Fäden des Schicksals von SuperCraig ================================================================================ Kapitel 1: Ein Gott zieht aus ----------------------------- „Die Tochter wird dir ebenbürtig sein, der Sohn dich aber stürzen.“ Dies hatten Gaia und Uranos, die Erde und der Himmel, dem jungen Zeus damals geweissagt. Durch einen Trick hatte er Metis, seine damalige Frau, verschlungen und war genauso zu dem Tyrannen geworden, der sein Vater Kronos dereinst gewesen war. Doch Prophezeiungen erfüllen sich irgendwann und niemand verschlingt die Göttin des Scharfsinns ungestraft. Metis, die junge Okeanide und erste Frau des Zeus. Sie stand für Scharfsinn, eine Eigenschaft, die dem jungen König der Götter gefehlt hatte. Ohne sie hätte er nie seine Geschwister aus dem Bauch des Kronos befreien können, genauso wenig wie der Omphalosstein, der Nabel der Welt, an diese glorreiche Geschichte hätte erinnern können. Sie war ihm eine Stütze gewesen und hatte ihm schlussendlich auch die Lieblingstochter geschenkt, die er sich immer gewünscht hatte: Athene. Der Bruder der Göttin der Weisheit aber; er war mit seiner Mutter im Leib des Vaters verblieben. Bis zum heutigen Tag, denn Scharfsinn triumphiert über den Willen, an der Macht festzuhalten. Metis war still und heimlich in einer Höhle auf Kreta niedergekommen. Zeus hatte sie aus Unachtsamkeit heraus aus seinem Körper ausgeschieden; ein einzelner Schweißtropfen genügte, um sie zu befreien. Gaia selbst, die Großmutter des allmächtigen Zeus, diente als ihre Patronin. In der Vergangenheit war die Erde oft als stille, jähzornige oder fürsorgliche Ratgeberin aufgetreten, hatte sich am Ende aber mit Zeus zerstritten. Ihre Kinder waren in den Tartaros geworfen und Kronos dazu verdammt worden, darin umherzuwandern. Außerdem hatte der Göttervater sämtliche Giganten ausgelöscht, ein Vergehen, dass ihm Gaia nicht vergeben konnte. Jedenfalls hatte Metis den prophezeiten Sohn zur Welt gebracht. Sie hatte ihn Zeuxis genannt, was so viel wie „Verbinden“ bedeutete. Er sollte einen was zerbrochen war und den grausamen Vater vom Thron stoßen. Ironischerweise hatte Zeus wie sein Vater gehandelt um das Schicksal zu betrügen, doch niemand konnte seinem Schicksal entfliehen, nicht einmal der König der Götter. Die Moiren hatten etwas Besonders für den Gottvater vorbereitet: Einen Scheideweg. Mit den Jahren wuchs der junge Zeuxis zu einem starken Mann, nein, einem Gott heran, der seiner Schwester Athene in nichts nachstand. Er hatte viele gute Eigenschaften aus der Verbindung der Metis und des Göttervaters geerbt: Er war klug, mutig, stark, aber auch aufbrausend, zornig und stur. Dazu kam noch der Einfluss seiner Urgroßmutter Gaia, die ihm dementsprechenden Hass gegenüber seinem Vater einimpfte und die verschmähte Metis, die sich hintergangen fühlte. „Ihr verlangt das Unmögliche“, brüllte der junge Mann seine beiden einzigen Bezugspersonen an. Sie wollten, dass er den Göttervater selbst stürzte und dessen Platz einnahm. Niemand war bisher so dreist gewesen sich direkt mit Zeus messen zu wollen. Die Titanen hatte er bezwungen und ihnen scheußliche Aufgaben aufgetragen. Atlas war gezwungen den geschwächten Uranos zu tragen, Prometheus an den Kaukasus gekettet worden und für den eigenen Vater hatte er ein schlimmeres Schicksal vorhergesehen. „Es ist nicht unmöglich, sondern deine Bestimmung. Ich und dein Urgroßvater Uranos haben des deinem Vater so prophezeit.“ Gaias Stimme kam aus dem Nirgendwo und Überall, denn die Erde, sie war omnipräsent. Zeuxis hatte die behütende Kraft, die ihn und seine Mutter vor den Augen des Göttervaters verbarg, nie körperlich gesehen, aber er konnte sie spüren, fühlen. „Und woher willst du das wissen, Urgroßmutter?“ Zeuxis war noch jung, gerade einmal im Mannesalter angekommen. Furcht umschloss sein Herz. Wie sollte er den Vater der Moiren, des Schicksals selbst, besiegen? Nur weil Erde und Himmel es so angedacht hatten? Weil seine Mutter wollte, dass er Rache für ihr Leiden nahm? Außerdem war da nicht nur Zeus, sondern auch das restliche Pantheon der Götter, mit dem er sich messen musste. „Weil ich der Anfang und das Ende bin. Ohne mich gäbe es niemanden; kein Lebewesen wäre ohne mich, weder du, noch dein Vater, noch dein Großvater.“ Gaias Stimme ließ die Höhle, die er seit seiner Geburt nicht verlassen hatte, erbeben. Sie war zornig und doch auch ein wenig besorgt. Der Junge war trotz allem ihr Urenkel und somit ein direkter Teil von ihr. „Wie soll ich vernichten, was nicht vernichtet werden kann?“ Die nächste Frage, die man ihm wahrscheinlich nicht beantworten konnte, oder wollte. Der junge Mann raufte sich mit den Fingern die ebenholzschwarzen, kurzgeschorenen Haare. Warum konnten Mutter und Urgroßmutter ihn nicht einfach sein lassen? Er wollte frei sein. „Zeus hat sich im Laufe der Zeit viele mächtige Feinde gemacht, nicht nur die Monster und Bestien, die deine Halbbrüder bezwungen haben.“ Es war dieses Mal Metis, die blonde Okeanide, die sich zu Wort meldete. Ihrem Blick entging, in Kombination mit den Informationen von Gaia, nichts. Sie wusste ob der Entwicklungen der letzten Jahrhunderte Bescheid. „Deine eigenen Geschwister, egal ob Halbgott oder Gott, sowie deine Stiefmutter, hegen einen tiefen Groll gegenüber deinem Vater.“ Von allen Göttern fürchtete Zeuxis, neben seinem Vater, seine Stiefmutter Hera. Die Göttin der Ehe und Gemahlin des Königs war als rachsüchtige, grausame Frau bekannt, der Mitleid und Einfühlsamkeit Fremdwörter waren, wenn es um die Eskapaden ihres Ehemannes ging. Warum sollte gerade sie einem Bastard des Zeus zur Seite stehen? Der junge Gott rieb sich mit Zeigefinger und Daumen die Stelle zwischen Nase und Stirn. Er hatte dieses Gespräch gefürchtet, denn nun würde er aus dem Schutz seiner Höhle, seiner Kindheit, steigen müssen, um sich den Gefahren der Welt zu stellen. Konnte seine Existenz wirklich nur darauf basieren ein einzelnes Wesen im Universum zu fällen? War er dazu erschaffen worden? „Du beginnst am besten mit deinem Halbbruder Ares.“ Gaias Stimme war nun wieder sanfter, einfühlsamer, wie die einer liebenden Großmutter, die sich um ihr Enkelkind sorgte. Sie würde ihn beschützen und behüten und vor den Augen des Zeus verbergen. Helios würde den Jungen auf seinem Wagen nicht erspähen können. „Dem Kriegsgott?“ Zeuxis´ Stimme zitterte. Seine Mutter hatte ihm vom cholerischen Gott erzählt, dessen einzige Aufgabe darin bestand, Kriege zu entfachen, zu befeuern und sie zu führen. Er war ein verhasster Gott im griechischen Pantheon, ein Wesen, das bloß angebetet wurde, um sich den Sieg in der nächsten Schlacht zu sichern. Einzig in Thrakien und Lakonien, besser gesagt in Sparta, verehrte man den Gott des Krieges aufrichtig. Etwas in Zeuxis regte sich. Vor seinen Augen verschwammen die Höhle und das wärmende, lauschige Feuer, dass die Dunkelheit vertrieb. Seine Pupillen wurden ganz weiß und es schien, als hätte er den Ort gewechselt, wäre sogar durch die Zeit selbst gereist. Er sah einen großen Mann, muskelbepackt, mit schulterlangem, feuerrotem Haar. Sein Blick war wütend, fast schon hasserfüllt, wie er halbnackt, mit einer wunderschönen Frau im Bett lag und sich nicht bewegen konnte. Das weibliche Wesen war so atemberaubend, dass Zeuxis sofort wusste, um wen es sich handeln musste. „Aphrodite“, hauchte er. Seine Tante, die Göttin der Liebe und Schönheit. Sie machte ihrem Namen alle Ehre. Das braune, schulterlange Haar bedeckte nur spärlich mit einigen Strähnen, was Ares´ restlicher Körper nicht zu verbergen mochte. Ihre Züge waren weich, sanft, anmutig, und weckten im jungen Gott das Begehren, ihr nahe sein zu wollen. Fast schon eifersüchtig betrachtete er seinen Halbbruder, der sich noch wenige Minuten zuvor, ohne fremde Zuschauer, mit ihr im Bett des Hephaistos vergnügt hatte. Die Erinnerung verblasste und ihm war klar was geschehen war. „Zeuxis?“ Seine Mutter rüttelte an seinen Schultern, wirkte krank vor Sorge. Ihr Sohn schüttelte noch ein wenig weggetreten den Kopf und streifte Metis´ Hände ab. „Ares ist ins Exil gegangen, nach Thrakien, oder?“ Sowohl Mutter als auch Urgroßmutter betrachteten ihn fassungslos. Das konnte der Junge gar nicht wissen. Beide waren beunruhigt ob der Fähigkeiten des Gottes, die er noch nicht einzuschätzen vermochte. Während Metis ihn noch eine Weile bei sich behalten wollte, pochte Gaia darauf, den Jungen bald auf Zeus loszulassen. Entschlossen löste sich der junge Gott aus dem Griff seiner Mutter und stand auf. Er wusste was zu tun war. Er würde mit Ares beginnen und wusste auch, wie er ihn auf seine Seite ziehen konnte. Mit dem Gott des Krieges als Verbündeten hätte er rohe Gewalt auf seiner Seite. Eine Waffe, die er nur führen musste, nicht einmal damit zuschlagen. „Ich bin bereit aufzubrechen.“ Seine Stimme war fest und klar und übertünchte ein wenig den letzten Rest Selbstzweifel, den er beiseiteschob. Zeuxis war bereit sich seinem Schicksal zu stellen und das zu tun, wofür man ihn auf diese Welt geschickt hatte: Es mit seinem Vater, dem König der Götter, aufzunehmen. „Bevor du gehst“, meldete sich Gaia und ließ die Höhle erneut erzittern und erbeben. Aus einem kleinen Spalt nahe dem Lager, auf dem Zeuxis immer geschlafen hatte, schob sich ein weißer Stoff, wie er ihn noch nie zuvor gesehen hatte. Das Material wirkte feiner als Seide und robuster als Bronze. Wortlos warf sich der junge Gott den Mantel um die Schultern und zog sich die Kapuze über den Kopf. Der Stoff fühlte sich unfassbar leicht, wie auch angenehm an, als er sich so an seine Haut schmiegte. „Damit solltest du vor den Augen deines Vaters sicher sein“, murmelte Gaia und Zeuxis war sich sicher, dass seine Urgroßmutter lächelte. Seine Mutter tat es nämlich, als sie ihn ein letztes Mal in den Arm nahm und auf die Stirn küsste: „Pass auf dich auf, mein Sohn.“ Er erwiderte die Geste und ging mit klopfendem Herzen zum Höhlenausgang. Das Licht der Sonne blendete ihn und er hielt seine Hand vor die Augen, um klar sehen zu können. Ein letztes Mal blickte er zurück zu Mutter und Urgroßmutter, dem vertrauten Nest seiner Kindheit, bevor er sich auf den Weg machte in Richtung Thrakien, zum Exil seines Bruders. Kapitel 2: Die Zähmung des Kriegsgottes --------------------------------------- Zeuxis´ erster Kontakt mit Sterblichen war anders verlaufen als er vermutet hatte. Laut Gaia und Metis waren es mindere Wesen, die seine Aufmerksamkeit nicht wert waren, für ihn war das Ganze jedoch aufregend gewesen. Die Gerüche, Eindrücke, Städte, Dörfer, wie sie ihre Felder bestellten, in der Nacht Angst vor wilden Tieren hatten, Tag für Tag ums Überleben kämpfen mussten… Wo war sein Vater, den sie alle verehrten, und anbeteten? Der Götterkönig erhörte ihr Flehen nicht und dennoch priesen sie ihn als Heiland, als Gott der Götter, als Ursprung all ihrer Macht. Wie verblendet diese Wesen doch waren – ihre kurze Lebensspanne reichte gerade einmal dazu aus, die nächste Generation aufzuziehen. In den Dörfern herrschten Zustände, die jenseits von Gut und Böse waren und in manchen Städten, gingen Seuchen und Krankheiten umher, die er gar nicht Worte zu fassen vermochte. Ihre Kleidung starrte vor Dreck und sie suhlten sich in den eigenen Auswürfen; es waren einfach zu viele auf einem Fleck. Wenn er einmal König der Götter war, würde er diesen armen sterblichen Wesen zu Hilfe eilen, davon war er überzeugt. Wo genau sich Ares befand wusste er nicht, und Thrakien war groß, doch mit ein wenig Nachfragen und der Tatsache, dass er den Scharfsinn seiner Mutter geerbt hatte, konnte er so manch einfältigem Bauern entlocken, was er wissen wollte. Zeuxis konnte den ungefähren Aufenthaltsort seines Halbbruders eingrenzen. Er solle auf einer Lichtung hausen, die schwer bewacht wurde. Mit ein wenig Gespür und Glück, sowie einem Schubser durch das Schicksal selbst, war es dem jungen Gott tatsächlich gelungen, die Festung seines Bruders auszumachen. Ares´ Heimstätte glich mehr einem steinernen Fort denn einem Tempel, wie die verschreckten Sterblichen erzählt hatten. Der Geruch von Blut und Verwesung stieg Zeuxis in die Nase. Tierkadaver übersäten das Gebiet und Lachen des roten Lebenssaftes tränkten den Boden, was bei jedem seiner Schritte ein glitschiges Geräusch zur Folge hatte. Die hohen Steinmauern waren unmöglich zu erklimmen. Hölzerne Spieße sicherten das Gebäude zusätzlich ab. Es waren zwar weit und breit keine Wächter zu sehen, doch damit hatte Zeuxis auch nicht gerechnet. Der Kriegsgott brauchte niemanden, und wenn, dann würden seine Begleiter in Windeseile zu seiner Seite eilen können. Ihn widerte diese Gestalt jetzt schon an. Roh und brutal musste sein Bruder alles niedergemetzelt haben, was sich im Umkreis seiner Heimstätte befunden hatte. Selbst vor einfachen Tieren wie Kaninchen oder Eichhörnchen hatte diese Bestie nicht Halt gemacht. Ares tötete aus Lust und Laune heraus und war, im Gegensatz zu seiner Schwester Athene, in Griechenland als eher dunkler und düsterer Gott bekannt. Man flüsterte seinen Namen meist nur und seine Opfergaben waren oft noch lebendig. Zögernd trat der junge Gott an das große Bronzetor heran, über dem sich mehrere Soldaten in Rüstungen schälten. Jede der behelmten Statuen starrte ihn aus rot leuchtenden Augen heraus an und die Türklopfer bestanden aus zwei Eberköpfen, an deren Hauern man einen Ring befestigt hatte. Im Umkreis von mehreren Kilometern lebte nichts mehr. Dieser Ort war ein einziges Schlachtfeld Als er nach einem der Türklopfer griff, wurde dem Jungen wieder schwindlig. Erneut reiste er durch Raum und Zeit und konnte ein Stück Vergangenheit beobachten. Etwas, dass nicht hätte aufgedeckt werden sollen. Er kannte die Geschichte zwar, doch nun konnte er sie real erleben. Ein junger Mann, sein Name war Adonis, spazierte durch den Wald, wahrscheinlich eben diese Lichtung. Seine Züge waren weich, sanft und wohlgeformt. Er war zierlich, von kleiner Statur und wunderschön. Man sagte ihm nach, er sei die einzig große Liebe der Göttin Aphrodite gewesen. Sie habe sich nie von diesem Schicksalsschlag erholt, ihr Herz sei erkaltet und unempfänglich für das Attribut geworden, für das sie stand. Der junge Adonis hielt inne und wollte gerade ein paar Beeren pflücken, als ihn ein Laut im Gebüsch aufschrecken ließ. Durch das Unterholz brach ein Eber wie ihn Zeuxis noch nie zuvor gesehen hatte. Er war riesig, sein Fell feuerrot und seine Hauer dicker als Baumstämme. Aus dem Maul spie das Ungetüm Feuer und verbrannte alles, was es nicht auf seinem Weg bereits zertrampelt hatte. Zielgenau hielt das Wesen auf den jungen Adonis zu. Dieser versuchte panisch vor seinem Häscher zu fliehen. Sein Gesicht war vor Angst verzerrt. Der Eber holte ihn mühelos ein. Er ließ sich Zeit und genoss die Jagd. Seine Beute zu treiben, sie zu hetzen, bevor er sie erlegte, war sein größter Spaß. Das Ungetüm kostete jede Sekunde aus in der es den zu Tode verängstigten Adonis schinden konnte. Der Eber wusste genau, dass er den Schönling erwischen würde. Niemand durfte sich zwischen ihn und Aphrodite stellen, schon gar kein Sterblicher. Die Erinnerung verblasste und Zeuxis sackte auf die Knie. Er brauchte nicht mehr zu wissen. Ares hatte Adonis am Ende getötet und Aphrodite so beinahe in den Wahnsinn getrieben. Auch wenn sie im trojanischen Krieg gemeinsam für Troja gekämpft hatten, so verband Ares und Aphrodite nichts mehr. Krieg und Liebe konnten einfach nicht miteinander existieren, vielleicht nebeneinander, aber nicht miteinander. Zeuxis richtete sich zittrig auf und ergriff langsam die Klopfer. Mit einem lauten Knall ließ er Metall auf Metall treffen. Ihn graute bereits vor der Reaktion die folgen würde. Der junge Gott hatte keine Waffe bei sich. Er zweifelte aber auch daran, gegen die Personifizierung von Brutalität und Krieg im Kampf bestehen zu können. Das war auch nicht seine Absicht gewesen; Ares konnte man nur durch List zähmen. Über ihm knackte es und gerade im letzten Moment konnte Zeuxis einem Wurfspeer ausweichen. Ein Blick nach oben ließ ihn in eine Horde an waffenstarrenden Männern und auch Frauen erkennen, die zu ihm herabstarrten. Jeder Einzelne von ihnen war groß, breitschultrig und mit einer bronzenen Rüstung bekleidet. Ihre Helme, sofern sie welche trugen, waren aus dem gleichen Material gefertigt und besaßen alle einen roten Pferdebusch. Die Schilde zierten allesamt ein großer Löwenkopf, der brüllend sein Maul gespreizt hatte. Ein zweiter Wurfspeer bohrte sich knapp vor Zeuxis in den Boden. Eine dritte Warnung würde er wohl nicht erhalten. Er war auch nicht erpicht darauf herauszufinden, ob ihn Ares´ Gefolge denn verwunden hätte können. „Ich suche den Kriegsgott“, rief der Junge empor und machte sich bereit zu fliehen. Sollte man seine Bitte ausschlagen, konnte das alsbald sein Ende bedeuten. Die Meute auf den Wehrmauern begann zu grölen und zu lachen. Diese halbe Portion wollte den Kriegsgott, Ares, die Personifizierung von Kampf und Stärke, sprechen? Was erdreistete er sich? „Und warum sollte er dich anhören?“, spottete der Größte der Riesen. Sein Federbusch war von einem kräftigeren Rot als der der Anderen, und auch seine Rüstung wirkte ein wenig blanker, aufpolierter. „Weil ich sein Bruder bin.“ Ein einfacher Satz, der seine Wirkung nicht verfehlte. Auch wenn das Gelächter noch lauter wurde, so konnte er Unsicherheit in seinem Gesprächspartner spüren. Was, wenn der Junge nicht log? Wenn er wirklich einer von Zeus´ Bastarden war? Sie konnten es sich nicht leisten den Göttervater noch mehr zu verärgern, als ohnehin schon. Gerade als Zeuxis nachsetzen wollte, bebte die Erde. Staub rieselte von den Felsmauern und das große Bronzetor zitterte in den Angeln. Die Blutlachen zu Füßen des jungen Gottes gerieten in Bewegung. Der Himmel verfinsterte sich, wurde glühend rot und es begann auf einen Schlag her zu regnen. Mit einem quietschenden Laut öffnete sich das Tor und Zeuxis´ hatte Mühe, seine zitternden Knie unter dem Mantel zu verbergen. Der Riese, der mühelos das gesamte Tor ausfüllte, trat ins Freie. Statur, Ausrüstung, Aussehen, alles passte. Er hätte aber keine bildliche Beschreibung gebraucht um zu wissen, dass es sich bei seinem Gegenüber um Ares handelte. Der Kriegsgott strahlte Tod und Verderben, genauso wie Gewalt und Aggression, aus. Seine Pupillen waren von einem lodernden Feuer beseelt. Gleiches galt für sein Haar, das in Flammen zu stehen schien. So trat er vor Zeuxis und starrte auf diesen hinab. Sein Blick war geringschätzig, abweisend, zornig. Er hätte zwei Finger gebraucht um hin hochzuheben und es hätte wahrscheinlich ein Fuß genügt, um ihn zu zertreten. Dass der Gott des Krieges keine Waffe trug, machte die Situation nicht erträglicher: Er war selbst eine Waffe, geschmiedet, um den ewigen Konflikt der Sterblichen zu befeuern. „Du?“, fragte Ares langsam. Seine Stimme ließ die toten Bäume umknicken und abbrechen, brannte wie Feuer, als sie Zeuxis´ Haut berührte. Der junge Gott musste dem Drang widerstehen einfach wegzulaufen und sein Heil in der Flucht zu suchen. Würde er weiter kommen als Adonis? „Du willst mein Bruder sein?“ Eine Mischung aus Zorn und Belustigung sprach aus dem Hünen, der den Fremden nun eingehend betrachtete. Wahrscheinlich ein weiteres Kind seines Vaters, das ihn um Beistand anflehen wollte, damit dieser auf ihn aufmerksam wurde. Warum suchten sie nie den Beistand seiner Schwester Athene oder den von Hermes? Zeuxis brauchte einen Moment um sich zu fangen und ohne Zittern eine Antwort zustande zu bringen. „Ich bin der Sohn des Zeus und der Metis.“ Den Fakt, dass er der Zwillingsbruder der Athene war, verschwieg der junge Gott bewusst. Er wusste ob Ares Feindschaft mit seiner Schwester. Diese war schließlich deutlich beliebter bei den Sterblichen als ihr verhasster Halbbruder. „So, bist du das?“, fragte der Kriegsgott spöttisch und beugte sich zu dem Zwerg hinab. Sein warmer Atem brannte wie ein Feuer, das sich in seine Züge fressen wollte. Ein Sterblicher wäre alleine schon beim Anblick des Ares vergangen, spätestens jetzt aber in den Hades gefahren. „Das bin ich, und ich habe dir ein Angebot zu machen Bruder.“ Zeuxis kniff ein Auge zu und zog den Kopf ein wenig zurück, um der Quelle der Hitze zu entkommen. Wenn Ares´ Neugierde nicht geweckt werden konnte, musste er sich rasch einen Fluchtweg überlegen. „Du, mir?“, lachte der Kriegsgott lauthals. „Was kannst du mir schon anbieten, Kleiner?“ „Vergeltung.“ Schlagartig hielt sein Gesprächspartner inne. Er hatte mit Reichtümern gerechnet, sogar einem fleischlichen Opfer; Vergeltung aber war ein Gut, das er nur allzu gern als das Seinige betrachtete. Doch wie wollte der Zwerg ihm Vergeltung verschaffen und wofür überhaupt? „Ich weiß von dir und Aphrodite.“ Ein Raunen ging durch die Meute, die ihren Herren und dessen Verwandten beobachtete. Der Regen wurde stärker und die Wolken umso dunkler, je mehr sich Ares´ Gesicht verfinsterte. Nun musste Zeuxis seine Worte genau abwägen, oder würde selbst recht schnell Bekanntschaft mit seinem Onkel machen. „Unser Vater hat dich verbannt, oder? Davongejagt, dich, den Gott des Krieges, weil du dir genommen hast, was dir zustand. Niemand hat Aphrodite zähmen können, niemand außer dir. Erinnerst du dich noch an die Schmach und die Schande, die Zeus über dich brachte?“ Ares schnaubte verächtlich. Der Regen wandelte sich dabei. Anstelle von dicken Wassertropfen regnete es Feuer. Kein Wunder, dass es rings um die Burg so aussah: Wenn Ares erst einmal völlig außer Kontrolle geriet, was mochte dann passieren? Seltsamerweise berührte Zeuxis kein einziger Tropfen des flüssigen Feuers – er schien Ares´ Aufmerksamkeit zu besitzen. „Warum hat er Aphrodite dem hinkenden Schmiedegott zur Frau gegeben und nicht dir? Hilf mir unseren Vater zu stürzen und ich verspreche dir die Hand der Aphrodite.“ Ares schüttelte den Kopf. Der Kleine versuchte, was seiner Mutter Hera einst misslungen war. „Niemand kann den König der Götter stürzen.“ Die kochende Wut des Kriegsgottes raubte seinem Bruder den Atem, ließ diesen fast verglühen. Nur mit Mühe und hinter hervorgehaltener Hand, welche sein Gesicht bedeckte, konnte dieser überhaupt noch sprechen. „Ich kann es. Gaia und Uranos haben mich vorausgesagt, als Sturz des Königs der Götter. Ich bin das Kind, der Sohn, der niemals hätte existieren dürfen!“ Schlagartig beruhigten sich Temperatur und Witterung. Die pechschwarzen Wolken verschwanden. Der Regen ebbte langsam ab. Auch wenn der Wald um sie herum brannte, so spürte Zeuxis davon nichts mehr. Er wurde beschützt, das erkannte er, als sich die Soldaten auf der Mauer zurückzogen und Ares immer kleiner wurde, bis er ihn nur mehr um drei Köpfe überragte. „Du bist also das Kind, das mein Vater so sehr fürchtete, dass er den Fehler seines Vaters beging?“ Ares´ Stimme war zwar noch immer heiß und rau, doch erträglich. „Das bin ich, Zeuxis. Ich bin von deiner Urgroßmutter Gaia aufgezogen worden. Meine Mutter wünscht, genauso wie Gaia, dass der König der Götter fällt.“ Dass sie ihn auf dem Thron sehen wollten ließ Zeuxis außen vor. Ares musste nicht alles wissen. „Und wie willst du es anstellen?“ Der Kriegsgott schrägte den Kopf und betrachtete seinen kleinen Bruder. Auch wenn es wahnsinnig klang, so glaubte er den Worten des Anderen. Ein Hauch, ein Stück Wahrheit, und die Tatsache, dass er sich ihm gestellt hatte. Alleine diese Tat verlangte schon außerordentlichen Mut. „Ich habe einen groben Plan und brauche dabei deine Hilfe. Mir fehlt es an deinen Fähigkeiten, deiner ungebändigten Kraft, die sich mit derer unseres Vaters messen kann.“ Eine altbewährte Taktik: Zeuxis schmierte seinem Verhandlungspartner Honig ums Maul, mit Erfolg, wie sich sogleich herausstellen sollte. „Ich kann ihn im Zweikampf vielleicht eine Weile in Schach halten. Was hast du also vor?“ Er hatte den Kriegsgott am Haken, nun musste er seine Beute nur noch einholen. „Als Erstes muss ich an Zeus´ Blitze gelangen.“ „Hephaistos wird unseren Vater niemals verraten.“ Ares klang sicher ob seiner Worte. „Ich weiß wie ich an den Schmiedegott gelange, doch davon spreche ich nicht.“ Nun waren es Ares´ Augen, die leuchteten. Das war eine Form der Taktik und des Scharfsinns, die seine Interessen, wie auch sein Wissen weit überstiegen. Kriege gewann man nicht immer nur durch rohe Gewalt und Übermacht – die List war ein häufig unterschätzter Faktor. „Apollon mag zwar sämtliche Zyklopen getötet haben, doch sie existieren noch, als Schatten in der Unterwelt. Wenn ich sie durch das Tor des Hyperion führe, können sie mir die Blitze schmieden, die ich benötige, um Vater zu stürzen.“ Ein grausames Grinsen zeichnete sich auf dem Gesicht von Zeuxis´ Bruder ab. Ihm schien diese Idee zu gefallen. Nickend streckte der Riese seine Pranke aus und klopfte dem Anderen auf die Schulter. „Wenn du Onkel Hades überzeugt bekommst sie aus der Unterwelt zu entlassen, stehe ich dir bei.“ Innerlich atmete der junge Gott auf. Es war einfacher gewesen als gedacht. Ares war leicht zu beeinflussen und vor allem mit Aphrodite gut zu ködern gewesen. Wie man sich einer einzelnen Frau so hingeben konnte, war dem Spross des Zeus ein Rätsel. „Wenn ich dich brauche, kann ich dich rufen?“ Der Kriegsgott nickte bejahend: „Jederzeit.“ Damit war ein kleiner Teil seines Plans abgeschlossen. Er hatte eine Waffe, die er im richtigen Moment einsetzen musste. Nun galt es einen härteren Brocken aufzuwiegeln: Den König der Unterwelt. Auch wenn Hades vielleicht nicht empfänglich für seine Worte sein mochte, so war es mit Sicherheit Persephone, dessen unglückliche Gattin. Kapitel 3: Eine Lyra gegen ein Versprechen ------------------------------------------ Der Weg in den Hades selbst bereitete Zeuxis weniger Kopfzerbrechen als die Frage, wie er denn den Gott dazu bewegen konnte, die Zyklopen durch Hyperions Tor zu schicken. Nur dann erhielten sie wieder eine körperliche Form und konnten ihm so von Nutzen sein. Gaia hatte ihm von den Regeln der Unterwelt erzählt. Auch wenn die Zyklopen eine Urschöpfung und somit aus der Verbindung von Himmel und Erde hervorgegangen waren, so konnten sie dennoch sterben. Apollon hatte sich an seinem Vater gerächt, als sein Sohn Thanatos, dem Tod, trotzte und die Menschen dereinst vor der Unterwelt bewahrte. Der Gott der schönen Künste war sowieso ein vielschichtiger, komplizierter Charakter. Seine Geburt hatte schon unter einem schlechten Stern gestanden und er war deutlich widerspenstiger als Zeus erwartet hatte. Der Göttervater war um seine mächtigste Waffe beraubt worden: Blitz und Donner. Hephaistos musste nun das Handwerk der einäugigen Riesen vollbringen, was den Herrscher des Olymps abhängig machte, mehr noch als ohnehin schon. Außerdem war Zeuxis die Schmach, die Apollon einst durchleiden musste, durchaus bekannt. Ein Gott in den Diensten eines Sterblichen. Als einfacher Hirte hatte er Buße tun müssen. Auch wenn König Admetos von Pherai gut zu seinem Bruder gewesen war, so hatte der Spross der Metis keinen Zweifel daran, dass der Gott der schönen Künste alleine deswegen schon einen Groll gegen ihren Vater hegte. Dazu kam noch die Ermordung des Asklepios und der Verlust von Orpheus. Wenn er es geschickt drehte, so konnte Zeuxis das Licht und die Weissagung auf seine Seite ziehen; zuallererst musste er aber einmal Kontakt aufnehmen. Dazu bot sich ein Ort besonders an: Delphi, der Nabel der Welt. Dort wo der Stein stand, den Kronos einst anstelle seines Sohnes verschlungen hatte: Der Omphalos. Zeuxis fand, dass es sich dabei um einen passenden Ort für das Orakel handelte. Die Wesenheit war die bekannteste Verbindung zwischen Göttern und Sterblichen. Delphi war eine Stadt die bekannt war für ihren Reichtum und ihre Schönheit. Einzig Athen war noch prachtvoller und edler. Dementsprechend lang war die Reihe der Bittsteller. Zigtausende Menschen pilgerten jährlich in die Stadt um vom Orakel Auskunft zu erhalten. Unter Bauern und Bettler mischten sich auch prominentere Gäste wie Könige und hohe Würdenträger. Natürlich genossen diese Vorrang gegenüber dem gemeinen Fußvolk. Es wäre verlockend gewesen sich auf sein göttliches Erbe zu berufen und so schneller an die Reihe zu kommen. Die Gefahr des Auffliegens war dem jungen Gott dann aber doch zu groß. Die Zeit mochte zwar drängen, doch wenn er jetzt überstürzt handelte, war all die Planung vergebens gewesen. Die Schlange bis zum Heiligtum reichte bis zur Stadtmitte. Zeuxis nutzte die Zeit um sich weiter mit den Menschen zu beschäftigten. Sein Vater musste diese Wesen abgrundtief hassen. Seuche, Wahnsinn und Sterblichkeit beherrschten ihr gesamtes Leben. Der Götterkönig schien kein Mitleid für seine Huldiger aufzubringen. Zeuxis erging es aber anders. Er musste sich beherrschen um einer jungen Frau nicht zu helfen, die verzweifelt versuchte, das schreiende Bündel in ihren Armen zu beruhigen. Der Keuchhusten würde das unterernährte, abgemagerte Kind wahrscheinlich bald dahinraffen. „Selbst hier, am Mittelpunkt der Welt, wo Schönheit und Reichtum in Hülle und Fülle vorhanden sind, vernichten kleinste Hindernisse die Sterblichen“, ging es dem jungen Gott durch den Kopf. Wie ungerecht sein Vater doch war: Weder er, noch seine Geschwister, noch seine Kinder, konnten von solchen Trivialitäten getötet werden. Ihnen war ein ewiges Leben beschieden. Sie konnten dieses in vollen Zügen genießen. Männer, Frauen, Kinder – sie alle vergingen dafür tausendfach in diesem wiederkehrenden Kreislauf. Es dauerte bis tief in die Nacht, bis Zeuxis endlich das Heiligtum betreten durfte. Apollons geweihter Ort ragte hoch über Delphi an einem Berghang. Weißer geschliffener Marmor zierte die irdische Wirkstätte seines Bruders und verlieh dieser einen edlen Charakter. Mehrere Feuerschalen aus Kupfer verdrängten die Finsternis, während zwei Wächter für Ruhe und Disziplin sorgten. Als der junge Gott eintrat, herrschte vollkommene Dunkelheit und Stille. Einzig der unregelmäßige Atem einer Person vermochte die gespenstische Situation ein wenig zu entschärfen. Vorsichtig tastete sich Zeuxis durch den Raum hindurch auf die spärliche Lichtquelle zu, die das Orakel sporadisch beleuchtete. Allmählich gewöhnten sich seine Augen an die Finsternis. Langsam konnte er einen hauchdünnen Vorhang erkennen, hinter dem eine zierliche junge Gestalt auf einem Holzschemel saß. Sie schien ihren Gast gar nicht zu realisieren. Teilnahmslos blickte das junge Mädchen an ihm vorbei. War sie krank? Hatte der Wahnsinn auch das Orakel von Delphi erreicht? Wozu der eigenartige Geruch? War das Myrrhe, die der junge Gott da wahrnahm? „Ich weiß warum du hier bist“, sagte das Mädchen und durchbrach endgültig die bedrückende Stille. Über Apollons Geschmack ließ sich streiten, aber der Gott würde schon wissen, warum jungfräuliche Frauen als seine Verbindung zu den Sterblichen dienen mussten. „So?“, fragte Zeuxis und versuchte seine Unruhe zu verbergen. Natürlich wusste sie warum gekommen war; er hatte eine Bitte wie jeder andere auch. In ihm regte sich aber etwas Anderes: Apollon konnte bereits von seinem Plan wissen und ihn an Zeus verraten haben. Dann waren seine wenigen Schritte umsonst gewesen und er schwebte in großer Gefahr. Vielleicht handelte es sich hierbei sogar um eine Falle des Göttervaters? „Du brauchst keine Angst zu haben. Dein Bruder hat mich wissen lassen was dein Anliegen ist und ich kann dir helfen.“ Die Stimme des Orakels war monoton, beinahe leer. In Zeuxis keimte ein schrecklicher Verdacht, den er aber nicht auszusprechen wagte. Er wollte sich nicht in die Angelegenheiten der anderen Götter einmischen. „Ist es also möglich?“, fragte der Spross des Zeus und senkte sein Haupt in Demut. Apollon war weiser als er. Davor hatte er Respekt und es verdiente auch Anerkennung, sich gegen Gaia und Hera behauptet zu haben, wie dereinst ihr gemeinsamer Vater. „Was Gaia und Uranos prophezeien tritt in der Regel ein. Die Moiren weben unermüdlich am Teppich des Schicksals und der Gott des Lichts ist bereit dich zu unterstützen, sofern du ihm einen Wunsch erfüllst.“ Wie sollte es denn auch sonst anders sein? Ein Gefallen für einen Gefallen. Eine uralte Regel, die sich bisher immer bewährt hatte. Sie galt sowohl unter den Göttern, als auch unter den Sterblichen. „Was wünscht mein Bruder, was er sich nicht selbst zu nehmen vermag?“ Das Orakel schwieg. Hatte er Apollon verärgert? War alles doch eine Falle? Unruhe machte sich in Zeuxis breit. Gaia hatte ihn gewarnt, dass der Gott der Musik und des Tanzes ein launisches Wesen war. Gerade, als er die Stimme erheben wollte, kam ihm das Mädchen zuvor. „Das Leben seines Sohnes Asklepios.“ Er sollte nun also neben den Zyklopen auch noch einen Sterblichen in die Gefilde der Lebenden zurückholen? Wie stellte sich Apollon das vor? Hades dazu zu überreden die Urkräfte freizulassen, würde schon schwierig genug werden. Den Mann, der ihn beinahe um seine Herrschaft gebracht und die kosmische Ordnung in Frage gestellt hatte, würde er aber sicher nicht gehen lassen. „Orpheus stand dereinst vor Hades und Persephone, mit der Bitte, Eurydike wieder ins Reich der Lebenden führen zu dürfen. Sein Gesang und sein Lyraspiel erweichten sogar den Gott der Unterwelt.“ Zeuxis musste ein Seufzen unterdrücken als er antwortete: „Ich bin aber kein Orpheus und ich maße mir auch nicht an, es ihm gleichtun zu können. Niemand außer dem Spross meines Bruders selbst wäre in der Lage, so geschickt mit Instrument und Stimme umzugehen.“ Der junge Gott wusste ob Apollons Rachefeldzug gegen den Satyr Marsyas, den er gehäutet hatte. Das Wesen hatte dessen Stolz verletzt, indem es behauptete, schönere Musik spielen zu können, als der Gott des Lichts. „Dein Bruder ist bereit dir seine Gunst zu gewähren und deine Finger zu führen, genauso wie deine Stimme, wenn du vor dem Gott der Unterwelt stehst. Deine Lyraklänge werden so lieblich sein, dass sich selbst die Bäume deiner zuwiegen werden. Deine Stimme wird so bezaubernd klingen, dass die Steine ob ihrer Laute zu weinen beginnen werden.“ Als das Orakel mit den Lobpreisungen auf Apollons Gunst geendet hatte, zögerte der Sohn der Metis. Mit Asklepios als Faustpfand in der Hinterhand würde er den Gott des Lichts erpressen können, sofern er ihn denn befreien konnte. Andererseits könnte dieser ihn jederzeit an ihren Vater verraten. Nur mit Wortgewandtheit und Schmeichelei war Hades nicht beizukommen, andererseits konnte auch Apollon sich keinen weiteren Fehltritt erlauben. Sie waren aufeinander angewiesen und der Handel erschien fair. „Ich akzeptiere, aber nur unter einer Bedingung.“ Zeuxis Stimme war fest, als er die Worte aussprach, die über Sieg oder Niederlage entschieden. Lehnte Apollon ab, so stand er wieder am Anfang. „Der Gott des Lichts lauscht deiner Forderung“, regte sich das Orakel hinter dem Vorhang und bückte sich dabei. Das Mädchen griff hinter sich und holte einen Gegenstand hervor, hielt ihn aber noch zurück, so, als ob auch sie abwarten würde, wie ihr Schutzherr und Patron reagieren würde. „Wenn ich Asklepios aus der Unterwelt befreit habe, darf dieser keine Menschen heilen, bis der Göttervater gestürzt ist. Apollon soll ihn verstecken, bis der Kampf vorbei ist.“ Wieder herrschte Stille. Zeuxis verlor jegliches Zeitgefühl. Aus Sekunden wurden Minuten, aus Minuten Stunden, aus Stunden Tage. Wie lange er letztendlich dort ausgeharrt hatte, konnte er am Ende selbst nicht sagen, doch sein Warten wurde schlussendlich belohnt. „Tritt vor und nimm, was der Gott der Musik dir zugedacht hat.“ Zeuxis tat wie ihm geheißen und griff durch den Vorhang. Beschämt senkte er den Blick, als er das junge Mädchen vor sich sah. Sie war bildhübsch, wohlgeformt und doch wirkte sie krank, fast schon ausgebrannt. Seine Vermutung bestätigte sich: Es würde bald ein neues Orakel geben. Vorsichtig händigte sie ihm eine Lyra aus, wie der junge Gott sie noch nie gesehen hatte. Die Saiten bestanden aus purem Silber, die Arme waren aus purem Gold gefasst. Quer über die Außenfläche des Instruments war: Η μουσική να φωτίζει τον κόσμο einkerbt worden. (Möge die Musik die Welt erhellen.) „Geh, die Zeit drängt!“, riss ihn das Orakel aus dem Staunen. Behutsam schob Zeuxis´ die Lyra unter seinen Umhang und verbeugte sich tief. „Ich danke dir Orakel von Delphi, und auch dir, Bruder Apollon – ich werde mich an eure Gnade und Güte erinnern.“ Rasch wandte er sich von dem Mädchen ab und ging nach draußen. Dabei warf er sich seine Kapuze über. Etwas an der jungen Frau hatte ihn berührt. War es ihr Schicksal gewesen, ihre Stimme, die alabasterne Haut oder das braune Haar? Er konnte es nicht mehr sagen. Der leere Blick hatte ihn geschmerzt, genauso wie das Wissen ob ihrer Bestimmung. Wenn das alles vorbei war, würde er sich erkenntlich zeigen. „Hoffen wir, dass die Macht der Musik wirklich die Finsternis der Unterwelt vertreiben kann“, murmelte Zeuxis als er die Stufen des Orakeltempels hinabeilte und dabei eine verwunderte Menschenmenge hinter sich ließ. Für einen kurzen Moment wirkte es nämlich so, als ob der Fremde in seinem weißen Gewand zu leuchten schien und selbst die schwärzeste Nacht verging in seinem Antlitz, als die blauen Augen ihr Ziel fixierten. Hoffnung überkam die Menschheit. Kapitel 4: Der Acheron ---------------------- Zeuxis´ nächster Schritt würde ihn an einen Ort führen, der für Lebende, gleichsam Sterbliche und Götter, tabu war. Der Herrscher der Unterwelt war sein Onkel Hades und Namensgeber für einen Teil des Reichs der Toten. Den Eingang zu finden war einfach – es gab mehrere Flüsse die in die Unterwelt mündeten. Am Populärsten war der Styx, der den Hades siebenmal umfloss. Der Zweite, leichtere Zugang, bestand im Fluss Acheron, dessen undurchdringliche Schwärze ihm auch seinen Namen verlieh. Der Spross des Zeus hatte sich auf seiner Reise zum Eingang in die Unterwelt mit den Gepflogenheiten der Sterblichen vertraut gemacht. Ihrer Vorstellung nach war es notwendig die Begräbnisriten zu empfangen und auch einen Obolus für Charon den Fährmann dabeizuhaben. Wer dies nicht vorweisen konnte, dem war ein hundertjähriges Warten als Schatten beschieden. Seine Mutter hatte ihm vom Fährmann erzählt. Er sei ein alter, hässlicher Greis, der als unbestechlich galt, und nur Hades treu ergeben war. Die Dahingeschiedenen mussten für die Benutzung des Bootes zahlen und dabei selbst noch rudern, um am Ende als Schatten ihr Dasein im Jenseits fristen zu dürfen. Ein grausames Schicksal, das der Göttervater für die Menschen angedacht hatte. Hades selbst galt als stummer, grausamer Gott, den die Griechen fürchteten. Man hatte Angst seinen Namen auszusprechen und es gab nur wenige Kultstätten, an denen er aktiv verehrt wurde. Er war den Menschen vielleicht sogar noch verhasster als Zeuxis´ Bruder Ares, dabei war es Thanatos, der Tod, der die Sterblichen holte, nicht der Herr der Unterwelt. Verborgen zwischen Bäumen und Sträuchern schlängelte sich ein Pfad am Schwarzen Fluss entlang, hinein in eine Grotte, aus der ein Wehklagen ertönte, dass einem das Blut in den Adern gefrieren lassen konnte. Gaia hatte Zeuxis´ gewarnt, dass die Schatten ihn zerreißen würden, wäre er so töricht, vom Weg abzuweichen. Nervös zog er sich die Kapuze tiefer ins Gesicht und hielt direkt auf die Höhle zu, in der er den Fährmann vermutete. Zu beiden Seiten lungerten formlose Schatten, einem schwarzen Rauch gleichend, und glitten an ihm vorüber. Sie schienen ihn nicht zu bemerken oder wagten es nicht ihn anzurühren, da er göttlicher Herkunft war. Die Moiren hatten noch nicht angedacht seinen Lebensfaden zu zerschneiden, dennoch war Vorsicht geboten: Wer die Unterwelt einmal betrat, der war normalerweise auf ewig ein Gast des Hades. Das Stöhnen und Gemurre wurde mit jedem Schritt lauter. Beinahe unerträglich mutete der schaurige Chor an, der sich bereit machte, den Übergang in das Reich der Unterwelt zu wagen. Tief im Inneren lauerten nicht nur Schatten, sondern ganz andere Monster. Sein Onkel hatte das schlechteste Los gezogen, als es damals um die Verteilung der bekannten Welt ging. Poseidon konnte wenigstens im Meer sein Dasein fristen und man huldigte ihm, doch Hades…er war dazu verdammt, die missratensten Schöpfungen einzukerkern und jeden, selbst die Götter, am Ende in seinem Reich zu begrüßen. Irgendwann aber würde auch der Herr der Toten selbst in sein Reich eingehen. Was würde dann wohl passieren? Seine Urgroßmutter hatte nicht gelogen. An einem fauligen Holzsteg wartete tatsächlich Charon der Fährmann mit seinem Boot. Die dahinsiechenden Toten, alle emotionslos und blass, aber noch im Besitz ihrer eigentlichen, fleischlichen Hülle, händigten ihm ihren Obolus aus und stiegen in die Barke. Als Zeuxis die Grotte betrat, sah der Alte auf. Charon trug einen langen, filzigen Bart, der ihm bis zum Bauch hinabreichte. Er war dürr, aschfahl und die Augäpfel traten aus dem eingefallenen Gesicht hervor. In der rechten Hand hielt er einen Stab, ähnlich dem eines Hirten. Dreckige Nägel gruben sich in das Holz, als er seine Aufmerksamkeit dem einzigen Lebendigen in der Nähe schenkte. Der totenschädelähnliche Kopf neigte sich ein wenig zur Seite und der Fischerhut, den der Alte trug, verrutschte dabei ein wenig. „Du bist weder tot, noch wirst du alsbald sterben. Was willst du hier?“ Charons Stimme klang wie altes zerknitterndes Pergament. Er war genau so, wie ihn die Menschen beschrieben hatten. Die Unterwelt musste wahrlich ein schrecklicher Ort sein, voller Hoffnungslosigkeit und Trübsal, und dabei war sie noch nicht einmal der schlimmste Teil von Hades´ Reich. „Ich wünsche eine Audienz bei der Herrscherin.“ Zeuxis hatte sich die Worte bereits Tage zuvor zurechtgelegt. Hades direkt zu konfrontieren war wenig zielführend. Er wusste nicht, ob sein Onkel auch einen Groll gegen seinen Vater hegte; bei seiner Halbschwester Persephone war er da schon zuversichtlicher. Charon legte den Kopf in den Nacken und lachte schallend. Seine Kieferknochen knackten dabei und das Gelächter hallte von den Grottenwänden wider: „Und wen darf ich vermelden?“ Der Spott in seiner Stimme war nicht zu überhören. „Ihren Halbbruder“, entgegnete Zeuxis ruhig, was den Fährmann schlagartig verstummen ließ. Dieser hinkte, auf seinen Stab gestützt, heran und verzog das Gesicht dabei zu einer Fratze. Sein Atem roch faulig, wie verwestes Aas, und ihm fehlten mehrere Zähne. Käfer und Maden nagten an seinem toten Fleisch, als er sich zu Zeuxis hinabbeugte und diesen ganz genau musterte. Charon schnupperte am jungen Gott, der nur mit größter Mühe und Beherrschtheit nicht dem Drang nachgab, zurückzuweichen. „Wieder eines von den Götterblagen, hm?“ Während er sprach begann er Zeuxis zu umkreisen, wie eine Spinne, die ihre Beute sicher in ihrem Netz wähnte. „Etwas ist aber anders an dir. Du bist kein Sterblicher, nein.“ Der Alte sprach mit sich selbst und beschnüffelte den Sohn des Zeus eingehend. „Herakles? Nein. Hermes? Auch nicht.“ Je länger der Fährmann wirres Zeug sprach, desto mehr beunruhigte dies den jungen Gott. „Ich weiß es! Dein Vater ist Zeus, oder?“ Triumphierend reckte der Alte den Stab in die Höhe und brach erneut in schallendes Gelächter aus. Darum hatte er also zuvor seine Brüder aufgezählt. Herakles war bereits einmal in der Unterwelt gewandelt und Hermes tat dies regelmäßig. Der Totengott begrüßte nur wenige Besucher. „Und wenn dem so wäre?“ Zeuxis behagte das Gespräch überhaupt nicht. Wenn Charon ihn an Hades verriet, dann war es nur mehr ein Wimpernschlag, bis sein göttlicher Vater hier war, um ihn zu vernichten. „Dann habe ich einen äußerst prominenten Fahrgast, der obendrein generell nicht mit Sterblichkeit zu protzen scheint.“ Der Alte zischte wie eine Schlange, während er zum Boot zurückhumpelte und mit dem Kassieren der Münzen fortfuhr. Als das Boot beinahe voll war nickte er Zeuxis mürrisch zu: „Worauf wartest du noch?“ Schweigend setzte Zeuxis sich in die Barke und zog den Mantel dabei enger um sich. Von den herumsitzenden Toten ging eine eisige Kälte aus. Sie starrten ihn aus ihren leeren Augen heraus an, Alte wie Junge, Männer wie Frauen. Manche waren von schweren Wunden gezeichnet, die nicht bluten wollten, andere mussten sich an Pest und Seuche gerieben haben, bevor sie endlich sterben hatten dürfen. „Na los, bewegt euch!“, blaffte Charon und klopfte mit der Unterseite seines Stabes gegen die Bootswand. Im Takt dazu ruderten die stummen Fahrgäste und setzten die Barke so langsam aber sicher in Bewegung. Zeuxis wagte es nicht über den Bug hinauszuschauen. Wahrscheinlich schwammen dort Schatten und Leichen, die darauf lauerten, ihn in den Fluss zu ziehen. „Was hat der Göttervater diesmal vor? Hades zu entthronen? Die Königin früher als geplant an die Oberfläche zu holen?“ Charon stützte sich auf seinen Stab und schenkte seine Aufmerksamkeit dem lebendigen Teil seiner Gastschaft. „Nichts. Es ist mehr eine persönliche Angelegenheit zwischen Persephone und mir.“ Zeuxis hatte das ungute Gefühl, dass der Fährmann Lügen durchschauen konnte, also begnügte er sich mit einer Halbwahrheit. „Eine persönliche Angelegenheit, soso. Na dann wünsche ich viel Erfolg.“ Dieses Mal war Charons Spott noch beißender als vorhin. „Warum?“, erkundigte sich der junge Gott vorsichtig. „Dieses Mal ist es besonders schlimm. Die Königin kämpft wohl mit…na, wie nennt man das?“ Der Fährmann schnippte mit den Fingern: „Heimweh?“ Das war ein Umstand, der Zeuxis durchaus in die Hände spielte. Er hatte einen ungefähren Plan wie er Persephone dazu bewegen wollte, sowohl die Zyklopen, als auch Asklepios freizulassen. Letzterer war nicht unbedingt notwendig, doch er hatte es Apollon versprochen, und die Lyra, gut versteckt unter seinem Mantel, war eine Art Rückversicherung. Den Rest ihrer schaurigen Reise verbrachten der Fährmann und seine Mannschaft schweigend. Zeuxis konnte die Menschen gut verstehen: Der Eingang ins Reich der Toten hätte wahrlich anders gestaltet werden können. Kein Wunder, dass sie sich vor dem Sterben fürchteten. Nur die Wenigsten zogen in die elysischen Felder, das Paradies, ein. Als das Boot an einem Steg anlegte, war in der Ferne bereits wütendes Kläffen zu hören. Das Brüllen und Jaulen wurde immer lauter, gepaart mit dem Rasseln einer Kette. Charon grinste, als Zeuxis aus dem Boot stieg und die Kapuze tiefer in sein Gesicht zog. „Heute ist er besonders hungrig.“ Mit seinem Stab stieß er sich vom Steg ab und glitt schaurig lachend in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren. Kerberos, der dreiköpfige Hund, und Wächter der Toten, sorgte nicht nur dafür, dass kein Schatten mehr entkam, sondern auch dafür, dass kein Lebender das Reich des Hades betrat. In diesem Punkt hatte Zeuxis jedoch vorgesorgt. Er hoffte es zumindest. Wenn seine Bestechung auf taube Ohren stieß, so hatte er noch immer eine Alternative. Die Toten schienen zu wissen, wohin sie gehen mussten, und so beschloss der Sohn des Zeus ihnen durch einen Wirrwarr an Gängen zu folgen, die von Fackeln mit unheimlich blau leuchtenden Flammen erhellt wurden. Je näher sie dem Höllenhund kamen, desto nervöser wurde Zeuxis. Er fragte sich wie Herakles dieses Monster ohne Waffen niederringen hatte können. Orpheus war sicher mit seinem Gesang vorbeigekommen. Nach der letzten Biegung konnte sich Zeuxis mit eigenen Augen vergewissern, dass bei den Beschreibungen des Kerberos nicht übertrieben worden war. Ein riesiger pechschwarzer Hund mit drei Köpfen bewachte den Eingang zum Reich des Hades. Geifer und Schaum rannen dem Monster über die Lefzen und seine rotglühenden Augen beobachteten die Umgebung aufmerksam. Die Toten ließ er anstandslos passieren. Zeuxis griff unter seinen Mantel und holte einen schlichten Holzbecher hervor. Dieser war fest verkorkt. Innerlich zählte der junge Gott bis drei und warf dem Hund das Gefäß vor die Pfoten. Sogleich schnappten alle drei Köpfe danach und stritten darum, wer denn als Erster daran schnüffeln durfte. Das Holz zerbrach splitternd unter dem Gewicht des Hundes und drei Zungen leckten gierig am zähen Inhalt, der sich quer über dem Höhlenboden verteilte. Es dauerte eine Weile, bis das Mittel seine gewünschte Wirkung erzeugte. Im Schatten seiner Kapuze konnte man Zeuxis´ Lächeln sehen. Honig ließ den Wachhund tatsächlich müde werden. Taumelig tapste Kerberos umher, bevor er mit einem lauten Krachen dumpf auf dem Boden aufschlug. Alle drei Köpfe hatten ihre Augen geschlossen und die Kette, die den Hund an seinem Platz hielt, rasselte unter dem kontrollierten Atem des Monsters. Rasch huschte der junge Gott am Wächter vorbei und drang in das Reich seines Onkels ein. Er wusste ungefähr wonach er suchen musste und fand alsbald auch sein Ziel: Die Zitadelle des Hades ragte hoch empor, gehauen in den dunklen Stein, der die gesamte Unterwelt zeichnete. Kapitel 5: Das Herz der Unterwelt --------------------------------- Je näher Zeuxis der Zitadelle kam, desto kälter wurde ihm. Mut- und Trostlosigkeit umschlangen sein Herz und hielten es in eisernem Griff. Das lag aber nicht an der Unterwelt, dem schaurigen Chor der trostlosen Schatten, nein, es lag an dem Gesang, oder vielmehr dem Wehklagen, das tief aus dem Herzen des Hades herausdrang. Eine Frauenstimme. Zeuxis war sich sicher, dass es sich dabei um Persephone handeln musste. Sie war nicht gerne in der Unterwelt und auch wenn Hades vielleicht sogar ein liebender Ehemann sein mochte, so gehörte sie nicht hierher. Persephones Mutter, Demeter, ließ vor Kummer und Schmerz über den Raub ihrer Tochter das Getreide nicht mehr wachsen. Die Menschen hungerten und der Göttervater hatte keine bessere Lösung gefunden, als den Raub durch Hades temporär zu billigen. Dabei begehrte er doch seine Tochter und Nichte so sehr, dass er ihr gemeinsames Kind zu seinem Erben bestimmt hatte. Zeuxis krallte sich in seinem Mantel fest. Bereits ohne Persephones bedrückende Mär war die Unterwelt ein leerer dunkler Ort gewesen. Mit ihrer Ankunft aber hatte sich die Situation noch verschlechtert. Die Schatten hatten zwar eine gütige Fürsprecherin erhalten, doch auch sie war nicht frei von Lastern. Adonis etwa hatte aus Eifersucht sterben müssen. Zeuxis war gespannt auf seine Schwester, und wie sie reagieren würde, wenn er von seinem Plan erzählte. Seltsamerweise traf Athenes Zwillingsbruder weder auf Wachen, noch sonstige Hindernisse. Das war ungewöhnlich. Ihn beschlich der Gedanke an eine Falle. Der Herr der Unterwelt wachte normalerweise akribisch über sein Reich und verließ dieses so gut wie nie. Wie Hades bei diesem trostlosen Gesang überhaupt arbeiten konnte, war seinem Neffen ein Rätsel. Er musste bereits seine gesamte Willenskraft aufbieten, um einen Fuß vor den anderen zu setzen, und dabei lauschte Zeuxis ihrer Stimme erst seit einer kurzen Zeit. Die blankgeschliffenen Stufen in das Herz des Hades hinein waren so kalt und eisig, dass Metis´ Sohn sie sogar durch die Schuhsohlen fühlen konnte. Wer hier entlangschritt, der musste wahrlich verdammt sein. Warum war die Unterwelt so gestaltet worden, zumal sogar die Götter irgendwann einmal hier wandeln würden? Natürlich war deren Aufenthalt zwar nur von kurzer Dauer, aber dennoch wäre es sicher möglich gewesen, den Menschen die Ewigkeit nicht derart grausam auszugestalten. Vor dem schmiedeeisernen Tor, welches mit allerlei Monstern und Fratzen versehen war, hielt Zeuxis an. Persephones Lamento war mittlerweile so besitzergreifend, dass er unbewusst in trübe Gedanken abgerutscht war. Er fragte sich, ob er nicht doch einfach nur ein Rachewerkzeug seiner Mutter und Urgroßmutter war, ob sein Vater nicht doch richtig gehandelt hatte… Entschlossen schüttelte er den Kopf und vergrub jeglichen Zweifel tief in seinem Inneren: Für solche Dinge hatte er nun überhaupt keine Zeit. Mit einem Ruck stieß er das quietschende Tor auf und betrat das Herz der Unterwelt. Der Palast selbst war deutlich ansehnlicher gestaltet, als man von außen meinen mochte. Kunstvolle Intarsien waren in die mit Holz verkleideten Gänge gehauen worden. Manche zeugten von heroischen Taten seiner Halbbrüder, wie etwa Herakles, der den Kerberos aus der Unterwelt herausschaffte, oder Theseus, der dem Schicksal eines frühen Todes entkommen war. Dann waren da Szenen, die er nicht zuordnen konnte. Sagenumwobene Monster und Bestien zerfleischten sich gegenseitig auf manchen Bildern, nur um ihm dann das Gefühl zu vermitteln, andere würden ihm mit den Augen folgen. Auch wenn der Geschmack fragwürdig sein mochte, so handelte es sich dabei zweifelsohne um meisterliche Handwerkskunst. Je näher Zeuxis der Quelle des Gesanges kam, desto freundlicher und wärmer wurden die Bilder. Noch immer gab es keine Wachen oder Hindernisse. Vielleicht glaubte Hades auch, dass niemand so dumm war, sich bei ihm einschleichen zu wollen. Im Stillen gab er seinem Onkel bei diesem Gedanken Recht: Persephones Stimme musste sämtliche Eindringlinge mit ungenügender Willenskraft abhalten. Nur noch wenige Schritte trennten Zeuxis von dem Raum, in dem Persephone sitzen musste. Er konnte ihre Silhouette sogar an den Wänden bereits erkennen. Ihr Schatten hatte sich über etwas gebeugt, saß an einem prasselnden Kaminfeuer, welches die Dunkelheit und Kälte der Unterwelt nur schwer in Schach zu halten mochte. Er war imstande innerlich zu zerbrechen. Kein gutes Zureden, kein noch so fester Wille, vermochte ihn dazu zu bewegen, die nächsten wenigen Schritte zum Ziel zu machen. Zeuxis fiel auf die Knie, wobei ihm die Lyra aus dem Mantel rutschte. Die Dunkelheit drohte ihn zu verschlingen. All die Trauer und die Schmerzen, die Persephone verspüren musste, konnte er fühlen, hatten sich in sein Herz geschlichen und trübten seine Sinne. Er wollte aufgeben und diesen wahnsinnigen Plan hinter sich lassen. Mit letzter Kraft schob er seine Hand nach vorne und umgriff das Musikinstrument, das einst Orpheus gehört hatte. „Hoffentlich hat Apollon nicht gelogen“, murmelte der junge Gott und zwang sich dazu, die Lyra in die Hand zu nehmen. Mit letzter Kraft legte er die freien Finger an die Saiten und begann zu spielen. Erleichterung machte sich in ihm breit, als die ersten Laute Persephones Gesang übertönten. Wie von selbst taten seine Finger ihr Werk und spielten eine Waise, die sogar ihren Urheber berührten. Wenn Orpheus wirklich hatte so spielen können, oder sogar noch besser, wie konnte man es da dem Gott der Toten verdenken, dass dieser ihm seinen Wunsch nicht hatte abschlagen können? Zum ersten Mal seit Langem durchzog ein Hauch von Hoffnung die Unterwelt. Jede Sekunde die Zeuxis auf der Lyra spielte, vertrieb Kummer und Schmerz aus den Herzen der Schatten. Ihr Wehklagen verstummte, während sie den Lauten lauschten, die dereinst bereits das Licht an diesen Ort gebracht hatten. Sogar Persephone hielt inne und der Musikant konnte erkennen, wie sich ihr Schatten aufrichtete. Langsam stand Zeuxis auf und schritt, fortwährend spielend, in den kahlen Raum, in dem Persephone saß. Hätte Apollon nicht seine Hände gelenkt, ihm wäre wahrscheinlich die Lyra aus den Händen gefallen. In einem Schaukelstuhl aus pechschwarzem Ebenholz saß seine Halbschwester. Sie hatte an einem Wandteppich gestickt, der noch in den Kinderschuhen steckte. Er würde wahrhaft schön werden, doch verglichen mit ihr, war das Stück Stoff hässlich, fast blasphemisch, sich in ihrer Nähe zu befinden. Persephone trug ihr honigblond gewelltes Haar offen. Es reichte ihr bis weit über die Schultern hinab und verdeckte den Rücken, der frei unter dem himmelblauen Kleid hervorlugte, welches ihre ranke Figur umspielte. Ihr Haupt zierte ein einzelnes goldenes Eichenblatt, das in die Frisur eingearbeitet worden war. Der blasse Teint verlieh der Königin der Unterwelt ein puppenhaftes Gesicht, dessen Züge faltenfrei und so wunderschön waren, dass sich Zeuxis fast darin verloren hätte. Die rehbraunen Augen musterten den fremden Besucher, der seiner Lyra noch immer die lieblichen Klänge entlockte. „Wie hatte sich Adonis nur für Aphrodite entscheiden können?“, ging es Zeuxis durch den Kopf. Natürlich war seine Tante wunderschön und eine flüchtige Vision von ihr hatte genügt, um in ihm das Begehren nach ihr zu wecken. Im Vergleich zu Persephone aber war sie aber nichts. Die Tochter der Demeter wirkte so unschuldig und rein, dass es ihn beschämte, sie überhaupt anzusprechen. „Wer bist du?“, fragte die Braut des Hades leise und brachte Zeuxis´ Herz zum Rasen. Auch wenn ihr Gesicht und ihre Stimme von Trauer zeugten, so bargen sie auch Hoffnung. Er verstand schlagartig, warum sein Onkel keine Wachen aufgestellt hatte: Niemand würde ihr jemals etwas Zuleide tun können. „Ich bin Zeuxis, dein Halbbruder.“ Seine Stimme war entsetzlich leise und wurde von den Klängen der Lyra beinahe verschluckt. Er konnte nicht aufhören zu spielen; die Angst vor Persephones erneutem Gesang war zu groß. Persephones Gesicht hellte sich ein wenig auf und das schwache Lächeln, welches nun ihre Lippen zierte, brachte den jungen Gott beinahe um den Verstand. Jede Faser seines Körpers, seiner Seele, schrien nach seiner Halbschwester, Auch sie wirkte kalt, wie das Mädchen in Delphi, und doch… „Meine Halbbrüder verirren sich in der Regel nicht zu mir. Meist müssen sie Heldentaten vollbringen, um in die Geschichte einzugehen, die sich darauf belaufen, dem Tod zu trotzen, oder irgendwelche Monster zu erschlagen.“ Sie klang dabei nicht einmal traurig. Es war eine schlichte Feststellung. War Persephone einsam? Wo war Hades? Der Gedanke an seinen Onkel hätte ihn beunruhigen müssen, dies war aber nicht der Fall. Persephone würde ihn nicht verraten, dessen war er sich sicher. Ihre Zeit war dennoch schwindend gering, denn auch ohne ihr Zutun würde der Herr der Unterwelt bald merken, dass etwas nicht stimmte. Die Lyra war nämlich nicht gerade leise. „Wie auch ich, Schwesterherz“, entgegnete der junge Gott und senkte dabei seinen Blick ein wenig. „Ich brauche deine Hilfe, wage es aber nicht danach zu fragen.“ Wie konnte er auch von einem Wesen von so unvergleichlicher Schön- und Reinheit verlangen, dass es ihm beistand? Auch wenn er nicht ihr Bruder gewesen wäre, so hätte er sie beschützen wollen. Persephone stand auf und lächelte dabei ein wenig mehr. Langsam schritt sie auf ihren lyraspielenden Halbbruder zu und legte eine Hand auf dessen Arm. Die Berührung brannte auf der Haut und doch sehnte er sich nach mehr. Seine Nase sog ihren Duft ein: Rosen und Lilien, durchzogen von einem Hauch von Myrrhe. „Du bist weiter gekommen als die meisten anderen. Zögere also nicht, Bruderherz.“ Beim letzten Wort hatte Zeuxis Mühe das Lyraspiel noch aufrechtzuhalten. Auch wenn sein Bruder seine Finger lenkte, so war der Drang, Persephone in die Arme zu schließen, beinahe übermächtig. Mit einer großen Kraftanstrengung öffnete Zeuxis seinen Mund und formulierte sein Anliegen. „Persephone, ich muss jemanden aus der Unterwelt führen, zurück ins Reich der Lebenden, am besten durch das Tor des Hyperion.“ Die Göttin nickte, wenn auch zögernd. „Um das Tor des Hyperion zu durchschreiten ist aber die Seele eines Gottes nötig, ist dir das klar?“ Natürlich wusste er das. Ihm wurde nun aber auch ein Problem klar, welches er bisher verdrängt hatte. Die Zyklopen waren selbst göttlicher Herkunft. Als Sprösslinge der Gaia und des Uranos war für sie der Weg in die Oberwelt kein Problem, doch Asklepios besaß nur ein göttliches Elternteil. Er konnte nicht durch Hyperions Tor schreiten, beziehungsweise wusste niemand, was bei einem halben Gott passieren würde. „Schwesterherz, ich…“, begann der junge Gott, dessen Lippen aber sofort von Persephones Zeigefinger versiegelt wurden. Ihr Lächeln vertrieb auch den letzten Rest an Kummer und Zweifel. Sie schüttelte nur den Kopf. „Ich entlasse deinen sterblichen Freund in die Oberwelt, kleiner Bruder. Aber welch göttliches Wesen wünschst du wieder unter den Lebenden zu wissen?“ Zeuxis atmete tief durch: „Die Zyklopen.“ Persephones Lächeln wurde schmaler. Sie betrachtete ihren Bruder eingehend und schien zu überlegen. Wenn sie ihn nach dem Warum fragte, so musste er seinen Plan offenlegen und sie in Gefahr bringen. „Ich werde ihre Geister zu Hyperions Tor geleiten lassen“, sagte sie schließlich nach einer Weile. Ihr Blick fiel dabei auf die Lyra in Zeuxis´ Händen. Sie las die Inschrift und lächelte nun wieder. „Apollon schickt dich, oder?“ Schweigend nickte er auf die Frage hin. „Ich werde auch Asklepios in die Oberwelt schicken.“ Danach beugte sie sich nach vorne und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Zeuxis wurde schwindelig, als die Lippen seiner Halbschwester seine Haut liebkosten. Diese Berührung brannte sich wie Feuer in sein Fleisch und erzeugte einen unerträglichen Schmerz, nach dessen Fortbestehen er sich groteskerweise Sekunden später bereits sehnte. „Versprich mir, mich zu befreien“, hauchte sie ihm zu und ging dabei wieder zurück. Wie hätte er ihr diesen Wunsch abschlagen können? In diesem einen Punkt konnte er seinen Vater verstehen: Persephone war wahrlich das lieblichste Wesen, welches sich Zeuxis vorstellen konnte. Hätte sie verlangt, dass er sich in ein Schwert stürzen sollte, er hätte es ohne zu zögern getan. „Natürlich“, flüsterte er und blinzelte, als das Lyraspiel endete. Sein Blick wanderte vom Musikinstrument zu Persephone. „Du musst rasch verschwinden.“ Panik ergriff die junge Göttin, die ihren Bruder mit sanfter Gewalt aus ihrem Gemach zu schieben versuchte. „Warum?“, fragte er verwirrt nach. Er wollte noch nicht gehen, eigentlich wollte er gar nicht mehr von Persephones Seite weichen. „Weil Hades bald zurückkehren wird.“ Woran machte sie das denn fest? „Verstehst du nicht? Apollons Zauber wird durch die Präsenz des Herrn der Unterwelt überdeckt. Darum hast du aufgehört zu spielen.“ In der Ferne war ein Grollen zu hören, dem Donner gleichend, der ein bevorstehendes Gewitter ankündigte. „Los, verschwinde! Eile zum Tor des Hyperion! Die Zyklopen warten bereits auf dich!“ Ein Ruck durchlief Zeuxis´ Körper und er war mit einem Mal wieder Herr seiner Sinne. Es hatte sich wirklich etwas geändert. Selbst Persephones freundliche Aura konnte die Kälte nicht vertreiben, die langsam an ihm emporkroch. „Aber er wird wissen, dass du ihn verraten hast!“ „Lass das meine Sorge sein, verschwinde!“ Damit schubste sie ihn nach draußen und drehte sich rasch um, um wieder in ihrem Stuhl Platz zu nehmen. Zeuxis wandte sich mit Gewalt vom Anblick seiner Schwester ab und hastete den Weg zurück, den er gekommen war. Keine Sekunde zu früh, denn Persephones Gesang begann erneut, und der junge Gott war sich sicher, dass er dieses Mal dem Kummer und Schmerz nicht hätte widerstehen können. Das Tor des Hyperion entpuppte sich als ein schmuckloser Rundbogen aus Metall, dessen Oberfläche einem Spiegel glich. Wabernd konnte man die andere Seite erkennen. Eine satte Hügellandschaft, gesäumt mit Gras und Bäumen lud zum Eintritt in die Oberwelt ein. Persephone hatte auch nicht gelogen was die Zyklopen anging: Ihre Schatten, zumindest nahm Zeuxis dass an, warteten vor dem Tor. „Na los, hindurch mit euch!“, trieb er die schemenhaften Wesen an. Einer nach dem Anderen folgte seiner Anweisung und er selbst sprang zügig nach. Entgegen des Portalbildes wechselte er zunächst in die absolute Schwärze. War etwas schiefgegangen? Hatte Persephone gelogen? Waren das überhaupt die Zyklopen gewesen? War seine Seele vielleicht nicht die eines vollwertigen Gottes? Fragen über Fragen, die alle verpufften, als er auf einem harten Untergrund aufschlug. Kapitel 6: Drei Meister und ein Geselle --------------------------------------- Benommen rappelte sich Zeuxis auf. Hatte er es geschafft? Augenscheinlich schon, denn er befand sich wieder an der Oberwelt, auf einer Lichtung, um genauer zu sein. Bei seiner Rückkehr hatte er jegliche Orientierung verloren. Viel wichtiger war aber eine andere Frage: Hatten es die Zyklopen auch geschafft? Zuerst dachte der junge Gott, es wäre mitten in der Nacht, doch dann wurde ihm bewusst, was das Antlitz des Helios verdunkelte. Ein Blick nach oben ließ ihn eines der Wesen begutachten, das er errettet hatte. Langsam dämmerte ihm was Gaia damit gemeint hatte, dass den ersten Schöpfungen noch die Brutalität und rohe Gewalt der Natur anhafte. Drei dickbäuchige gigantische Kreaturen starrten auf ihren Retter herab. Sie waren vollkommen haarlos und nur mit einem dünnen Lendenschurz bekleidet. Ihre Füße steckten in plumpen Sandalen, welche kaum die massigen Zehen zu bändigen vermochten. Alle drei Augen waren auf Zeuxis gerichtet, jedes wohlplatziert in der Mitte des Schädels. Die Zyklopen wirkten verroht, einfältig und dumm. Diese Wesen sollten fähig sein Blitz und Donner zu schmieden? Unmöglich. „Wer bist du, dass du uns errettet hast?“, fragte einer der Hünen. Seine Stimme war tief und grollend und erinnerte dabei an aufkeimenden Donner. „Ich bin Zeuxis, Sohn des Zeus und der Metis und Urenkel der Gaia.“ Die drei rundlichen Gesichter kreuzten ihre Blicke, musterten den jeweils anderen, bevor sie wieder auf ihren Verwandten hinabstarrten. „Sohn des Zeus, Urenkel unserer Mutter, was ist dein Begehr, dass du uns errettet hast?“ Dieses Mal sprach ein anderer. Dieser hörte sich genau gleich an wie sein Bruder: Plump, schwerfällig und grollend. „Ich möchte, dass ihr mir, wie meinem Vater, Blitz und Donner schmiedet.“ Die ersten Wesen der Schöpfung tauschten erneut Blicke aus. Sie wirkten verwirrt, aber bisher nicht verärgert. Zeuxis hoffte, dass es so blieb, denn ob er es mit ihnen aufnehmen konnte, wagte er zu bezweifeln. „Du willst Blitz und Donner führen wie der große Zeus?“ Der Dritte meldete sich zu Wort und packte Zeuxis mit Daumen und Zeigefinger an seinem Mantel, um ihn auf Augenhöhe zu heben. Dieser strampelte wie wild und versuchte sich aus dem Griff zu befreien. Als er sich Auge in Auge mit dem Riesen befand, hielt er inne und starrte dem Monster entgegen. „Ich will Blitz und Donner dazu benutzen, um die Welt von meinem Vater zu befreien und sein Antlitz aus dem Universum zu tilgen.“ Zeuxis´ Stimme war fest und entschlossen. Er kämpfte nicht mehr nur für Metis oder Gaia, auch nicht für die Sterblichen, er kämpfte vor allem für seine Halbschwester Persephone. Alleine der Gedanke an sie bestärkte ihn, seinen Weg weiterzugehen. „Du willst deinen Vater stürzen? So wie er es einst mit Kronos tat? So wie dein Großvater es mit deinem Urgroßvater tat?“ Zeuxis hatte Schwierigkeiten die Emotionen der Zyklopen zu deuten. Ihre Sprechweise, genauso wie die Stimme, war beinahe unmöglich zu entschlüsseln. Die Tonlage war gleich und sie formten die einzelnen Worte schwerfällig. Er konnte sich aber denken, worauf sie hinauswollten. Sein Vater hatte die Zyklopen damals aus dem Tartarus befreit, um gegen Kronos bestehen zu können, dementsprechend dankbar waren sie ihrem Retter gewesen. „Mein Vater hat euch in der Unterwelt dahinsiechen lassen, als formlose Schatten, und euch ersetzt. Sein Sohn vollbringt nun das Werk, dass ihr einst getan habt.“ Der Zyklop der Zeuxis hielt schnaubte abfällig und zeigte dabei die spitzen Zähne, die im Gebiss ineinandergriffen wie ein Uhrwerk. Der warme Atem blies dem Gott ins Gesicht und auf die Haut und nur mit Mühe konnte er seine Kleidung an ihrem angestammten Ort behalten. „Niemand wird je an unsere Fähigkeiten heranreichen, Spross des Zeus. Führe uns zu diesem Schmied.“ Sie wollten was? Diese drei plumpen Kreaturen wollten Hephaistos in seiner Werkstätte aufsuchen? Wozu? Außerdem zweifelte Zeuxis an ihren handwerklichen Fähigkeiten. Wie sollten diese dicken Finger irgendwelche filigrane Arbeit ausführen? Zusätzlich stellte sich die Frage, wo der Schmiedegott sein Dasein fristete und wie sie dorthin gelangen sollten. Die drei Monster waren nicht gerade unauffällig und würden die Sterblichen in Aufruhr versetzen. Von da an war es absehbar, dass Zeus sie finden würde. „Ihr verlangt das Unmögliche“, begann der Sohn des Zeus, wurde dann aber sogleich von einer weiblichen, wohlbekannten Stimme unterbrochen. „Ich kann euch zum Schmiedegott bringen meine Kinder.“ „Gaia“, murmelte Zeuxis und wurde unerwartet sanft auf dem Boden abgesetzt. „Mutter“, raunten die ersten Schöpfungen und knieten nieder. Ihre Hände strichen über den Boden, liebkosten dabei Wurzeln und Gras, als wären sie das Schönste und Liebste auf der Welt. Die Unterwelt hatte eine Qual für diese Wesen sein müssen, abgeschnitten von der Erde, ihrem Ursprung. „Zeus hat mir unsägliches Leid angetan. Sein Spross wird ihn zur Rechenschaft ziehen, so wie ich und euer Vater, der Himmel, es prophezeit haben. Helft ihm, und ihr werdet wieder euren Platz einnehmen, als Schmiede des Gottes der Götter.“ Zustimmendes Nicken, gepaart mit Raunen und Röhren war die Antwort der Zyklopen auf die Worte ihrer Mutter. Auch wenn sie dem Zeus dankbar für ihre Rettung waren, so war die Hingabe und Liebe zu Gaia stärker. „Und wo befindet sich Hephaistos?“, fragte Zeuxis. „Auf der Insel Lemnos, tief unter dem Vulkan“, antwortete seine Urgroßmutter. Der Landweg wäre mit den drei Monstren schon beschwerlich genug gewesen, aber Wasser? Eine Bootsfahrt? Da hätte Zeuxis gleich hoffen können fliegen zu lernen. Er seufzte leise und schüttelte den Kopf. Wie wollte er denn nach Lemnos gelangen? „Macht euch bereit!“ Gaias Worte waren das Letzte, was der junge Gott hörte und auch wahrnahm, bevor ihn allumfassende Schwärze umhüllte. Mit einem Ruck war er in die Erde selbst gezogen worden und bewegte sich nun, wie von Geisterhand, durch die Finsternis. Ob er seine Begleiter bei sich hatte, wusste er nicht, genauso wenig was mit ihm passierte. Gaia würde ihm nichts zu leide tun, da sie ihn brauchte, dennoch konnte er sich deutlich bequemere Arten zu reisen vorstellen. So schnell der Zauber begann, so schnell war er auch wieder vorbei. Mit beiden Beinen stand er in einer hell erleuchteten Schmiede. Die Esse glühte noch und es war das beständige Klirren eines Hammers zu hören. Die unerträgliche Hitze wurde von den Felswänden reflektiert. Wie man hier leben, geschweige denn arbeiten konnte, war Zeuxis ein Rätsel. Unzählige Werkzeuge lagen herum und das Brodeln von Lava ließ ihn zusammenzucken, als er die ersten vorsichtigen Schritte machte. Hinter ihm tauchten die Zyklopen auf, welche sogleich vorbeistapften. So wie sich die Geschwister seiner Großeltern verhielten, war es nur eine Frage der Zeit, bis sie wieder in die Unterwelt zurückkehren würden. Sie aufzuhalten lag aber auch außerhalb von Zeuxis´ Macht, also musste er ihnen notgedrungen folgen, und hoffen, dass Hephaistos sie nicht gleich alle umbrachte. Sein Heiligtum zu stören war sicherlich ein Frevel, das der Schmied der Götter nicht tolerieren würde. Der Schmiedegott stellte sich als breitschultriger, dicklicher Mann heraus, mit einem langen buschigen Bart. Seine Haare klebten ihm an der Stirn während er, mit einer Schürze bekleidet, wie wild auf irgendetwas einhämmerte. Es knisterte und Funken sprühten, je öfter der Schmiedegott auf das Werkstück einschlug. Jeder Hammerschlag war von Donnergrollen begleitet. Der Vulkan an der Oberwelt tobte und spie Feuer, was den fremden Besuchern aber verborgen blieb. „Das muss er sein“, flüsterte Zeuxis zu sich selbst und meinte dabei nicht Hephaistos, sondern das, was dieser in Händen hielt. Er konnte selbst hier, in reichlicher Entfernung, die Hitze und auch die Macht spüren, die von der Waffe ausging. Sie knisterte und knarzte und versengte den Amboss, auf dem sie geschmiedet worden war. Die Macht einen Gott zu töten. „Zu grob“, sagte der erste Zyklop und stapfte auf den Schmiedegott zu, der sich schlagartig umdrehte. „Zu unsauber“, fuhr der Zweite fort und schloss sich seinem Bruder an. „Zu roh“, beendete der Dritte die Kritik am Werk des Schmiedegottes und umringte ihn gemeinsam mit seinen Geschwistern. „Wie?“, fragte Hephaistos und wich zurück, bis er gegen seinen eigenen Amboss stieß. Die rauchige Stimme hatte etwas Grobes, passend zu dem breitschultrigen Riesen, der augenscheinlich hinkte. Genau genommen war er keine Schönheit, und sein einziger Wert lag darin, dass er Waffen und Geschmeide für die Götter herstellte. „Kein Wunder, dass Aphrodite ihn verlassen hat“, ging es Zeuxis durch den Kopf, der sich noch zurückhielt. Er wollte die Situation fürs Erste beobachten und abwarten was passieren würde. Die Handwerkskunst des Hephaistos war unbestritten und weit und breit war niemand in der Lage, ihm die Stirn zu bieten. Diese grobschlächtigen Wesen behaupteten das Gegenteil. Der Erste packte Hephaistos, wie er es mit Zeuxis getan hatte, während der Zweite nach dem Blitz griff und der Dritte nach dem für ihn viel zu kleinen Hammer langte. Bevor der Schmiedegott auch nur reagieren konnte, hatte man ihn beiseitegeschoben und sich ans Werk gemacht. Die Zyklopen verdeckten mit ihren massigen Rücken alles was sie taten. Es war nur Gehämmer, dann ein lauter Knall, dann ein Murren der Wesen und dann wieder beständiger Hammerschlag zu hören. Zeuxis entschied sich neben seinen Halbbruder zu treten. Dieser wirkte eindeutig überfordert. Fremde drangen in seine Schmiede ein, schmähten ob seiner Handwerkskunst und machten sich in seiner Werkstatt, an seinem Werk, mit seinem Werkzeug, zu schaffen. Das war Blasphemie. Dennoch, die Neugierde war zu groß, zumal sie ihm nicht feindlich gesinnt zu sein schienen. Zeuxis legte seine Hand auf den Arm des Schmiedegottes, was dessen Faszination für die Arbeit der Zyklopen brach. Obwohl er allen Grund dazu gehabt hätte, machte sein Halbbruder kein finsteres Gesicht, im Gegenteil: Er lächelte, was Zeuxis zusätzlich verwirrte. Hephaistos schien sich ob der Anwesenheit des Fremden zu freuen. „Ich kenne diese Gesichtszüge“, murmelte der Schmiedegott und schloss Zeuxis so fest in seine muskulösen Arme, dass diesem beinahe die Luft wegblieb. Was meinte er damit? Sein Gesicht war verborgen vor den Göttern gewachsen und aufgezogen worden. Niemand konnte ihn kennen, es sei denn… „Gleiche ich meiner Schwester so sehr?“, fragte der junge Gott nach, was ein eifriges Nicken gefolgt von einem leisen Lachen auslöste. Zeuxis schämte sich in diesem Moment für seinen Gedanken von vorhin und dass er sich vom Aussehen des Schmieds hatte blenden lassen. „Du besitzt ihre Augen“, murmelte Hephaistos und setzte Zeuxis wieder auf dem Boden ab. Da war etwas gewesen. Hephaistos, der Schmiedegott, war einmal verschossen gewesen in Zeuxis´ Zwillingsschwester Athene. Trotz ihrer Ablehnung und den darauffolgenden Demütigungen, hatte er nie aufgehört sie zu lieben. Wie konnte er da ihr Abbild, ihren Zwilling, nicht genauso lieben und vergöttern? „Der Blitz…“, rissen die Zyklopen die beiden Götter aus ihrem Gespräch. „Ist…“, setzte der Zweite fort. „Vollkommen“ beendete der Dritte den Satz und hielt ihnen die Waffe des Göttervaters entgegen. Der Blitzkeil der drei Urschöpfungen war anders als der des Schmiedegottes. In ihm schlummerte rohe Gewalt, geformt in eine Eleganz, die nicht in Worten zu fassen war. Hephaistos Werk mochte perfekt gewesen sein, doch dieser Blitzkeil definierte das Wort „Perfektion“ noch einmal neu. Die beiden Brüder beugten sich nach vorne und begutachteten das Werk der Kinder der Gaia mit großen Augen. Selbst der Schmiedegott war in den Bann der Waffe gezogen. Noch nie hatte er etwas derartiges gesehen. „Wie habt ihr das gemacht?“, fragte Hephaistos und ließ seinen Blick zu den Zyklopen wandern. „Mit Schärfe…“ „Perfektion…“ „Und Wissen.“ Jeder der Drei sprach jeweils nur zwei Wörter und vollendeten so den gesamten Satz. Diese Handlungsweise hatten sie aber erst, seitdem sie die Schmiede betreten hatten. Warum? War ihr Zusammenhalt erstarkt? „Wir können…“ „Dich lehren…“ „So zu schmieden.“ Zeuxis sah zu Hephaistos, dessen Augen leuchteten. Er wirkte wie ein kleines Kind, dem man einen Honigkuchen vor die Nase hielt. War der Schmiedegott trotz seines Aussehens und Auftretens im Herzen kindlich geblieben? Hatten ihn Zeus und Hera deshalb zu Beginn verstoßen? Weil er sie beschämte? Dabei wirkte sein Bruder in Zeuxis´ Augen so harmlos und freundlich, wie ein sanfter Riese. „Natürlich!“, rief der Schmiedegott begeistert aus und klatschte in die Hände, was einen weiteren Ausbruch des Vulkans zur Folge hatte. Ruß und Dreck rieselten aus den Handinnenflächen des Hephaistos und benetzten den Steinboden der Höhle, in der sich seine Schmiede befand. „Aber nur…“ „Wenn der Spross des Zeus…“ „Diese Blitze erhält.“ Hephaistos hielt inne und sah zwischen Zeuxis und den Zyklopen hin und her. Man konnte dem Schmiedegott ansehen, wie es in ihm zu arbeiten begann. Seine Blitze waren minderwertiger als die der Riesen, und im direkten Zweikampf würden sie unterliegen. Was ihm die Zyklopen vorschlugen war Verrat, auf höchster Stufe. „Ich nehme an“, antwortete der Götterschmied nach kurzer Zeit, sehr zur Verwunderung seines Halbbruders. „Aber Hephaistos, damit machst du dich des Verrates am Göttervater schuldig, ist dir das klar?“ „Ich verrate niemanden. Ich bin verraten worden, verlacht. Auf dem Olymp bin ich zum Gespött geworden. Meine eigene Ehefrau hat mich betrogen, unter meiner Nase. Alle haben Aphrodite begehrt, und alle wussten ob ihrer Affären. Sogar meine Mutter Hera war angewidert von mir. Ich wurde nur benutzt, um unserem Vater den Thron zu erhalten.“ Zeuxis wurde in Hephaistos Bett einquartiert, welches unfassbar bequem war. Die Zyklopen und der Schmiedegott machten sich inzwischen an die Arbeit. Die ganze Nacht hindurch hallte ihr Hämmern durch die Schmiede und hätten dem jungen Gott sicherlich jeglichen Schlaf geraubt, wäre da nicht die Tür zum Schlafgemach gewesen, in dem er lag, die, handwerklich meisterhaft hergestellt, sämtliche Laute aussperrte. Am nächsten Morgen wurde er durch ein Rütteln an seiner Schulter geweckt. Hephaistos wirkte übermüdet, ausgezehrt, aber glücklich. Aufgeregt zog er Zeuxis mit sich, nachdem dieser sich rasch angezogen hatte, um ihm das gemeinsame Werk zu zeigen. Kapitel 7: Die Königin der Götter --------------------------------- Die drei schwerfälligen Zyklopen und der Schmiedegott hatten sich wahrlich selbst übertroffen. Zeuxis zählte mindestens fünfzehn Blitze, jeder davon mit einer solch spürbaren Macht ausgestattet, dass er felsenfest davon überzeugt war, seinen Vater damit stürzen zu können. Doch damit nicht genug: Sie hatten ihm einen Behälter, einem Köcher gleichend, für diese mächtigen Waffen geschaffen. „Για τον νέο βασιλιά των θεών“ war darin eingraviert worden. (Für den neuen König der Götter) Zeuxis nahm sein Geschenk lächelnd entgegen und hing es sich um die Schulter. Das Metall war erstaunlich leicht und warm. „Ein wahrhaftig prächtiges Geschenk, Söhne der Gaia und mein Bruder; das habe ich nicht verdient.“ Lachend klopfte ihm der Schmiedegott auf die Schulter. „Nun nimm deine Blitze entgegen, kleiner Bruder.“ Zeuxis streckte zögernd die Hand aus um das Blitzbündel an sich zu nehmen. Als seine Fingerspitzen die mächtigen Waffen berührten, durchfuhr ihn ein angenehmes Kribbeln. Entgegen seiner Erwartung schmerzte es nicht einen Blitz zu halten, im Gegenteil: Es fühlte sich gut an. Niemand im Universum besaß eine so kraftvolle Macht wie der junge Gott. Nicht einmal Zeus selbst konnte sich ihm nun noch in den Weg stellen. Sorgsam verstaute er die Bündel im Köcher und ließ seinen Mantel darüber gleiten. Es galt nun den letzten Schritt zu machen, bevor er sich seinem Vater stellen konnte. Zeuxis´ Blick wanderte zu Hephaistos, der ihn erwartungsvoll anschaute. Auch wenn er hässlich sein mochte, so besaß er ein reines Herz, genauso wie die Zyklopen. „Hephaistos, wo kann ich deine Mutter treffen?“ Die Stimme des Sohnes der Metis war erstaunlich fest, dafür, dass er dieses Treffen so lange aufgeschoben hatte. Hera zu überzeugen würde schwieriger werden als beim Rest. Auch wenn sie die Seitensprünge ihres Mannes hasste, so hasste sie die Blagen des Zeus noch viel mehr; außerdem war der Göttervater der Garant dafür, dass sie an der Macht blieb. „Meine Mutter?“ Der Schmiedegott schien nicht zu verstehen. Auch er wusste ob der Aversion Heras gegenüber Zeus´ illegitimen Kindern, zumal manche davon stärker und mächtiger waren als ihre eigenen. Sich mit ihr zu treffen konnte den sicheren Tod bedeuten, selbst wenn der Göttervater nicht einschritt. „Ohne deine Mutter kann ich die Welt nicht neu ordnen, Bruder. Hera ist die Einzige, die nahe genug an unseren Vater herankommt, um mir zu helfen.“ Hephaistos zögerte. Etwas schien ihm auf den Lippen zu liegen, doch er wollte oder konnte es nicht aussprechen. Zu oft hatte man ihn ob seiner Pläne verlacht. Nicht einmal seine eigene Mutter hatte ihn zu Beginn auf dem Olymp behalten wollen. Ohne seine handwerklichen Fähigkeiten wäre er heute noch, lahmend, im Reich der Sterblichen gefangen, dazu verdammt, sein Dasein als Ausgestoßener unter Ausgestoßenen zu fristen. „Was möchtest du mir denn sagen?“, fragte Zeuxis lächelnd. Der junge Gott mochte seinen Bruder. Dieser war trotz seiner äußeren Erscheinung, äußerst freundlich, hilfsbereit, warmherzig und dankte einem ein bisschen Zuneigung hundertfach. „Deine Schwester könnte auch nahe genug an den Göttervater gelangen.“ Zeuxis hatte diesen Gedanken bereits mehrmals gesponnen. Athene war ihm und ihrer Mutter sicher verbunden, doch, im Gegensatz zu ihnen, genoss sie ein Leben an der Seite des Göttervaters. Sie war sein Lieblingskind. Athene hatte, ohne eine Strafe fürchten zu müssen, Prometheus in den Götterpalast gelassen. Sie war die Göttin der schönsten und mächtigsten Stadt Griechenlands. Sie wurde geliebt, verehrt, vergöttert. Zahllose Helden beriefen sich auf sie, unter anderem der listenreiche Odysseus. An was mangelte es Athene schon? Sogar Hera hatte an ihrer Seite gegen Troja gekämpft. Sie zum Verrat am Vater zu überreden war unmöglich. „Ich behalte diese Möglichkeit im Hinterkopf, Bruder. Zuerst möchte ich aber mit deiner Mutter sprechen.“ Hephaistos zögerte erneut. Man konnte ihm die Sorge um seinen kleinen Bruder direkt vom Gesicht ablesen. Der junge Gott war gerührt – wenn er erst einmal die Welt neu geordnet hatte, würde er den Schmiedegott an seine Seite holen. Neben Persephone war er ihm bisher das Liebste seiner göttlichen Geschwister gewesen. „Auf Peleponnes, in Olympia, steht ein Heraion, eine Wirkstätte meiner Mutter. Die Sterblichen erzählen sich, sie würde dort ab und an persönlich erscheinen. Wenn du sie wirklich treffen möchtest, ist dies dein bester Anlaufpunkt.“ Zeuxis nickte dankend und hob danach die Hand zum Abschied. „Wenn ich erfolgreich bin Hephaistos, verspreche ich dir ein besseres Leben, eine größere Schmiede und vor allem die Wertschätzung, die du verdienst.“ Ehe sich der junge Gott gewahr war, hatte ihn der Schmiedegott fest in seine Arme geschlossen. Ein letztes Mal drückte er seinen kleinen Bruder, bevor er sich, mit den Zyklopen, wieder an die Arbeit machte, um weitere Rüstungen, Waffen und Geschmeide herzustellen. Der Weg nach Olympia war recht ruhig verlaufen. Der Köcher schirmte die Macht der Blitze ab und so wussten weder die Sterblichen, noch die Götter, allen voran Poseidon, auf dessen ruhigen Wellen er trieb, dass sich ein Gott in ihrer Mitte befand. Olympia selbst war eine kleine Stadt die vor allem für die jährlich abgehaltenen Spiele berühmt war. Einmal bei den olympischen Spielen zu siegen bedeutete, in die Annalen der Geschichte einzugehen. Die nächsten Meisterschaften fanden erst in gut einem halben Jahr statt, deshalb war die Stadt auch vergleichsweise leer und ruhig. Zeuxis hatte sowieso keine Augen oder Gedanken für die Sterblichen in seiner Nähe. Es ging ihm nur mehr darum Hera zu überzeugen, und die Welt, und vor allem seine Schwester Persephone, die er, wie er sich mittlerweile sicher war, genauso liebte, wie es sein Vater tat, aus der Unterwelt zu befreien. Hephaistos hatte nicht gelogen. Es gab tatsächlich ein Heraion auf Peleponnes. Das Bauwerk war aber verhältnismäßig klein und schmucklos, verglichen etwa mit dem Orakel von Delphi. Sicher, der weiße Marmor war kunstvoll bearbeitet worden, doch ansonsten wirkte der Tempel mehr wie eine bessere Wohnstätte in günstiger Lage, denn einer Kultstätte für die Königin der Götter. Auch fanden sich weder Wachen, Bittsteller, noch sonstige Menschen in der Nähe. „Sie erwartet mich wohl bereits“, ging es dem jungen Gott durch den Kopf, der die Zedernholztür einen Spalt öffnete, hindurchschlüpfte, und wieder verschloss. Man hatte in der Schräge einige, fensterartige Löcher gelassen, die so das Sonnenlicht von außen hereinließen. Im Halbdunkel konnte Zeuxis wenig erkennen, zumindest bis sich seine Augen daran gewöhnt hatten. Doch auch ohne seinen Sehsinn konnte er die ungeheure Macht spüren, die diesem Gemäuer innewohnte. „Ein weiterer Bastard also“, riss ihn eine strenge Frauenstimme aus seinen Gedanken. Die Energie die erfühlte, ging nicht vom Heraion aus, sondern von der verehrten Göttin Hera. Diese logierte auf einem kunstvoll geschnitzten Thron. In der rechten Hand hielt seinen silbernen Pokal mit einem glitzernden, grünen Juwel in der Mitte des Kelches. Hera war auch schön, doch anders als Persephone oder Aphrodite. Sie wirkte streng, launisch und unnachgiebig. Mit ihr war sicherlich nicht gut Kirschen essen, und es wunderte Zeuxis, dass er es überhaupt ins Heiligtum geschafft hatte. Auch wenn er von keiner Falle ausging, so blieb doch ein leichtes Unbehagen, als er näher an die Göttin der Ehe herantrat. „Königin der Götter…“, begann er, wurde aber gleich unterbrochen. „Sparen wir uns die Schmeicheleien. Du bist also hier um meinen Mann abzulösen?“ Ihre Stimme war genauso streng wie ihr Antlitz, noch dazu barsch und hart. Aus der Königin der Götter sprachen Bitterkeit und Schmerz. Zeus´ Seitensprünge mussten furchtbar an ihr nagen. „Das bin ich, Stiefmutter.“ Warum er sie so nannte wusste Zeuxis selbst nicht. Das Wort war ihm einfach über die Lippen gekommen. Seltsamerweise lächelte die Göttin und nippte an ihrem Pokal, überschlug die Beine und setzte sich ein wenig auf, was den Stoff ihres schneeweißen Kleides ein wenig verrutschen ließ. Die braunen Haare bildeten einen starken Kontrast zur Kleidung, setzten ihr Gesicht aber ganz gut in Geltung. „Die meisten seiner Blagen nennen mich anders“, schmunzelte Hera und nickte ihm zu, als Zeichen, dass er fortfahren möge. „Gaia und Uranos haben prophezeit, dass ich den Göttervater stürzen werde. Ich bin bereit ihn abzulösen, aber dazu brauche ich deine Hilfe.“ Zeuxis wartete ab, doch Hera tat ihm nicht den Gefallen, auch nur irgendeine Reaktion zu zeigen, also fuhr er fort. „Ich möchte mich einer List bedienen, wie es Vater schon bei Kronos tat. Schwäche ihn mit einem Trunk, sodass ihn Ares in Schach halten kann.“ Hera hob die rechte Augenbraue an und stellte den Kelch auf einer der Thronlehnen ab: „Ares? Mein Sohn wird gegen seinen Vater nicht lange bestehen können, wenn es zum Zweikampf kommt. Nicht einmal geschwächt.“ Zeuxis nickte: „Das ist mir bewusst. Er soll ihn nur ablenken.“ Die Götterkönigin konnte nun ihre Neugierde nicht verbergen. Beim Sprechen rutschte sie ein wenig nach vorne: „Und die anderen Götter? Seine Brüder, und seine Kinder?“ „Persephone wird, davon gehe ich aus, Hades beschäftigen. Apollon ist zu sehr damit beschäftigt, seinen Sohn in die Arme zu schließen und Hephaistos ist in seine Arbeit vernarrt. Aphrodite wird sich nicht gegen ihren einstigen Liebhaber stellen. Artemis hält sich aus solchen Dingen heraus, solange ihr Bruder nicht eingreift. Wen hat Zeus noch? Poseidon, Hermes, Hestia, Dionysos und Demeter.“ Zeuxis Stimme war von dezentem Spott durchzogen, als er fortfuhr: „Die Ernte gedeihen zu lassen, genauso wie das Herdfeuer am Brennen zu halten, sind wohl kaum geeignete Maßnahmen, eine Invasion aufzuhalten. Poseidon ist ohne das Meer machtlos, und ich bin nicht dumm genug, ihn direkt herauszufordern, wenn er sich in seinem Element befindet. Es bleiben nur Hermes sowie Helios übrig. Für die Sonne habe ich mir bereits etwas überlegt, und Hermes, Stiefmutter, wirst du wohl in Schach halten können. Der Wein und die Spiele des Dionysos werden dich wohl auch nicht aufhalten, oder?“ Seine Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. „Was erhalte ich dafür, dass ich dir helfe?“, fragte sie zuckersüß. Seine Stiefmutter war eine kalte, berechnende Frau, wie ihm jetzt schmerzlich bewusstwurde. Diese Frage hatte er mehr gefürchtet, als alles andere. „Ein Leben für ein Leben – du kannst den Götterthron behalten, wenn du es wünschst.“ Er wusste, dass nichts Anderes den Ansprüchen der Göttin genügen würde. Man konnte ihr das Verlangen nach Macht direkt aus den Augen ablesen. „Und deine Schwester?“ Zeuxis zögerte. Trotz allem war Athene seine Zwillingsschwester und er wollte einen Konflikt mit ihr vermeiden. „Ich hoffe, sie wird, genauso wie ich, lange genug zögern den anderen anzugreifen, auf dass sich mein Plan in die Tat umsetzen lässt.“ Hera verzog die Mundwinkel abfällig. „Wie glaubst du gegen deinen Vater bestehen zu können?“ In einer theatralischen Geste schlug Zeuxis seinen Mantel nach hinten und gab so das Blitzbündel in seinem Köcher preis. Die Augen der Göttermutter weiteten sich, als sie Blitz und Donner in physischer Form, so nahe wie nie zuvor, sehen konnte. „Diese Blitzkeile sind geschmiedet von den Zyklopen und Hephaistos. Sie werden die meines Vaters mühelos zerbrechen. Ich bin ihm in einer direkten Konfrontation so überlegen.“ Dass er es nicht auf eine direkte Konfrontation anlegte verschwieg er seiner Stiefmutter. „Blitz und Donner“, murmelte Hera, nahm ihren Kelch und nippte wieder daran. „Ich brauche aber noch etwas von dir.“ Zeuxis ließ seinen Mantel wieder über das Blitzbündel gleiten und verbarg es vor den gierigen Blicken der Göttin. Diese schrägte den Kopf und wirkte überrascht. Sicherlich hatte sie schon genügend Komplotte gegen ihren Mann im Sinne gehabt, doch keines davon war so durchdacht gewesen, wie das von Zeuxis. „Weißt du, wo der legendäre Pegasus grast?“ Das geflügelte Pferd war essentiell, um seinen Plan in die Tat umzusetzen. „Pegasus? Wozu?“ Heras Blicke durchbohrten den jungen Gott, der ihnen geschickt auswich. Hera mehr anzuvertrauen, als nötig war, barg ein gewisses Risiko. Er entschied sich für eine Halbwahrheit. „Ich kann mein Ziel nur fliegend erreichen, Hera.“ Die Göttin kniff die Augen zusammen und eine ganze Weile herrschte Stille, bevor sie in die Hände klatschte. Von draußen war ein lautes Wiehern zu hören. „Hier hast du dein Ross.“ Zeuxis nickte dankend und atmete tief durch: „Ich beabsichtige in drei Tagen meinen Angriff zu starten. Wenn du den Götterkönig bis dahin schwächen kannst, werde ich erfolgreich sein, und du als Königin der Götter das Universum regieren. Die Sonne am Himmel wird sich verdunkeln und das Auge des Helios blutend am Firmament ragen. Das ist das Zeichen für den Angriff. Sammle was du sammeln musst, Göttermutter und ziehe auf deine Seite, wen du auf deine Seite ziehen willst.“ Hera richtete sich auf und stellte den Kelch beiseite. Ihr Blick wurde streng und fordernd. „Ich hoffe du bist erfolgreich Junge, und gedenkst nicht, mich zu betrügen. Meine Rache ist nämlich schnell und grausam.“ Zeuxis verbeugte sich, schlug die Kapuze über seinen Kopf und ging nach draußen. Hera hatte nicht gelogen: Das göttliche Pferd graste tatsächlich auf der Weide neben dem Heraion. Sein Fell war schneeweiß, genauso wie die Mähne. Man hatte es mit einem schönen Sattel bestückt. Langsam näherte sich der junge Gott dem Pegasus, der nicht scheute, sondern im Gegenteil, auf seinen Reiter zu warten schien. Zögernd sattelte er auf und trat dem Ross in die Flanken. Langsam erhoben sie sich in die Lüfte und zum ersten Mal in seinem Leben fühlte sich der junge Gott wirklich frei. Als Griechenland unter seinen Füßen dahinflog hinterfragte er noch ein letztes Mal seine Motive, bevor er sich auf den Weg machte. Kapitel 8: Ein Hauch von Schicksal ---------------------------------- Zeuxis hatte drei Tage lang gewartet. Er stand am Fuße des Berges seines Vaters. Noch nie hatte er so ein schönes Gebilde gesehen wie diesen Monolithen, diesen Pfeiler der Ordnung, der hoch über Griechenland ragte. Im Schatten des Berges war das Land gediehen und gewachsen und hatte doch so sehr unter der willkürlichen, grausamen Herrschaft seines Vaters zu leiden gehabt. Das Auge des Helios leuchtete hinter ihm. Es war ein heißer Sommertag, an dem er seinen Plan in die Tat umsetzen wollte. Er hatte alles noch einmal durchdacht und war zum Entschluss gekommen, nichts mehr ändern zu können. „Ich hoffe, das Richtige zu tun“, murmelte der junge Gott zu sich selbst, bevor er nach oben schaute. Der Pegasus neben ihm zupfte seelenruhig an einem Stück Moos, welches er genüsslich verschlang. Zeuxis mochte das Pferd, hatte es bereits liebgewonnen. Hoffentlich durfte er ihn nach all diesem Wahnsinn behalten. Ein Wiehern ließ ihn aufhorchen. Die Sonnenkugel befand sich an ihrem Zenit. Mit freiem Auge konnte man den Wagen erkennen, den Helios lenkte. Der Titan trieb seine drei Pferde unerbittlich an und zog dabei die Sonnenkugel hinter sich her. Darauf hatte Zeuxis gewartet. Ruhig griff er nach einem Blitz, zog ihn aus seinem Köcher und passte den richtigen Moment ab. Als Helios mit seinem Wagen knapp an ihm vorbeizog, warf er den Blitzkeil und traf zielsicher den Titan auf seiner Route. Laut krachend explodierte das Gespann des Sonnengottes. Dessen Blut benetzte die lebenspendende Kugel, die nun regungslos am Firmament verharrte und ganz Griechenland in ein blasses Rot tauchte. Man hätte fast meinen können, es würde bereits dämmern und eigentlich handelte es sich bei diesem Anblick um ein schönes Spektakel. Für Zeuxis´ Mitwisser war dies aber das Zeichen gewesen. Rasch schwang sich der junge Gott auf Pegasus und machte sich daran den Gipfel des Olymps zu erreichen. Was mit Helios war interessierte ihn nicht, genauso wenig wie sich Ares und Hera schlugen. Auch die aufkeimenden Wolken, das Unwetter, sowie Blitz und Donner, die am Himmel tobten, brachten ihn nicht mehr aus der Ruhe. Er wusste wohin er musste und was zu tun war. Den Gott der Götter mit konventionellen Methoden zu vernichten, das war unmöglich, doch es gab jemanden, der sogar über Zeus stand, jemanden, den sogar der König der Götter fürchtete. Je näher sie dem Gipfel kamen, desto schwieriger war es für Pegasus, dem aufkommenden Wind, den Stürmen und dem Gewitter zu trotzen, dass ihren Weg behinderte. Tapfer mühte sich das göttliche Pferd ab, doch es dauerte, bis sie zum Olymp selbst gelangen. In dieser Zeit wurde Zeuxis klar, was er nun eigentlich tun würde. Er begriff was seine Taten auslösen würden. Die ganze kosmische Ordnung, das Weltgefüge, alles würde vergehen, auf den Kopf gestellt werden. Hera, die Göttermutter, würde alleine herrschen. Würde sie milder und gnädiger zu den Sterblichen sein? Was würde mit Hades und Poseidon, den Brüdern des Zeus passieren? Die anderen Götter des Olymps, Artemis, Apollon, Hermes, alles verhasste Wesen in den Augen der Hera. Vor Zeuxis schälte sich die Spitze des Olymps in all ihrer Pracht aus den Wolken. Der Götterpalast, erbaut von Hephaistos, ragte hoch auf den Klippen des Berges und wachte stumm über die Oberwelt. Sein Vater war noch nicht aufgetaucht, auch nicht einer der anderen Götter – sein Plan schien also aufzugehen. Mit einem Ruck an den Zügeln zwang Zeuxis den Pegasus herum, direkt auf einen Wasserfall zu. Das Pferd scheute zwar, doch mit genügend Zureden und ein wenig sanfter Gewalt konnte er den Hengst direkt auf das rauschende Wasser zu lenken. Nun galt es: Alles oder nichts. Wiehernd schoss das weiße Ross auf den Wasserfall zu, nur um ihn einen Moment später zu durchtauchen. Sie landeten in von Fackeln erhellten Gang. Hastig sprang Zeuxis von Pegasus und eilte den Weg entlang. Seine Schritte hallten in dem Gemäuer wider und er war sich bewusst, dass er versuchte, woran so viele vor ihm gescheitert waren. Der kalte Stein unter seinen Füßen flog geradezu dahin, als er endlich die kreisrunde Kammer erreichte, wo jene Wesen beheimatet waren, die er suchte. Inmitten des von Fackeln erhellten Altars lag, was er begehrte. Das Herzstück seines Plans: Der Schicksalsteppich. Hier woben die Moiren die Geschichte, sponnen Faden über Faden, bemaßen dessen Länge nur um ihn dann zu trenne und dem Wandteppich hinzuzufügen. Hier begannen der Anfang und das Ende, Alpha und Omega. Von den drei Schwester, Atropos, Klotho und Lachesis war jedoch weit und breit keine Spur. Er hatte gehofft die Moiren zu treffen, und sie zu bitten, Zeus Lebensfaden zu durchschneiden. Wenn notwendig, hätte er es auch selbst getan. Doch anstelle des personifizierten Schicksals fand er jemand anderen vor. Obwohl er sie noch nie gesehen hatte, so konnte dieses Gesicht nur einer Person gehören. „Schwester“, hauchte Zeuxis und blickte in sein Spiegelbild. Die junge Göttin stand da, in voller Rüstung, mit Lanze und Schild bewaffnet. Der Göttervater hatte also doch Bescheid gewusst. Trotz aller Mühen; ihm war der Plan nicht entgangen. Wie? Warum? Wer hatte ihn verraten? „Bruder, weiche ab von diesem Wahnsinn!“, rief Athene und reckte ihm den Speer entgegen. Von ihrem Schild grinste der Kopf der Medusa herab und sie wirkte entschlossen, sich, falls notwendig, auch gegen ihren eigenen Bruder zu stellen. Sein Vater war ein schlauer Mann, das musste Zeuxis ihm lassen. „Athene, Schwester, tritt beiseite!“ Ohne, dass er es wollte, war seine Stimme zu einem Flehen geworden. Jedes andere Hindernis hätte er beiseite räumen können, den kretischen Stier, die Hydra, die Sphinx, sogar die Harpyien oder Sirenen, nur nicht seine Zwillingsschwester. Sie hatten sich den Mutterleib, wie auch den Vaterleib, geteilt. Wie konnte er da Hand an sie legen? „Nein.“ Ihre Stimme war fest, und an ihrem Blick erkannte Zeuxis, dass weder Flehen noch Betteln helfen würde. Mit nur einem einzigen Zug hatte ihn sein Vater Schachmatt gesetzt. Die Geschichte würde sich nicht wiederholen, dafür hatte der Göttervater gesorgt. „Du bist weit gekommen, mein Sohn.“ Zeuxis drehte sich um, und bekam seinen Vater das erste Mal zu Gesicht. Er war ein alter Mann, mit langem grauem Bart, der gegen Ende hin zu einem Zopf geflochten worden war. Die weiße Toga, die er trug, bedeckte nur spärlich den muskulösen Körper. Das lange Haar fiel ihm ins Gesicht und wurde von breiten Schultern aufgefangen. Nichts, was er in seinem kurzen Leben kennengelernt hatte, nicht einmal die allumfassende Präsenz der Gaia, konnten an Zeus´ Aura herangelangen. Der Götterkönig hatte die Arme vor der Brust verschränkt und musterte seinen Sohn aus leeren Augen heraus. Ihnen fehlte jegliche Wärme, genauso wie den Pupillen – sie waren weiß und eiskalt. „Fast wäre es deiner Urgroßmutter und deiner Mutter gelungen Rache zu nehmen. Dein Plan war gut, aber nicht gut genug um mich, den König der Götter, zu täuschen. Du wirst genügend Zeit haben um im Tartarus über deine Vergehen gegenüber mir und dem Kosmos nachzudenken.“ Zeus hatte den gleichen, harschen Unterton wie Athene. Zeuxis hatte verloren. „Deine Mitwisser werden dir Gesellschaft leisten. Wie mir auffällt, ist Verbannung eine zu milde Strafe, genauso wie die Unterwelt. Ich habe mir für jeden von Ihnen etwas ausgedacht, einschließlich deiner Schwester.“ Zeuxis´ Augen weiteten sich. Persephone? Seine Persephone? Die Frau, die er mehr liebte als seine Mutter? Er würde sie strafen? Zeus würde die Mutter seines göttlichen Erben auch in den Tartarus werfen, dort, wo die schlimmsten Qualen auf ewig wahr wurden? „Nicht Persephone, Vater, ich bitte dich…“ Die Stimme des jungen Gottes war zu einem Wimmern geworden. Tränen brannten in seinen Augen während er auf die Knie fiel. Es hatte keinen Sinn, die Blitze einzusetzen; Zeus hatte sicher auch dafür Vorkehrungen getroffen. Er war wahrlich das mächtigste Wesen im Universum. „Du? Du bittest mich? Gaia hat das falsche Kind gewählt. Hörst du mich, Gaia? Dein Werkzeug hat versagt!“ Aus den Augenwinkeln heraus konnte Zeuxis beobachten, wie sich etwas in Athenes Blick veränderte. Während Zeus ihm die schlimmsten Dinge androhte, konnte er Mitleid und Wärme in den Augen seiner Schwester erkennen. Hätte die Prophezeiung anders gelautet, wäre sie jetzt an Zeuxis´ Stelle. Er war trotz allem nur ein kleiner Junge, missbraucht von Mutter und Urgroßmutter, die sich am Göttervater rächen wollten. „Du bist deinem Vater an List und Stärke überlegen“, murmelte Athene leise und wandte den Blick ab. Unbewusst trat sie einen Schritt beiseite. Sie konnte diesen Wahnsinn nicht länger mitanhören, aber auch nicht gegen ihren Vater kämpfen, genauso wenig wie gegen ihren Bruder. Jegliche Worte des Zeus, seine eindringlichen Hinweise, dass der Junge eine Gefahr sei, und zerstört werden musste, sie wirkten so lachhaft, wenn sie ihren Zwillingsbruder betrachtete. Wie sollte dieser Junge ihm denn gefährlich werden? Zeuxis Blick wanderte zum Schicksalsteppich. Hier lagen Anfang und Ende. Die Schicksalsschwestern sponnen die Geschichte und auch die Lebensfäden. Das ganze Universum war vor ihm in Stoff gefasst. Um ihn herum wurde es dunkel. Er dachte an den lachenden Hephaistos, der mit den Zyklopen sein Handwerk perfektionierte, an Apollon, wie er Asklepios in die Arme schloss und an Persephone. Er wäre so gerne mit ihr unter dem Baum der Hesperiden gestanden, hätte ihr einen goldenen Apfel gepflückt und sie gefragt, ob sie ihn denn zum Manne nehmen wolle. Stattdessen würde sie alle nun der Tartarus erwarten, der finsterste Ort im Universum. „Es ist Zeit, mein Sohn. Dein Leben endet nun, doch deine Qualen beginnen erst.“ Zeus´ Stimme war kalt und erbarmungslos, und hinter sich, da konnte der junge Gott das vertraute Knistern der Blitze hören, die er mit sich führte. Er hatte eine Entscheidung getroffen, und zum ersten Mal in seinem Leben tat er dies aus freien Stücken. „Du hast Recht, Vater. Es ist Zeit, dass mein Leben endet, doch auch das Deinige.“ Mit einem Ruck zog Zeuxis einen der Blitze aus dem Köcher und warf ihn. Der Göttervater zuckte zurück, genauso wie Athene, doch beide waren nicht sein Ziel gewesen. „Nein!“, rief Zeus und streckte den Arm aus. Zeuxis´ Blitzkeil traf auf den Schicksalsteppich. Anfang und Ende, der Himmel, die Erde, alles verging in dem Moment, als Blitz und Donner auf das Schicksal trafen. Es herrschte allumfassende Schwärze. Weder Mensch noch Gott existierten. Es herrschte nur mehr das Chaos, so wie es zu Beginn war, bevor Gaia sich aus dem Nichts schälte und den Uranos gebar. Der Göttervater hatte einen entscheidenden Fehler in seinem Leben gemacht: Er hatte versucht, die Prophezeiung auf die gleiche Weise zu verhindern, wie es einst sein eigener Vater tat. Wofür Kronos von seinen Kindern gehasst worden war, wurde auch der Gott der Götter von seinen eigenen Kindern gehasst. Hätte er nur ein wenig anders gehandelt, so wäre der Welt dieses Schicksal erspart geblieben. Es gab aber ein Wesen im Kosmos, das glücklich war: Zeuxis, denn er hatte dem Universum eine zweite Chance gegeben. Sie alle befanden sich im Nichts, im Chaos, welches eines Tages vielleicht wieder die Erde, Gaia gebären würde. Die Geschichte, sie konnte sich erneut wiederholen, oder ganz anders ablaufen. Nun aber herrschte Stille und der Kreislauf würde vielleicht irgendwann von Neuem beginnen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)