Rabenfedern von Alaiya ================================================================================ I. Sommernächte --------------- Fangen wir mit dem wichtigsten an: Mir. Mein Name ist Murphy. Ich bin … reden wir besser nicht über mein Alter. Nein, viel wichtiger: Ich bin Magier, Gestaltwandler und wahrscheinlich die kompetenteste Person, die du kennst. Was? Okay. Nun, vielleicht nicht unbedingt kompetent. Also nicht im Sinne von hyperkompetent oder so. Aber ich kriege das meiste hin, was ich mir vornehme. Was natürlich nicht heißt, dass ich das ganze immer schon konnte. Ja, ich weiß, das ist schwer zu glauben. Aber ich habe echt einige Sachen lernen müssen. Manche auf die harte Tour. Und ich wäre wahrscheinlich nicht da, wo ich heute bin, wäre da nicht eine Sache passiert. Und darüber will ich heute mit euch reden. Ich kann euch garantieren: Es ist eine coole Geschichte. Eine Geschichte von Vampiren, sowas wie einer Gottheit und für diejenigen, denen das nicht reicht: Sex kommt auch vor. Also … fangen wir an. Es war eine verflucht heiße Nacht, irgendwann Ende Februar. Und falls sich einige von euch wundern, warum es im Februar heiß ist: Ihr seid von der Nordhalbkugel. Ich nicht. Und ja, in Kapstadt kann es schon einmal vorkommen, dass ein Februar noch recht heiß ist. Vor allem herrschte in diesem Februar eine furchtbar drückende Hitze und in dieser speziellen Nacht, fehlte mir die Möglichkeit dieser zu entkommen. Denn dank einiger vielleicht nicht richtig klugen Entscheidungen meiner selbst lebte ich zu der Zeit – mal wieder – auf der Straße. Was hieß, dass mir leider die Mittel fehlten mich in irgendeine Art klimatisierte Räumlichkeit zurückzuziehen. Und wer schon einmal richtig Hitze erlebt hat: Das macht das Schlafen nicht leichter. Dazu kommt, dass so ein Schuldach nicht wirklich bequem war. Ich hatte mich dahin zurückgezogen. Nicht, weil ich die Schule besuchte, sondern weil das Schulgelände abgesperrt war und ich mich damit in relativer Sicherheit wägte. Immerhin kam man da nicht so leicht hin. Die Sicherheitsleute hatten mich nicht bemerkt und die Polizei würde sicher nicht herkommen. Auch war ich hier oben vor Gangs sicher oder vor jenen Individuen, die es auf hübsche, junge Kreaturen wie mich abgesehen hatten. Denn davon habe ich leider schon ein paar getroffen. Aber auch wenn dieses Dach recht sicher war, war es eben auch nicht bequem oder kühl und der Schlaf wurde auch nicht unbedingt dadurch erleichtert, dass Schüsse irgendwo in der Ferne erklangen. Denn leider war die Schule nicht weit von den Flats entfernt und seit diese alberne WM im Jahr vorher vorbei war, hatte die Stadt mal wieder das Polizeibudget eingestampft. Und immer, wenn der Polizei Geld fehlte, machte es sich vor allem in den Falts bemerkbar – denn da wurden die ersten Partrouillen gestrichen. Kurzum: Es war bald zwei Uhr und ich hatte kaum Schlaf gefunden. Ein Teil von mir begann zu bereuen, nicht doch am Abend versucht zu haben, irgendwen um den Finger gewickelt zu haben. Immerhin hieß das zum einen Geld, zum anderen mit ein wenig Geschick ein klimatisiertes Hotelzimmer – mit Bett! Doch ich hatte es nicht und versuchte so irgendwie noch einmal Schlaf zu finden. Ich hatte mich gegen das Mäuerchen, das das Flachdach der Schule begrenzte zusammengerollt. Gerade kam ein leichter Windstoß irgendwo aus Richtung des Hafens und brachte zumindest für einige Sekunden angenehme kühle. Ich atmete auf und bemühte mich, in den Schlaf zu fliehen. Irgendwie klappte es auch. Der Schlaf übermannte mich – wenigstens für einige Sekunden. Vielleicht waren es sogar Minuten. Dann aber weckte mich das ohrenbetäubende Krächzen einer Krähe auf. Der Schreck ließ mein Herz aussetzen. Wenn ich als Straßenkind eine Sache gelernt hatte, dann: Schnell bereit sein, um davonzurennen. So wollte ich schon lossprinten, als ich die Krähe neben mir erkannte. Ich schenkte dem Geist, Gott oder als was auch immer er sich bezeichnen wollte, einen entgeisterten Blick. „Rabe? Was soll das?“ „Ich habe nach dir gesucht“, krächzte er und sah mich aus seinem rechten Auge an. Um zwei Uhr nachts. Dabei wusste er doch eh immer, wo ich war. Ich musste mir eine zynische Anmerkung verkneifen. Immerhin war er ohnehin sauer mit mir. „Warum?“, fragte ich daher. „Ich habe einen Auftrag für dich.“ „Um zwei Uhr Nachts?“ Diesen Spruch konnte ich doch nicht stecken lassen. „Ja.“ Den vorwurfsvollen Unterton ignorierte er gekonnt. Doofes Federvieh. Murrend sah ich den überdimensionierten Vogel an. Selbst im fahlen Sternenlicht reflektierte sein Gefieder doch. „Und das hat nicht bis morgen Zeit?“ „Nein.“ Natürlich nicht. Wieso hatte ich die Frage auch gestellt? Mein Magen knurrte. Auch wenn ich vor sechs Stunden was gegessen hatte, so war es dank der Hitze nicht viel gewesen. Zumal ich mit Mpho und Amahle geteilt hatte. Eigentlich war ich zu nett. Immerhin war ich der beste Taschendieb der Stadt! Besser noch: Ich konnte beinahe jeden dazu überreden, mich zum Essen einzuladen. Doch mich und zwei andere einzuladen … nun, das war nicht so leicht. Selbst für mich nicht. „Was soll ich für dich tun?“, fragte ich Rabe in der Hoffnung den Auftrag schnell erfüllen zu können. Wenn ich sowieso von hier fortmusste, konnte ich versuchen mich in einen der Keller der Weinhöfe zu schleichen. Da unten war es meistens kühl und wenn man die richtige Ecke fand, konnte man sogar den Tag durchschlafen. „Ein Vampir ist in die Stadt gekommen“, erwiderte Rabe und hüpfte auf das Mäuerchen. Ich stand auf und runzelte die Stirn. „Ein weiterer Vampir, eh? Ist nicht so, als gäbe es nicht mindestens hundert hier.“ „Reiz meine Geduld nicht, Kind“, warnte Rabe. „Wäre es nur irgendein Vampir, würde ich dich nicht beauftragen.“ „Natürlich nicht.“ Es sei denn, er würde mich ärgern wollen. Und mal ehrlich, das war dem alten Trickster schon zuzutrauen. „Und, was macht diesen Vampir so besonders?“ „Dass er Schulden bei mir hat“, erwiderte Rabe und breitete seine Flügel aus. „Und jetzt komm.“ Damit sprang er vom Dach ab. Oh. Natürlich. Es wäre ja auch zu viel verlangt, dass ich eine Erklärung bekomme. Nein, Murphy macht schon. Murphy macht, wenn der Mentor schreit. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass dies nicht purer Sarkasmus ist. Denn ich sprang meinem Mentor hinterher. Während Rabe bereits mit einigen Flügelschlägen an Höhe gewann, schrumpfte mein Körper zusammen. Mittlerweile musste ich darüber gar nicht mehr nachdenken. Schon war ich eine kleine Dohle, die knapp über dem Pausenhof ihren Fall bremste und angestrengt der großen Krähe hinterherflatterte. II. Blutspuren -------------- Ich hatte wenig Ahnung, wohin Rabe wollte. Doch was sollte ich schon tun? Wenn man einer magischen Kreatur oder in diesem Fall einem großen Geist folgt, muss man diese Dinge manchmal hinnehmen. Also versuchte ich das beste drauß zu machen, auch wenn – ehrlich gesagt – die Müdigkeit mit fast um den Verstand brachte. Doch die Nachtluft rauschte durch mein Gefieder und ließ zumindest einzelne Lebensgeister in mir erwachen. Solltet ihr schon einmal von fliegen geträumt haben, so kann ich euch garantieren: Selbst eure Träume kommen nicht an das wahre Gefühl heran. Immer wenn ich fliege, wenn ich mir Flügel wachsen lasse … Es ist großartig! Und gerade damals war es das beste Gefühl, das ich kannte. Ja, sogar besser als Sex. Es war einfach befreiend über die Stadt hinwegzugleiten und für die ganzen Menschen unberührbar zu sein. Egal ob Gangs oder Polizei: Hier oben kam niemand an mich heran. Ich meine, ehrlich, das war der Hauptgrund warum ich Rabe folgte. Ohne ihn wäre es mir nie so möglich gewesen. Wie flogen über die kleinen Hütten der Flats hinweg. Über eine kleine Schießerei – wahrscheinlich ein Turf-Konflikt. Über die Leute, die erst jetzt nach Hause kamen. Über die Leute, die auf den Grünflächen in Zelten schliefen. Ich kannte diese Gegend seit meiner Kindheit. Doch ich war dem entkommen – mehr oder minder. Ein Schrei hallte vom Osten zu uns hinüber und ließ Rabe abdrehen. Meinte er, dass es mit dem Vampir zu tun hatte? Doch so sehr auch die Fragen in meiner Rabenkehle brannten, so behielt ich es erst mal für mich. Später wäre noch Zeit dafür. Zumal ein Schrei meistens bedeutete, dass es jemanden nicht gut ging. Schon winkelte Rabe die Flügel an und steuerte eine der freien Staubflächen an. Da waren Gestalten, die ich im Dunkeln jedoch kaum erkennen konnte. Die eine von ihnen drückte sich gegen eine Hauswand, versuchte die andere im Auge zu behalten, während sie sich in Richtung der nächsten Gasse drückte. Die andere war auf der Mischung, war beinahe auf allen Vieren. Wie ein Raubtier lauerte die Gestalt da, sprang auf einmal vor … als ein Schoss durch die Stille der Flats donnerte. Blut spritzte, sogar im Zwielicht erkennbar, als eine Ladung Schrot die Schulter des Biests traf. Statt zu landen kreiste Rabe über dem Stück, während ich versuchte den Schützen zu erkennen. Die Bestie schien es ähnlich zu halten. Sie hatte sich umgedreht und starrte mit glühenden Augen in die Dunkelheit. Schon rechnete ich mit einem weiteren Schuss, doch stattdessen erwachte eine Flamme im Schatten zwischen zwei einfachen Backsteinhütten zum Leben, formte einen Ball und sauste auf das Biest zu. Dieses knurrte, sprang zur Seite und kauerte sich seinerseits in die Lücke zwischen zwei Häusern. Eine dritte Gestalt betrat die freie Stelle. Es war ein Mann, da war ich mir recht sicher. Er war großgewachsen und hatte eine Kräftige Statur. Allerdings trug er – ich verarsche euch nicht – eine verfluchte Kutte mit Kapuze und allem. Er sah ein wenig aus, als käme er gerade von irgendeiner Convention. Ich meine, natürlich wusste ich, dass diverse Magier eine Tendenz zum theatralischen hatten. Innerlich ging ich schon Wetten mit mir selbst ein, dass er einer der weißen Hermetiker war. Wieder flackerte eine Flamme über seiner Hand. „Du kannst dich zeigen“, rief er auf Englisch. Er hatte definitiv einen Dialekt, doch ich konnte ihn nicht zuordnen. Vielleicht französisch oder so? Ein Knurren klang über den Platz, doch der Vampir zeigte sich nicht. Derweil stand das vermeintliche Opfer, eine Frau in einem weiten Kleid, noch immer an der Wand. Ihrer Körperhaltung nach hatte sie vor dem Jäger mindestens genau so viel Angst, wie vor dem Biest. Da waren dunkle Flecken auf ihrem Kleid. Blut wohl, kein Muster. Sollte ich etwas tun? „Jetzt komm, Blutsauger!“, rief der Mann wieder. „Ich habe nicht die ganze Nacht Zeit.“ Dieses Mal gab es keine Antwort. Stille legte sich wie ein Tuch über den Platz, während auch ich Platz auf dem Dach eines der kleinen Häuschens nahm. Unbemerkt in Dohlengestalt, beobachtete ich den Mann, der weiterhin die kleine Gasse im Auge behielt. Minuten verstrichen. Doch der Vampir zeigte sich nicht mehr. Hätte ich ihm folgen sollen? Unsicher sah ich zu Rabe, der noch immer über uns kreiste. Ich ahnte jetzt schon, worauf das ganze hinauslaufen würde. Schließlich sackten die Schultern des Jägers ab. Er wandte sich der Frau zu. „Sie sind verletzt“, stellte er fest. Seine Stimme war bemüht freundlich. Die Frau musterte ihn misstrauisch – wer konnte es ihr verdenken? Sie hielt sich die Schulter. „Wer sind sie?“, fragte sie mit zitternder Stimme. „Jemand, der Ihnen helfen will.“ Wäre es mir in der Gestalt möglich gewesen, hätte ich die Augen verdreht. Das war so ein typischer Spruch, der mir sagte, zu laufen. Wenn er es ernst meinte, sollte er an diesen Sachen arbeiten. Na ja, abwarten, nicht? Er ging auf die Frau zu, die Hände vorsichtig vor sich ausgestreckt. Wenn er glaubte, sie so zu beruhigen, lag er falsch. Denn sie kauerte sich zusammen und begann zu schluchzen. Ich verkniff mir das Seufzen, das in dieser Gestalt ohnehin nicht leicht über den Schnabel kam. Da landete Rabe neben mir. „Der Vampir“, murrte er leise. Ich wandte meinen Blick vom Jäger und dem Opfer des Vampirs ab und sah mich um. Da war ja etwas. Schon streckte ich die Flügel aus. „Wo ist er hin?“ „Sag du es mir, Murphy.“ Rabe war alles andere als glücklich mit dieser Entwicklung. Als ob es meine Schuld wäre. Wenn er gewollt hatte, dass ich den Vampir direkt verfolge, warum hat er es mir nicht direkt gesagt? Sollte ich seine verdammten Gedanken lesen? An dieser Stelle ist aber Platz für ein wenig Eigenlob. Ich bin verflucht gut im Improvisieren und war es auch damals schon. Daher raschelte ich gewichtig mit meinem Gefieder. „Ich habe einen anderen Plan“, sagte ich und wandte meine Aufmerksamkeit wieder dem Jäger zu. „Aha?“ Rabe kannte mich zu gut, um sich so leicht überzeugen zu lassen. So beleidigt, wie es die begrenzte Mimik eines Vogels zuließ, sah ich ihn an. „Natürlich. Wenn du mir endlich sagen würdest, was du von diesem Vampir willst …“ Rabe schwieg für eine ganze Weile, während der Mann es schließlich schaffte das Opfer des Vampirs genug zu beruhigen, als dass sie sich aufhelfen ließ. Schließlich plusterte Rabe sich auf. „Er besitzt etwas, das eigentlich mir gehören sollte“, erwiderte er. „In mehr als einer Hinsicht.“ Kryptischer ging es wohl nicht. „Und das soll ich dir zurückholen?“ „Nun, viel eher möchte ich ein persönliches Gespräch mit ihm haben.“ Rabe warf mir einen Seitenblick zu. „Und was habe ich dann damit zu tun?“ Rabe schwieg für zwei oder drei Sekunden. „Es ist eine Prüfung für dich.“ Ein Schauer schoss durch meine aktuell hohlen Knochen. Ich plusterte mich auf, erinnerte mich zu spät daran mir nichts anmerken zu lassen. Dann breitete ich die Flügel wieder auf. „Ich finde ihn für dich“, erwiderte ich. „Ich habe einen Plan.“ Denn hey, es waren wenigstens die ersten zehn Prozent von einem solchen. III. Chlorwasser ---------------- Das Sprichwort „Der frühe Vogel fängt den Wurm“ übersieht ein wichtiges Detail: Nicht alle Vögel mögen Würmer. Tatsächlich isst nur ein Teil aller Vögel Insekten. Andere sind Vegetarier, essen Fische oder sind halt richtige Raubvögel. So eine Dohle bevorzugt auch Eier oder das totgefahrene Opossum von der Straße – also jedenfalls tun das richtige Dohlen. Ich bin und war keine richtige Dohle und mein bevorzugtes Nahrungsmittel hieß zum damaligen Zeitpunkt „Cheeseburger“. Allerdings hätte ich an diesem Morgen auch das Opossum genommen, denn langsam zerrten vierzehn Stunden ohne Nahrungsaufnahme genau so an mir, wie der Schlafmangel. Ich war dem Jäger gefolgt. Ich meine, was hätte ich sonst tun sollen? Immerhin waren meine Möglichkeiten den Vampir zu finden eingeschränkt, solange ich nicht mal wusste, mit was für einer Art Vampir ich es zu tun hatte. Und hey, mit dem Vampirjäger hatte ich vielleicht eine Chance ein wenig Arbeit auf ihn abzuladen, ohne dass er es merkte. Hey, ich bin ehrlich – selbst wenn mir das ja irgendwie nie jemand glaubt: Ich bin kein besonders guter Kämpfer. Oder Magier. Meine Talente liegen halt in einem anderen Bereich. Insofern klang die Aussicht mich hinter jemand mit Schrotflinte und Feuermagie verstecken zu können ziemlich gut. Leider hatte das eine Menge Fliegerei erfordert. Der Typ hatte erst die Frau zu einem Heiler gebracht, hatte diesen bezahlt und war dann mit einem Motorrad Downtown gefahren. Eigentlich hatte ich angenommen, dass er in einem Hotel oder sowas lebte. Stattdessen hatte er das Motorrad vor einem Haus der besser bestückten Mittelschichtsgegenden von Kapstadt abgestellt. Vielleicht nicht in Strandnnähe, dafür nicht zu weit weg vom Tafelberg und mit eigenem Swimmingpool. Glücklicher. Zumindest hatte ich meinen verstaubten Federn ein kurzes Bad im Pool gegönnt und mich zu spät daran erinnert, dass sich Chlorwasser und Federn schlecht miteinander vertrugen. So hockte ich schließlich in einem Baum beim Pool, kratzte mir mit dem Schnabel den juckenden Hintern und versuchte zu Schlafen. Wenigstens war es hier irgendwie kühler. Vielleicht wegen den Winden. Was wusste ich dahingehend schon? Wahrscheinlich war es die Müdigkeit, doch irgendwann verfiel ich in einen wohligen Halbschlaf. Ein wohliger Halbschlaf, der irgendwann tiefer wurde und unsanft endete, als ich – wieder in menschlicher Gestalt – ins Wasser platschte. Schon verfluchte ich mich selbst. Ich war noch immer nicht gut darin die Dohlengestalt aufrecht zu erhalten, wenn ich einmal schlief. Denn selbst wenn die Konzentration des Zaubers eher unterbewusst war, so war sie doch gebraucht. Keuchend schlug ich mit den Armen auf die Wasseroberfläche. Der Pool mochte ja nicht tief sein, aber Straßenkinder haben meist eins gemein: Die wenigsten von uns haben Schwimmen gelernt. Mein schlaftrunkendes Hirn half nicht, um mich zu orientieren, als ich das Gleichgewicht verlor und mich mit dem Kopf unterwasser wiederfand. Es war fraglos nicht einer meiner glorreichsten Momente. In Panik schlug ich mit den Armen um mich, versucht mit dem Kopf wieder über Wasser zu kommen. Alles schien sich zu drehen. Kleine Sternchen in weiß und schwarz begannen vor meinen Augen zu tanzen. Im Nachhinein betrachtet, wäre das wohl eine ziemlich dämliche Art gewesen, zu sterben. Der Darwin-Award hat wohl keinen Platz für magische Unfälle, aber ohne die Fähigkeit zu Schwimmen in Tiergestalt über einem Pool einschlafen wäre definitiv ein Kandidat, oder? Nun, wie ihr daran merken könnt, dass ich diese Geschichte erzähle, bin ich folglich nicht gestorben – Spoiler! Denn auch wenn ich den Ruf nur von Fern hörte, merkte ich wohl, wie jemand neben mir ins Wasser sprang. Leider war mein Gehirn zu dem Zeitpunkt schon zu weit in den Panikmodus verfallen, um irgendwie intelligent zu reagieren. Dann griffen zwei kräftige Arme von hinten um meine Brust und auf einmal strömte wieder Luft in meine Lungen. Ich hustete, schlug noch immer um mich und wurde zum Rand des Pools gezerrt. Als mein Retter mich die Treppe hochzerrte merkte auch mein Gehirn, dass wehren den Überlebenschancen nicht zuträglich war und plump wie ein Reissack ließ sich mich auf die Kacheln neben dem Pool zerren. Dann realisierte meine Lunge, dass sie ein wenig zu viel Wasser aufgenommen hatte. Es folgte Husten. Dann die Übelkeit. Unschöne Sache, die ich hier nicht weiter ausführen will. Was zu sagen bleibt: Es brauchte sicher fünf Minuten, bis ich dazu kam, meinen Retter zu betrachten. Seine Klamotten klebten genau so wie meine nass am Körper. Er war groß, kräftig und vielleicht ein wenig zu blass für jemanden, der einen eigenen Pool hatte. Sein dreckigblondes Haar hing in nassen Strähnen von seinem Kopf. Das kleine Bärtchen an seinem Kinn fiel ähnlich licht aus, wie mein Oberlippenbart. Der Junge oder Mann oder wie auch immer war nicht so viel älter als ich. Vielleicht zwanzig. „Na, lebst du?“, grunzte er in demselben Dialekt, den ich in der Nacht gehört hatte. Mittlerweile hatte ich mich genug für einen Witz gefangen. Ich fühlte zwei Finger an meine Kehle, um den Puls zu führen. „Hmm“, machte ich. „Ja, doch, ich glaube ich lebe tatsächlich noch.“ Ein halbes trockenes Lachen kam über seine Lippen. „Wunderbar. Dann kannst du mir sicherlich sagen, was du in meinem Swimmingpool machst.“ Er stand auf, um besser auf mich hinabsehen zu können. Die kräftigen Arme hatte er verschränkt, zeigte mir dank der Perspektive jedoch eine lange Narbe, die seinen gesamten Unterarm zierte und sich beinahe weiß von der restlichen Haut abhob. Ich beschloss es bei den Witzen zu lassen. War einfacher. Sicherer. „Na, beinahe ertrinken. Haste doch gesehen!“ Zugegebenermaßen war das alles nicht, wie ich es mir vorgestellt hatte. Klar, ich hatte mit ihm sprechen wollen, aber eigentlich hatte ich eine bessere Gestalt dafür annehmen wollen, als die, in der ich nun vor ihm saß. Denn ja, diese eine meiner „wahren“ Gestalten war leider nicht besonders wirklich beeindruckend. Ich war für einen Teenager extrem klein geraten – zu wenig Essen in der Kindheit brachte sowas mit sich. Meine Haut war dunkel, aber dennoch irgendwie blass. Die Pickel auf meinen Wangen zeugten von der Pubertät. Und mein Haar war ein chaotischer Haufen schwarzer Locken, die dank dem Wasser wahrscheinlich noch krauser wirkten. Mein Tanktop war genauso zerschlissen, wie die Jogginghose, selbst wenn das vielleicht weniger auffiel. Immerhin klebte beides klitschnass an meiner hageren Gestalt. Der junge Mann musterte mich weiter. „Okay, formulieren wir die Frage anders: Was machst du in meinem Garten, als dass du überhaupt dazu kommst, beinahe in meinem Pool zu ertrinken?“ Für den Bruchteil einer Sekunde duellierten sich zwei Ideen in meinem Kopf. Lüge oder Wahrheit. Sie verschmolzen und wurden zu einem wilden Mix. „Ich bin Magier!“, erklärte ich. „Ich … ich habe dich gestern in den Flats gesehen, als du mit diesem Monster gekämpft hast und … ich bin dir gefolgt!“ Seine Augenbrauen wanderten zusammen. Falten bildeten sich auf der Stirn. „Wie?“ „Als Vogel“, erwiderte ich wahrheitsgemäß. „Ich kann mich in einen Raben verwandeln.“ Ich bemühte mich um das charmanteste mögliche Grinsen, das in dieser Gestalt möglich war. „Ich würde es dir ja zeigen, aber …“ Das Knurren meines Magens sparrte mir eine weitere Erklärung. Mein Gegenüber schwieg eine ganze Weile. Noch immer lag seine Stirn in Falten. „Und warum bist du mir gefolgt?“ Tja, ich brauchte eine gute Erklärung dafür. „Weil ich auch Monster jagen will!“ Mein Grinsen wurde breiter. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)