Der Duft von Hyazinth von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 9: Saddins Ende ----------------------- „Lasst mich mitkommen!“, protestierte Rin hartnäckig und sah Akira, der nach Sesshōmaru, an den sie momentan nicht herankam, die nächste Instanz war, scharf an, „Die ehrenwerte Homoto sagt selbst, ich wäre eine ihrer besten Schülerinnen und Ihr könnt jeden Heiler gebrauchen!“ „Kleines Fräulein, das ist wirklich nicht der geeignete Zeitpunkt, um so eine Diskussion-“ „Hört auf mich kleines Fräulein zu nennen und so zu tun als wüsste ich nicht, wie hässlich der Krieg sein kann. Er hat mir meine Eltern und meine Sprache genommen. Ich lasse nicht zu, dass er mir Sesshōmaru-sama und Inu Yasha wegnimmt... und Euch“, fügte sie dann leiser hinzu, wandte jedoch den Blick nicht ab. Akira ballte die rechte Hand zur Faust und schüttelte sie dann unauffällig wieder aus. Warum fiel es ihm so leicht, Sesshōmaru und Inu Yasha und eine ganze Bande halbstarker Krieger in ihre Schranken zu weisen und bei dieser kleinen Menschenfrau brauchte er alle Kraft, sich durchzusetzen? „Akira-sama, bitte“, fügte sie noch einmal nachdrücklich hinzu und legte eine Hand auf seinen gerüsteten Unterarm. „Ich verspreche auch hoch und heilig, dass ich mich nicht in Gefahr begeben und bei den anderen Heilern im Lager bleiben werde.“ Ein erneuter Widerspruch lag Akira auf den Lippen, doch dann dachte er plötzlich zurück an jene Schlacht vor so vielen Jahren, in der Sesshōmaru sich ohne dass es jemand wusste eingeschlichen hatte und wie das geendet hatte. Und er hatte nicht wirklich das Gefühl, dass Rin sich mit einem Verbot einfach so abfinden würde. Ergeben schloss er einen Augenblick die Augen. „Bringt mich nicht dazu, diese Entscheidung zu bereuen. Ich muss allerdings Sesshōmaru-sama in Kenntnis setzen, das ist Euch klar, oder?“ „Sicher“, erwiderte Rin mit einem unschuldigen Funkeln in den Augen. „Aber die Zeit dazu werdet Ihr sicher erst finden, sobald wir im Lager angelangt sind.“ Ein leicht belustigtes Schnauben entkam dem General. „Ihr seid eine Füchsin, wisst Ihr das?“ Und Ihr zufriedenes, verschmitztes Grinsen rührte etwas in ihm.   ~*~   Inu Yashas Hand zuckte automatisch zu seinem Hals als er dort ein Pieksen spürte. Darauf folgte ein leises Wimmern und er rollte die Augen. „Myoga!“, sagte er genervt, „Wenn du dich nicht immer so anschleichen würdest, wäre dein Leben weitaus weniger schmerzerfüllt.“ „Jaja“, brummte der Flohgeist und hüpfte von Inu Yashas Schulter auf seinen Kopf und nahm dort nahe einem der weichen Hundeohren einen Platz ein, „Ihr folgt also Eurem Bruder in den Krieg. Wer hätte das gedacht.“ „Myoga, was willst du?“, murmelte Inu Yasha, der unter Anspannung stand und nicht gerade aufgeschlossen war für eine Diskussion mit dem Flohgeist. „Nur nach Euch sehen. Sesshōmaru-sama hat mich schon verscheucht. Übrigens, Inu Yasha-sama … in dieser Rüstung... seht Ihr aus wie Eurem ehrenwerten Vater aus dem Gesicht geschnitten... ach...“ „Du bist nicht der erste der mir das sagt“, brummte der Hanyō, der immer noch versuchte, auf dem seltsamen Reittier seinen Halt zu finden. „Das wundert mich gar nicht.“ „Bist du jetzt hier um über meine Familie zu plaudern?“ „Nein, nein. Ich dachte nur, es ist wichtig, dass Ihr noch eine Sache wisst. Ihr müsst Euch unter allen Umständen von den Giftpfeilen der Südhunde fernhalten. Ihr wisst, was dieses Gift mit Sesshōmaru-sama gemacht hat. Ihr als Hanyō seit viel gefährdeter, eine solche Vergiftung nicht zu überstehen.“ „Keh! Keine Sorge, ich lass mich doch von diesen Bastarden nicht in die Knie zwingen. Ich hab keine Angst!“ „Euer Wort in der Götter Ohr“, sagte Myoga resigniert seufzend und ließ den Blick zum Horizont wandern. Dort weit hinten lagen die Südlande und jene Stelle an der Westen und Süden aufeinander trafen, würde vermutlich der Austragungsort werden. Ohne es zu bemerken folgte Inu Yasha diesem Blick. Dann fiel ihm etwas ein. Etwas, das ihm schon so lange auf der Zunge brannte, er aber nicht wussste, von wem außer Akira er das sonst hätte erfragen sollen. „Sag, Myoga...“ „Ja, Inu Yasha-sama?“ „Was ist mit diesem Saddin passiert?“ Schweigen. „Ihr wisst davon?“ Inu Yasha nickte. „Also?“ „Warum interessiert Euch das?“ „Nur so“, brummte Inu Yasha und hob die Hand, um den Flohgeist zwischen Daumen und Zeigefinger zu nehmen, damit der ihm nicht entwischte. Myoga zappelte ein Bisschen und resignierte dann. „Sesshomaru-sama wird mich umbringen, wenn er das herauskriegt“, jammerte er kläglich. „Mir doch egal“, erwiderte Inu Yasha mit einem kalten Grinsen und hielt ihn sich direkt vor die Augen. „Also?“ Myoga seufzte. Dann begann er zu erzählen. Wie Saddin nach Japan gekommen und wie er und Sesshōmaru sich näher gekommen waren. Von der Schlacht gegen den Schattenyōkai. Und dann... gelangte er zum Ende...   ~*~   „Saddin hat mich gebeten, Sesshōmaru mit nach Persien nehmen zu dürfen.“ Die Augen der Inu no Kami weiteten sich einen flüchtigen Moment in Unglauben, dann wurde ihr Blick warnend. „Was hast du ihm geantwortet?“ „Dass ich Bedenkzeit brauche.“ Sie verschränkte langsam die Arme vor der Brust. „Nein.“ „Das ist nicht deine Entscheidung, Kimi“, erwiderte Tōga eine Spur schroff. „Unser Sohn scheint recht angetan von dieser Idee .“ Sie schüttelte leicht den Kopf. „Den Floh hast doch du ihm sicher wieder ins Ohr gesetzt. Er würde niemals auf das hier alles verzichten, nur wegen einer Gefühlsduselei. Er ist der Erbe des Westens – der einzige Erbe!“ „Inukimi, ich bitte dich – wir beide wissen doch ganz genau, dass es hier weniger um Sesshōmaru geht als um dich.“ Inukimi schnaubte und ihr Blick bohrte sich den ihres Gemahls. „Saddin! Wie gut kennst du diesen Mann eigentlich? Was macht dich so sicher, dass er Sesshōmaru nicht nur mit sich nehmen will, weil er ein Megumareta ist – einer der stärksten.“ „Ich glaube, Sesshōmaru hat sehr viel für ihn übrig.“ „Das ist doch bloß eine alberne Jünglings-Liebelei!“ Tōga schüttelte entschieden den Kopf. „Das glaube ich nicht.“ Kurzes Schweigen. „Das werde ich nicht zulassen, Tōga. Ich werde nicht zulassen, dass du meinen einzigen Sohn auf Nimmerwiedersehen in die Fremde zu diesen Säbel schwingenden Wilden schickst.“ „Nun“, grollte der Inu no Taishō verstimmt, „Dann vergisst du, dass mein Wort über dem deinen steht.“ „Erinnerst du dich an das Versprechen, das du mir einst gabst? Als ich als blutjunges Mädchen damals zu dir kam von meinen Eltern fortgerissen, fremd meiner Heimat? Als ich weinte und du mir dein Wort gabst, alles zu tun, um mich glücklich zu machen? Wie stehst du heute zu deinem Wort?“ Tōga knurrte und knirschte dabei mit den Zähnen. Wie könnte er dieses Versprechen vergessen? Aber hier ging es um mehr als ein Versprechen. Er fuhr sich fahrig durch den Haaransatz und stimmte dann zu: „Sesshōmaru ist der Erbe des Westens, das ist natürlich richtig. Aber es muss... er ist noch jung. WIR sind noch jung, Kimi, was wenn es gar nicht seine Bestimmung sein mag, meine Nachfolge anzutreten, was wenn es eines unserer zukünftigen Kinder Schicksal ist?“ Inukimis Blick wurde kühl. „Das sind mir zu viele Wenns. Er ist der Erstgeborene, es ist seine Bestimmung.“ Und nach einer Weile des Schweigens fügte sie hinzu: „Und wenn du diese Entscheidung über meinen Kopf hinweg treffen solltest, dann wird ein kaltes Bett deine geringste Sorge sein...“ Eisiges Schweigen. „Was hältst davon:“, lenkte Toga schließlich ein, „wir lassen ihn mit Saddin gehen für 20 Jahre. Er soll dort leben und dieses Land kennenlernen und am Ende dieser 20 Jahre wird er sich erst entscheiden dürfen, ob er Saddins Gefährte und bei ihm bleiben wird, oder nicht. Und nebenbei... wird er mit Sicherheit einige wertvolle Erfahrungen gesammelt haben. Und ich bitte Myoga, ihn zu begleiten.“ Inukimi lag ein Widerspruch auf den Lippen, dann stockte sie. Nun, ihr Gatte zeigte sich zumindest kompromissbereit. Mehr konnte sie nicht bewirken, wenn er bei dieser Laune war. Und 20 Jahre waren keine lange Zeit.   ~*~   Die Schiffe wurden bereits seit Tagesanbruch beladen und Sesshōmaru staunte, denn er hatte gar nicht in Erinnerung wie viele es eigentlich waren. Zwei Soldaten brachten sie mit Ruderbooten hinüber zum Hauptschiff der Flotte. „Falls du seekrank wirst, habe ich meinen Heiler schon einmal vorsorglich angewiesen, eine Ingwertinktur zuzubereiten“, raunte Saddin Sesshōmaru zu, welcher ein wenig hochnäsig erwiderte: „Ich werde bestimmt nicht seekrank. Das Bisschen Schaukeln wird mein Körper schon aushalten. „Wenn du das meinst“, erwiderte Saddin arglos. Erst jedoch als sie einen Moment alleine waren, zog er den jungen Inuyōkai in einen Kuss. Sesshōmaru war schon früher aufgefallen, dass Saddin auf solche intimen Gesten in der Öffentlichkeit keinen Wert legte. „Bist du sicher, dass du das wirklich willst?“, raunte Saddin mit dunkler Stimme, „noch haben wir nicht abgelegt.“ „Ich habe doch nicht so viel Zeit investiert, dich umzustimmen um es mir jetzt anders zu überlegen.“ Saddin verdrehte theatralisch die Augen. „Ich erinnere mich.“ „Wie lange soll die Überfahrt dauern?“, wollte Sesshōmaru dann wissen und sah sich die Räumlichkeiten an nachdem er sich aus Saddins Armen gelöst hatte. „Alles in allem zwei Monate. Unsere Schiffe sind die schnellsten ihrer Zeit.“   Etwa zwei Wochen hatten sie spiegelglatte See. Doch dann schlug das Wetter um und die See wurde rauer. Das Schiff begann heftig zu schaukeln und behielt seinen Rhythmus bei, sehr zur diebischen Freude Saddins, denn Sesshōmaru hatte beim ersten Wellengang sein Heil darin gesucht, sich würgend über die Reeling zu beugen. „Ich dachte, du wirst nicht seekrank, schöner Sesshōmaru“, sagte Saddin arglos, während er ihm sanft über den Rücken strich. Sesshōmaru hielt sich sein feuchtes und mittlerweile nach Salzwasser riechendes Haar aus dem Gesicht und erwiderte kalkweiß: „Ich bin auch nicht seekrank. Wollte nur die Fische füttern.“ Saddin lachte auf und Sesshōmaru wollte schon etwas erwidern, als ein erneuter Würgereiz ihn zum Schweigen brachte. Nachdem sein Magen nur mehr krampfte, aber nichts mehr von sich geben wollte, nahm Saddin ihn am Oberarm und führte ihn hinein in die Kabine, wo er ihn mit sanfter Gewalt auf dem Bett dort niederdrückte. Der Heiler war schon anwesend und Sesshōmaru wurde etwas gereicht, das den intensiven frischen Duft von Ingwer verströmte „Damit werdet Ihr Euch besser fühlen“, sagte der Heiler und reichte ihm das Trinkgefäß. Sesshōmaru schnüffelte kurz daran und stürzte es schließlich ohne eine Miene zu verziehen herunter. Der Ingwer brannte, aber er merkte sofort, wie die Medizin seinem Magen gut tat. Saddin nahm dem Heiler eine Schale mit einem Stück Tuch aus der Hand und nahm neben Sesshōmaru platz. Wrang es leicht auf und tupfte dem jungen Inuyōkai den kalten Schweiß von Stirn und Schläfen. „Warum tust du das?“, murmelte Sesshōmaru mit geschlossenen Augen, „Das ist Bedienstetenarbeit.“ Saddin antwortete nicht sofort. Dann sagte er sanft: „Weil ich es selbst tun möchte. Du wirst eines Tages mein Gefährte sein und unwürdige Hände sollen dich nicht berühren, wenn es sich nicht vermeiden lässt.“ Sesshōmaru hielt es erst für einen Scherz und erwiderte mit einem schwachen Lächeln: „Und die Diener, die für mein Haar und meine Garderobe zuständig sind? Sie müssen mich berühren. Oder möchtest du das alles selbst machen, Herr der östlichen Sterne?“ „Wenn es sein muss“, erwiderte Saddin vollkommen ernst und Sesshōmaru schwieg. Er wurde schläfrig. Und als er in den Schlaf glitt kam die Stimme zu Besuch, die er niemals wieder würde vergessen können.   / Sesshōmaru... Sesshōmaru... betrügst du mich etwa? Oh... falsche Entscheidung..../   Ein Donnerschlag ließ Sesshōmaru aus dem Schlaf schrecken und im nächsten Moment wurde er aus dem Bett geschleudert und schlug auf dem Boden auf. Dabei stieß er sich schmerzhaft den Kopf und etwas benommen richtete er sich auf. Sah sich orientierungslos um und fragte sich wo das Chaos im Zimmer herkam. Blickte dann zur Decke... und sah das Bett, das eigentlich am Boden festgeschraubt war... Es dauerte ganze zwei Sekunden, ehe Sesshōmaru realisiert hatte, dass das Schiff auf dem Kopf stand. Er stürzte zur Tür und wollte sie öffnen, doch sie klemmte – mit ein wenig mehr Kraftaufwand brach sie auf – das Schiff musste in Schieflage sein, denn als er ein paar Schritte lief, umspülte eisiges Wasser seine Füße. Entsetzt starrte er erst zu Boden und sah dann in beide Richtungen. Der Weg zum Deck lag offensichtlich bereits unter Wasser. „Sesshōmaru!“ „Saddin!“ „Los komm, wir müssen hier raus!“ „Was – was ist denn passiert, wo sind die anderen, deine Leute, sie-“ „Ich muss erst dich hier herausbringen!“ „Was? Wir-“ „Keine Widerrede! Wie lang kannst du die Luft anhalten?“ „I-ich weiß nicht! Saddin, was ist hier los!“ Sesshōmarus Stimme klang ungewollt ängstlich, untypisch für den stolzen Inuyōkai. Saddin packte ihn mit den Händen grob an beiden Wangen und zwang ihn ihm in die Augen zu sehen. „Du musst mir vertrauen. Und du musst dir selber vertrauen. Dein Schattenyōkai war offensichtlich nicht damit einverstanden, dich gehen zu lassen. Komm jetzt. Wir müssen schnell hier heraus.“ Und was er ihm nicht sagte war, dass der Schattenyōkai nur Saddins Tod wollte, denn letztendlich war er es, der Sesshōmaru mit sich nahm und damit außer seine Reichweite. Der Schattenyōkai konnte nämlich kein anderes Land betreten als Japan und die Meere. Und wenn Saddin nicht war, hatte Sesshōmaru keinen Grund mehr, Japan zu verlassen.   „Du musst dort hindurch tauchen. Hier-“ Damit drückte er ihm sein Sternenschwert in die Arme und sah ihm tief in die Augen. „Ich bin gleich hinter dir. Es wird dich beschützen und dir den Weg leuchten.“ Dann küsste er ihn flüchtig und Sesshōmaru hatte ein merkwürdiges Gefühl, als spüre er einen letzten Kuss. „Los jetzt!“ Sesshōmaru nickte abgehackt, holte dann Luft und tauchte unter.   Mit dem Wasser kam die Stille und als er die Augen öffnete brannte es fürchterlich in seinen Augen. Er durchschwamm die Gänge des Schiffes die nun alle unter Wasser lagen und fürchtete schon einen Augenblick, die Orientierung zu verlieren. Doch da waren sie, die Treppen, die an Deck führten. Seine Augen brannten, die empfindlichen Ohren schmerzten von dem Wasserdruck. Das Sternenschwert lichtete das dunkle trübe Wasser und schließlich passierte er die Öffnung und wusste einen Augenblick nicht, wo oben und unten war. Waren sie schon so tief unter Wasser? Wie mochte das sein? Er sah die Umrisse des Schiffes tiefer sinken, aber wo war Saddin? Seine Lungen brannten und schrien nach Luft. Er musste hinauf an die Wasseroberfläche, doch irgendetwas zog ihn schwer in die Tiefe. Das Wissen, dass Saddin ihm nicht folgen würde.   Seine Beine bewegten sich automatisch und eine undefinierbare Zeit später durchbrach sein Kopf die Wasseroberfläche. Und die Stille wich abrupt dem Tosen von Sturm und Gewitter. Sesshōmaru war schwindelig und er schnappte nach Luft, das nasse, schwere Haar hing ihm wirr ins Gesicht und die vollgesogenen Kleider zogen ihn nach unten. Sein Atem ging schnell und flach. „Saddin?“, rief er angespannt. „Saddin? Saddin?“ Seine Schreie gingen unter im Tosen des Sturms und im Gelächter des Schatten Yōkai. Ihm wurde kalt. Er schwamm ein Stück, wurde beinahe von einer Welle herab gerissen. „Saddin??? Saddin?? Saddin???“ Er schrie so lange und so laut, bis seine Stimme heiser war und brach und ihn die Erkenntnis ereilte, dass Saddin nicht mehr kam. Dass niemand mehr kam. Die ganze Flotte war fort, in die Tiefe gerissen. Angst. Blanke Angst überlief den jungen Inuyōkai und obwohl Tränen seine Wangen herabliefen und von Regen und tosendem Meer weggespült wurden, wusste er, dass er Land erreichen musste. Er konnte seine Hundegestalt nicht annehmen, denn die verbrauchte viel zu viel Yoki, dafür, dass er nicht wusste, wie lange er sie aufrecht erhalten musste. Und wenn er sich verschätzte, ertrank er alle mal. Also schwamm er. Und er weigerte sich dabei, das Schwert loszulassen, denn das Schwert war alles, was er von Saddin zurück behielt. Alles, was blieb. Sein Herz zerriss mit jedem Schwimmzug ein Stück mehr.   Das Gewitter wurde leiser irgendwann. Die Wellen niedriger. Stille senkte sich herab. Er war so erschöpft. Er hatte die Orientierung verloren. Die Sicht verschwamm. Der Himmel war klar und die Sterne standen zu Abermillionen. Wunderschön. Ob Saddins Himmel auch so aussah? Sesshōmaru ließ sich auf dem Rücken treiben, das Schwert an die Brust gepresst. Wenn die Tiefe ihn holte, dann sollte es so sein. Was spielte es noch für eine Rolle? „Ich habe dich mit meiner Liebe getötet...“, sagte er leise, verwaschen. „So mögen sie auch mich in die Tiefe ziehen... doch tun sie es nicht, so … werde ich niemals wieder... niemals mehr... mein Herz... vergeben, denn es ist... dort unten bei dir...“   Und als ihm schon die Sinne schwanden, da spürte er schwach eine vertraute Energie. Das Wasser schwappte bereits über sein Gesicht und hüllte ihn in Stille als die Energie näher kam und sich schließlich ein riesiges Maul um ihn schloss. Und dann wusste er nichts mehr.   ~*~   Das erste Mal kam Sesshōmaru zu sich als leise Stimmen sprachen. Er nahm den Geruch seines Vaters wahr, der ihn trug. Seine Kleider waren nass, er fror. Er wollte etwas sagen, doch als ihm einfiel, dass Saddin tot war, verließen ihn alle Kräfte wieder.   Und er vergaß zu sprechen. Er blieb stumm als sein Vater zu ihm kam. Blieb stumm als seine Mutter zu ihm kam. Seine Kampfgefährten. Er trank Sake, um sich zu betäuben und behandelte die Diener grausam und abwertend, bis ihm bald jeder aus dem Weg ging. Und dann kam Akira. Sesshōmaru ignorierte die Anwesenheit seines Kampfmeisters wie jeden anderen vor ihm. Akira sagte auch kein Wort. Er packte Sesshōmaru und hob ihn ungefragt auf die Arme. Der junge Inuyōkai wehrte sich halbherzig, ließ es dann jedoch gut sein. Sollte der doch machen was er wollte.   Sesshōmaru kam erst wieder zu Sinnen als Akira ihn draußen in den Brunnen mit dem eiskalten Wasser warf. Hustend tauchte er wieder auf. „Hat man Euch das Hirn verbrannt?“, fluchte er dabei sehr manierlos, „Was fällt Euch überhaupt ein, Ihr herzloser Bastard einer Kuhmagd!!!“ Akira sah emotionslos auf ihn herunter und wartete ruhig ab, bis Sesshōmaru keine Luft mehr hatte und ihn nur noch wütend und irgendwie erschöpft anstarrte. „Seid Ihr jetzt fertig, Jammerlappen?“ „Bitte?“ Akira schnaubte abfällig. „Seht Euch doch an. Betrinkt Euch tagtäglich mit Sake und habt seit Wochen kein Bad mehr von Innen gesehen. Ihr stinkt. Nach Selbstmitleid und Schwermut. Das ist unwürdig. Also los. Verdammt nochmal, steht auf und kämpft, anstatt Euch dem so hinzugeben. Dadurch macht Ihr gar nichts rückgängig. Also steht auf.“ „Ich kann nicht“, sagte Sesshōmaru leise und ließ das Haupt sinken. „Steht auf!“ „Ich sagte ich kann nicht!!!“ „Ihr könnt!“ „Hört Ihr mir nicht zu??“, fluchte Sesshōmaru und kam leicht betrunken wackelig auf die Beine – wäre beinahe ausgeglitten und fand dann doch seinen Halt. „Hört Ihr mir nicht zu??? Ich kann nicht, ich KANN nicht!!! Er ist tot – lasst mich los!“ „Gut, jetzt kommt aus dem Wasser heraus“, forderte Akira ruhig und zog Sesshōmaru am Handgelenk mit sich – der versuchte sich verbissen loszumachen. „Wieso hört Ihr mir nicht zu!?!?“ Sesshōmarus Stimme brach und mit einem Ruck versuchte er sich loszumachen. „Er ist TOT und er wird niemals wieder kehren, was hat das alles noch für einen Sinn???“ Akira zog grob und ruckartig an Sesshōmarus Handgelenk und schloss ihn im nächsten Moment in die Arme: Sesshōmaru wehrte sich und fluchte und dann krallte er sich fest und sackte zusammen und weinte, weinte wie ein Kind. Danach weinte er nie wieder.   ~*~   Als Myoga geendet hatte, schwieg Inu Yasha bedrückt und nachdenklich. Da hatte er gedacht, er und Sesshōmaru hatten bis auf den Vater nichts gemeinsam. Doch das war nicht richtig. Beiden war ihre erste Liebe grausam entrissen worden. Ein merkwürdiges Gefühl machte sich in ihm breit. Verständnis? Vergebung? Als schließlich der Inu no Taishō umgekommen war, ein erneuter Schicksalsschlag. Denn es musste nur wenige Jahre gewesen sein, nachdem Saddin in den Tiefen des Meeres verschwunden war. Hätte er das alles nur früher gewusst. Er verstand jetzt so viel. „Was geht in Euch vor?“, fragte Myoga sanft nahe seines linken Ohres. „Hm“, machte Inu Yasha unverbindlich. „Inu Yasha-sama?“ „Erkläre mir eines, Myoga... warum ...“ Er brach wieder ab. „Ja?“, hakte der Flohgeist nach. „Woher kommt dieser unerklärliche Drang, ihn beschützen zu wollen?“, sagte er dann gedämpft. „Ich meine... nicht nur nach deiner Geschichte, auch … auch davor schon... ich meine... Sesshōmaru braucht keinen Schutz.“ „Seid Ihr Euch da sicher?“ Inu Yasha schwieg. „Na seht Ihr... Wenn ich Euch einen Rat geben darf, Inu Yasha-sama … Ihr solltet mehr lernen, auf Eure Instinkte zu hören. Der Urhund in Euch gibt Euch keinen falschen Rat, Ihr müsst ihm nur vertrauen.“   Inu Yasha schwieg. Sein Urhund. Wenn es nur das war. Inu Yasha knurrte leise und sah dann zum Himmel. Es war schwül. Würde ihn nicht nicht wundern, wenn es bald zu regnen anfing. Und kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende gedacht, spürte er auch schon den ersten Tropfen auf der Nasenspitze. Er reckte sich automatisch um nach vorne an die Spitze des Heeres sehen zu können, wo Sesshōmaru mit Ah-Uhn ritt. Es war schwierig ihn auszumachen zwischen den anderen hellen Haarschöpfen und den Rüstungen und Waffen, doch dann sah er ihn. Myogas Geschichte ging ihm durch den Kopf und Inu Yasha konnte es kaum glauben, dass Sesshōmaru... ausgerechnet der Sesshōmaru, der ihm seit er zurück denken konnte niemals auch nur den Hauch einer Emotion gezeigt hatte, geweint hatte. Geliebt hatte, unbeherrscht und ungehorsam gewesen war. Lebendig gewesen war. Er war lebendig gewesen und der Yōkai, der in den Schatten hauste, hatte ihm diese Lebendigkeit genommen, dieses Leben. Inu Yashas Hände krallten sich fester um die Zügel. Naraku hatte ihm sein erstes Leben genommen. Aber dank Kagome und den anderen hatte er es wieder erlangt. Und er war ihnen so dankbar. Sesshōmaru hatte Saddin verloren. Kurz darauf den Vater. Und jetzt wo Inu Yasha dieses Heer sah, wurde ihm das erste Mal bewusst, was eigentlich für eine Verantwortung auf seinem Bruder liegen musste, was für eine Last. Er biss sich auf die Unterlippe. Von diesen ganzen Yōkaiangelegenheiten verstand er recht wenig. Was er aber wusste, war dass er Sesshōmaru das Leben zurück bringen wollte. Wer sollte das tun, wenn nicht er?   ~*~   Seine fliegenden Spione hatten ihm berichtet, wie weit Takaitayo schon vorgedrungen war. Offensichtlich wollte der Südfürst keine Zeit verlieren. Gerade befand Sesshōmaru sich mit seinen Generälen in einer Lagebesprechung, während draußen das Heerlager aufgebaut wurde. Es regnete nun seit zwei Tagen ununterbrochen, was bedeuten würde, dass das Schlachtfeld auf dem die Heere höchstwahrscheinlich aufeinanderprallen würden der reinste Sumpf sein würde – was den Südyōkai, die sumpfigen Boden und heiß-feuchte Luft gewohnt waren, natürlich einen kleinen Vorteil verschaffte. „Hier ist zu viel Sumpf“, sagte Susano-O ernst und deutete eine kreisförmige Bewegung seines Fingers auf einem Teil der auf einem Tisch ausgebreiteten Karte, „Ich glaube kaum, dass er riskieren wird, einen Teil seiner Leute dort drin zu verlieren.“ „Wir sollten kein Risiko eingehen“, schaltete sich Akira ein, „Ich trau dem Kerl alles zu.“ Sesshōmaru nickte mit ernster Miene. „Es ist wahrscheinlich, dass er seine Bauernopfer dorthin schickt um uns in einen Hinterhalt zu locken. Es reicht, wenn wir einen kleinen Trupp Soldaten dort lassen und die Hauptmacht des Heeres frontal angreifen lassen. Susano-O-san, Ihr werdet mit Euren Leuten das Zentrum übernehmen, Akira, Ihr führt mit den Euren den ersten Schlag aus. Iruka, Ihr werdet den Sumpf übernehmen. Und seid wachsam, ich rechne damit, dass Takaitayo hinterhältig genug ist, seine Giftpfeile regnen zu lassen.“ Er schwieg einen Moment und sagte dann unterkühlt: „Takaitayo gehört mir. Jedem, der ihn vor mir anfasst, schlage ich eigenhändig den Kopf ab.“ Die Männer sahen sich kurz an und nickten dann grimmig.   ~*~   Rin hatte alle Hände voll zu tun. Sie half Homoto und den anderen Heilern und Heilerinnen dabei, das Lazarett Zelt aufzubauen. Anfangs hatte sie sich gewundert, warum Yōkai, die doch über solch gute Selbstheilungskräfte verfügten, das überhaupt brauchten, aber von Homoto wusste sie, dass es Verletzungen gab die zu stark waren für die Selbstheilungskräfte, Wunden die zu sehr bluteten und zu langsam zusammen wuchsen, oder Vergiftungen. Dass das Gift der Südhunde das heimtückischste war von all den vier Fürstentümern wusste sie mittlerweile auch. Homoto hatte ihr schon unglaublich viel beigebracht, aber je mehr sie lernte, desto mehr fühlte es sich für sie an, als würde sie im Grunde gar nichts wissen. Bisher jedenfalls schien Homoto recht zufrieden mit ihr zu sein, auch wenn sie sehr streng war, und das erfüllte Rin mit Stolz.   „Rin-san!“, rief eine Heilerschülerin ihr zu, die nur wenig älter als sie selbst war, „Kannst du mir helfen? Diese Truhe mit den Tinkturen ist schwerer als ich sie in Erinnerung hatte.“ Die junge Yōkai ächzte und Rin kam sofort zu ihr gelaufen. „Natürlich, Minako-san“, sagte sie eifrig und griff an der anderen Seite nach der Truhe um sie gemeinsam mit Minako anzuheben. Die beiden jungen Frauen hatten so etwas wie ein vorsichtiges, freundschaftliches Verhältnis. Minako war die erste gewesen, die sich getraut hatte auf Rin zuzugehen, wo die anderen sich noch zurückhaltender gezeigt hatten, aufgrund ihres familiären Verhältnisses zu ihrem Fürsten. „Uff“, ächzte Rin, „Nutzen wir seit neustem Backsteine um unsere Krieger zu heilen?“ Minako verzog angestrengt das Gesicht. „Das würde mich bei Homoto-sama nicht wundern. Vielleicht benutzt sie sie als Betäubung.“ Die jungen Frauen kicherten, doch plötzlich rumpelte es in der Kiste und ein Niesen drang hervor – Rin und Minako erschraken beide und ließen zur selben Zeit die Kiste fallen. Sie schauten sich entsetzt an, doch dann fiel ihnen etwas Sonderbares auf – es hatte nichts geklirrt, dabei war diese Kiste doch voll von empfindlichen Geräten und Materialien. Sie tauschten einen Blick aus, dann öffnete Rin die Kiste, stieß den Deckel herunter und- „Shippo!“, rief sie überrascht aus als sie einen buschigen, rötlichen Fuchsschwanz entdeckte. Wenig später guckte ihr schon ein reumütiges Gesichtchen entgegen. „Oh, Rin-Onee-chan“, piepste er, „Ich ... ich ähm ...“ Rin verschränkte die Arme vor der Brust. „Wir sind doch hier nicht auf einer Abenteuerreise. Was versteckst du dich denn einfach hier drin?“ Der Jungdämon errötete und friemelte die Fingerspitzen gegeneinander. „N-naja... ich hab doch so viel gelernt in meinem Unterricht und ich wollte... dabei sein... bei Inu Yasha und Sesshōmaru-sama und bei dir... ich mag nicht immer der einzige sein, der zurück bleibt!“ Gegen Ende hatte er etwas trotzig geklungen. Rin gab ihre strenge Haltung auf und seufzte. „Ach Shippo. Es lässt dich doch niemand zurück, aber so ein Krieg, weißt du, das ist einfach noch nichts für Kinder.“ „Du bist doch auch hier“, schmollte er. „Hier habe ich aber auch eine Funktion. Und bin weit weg vom Schlachtfeld. Du würdest den beiden da draußen doch nur im Weg rumstehen. Sei froh, dass du da noch nicht raus musst, so ein Krieg ist was Furchtbares und gewiss kein Abenteuer.“ Da Shippo reichlich geknickt wirkte, meinte Rin versöhnlich: „Komm, was hältst du davon, wenn du uns hier ein bisschen mit den Vorbereitungen hilfst, hm? Ist eh zu spät, dich jetzt noch zurück zu schicken.“ Shippos Augen begannen zu leuchten. „Wirklich? Aber... aber erzähl das nicht Inu Yasha... sonst krieg ich wieder so bös eins auf die Nuss.“ Rin und Minako sahen sich kurz an und mussten sich dann beide ein Lachen verbeißen. „Großes Dämonenehrenwort“, sagte Rin dann mit feierlichem Ernst. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)