Are You With Me von SarahSunshine (Son Hak & Yona) ================================================================================ Kapitel 1: I'm here ------------------- Ein dumpfer Schlag hallte durch den großen, grün blühenden Wald. Ihm folgte ein Schnaufen, das einen verzweifelten Nachklang hinterließ. Eine warme Brise dieses heiteren Sommertages wehte durch die Baumkronen und ließ ihre Äste und Blätter rascheln. Ein weiterer Schlag durchbrach die Ruhe des Waldes, und noch einer nach dem anderen, untermalt von dem Keuchen einer jungen Frau. Zwischen all den Bäumen und Büschen stand Prinzessin Yona, mit einer primitiven Lanze aus robustem Holz und einer spitzen Klinge aus Stein. Ihre scharlachroten Augen fixierten den dicken Stamm, den sie gerade malträtierte. Trotzdem fehlte ihnen die gewohnte Entschlossenheit, die sie sonst im Training ausstrahlten. Stattdessen zog sich immer wieder Verzweiflung durch ihre Gesichtszüge. In ihrem Inneren herrschte ein Konflikt, den sie stumm und für sich selbst ausfechten musste, während sie äußerlich ihre Kraft an dem Baum ausließ. Das dunkelrote Haar klebte, bedingt durch die Temperaturen und die Anstrengung, an ihren Schläfen. Ihre Atmung ging unregelmäßig, unkonzentriert. Ein genauer Blick auf ihre Hände zeigte, dass sie zitterte, während sie die unbekannte Waffe führte. Den Umgang mit dem Bogen hatte sie bereits gemeistert. Sogar ein Schwert und ihren Körper wusste sie mittlerweile in einer brenzligen Situation einzusetzen. Einen Speer jedoch hatte sie noch nicht geführt. Im Vergleich zu Hak, der seine Waffe, Hsu Quandao, gemeistert hatte, war sie wie ein Kleinkind, das gerade laufen lernte. Als Haks Name in ihren Gedanken aufkam, sank ihre Konzentration gänzlich. Sie führte einen weiteren Schlag gegen den Baumstamm aus. Dabei hielt sie den Stab ihrer Waffe falsch, konnte das Gleichgewicht nicht halten und stolperte von dem Rückstoß nach hinten. Ehe sie sich versah, saß sie auf dem kühlen, feuchten Waldboden. Wenn Hak jetzt hier wäre, würde er sie mit einem neckenden Kommentar über ihre Tollpatschigkeit aufziehen und sie damit provozieren. Doch um sie herum war es still. Kein Hak, kein Kommentar, kein nonchalantes Lächeln. Selbst Ao, der sonst um sie herumwuselte und etwas zu essen in seine Backentaschen stopfte, war nicht bei ihr. Yona wusste im Moment nicht einmal, ob es jemals wieder dazu kommen sollte, dass Hak sie aus Spaß an der Freude aufziehen würde. ~ Nach dem Kampf gegen das Kai Imperium hatte sich Yonas Gruppe vorerst nach Fuuga zurückgezogen. In der Hauptstadt des Windclans und der Heimat von Hak waren sie herzlich willkommen, vor allem nach ihrem Zusammentreffen an der Grenze zu Xing. Die Stimmung zwischen ihr und Hak war angespannt, denn das Angebot von Kye-Sook ins Königshaus in Kouka zurückzukehren lag noch ungeklärt in der Luft. Sie versuchte seine Gefühle zu verstehen und gleichzeitig die richtige Entscheidung zu treffen. Vor zwei Tagen war sie gemeinsam mit Hak in den Gebirgen nahe Fuuga unterwegs gewesen. Sie wollten in ruhiger Atmosphäre über ihre nächsten Schritte sprechen, wie sie am besten mit der Einladung umgingen. Dazu kam es jedoch nicht. Auf ihrem Weg durch die Wälder wurden sie von einer zwielichtigen Gestalt verfolgt. Ihr Angreifer wog sich in den Schatten der Wälder in Sicherheit, doch sie hatten ihn längst bemerkt. Als er sie aus dem Hinterhalt angriff, wussten sie auf ihn zu reagieren. Der Angreifer hatte es offensichtlich auf Yona abgesehen, so deutete sie zumindest seinen fokussierten Blick und die funkelnden Augen, wenn er sie ansah. Er war vollkommen in schwarz gekleidet und schützte seine untere Gesichtshälfte mit einer Maske. Vielleicht war er ein Kopfgeldjäger oder ein Anhänger von Gobi, der es noch immer auf die Prinzessin und ihre Drachen abgesehen hatte. Trotz ihrer Differenzen ließ Hak den Angreifer jedoch keinen Zentimeter an Yona ran. Der Mann war schnell und wendig. Wie ein Ninja verschwand er hinter Baumstämmen und in Baumkronen, nur um an einer anderen Stelle wieder aufzutauchen. Er schleuderte Wurfmesser auf sie und kalkulierte den Winkel beinahe so perfekt, dass diese über Haks Schulter auf Yona zuflogen. Mit dem Aufwind seiner Glefe erzeugte Hak eine undurchdringbare Wand aus Wind, an der jedes Messer abprallte. Er war ihr schützendes Schild. Sein Gegner wusste darauf zu reagieren und wechselte vom Fernkampf in den Nahkampf. Seine Wurfmesser klemmte er geschickt zwischen seine Finger, um sie von einer Distanz- zu einer Faustkampfwaffe werden zu lassen. Er schien Hak im Nahkampf zu unterschätzen, denn trotz seiner Größe war er schnell und wendig. Obwohl seine Verletzungen aus der Schlacht noch schmerzen mussten, ließ er sich davon nichts anmerken. „Geht auf Abstand und versteckt Euch, Prinzessin“, befahl er in unnachgiebiger Tonlage. Widerwillig zog Yona sich zurück. Hak hatte sie unterrichtet und ihrer Fähigkeiten schon mehr als einmal anerkannt, trotzdem wollte er sie an diesem Kampf nicht teilhaben lassen. Befürchtete er, ihr könnte etwas zustoßen? Oder war er noch immer zu wütend, als dass er sich selbst unter Kontrolle halten konnte? Sie durfte nicht unachtsam werden oder die beiden Männer aus den Augen lassen. Während sie miteinander kämpften, versuchte die Prinzessin ihren Bewegungen zu folgen. Nicht nur Hak war gut im Ausweichen, auch sein Gegner schaffte es, sich den Konterangriffen zu entziehen. Bis zu einem kräftigen Schlag in den Nacken, der den Kopfgeldjäger unvermittelt zu Boden gehen ließ. Yona atmete erleichtert auf. So war Hak: präzise und kräftig. „Du solltest unsere Gesichter von deiner Liste streichen“, knurrte die Donnerbestie gereizt und mit finsterem Blick. Er hätte ihn wohl noch weiter verprügelt, doch er wusste, dass Yona den meisten Menschen eine Wahl ließ. Sie wollten ihn gehen lassen. Hustend rappelte sich der vermummte Mann auf seine Knie. Die Chance zu verschwinden, ergriff er jedoch nicht. Stattdessen schleuderte er Hak eine Ladung Erde und Steine in die Augen. Das Überraschungsmoment nutzend, preschte er auf die Prinzessin zu, die nicht weit von ihnen hinter einem Baum hervorgekommen war. Noch im Flug zog er eine weitere Klinge, ein Kurzschwert, mit dem er sie durchbohren würde. Ohne mit der Wimper zu zucken, zog Yona ihren Bogen. Ein Pfeil kreuzte die Flugbahn ihres Angreifers und zwang ihn, sich an einem anderen Baum abzufangen. Die Prinzessin feuerte bereits den nächsten Schuss ab, doch der Pfeil bohrte sich in den Baumstamm, ohne sein Ziel zu treffen. Er war so schnell, dass sie ihn aus den Augen verlor. Sie hörte nur ein Rascheln in den Baumkronen über ihr. „Hier bin ich“, brüllte er mit einem mordlustigen Grinsen im Gesicht. Entgegen ihrer Erwartung schoss ihr Gegner von der Seite auf sie zu. Sie spannte die Sehne, bereit den nächsten Pfeil auf ihn zu schießen, doch er war zu schnell. Der Holzbogen wurde in zwei Hälften geteilt und ein paar dunkelrote Haarsträhnen flogen durch die Luft. Dieser Angriff galt nur ihrer Entwaffnung. So konnte sie sich nicht mehr wehren. „Jetzt sitzt das kleine Prinzesschen in der Falle. Zeit, die Beute zu erlegen.“ Nebel breitete sich plötzlich um sie aus. Eine Rauchbombe? Yona sah sich wild um, hoffte anhand der Geräusche, die Richtung ausmachen zu können, aus der der nächste Angriff kommen würde. Das nächste, was sie vor ihren Augen erblickte, war der meerblaue Umhang von Hak, der schwungvoll ihr Sichtfeld bedeckte. Ein Keuchen erklang, anschließend ein Lachen. „Dann bist du eben zuerst dran.“ Haks Umhang färbte sich an einer Stelle dunkelrot. Yonas Herz klopfte schnell in ihrer Brust. Hak hatte den Angriff abgefangen, mit seinem Körper als Schild. Dabei war er doch noch verletzt. „Damit hast du dein Todesurteil unterschrieben“, knurrte er gefährlich und gewillt, seinem Gegner alle Lebensgeister auszupusten. Mit einem gekonnten Schlag schleuderte Hak den Angreifer gegen den nächsten Baumstamm. Noch einen Augenaufschlag später stand er direkt vor ihm und versetzte ihm mit seiner Glefe den finalen Schlag. „Hak!“ Mit schnellen Schritten lief Yona zu ihrem Begleiter, betrachtete besorgt die blutenden Wunde. „Wir müssen dich verarzten. Wir müssen zu Yun!“ Sie hatte Hak schon so oft gesagt, dass er auf sich Acht geben sollte, dass sie ihn nicht verlieren wollte. Trotzdem warf er sich einfach vor sie und würde wahrscheinlich noch ein weiteres Mal eine Klippe mit ihr herunterstürzen. Er war einfach unverbesserlich. Die beiden kehrten gemeinsam nach Fuuga zurück. Yona war nicht verletzt worden, weshalb Yun sich schnellstmöglich um die Wunde von Hak kümmerte. „Keine Sorge, Yona. Hak kommt schon wieder auf die Beine.“ Seit jeher war es Yun, der die beiden aufpäppelte und aus jeglichen brenzligen Situationen rettet. Die Prinzessin hatte keinen Zweifel daran, dass er ihren gemeinsamen Freund auch dieses Mal wieder gesund pflegen würde – zumal Yun sich nicht die Chance nehmen ließ, Hak für sein Verhalten zu maßregeln. In der Zwischenzeit wusch Yona sich den Dreck aus dem Gesicht und von ihrem Körper. Hak würde sie sicherlich wieder aufziehen, wenn er sie in diesem Aufzug sah. Frisch und mit sauberer Kleidung betrat sie die kleine Steinhütte, in der ihr Begleiter versorgt wurde. Er lag auf einem Strohbett, sein Bauch und die halbe Brust waren bandagiert. Trotz der Verletzung war sein Gesicht vollkommen entspannt. „Er schläft erst mal“, erklärte Yun erschöpft. „Du kannst bei ihm bleiben“, sprach er weiter, ohne dass die Prinzessin überhaupt fragen musste. Mittlerweile kannte ihr Freund sie schon sehr gut. Nach allem, was Hak schon für sie auf sich genommen hatte, war es für Yona das Mindeste, dass sie ihm nun beistand. Sein Pflichtbewusstsein ihr und ihrem Vater gegenüber war so groß, dass er nicht davon ablassen konnte, selbst als sie ihn von sich lossagte. Mittlerweile steckte noch viel mehr hinter diesem Pflichtbewusstsein, hinter seinem Verhalten. Ihre Gefühle füreinander waren seit ihrer Flucht aus dem Schloss fest miteinander verwoben und tief verankert. Sie waren nur beide so schlecht darin, über ihre Gefühle zu sprechen. „Werd‘ schnell wieder gesund“, murmelte die Prinzessin und griff nach der Hand ihres Begleiters. Sie legte sich neben ihn auf den Boden, ohne ihn loszulassen. Sein Brustkorb hob und senkte sich gleichmäßig, seine Lippen waren leicht geöffnet und ein paar schwarze Haarsträhnen fielen ihm in die Augen. Yona beobachtete ihn eine ganze Weile, prägte sich diese kleinen Details ein. Irgendwann ergriff die Erschöpfung ihren Körper und ihren Geist und sie schlief neben ihm ein. Mitten in der Nacht riss innere Unruhe sie aus dem Schlaf. Schwermütig öffnete sie ihre Augen, erblicke das Gesicht von Hak im Schein einer einzelnen Kerze. Seine Stirn lag in Falten, Schweißperlen rannen seine Schläfen herab und er biss die Zähne zusammen, als hätte er Schmerzen. „Hak? Hak!“ Er reagierte nicht auf ihre Stimme. Obwohl Yona kein umfassendes, medizinisches Wissen besaß, spürte sie, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Sie lief aus der kleinen Hütte raus. „Yun! Yun, wo steckst du?!“ Aus einer der anderen Hütten trat ihr Freund verschlafen heraus. Er rieb sich müde über die Augen und gähnte. „Was ist los, Yona? Hast du schlecht geschlafen?“ „Hak! Irgendwas stimmt mit ihm nicht!“ Yun eilte zu ihr rüber. Im Zimmer angekommen, prüfte er sofort den Zustand seines Patienten. Seine Gesichtszüge waren vollkommen ernst, von der Müdigkeit war nichts mehr zu erkennen. „Er hat hohes Fieber“, murmelte Yun, während er das Gesicht von Hak mit einem Handtuch abtupfte. „Ich brauche frisches Wasser und einige Heilkräuter. Ich habe noch welche in meiner Tasche.“ Yona fühlte sich hilflos, ballte ihre Hände zu einer Faust. „Ich hole das Wasser.“ Sie wollte nicht untätig sein, außerdem hatte sie schon einiges von Yun gelernt. Hak brauchte sie jetzt beide, also wollte Yona ihr Bestes tun, um zu helfen. Gemeinsam verließen sie das kleine Steinhaus. Mit dem erstbesten Eimer, den sie fand, lief sie an den Brunnen. Darum bemüht, kein Wasser zu verschütten, lief sie zurück. Yun zerstieß bereits die Kräuter in seinem Mörser zu einem feinen Pulver. Obwohl er vollkommen fixiert wirkte, schien er sie zu bemerken und bedankte sich für das Wasser. „Yona, klopf bitte bei Ayame. Ich könnte ihre Unterstützung gebrauchen.“ Plötzlich lag das Herz der Prinzessin schwer in ihrer Brust. Yun kannte sich gut im Bereich der Medizin aus, er hatte sie alle schon oft gesund gepflegt. Wenn er jetzt Ayames Hilfe benötigte, musste es schlimmer als das Fieber sein. Sie wollte nicht fragen, was es bedeutete, stattdessen lief sie eilig zum Haus von Ayame. Mit einer Kerze in der Hand öffnete die junge Frau verschlafen ihre Haustür. „Prinzessin Yona? Was ist los?“ „Es geht um Hak. Er hat … hohes Fieber. Yun braucht deine Unterstützung.“ „Ich komme sofort!“ Sie verschwand nur kurz im Haus, um sich ein Wickelkleid und Schuhe anzuziehen. Dann eilten die beiden Frauen gemeinsam zur Hütte, in der Hak behandelt wurde. Mittlerweile waren auch einige ihrer Gefährten von dem Trubel wach geworden. „Prinzessin, wir sollten die beiden nicht bei der Arbeit stören. Lass uns doch ein wenig spazieren gehen“, schlug Jae-ha vor und legte sanft seine Hand zwischen ihre Schulterblätter. Widerwillig ballte Yona ihre Hände zu Fäusten. Sie war hier keine Hilfe mehr, egal wie sehr sie es sich wünschte. Bedrückt wandte sie sich von der Holztür ab. Jae-Ha und Kija dicht in ihrer Nähe. Abseits des Trubels und der anderen Häuser von Haks Heimatort setzte Yona sich auf eine der Steinmauern. Unter ihren Füßen führte ein Weg in die Richtung Fluss, an dem die Bewohner der Stadt immer ihre Wäsche wuschen. Sie erinnerte sich noch daran, als sie das erste Mal mit ihm hier war. Kurz nach dem Attentat auf ihren Vater hatten sich alle Bewohner in Fuuga so nett um sie gekümmert, hatten ihnen eine Zuflucht geboten. Alle waren so offen und freundlich gewesen, auch jetzt noch. Doch noch viel wichtiger war die Erinnerung, wie glücklich sie waren, dass Hak heimgekehrt war. Seitdem war so viel Zeit vergangen. Die Bewohner Fuugas liebten ihn nach wie vor. So wie sie. Yona stiegen die Tränen in die Augen, als sie sich daran erinnerte. Weder seine Freunde, noch seine Familie in seiner Heimat, noch sie durften ihn jetzt verlieren. Die Stunden vergingen und mit jeder weiteren kämpfte Yona darum, sich wachzuhalten. Eigentlich wollte sie nicht schlafen, bis sie wusste, wie es Hak ging, doch die Ereignisse des Tages hatten sie vollkommen ausgelaugt. Irgendwann waren ihre Augenlider so schwer, dass sie sie nicht mehr offenhalten konnte. Als sie am nächsten Morgen erwachte, lag sie in einem Bett, in das sie sich nicht gelegt hatte. Müde blickte sie sich im Raum um. Am anderen Ende der Wand saßen Kija und Zeno nebeneinander auf dem Boden. Zeno lächelte ihr zu, während Kija seinen Kopf auf der Schulter seines Drachenbruders abgelegt hatte und döste. Bestimmt war es einer der beiden gewesen, der sie ins Bett gebracht hatte. Die Erinnerungen der letzten Nacht kehrten zurück und Yona riss besorgt ihre Augen auf. „Ganz ruhig“, sprach Zeno und hob beschwichtigend seine Hände. Von den Bewegungen wachte auch Kija auf und rieb sich seine müden Augen. Er blickte von Zeno zu Yona und erfasste die Stimmung im Raum recht schnell. „Haks Wunde scheint sich entzündet zu haben“, erklärte Zeno ihr den aktuellen Stand, „Yun hat gesagt, dass wenn er die Nacht übersteht, seine Chancen sehr gut sind.“ Wieder pochte ihr Herz, das Blut rauschte in ihren Ohren. Sie nahm das Gespräch ihrer beiden Begleiter nur noch dumpf wahr. Sie wollten Essen holen? Kija verschwand gemeinsam mit Zeno und Yona starrte mit leerem Blick auf das kleine Fenster neben der Tür. Die Sonne war schon längst aufgegangen. Yona schlug die Decke zur Seite und stürmte aus dem Haus. Das Tageslicht blendete sie und ihre Augen mussten sich erst mal an die Helligkeit gewöhnen. Es war schon längst Morgen. Hatte Zeno nicht gesagt, Hak müsste die Nacht überstehen? Aufgeregt eilte Yona durch die kleine Siedlung, bis sie das Haus erreichte, in dem Hak lag. Ayame tupfte sein blasses Gesicht mit einem weißen Handtuch ab. Ohne aufzusehen, schien sie wohl zu wissen, dass die Prinzessin gekommen war. „Er lebt noch“, sagte sie ruhig, „die Nacht war schlimm, aber er lebt noch.“ Yona biss sich auf die Unterlippe. Sie spürte eine unfassbare Last auf ihrem Herzen, ein Stein so schwer, dass sie nicht wusste, wie sie ihn tragen sollte. Die Prinzessin verneigte sich tief vor der anderen Frau, ihre Hand fest auf die Brust gepresst. „Bitte pfleg Hak wieder gesund! Bitte kümmere dich um ihn! Er … er darf nicht sterben … nicht wegen mir!“ Bevor Ayame darauf reagieren konnte, stürmte Yona bereits davon. Dabei lief sie Kija direkt in die Arme. „Yona …“ Erst klang er besorgt, doch als er kurz über ihre Schulter blickte, veränderten sich seine Gesichtszüge. „Komm mit. Ich habe dir was zu essen geholt.“ Sie nickte gehorsam, obgleich sie keinen Appetit hatte. Gemeinsam mit ihrem Freund und Begleiter ging sie zurück zu ihrem Schlafplatz. Den warmen Reis mit Ei starrte sie die meiste Zeit an, nahm bloß winzige Happen. „Wo ist Zeno?“ „Er sucht nach Jae-ha und Shin-ha. Die beiden kundschaften gerade die Umgebung aus. Vielleicht finden sie noch ein paar Spuren, falls sich noch mehr Angreifer verstecken.“ „Mhm.“ Die Hälfte ihrer Mahlzeit hatte sie irgendwie herunterbekommen, doch dann rührte sie nichts mehr davon an. Ihr Begleiter war so nett und räumte das Tablett weg. Als er den Raum verließ, folgte sie ihm. „Yo-“ „Kija“, unterbrach die Prinzessin ihn und blickte dabei in sein Gesicht. „Danke für deine Fürsorge, aber ich wäre jetzt gerne alleine. Wenn ich dich brauche, komme ich zu dir, versprochen.“ Sie sah ihm an, dass er sich schwer damit tat, sie einfach so gehen zu lassen. Doch sie blieb stur und versuchte ihm genau das mit ihrem Blick klarzumachen. Er schwieg erst, trat dann aber einen Schritt zur Seite, um sie gehen zu lassen. Eine Weile schlenderte Yona durch Fuuga, versuchte alle Bilder in sich aufzunehmen, wollte sich die frische Luft, die Gebirge und die schönen Häuser und Wege einprägen. Und doch schweiften ihre Gedanken ab, als sie ein paar junge Krieger beim Trainieren entdeckte. Mit ihren Lanzen in den Händen standen sie voreinander, gingen beinahe im Gleichschritt im Kreis und preschten dann aufeinander zu. Obwohl Yona sich zu wehren wusste, kämpfen konnte, war es Hak gewesen, der sich einmal mehr schützend vor sie geworfen hatte. Er tat das immer und immer wieder, egal was sie sagte, wie sehr sie sich sorgte oder wie sehr sie darauf pochte, dass er das nicht tun musste. Er hatte auf ihrer gemeinsamen Reise schon viel durchgemacht, sich dabei aber nie beschwert. Jeder Angriff, jede Wunde und jede Narbe nahm er stillschweigend hin. Weder jammerte er darüber, noch beschwerte er sich jemals. Das höchste der Gefühle waren vielleicht der eine oder andere neckische Kommentar. Hak hatte schon viele Attacken oder gefährliche Stürze überlebt. Meistens hatte er sich schnell wieder auskuriert. Doch dieses Mal war es anders, dieses Mal war es schlimmer. Yona lauschte dem Aufeinanderprallen von Holz, dem Klacken der Schuhe und dem aufwirbelnden Wind beim nächsten Sprung. Auch Hak hatte hier früher gekämpft und sich seinen Namen verdient. Gedankenverloren stieß sie gegen eine Halterung mit mehreren Trainingsspeeren. Es fiel nur einer direkt in ihre Hände. Sie starrte ihn einen Moment lang an und musste dann daran denken, wie Hak seine Glefe immer meisthaft und mit Leichtigkeit geschwungen hatte. „Ist da jemand?“ Aufgeschreckt von den Schülern lief sie mit dem Speer in der Hand durch das große Tor aus Fuuga hinaus, in ein Waldstück nicht zu weit von der Stadt entfernt. Trotzdem so weit, dass sie hier alleine war. An diesem Ort versuchte sie Herrin über ihre Gefühle zu werden. Entschlossen festigte sie ihren Griff um den Speer, schwang ihn kräftig und bemühte sich, nicht an Haks Zustand zu denken. ~ Wie sie auf dem Waldboden saß, mit der Lanze zu ihren Füßen, wusste Yona nicht, ob ihr nach lachen oder weinen zumute sein sollte. Eine frische Brise wehte durch ihr mittlerweile zerzaustes Haar. Obwohl es ein angenehmer Sommernachmittag war, kühlte der Wind ihre erhitzten Wangen. Sie streckte ihr Gesicht gen Himmel, um sich für wenige Sekunden der Erfrischung hinzugeben, als plötzlich etwas Feuchtes ihre Wange benetzte. Am Himmel hatten sich die Wolken zu einer dicken Front zusammengezogen. Erst kämpften sich nur wenige Regentropfen durch die Baumkronen, doch je länger sie dort saß, desto stärker wurde der Regen. Wenn sie noch länger hier draußen blieb, würde sie krank werden und ihren Freunden damit nur noch mehr Sorgen bereiten. Die Prinzessin griff nach dem Speer auf dem Boden. Bei seinem Anblick stiegen ihr schlussendlich doch die Tränen in die Augen. Wie ging es Hak gerade? Sie wollte ihn sehen, sie wollte mit ihm sprechen. Langsam rappelte sich Yona auf, um nach Fuuga zurückzukehren. Der warme Sommerregen vermischte sich mit ihren Tränen. Hin und wieder verschwamm die Sicht vor ihren Augen. Sie musste aufpassen, wo sie hintrat, denn durch den Regen waren die Wege rutschig. Plötzlich verfing sich ihr Fuß in einer Baumwurzel und sie stürzte nach vorne. Die Augen zugekniffen rechnete sie jeden Moment damit, jetzt auch mit dem Gesicht im Matsch zu landen. Doch anstatt auf den Boden zu fallen, prallte sie an etwas, an jemandem ab. Der Geruch und die Wärme waren ihr sofort vertraut. Genauso wie der starke Arm, der sich unvermittelt um ihre Schultern legte, wie die Hand, die ihren Kopf sanft tätschelte. Sie wusste genau, dass Hak gerade vor ihr stand, dass er sie auffing und festhielt, so wie er es immer tat. Die Tränen liefen ohne Halten über ihre Wangen, verliefen sich gemeinsam mit den Regentropfen in seinem Mantel. Er sagte nichts, hielt sie einfach fest und ließ sie weinen, während über ihnen die Wolken aufbrachen und der warme Schauer immer stärker wurde. „Hak … Ich … Ich will nicht, dass du mich alleine lässt! Hörst du Hak?!“ Sein Griff wurde fester, sie spürte, wie er sein Gesicht auf ihren Scheitel drückte. „Ich lasse dich nicht alleine. Komme, was wolle.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)