Der Duft von Hyazinth von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 2: Tengu ---------------- „Aber lauft nicht zu weit weg, in der Nähe sollen Tengu gesehen worden sein“, rief Sango ihrem Sohn und dem kleinen Kitsune hinterher. Der Rotschopf winkte ihr fröhlich, „Keine Angst, ich pass schon auf!“ Sango sah ihnen mit einem mütterlichen Lächeln hinterher, aber auch eine Spur von Sorge umwölkte ihre Miene. Masaru, ihr siebenjähriger Sohn hatte in der letzten Zeit großen Gefallen daran gefunden, mit Shippo durch die Wälder zu streunen. Sie war froh, dass die beiden sich angefreundet hatten – in dem Dorf, in dem sie lebten, gab es kaum gleichaltrige Jungs und Masaru hatte ihr eine ganze Weile enorm am Rockzipfel gehangen, sodass sie die Befürchtung gehabt hatte, ihn unbeabsichtigt zu verzärteln. Und für Shippo war es sicher auch schön, mal einen Spielgefährten im selben Alter zu haben. Nunja, zumindest wenn man Shippos Yōkai-Alter auf das Alter eines Menschen umrechnete. Seitdem der Brunnen versiegelt war, kam natürlich auch Kagome nicht mehr und zu der hatte er die engste Bindung gehabt. Sie hatte den jungen Kitsune wirklich lieb, aber eine Mutter hatte sie ihm nie ersetzen können. Sie war auch zu sehr mit ihren eigenen Kindern beschäftigt, die Zwillinge hielten sie ganz schön auf Trab.   ~*~ „Shippo-kun, was sind eigentlich Tengu?“, wollte Masaru irgendwann wissen, während sie so durch Wald und Wiesen streunten. „Also, das solltest du doch wissen, wo deine Haha doch Dämonenjägern ist.“ Der Junge schmollte. „Man kann ja nicht alles wissen.“ „Schon gut. Tengu sind Kreaturen, die im Nebel auftauchen. Halb Krähe, halb menschliche Züge. Es heißt, ihre Schnäbel sind so scharf, dass sie einen locker in der Mitte durchbeißen können.“ Masaru erschauerte. „Das klingt aber gruselig. Was, wenn wir so einem begegnen?“ „Ich erkenne sicher früh genug, wenn sich ein anderer Dämon nähert und wir können ihm aus dem Weg gehen. Aber wir müssen uns eigentlich keine Sorgen machen, da Tengu sich nur in den Abendstunden, wenn es schon dunkel wird, herausbegeben aus ihren Nestern und außerdem gibt’s ne Menge Nebel, wenn sie in der Nähe sind.“ „Wirklich?“ „Ja, glaub mir ruhig. Komm, lass uns einen Damm bauen oder so, das war letztes Mal so lustig.“ „Klar, dass du das lustig fandest, ich war ja derjenige, der ins Wasser geplumpst ist“, kicherte Masaru und machte sich daran, Shippo hinterher zu kommen. Er hinkte hinter dem Kitsune immer ein wenig her, weil der so flink war auf seinen Fuchsbeinchen, aber das machte ihm im Grunde nichts aus. Er mochte Shippo, bewunderte ihn sogar ein wenig, vor allem für die Tricks, die er beherrschte und mit denen er ihn immer zum Lachen brachte. Bald hatten sie die Stelle erreicht, an der sie ihren Damm gebaut hatten. Von dem war allerdings nicht mehr allzu viel übrig. „Es hat wohl zu viel geregnet die letzten Tage“, sagte Shippo zerknirscht. „Dann bauen wir eben einen Neuen.“ „Ach, ich weiß nicht… lass uns lieber was spielen.“ „Und was schlägst du vor?“ „Hmm… wie wärs mit Samurai und Räuber?“ „Aber nur wenn du keine Tricks anwendest, sonst verlier ich ja immer.“ „Versprochen, keine Tricks“, erwiderte der Kitsune mit hinter dem Rücken überkreuzten Fingern und fügte dann schnell hinzu: „Ich bin als erstes der Räuber!“ „Naa gut“, erwiderte Masaru gedehnt und drehte sich schließlich zu einem Baum und fing an zu zählen. Shippo wartete einen Moment, um ganz sicher zu gehen, dass der andere Junge nicht schmuhlte und huschte dann mit so leisen Schritten wie möglich davon. Masaru versuchte auf die Schritte zu lauschen, die der Kitsune machte, aber das war gar nicht so einfach, da der ja den Vorteil seiner Fuchsfüßchen hatte und der Zehenballen, die beinahe jeden Laut verschluckten. Aber Masaru kannte mittlerweile Shippos bevorzugte Verstecke und glaubte so, leichtes Spiel zu haben. Nachdem er bis 50 gezählt hatte, sah er schließlich auf und lief dann in die Richtung los, in der er seinen Freund vermutete. Da war eine hauchfeine Schneise im Gras, vielleicht hatte er ja Glück und die richtige Spur erwischt. Masaru schob haufenweise Büsche und Zweige aus dem Weg und außerdem sah er sich die Pilze, die auf dem Boden wuchsen ganz genau an – er wusste genau, in was Shippo sich gerne verwandelte, um sich zu verstecken und meistens erkannte man ihn dann daran, dass die Pilze sich irgendwie wabbelnd bewegten oder farblich nicht so recht zu den anderen passen mochten. Bis auf ein paar Fliegenpilze, die sich wirklich als Fliegenpilze herausstellten, fand er jedoch nichts. „Hmm“, machte der Junge und blieb stehen um zu lauschen. Doch nichts, nur die Geräusche des Waldes, das sachte Rascheln der Blätter, der Wind in den Zweigen. Masaru drehte sich einmal um sich selbst und war plötzlich unentschlossen. Normalerweise liefen sie beim Verstecken nie so weit voneinander weg, dass sie sich komplett aus den Augen verloren, Shippo MUSSTE also hier irgendwo sein. Dann fasste er die Hände trichterförmig vor den Mund und schrie: „MACH MAL PIHIEEP!!!“ Eine Weile kam gar nichts, doch dann hörte Masaru ein leises Geräusch. „Aha!“, rief er triumphierend und hastete in die Richtung los aus der er das Geräusch gehört zu haben glaubte. Im Vorbeilaufen bemerkte er gar nicht die seltsamen Steine auf dem Boden, die so gar nicht zu den anderen passen mochten – Shippo wartete, bis Masaru an ihm vorbei war, dann verwandelte er sich zurück und huschte dem Jungen lautlos hinterher – um im nächsten Moment laut „BUH!“, zu schreien. Masaru schrie vor Schreck auf und stolperte dabei über seine eigenen Füße, wobei er zu allem Überfluss auch noch recht unglücklich in einer Matschpfütze landete. Shippo brach in schallendes Gelächter aus, während der andere Junge sich aufrappelte und sich angeekelt das vollkommen schmutzige Gewand ansah. „Na toll, meine Mutter wird mich wieder schelten, wenn ich so nachhause komme.“ „Nimms sportlich, so schlimm ist das nun auch wieder nicht…“ „Du hast ja auch keine Mutter, die dir eins auf den Deckel gibt“, platzte es dann aus Masaru heraus ohne nachzudenken, woraufhin Shippo ihn böse ansah. „Was hast du da gerade gesagt?“ „Du hast doch angefangen!“ „Du bist nur ein schlechter Verlierer!“ „Ich zeig dir gleich, wer hier der Verlierer ist!“ Im nächsten Moment gingen die beiden Jungen aufeinander los und landeten während ihrer Rauferei beide in der Matschpfütze, was jedoch keiner von ihnen wirklich wahrnahm; Das passierte öfter mal, denn die beiden waren ziemliche Dickköpfe und keiner mochte nachgeben; Ihre Rauferei wurde jedoch bald schon zu einem Spiel, sodass sie begannen, sich lachend gegenseitig zu jagen, miteinander zu ringen und gegenseitig zu Boden zu bringen. „Pause jetzt, ich kann nicht mehr!“, keuchte Masaru irgendwann und ließ sich auf seinen Hintern plumpsen. Shippo ließ sich in der Nähe zu ihm fallen. Als sie irgendwann wieder etwas zu Atem gekommen waren, meinte Masaru zögerlich: „Tut mir leid, was ich vorhin gesagt hab, wegen deiner Haha-ue, das war dumm und gemein.“ Shippo machte eine wegwerfende Handbewegung. „Schon gut, ich bin dir nicht böse, du hast ja recht. Ich hab keine Haha-ue, die mir eins auf den Deckel gibt und da bin ich auch ganz froh drum, ich kann nämlich machen, was ich will.“ Er zwinkerte seinem Freund verschmitzt zu, aber der wirkte ein wenig nachdenklich nun, da er das Gefühl hatte, dass Shippo überspielte. „Wie … wie war deine Haha-ue denn so?“, traute sich Masaru dann vorsichtig zu fragen. Shippo bekam ein nachdenkliches Gesicht. „Naja, eigentlich erinnere ich mich kaum an sie, ich war noch ganz klein als sie gestorben ist. Aber sie war schön und hat irgendwie immer gestrahlt. Aber wie genau sie aussah, weiß ich nicht mehr, klingt irgendwie verrückt. An meinen Chichi-ue kann ich mich dafür viel besser erinnern.“ Shippos Blick war dabei zum Himmel gegangen, der durch die Baumkronen blitzte. „Wie … sind sie denn gestorben?“ Shippo nahm sich einen Zweig, der auf dem Waldboden lag und begann Kreise in die trockene Erde zu malen. „Mein Chichi-ue wurde von den Donnerbrüdern Hiten und Manten umgebracht“, begann er leise, „Inu Yasha hat sie für mich fertig gemacht, weil ich das selbst nicht konnte – vermutlich hat er mir dabei auch das Leben gerettet, ich war damals viel zu schwach und zu unerfahren… und meine Haha-ue…“ Hier dachte Shippo etwas länger nach. Irgendwie fiel es ihm enorm schwer, sich daran zu erinnern, wie seine Mutter gestorben war. Jedesmal, wenn er versuchte, sich zu erinnern war es als wäre da eine Mauer, die er nicht durchbrechen konnte. „Du, ich erinnere mich irgendwie nicht…“, kam es dann von dem jungen Kitsune und für einen kurzen Moment sah man Verwirrung, gepaart mit Traurigkeit über seine Miene flackern, „Naja, ich war wohl wirklich noch zu klein um mich richtig an alles zu erinnern“, fügte er dann schulterzuckend hinzu und lenkte schließlich vom Thema ab. „Komm, lass uns lieber mal da hinten zu dem kleinen Wasserfall gehen, den kenn ich noch gar nicht…“ Masaru sagte dazu nichts mehr, sondern hopste kurz hinter Shippo die Steine des kleinen Abhangs hinunter, wo es zum Ufer ging. Der Wasserfall war sehr klein, nicht sonderlich bedrohlich, aber die Jungen machten sich einen kleinen Spaß daraus, durch das Wasser zu springen und die kleine Höhle zu erforschen, die hinter ihm lag. So vertrieben sie sich beide die Zeit und wie Knaben in diesem Alter nun einmal sind, vergaßen sie dabei auf die Sonne zu achten, die sich langsam nun doch gen Westen neigte. Bis Masaru plötzlich erschrocken die Luft einzog. „Shippo, schau mal wie spät es schon ist, ich hab meiner Haha-ue versprochen, dass wir noch vor dem Sonnenuntergang daheim sind – sie wird mich umbringen!“ Shippo folgte dem Blick seines Freundes zum Himmel und biss sich auf die Unterlippe. Tatsächlich hatte er über ihr lustiges Spiel vollkommen vergessen, dass sie sich eigentlich um rechtzeitig zuhause zu sein längst auf den Weg hätten machen müssen. „Dann sollten wir uns jetzt wirklich beeilen“, stimmte er seinem Freund zu und sie machten sich schließlich eilig an den Rückweg. Wir können es noch schaffen, dachte Shippo, wenn wir… „Du, ich glaub, ich kenne eine Abkürzung, Masaru, aber-“ „Dann nichts wie los, vielleicht gibt’s dann nicht ganz so viel Ärger!“ „Du musst aber aufpassen, weil da ganz viel Moor und Sumpf ist, du darfst da auf keinen Fall hinein fallen. Mach jeden Schritt genauso wie ich.“ „Ist gut. Das Moor- und Sumpfgebiet war eigentlich strengstens verboten für die Kinder, aber Kinder hielten sich im Grunde nie an Verbote. Shippo hatte hier eine ganze Weile lang erkundet, welche Wege man nehmen konnte. Masaru gab sich die größte Mühe, jeden Schritt genauso zu machen, wie sein Freund. Es roch hier ziemlich unangenehm, aber das war für solche Gebiete wohl normal. Auch die Sonne kam kaum noch durch den Nebel hindurch, der direkt über den Sümpfen war. Masaru schauerte. „Beeilen wir uns, Shippo, ich finds hier gruselig.“ Sie hatten beinahe wieder sicheren Boden erreicht als das Rascheln von Gefieder Shippo die Ohren spitzen ließ. Ein Vogel? In den Sümpfen gab es nur wenig Vögel, aber hin und wieder verirrte sich mal einer her. Als er nichts weiter hörte, zuckte er mit den Schulten und bedeutete Masaru, weiter zu laufen; Sie kamen langsam aus dem Sumpfgebiet heraus, vor ihnen lag ein abgebranntes Waldstück, eine ganze weite Fläche nur tote Bäume und verkohlte Erde. Er kam wie aus dem Nichts. Ein deutlich lauteres Gefiederrascheln und im nächsten Moment landete ein Yōkai vor ihnen – einer der Sorte, vor der man sie gewarnt hatte, von denen Shippo behauptet hatte, zu bemerken, wenn sie sich näherten – und dem Kitsune wurde schlagartig klar, dass gerade er die Zeichen vollkommen ignoriert hatte. Die Sonne ging unter und der Nebel, der von jetzt auf gleich gekommen war… er war so damit beschäftigt gewesen, schnell nachhause zu kommen, dass er das vollkommen verdrängt hatte. Der Tengu sah genauso aus, wie von Shippo beschrieben, nur waren der scharfe Schnabel, der gefährlich klapperte, die kleinen schwarzen, stechenden Augen und die schuppige Haut, die in scharfen Klauen endenden Flügelarme weitaus furchteinflößender als man sich durch Shippos Erzählung hätte vorstellen können. „Shippo…“, hauchte Masaru lautlos, während der Kitsune unbewusst einen Schritt vor seinen Freund machte, um ihn zu schützen, obwohl ihm selbst die Knie schlotterten. Er hatte Angst, aber er hatte auch gelernt was Mut war in der Zeit, in der er mit Inu Yasha und seinen anderen Freunden umhergereist war. Und vor allem hatte er gelernt, dass man Schwächere immer beschützen musste. Und er musste seinen Freund beschützen, der als Mensch nicht die aller geringste Chance gegen einen ausgewachsenen Tengu hatte. „Verhalte dich ganz ruhig…“, murmelte der Kitsune aus dem Mundwinkel, während der Tengu den Kopf schief gelegt langsam auf sie zukam. Er hatte einen fabelhaften Geruchssinn und der sagte ihm, dass es hier zartes, junges Fleisch gab. „Wenn ich ‚jetzt‘ sage… dann läufst du los, verstanden? Lauf so schnell du kannst Richtung Dorf.“ Masaru nickte wie versteinert. Der Tengu gab ein Trommelfell zerfetzendes Krächzen von sich und schnellte urplötzlich auf die beiden Jungen zu – im selben Moment zündete Shippo eine seiner Rauchbomben, während er „JETZT!“, schrie. Masaru rannte los, so schnell er konnte ohne sich umzusehen, während der Tengu zornig und irritiert durch den stark aromatischen Rauch mit dem Schnabel blindlings nach ihnen schnappte. Shippo entging haarscharf dem spitzen Schnabel und dann lief er selbst los, schrie jedoch: „He, hier bin ich, fang mich doch, wenn du kannst!“, um den Tengu auf seine Fährte zu locken. Er durfte seinen Freund auf gar keinen Fall kriegen. Das würde Sango ihm nie verzeihen. Und er sich selbst erst Recht nicht. Er war nicht so wichtig, er hatte niemanden, der auf ihn wartete und deshalb musste er alles tun, um den Tengu von dem wehrlosen Menschenjungen fortzulocken. Er rannte zurück, dort wo der Wald wieder dichter wurde Und es klappte, sein Plan ging auf. An dem Krachen im Unterholz merkte er, dass der Tengu die Verfolgung aufgenommen hatte und er sandte ein Stoßgebet zum Himmel dafür, dass es hier so dicht und unübersichtlich war. Shippo wusste, dass es keinen Zweck hatte, sich in einen Pilz oder einen Stein oder was auch immer zu verwandeln, da Tengu einen wahnsinnigen Geruchssinn hatten und da versuchte er etwas, das er zwar lange geübt, aber noch nie in einer Extremsituation angewandt hatte – er nahm seine Yōkaiform an. Und es funktionierte – noch während er rannte, wandelte sich seine Form zu einem großen Rotfuchs mit drei Schwänzen und er nahm deutlich an Tempo zu. Gegen den Tengu kämpfen hätte er zwar nicht können, aber er kam wesentlich schneller fort als auf seinen stummeligen Fuchsbeinchen. Bald schon fiel der Tengu, da der die Flügel kaum ausbreiten konnte in dem engen Wald, hinter ihm zurück, bis Shippo ihn gar nicht mehr hörte. Er lauschte und rannte noch soweit er konnte, aber er spürte, dass sein Yōki bald verbraucht war – er hatte die Form immer nur kurz geschafft, das jetzt war schon mehr als er sich je zugetraut hätte. Noch während des Laufens begann der Rotfuchs wieder zu schrumpfen, bis Shippo wieder auf seinen Beinen lief, die ihn kaum noch tragen mochten. Er blieb an der Schneise zu einer Lichtung stehen und stützte sich keuchend an einem Baumstumpf ab. Seine Knie waren weich wie Pudding. „Puh… das ging ja gerade nochmal gut…“, murmelte er und lauschte dann nervös, ob der Tengu noch in der Nähe war. Doch er konnte ihn nicht hören, vermutlich hatte er die Verfolgung aufgegeben. Hoffte er. Und er hoffte so sehr, dass Masaru es inzwischen ins Dorf geschafft hatte, wo er in Sicherheit war. Er sollte vermutlich lieber einen Umweg gehen oder sich in etwas sehr Kleines verwandeln, nur um auf Nummer Sicher zu gehen. Normalerweise ließen Tengu nicht so schnell von ihrer Beute ab, wenn sie sich mal eine rausgepickt hatten. Er hatte wohl einfach Glück gehabt. Vorsichtig tapste er auf die Lichtung. Doch Shippo hatte einen Fehler gemacht. Er hatte nicht daran gedacht, dass der Tengu ein durch und durch intelligenter Räuber war. Der Yōkai hatte sich in die Luft erhoben, über die Baumspitzen und war dem Fuchs bis zu der Lichtung gefolgt. Und jetzt schnappte er zu. Shippo sah einen Schatten über sich und noch während er dachte „verdammte Scheiße“ wurde er von einer solchen Wucht von zwei Klauen gepackt, dass es ihm die Luft aus den Lungen presste; Durch seinen Schwung hatte der Tengu ihn richtig in den Boden hineingedrückt und nun erhob er sich flügelschlagend mit dem benommenen Kitsune in die Lüfte. Shippo wusste, er musste zu sich kommen. Er musste seine letzten Kräfte mobilisieren, sonst war er unrettbar verloren und er wollte noch nicht sterben, nicht so jung. Also biss er zu. Er biss so beherzt zu, wie er nie zuvor zugebissen hatte in die ledrige Klaue des Tengu, welcher erschrocken locker ließ, sodass Shippo sich aus seinem Todesgriff herauswinden konnte. Er stürzte im freien Fall auf die Erde zu, aber er war zu schwach, er fand keine Kraft mehr, sich zu verwandeln und so wappnete er sich innerlich gegen den mehr als schmerzhaften Aufprall. Ob er dann noch genug Kraft hätte, zu fliehen … das wusste er nicht. Doch der Aufprall blieb aus. Alles, was Shippo spürte, ehe er ohnmächtig wurde war das Aufwallen einer gewaltigen Yōki und schließlich dunkle Wärme, die ihn umfing…   ~*~ Sango schnalzte ärgerlich mit der Zunge, während sie den Tisch richtete. „Sie hätten längst zurück sein sollen. Masaru weiß genau um welche Zeit wir zu Abend essen, das sieht ihm eigentlich gar nicht ähnlich…“ „Ich glaube nicht, dass du dir Sorgen machen musst“, erwiderte Miroku daraufhin, „die werden vermutlich übers Spielen nur die Zeit vergessen haben. Außerdem ist Shippo ja bei ihm.“ „Mh.“ Inu Yasha war davon irgendwie nicht so recht überzeugt. Sicher, Shippo hatte in den letzten Jahren einiges an Stärke und Finesse hinzugewonnen, aber er war immer noch ein Kind. Er hatte irgendwie ein ungutes Gefühl, aber er hütete sich, jetzt den Mund aufzumachen und meinte nur: „Wenns dich beruhigt, kann ich den beiden ja entgegenlaufen.“ Seine Freundin sah ihn dankbar an, „Das würde mich tatsächlich beruhigen…“ Allerdings musste er gar nicht weit gehen, denn schon aus der Ferne nahm er den Geruch des Menschenjungen wahr; Untermischt mit dem Geruch von Angstschweiß. Inu Yasha verengte die Augen und huschte ihm in flinken Sätzen entgegen; Und dann sah er den Jungen – der bemerkte ihn allerdings zu spät, sodass er erschrocken aufschrie und beinahe über seine Füße stolperte. Inu Yasha packte ihn am Schlafittchen. „Beruhig dich, ich bins – was ist passiert und wo ist Shippo?“ „I-ich, wir, da war…“, die Stimme des Jungen überschlug sich. „Spucks schon aus!“ „W-wir wollten eine Abkürzung durch die Sümpfe nehmen, ich weiß, das ist verboten, aber Shippo wollte nicht, dass ich Ärger bekomme und dann und dann war da ein … ein…“ „Was war da?“ Inu Yasha bemühte sich wirklich darum, seine Ungeduld aus seiner Stimme zu verbannen, was ihm nicht gerade leicht fiel. Er war einfach nicht der Typ für Kinder. „Ein Tengu. Shippo-kun hat ihn abgelenkt, damit ich weglaufen konnte und-“ „Der Idiot hat sich mit einem ausgewachsenen Tengu angelegt?“, fauchte der Hanyō, sodass der Junge in seinem Griff merklich zusammenzuckte, „Wo genau war das?“ „I-ich weiß nicht genau – in den Sümpfen, ich glaube, er hat ihn in die andere Richtung fortgelockt.“ „Hör zu – du läufst jetzt ganz schnell nachhause und ich werde Shippo holen.“ „I-ist gut.“ Kaum hatte er den Jungen auf dem Boden abgesetzt sprang er auch schon in die Richtung davon aus der er gekommen war und fluchte dabei im Geiste auf Shippo – der Bengel konnte wirklich was erleben, wenn er ihn gefunden hatte – und versuchte die nagende Sorge, die ihn plötzlich befallen hatte, zu verdrängen. Es dauerte nicht allzu lange, bis Inu Yasha den Weg zurück verfolgt hatte, den Masaru gekommen war – er war um einiges schneller als der Menschenjunge mit seinen kurzen Kinderbeinchen. In den Sümpfen verlangsamte er sein Tempo etwas, bis er schließlich stehen blieb und angestrengt schnüffelte. Hier roch es stärker nach Masaru und auch Shippos Geruch konnte er schwach wahrnehmen – sowie den unverwechselbaren Geruch von Tengu, der sich mit den Eigengerüchen von Sumpf und Moor vermischte. Es dauerte nur einen kurzen Moment, ehe er die Fährte aufgenommen hatte und nach einigen geschickten Sprüngen war er auf der Seite angelangt, wo die Spur wieder in den Wald führte. Je länger Inu Yasha dieser Spur jedoch folgte, desto unwohler wurde das Gefühl in seinem Inneren. Shippo konnte auf seinen Stummelbeinchen doch niemals so derart weit gekommen sein, es sei denn das Vieh hatte ihn geschnappt und ihn sich als kleinen Appetithappen vor dem Abendessen einverleibt… aber dann wäre der Geruch bei weitem schwächer… und dann stieg ihm der Geruch von Blut in die Nase – und das erste Mal in seinem Leben wurde ihm schlecht von diesem Geruch. „Shippo???“, schrie er, während er der Spur folgte. Sie führte hinaus auf eine Lichtung. Dort wurde der Geruch immer stärker und schließlich konnte er einen Körper im Gras erkennen. Es war der Tengu, ohne Zweifel tot. Als hätte irgendetwas unheimlich Großes ihn einfach zerquetscht, es war kaum noch etwas zu erkennen. Inu Yasha stand da wie angewurzelt. Hier hatte er also nun den Tengu gefunden. Aber wo war Shippo? Er schnüffelte angestrengt in den Wind und versuchte, die Witterung auszumachen. Doch Shippos Geruch verlor sich hier.   ~*~ Als Shippo wieder zu sich kam, war er erst noch viel zu benommen, um die Augen zu öffnen. Aber da wo er war, da fühlte er sich gerade irgendwie sicher. Es war warm und der Geruch hier, von wem auch immer er kam, beruhigte ihn irgendwie. Er mischte sich mit einem süßen Blumenduft. „Mh... Haha-ue…“, murmelte der Kleine noch leicht weggetreten und kuschelte sich noch etwas in diese sonderbare Nestwärme. Nur langsam sickerte die Begegnung mit dem Tengu in seinen Geist. Momentmal. Shippo riss plötzlich die Augen auf und sein Blick glitt gehetzt umher – und dann bekam er den Schock seines Lebens als er in ein blassgoldenes Augenpaar blickte, deren Blick auf ihm ruhte. „Sesshōmaru!“, quiekte der Kitsune und lief aus irgendeinem Grund rot an, „Ich meine, Sesshōmaru-sama!“ Die Tatsache, dass er wohl in den Armen des Daiyōkai geruht hatte, machte das alles nicht besser. „Beruhige dich, Kitsune, es droht keine Gefahr.“ Irgendwie beruhigte ihn die Stimme Sesshōmarus wirklich und das Zittern hörte auf. „Was ist denn passiert?“, wollte er dann schüchtern wissen und sah sich um. Es war schon dunkel aber er konnte im Mondlicht sehen, dass sie sich auf einer mit blauen Blumen übersäten Wiese nahe eines knorrigen Baumes befanden. Von denen kam wohl auch der stark süßliche, angenehme Duft. „Offensichtlich hast du dich mit einem Tengu angelegt“, erwiderte Sesshōmaru, „das war nicht sonderlich klug. Ich habe dich davor bewahrt das Abendmahl für seine Jungen zu werden. Du hattest reichlich Glück.“ „D-Danke“, nuschelte der Kitsune und es schüttelte ihn bei dem Gedanken daran, dass er jetzt vielleicht wirklich nicht mehr hätte da sein können. „Aber warum … warum habt Ihr mir geholfen?“ Immerhin gehörte er ja irgendwie zu Inu Yasha und dass Sesshōmaru und sein Bruder keine Freunde waren, war ja kein Geheimnis. „Ich hatte keinerlei Grund, es nicht zu tun.“ Irgendwie war das nicht wirklich eine befriedigende Antwort. Als Shippo bemerkte, dass er immer noch auf Sesshōmarus Schoß hockte, wurde er verlegen und sah zu, dass er wieder auf den Boden kam. „Wo sind wir hier eigentlich?“, wollte er dann wissen nachdem er sich noch einmal umgesehen hatte. „Bei den Hyazinthen“, erwiderte Sesshōmaru kryptisch und Shippo bildete sich ein, ein Lächeln um dessen Lippen flackern gesehen zu haben. „Ich … ich glaube, ich sollte zurück zum Dorf…“ „Wovor fürchtest du dich?“ „Ich fürchte mich gar nicht! … Naja, irgendwie doch. Inu Yasha wird unglaublich wütend sein. Die Kopfnuss kann ich jetzt schon spüren.“   ~*~ Als Inu Yasha es endlich geschafft hatte, die Fährte des Kitsune wieder zu finden und ihr zu folgen, war die Dunkelheit bereits hereingebrochen. Wie gut, dass seine Augen ihn nicht im Stich ließen. Er war anfangs sehr zornig gewesen, aber jetzt war alles, was er wollte, den Kleinen zu finden. Bevor Kagome gegangen war hatte er ihr versprochen, auf ihn aufzupassen, da er ja sonst niemanden hatte. „Toller Aufpasser bin ich“, knurrte er vor sich hin und hielt plötzlich inne. Angestrengt und leicht aufgeregt witterte er. Er konnte Shippos Geruch deutlich wahrnehmen, aber viel stärker war hier ein anderer – der Geruch Sesshōmarus. Was zum Teufel hatte der denn hier verloren? Er verstand gar nichts mehr und versuchte einfach der Spur zu folgen, welche sich bald mit einem leicht süßlichen Blumenduft mischte. Es dauerte nicht lange, bis er die Wiese erreichte. Als erstes sah er seinen Bruder und dann, mit leichtem Erstaunen – Shippo, welcher sich an dessen Seite eingerollt hatte und zu schlafen schien. Was für ein merkwürdiges Bild. Als er näher kam, warf Sesshōmaru ihm einen Blick zu, allerdings war der nicht wie üblich abweisend. Vermutlich hatte er sich schon gedacht, dass Inu Yasha früher oder später hier auftauchte. Wortlos ließ sich der Hanyō neben Sesshōmaru und dem schlafenden Fuchswelpen auf die Knie sinken und unendliche Erleichterung durchströmte ihn als er bemerkte, dass der Kleine unverletzt war. Dann sah er Sesshōmaru an als erwarte er eine Erklärung, der jedoch schwieg. Also war es wohl mal wieder an ihm, den ersten Schritt zu tun. „Warum ist er hier bei dir? Was ist passiert?“ Sesshōmaru schildete es ihm ohne dabei allzu viele Worte zu verlieren. „Und du hast ihn gerettet, ja?“, meinte Inu Yasha dann skeptisch, immerhin hatte Sesshōmaru ja nichts davon einem kleinen schwachen Kitsune das Leben zu retten. „Hältst du mich für ein Monster?“ Mit allem hatte Inu Yasha gerechnet, nur nicht mit solch einer Frage. Schuld keimte plötzlich in ihm auf. Nein, Sesshōmaru war kein Monster. Er hatte Rin bei sich aufgenommen und die konnte ihm nichts geben als grenzenlose Dankbarkeit. Trottel, dachte er und ließ den Blick auf Shippo ruhen, der sich in Sesshōmarus Nähe offensichtlich sehr sicher und geborgen zu fühlen schien. Inu Yashas erster Impuls war es, sich Shippo zu schnappen und dann zum Dorf zurück zu kehren. Aber irgendetwas hielt ihn auf. Irgendetwas verhinderte, dass seine Beine sich bewegten. Ehe er es registriert hatte, ließ er sich niedersinken in den Schneidersitz nahe Sesshōmaru, sodass nur Shippo zwischen ihnen war. Und sie schwiegen. Eine ganz lange Zeit. Plötzlich lag keine Feindschaft mehr in der Luft, keine Überlegenheit, keine Verachtung. Inu Yasha zupfte ein, zwei Blumen aus der Erde und fummelte an den Blättern herum. „Was machst du eigentlich hier draußen, ich dachte, du bist wieder auf dem Schloss zuhause?“ Der Hanyō rechnete schon damit, eine abweisende Antwort zu bekommen, Ablehnung, wie immer, wenn er mit seinem Bruder zu tun gehabt hatte. Aber nichts dergleichen. Denn Sesshōmaru war lange schon nicht mehr fähig, in seiner Welt von Gefühllosigkeit und Verdrängung zu leben. Seit Rin im Dorf lebte und er mit sich alleine war, da hatte es begonnen, zu bröckeln. Eine späte Trauer über einen Verlust, der niemals die Schuld seines Halbbruders gewesen war, wollte ausbrechen und er fühlte sich zusehends machtloser dagegen. „Ich suche Ruhe“, hörte Sesshōmaru sich sagen. Inu Yashas Herz klopfte plötzlich etwas schneller. Passierte es gerade wirklich, dass sie im Begriff waren ein ganz normales Gespräch miteinander zu führen? Wie oft hatte er sich diesen Moment schon vorgestellt, sich ausgemalt, was sie sich sagen würden, doch nie gedacht, dass es jemals dazu kam. „Und … findest du sie?“ Seine nervösen Finger hatten inzwischen die Blumen zerfriemelt und waren im Begriff neue aus der Erde zu zupfen. „Hast du sie gefunden?“ Irgendwie erschrak Inu Yasha über diese Frage. Ruhe. Hatte er Ruhe gefunden, jemals? Ruhe in dem Dorf, in dem er lebte, weil nunmal seine Freunde da lebten? „Dachte ich jedenfalls ne Zeit lang“, antwortete er dann ehrlich. Und nach einer Weile platzte ihm eine Frage heraus, die ihm schon seit Jahren keine Ruhe ließ, die er immer wieder verdrängt hatte, weil sein Stolz diese Unsicherheit nicht zuließ: „Sag mal … hasst du mich eigentlich noch?“ Sesshōmaru sah ihn ein. Eine ganze Weile. Dann, nur ein einziges schlichtes Wort. „Nein.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)