkte Bohnen für ihn habe. "Es hat aufgehört zu schneien", bemerke ich und schaue zur Terrassentür. "Oh shit." "Jepp", brummt Lucian und setzt sich mir gegenüber. "Wir sind eingeschneit." Tatsache! Der Schnee türmt sich fast einen Meter vor der Terrassentür auf. Draußen, auf der Wiese hinterm Haus, liegt er bestimmt noch höher. "Und jetzt?", frage ich mehr mich selbst, als Lucian, der jedoch antwortet. "Abwarten und Kaffee trinken." Er zuckt mit den Schultern. Ich rutsche unruhig auf meinem Stuhl hin und her. Eingeschneit mit Lucian Harvest mitten im Wald. Ich weiß nicht, ob mir das gefallen soll, auch wenn wir uns endlich besser verstehen als zu Anfang. Aber übermorgen ist Weihnachten und eigentlich sollte ich morgen schon wieder von hier abreisen. "Nervös?" Er hat allem Anschein nach bemerkt, dass ich angesichts der Schneeberge da draußen unruhig werde. "Was machen wir, wenn der Schnee bis zu den Feiertagen nicht weg ist?", frage ich. "Nichts gegen dich, aber ich würde Weihnachten gern bei meiner Familie sein." Lucian bleibt gelassen, was mich fast schon wieder in Rage bringt, und zuckt nur mit den Schultern. "So ein Mist! Ich muss bei meinen Eltern anrufen. Und nochmal bei Billy." Ich krame mein Handy aus der Hosentasche und fluche. Kein Empfang! "Damit wirst du kein Glück haben", sagt Lucian. "Beim Sturm hat es anscheinend doch mehr Telefonmasten erwischt, als gedacht. Per Radio ist der Notstand ausgerufen worden. Die Festnetzleitung ist auch immer noch tot." Leicht panisch lege ich das Handy auf den Tisch. "Und was mache ich jetzt?" Wieder nur ein Achselzucken. "Toll! Meine Eltern werden sich eine Menge Sorgen um mich machen, wenn ich weder bei ihnen auftauche, noch mich bei ihnen melde." "Ich habe ein Funkgerät hier." Bitte?! "Und was soll ich damit?" Ich kann meinen Eltern ja schlecht eine Nachricht aufs Telefon funken. "Ich könnte einem Bekannten die Nummer deiner Eltern durchgeben, damit er ihnen Bescheid sagen kann wo du bist. Er wohnt näher an der Stadt. Die Chance, dass er Netz hat, ist größer." Wäre eine Möglichkeit … Wahrscheinlich auch meine Einzige. Oder ... "Und könnte der mir einen Wagen herschicken?" Lucian lacht und schüttelt mitleidig den Kopf, als würde er mit einem dummen Kleinkind reden, das die Welt noch nicht versteht. "Hier kommt so schnell keiner durch. Es sei denn, mit einem Heli, aber selbst das wäre zu gefährlich." "Scheiße." Ich lehne mich mit verschränkten Armen seufzend gegen die Stuhllehne. "Schön. Sagen wir deinem Bekannten Bescheid." Keine halbe Stunde später hocken wir in Lucians Keller vor einem eckigen, graugrünen Kasten. Er spielt eine Weile damit herum, was dem Ding furchtbare Töne entlockt, als er den Knopf an dem Sprechding drückt und zu reden beginnt. "Liam? Bist du da?" Es knackt, aber kein Liam. "Liam?" Wieder ein Knacken, dann ein ekelhaftes Rauschen. Ob das was wird? "Liam", wiederholt Lucian. Diesmal mit Erfolg. /Lucian? Hey!/, meldet sich eine verzehrte Männerstimme. /Alles klar bei dir?/ "Ja, alles bestens", antwortet Lucian. "Aber wie du weißt, sind wir hier draußen eingeschneit. Und die Leitungen sind noch alle tot. Könntest du für meinen Gast eine Nachricht weitergeben, falls du raustelefonieren kannst?" /Klar. Kein Problem./ Ich atme erleichtert aus. Lucian gibt diesem Liam die Nachricht für meine Eltern durch und deren Telefonnummer. /Um siebzehn Uhr melde ich mich, obs geklappt hat. Schönen Gruß an deinen Besuch. Vielleicht sehen wir uns ja noch mal./ "Okay. Danke. Mach ich." Lucian stellt das Funkgerät aus und seufzt. Ich runzle die Stirn. Warum grüßt mich der Funker-Typ? Und warum will er mich vielleicht noch mal sehen? In mir dämmert eine leise Ahnung. "Wer ist dieser Liam?", frage ich frei heraus. "Klang so, als würde er mich kennen." Lucian ist schon aufgestanden und schiebt den Stuhl nach hinten. "Tut er ja auch. Schließlich war er vorgestern hier." Also doch! Mit hochgezogenen Augenbrauen deute ich mit dem Zeigefinger auf den Funkapparat. "Das eben war dein Fickstück?" Lucian runzelt die Stirn und ich trete mir in den Hintern. Wenn Blondi doch sein Freund ist, dann habe ich soeben total bei ihm verschissen. "Sieht so aus", grunzt er unfreundlich und lässt mich einfach sitzen. Oh verdammt! Auf dem Weg nach oben überlege ich mir schon mal eine gute Entschuldigung. Bloß fällt mir nichts Gescheites ein. Oben an der Treppe erwartet mich Ramsey schwanzwedelnd. Ich tätschle seinen Kopf im Vorbeigehen und halte nach Lucian Ausschau. Abermals finde ich ihn im Wohnzimmer mit einem Buch in der Hand. "Es tut mir leid", murmle ich kleinlaut und bleibe unschlüssig neben der Couch stehen. "Ich wollte weder dich noch deinen Freund beleidigen." Doch. Wollte ich und habe ich. Jedenfalls was Blondi betrifft. Und auch wenn Liam meinen Eltern über meine Lage Bescheid gibt, kann ich ihn dennoch nicht leiden. Der erste Eindruck von ihm war einfach zu … bescheiden. "Geht mich ja auch nichts an." "Da hast du recht", entgegnet Lucian, klappt lautstark das Buch zu und sieht mich an. "Und weil dich mein Sexualleben so brennend zu interessieren scheint, Liam ist nicht mein Freund, sondern ein Freund. Ein sehr guter, um genau zu sein." Mein Gesicht fängt Feuer und ich komme mir auf der Stelle unfassbar bescheuert vor. Gleichzeitig aber auch ein wenig erleichtert. Warum auch immer. Trotzdem schäme ich mich in Grund und Boden. "Okay", antworte ich. "Verstanden." Ich trete beschämt den Rückzug an. Es ist wohl das Beste, wenn ich in mein Zimmer gehe und erst wieder rauskomme, wenn der Schnee endlich die Wege wieder frei gibt, damit ich nicht noch größeren Mist verzapfen kann. Hinterher kann ich unsere Zusammenarbeit komplett vergessen ... "Himmel noch eins!", höre ich Lucian hinter mir auf einmal zetern. "Bringen wir es hinter uns, damit endlich Ruhe ist!" Was? Verwirrt bleibe ich neben der Treppe stehen und drehe mich halb zu Lucian um. Dieser kommt geradewegs mit ausladenden Schritten auf mich zu und sieht mich mit einem sehr merkwürdigen Gesichtsausdruck an. Ich komme mir vor wie ein Reh im Scheinwerferlicht eines heranbrausenden Autos, unfähig mich zu bewegen. Schon steht er vor mir, packt mich mit einer Hand an der Schulter, drückt mich gegen das Geländer der Treppe und umfasst mit der anderen Hand mein Kinn. Völlig perplex sehe ich Lucians Gesicht immer näher kommen bis … Scheiße! Seine Lippen pressen sich auf meine während er mich weiterhin mit diesem beinahe angsteinflößenden Blick anstarrt. Was soll denn das jetzt plötzlich?! Zuerst rühre ich mich nicht, kann ich auch gar nicht, so erschrocken bin ich über diese Attacke. Doch dann hebe ich meine Arme, lege sie auf seine Brust und drücke. So fest ich kann. Er soll damit aufhören! Der hat sie doch nicht mehr alle! Als er nicht auf meine schiebende Hände reagiert werde ich nachdrücklicher und schlage ein paar Mal gegen seine Schultern. Das wirkt. Lucian rückt von mir ab und blickt entgeistert drein. "Hast du sie noch alle?!", kacke ich ihn wütend an und schon macht sich meine linke Hand selbstständig und visiert Lucians Wange an. Den Schlag hat er definitiv nicht kommen sehen. "Denkst du etwa, ich bin eines deiner billigen Fickstücke?!" Ich bin so sauer! Doch Lucian steht einfach nur da, hält sich seine rechte Wange und glotzt wie ein überfahrenes Eichhörnchen. Das nutze ich aus, schlängle mich an ihm vorbei und jage kopflos die Treppe hinauf. Ich will nur noch in mein Zimmer! *** Der Morgen naht. Man kann schon das erste schwache Licht zwischen den Baumkronen erahnen. Und noch immer liege ich in meinem Bett und bin hellwach. Seit dem 'Vorfall' vorgestern Mittag, habe ich das Zimmer nur einmal verlassen. Gestern Vormittag, als ich vom Fenster aus Lucian draußen mit Ramsey im Garten herumlaufen sah, und habe mir aus der Küche einen kleinen Vorrat an Essen und Wasser organisiert. Danach habe ich mich wieder in meinem Zimmer eingeigelt und den Rest des Tages damit verbracht, an meinem Handy zu hängen, um doch noch irgendwie einen Fitzel Empfang zu bekommen, aber Pustekuchen. Ich will hier weg! Und dass am liebsten, ohne nochmal unter Lucians Augen treten zu müssen. Inzwischen sind mir sogar die Zeichnungen egal. Die kann er von mir aus behalten. Den Rest können sowieso unsere Agenten miteinander aushandeln. Selbst falls doch noch etwas an meinen Zeichnungen abgeändert werden muss. Ich komme mir ja so dämlich vor! Und ich schäme mich. Wie konnte ich ihm nur eine Backpfeife verpassen! Aber wieso küsst mich dieser Vollpfosten auch einfach so aus heiterem Himmel? Kein Wunder also, dass ich ihm eine gelangt habe! … Trotzdem. "Ach, Scheiße!", brumme ich ins Kopfkissen und drehe mich auf die andere Seite. Jetzt muss ich allerdings die Tür anstarren, was ich den letzten Tag schon genug getan habe. Ein paar mal glaubte ich Lucian auf der anderen Seite vorbeilaufen zu hören. Bildete mir sogar ein, er würde davor stehen bleiben, aber weder ein Klopfen noch seine tiefe Stimme waren zu hören. Naja. Wahrscheinlich habe ich mir das nur eingebildet oder geträumt. Warum sollte er auch vor meiner Zimmertür herumschleichen? Um sich zu entschuldigen? Angebracht wäre es. Allerdings müsste ich mich dann bei ihm für die leicht überzogene Ohrfeige und die unschönen Worte entschuldigen … Ich ziehe mir die Bettdecke über den Kopf. Das alles ist mir ja so peinlich! Wieso will das mit uns einfach nicht klappen? Als scheint ein Fluch auf unsere Zusammenarbeit zu liegen, obwohl es doch vorgestern so gut geklappt hat. Entweder, wir können wirklich nicht miteinander, oder irgendwas stimmt nicht mit uns. Oder mit einem von uns. 'Alles nur wegen Blondi!' Wäre der Typ bloß niemals aufgetaucht! Nur Liam ist Schuld! Seit der Kerl auf der Matte stand, lief alles schief … Obwohl Lucian mich davor ignoriert hat … Vielleicht stimmt etwas mit ihm nicht. Seine Eigenbrödlerei bekommt ihm bestimmt nicht gut. Das wird's sein. Außerdem hat er ein großes Talent dafür, mich auf hundertachtzig zu bringen. Wie auch immer er das schafft. 'Schade. Dabei kann er so nett sein …' Unweigerlich muss ich an den Kuss denken und streiche mir dabei unbewusst über die Lippen. Gar nicht gut! Also nicht der Kuss an sich, ich meine, dass ich schon wieder daran denken muss. "Fuck!" Ich drehe mich zappelnd wieder auf die andere Seite. "Wieso hat dieser Idiot das gemacht?" Mir will einfach keine plausible Antwort darauf einfallen. Ich beiße mir auf die Unterlippe und zwinge meine Gedanken an etwas anderes zu denken. An den leckeren Gänsebraten meiner Mutter. Den ich dieses Jahr höchstens aufgewärmt vor die Nase gesetzt bekomme. Ein Klopfen schreckt mich auf. Ich muss eingeschlafen sein. "Nate?" Lucian. Diesmal ist es keine Einbildung. Er steht tatsächlich vor meiner Tür. "Bist du wach?" Ich bringe kein Wort heraus. Er seufzt. "Okay. Dann hör einfach zu, ja?" Zuhören kann ich. Kein Problem. Neugierig setze ich mich auf und ziehe die Beine an meinen Körper, während ich gebannt auf die geschlossene Zimmertür starre. "Ich dachte, es wäre doch bescheuert, wenn du am Heilig Abend hier allein im Zimmer hockst und ähm … Also ich habe für heute Abend eine Kleinigkeit gekocht, falls du Hunger hast und …" Wieder ein Seufzen. Diesmal hört es sich irgendwie resigniert an. "Lass uns über alles reden und dann bitte einfach vergessen. Ich erkläre dir alles, aber das kann ich nicht mir einer Tür vor der Nase. Um achtzehn Uhr esse ich. Es wäre schön, wenn du runter kommen würdest." Es raschelt leise. Was tut er da? "Es ähm … ich habe auch eine Kleinigkeit für dich." Was? "Na ja. Also …" Stille. Ich bleibe versteinert auf dem Bett sitzen und höre, wie Lucian nach unten geht. Ich weiß nicht warum, aber mein Herz schlägt mir bis zum Hals. War das eben eine Entschuldigung? So 'ne Art Friedensangebot? Supi! Jetzt fühle ich mich erst recht elend. Ich überlege, was ich tun soll, komme dann zu dem Schluss, dass ich mich vorerst lange genug hier eingeigelt habe und schäle mich aus dem Bett. Jetzt, wo er den ersten Schritt gewagt hat, wäre es dämlich von mir, sein Friedensangebot nicht anzunehmen. Obwohl das bedeutet, dass ich mich auch bei ihm entschuldigen muss. Die Ohrfeige war echt zu viel, fürchte ich ... Im Bad mache ich mich schnell frisch, suche mir Kleidung raus, die noch einigermaßen frisch ist und verlasse das Zimmer. Doch bevor ich auch nur richtig den Flur betrete, stoßen meine Füße gegen etwas. Ich schaue runter und ziehe überrascht die Augenbrauen nach oben. Ein Geschenk? Zögernd hebe ich das flache, rechteckige Päckchen auf und muss grinsen. Es ist in Zeitungspapier eingepackt. Darauf steht mit blauem Edding geschrieben: Hatte kein Geschenkpapier. Oh Mann! Wer kann da denn noch lange sauer sein? Kurz überlege ich, ob ich runter gehen soll, entscheide mich aber dafür, wieder zurück in mein Zimmer zu gehen. Ich muss mir auch eine Kleinigkeit für ihn einfallen lassen. Schließlich ist Weihnachten und wenn er schon so nett ist und mir etwas schenkt, käme ich mir blöd vor, ohne was in den Händen vor ihm zu stehen. Nur was könnte ich ihm schenken? Bis auf einen Koffer voll dreckiger Wäsche habe ich nichts bei mir und die mag er sicher nicht haben. Also was könnte ich …? Meine Mundwinkel ziehen sich nach oben. Mir kommt da so eine Idee … ****** Ob die beiden Raufbolde es diesmal hinbekommen? So ganz überzeugt bin ich ja noch nicht. Und ihr? Schönen dritten Advent euch allen ^^ Ich verziehe mich jetzt und stürze mich in meine Weihnachtsdeko. Irgendwer muss ja mal langsam das Haus zum Glitzern bringen xD Tschööö! Kapitel 4: Kapitel 4 - Geschenke auspacken ------------------------------------------ Wie der Titel schon sagt, geht es jetzt endlich ans Auspacken! Der Geschenke natürlich ;P Schönen vierten Advent! Kapitel 4 - Geschenke auspacken "Klopf, klopf." Verlegen lächelnd bleibe ich unten neben dem Treppengeländer stehen und schaue zu Lucian, der im Wohnzimmer vor dem Kamin kniet und Holz nachlegt. "Hey." Er dreht sich um und lächelt mich an. "Schön, dass du dich aus dem Zimmer getraut hast." Ich bin erleichtert, dass Lucian mir nicht mehr böse zu sein scheint. "Wie hätte ich da widerstehen können?", frage ich ihn grinsend und halte das Geschenk hoch, das er mir vor die Tür gelegt hat. "Du hast es noch nicht ausgepackt?" Belustigt kommt Lucian zu mir geschlendert. "Noch ist nicht Weihnachten." Ich gebe ihm das Päckchen und zudem noch ein weiteres. Fragend schaut er die bonbonförmige Rolle an. "Für dich. Ich musste improvisieren, aber ich hoffe, es gefällt dir." Er fängt an zu lachen und dreht es in seiner Hand, während er es schräg ansieht. "Toilettenpapier und äh … Zahnseide?" "Hatte kein Geschenkpapier", wiederhole ich seine geschriebenen Worte. Abermals lacht er und legt die beiden Päckchen auf den Küchentisch. "Hunger? Oder hast du noch mehr Vorräte oben gebunkert?" Seine Mundwinkel zucken frech. Er hat also mitbekommen, dass ich Lebensmittel gemopst habe. "Eigentlich ja, aber gegen einen frisch aufgebrühten Kaffee hätte ich nichts einzuwenden." Ich habe schon Entzugserscheinungen. Lucian wirft die Kaffeemaschine an und setzt sich dann zu mir an den Tisch. "Der Kuss tut mir leid", beginnt er sogleich und beißt sich auf die Unterlippe, was mich für eine Millisekunde ins Straucheln geraten lässt. Stirnrunzelnd schüttle ich dieses Gefühl ab und setze ein dünnes Lächeln auf. "Wow. Bisher hat sich noch niemand bei mir für einen Kuss entschuldigt." "Du weißt, wie ich das meine. Ich hätte dich nicht so überfallen dürfen." Das stimmt. Ganz gentlemanlike war seine Attacke nicht. "Und wieso hast du es dann getan?", frage ich ihn und schiebe meine Entschuldigung für die Ohrfeige beiseite. Das kann ich später immer noch machen. Lucian atmet tief ein, während hinter ihm die Kaffeemaschine zu gurgeln und zu dampfen anfängt. "Ich dachte, es läge eine Spannung zwischen uns und wollte sie auf diese Weise abbauen." Bitte was? "Eine Spannung? Zwischen uns?" Ich zeige mit dem Zeigefinger zwischen ihm und mir hin und her. Lucian macht einen bedröbbelten Eindruck. "Na weil du ständig auf Liam herumgeritten bist. Da muss ich etwas falsch verstanden haben. Tut mir leid. Sowas passiert mir andauernd." Grinsend lehne ich mich zurück. "Wenn, dann ist Liam ja wohl auf dir geritten." Den konnte ich mir nicht verkneifen. Lucian brummt nur und steht auf, um die Kaffeekanne zu holen. "Das war ein Scherz", merke ich an, als er wieder vor mir sitzt. "Fein." Ich verdrehe die Augen. Ist er etwa wieder eingeschnappt? Um die aufkommenden Wogen wieder zu glätten, entschuldige ich mich bei ihm für die Ohrfeige. "Ich weiß, das war nicht die feine, englische Art, aber wenn du das nächste mal jemanden aus heiterem Himmel küsst, achte bitte darauf, dass der Andere das auch will. Ansonsten fängst du dir wahrscheinlich wieder eine ein." "Werd's mir merken." Endlich lächelt er wieder. "Und wegen Liam. Wir sind Freunde. Freunde, die hin und wieder miteinander ins Bett gehen. Mehr ist da nicht." "Okay." Ich weiß ehrlich nicht, ob mich das erleichtern soll, oder nicht. Nach kurzem Nachdenken beschließe ich, dass ich versuchen werde, mir darum keinen Kopf mehr zu machen. Was soll es mir auch bringen? Nur noch mehr dicke Luft zwischen mir und Lucian. Und das will ich auf keinen Fall mehr. Wir schweigen für eine Weile, schlürfen Kaffee und hören dem Song im Radio zu. Ramsey hat es wieder auf mich abgesehen, weshalb ich gedankenverloren durch sein raues Nackenfell kraule. "Apropos Liam", fällt mir dabei ein. "Hat er sich gemeldet? Ob er meine Eltern erreicht hat?" Er wollte doch Bescheid geben. "Ja, hat er. Alles bestens. Deine Eltern sind informiert und richten dir liebe Grüße und ein schönes Weihnachtsfest aus." Ich bin erleichtert. "Hattest du eigentlich Pläne für die Feiertage?", möchte ich von ihm wissen. Ramsey hat derweil genug von mir und tapselt ins Wohnzimmer auf seinen gemütlichen Platz am Kamin. "Nö. Für mich sind das Tage wie jede andere." Ich schaue ihn mitleidig an, was er auch bemerkt. "Guck nicht so. Mir macht das nichts aus. Weihnachten war für mich noch nie was Besonderes. Genau wie Silvester oder Ostern." Abermals überlege ich, was dieser Kerl in seiner Vergangenheit erlebt haben muss. Fragen mag ich ihn das natürlich nicht. Ich sollte ihn ablenken. "Also kein Weihnachtsbaum wo wir die Geschenke drunter legen können?" Lucian lacht. "Nein. Eher nicht." Ich ziehe eine Schnute. "Schade. Ich mag Weihnachtsbäume. Je mehr sie funkeln, desto besser." "Leg sie vor den Kamin. Der funkelt auch", zieht Lucian mich auf. "Besonders, wenn Ramsey seinen Prachtkörper dort parkt", lache ich und Lucian stimmt mit ein. *** Der restliche Tag verlief endlich wieder entspannt. Lucian und ich nahmen nochmal sein Skript und meine Zeichnungen hervor, gingen alles ein weiteres mal durch und bleiben am Ende dabei: Perfekt. Nun hocke ich neben Ramsey, bürste sein dickes Fell, was diesen genüsslich grunzen, und immer wieder von einer zur anderen Seite rollen lässt. Lucian klappert derweil in der Küche herum. Es duftet schon verdammt lecker und mein Magen zieht sich knurrend zusammen. "Was machst du da eigentlich?", rufe ich ihm zu und lege die Bürste beiseite, was Ramsey überhaupt nicht toll findet und beginnt, an meiner Hand zu lecken, ehe ich aufstehe und rüber zum Küchenbereich laufe. "Kartoffelauflauf mit Spinat und Ei", antwortet er mir. "Kein Reh?" Neugierig betrete ich den Küchenbereich. "Nein", schmunzelt Lucian und öffnet den Ofen. "Extra vegetarisch für meinen Gast." "Ich bin beeindruckt." Er gibt sich richtig Mühe. Um nicht völlig unnütz zu sein, fange ich an den Tisch zu decken. Unterdessen schleppt Lucian die heiße Auflaufform herbei. "Ich habe noch die halbe Flasche Rotwein da. Magst du?" Ich nicke und nehme zwei Weingläser aus dem Schrank, die ich Lucian hinhalte, damit er sie füllen kann. Als wir uns hingesetzt haben, stoßen wir miteinander an. "Na dann auf einen schönen und vor allem friedlichen Weihnachtsabend", grinse ich. "Ebenfalls." Der Auflauf ist total lecker. Lucian kann wirklich hervorragend kochen, das muss man ihm lassen. Genüsslich leere ich meinen Teller. Es herrscht eine angenehme Stille. Das Kaminfeuer prasselt und die leise Radiomusik sorgt für eine entspannte Atmosphäre. Vollgegessen schiebe ich den leeren Teller von mir. "Boah. Ich bin so satt!" Lucian schmunzelt und legt sein Besteck auf den ebenfalls geleckten Teller. "Also willst du keinen Nachtisch?" "Nachtisch?" Lucian grinst frech, steht auf und räumt unsere Teller ab. "Du kochst unglaublich gut, machst Nachtisch, schreibst unfassbar fesselnde Romane … was kannst du eigentlich nicht?", frage ich ihn. "Da gibt es einiges", meint er und geht an den Kühlschrank. "Zeichnen zum Beispiel. Oder meine Steuererklärung. Ich bin froh, dass ich das an so talentierte Hände wie dich abgeben kann." Schleimer! Aber es bauchpinselt mich, das muss ich zugeben. "Wenn du mich deine Steuererklärung machen lässt, bist du aber innerhalb kürzester Zeit pleite, mein Lieber", foppe ich ihn. "Echt? So ein Mist! Die wollte ich dir gleich nach dem Nachtisch aufs Auge drücken." Er grinst schräg und drapiert eine runde Glasschüssel in der Mitte des Küchentisches. "Schokopudding?" "Jepp. Mit Sahne." Neben die Schüssel taucht eine Sprühdose auf. "Leider nur aus der Dose und der Pudding ist auch eine Fertigmischung. Mehr hatte ich nicht da." Lucian kratzt sich verlegen am Kopf, ehe er sich wieder setzt und mir einen großen Löffel zuschiebt. "Das sieht total lecker aus", beruhige ich ihn, weil es mich ehrlich rührt, dass er sich so viel Mühe gemacht hat. Fertigmischung oder nicht, der Pudding schmeckt tatsächlich sehr lecker. Und mit Sahne kann man mich so gut wie immer glücklich machen. Als die Schüssel fast leer ist und wir uns bauchreibend gegenüber sitzen, entfleucht mir ein gequältes Stöhnen. "So voll war ich noch nie", jammere ich. Lucian runzelt für einen Moment die Brauen, dann lacht er laut auf. So laut, dass sogar Ramsey angewatschelt kommt, um zu schauen, was los ist. "Was?", will ich belämmert von ihm wissen. "Nichts", grinst er frech. "Mein Weingetränktes Hirn ärgert mich nur." Was soll ich denn davon nun halten? "Lust auf einen Schluck Hochprozentiges? Zum Magenaufräumen?" Warum nicht? Ich nicke, immer noch leicht konfus über Lucians plötzlichen Heiterkeitsausbruch. Was auch immer sein Wein-Hirn sich ausgedacht haben kann. Er stellt mir ein kleines Schnapsgläschen vor die Nase, genau wie sich selbst. In seiner anderen Hand hält er eine schmale Glasflasche. Der Inhalt ist klar, sieht aber schwer nach etwas Selbstgebrannten aus. "Was ist das?", frage ich skeptisch. "Medizin für unsere vollen Bäuche." Lucian zwinkert mir verschwörerisch zu. "Ich weiß nicht, ob mir dein angetrunkenes Ich gefällt", gebe ich zu bedenken. Mein Alkoholpegel hält sich noch in Grenzen. Ich hatte aber auch nur ein Glas, während er den ganzen Rest intus hat. "Finden wir es heraus", grinst er und schenkt erst mir, dann ihm etwas von dem klaren Zeug ein. Die Alkoholfahne lässt mir Tränen in die Augen treten. Dabei steht das Gläschen noch ganz unschuldig und unberührt vor mir. "Fuck! Was ist das? Brennspiritus?" Ich verziehe das Gesicht und hebe das Glas vorsichtig mit zwei Fingern an, damit ich nichts verschütte. Lucian war beim Einschenken mehr als großzügig. Er lacht nur und schüttet sich das Zeug hinter die Binde. Dabei verzieht er nur leicht das Gesicht. Ich weiß nicht, ob mich das jetzt zuversichtlich stimmen soll. 'Na gut. Augen zu und runter damit', sporne ich mich selbst an und kippe den Inhalt des Glases meine Kehle hinunter. "Boha!" Mein Hals und meine Speiseröhre fangen Feuer. Mein Gesicht fühlt sich an, als würde es sich wie eine implodierende Sonne in sich zusammenziehen. "Widerlich!", schimpfe ich schüttelnd und knalle das Glas auf den Tisch. "Nach dem dritten, vierten Glas fängt es an zu schmecken", lacht Lucian frech und schüttet mir wieder was von dem ekelhaften Gebräu ein. "Nichts da! Davon nehme ich keinen Schluck mehr!" *** Kichernd lehne ich mich gegen Lucians linke Schulter und verleibe mir einen weiteren Schluck von seinem Selbstgebrannten ein. Er hatte Recht. Nach dem dritten Glas schmeckt das Zeug ganz passabel. Nach dem fünften ist es sogar verdammt süffig. Ich beuge mich vor und stelle das winzig-kleine Gläschen auf den Couchtisch vor uns. "Nichts mehr?" Lucian wedelt mit der halbleeren Flasche. "Nee." Ich schüttle den Kopf. Etwas heftiger als gewollt. "Der Seegang auf deiner Couch wird mir langsam zu heftig." Lucian lacht leise. "Weißt du, dass du ein wunderschönes Lachen hat?" Öhm ... Habe ich das gerade wirklich laut gefragt? "Habe ich?" Lucian Grinsen wird immer breiter. "Ohh ja!" Irgendwo in meinem Hinterkopf schlage ich mir selbst gegen die Stirn und bete, dass ich einfach umfalle und in einen tiefen Alkoholschlaf falle. Leider erfüllt sich diese Hoffnung nicht und der letzte Rest meines klaren Verstandes muss hilflos mit ansehen, wie ich mich zu Lucian beuge und kichere wie ein kleines Schulmädchen. "Un.. und du küsssst gud", kommts auch schon verwaschen aus meinem Mund, ehe ich aufstoßen muss. Ich blinzle ein paar mal, um Lucians Gesicht vor mir wieder scharf stellen zu können. Hihi. Scharf. Ja, der Kerl ich definitiv scharf. "So scharf …" Ich falle wie ein nasser Sack gegen Lucians Brust, die Lippen gespitzt, treffe aber zum Glück nicht seinen Mund, sondern sein Kinn. Schlimm genug. Was war nur in diesem verfluchten Schnaps drin?! Das Nächste, das ich wieder mitbekomme, ist etwas warmes, raues, das mir über Wange und Gesicht fährt. Es riecht widerlich! Irgendwas zwischen Verwesung und nassem Fell. 'Ramsey!' Der verdammte Köter leckt mir übers Gesicht! Unkoordiniert versuche ich ihn von mir weg zu schieben. Wie kommt der überhaupt in mein Zimmer? Schmerz explodiert hinter meinen Augen, als ich versuche, sie zu öffnen. "Na? Aufgewacht meine lallende Prinzessin?" Eindeutig Lucian. Verwirrt stemme ich mich in eine sitzende Position und stelle fest, nachdem ich endlich die Augen für wenige Sekunden aufbekomme, dass ich auf der Couch gelegen habe. "Was ist passiert?", frage ich mit brüchiger Stimme und räuspere mich ein paar mal. "Willst du das wirklich wissen?", brummt Lucian und setzt sich vor mir auf den Tisch. Die Ellenbogen auf seine Knie gestützt, sieht er mich amüsiert an. "Habe ich was angestellt?" Bitte nicht! "Das kann man wohl so sagen." "Oh nein!" Ich verstecke mein Gesicht in den Handflächen was Ramsey wieder auf den Plan ruft. Wenigstens leckt er nun über meine Fingerknöchel und nicht an meinem Gesicht herum. "Hätte ja nicht gedacht, dass dich so ein bisschen Moonshine dermaßen umknocken würde." "Bisschen?!" Ich hebe empört ruckartig den Kopf und bereue es sofort. "Au!" Mein Kopf! "Wie viel Umdrehungen hatte das Zeug überhaupt?" "Weniger als mein Pflaumenschnaps", antwortet er bloß schmunzelnd. Ich seufze und schwinge vorsichtig die Beine von der Sitzfläche. "Ich kann mich an gar nichts mehr erinnern", jammere ich, was nicht ganz stimmt. An eins erinnere ich mich noch, und das bringt meinen Magen dazu, sich unschön zu verknoten. "An wirklich gar nichts mehr?", fragt Lucian mich. "Nur noch, dass wir hier gesessen haben und ich irgendeinen Unsinn geredet habe. Aber danach, alles schwarz." Mein Lieblingsautor seufzt. "Soll ich dich erleuchten?" "Ich weiß nicht, ob ich es wirklich wissen will." Ich schäme mich jetzt schon genug. "Na ja", sagt Lucian gedehnt. "Da sind ein paar Dinge vorgefallen, die mich sehr nachdenklich gemacht haben." "Ach ja?" Meine Stimme klingt dünn und fiepsig. "Die Kurzfassung?" Ich überlege eine Weile, schließlich nicke ich schwach. Warum es nicht hinter mich bringen? Lucian bleibt regungslos vor mir auf dem Tisch sitzen, während er beginnt von letzte Nacht zu berichten. An den Anfang kann ich mich ja noch ganz gut erinnern. Bis zu dem Punkt, wo mein misslungener Kussversuch an seiner breiten Brust geendet hat. Meine Birne leuchtet jetzt schon sicherlich so rot wie die Kugeln am Weihnachtsbaum meiner Eltern. Aber es kommt noch schlimmer. "Ich konnte dich kaum noch unter Kontrolle bringen", erinnert Lucian sich. "Du hast dich kichernd gegen mich gepresst, immer wieder was von sexy und scharf gehickst und hast versucht mir das Hemd hochzuschieben." "Oh Gott!" Ich will hier weg! "Als ich dich dann endlich soweit hatte, wieder von meiner Kleidung abzulassen, hast du angefangen über Liam zu schimpfen. Warum ich ihn ranlasse, dich aber nicht." Bitte lass mich unsichtbar werden! Oder so klein schrumpfen, dass ich zwischen die Bodendielen kriechen, und dort sterben kann! "Die Beleidigungen werde ich jetzt besser nicht wiederholen." Zu gütig. "Das Ende vom Lied war, dass du angefangen hast zu heulen. Ab da an habe ich kaum noch ein Wort verstanden. Irgendwas mit 'warum nicht ich' und 'es ist doch Weihnachten'." Kann es noch schlimmer kommen? "Das hat erst aufgehört, als du dich lautstark über die Rückenlehne meines Sofas übergeben hast." Es kann. Ich muss schlucken. Mehrmals. "Es tut mir so leid", presse ich an dem dicken Kloß in meinem Hals vorbei. "Was tut dir leid? Dass du mich scharf findest, meinen besten Freund beleidigt hast, oder mein weißes Sofa umdekoriert hast?" "Alles", flüstere ich und vergrabe das Gesicht tiefer in meinen Handflächen. "Hm", höre ich Lucian brummen, dann wird es für eine kurze Zeit still im Haus. Nur das Knacksen des Holzes im Kamin ist zu hören. Selbst Ramsey ist ruhig, als würde er verstehen, dass ich gestern Nacht eine ziemliche Scheiße gebaut habe. Nach und nach kommen die Erinnerungen wieder zurück. Nur Bruchstückhaft, aber es reicht, um mich noch mehr zu schämen. 'Wie soll ich das nur erklären?' "Also schön", seufzt Lucian plötzlich, was mich zusammenzucken lässt. "Jetzt ist aber wirklich Schluss damit!" Ich weiß kaum wie mir geschieht, als er unerwartet meine Handgelenke packt, sie weg von meinem Gesicht zieht und seine Lippen auf meine presst. Der Schock bewirkt, dass ich nicht mehr sofort vor Scham im angrenzenden Wald flüchten möchte. Selbst dann nicht, als Lucian sich wieder von mir löst und mich durchdringend ansieht. Dabei hält er immer noch meine Handgelenke fest umschlossen. "Entweder knallst du mir jetzt wieder eine sobald ich deine Hände loslasse, oder sagst mir endlich, dass du mich wirklich willst. Dieses Hin und Her mache ich nicht mehr lange mit." Mir klappt der Unterkiefer nach unten. "Nun? Ich höre?" Lucian bleibt unnachgiebig. Es scheint ihn nicht die Bohne zu interessieren, dass gleich mein Schädel platzt. Aus zweierlei Gründen. Würde es überhaupt etwas bringen, es zu leugnen? Wie heißt es so schön? Kinder und Betrunkene sagen immer die Wahrheit. Und verdammt ja! Es war die Wahrheit. Lucian ist scharf! Und klar will ich ihn! Wer würde ihn nicht wollen? Trotzdem kann ich ihm nicht sagen, dass ich ihn will. Schon von der ersten Sekunde an wollte, als er draußen vor mir stand, mit dem Beil in den Händen, schwer atmend, verschwitzt und so verflucht männlich ... "Bekomme ich erstmal einen Kaffee", frage ich so mitleiderregend wie möglich, um so etwas Aufschub zu bekommen. "Klar." Erleichtert atme ich auf. Lucian greift hinter sich, zieht etwas zu sich nach vorn. Eine gefüllte Tasse mit Kaffee. "Hier." "… Danke." Mist! Ich schlürfe möglichst langsam und meide weiterhin Lucians Blick. "Zeit schinden wird dir auch nichts nutzen." Doppelmist! Stöhnend stelle ich die Tasse wieder auf den Tisch und reibe mir übers Gesicht. Hoffentlich sehe ich nicht so scheiße aus, wie ich mich fühle. Andererseits … Wäre gar nicht mal so schlecht. "Nate. Antworte endlich." "Ich versuche es ja", wehre ich mich. Nun ist es an ihm zu Seufzen. "Da du mir keine Ohrfeige gegeben hast, nehme ich an, du hast gestern Abend die Wahrheit gesagt", mutmaßt er drauf los. Mein Nicken ist kaum so stark wie ein Wimpernschlag, dennoch sieht Lucian es. Er stürzt die Lippen, atmet laut aus und steht auf. "Falls du Hunger hast, ich habe Frühstück gemacht. Aber vielleicht duschst du lieber erstmal. … Und putzt dir die Zähne. Du schmeckst nämlich nach Hundefutter und Kotze.", sprichts und verschwindet zusammen mit Ramsey nach draußen. Ob im Kamin genug Platz ist, um sich darin zu einer Kugel einrollen zu können? Ich habe seinen Rat beherzigt, mich lange und ausgiebig geduscht und dabei versucht, nicht an die letzten Stunden zu denken. Das Massaker, das ich an Lucians Couch hinterlassen habe, hat er anscheinend schon selbst beseitigt. Alles was noch zu sehen war, waren feuchte Flecken auf dem hellen Bezug. Da ist mal eine fette Entschuldigung fällig! "Aber eigentlich ist er ja selbst schuld dran", brummele ich, während ich mich anziehe. "Flößt mir einfach so ein Teufelszeug ein!" Ich stutze. "Moment mal!" Hat er das etwa extra gemacht? Mich abgefüllt um … Ja um was eigentlich? Um mich ins Bett zu bekommen wohl eher nicht. Sonst hätte er mich ja nicht abgewiesen, als ich ihm an die Wäsche bin. Aber was sollte das dann? Oder steckte da doch kein Plan hinter? "Oh Mann…" Ich reibe mir die Stirn und schimpfe mich einen Idioten. Meine Fantasie geht wieder mal mit mir durch. Ich sollte Lucian einfach fragen. Nur wie? Oder vielleicht besser doch nicht? Was soll der Stress auch? Inzwischen dürfte ich bei ihm total verschissen haben. Ihn schamlos angebaggert, geheult, eine Eifersuchtsszene hingelegt, seine Bude vollgekotzt. Bravo! Und das, wo wir uns gerade wieder versöhnt hatten. Langsam schlurfe ich die Treppe runter. Ich brauche noch mehr Kaffee und mein Magen knurrt auch. Zum Glück ist der Küchenbereich sowie das Wohnzimmer leer. Von draußen ist das dumpfe Schlagen von Holz zu hören. Ich habe scheinbar noch eine kleine Schonfrist bevor ich mich meinem Lieblingsautor stellen muss. Ob mich das jetzt beruhigt, kann ich nicht sagen. Ich schmiere mir eins der aufgebackenen Tiefkühlbrötchen und inhaliere erstmal zwei Tassen Kaffee, bevor ich mich daran gütlich tue. Kaum habe ich aufgegessen, kommt Lucian wieder ins Haus gestapft. Ramsey hinter ihm schüttelt sich und trappelt danach an ihm vorbei um sich erwartungsvoll vor ihm auf den kleinen Teppich zu setzen. Dort rubbelt Lucian ihm die Pfoten trocken, ehe er zu mir rübergelaufen kommt. "Es schneit schon wieder", brummt er. "Habs gesehen. So ein Mist." Ich komme hier nie weg. Jedenfalls nicht vor dem Frühling, falls das so weitergeht. 'Dann muss ich unbedingt daran arbeiten, nicht immer in solch beschissene Situationen zu kommen.' "Geht es dir besser?" Lucian zieht kratzend einen der Küchenstühle zurück und lässt sich drauf fallen. "Etwas", antworte ich. "Tut mir wirklich leid, dass ich so ... so übergreiflich war. Und dir die Couch vollgesaut habe." Oh wie kleinlaut ich mich gerade anhöre! Lucian mustert mich mit unbeweglicher Miene, sodass mir nur noch unwohler wird. Ich weiche seinem bohrenden Blick aus und rutsche unruhig auf meinem Stuhl herum. "Und?", fragt er plötzlich. "Hm?" Ich presse die Lippen zusammen und versuche zu lächeln. Klappt nur nicht wirklich, befürchte ich. "Wie lautet deine Antwort?" "Welche?", stelle ich mich dumm was bei Lucian nur einen genervten Gesichtsausdruck bewirkt. "Okay", gebe ich nach und schiebe nervös die Kaffeetasse vor mir hin und her. "Klar finde ich dich attraktiv. Und ... Na ja ... Es ist nicht so, als hätte mir der Kuss nicht gefallen." Ich räuspere mich, weil mein Hals plötzlich furchtbar trocken ist. "Ich war nur so überrumpelt." Ich höre, wie Lucian genervt ausatmet, traue mich aber nicht, ihn anzuschauen. Erst als ich Stuhlbeine über das Parkett rutschen höre, wage ich einen scheuen Blick. Lucian steht auf und kommt um den Tisch herum. Fragend blicke ich zu ihm auf und versuche etwas aus seinem Gesichtsausdruck abzulesen, doch es gelingt mir nicht. Bis auf ein Blitzen in seinen Augen ist seine Mimik unbewegt. Ich blinzele verwirrt, als er sanft unter mein Kinn greift und sich zu mir runter beugt. Sofort schlägt mein Herz schneller und mir wird schwummrig. Er wird doch nicht ... Ich halte angespannt die Luft an, sehe dabei zu, wie Lucians Gesicht sich meinem langsam nähert. "Das war nicht alles, was ich hören wollte", grollt er. Mir bleibt fast das Herz stehen. Lucians Daumen streichelt über meine Wange, sein Blick fixiert meinen. "Was denn noch?", frage ich so leise, dass ich mir nicht sicher bin, ob er mich verstanden hat. "Schlafzimmer?" Die Frage lässt mich taumeln und ich kralle mich am Tisch fest, weil ich Angst habe, vom Stuhl zu kippen. "Ich frage nicht nochmal. Letzte Chance." Fuck! Fuck, Fuck, Fuck! "Schlafzimmer", krächze ich mit dünner Stimme und bringe sogar ein Nicken zustande. Ein Lächeln umspielt Lucians Lippen und seine Augen nehmen einen dunkleren Farbton an. Er wirkt beinahe wie ein Raubtier, was mich mit einem Schlag total geil macht. Als würde die Wirkung des gestrigen Alkohols wieder einsetzen, handelt mein Körper plötzlich eigenmächtig und wirft sich Lucian entgegen. Sofort begrüßen sich unsere Lippen, pressen sich fest aneinander und scheinen gar nicht mehr ihren Kontakt lösen zu wollen. Ich fühle, wie ich von zwei starken Armen gepackt und hochgehoben werde. Meine Füße schweben kurz über den Boden, ehe ich meine Beine um Lucians Hüfte schlinge. Irgendwo höre ich Ramsey bellen. Lucian zischt ihm ein "Scht!" zu, ohne unseren Kuss zu unterbrechen, dann werde ich auch schon durch den Raum getragen. Ich klammere mich fester an den starken Körper vor mir, spüre die wachsende Erregung unter der Jeans. Ob er auch fühlt, wie hart ich gerade bin? Auf der Treppe wird es kurz etwas kniffelig und wir fangen an zu lachen, als Lucian leicht ins Straucheln gerät, sich aber wieder fangen kann. Im Flur sind wir wieder schneller unterwegs. Wir passieren mein Zimmer, lassen es hinter uns und biegen kurz danach in Lucians Schlafzimmer ab. Nur für einen winzig kurzen Moment muss ich an den Tag denken, als ich hier angekommen bin. An die Duschszene, die sich mir hier oben geboten hat. Irrsinniger weise turnt mich das jetzt sogar ziemlich an. Lucian setzt mich vorsichtig auf seinem großen Bett ab. Erst jetzt beenden wir unseren Kuss. Ich lecke mir über die schon sehr geschwollenen Lippen. "Mach das nochmal, und ich fress dich mit Haut uns Haar", brummt Lucian mit deutlich erregter Stimme. Grinsend fahre ich mir abermals mit der Zunge über die Lippen. Deutlich langsamer als zuvor. Knurrend stürzt sich Lucian auf mich, sodass ich lachend mit dem Rücken auf der Bettdecke lande. "Du hast es so gewollt", sagt Lucian, ehe er erneut über mich herfällt. Knutschend rollen wir übers Bett. Derweil versuchen wir uns ungeduldig gegenseitig von der Kleidung zu befreien. Nach und nach gelingt uns das auch, bis Lucian und ich nackt aufeinander liegen. Schwer atmend schauen wir uns an. Er auf mir, was sich unglaublich gut anfühlt. Keiner von uns sagt etwas, was auch gar nicht nötig zu sein scheint. Endlich, nach all dem Hickhack, scheinen wir uns zu verstehen. Lucian beugt sich runter zu mir, küsst mein Kinn, meine Kieferpartie, Ohr, Hals, Schlüsselbein … Stöhnend schließe ich die Augen und fühle nur noch. Heiße Schauer jagen über mich hinweg, als Lucians Zunge abwechselnd über meine Brustwarzen neckt. Ich biege mich ihm entgegen, streichle über seinen breiten Rücken und genieße das ungeduldige Pochen in meinem Unterleib. Immer tiefer rutscht Lucians neugieriger Mund, über meinen Bauch bis hin zu meinen Hüftknochen. Gespannt halte ich den Atem an, doch er scheint mich hinhalten zu wollen. Eine Gänsehaut rast über meinen Körper. Lucians warmer Atmen in meiner Körpermitte und seine rauen Hände, die langsam über meine Seiten nach oben streichen. An meiner Brust stoppen sie. Daumen kreisen gemächlich um meine Nippel, kratzen verdammt geil darüber und lassen mich immer verlangender Keuchen. "Lucian …" Ich will endlich mehr! Seine Lippen, die auf meinem rechten Hüftknochen liegen, verziehen sich zu einem Grinsen. Das kann ich deutlich spüren. "Weißt du eigentlich, wie scharf du mich die letzten Tage über ständig gemacht hast?", fragt er wispernd gegen meine erhitze Haut. "Hab ich das?", keuche ich überrascht. Auf mich wirkte er immer so distanziert. "Und wie", raunt er. "Ich musste ständig ins Bad rennen, und mir einen Hobeln, sonst wäre ich mit einem Dauerständer durch die Wohnung gerannt." Ein heißer Blitz schlägt in meinem Schoß ein, sodass mein Schwanz erfreut in die Höhe wippt. Ist das die Wahrheit? Ehe ich weiter darüber nachgrübeln kann, spannen sich plötzlich Lucians weiche, warmen Lippen um meine Eichel. Mein Denkvermögen schaltet sich ab. Ich kann nur noch fühlen, mich Lucian entgegenstrecken und lustvoll aufschreien, jedes Mal, wenn er eine besonders empfindliche Stelle an mir entdeckt. Ich bin wie im Rausch, fühle, wie er mich vorbereitet und gründlich zu dehnen beginnt. Wo er das Gleitgel her hat, weiß ich nicht, und es ist mir auch egal. Wichtig ist nur, dass er sich beeilt, denn lange halte ich das nicht mehr aus. Deshalb kann ich es auch gar nicht mehr erwarten, als ich eine Kondomverpackung knistern höre und Lucian sich kurz danach endlich auf mich legt. Ich umarme seinen Nacken, fange abermals seinen Mund ein und spüre auch schon, wie sich etwas deutlich dickeres gegen meine Öffnung drängt. Ich versuche mich zu entspannen, trotzdem ziept es hin und wieder heftig. Doch ich weiß, dass es nicht lange dauern wird, bis es sich besser anfühlt. Sehr viel besser … Lucian greift zwischen uns, reibt meine Härte, damit ich mich besser entspannen kann. Es hilft. Mit einem mal rutscht er komplett in mich und wir stöhnen beide laut auf. "Endlich", flüstert Lucian gegen meine Lippen, was mich grinsen lässt. "Das Selbe könnte ich auch sagen." "Warum hast du es mir nicht schon eher gesagt?" "Warum hast du es mir nicht schon eher gesagt?", frage ich retour. "Aus dem selben Grund wie du, nehme ich an." "Kann gut sein." Sehr wahrscheinlich sogar. "Egal", finde ich und wackle mit meinem Hintern. Lucian versteht und zieht mich fester an sich, bevor er sich wieder langsam aus mir zurückzieht. Ich schließe die Augen und lege den Kopf in den Nacken. Schon der erste Stoß lässt mich Sterne sehen und es dauert nicht lange, da komme ich Lucians Bewegungen mit meinem Becken verlangend entgegen. Seine Stöße werden fester und schneller. Immer wieder trifft er dabei das kleine Nervenbündel, das mir die unglaublichsten Gefühle durch den Körper rasen lässt. Als ich kurz davor bin hebe ich meine Beine an, kreuze sie über Lucians Rücken und versuche ihn noch tiefer in mich zu dirigieren. Er hilft mir dabei, packt mit einer Hand meinen Hintern und hebt mich weiter an. Ich schreie auf, werfe den Kopf in den Nacken und fühle, wie sich alles in mir zusammenzieht. Mein Orgasmus überrollt mich so heftig, dass sogar meine Muskeln zu krampfen anfangen. Lucian keucht dröhnend, beißt mir in den Hals und schlägt in kurzen, festen Abständen in mich. In mir spüre ich seinen Schwanz zucken, als auch er seinen Höhenpunkt kurz nach mir erlebt. *** Es dämmert schon draußen. Trotzdem liegen wir noch im Bett. Ich, meinen Kopf auf Lucians Brust gebettet und lasse meine Finger durch sein raues Brusthaar streifen, er, seinen Arm um mich geschlungen kitzelt seine Hand immer wieder meine Seite entlang. Ich seufze wohlig, hänge immer noch gedanklich den vergangen Stunden nach. Und was waren das für Stunden! Es gab so verdammt viel, was ich mit ihm ausprobieren, schmecken und berühren wollte. Und er war mit einem Feuereifer dabei, dass es mir fast den Verstand geraubt hat. Immer wieder musste ich mich zwicken, um zu wissen, dass ich nicht träume. Jetzt sind wir beide vollauf befriedigt und überaus müde. So ein Tag im Bett kann ganz schön schlauchen. Ich höre, wie Lucian leise seufzt. "Was ist?", frage ich gähnend und drücke meine Nase gegen Lucians warme Haut. "Ramsey. Er winselt. Sicher muss er mal raus." Oh je! Den habe ich total vergessen. Lucian schält sich unter mir hervor und steht auf. Schmachtend lasse ich meinen Blick über seinen Körper, besonders über seinen Knackpo, wandern. Trotz der kraftraubenden Stunden zuvor bekomme ich sofort wieder Lust. Ich muss bekloppt sein! Oder süchtig. Wahrscheinlich beides. Er schlüpft in seine Jeans, ohne sich vorher eine Shorts angezogen zu haben und zieht sich seinen dicken Pulli über den Kopf. "Bin gleich wieder da", verspricht er mir und gibt mir einen Kuss. Einen sehr langen Kuss … Als er das Schlafzimmer verlassen hat, drehe ich mich schnurrend auf den Rücken. Was für ein Tag! Und wer hätte damit rechnen können?* 'Das perfekte Weihnachtsgeschenk', denke ich belustigt. Doch da fällt mir noch was ein! Apropos Weihnachtsgeschenk. Da war doch noch was! Ich steige eilig aus dem Bett, übergehe dabei das gemeine Zwicken in meinem Hinter, ziehe mir meine Shorts über und rase nach unten in die Küche, wo zwei sehr schlecht verpackte Geschenke nur darauf warten, von uns geöffnet zu werden. Ich nehme sie von der Anrichte und setzte mich damit im Wohnzimmer vorsichtig auf die Couch. Weil der Kamin leider nur noch leicht glüht, wickle ich mich in die weiche Wolldecke ein, die auf der Seite liegt und warte, bis Lucian wieder zurückkommt. Lange dauert das zum Glück nicht. "Mensch! Wir haben sicher einen halben Meter Neuschnee dazubekommen", flucht er und klopft sich die Jacke bei geöffneter Terrassentür vom Schnee frei. Ramsey wartet, bis er an der Reihe ist. "Anscheinend muss ich wirklich noch etwas länger bleiben", überlege ich laut. Lucian dreht seinen Kopf zu mir. "Schlimm?" Sein freches Grinsen gefällt mir. "Hm … Nö. Ist mittlerweile ganz okay hier." Er lacht auf und fängt an, seinen Hund trocken zu rubbeln. Damit fertig, füllt er Ramseys Napf und heizt danach den Kamin wieder ordentlich an, dann lässt er sich neben mir auf die Couch fallen. "Warum bist du eigentlich hier unten? Hast du mich etwa vermisst?" "Jetzt werde mal nicht größenwahnsinnig", lache ich. "Die Welt dreht sich nicht nur um dich." Lucian runzelt beleidigt die Stirn, was mich nur noch mehr lachen lässt. "Nein", kichere ich schließlich. "Mir ist eingefallen, dass wir gestern was Wichtiges vergessen haben." "Und was?" "Unsere Weihnachtsgeschenke." Ich greife neben mich und nehme das kleine Röllchen, das ich für Lucian fertig gemacht habe. Sofort erhellt sich sein Gesicht. "Stimmt ja!" Er nimmt es entgegen und zuppelt belustigt an der Zahnseide herum. "Soll ich es aufmachen?" "Klar." Gespannt verfolge ich, wie er das Papier aufpfriemelt. Als vier ineinandergeschobene Klopapierrollen zum Vorschein kommen, grinst er kopfschüttelnd. "Du musst reinschauen. Da ist was drin", erkläre ich. Neugierig lugt er hinein, was zum schießen aussieht. Er erinnert mich an einen Piraten, wie er da durch das Rohr schaut. Vorsichtig zupft er mit dem Zeigefinger das zusammengerollte Blatt Papier heraus, das ich darin verborgen habe. Sichtlich gespannt rollt er es auf und macht große Augen. "Wow!", haucht er und sieht mich kurz an, ehe er die Zeichnung erneut genaustens mustert. "Es gefällt dir?" "Ja! Danke!" Ich bin erleichtert! Ich hatte schon Sorge, dass das Motiv etwas zu gewagt sei. "War das bei deiner Ankunft?", fragt er mich amüsiert. Ich nicke. "Hatte ich da auch kein Oberteil an?" Er überlegt tatsächlich. Lachend schüttle ich den Kopf. "Künstlerfreiheit. So kommts besser." "Aha", schmunzelt Lucian. "Stimmt. Nackt komme ich immer besser." Er zwinkert mir zu. Idiot! Das Bild zeigt ihn vor dem Hackblock. Die Axt lässig auf seiner Schulter ruhend, Ramsey zähnefletschend neben ihm. Dass Lucian dabei aussieht, wie aus einem feuchten Holzfäller-Sextraum entsprungen, ist pure Absicht gewesen. "Das ist echt toll! Danke dir! Das wird einen Ehrenplatz bei mir bekommen. … In meinem Schlafzimmer." Als Dank umarmt er mich fest und ich komme nicht umhin, mir zu wünschen, ich hätte auch einen solchen Ehrenplatz bei ihm im Schlafzimmer … Ich wische diesen irrealen Gedanken beiseite und nehme stattdessen das Geschenk von ihm an mich. Während Lucian das Bild auf den Wohnzimmertisch legt öffne ich die mit Klebestreifen verschlossenen Ecken. Und davon gibt es viele. "Geschenke einpacken liegt dir wirklich nicht, was?", schmunzle ich. "So oft mache ich das nicht", gibt er zu. "Uh. Okay. Dann fühle ich mich geehrt." "Das darfst du ruhig." Und ich wie das tue! Überhaupt. Der ganze Tag fühlt sich schon so an. Na ja, bis auf den Morgen. Aber vergessen wir das. Schon während ich das Papier abstreife kann ich bedruckte Seiten erkennen. Das wird doch nicht …? "Hast du das geschrieben?", frage ich ihn aufgeregt. Lucian nickt. "Für mich?" Nicht wirklich, oder? Doch er nickt abermals, was mein Herz aufgeregt schlagen lässt. "Eine kleine Weihnachtsgeschichte über Slate und Neil", erklärt er. Als ob ich das nicht schon längst gesehen hätte. "Ich habe sie vorgestern Nacht geschrieben. Irgendwie auch als Entschuldigung." Er zuckt mir den Schultern und sieht für einen winzigen Moment unsicher aus. "Vielen, vielen Dank Lucian", flüstere ich bewegt und kann nicht anders, als ihn ebenfalls fest in meine Arme zu schließen, nachdem ich die Kurzgeschichte auf den Tisch gelegt habe. Er erwidert die Umarmung. Ich weiß nicht, wie lange wir so sitzen bleiben. Irgendwann fühle ich, wie Lucians Hände auf Wanderschaft gehen. Da fällt mir ein, dass er gar nichts unter seiner Jeans trägt ... *** Zwei Tage später ist es dann soweit. Die Telefonleitung geht wieder und laut Nachrichten und Wetterbericht sind die Straßen auch wieder befahrbar. Das sagte mir auch die sehr genervt klingende Uschi von der Taxizentrale. "Das Taxi ist unterwegs", verkünde ich, nachdem ich aufgelegt habe. "Okay." Lucian nickt, doch ich kann sein Gesicht nicht sehen, da er mir abgewandt in der Küche steht und Zwiebeln schneidet. "Willst du vorher noch eine Kleinigkeit zu Mittag essen?" "Klingt verlockend", grinse ich, laufe zu ihm rüber und umarme ihn von hinten. Die letzten Tage, also seitdem wir miteinander im Bett gelandet sind, waren wie im Traum. Keine Spur mehr von Streit, auch wenn Lucian mir gestanden hat, dass ihn das ziemlich angeturnt hat. Ich sähe heiß aus, wenn ich sauer bin. Das werde ich mir auf jeden Fall merken. "Was hat Bill gesagt?", möchte er von mir wissen. Mit dem habe ich zuvor telefoniert. "So viel, dass ich kaum noch weiß, was genau", antworte ich. Lucian lacht leise. Ein Geräusch, dass mir eine Gänsehaut beschert. 'Ich liebe diesen Kerl einfach ...' Oh ja! Überraschung! Ich bin verknallt in Lucian. Leider weiß er das nicht. Oder besser gesagt: Zum Glück. Was sollte es mir auch bringen, wenn er es wüsste? Wahrscheinlich vergisst er mich schnell wieder, sobald unser gemeinsames Projekt beendet ist. Nächstes Jahr an Weihnachten wird alles so sein wie immer. Nur ich werde wehmütig hieran denken. Ich schließe die Augen, atme tief ein, sauge seinen unvergleichbaren Duft in meine Lungen und lege die Lippen auf seinen unbedeckten Nacken. "Willst du etwa schon wieder?", höre ich Lucian amüsiert fragen. "Wann will ich mal nicht?", kontere ich. "Stimmt." Lucian legt das Messer hin und dreht sich zu mir um. "Aber du wirst bald abgeholt und deinen Abschiedssex hattest du heute Morgen auch schon", erinnert er mich. Ich seufze. "Schön. Essen wir eben wie zivilisierte Leute." Gemeinheit! Wenigstens bekomme ich noch einen Kuss. Einen sehr innigen … Ein Klingeln lässt uns auseinanderfahren. "Dein Taxi?" Ich schüttle den Kopf. "So schnell sicher nicht." Nicht hier, mitten in der Pampa. "Hm", macht Lucian, lässt mich los und geht zur Haustür. Wehmütig schaue ich ihm nach. Ich werde ihn so sehr vermissen … Als Lucian die Tür öffnet, sinkt meine Laune auf die Tiefpunkt. Drei mal dürft ihr raten, wer uns gerade gestört hat. Natürlich ist es Liam! Um etwas zu tun zu haben, schnappe ich mir das Messer und hacke auf die armen Zwiebeln ein. "Hey Nate", begrüßt mich Blondchen freudig. "Du kannst heute endlich wieder heim, habe ich gehört." In mir verkrampft sich alles. "Ja", nicke ich und umfasse den Griff des Messers fester. "Hat dir Lucian das gesagt?" Wer sonst? "Nö. Der Buschfunkt", lacht er. Oh natürlich! Sarkasmus kann der Idiot auch noch. Ihn muss es ja tierisch freuen, dass ich endlich wieder weg bin. Und Lucian … 'Holt sich gleich das nächste Fickstück ins Haus', denke ich bitter. Doch anstatt sauer zu werden, lege ich nur enttäuscht das Messer auf das Schneidebrett. "Ich geh mal schnell hoch. Nachschauen, dass ich nichts vergessen habe." Ich muss hier weg! Bevor ich anfange zu heulen. Ich sehe aus den Augenwinkeln, das mich Lucian fragend anschaut, doch ich ignoriere es. Oben in meinem ehemaligen Zimmer setze ich mich aufs Bett und vergrabe das Gesicht in meinen Handflächen. Ich bin so verdammt enttäuscht! Ich bin noch nicht mal weg, schon taucht dieses blonde Fickstück hier auf! Ich weiß ja, dass ich mir keine großen Hoffnungen machen kann, aber mal ehrlich: Ernsthaft?! Ein wenig Anstand kann man doch verlangen, oder? Unter Aufbietung all meiner Kräfte kämpfe ich die aufsteigenden Tränen nieder, die unbedingt aus mir heraus wollen. Ich werde nicht heulen! Nein! "Nate?" Ein Klopfen an meiner Tür. Lucian! "Nate, kann ich reinkommen?" Nein! Kannst du nicht! Kurz überlege ich, mich im Bad zu verschanzen, doch da geht auch schon die Tür langsam auf. Ich atme tief ein, wische mir übers Gesicht und stehe auf. "Hab alles", sage ich um ein Lächeln bemüht. "Ich weiß. Du hast gestern Abend schon alles eingeräumt", meint Lucian. Mist! "Alles okay?" "Klar", lüge ich. "Warum fragst du?" "Weil du vor Liam geflohen bist, als wolle er dir den Kopf abhacken." Ha ha. Wohl eher den Schwanz … "Bist du wieder eifersüchtig?" Bam! Lucian hat wirklich ein Talent dafür, ins Schwarze zu treffen. "Was? Wieso sollte ich?" Sehe ich so unbekümmert aus, wie ich es gerne hätte? Bestimmt nicht. "Ich habe Liam nicht eingeladen", erklärt er, ohne dass ich ihn gefragt habe. "Wir haben vorhin miteinander telefoniert. Er wollte wissen, ob alles okay ist bei uns. Da habe ich ihm gesagt, dass du heute gehst." "Und er musste gleich herkommen, weil er endlich wieder mit dir ungestört sein kann?", platzt es aus mir heraus. Innerlich verdrehe ich die Augen. Toll! Jetzt weiß er definitiv, dass du vor Eifersucht fast am Explodieren bist. "Nein", sagt er doch allen ernstes. Wahrscheinlich glaubt er das sogar. "Er ist vorbeigekommen, weil er gemerkt hat, wie traurig es mich macht, dass du gehen musst." Ich muss hart schlucken. "Bist du?" "Du etwa nicht?" "Keine Gegenfrage!", keife ich ihn schärfer an, als beabsichtigt. Er grinst und zieht mich an seine Brust. "So heiß", haucht er und küsst mich stürmisch. Ah ja. Da war ja was … Mir knicken fast die Beine weg, so intensiv ist dieser Kuss. Lucians Finger krallen sich in meinen Rücken und ich klammere mich ebenfalls so fest an ihn, als würde ich mit ihm verschmelzen wollen. "Ich will dich nicht gehen lassen", keucht er in meinen Mund. Ich würde gern sagen, dass ich bleibe, aber das kann ich nicht. Es wartet Arbeit auf mich. Und auf ihn auch. "Wir telefonieren", erinnere ich ihn an unsere Abmachung und daran, dass wir Handynummern ausgetauscht haben. "Als ob das reichen würde." Seine Worte bringen mich fast aus der Fassung. Wimmernd presse ich mich noch dichter an seinen Körper. Was diese Worte bedeuten könnten, darüber mag ich gar nicht nachdenken. Hinterher wartet eine große Enttäuschung auf mich und davon hatte ich wirklich genug die letzte Zeit über. "Ähm Leute? Da raucht was im Ofen." Liam! Wir fahren abermals wegen Blondi auseinander und drehen uns zu Tür. Liam steht dort, grinst süffisant und sieht von einem zum anderen. "Hier brennt wohl auch bald was an, wie ich sehe." Sein Grinsen wird immer breiter, was mich irritiert. Er sieht nicht im Geringsten angepisst oder verprellt aus. "Ich würde ja jetzt gehen und sagen, ihr sollt weitermachen, aber im Ernst: In der Küche qualmt es wie blöd." "Scheiße!", zischt Lucian und rennt eilig nach unten. Verdutzt bleibe ich allein mit Liam zurück. Es ist mir unangenehm und ich beiße mir leicht beschämt auf der Unterlippe herum, während er mich beobachtet. "Du denkst, ich will was von Luci", unterbricht er nach ein paar stillen Momenten unser Schweigen. "Luci?" Liam zieht die Nase kraus. "Ups. Vergiss bitte, dass ich das eben gesagt habe. Er hasst diesen Spitznamen." "Kann ich verstehen." Ich hasse ihn auch, obwohl ich ihn eben erst das erste mal gehört habe. "Passt nicht zu ihm." "Stimmt", lacht Liam. "Aber genau darin liegt doch der Reiz." Ich übergehe das und versuche selbstbewusst zu wirken. "Und? Willst du?", frage ich ihn und halte innerlich die Luft an. "Was will ich?" Blondi runzelt die Stirn, als wüsste er nicht, über was wir zuvor geredet haben, oder vielmehr er. "Ob du was von Lucian willst", helfe ich ihm auf die Sprünge. "Ach so!" Bisschen verwirrt, der Gute. "Quatsch! Wir vögeln manchmal miteinander. Wir sind beide Single. Friends with benefits sozusagen. Mehr nicht. Sobald ich meinen Traummann habe, ist damit Schluss." Ich muss schlucken und versuche mein aufgebrachtes Herz zu beruhigen, was gar nicht so leicht ist. "Oder er", hängt Liam hinten dran. "Aha." Soll ich mir jetzt doch Hoffnungen machen? "Na dann. Ich muss." 'Hier raus!' Wieder einmal. Ich zwänge mich an Liam vorbei, doch noch bevor ich richtig im Flur stehe, hält Liam mich zurück. "Nate? Ich will dir in nichts reinreden, aber er hat viel durchmachen müssen und tut sich schwer damit, jemanden zu vertrauen. Gib ihm Zeit." Ich schaue ihn prüfend an, sehe aber nichts als Ehrlichkeit in seinen Augen. Also nicke ich und eile die Treppe nach unten. Ein letztes Mal. Unten angekommen, empfängt mich dichter Qualm. "Oh verflucht!" Ich versuche Lucian ausfindig zu machen, doch er ist nirgends zu sehen. Hinter mir schlägt die Terrassentür zu und verpasst mir damit einen mächtigen Schrecken. "Das wars! Kein Mittagessen!", wettert Lucian. "Sollen die Vögel sich darüber hermachen, falls sie auf Kohle stehen." "So schlimm?", frage ich und reiße alle Fenster auf. "Kann man sagen." Lucian tut es mir gleich und hilft mir, damit alles schnell auslüften kann. Immer wieder müssen wir wegen des beißenden Rauchs husten. Es stinkt echt ekelhaft. Schnaufend hängen wir schließlich an einem der geöffneten Fenster und saugen die kalte Winterluft in unsere Lungen. Die Hände haben wir beide über das Fenstersims gelegt. Ich betrachte mir die eingeschneiten Bäume vor dem Haus. Wirklich schön. Solange man nicht eingeschneit ist. 'Wobei mir das die letzten Tage über überhaupt nichts ausgemacht hat …' Plötzlich schiebt sich eine Hand auf meine und verschränkt die Finger mit meinen. Ich erwidere den sanften Druck und kann mir ein Lächeln nicht verkneifen. Ich soll ihm Zeit geben, hat Liam gesagt. Was er damit gemeint hat? Und was hat Lucian alles durchmachen müssen. Hin und wieder hat er ja etwas anklingen lassen, aber so genau ist er nie mit der Sprache rausgerückt. 'Ich kann nur mir vertrauen.' So etwas ähnliches hat er doch gesagt, nicht? Auf einmal das Gefühl habend, ihn trösten zu müssen, lehne ich mich mit dem Oberarm gegen seinen und lege den Kopf aus seiner Schulter ab. "Dein Taxi kommt bald", krächzt Lucian. "Ich weiß." "Wirst du irgendwann mal vorbeikommen?" Ich beiße mir auf die Unterlippe. Diesmal, um nicht zu breit zu lächeln. "Wenn ich darf." "Klar. Warum nicht?" Ein Schulterzucken folgt, das eindeutig auch etwas kaschieren soll. Freude? Auch wenn es langsam wirklich scheiß-kalt wird, bleiben wir weiterhin händchenhaltend am offenen Fenster stehen. Liam klappert in der Küche herum, doch wir scheren uns nicht darum und er spricht uns auch nicht an. Als dann mein Taxi um die Ecke gefahren kommt, würde ich am liebsten davonrennen. Kurz wird Lucians Händedruck fester, als würde er etwas ähnliches denken. "Also dann. Ich hole mal meinen Koffer." Lucian loszulassen ist schwerer als gedacht, aber ich schaffe es irgendwie. Mein Koffer steht schon abreisefertig neben der Haustür. Ich schnappe mir seinen Griff und drehe mich zu Lucian, der mir nachgelaufen ist. "Danke für deine Gastfreundschaft", verabschiede ich mich von ihm. Meine Stimme ist dabei so dünn, das sie der kleinste Lufthauch davonwehen könnte. "Kein Ding." Ich muss über Lucians Worte schmunzeln. "Und für alles andere auch", zwinkere ich ihm zu, recke mich ihm ein Stück entgegen. Eigentlich will ich ihm nur einen kleinen Abschiedskuss geben, doch Lucian hat andere Pläne. Er packt mich, schlingt die Arme um mich und saugt mir die Luft aus der Lunge. Mir entkommt ein Stöhnen, was er ungeniert ausnutzt und seine Zunge durch meine geöffneten Lippen schiebt. 'Ich will nicht gehen!' Draußen hupt es. Dämliches Taxi! "Sieht aus, als müsste ich mir ab jetzt tatsächlich einen anderen suchen, der mir meinen Hintern vergoldet", kichert Liam hinter Lucian. Das will ich ihm aber auch geraten haben! Als ich durch die Haustür trete, blitzt die Sonne durch ein paar Wolkenlücken. Als würde sie uns trösten wollen. Das Klappern der Rollen meines Koffers kommt mir so laut vor, dass ich mir am liebsten die Ohren zuhalten würde. Der Taxifahrer steigt aus, schnappt ihn sich und lädt ihn in den Kofferraum. Ehe ich einsteige drehe ich mich nochmal zum Haus um. Lucian ist im Türrahmen stehen geblieben. Neben ihm hockt ein hechelnder Ramsey.** Liam nickt mir lächelnd zu, klopft Lucian auf die Schulter und verschwindet wieder im Haus. Wieder werde ich eifersüchtig, allerdings darauf, dass Liam hierbleiben kann, während ich weg muss. Ich sehe, wie Lucian einmal tief einatmet, die Hand hebt und mir kurz zuwinkt. Ich erwidere diese Geste, dann steige ich ein und warte, bis der Taxifahrer losfährt. Kurz vor der Kurve drehe ich mich nochmal um. Lucian steht immer noch an Ort und Stelle. So lange, bis ich ihn nicht mehr sehen kann. Ende … Vorerst ;-) * Also ich auf jeden Fall. Und die Leser wahrscheinlich auch xDDD ** wollte erst ein hechelnder Liam schreiben XP Bevor jetzt der große Aufschrei kommt, warum ich hier ende, keine Sorge. Ein kleines Bisschen habe ich mit den beiden noch vor. Lasst euch überraschen ;-* Kapitel 5: Kapitel 4 - Geschenke auspacken (ohne Adult) ------------------------------------------------------- Wie der Titel schon sagt, geht es jetzt endlich ans Auspacken! Der Geschenke natürlich ;P Schönen vierten Advent! Kapitel 4 - Geschenke auspacken (ohne Adult) "Klopf, klopf." Verlegen lächelnd bleibe ich unten neben dem Treppengeländer stehen und schaue zu Lucian, der im Wohnzimmer vor dem Kamin kniet und Holz nachlegt. "Hey." Er dreht sich um und lächelt mich an. "Schön, dass du dich aus dem Zimmer getraut hast." Ich bin erleichtert, dass Lucian mir nicht mehr böse zu sein scheint. "Wie hätte ich da widerstehen können?", frage ich ihn grinsend und halte das Geschenk hoch, das er mir vor die Tür gelegt hat. "Du hast es noch nicht ausgepackt?" Belustigt kommt Lucian zu mir geschlendert. "Noch ist nicht Weihnachten." Ich gebe ihm das Päckchen und zudem noch ein weiteres. Fragend schaut er die bonbonförmige Rolle an. "Für dich. Ich musste improvisieren, aber ich hoffe, es gefällt dir." Er fängt an zu lachen und dreht es in seiner Hand, während er es schräg ansieht. "Toilettenpapier und äh … Zahnseide?" "Hatte kein Geschenkpapier", wiederhole ich seine geschriebenen Worte. Abermals lacht er und legt die beiden Päckchen auf den Küchentisch. "Hunger? Oder hast du noch mehr Vorräte oben gebunkert?" Seine Mundwinkel zucken frech. Er hat also mitbekommen, dass ich Lebensmittel gemopst habe. "Eigentlich ja, aber gegen einen frisch aufgebrühten Kaffee hätte ich nichts einzuwenden." Ich habe schon Entzugserscheinungen. Lucian wirft die Kaffeemaschine an und setzt sich dann zu mir an den Tisch. "Der Kuss tut mir leid", beginnt er sogleich und beißt sich auf die Unterlippe, was mich für eine Millisekunde ins Straucheln geraten lässt. Stirnrunzelnd schüttle ich dieses Gefühl ab und setze ein dünnes Lächeln auf. "Wow. Bisher hat sich noch niemand bei mir für einen Kuss entschuldigt." "Du weißt, wie ich das meine. Ich hätte dich nicht so überfallen dürfen." Das stimmt. Ganz gentlemanlike war seine Attacke nicht. "Und wieso hast du es dann getan?", frage ich ihn und schiebe meine Entschuldigung für die Ohrfeige beiseite. Das kann ich später immer noch machen. Lucian atmet tief ein, während hinter ihm die Kaffeemaschine zu gurgeln und zu dampfen anfängt. "Ich dachte, es läge eine Spannung zwischen uns und wollte sie auf diese Weise abbauen." Bitte was? "Eine Spannung? Zwischen uns?" Ich zeige mit dem Zeigefinger zwischen ihm und mir hin und her. Lucian macht einen bedröbbelten Eindruck. "Na weil du ständig auf Liam herumgeritten bist. Da muss ich etwas falsch verstanden haben. Tut mir leid. Sowas passiert mir andauernd." Grinsend lehne ich mich zurück. "Wenn, dann ist Liam ja wohl auf dir geritten." Den konnte ich mir nicht verkneifen. Lucian brummt nur und steht auf, um die Kaffeekanne zu holen. "Das war ein Scherz", merke ich an, als er wieder vor mir sitzt. "Fein." Ich verdrehe die Augen. Ist er etwa wieder eingeschnappt? Um die aufkommenden Wogen wieder zu glätten, entschuldige ich mich bei ihm für die Ohrfeige. "Ich weiß, das war nicht die feine, englische Art, aber wenn du das nächste mal jemanden aus heiterem Himmel küsst, achte bitte darauf, dass der Andere das auch will. Ansonsten fängst du dir wahrscheinlich wieder eine ein." "Werd's mir merken." Endlich lächelt er wieder. "Und wegen Liam. Wir sind Freunde. Freunde, die hin und wieder miteinander ins Bett gehen. Mehr ist da nicht." "Okay." Ich weiß ehrlich nicht, ob mich das erleichtern soll, oder nicht. Nach kurzem Nachdenken beschließe ich, dass ich versuchen werde, mir darum keinen Kopf mehr zu machen. Was soll es mir auch bringen? Nur noch mehr dicke Luft zwischen mir und Lucian. Und das will ich auf keinen Fall mehr. Wir schweigen für eine Weile, schlürfen Kaffee und hören dem Song im Radio zu. Ramsey hat es wieder auf mich abgesehen, weshalb ich gedankenverloren durch sein raues Nackenfell kraule. "Apropos Liam", fällt mir dabei ein. "Hat er sich gemeldet? Ob er meine Eltern erreicht hat?" Er wollte doch Bescheid geben. "Ja, hat er. Alles bestens. Deine Eltern sind informiert und richten dir liebe Grüße und ein schönes Weihnachtsfest aus." Ich bin erleichtert. "Hattest du eigentlich Pläne für die Feiertage?", möchte ich von ihm wissen. Ramsey hat derweil genug von mir und tapselt ins Wohnzimmer auf seinen gemütlichen Platz am Kamin. "Nö. Für mich sind das Tage wie jede andere." Ich schaue ihn mitleidig an, was er auch bemerkt. "Guck nicht so. Mir macht das nichts aus. Weihnachten war für mich noch nie was Besonderes. Genau wie Silvester oder Ostern." Abermals überlege ich, was dieser Kerl in seiner Vergangenheit erlebt haben muss. Fragen mag ich ihn das natürlich nicht. Ich sollte ihn ablenken. "Also kein Weihnachtsbaum wo wir die Geschenke drunter legen können?" Lucian lacht. "Nein. Eher nicht." Ich ziehe eine Schnute. "Schade. Ich mag Weihnachtsbäume. Je mehr sie funkeln, desto besser." "Leg sie vor den Kamin. Der funkelt auch", zieht Lucian mich auf. "Besonders, wenn Ramsey seinen Prachtkörper dort parkt", lache ich und Lucian stimmt mit ein. *** Der restliche Tag verlief endlich wieder entspannt. Lucian und ich nahmen nochmal sein Skript und meine Zeichnungen hervor, gingen alles ein weiteres mal durch und bleiben am Ende dabei: Perfekt. Nun hocke ich neben Ramsey, bürste sein dickes Fell, was diesen genüsslich grunzen, und immer wieder von einer zur anderen Seite rollen lässt. Lucian klappert derweil in der Küche herum. Es duftet schon verdammt lecker und mein Magen zieht sich knurrend zusammen. "Was machst du da eigentlich?", rufe ich ihm zu und lege die Bürste beiseite, was Ramsey überhaupt nicht toll findet und beginnt, an meiner Hand zu lecken, ehe ich aufstehe und rüber zum Küchenbereich laufe. "Kartoffelauflauf mit Spinat und Ei", antwortet er mir. "Kein Reh?" Neugierig betrete ich den Küchenbereich. "Nein", schmunzelt Lucian und öffnet den Ofen. "Extra vegetarisch für meinen Gast." "Ich bin beeindruckt." Er gibt sich richtig Mühe. Um nicht völlig unnütz zu sein, fange ich an den Tisch zu decken. Unterdessen schleppt Lucian die heiße Auflaufform herbei. "Ich habe noch die halbe Flasche Rotwein da. Magst du?" Ich nicke und nehme zwei Weingläser aus dem Schrank, die ich Lucian hinhalte, damit er sie füllen kann. Als wir uns hingesetzt haben, stoßen wir miteinander an. "Na dann auf einen schönen und vor allem friedlichen Weihnachtsabend", grinse ich. "Ebenfalls." Der Auflauf ist total lecker. Lucian kann wirklich hervorragend kochen, das muss man ihm lassen. Genüsslich leere ich meinen Teller. Es herrscht eine angenehme Stille. Das Kaminfeuer prasselt und die leise Radiomusik sorgt für eine entspannte Atmosphäre. Vollgegessen schiebe ich den leeren Teller von mir. "Boah. Ich bin so satt!" Lucian schmunzelt und legt sein Besteck auf den ebenfalls geleckten Teller. "Also willst du keinen Nachtisch?" "Nachtisch?" Lucian grinst frech, steht auf und räumt unsere Teller ab. "Du kochst unglaublich gut, machst Nachtisch, schreibst unfassbar fesselnde Romane … was kannst du eigentlich nicht?", frage ich ihn. "Da gibt es einiges", meint er und geht an den Kühlschrank. "Zeichnen zum Beispiel. Oder meine Steuererklärung. Ich bin froh, dass ich das an so talentierte Hände wie dich abgeben kann." Schleimer! Aber es bauchpinselt mich, das muss ich zugeben. "Wenn du mich deine Steuererklärung machen lässt, bist du aber innerhalb kürzester Zeit pleite, mein Lieber", foppe ich ihn. "Echt? So ein Mist! Die wollte ich dir gleich nach dem Nachtisch aufs Auge drücken." Er grinst schräg und drapiert eine runde Glasschüssel in der Mitte des Küchentisches. "Schokopudding?" "Jepp. Mit Sahne." Neben die Schüssel taucht eine Sprühdose auf. "Leider nur aus der Dose und der Pudding ist auch eine Fertigmischung. Mehr hatte ich nicht da." Lucian kratzt sich verlegen am Kopf, ehe er sich wieder setzt und mir einen großen Löffel zuschiebt. "Das sieht total lecker aus", beruhige ich ihn, weil es mich ehrlich rührt, dass er sich so viel Mühe gemacht hat. Fertigmischung oder nicht, der Pudding schmeckt tatsächlich sehr lecker. Und mit Sahne kann man mich so gut wie immer glücklich machen. Als die Schüssel fast leer ist und wir uns bauchreibend gegenüber sitzen, entfleucht mir ein gequältes Stöhnen. "So voll war ich noch nie", jammere ich. Lucian runzelt für einen Moment die Brauen, dann lacht er laut auf. So laut, dass sogar Ramsey angewatschelt kommt, um zu schauen, was los ist. "Was?", will ich belämmert von ihm wissen. "Nichts", grinst er frech. "Mein Weingetränktes Hirn ärgert mich nur." Was soll ich denn davon nun halten? "Lust auf einen Schluck Hochprozentiges? Zum Magenaufräumen?" Warum nicht? Ich nicke, immer noch leicht konfus über Lucians plötzlichen Heiterkeitsausbruch. Was auch immer sein Wein-Hirn sich ausgedacht haben kann. Er stellt mir ein kleines Schnapsgläschen vor die Nase, genau wie sich selbst. In seiner anderen Hand hält er eine schmale Glasflasche. Der Inhalt ist klar, sieht aber schwer nach etwas Selbstgebrannten aus. "Was ist das?", frage ich skeptisch. "Medizin für unsere vollen Bäuche." Lucian zwinkert mir verschwörerisch zu. "Ich weiß nicht, ob mir dein angetrunkenes Ich gefällt", gebe ich zu bedenken. Mein Alkoholpegel hält sich noch in Grenzen. Ich hatte aber auch nur ein Glas, während er den ganzen Rest intus hat. "Finden wir es heraus", grinst er und schenkt erst mir, dann ihm etwas von dem klaren Zeug ein. Die Alkoholfahne lässt mir Tränen in die Augen treten. Dabei steht das Gläschen noch ganz unschuldig und unberührt vor mir. "Fuck! Was ist das? Brennspiritus?" Ich verziehe das Gesicht und hebe das Glas vorsichtig mit zwei Fingern an, damit ich nichts verschütte. Lucian war beim Einschenken mehr als großzügig. Er lacht nur und schüttet sich das Zeug hinter die Binde. Dabei verzieht er nur leicht das Gesicht. Ich weiß nicht, ob mich das jetzt zuversichtlich stimmen soll. 'Na gut. Augen zu und runter damit', sporne ich mich selbst an und kippe den Inhalt des Glases meine Kehle hinunter. "Boha!" Mein Hals und meine Speiseröhre fangen Feuer. Mein Gesicht fühlt sich an, als würde es sich wie eine implodierende Sonne in sich zusammenziehen. "Widerlich!", schimpfe ich schüttelnd und knalle das Glas auf den Tisch. "Nach dem dritten, vierten Glas fängt es an zu schmecken", lacht Lucian frech und schüttet mir wieder was von dem ekelhaften Gebräu ein. "Nichts da! Davon nehme ich keinen Schluck mehr!" *** Kichernd lehne ich mich gegen Lucians linke Schulter und verleibe mir einen weiteren Schluck von seinem Selbstgebrannten ein. Er hatte Recht. Nach dem dritten Glas schmeckt das Zeug ganz passabel. Nach dem fünften ist es sogar verdammt süffig. Ich beuge mich vor und stelle das winzig-kleine Gläschen auf den Couchtisch vor uns. "Nichts mehr?" Lucian wedelt mit der halbleeren Flasche. "Nee." Ich schüttle den Kopf. Etwas heftiger als gewollt. "Der Seegang auf deiner Couch wird mir langsam zu heftig." Lucian lacht leise. "Weißt du, dass du ein wunderschönes Lachen hat?" Öhm ... Habe ich das gerade wirklich laut gefragt? "Habe ich?" Lucian Grinsen wird immer breiter. "Ohh ja!" Irgendwo in meinem Hinterkopf schlage ich mir selbst gegen die Stirn und bete, dass ich einfach umfalle und in einen tiefen Alkoholschlaf falle. Leider erfüllt sich diese Hoffnung nicht und der letzte Rest meines klaren Verstandes muss hilflos mit ansehen, wie ich mich zu Lucian beuge und kichere wie ein kleines Schulmädchen. "Un.. und du küsssst gud", kommts auch schon verwaschen aus meinem Mund, ehe ich aufstoßen muss. Ich blinzle ein paar mal, um Lucians Gesicht vor mir wieder scharf stellen zu können. Hihi. Scharf. Ja, der Kerl ich definitiv scharf. "So scharf …" Ich falle wie ein nasser Sack gegen Lucians Brust, die Lippen gespitzt, treffe aber zum Glück nicht seinen Mund, sondern sein Kinn. Schlimm genug. Was war nur in diesem verfluchten Schnaps drin?! Das Nächste, das ich wieder mitbekomme, ist etwas warmes, raues, das mir über Wange und Gesicht fährt. Es riecht widerlich! Irgendwas zwischen Verwesung und nassem Fell. 'Ramsey!' Der verdammte Köter leckt mir übers Gesicht! Unkoordiniert versuche ich ihn von mir weg zu schieben. Wie kommt der überhaupt in mein Zimmer? Schmerz explodiert hinter meinen Augen, als ich versuche, sie zu öffnen. "Na? Aufgewacht meine lallende Prinzessin?" Eindeutig Lucian. Verwirrt stemme ich mich in eine sitzende Position und stelle fest, nachdem ich endlich die Augen für wenige Sekunden aufbekomme, dass ich auf der Couch gelegen habe. "Was ist passiert?", frage ich mit brüchiger Stimme und räuspere mich ein paar mal. "Willst du das wirklich wissen?", brummt Lucian und setzt sich vor mir auf den Tisch. Die Ellenbogen auf seine Knie gestützt, sieht er mich amüsiert an. "Habe ich was angestellt?" Bitte nicht! "Das kann man wohl so sagen." "Oh nein!" Ich verstecke mein Gesicht in den Handflächen was Ramsey wieder auf den Plan ruft. Wenigstens leckt er nun über meine Fingerknöchel und nicht an meinem Gesicht herum. "Hätte ja nicht gedacht, dass dich so ein bisschen Moonshine dermaßen umknocken würde." "Bisschen?!" Ich hebe empört ruckartig den Kopf und bereue es sofort. "Au!" Mein Kopf! "Wie viel Umdrehungen hatte das Zeug überhaupt?" "Weniger als mein Pflaumenschnaps", antwortet er bloß schmunzelnd. Ich seufze und schwinge vorsichtig die Beine von der Sitzfläche. "Ich kann mich an gar nichts mehr erinnern", jammere ich, was nicht ganz stimmt. An eins erinnere ich mich noch, und das bringt meinen Magen dazu, sich unschön zu verknoten. "An wirklich gar nichts mehr?", fragt Lucian mich. "Nur noch, dass wir hier gesessen haben und ich irgendeinen Unsinn geredet habe. Aber danach, alles schwarz." Mein Lieblingsautor seufzt. "Soll ich dich erleuchten?" "Ich weiß nicht, ob ich es wirklich wissen will." Ich schäme mich jetzt schon genug. "Na ja", sagt Lucian gedehnt. "Da sind ein paar Dinge vorgefallen, die mich sehr nachdenklich gemacht haben." "Ach ja?" Meine Stimme klingt dünn und fiepsig. "Die Kurzfassung?" Ich überlege eine Weile, schließlich nicke ich schwach. Warum es nicht hinter mich bringen? Lucian bleibt regungslos vor mir auf dem Tisch sitzen, während er beginnt von letzte Nacht zu berichten. An den Anfang kann ich mich ja noch ganz gut erinnern. Bis zu dem Punkt, wo mein misslungener Kussversuch an seiner breiten Brust geendet hat. Meine Birne leuchtet jetzt schon sicherlich so rot wie die Kugeln am Weihnachtsbaum meiner Eltern. Aber es kommt noch schlimmer. "Ich konnte dich kaum noch unter Kontrolle bringen", erinnert Lucian sich. "Du hast dich kichernd gegen mich gepresst, immer wieder was von sexy und scharf gehickst und hast versucht mir das Hemd hochzuschieben." "Oh Gott!" Ich will hier weg! "Als ich dich dann endlich soweit hatte, wieder von meiner Kleidung abzulassen, hast du angefangen über Liam zu schimpfen. Warum ich ihn ranlasse, dich aber nicht." Bitte lass mich unsichtbar werden! Oder so klein schrumpfen, dass ich zwischen die Bodendielen kriechen, und dort sterben kann! "Die Beleidigungen werde ich jetzt besser nicht wiederholen." Zu gütig. "Das Ende vom Lied war, dass du angefangen hast zu heulen. Ab da an habe ich kaum noch ein Wort verstanden. Irgendwas mit 'warum nicht ich' und 'es ist doch Weihnachten'." Kann es noch schlimmer kommen? "Das hat erst aufgehört, als du dich lautstark über die Rückenlehne meines Sofas übergeben hast." Es kann. Ich muss schlucken. Mehrmals. "Es tut mir so leid", presse ich an dem dicken Kloß in meinem Hals vorbei. "Was tut dir leid? Dass du mich scharf findest, meinen besten Freund beleidigt hast, oder mein weißes Sofa umdekoriert hast?" "Alles", flüstere ich und vergrabe das Gesicht tiefer in meinen Handflächen. "Hm", höre ich Lucian brummen, dann wird es für eine kurze Zeit still im Haus. Nur das Knacksen des Holzes im Kamin ist zu hören. Selbst Ramsey ist ruhig, als würde er verstehen, dass ich gestern Nacht eine ziemliche Scheiße gebaut habe. Nach und nach kommen die Erinnerungen wieder zurück. Nur Bruchstückhaft, aber es reicht, um mich noch mehr zu schämen. 'Wie soll ich das nur erklären?' "Also schön", seufzt Lucian plötzlich, was mich zusammenzucken lässt. "Jetzt ist aber wirklich Schluss damit!" Ich weiß kaum wie mir geschieht, als er unerwartet meine Handgelenke packt, sie weg von meinem Gesicht zieht und seine Lippen auf meine presst. Der Schock bewirkt, dass ich nicht mehr sofort vor Scham im angrenzenden Wald flüchten möchte. Selbst dann nicht, als Lucian sich wieder von mir löst und mich durchdringend ansieht. Dabei hält er immer noch meine Handgelenke fest umschlossen. "Entweder knallst du mir jetzt wieder eine sobald ich deine Hände loslasse, oder sagst mir endlich, dass du mich wirklich willst. Dieses Hin und Her mache ich nicht mehr lange mit." Mir klappt der Unterkiefer nach unten. "Nun? Ich höre?" Lucian bleibt unnachgiebig. Es scheint ihn nicht die Bohne zu interessieren, dass gleich mein Schädel platzt. Aus zweierlei Gründen. Würde es überhaupt etwas bringen, es zu leugnen? Wie heißt es so schön? Kinder und Betrunkene sagen immer die Wahrheit. Und verdammt ja! Es war die Wahrheit. Lucian ist scharf! Und klar will ich ihn! Wer würde ihn nicht wollen? Trotzdem kann ich ihm nicht sagen, dass ich ihn will. Schon von der ersten Sekunde an wollte, als er draußen vor mir stand, mit dem Beil in den Händen, schwer atmend, verschwitzt und so verflucht männlich ... "Bekomme ich erstmal einen Kaffee", frage ich so mitleiderregend wie möglich, um so etwas Aufschub zu bekommen. "Klar." Erleichtert atme ich auf. Lucian greift hinter sich, zieht etwas zu sich nach vorn. Eine gefüllte Tasse mit Kaffee. "Hier." "… Danke." Mist! Ich schlürfe möglichst langsam und meide weiterhin Lucians Blick. "Zeit schinden wird dir auch nichts nutzen." Doppelmist! Stöhnend stelle ich die Tasse wieder auf den Tisch und reibe mir übers Gesicht. Hoffentlich sehe ich nicht so scheiße aus, wie ich mich fühle. Andererseits … Wäre gar nicht mal so schlecht. "Nate. Antworte endlich." "Ich versuche es ja", wehre ich mich. Nun ist es an ihm zu Seufzen. "Da du mir keine Ohrfeige gegeben hast, nehme ich an, du hast gestern Abend die Wahrheit gesagt", mutmaßt er drauf los. Mein Nicken ist kaum so stark wie ein Wimpernschlag, dennoch sieht Lucian es. Er stürzt die Lippen, atmet laut aus und steht auf. "Falls du Hunger hast, ich habe Frühstück gemacht. Aber vielleicht duschst du lieber erstmal. … Und putzt dir die Zähne. Du schmeckst nämlich nach Hundefutter und Kotze.", sprichts und verschwindet zusammen mit Ramsey nach draußen. Ob im Kamin genug Platz ist, um sich darin zu einer Kugel einrollen zu können? Ich habe seinen Rat beherzigt, mich lange und ausgiebig geduscht und dabei versucht, nicht an die letzten Stunden zu denken. Das Massaker, das ich an Lucians Couch hinterlassen habe, hat er anscheinend schon selbst beseitigt. Alles was noch zu sehen war, waren feuchte Flecken auf dem hellen Bezug. Da ist mal eine fette Entschuldigung fällig! "Aber eigentlich ist er ja selbst schuld dran", brummele ich, während ich mich anziehe. "Flößt mir einfach so ein Teufelszeug ein!" Ich stutze. "Moment mal!" Hat er das etwa extra gemacht? Mich abgefüllt um … Ja um was eigentlich? Um mich ins Bett zu bekommen wohl eher nicht. Sonst hätte er mich ja nicht abgewiesen, als ich ihm an die Wäsche bin. Aber was sollte das dann? Oder steckte da doch kein Plan hinter? "Oh Mann…" Ich reibe mir die Stirn und schimpfe mich einen Idioten. Meine Fantasie geht wieder mal mit mir durch. Ich sollte Lucian einfach fragen. Nur wie? Oder vielleicht besser doch nicht? Was soll der Stress auch? Inzwischen dürfte ich bei ihm total verschissen haben. Ihn schamlos angebaggert, geheult, eine Eifersuchtsszene hingelegt, seine Bude vollgekotzt. Bravo! Und das, wo wir uns gerade wieder versöhnt hatten. Langsam schlurfe ich die Treppe runter. Ich brauche noch mehr Kaffee und mein Magen knurrt auch. Zum Glück ist der Küchenbereich sowie das Wohnzimmer leer. Von draußen ist das dumpfe Schlagen von Holz zu hören. Ich habe scheinbar noch eine kleine Schonfrist bevor ich mich meinem Lieblingsautor stellen muss. Ob mich das jetzt beruhigt, kann ich nicht sagen. Ich schmiere mir eins der aufgebackenen Tiefkühlbrötchen und inhaliere erstmal zwei Tassen Kaffee, bevor ich mich daran gütlich tue. Kaum habe ich aufgegessen, kommt Lucian wieder ins Haus gestapft. Ramsey hinter ihm schüttelt sich und trappelt danach an ihm vorbei um sich erwartungsvoll vor ihm auf den kleinen Teppich zu setzen. Dort rubbelt Lucian ihm die Pfoten trocken, ehe er zu mir rübergelaufen kommt. "Es schneit schon wieder", brummt er. "Habs gesehen. So ein Mist." Ich komme hier nie weg. Jedenfalls nicht vor dem Frühling, falls das so weitergeht. 'Dann muss ich unbedingt daran arbeiten, nicht immer in solch beschissene Situationen zu kommen.' "Geht es dir besser?" Lucian zieht kratzend einen der Küchenstühle zurück und lässt sich drauf fallen. "Etwas", antworte ich. "Tut mir wirklich leid, dass ich so ... so übergreiflich war. Und dir die Couch vollgesaut habe." Oh wie kleinlaut ich mich gerade anhöre! Lucian mustert mich mit unbeweglicher Miene, sodass mir nur noch unwohler wird. Ich weiche seinem bohrenden Blick aus und rutsche unruhig auf meinem Stuhl herum. "Und?", fragt er plötzlich. "Hm?" Ich presse die Lippen zusammen und versuche zu lächeln. Klappt nur nicht wirklich, befürchte ich. "Wie lautet deine Antwort?" "Welche?", stelle ich mich dumm was bei Lucian nur einen genervten Gesichtsausdruck bewirkt. "Okay", gebe ich nach und schiebe nervös die Kaffeetasse vor mir hin und her. "Klar finde ich dich attraktiv. Und ... Na ja ... Es ist nicht so, als hätte mir der Kuss nicht gefallen." Ich räuspere mich, weil mein Hals plötzlich furchtbar trocken ist. "Ich war nur so überrumpelt." Ich höre, wie Lucian genervt ausatmet, traue mich aber nicht, ihn anzuschauen. Erst als ich Stuhlbeine über das Parkett rutschen höre, wage ich einen scheuen Blick. Lucian steht auf und kommt um den Tisch herum. Fragend blicke ich zu ihm auf und versuche etwas aus seinem Gesichtsausdruck abzulesen, doch es gelingt mir nicht. Bis auf ein Blitzen in seinen Augen ist seine Mimik unbewegt. Ich blinzele verwirrt, als er sanft unter mein Kinn greift und sich zu mir runter beugt. Sofort schlägt mein Herz schneller und mir wird schwummrig. Er wird doch nicht ... Ich halte angespannt die Luft an, sehe dabei zu, wie Lucians Gesicht sich meinem langsam nähert. "Das war nicht alles, was ich hören wollte", grollt er. Mir bleibt fast das Herz stehen. Lucians Daumen streichelt über meine Wange, sein Blick fixiert meinen. "Was denn noch?", frage ich so leise, dass ich mir nicht sicher bin, ob er mich verstanden hat. "Schlafzimmer?" Die Frage lässt mich taumeln und ich kralle mich am Tisch fest, weil ich Angst habe, vom Stuhl zu kippen. "Ich frage nicht nochmal. Letzte Chance." Fuck! Fuck, Fuck, Fuck! "Schlafzimmer", krächze ich mit dünner Stimme und bringe sogar ein Nicken zustande. Ein Lächeln umspielt Lucians Lippen und seine Augen nehmen einen dunkleren Farbton an. Er wirkt beinahe wie ein Raubtier, was mich mit einem Schlag total geil macht. Als würde die Wirkung des gestrigen Alkohols wieder einsetzen, handelt mein Körper plötzlich eigenmächtig und wirft sich Lucian entgegen. Sofort begrüßen sich unsere Lippen, pressen sich fest aneinander und scheinen gar nicht mehr ihren Kontakt lösen zu wollen. Ich fühle, wie ich von zwei starken Armen gepackt und hochgehoben werde. Meine Füße schweben kurz über den Boden, ehe ich meine Beine um Lucians Hüfte schlinge. Irgendwo höre ich Ramsey bellen. Lucian zischt ihm ein "Scht!" zu, ohne unseren Kuss zu unterbrechen, dann werde ich auch schon durch den Raum getragen. Ich klammere mich fester an den starken Körper vor mir, spüre die wachsende Erregung unter der Jeans. Ob er auch fühlt, wie hart ich gerade bin? Auf der Treppe wird es kurz etwas kniffelig und wir fangen an zu lachen, als Lucian leicht ins Straucheln gerät, sich aber wieder fangen kann. Im Flur sind wir wieder schneller unterwegs. Wir passieren mein Zimmer, lassen es hinter uns und biegen kurz danach in Lucians Schlafzimmer ab. Nur für einen winzig kurzen Moment muss ich an den Tag denken, als ich hier angekommen bin. An die Duschszene, die sich mir hier oben geboten hat. Irrsinniger weise turnt mich das jetzt sogar ziemlich an. Lucian setzt mich vorsichtig auf seinem großen Bett ab. Erst jetzt beenden wir unseren Kuss. Ich lecke mir über die schon sehr geschwollenen Lippen. "Mach das nochmal, und ich fress dich mit Haut uns Haar", brummt Lucian mit deutlich erregter Stimme. Grinsend fahre ich mir abermals mit der Zunge über die Lippen. Deutlich langsamer als zuvor. Knurrend stürzt sich Lucian auf mich, sodass ich lachend mit dem Rücken auf der Bettdecke lande. "Du hast es so gewollt", sagt Lucian, ehe er erneut über mich herfällt. Knutschend rollen wir übers Bett. Derweil versuchen wir uns ungeduldig gegenseitig von der Kleidung zu befreien. Nach und nach gelingt uns das auch, bis Lucian und ich nackt aufeinander liegen. Schwer atmend schauen wir uns an. Er auf mir, was sich unglaublich gut anfühlt. Keiner von uns sagt etwas, was auch gar nicht nötig zu sein scheint. Endlich, nach all dem Hickhack, scheinen wir uns zu verstehen. Lucian beugt sich runter zu mir, küsst mein Kinn, meine Kieferpartie, Ohr, Hals, Schlüsselbein … Stöhnend schließe ich die Augen und fühle nur noch. Heiße Schauer jagen über mich hinweg, als Lucians Zunge abwechselnd über meine Brustwarzen neckt. Ich biege mich ihm entgegen, streichle über seinen breiten Rücken und genieße das ungeduldige Pochen in meinem Unterleib. Immer tiefer rutscht Lucians neugieriger Mund, über meinen Bauch bis hin zu meinen Hüftknochen. Gespannt halte ich den Atem an, doch er scheint mich hinhalten zu wollen. Eine Gänsehaut rast über meinen Körper. Lucians warmer Atmen in meiner Körpermitte und seine rauen Hände, die langsam über meine Seiten nach oben streichen. An meiner Brust stoppen sie. Daumen kreisen gemächlich um meine Nippel, kratzen verdammt geil darüber und lassen mich immer verlangender Keuchen. "Lucian …" Ich will endlich mehr! *** Es dämmert schon draußen. Trotzdem liegen wir noch im Bett. Ich, meinen Kopf auf Lucians Brust gebettet und lasse meine Finger durch sein raues Brusthaar streifen, er, seinen Arm um mich geschlungen kitzelt seine Hand immer wieder meine Seite entlang. Ich seufze wohlig, hänge immer noch gedanklich den vergangen Stunden nach. Und was waren das für Stunden! Es gab so verdammt viel, was ich mit ihm ausprobieren, schmecken und berühren wollte. Und er war mit einem Feuereifer dabei, dass es mir fast den Verstand geraubt hat. Immer wieder musste ich mich zwicken, um zu wissen, dass ich nicht träume. Jetzt sind wir beide vollauf befriedigt und überaus müde. So ein Tag im Bett kann ganz schön schlauchen. Ich höre, wie Lucian leise seufzt. "Was ist?", frage ich gähnend und drücke meine Nase gegen Lucians warme Haut. "Ramsey. Er winselt. Sicher muss er mal raus." Oh je! Den habe ich total vergessen. Lucian schält sich unter mir hervor und steht auf. Schmachtend lasse ich meinen Blick über seinen Körper, besonders über seinen Knackpo, wandern. Trotz der kraftraubenden Stunden zuvor bekomme ich sofort wieder Lust. Ich muss bekloppt sein! Oder süchtig. Wahrscheinlich beides. Er schlüpft in seine Jeans, ohne sich vorher eine Shorts angezogen zu haben und zieht sich seinen dicken Pulli über den Kopf. "Bin gleich wieder da", verspricht er mir und gibt mir einen Kuss. Einen sehr langen Kuss … Als er das Schlafzimmer verlassen hat, drehe ich mich schnurrend auf den Rücken. Was für ein Tag! Und wer hätte damit rechnen können?* 'Das perfekte Weihnachtsgeschenk', denke ich belustigt. Doch da fällt mir noch was ein! Apropos Weihnachtsgeschenk. Da war doch noch was! Ich steige eilig aus dem Bett, übergehe dabei das gemeine Zwicken in meinem Hinter, ziehe mir meine Shorts über und rase nach unten in die Küche, wo zwei sehr schlecht verpackte Geschenke nur darauf warten, von uns geöffnet zu werden. Ich nehme sie von der Anrichte und setzte mich damit im Wohnzimmer vorsichtig auf die Couch. Weil der Kamin leider nur noch leicht glüht, wickle ich mich in die weiche Wolldecke ein, die auf der Seite liegt und warte, bis Lucian wieder zurückkommt. Lange dauert das zum Glück nicht. "Mensch! Wir haben sicher einen halben Meter Neuschnee dazubekommen", flucht er und klopft sich die Jacke bei geöffneter Terrassentür vom Schnee frei. Ramsey wartet, bis er an der Reihe ist. "Anscheinend muss ich wirklich noch etwas länger bleiben", überlege ich laut. Lucian dreht seinen Kopf zu mir. "Schlimm?" Sein freches Grinsen gefällt mir. "Hm … Nö. Ist mittlerweile ganz okay hier." Er lacht auf und fängt an, seinen Hund trocken zu rubbeln. Damit fertig, füllt er Ramseys Napf und heizt danach den Kamin wieder ordentlich an, dann lässt er sich neben mir auf die Couch fallen. "Warum bist du eigentlich hier unten? Hast du mich etwa vermisst?" "Jetzt werde mal nicht größenwahnsinnig", lache ich. "Die Welt dreht sich nicht nur um dich." Lucian runzelt beleidigt die Stirn, was mich nur noch mehr lachen lässt. "Nein", kichere ich schließlich. "Mir ist eingefallen, dass wir gestern was Wichtiges vergessen haben." "Und was?" "Unsere Weihnachtsgeschenke." Ich greife neben mich und nehme das kleine Röllchen, das ich für Lucian fertig gemacht habe. Sofort erhellt sich sein Gesicht. "Stimmt ja!" Er nimmt es entgegen und zuppelt belustigt an der Zahnseide herum. "Soll ich es aufmachen?" "Klar." Gespannt verfolge ich, wie er das Papier aufpfriemelt. Als vier ineinandergeschobene Klopapierrollen zum Vorschein kommen, grinst er kopfschüttelnd. "Du musst reinschauen. Da ist was drin", erkläre ich. Neugierig lugt er hinein, was zum schießen aussieht. Er erinnert mich an einen Piraten, wie er da durch das Rohr schaut. Vorsichtig zupft er mit dem Zeigefinger das zusammengerollte Blatt Papier heraus, das ich darin verborgen habe. Sichtlich gespannt rollt er es auf und macht große Augen. "Wow!", haucht er und sieht mich kurz an, ehe er die Zeichnung erneut genaustens mustert. "Es gefällt dir?" "Ja! Danke!" Ich bin erleichtert! Ich hatte schon Sorge, dass das Motiv etwas zu gewagt sei. "War das bei deiner Ankunft?", fragt er mich amüsiert. Ich nicke. "Hatte ich da auch kein Oberteil an?" Er überlegt tatsächlich. Lachend schüttle ich den Kopf. "Künstlerfreiheit. So kommts besser." "Aha", schmunzelt Lucian. "Stimmt. Nackt komme ich immer besser." Er zwinkert mir zu. Idiot! Das Bild zeigt ihn vor dem Hackblock. Die Axt lässig auf seiner Schulter ruhend, Ramsey zähnefletschend neben ihm. Dass Lucian dabei aussieht, wie aus einem feuchten Holzfäller-Sextraum entsprungen, ist pure Absicht gewesen. "Das ist echt toll! Danke dir! Das wird einen Ehrenplatz bei mir bekommen. … In meinem Schlafzimmer." Als Dank umarmt er mich fest und ich komme nicht umhin, mir zu wünschen, ich hätte auch einen solchen Ehrenplatz bei ihm im Schlafzimmer … Ich wische diesen irrealen Gedanken beiseite und nehme stattdessen das Geschenk von ihm an mich. Während Lucian das Bild auf den Wohnzimmertisch legt öffne ich die mit Klebestreifen verschlossenen Ecken. Und davon gibt es viele. "Geschenke einpacken liegt dir wirklich nicht, was?", schmunzle ich. "So oft mache ich das nicht", gibt er zu. "Uh. Okay. Dann fühle ich mich geehrt." "Das darfst du ruhig." Und ich wie das tue! Überhaupt. Der ganze Tag fühlt sich schon so an. Na ja, bis auf den Morgen. Aber vergessen wir das. Schon während ich das Papier abstreife kann ich bedruckte Seiten erkennen. Das wird doch nicht …? "Hast du das geschrieben?", frage ich ihn aufgeregt. Lucian nickt. "Für mich?" Nicht wirklich, oder? Doch er nickt abermals, was mein Herz aufgeregt schlagen lässt. "Eine kleine Weihnachtsgeschichte über Slate und Neil", erklärt er. Als ob ich das nicht schon längst gesehen hätte. "Ich habe sie vorgestern Nacht geschrieben. Irgendwie auch als Entschuldigung." Er zuckt mir den Schultern und sieht für einen winzigen Moment unsicher aus. "Vielen, vielen Dank Lucian", flüstere ich bewegt und kann nicht anders, als ihn ebenfalls fest in meine Arme zu schließen, nachdem ich die Kurzgeschichte auf den Tisch gelegt habe. Er erwidert die Umarmung. Ich weiß nicht, wie lange wir so sitzen bleiben. Irgendwann fühle ich, wie Lucians Hände auf Wanderschaft gehen. Da fällt mir ein, dass er gar nichts unter seiner Jeans trägt ... *** Zwei Tage später ist es dann soweit. Die Telefonleitung geht wieder und laut Nachrichten und Wetterbericht sind die Straßen auch wieder befahrbar. Das sagte mir auch die sehr genervt klingende Uschi von der Taxizentrale. "Das Taxi ist unterwegs", verkünde ich, nachdem ich aufgelegt habe. "Okay." Lucian nickt, doch ich kann sein Gesicht nicht sehen, da er mir abgewandt in der Küche steht und Zwiebeln schneidet. "Willst du vorher noch eine Kleinigkeit zu Mittag essen?" "Klingt verlockend", grinse ich, laufe zu ihm rüber und umarme ihn von hinten. Die letzten Tage, also seitdem wir miteinander im Bett gelandet sind, waren wie im Traum. Keine Spur mehr von Streit, auch wenn Lucian mir gestanden hat, dass ihn das ziemlich angeturnt hat. Ich sähe heiß aus, wenn ich sauer bin. Das werde ich mir auf jeden Fall merken. "Was hat Bill gesagt?", möchte er von mir wissen. Mit dem habe ich zuvor telefoniert. "So viel, dass ich kaum noch weiß, was genau", antworte ich. Lucian lacht leise. Ein Geräusch, dass mir eine Gänsehaut beschert. 'Ich liebe diesen Kerl einfach ...' Oh ja! Überraschung! Ich bin verknallt in Lucian. Leider weiß er das nicht. Oder besser gesagt: Zum Glück. Was sollte es mir auch bringen, wenn er es wüsste? Wahrscheinlich vergisst er mich schnell wieder, sobald unser gemeinsames Projekt beendet ist. Nächstes Jahr an Weihnachten wird alles so sein wie immer. Nur ich werde wehmütig hieran denken. Ich schließe die Augen, atme tief ein, sauge seinen unvergleichbaren Duft in meine Lungen und lege die Lippen auf seinen unbedeckten Nacken. "Willst du etwa schon wieder?", höre ich Lucian amüsiert fragen. "Wann will ich mal nicht?", kontere ich. "Stimmt." Lucian legt das Messer hin und dreht sich zu mir um. "Aber du wirst bald abgeholt und deinen Abschiedssex hattest du heute Morgen auch schon", erinnert er mich. Ich seufze. "Schön. Essen wir eben wie zivilisierte Leute." Gemeinheit! Wenigstens bekomme ich noch einen Kuss. Einen sehr innigen … Ein Klingeln lässt uns auseinanderfahren. "Dein Taxi?" Ich schüttle den Kopf. "So schnell sicher nicht." Nicht hier, mitten in der Pampa. "Hm", macht Lucian, lässt mich los und geht zur Haustür. Wehmütig schaue ich ihm nach. Ich werde ihn so sehr vermissen … Als Lucian die Tür öffnet, sinkt meine Laune auf die Tiefpunkt. Drei mal dürft ihr raten, wer uns gerade gestört hat. Natürlich ist es Liam! Um etwas zu tun zu haben, schnappe ich mir das Messer und hacke auf die armen Zwiebeln ein. "Hey Nate", begrüßt mich Blondchen freudig. "Du kannst heute endlich wieder heim, habe ich gehört." In mir verkrampft sich alles. "Ja", nicke ich und umfasse den Griff des Messers fester. "Hat dir Lucian das gesagt?" Wer sonst? "Nö. Der Buschfunkt", lacht er. Oh natürlich! Sarkasmus kann der Idiot auch noch. Ihn muss es ja tierisch freuen, dass ich endlich wieder weg bin. Und Lucian … 'Holt sich gleich das nächste Fickstück ins Haus', denke ich bitter. Doch anstatt sauer zu werden, lege ich nur enttäuscht das Messer auf das Schneidebrett. "Ich geh mal schnell hoch. Nachschauen, dass ich nichts vergessen habe." Ich muss hier weg! Bevor ich anfange zu heulen. Ich sehe aus den Augenwinkeln, das mich Lucian fragend anschaut, doch ich ignoriere es. Oben in meinem ehemaligen Zimmer setze ich mich aufs Bett und vergrabe das Gesicht in meinen Handflächen. Ich bin so verdammt enttäuscht! Ich bin noch nicht mal weg, schon taucht dieses blonde Fickstück hier auf! Ich weiß ja, dass ich mir keine großen Hoffnungen machen kann, aber mal ehrlich: Ernsthaft?! Ein wenig Anstand kann man doch verlangen, oder? Unter Aufbietung all meiner Kräfte kämpfe ich die aufsteigenden Tränen nieder, die unbedingt aus mir heraus wollen. Ich werde nicht heulen! Nein! "Nate?" Ein Klopfen an meiner Tür. Lucian! "Nate, kann ich reinkommen?" Nein! Kannst du nicht! Kurz überlege ich, mich im Bad zu verschanzen, doch da geht auch schon die Tür langsam auf. Ich atme tief ein, wische mir übers Gesicht und stehe auf. "Hab alles", sage ich um ein Lächeln bemüht. "Ich weiß. Du hast gestern Abend schon alles eingeräumt", meint Lucian. Mist! "Alles okay?" "Klar", lüge ich. "Warum fragst du?" "Weil du vor Liam geflohen bist, als wolle er dir den Kopf abhacken." Ha ha. Wohl eher den Schwanz … "Bist du wieder eifersüchtig?" Bam! Lucian hat wirklich ein Talent dafür, ins Schwarze zu treffen. "Was? Wieso sollte ich?" Sehe ich so unbekümmert aus, wie ich es gerne hätte? Bestimmt nicht. "Ich habe Liam nicht eingeladen", erklärt er, ohne dass ich ihn gefragt habe. "Wir haben vorhin miteinander telefoniert. Er wollte wissen, ob alles okay ist bei uns. Da habe ich ihm gesagt, dass du heute gehst." "Und er musste gleich herkommen, weil er endlich wieder mit dir ungestört sein kann?", platzt es aus mir heraus. Innerlich verdrehe ich die Augen. Toll! Jetzt weiß er definitiv, dass du vor Eifersucht fast am Explodieren bist. "Nein", sagt er doch allen ernstes. Wahrscheinlich glaubt er das sogar. "Er ist vorbeigekommen, weil er gemerkt hat, wie traurig es mich macht, dass du gehen musst." Ich muss hart schlucken. "Bist du?" "Du etwa nicht?" "Keine Gegenfrage!", keife ich ihn schärfer an, als beabsichtigt. Er grinst und zieht mich an seine Brust. "So heiß", haucht er und küsst mich stürmisch. Ah ja. Da war ja was … Mir knicken fast die Beine weg, so intensiv ist dieser Kuss. Lucians Finger krallen sich in meinen Rücken und ich klammere mich ebenfalls so fest an ihn, als würde ich mit ihm verschmelzen wollen. "Ich will dich nicht gehen lassen", keucht er in meinen Mund. Ich würde gern sagen, dass ich bleibe, aber das kann ich nicht. Es wartet Arbeit auf mich. Und auf ihn auch. "Wir telefonieren", erinnere ich ihn an unsere Abmachung und daran, dass wir Handynummern ausgetauscht haben. "Als ob das reichen würde." Seine Worte bringen mich fast aus der Fassung. Wimmernd presse ich mich noch dichter an seinen Körper. Was diese Worte bedeuten könnten, darüber mag ich gar nicht nachdenken. Hinterher wartet eine große Enttäuschung auf mich und davon hatte ich wirklich genug die letzte Zeit über. "Ähm Leute? Da raucht was im Ofen." Liam! Wir fahren abermals wegen Blondi auseinander und drehen uns zu Tür. Liam steht dort, grinst süffisant und sieht von einem zum anderen. "Hier brennt wohl auch bald was an, wie ich sehe." Sein Grinsen wird immer breiter, was mich irritiert. Er sieht nicht im Geringsten angepisst oder verprellt aus. "Ich würde ja jetzt gehen und sagen, ihr sollt weitermachen, aber im Ernst: In der Küche qualmt es wie blöd." "Scheiße!", zischt Lucian und rennt eilig nach unten. Verdutzt bleibe ich allein mit Liam zurück. Es ist mir unangenehm und ich beiße mir leicht beschämt auf der Unterlippe herum, während er mich beobachtet. "Du denkst, ich will was von Luci", unterbricht er nach ein paar stillen Momenten unser Schweigen. "Luci?" Liam zieht die Nase kraus. "Ups. Vergiss bitte, dass ich das eben gesagt habe. Er hasst diesen Spitznamen." "Kann ich verstehen." Ich hasse ihn auch, obwohl ich ihn eben erst das erste mal gehört habe. "Passt nicht zu ihm." "Stimmt", lacht Liam. "Aber genau darin liegt doch der Reiz." Ich übergehe das und versuche selbstbewusst zu wirken. "Und? Willst du?", frage ich ihn und halte innerlich die Luft an. "Was will ich?" Blondi runzelt die Stirn, als wüsste er nicht, über was wir zuvor geredet haben, oder vielmehr er. "Ob du was von Lucian willst", helfe ich ihm auf die Sprünge. "Ach so!" Bisschen verwirrt, der Gute. "Quatsch! Wir vögeln manchmal miteinander. Wir sind beide Single. Friends with benefits sozusagen. Mehr nicht. Sobald ich meinen Traummann habe, ist damit Schluss." Ich muss schlucken und versuche mein aufgebrachtes Herz zu beruhigen, was gar nicht so leicht ist. "Oder er", hängt Liam hinten dran. "Aha." Soll ich mir jetzt doch Hoffnungen machen? "Na dann. Ich muss." 'Hier raus!' Wieder einmal. Ich zwänge mich an Liam vorbei, doch noch bevor ich richtig im Flur stehe, hält Liam mich zurück. "Nate? Ich will dir in nichts reinreden, aber er hat viel durchmachen müssen und tut sich schwer damit, jemanden zu vertrauen. Gib ihm Zeit." Ich schaue ihn prüfend an, sehe aber nichts als Ehrlichkeit in seinen Augen. Also nicke ich und eile die Treppe nach unten. Ein letztes Mal. Unten angekommen, empfängt mich dichter Qualm. "Oh verflucht!" Ich versuche Lucian ausfindig zu machen, doch er ist nirgends zu sehen. Hinter mir schlägt die Terrassentür zu und verpasst mir damit einen mächtigen Schrecken. "Das wars! Kein Mittagessen!", wettert Lucian. "Sollen die Vögel sich darüber hermachen, falls sie auf Kohle stehen." "So schlimm?", frage ich und reiße alle Fenster auf. "Kann man sagen." Lucian tut es mir gleich und hilft mir, damit alles schnell auslüften kann. Immer wieder müssen wir wegen des beißenden Rauchs husten. Es stinkt echt ekelhaft. Schnaufend hängen wir schließlich an einem der geöffneten Fenster und saugen die kalte Winterluft in unsere Lungen. Die Hände haben wir beide über das Fenstersims gelegt. Ich betrachte mir die eingeschneiten Bäume vor dem Haus. Wirklich schön. Solange man nicht eingeschneit ist. 'Wobei mir das die letzten Tage über überhaupt nichts ausgemacht hat …' Plötzlich schiebt sich eine Hand auf meine und verschränkt die Finger mit meinen. Ich erwidere den sanften Druck und kann mir ein Lächeln nicht verkneifen. Ich soll ihm Zeit geben, hat Liam gesagt. Was er damit gemeint hat? Und was hat Lucian alles durchmachen müssen. Hin und wieder hat er ja etwas anklingen lassen, aber so genau ist er nie mit der Sprache rausgerückt. 'Ich kann nur mir vertrauen.' So etwas ähnliches hat er doch gesagt, nicht? Auf einmal das Gefühl habend, ihn trösten zu müssen, lehne ich mich mit dem Oberarm gegen seinen und lege den Kopf aus seiner Schulter ab. "Dein Taxi kommt bald", krächzt Lucian. "Ich weiß." "Wirst du irgendwann mal vorbeikommen?" Ich beiße mir auf die Unterlippe. Diesmal, um nicht zu breit zu lächeln. "Wenn ich darf." "Klar. Warum nicht?" Ein Schulterzucken folgt, das eindeutig auch etwas kaschieren soll. Freude? Auch wenn es langsam wirklich scheiß-kalt wird, bleiben wir weiterhin händchenhaltend am offenen Fenster stehen. Liam klappert in der Küche herum, doch wir scheren uns nicht darum und er spricht uns auch nicht an. Als dann mein Taxi um die Ecke gefahren kommt, würde ich am liebsten davonrennen. Kurz wird Lucians Händedruck fester, als würde er etwas ähnliches denken. "Also dann. Ich hole mal meinen Koffer." Lucian loszulassen ist schwerer als gedacht, aber ich schaffe es irgendwie. Mein Koffer steht schon abreisefertig neben der Haustür. Ich schnappe mir seinen Griff und drehe mich zu Lucian, der mir nachgelaufen ist. "Danke für deine Gastfreundschaft", verabschiede ich mich von ihm. Meine Stimme ist dabei so dünn, das sie der kleinste Lufthauch davonwehen könnte. "Kein Ding." Ich muss über Lucians Worte schmunzeln. "Und für alles andere auch", zwinkere ich ihm zu, recke mich ihm ein Stück entgegen. Eigentlich will ich ihm nur einen kleinen Abschiedskuss geben, doch Lucian hat andere Pläne. Er packt mich, schlingt die Arme um mich und saugt mir die Luft aus der Lunge. Mir entkommt ein Stöhnen, was er ungeniert ausnutzt und seine Zunge durch meine geöffneten Lippen schiebt. 'Ich will nicht gehen!' Draußen hupt es. Dämliches Taxi! "Sieht aus, als müsste ich mir ab jetzt tatsächlich einen anderen suchen, der mir meinen Hintern vergoldet", kichert Liam hinter Lucian. Das will ich ihm aber auch geraten haben! Als ich durch die Haustür trete, blitzt die Sonne durch ein paar Wolkenlücken. Als würde sie uns trösten wollen. Das Klappern der Rollen meines Koffers kommt mir so laut vor, dass ich mir am liebsten die Ohren zuhalten würde. Der Taxifahrer steigt aus, schnappt ihn sich und lädt ihn in den Kofferraum. Ehe ich einsteige drehe ich mich nochmal zum Haus um. Lucian ist im Türrahmen stehen geblieben. Neben ihm hockt ein hechelnder Ramsey.** Liam nickt mir lächelnd zu, klopft Lucian auf die Schulter und verschwindet wieder im Haus. Wieder werde ich eifersüchtig, allerdings darauf, dass Liam hierbleiben kann, während ich weg muss. Ich sehe, wie Lucian einmal tief einatmet, die Hand hebt und mir kurz zuwinkt. Ich erwidere diese Geste, dann steige ich ein und warte, bis der Taxifahrer losfährt. Kurz vor der Kurve drehe ich mich nochmal um. Lucian steht immer noch an Ort und Stelle. So lange, bis ich ihn nicht mehr sehen kann. Ende … Vorerst ;-) * Also ich auf jeden Fall. Und die Leser wahrscheinlich auch xDDD ** wollte erst ein hechelnder Liam schreiben XP Bevor jetzt der große Aufschrei kommt, warum ich hier ende, keine Sorge. Ein kleines Bisschen habe ich mit den beiden noch vor. Lasst euch überraschen ;-* Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)