Fäden des Schicksals von SuperCraig ================================================================================ Kapitel 5: Das Herz der Unterwelt --------------------------------- Je näher Zeuxis der Zitadelle kam, desto kälter wurde ihm. Mut- und Trostlosigkeit umschlangen sein Herz und hielten es in eisernem Griff. Das lag aber nicht an der Unterwelt, dem schaurigen Chor der trostlosen Schatten, nein, es lag an dem Gesang, oder vielmehr dem Wehklagen, das tief aus dem Herzen des Hades herausdrang. Eine Frauenstimme. Zeuxis war sich sicher, dass es sich dabei um Persephone handeln musste. Sie war nicht gerne in der Unterwelt und auch wenn Hades vielleicht sogar ein liebender Ehemann sein mochte, so gehörte sie nicht hierher. Persephones Mutter, Demeter, ließ vor Kummer und Schmerz über den Raub ihrer Tochter das Getreide nicht mehr wachsen. Die Menschen hungerten und der Göttervater hatte keine bessere Lösung gefunden, als den Raub durch Hades temporär zu billigen. Dabei begehrte er doch seine Tochter und Nichte so sehr, dass er ihr gemeinsames Kind zu seinem Erben bestimmt hatte. Zeuxis krallte sich in seinem Mantel fest. Bereits ohne Persephones bedrückende Mär war die Unterwelt ein leerer dunkler Ort gewesen. Mit ihrer Ankunft aber hatte sich die Situation noch verschlechtert. Die Schatten hatten zwar eine gütige Fürsprecherin erhalten, doch auch sie war nicht frei von Lastern. Adonis etwa hatte aus Eifersucht sterben müssen. Zeuxis war gespannt auf seine Schwester, und wie sie reagieren würde, wenn er von seinem Plan erzählte. Seltsamerweise traf Athenes Zwillingsbruder weder auf Wachen, noch sonstige Hindernisse. Das war ungewöhnlich. Ihn beschlich der Gedanke an eine Falle. Der Herr der Unterwelt wachte normalerweise akribisch über sein Reich und verließ dieses so gut wie nie. Wie Hades bei diesem trostlosen Gesang überhaupt arbeiten konnte, war seinem Neffen ein Rätsel. Er musste bereits seine gesamte Willenskraft aufbieten, um einen Fuß vor den anderen zu setzen, und dabei lauschte Zeuxis ihrer Stimme erst seit einer kurzen Zeit. Die blankgeschliffenen Stufen in das Herz des Hades hinein waren so kalt und eisig, dass Metis´ Sohn sie sogar durch die Schuhsohlen fühlen konnte. Wer hier entlangschritt, der musste wahrlich verdammt sein. Warum war die Unterwelt so gestaltet worden, zumal sogar die Götter irgendwann einmal hier wandeln würden? Natürlich war deren Aufenthalt zwar nur von kurzer Dauer, aber dennoch wäre es sicher möglich gewesen, den Menschen die Ewigkeit nicht derart grausam auszugestalten. Vor dem schmiedeeisernen Tor, welches mit allerlei Monstern und Fratzen versehen war, hielt Zeuxis an. Persephones Lamento war mittlerweile so besitzergreifend, dass er unbewusst in trübe Gedanken abgerutscht war. Er fragte sich, ob er nicht doch einfach nur ein Rachewerkzeug seiner Mutter und Urgroßmutter war, ob sein Vater nicht doch richtig gehandelt hatte… Entschlossen schüttelte er den Kopf und vergrub jeglichen Zweifel tief in seinem Inneren: Für solche Dinge hatte er nun überhaupt keine Zeit. Mit einem Ruck stieß er das quietschende Tor auf und betrat das Herz der Unterwelt. Der Palast selbst war deutlich ansehnlicher gestaltet, als man von außen meinen mochte. Kunstvolle Intarsien waren in die mit Holz verkleideten Gänge gehauen worden. Manche zeugten von heroischen Taten seiner Halbbrüder, wie etwa Herakles, der den Kerberos aus der Unterwelt herausschaffte, oder Theseus, der dem Schicksal eines frühen Todes entkommen war. Dann waren da Szenen, die er nicht zuordnen konnte. Sagenumwobene Monster und Bestien zerfleischten sich gegenseitig auf manchen Bildern, nur um ihm dann das Gefühl zu vermitteln, andere würden ihm mit den Augen folgen. Auch wenn der Geschmack fragwürdig sein mochte, so handelte es sich dabei zweifelsohne um meisterliche Handwerkskunst. Je näher Zeuxis der Quelle des Gesanges kam, desto freundlicher und wärmer wurden die Bilder. Noch immer gab es keine Wachen oder Hindernisse. Vielleicht glaubte Hades auch, dass niemand so dumm war, sich bei ihm einschleichen zu wollen. Im Stillen gab er seinem Onkel bei diesem Gedanken Recht: Persephones Stimme musste sämtliche Eindringlinge mit ungenügender Willenskraft abhalten. Nur noch wenige Schritte trennten Zeuxis von dem Raum, in dem Persephone sitzen musste. Er konnte ihre Silhouette sogar an den Wänden bereits erkennen. Ihr Schatten hatte sich über etwas gebeugt, saß an einem prasselnden Kaminfeuer, welches die Dunkelheit und Kälte der Unterwelt nur schwer in Schach zu halten mochte. Er war imstande innerlich zu zerbrechen. Kein gutes Zureden, kein noch so fester Wille, vermochte ihn dazu zu bewegen, die nächsten wenigen Schritte zum Ziel zu machen. Zeuxis fiel auf die Knie, wobei ihm die Lyra aus dem Mantel rutschte. Die Dunkelheit drohte ihn zu verschlingen. All die Trauer und die Schmerzen, die Persephone verspüren musste, konnte er fühlen, hatten sich in sein Herz geschlichen und trübten seine Sinne. Er wollte aufgeben und diesen wahnsinnigen Plan hinter sich lassen. Mit letzter Kraft schob er seine Hand nach vorne und umgriff das Musikinstrument, das einst Orpheus gehört hatte. „Hoffentlich hat Apollon nicht gelogen“, murmelte der junge Gott und zwang sich dazu, die Lyra in die Hand zu nehmen. Mit letzter Kraft legte er die freien Finger an die Saiten und begann zu spielen. Erleichterung machte sich in ihm breit, als die ersten Laute Persephones Gesang übertönten. Wie von selbst taten seine Finger ihr Werk und spielten eine Waise, die sogar ihren Urheber berührten. Wenn Orpheus wirklich hatte so spielen können, oder sogar noch besser, wie konnte man es da dem Gott der Toten verdenken, dass dieser ihm seinen Wunsch nicht hatte abschlagen können? Zum ersten Mal seit Langem durchzog ein Hauch von Hoffnung die Unterwelt. Jede Sekunde die Zeuxis auf der Lyra spielte, vertrieb Kummer und Schmerz aus den Herzen der Schatten. Ihr Wehklagen verstummte, während sie den Lauten lauschten, die dereinst bereits das Licht an diesen Ort gebracht hatten. Sogar Persephone hielt inne und der Musikant konnte erkennen, wie sich ihr Schatten aufrichtete. Langsam stand Zeuxis auf und schritt, fortwährend spielend, in den kahlen Raum, in dem Persephone saß. Hätte Apollon nicht seine Hände gelenkt, ihm wäre wahrscheinlich die Lyra aus den Händen gefallen. In einem Schaukelstuhl aus pechschwarzem Ebenholz saß seine Halbschwester. Sie hatte an einem Wandteppich gestickt, der noch in den Kinderschuhen steckte. Er würde wahrhaft schön werden, doch verglichen mit ihr, war das Stück Stoff hässlich, fast blasphemisch, sich in ihrer Nähe zu befinden. Persephone trug ihr honigblond gewelltes Haar offen. Es reichte ihr bis weit über die Schultern hinab und verdeckte den Rücken, der frei unter dem himmelblauen Kleid hervorlugte, welches ihre ranke Figur umspielte. Ihr Haupt zierte ein einzelnes goldenes Eichenblatt, das in die Frisur eingearbeitet worden war. Der blasse Teint verlieh der Königin der Unterwelt ein puppenhaftes Gesicht, dessen Züge faltenfrei und so wunderschön waren, dass sich Zeuxis fast darin verloren hätte. Die rehbraunen Augen musterten den fremden Besucher, der seiner Lyra noch immer die lieblichen Klänge entlockte. „Wie hatte sich Adonis nur für Aphrodite entscheiden können?“, ging es Zeuxis durch den Kopf. Natürlich war seine Tante wunderschön und eine flüchtige Vision von ihr hatte genügt, um in ihm das Begehren nach ihr zu wecken. Im Vergleich zu Persephone aber war sie aber nichts. Die Tochter der Demeter wirkte so unschuldig und rein, dass es ihn beschämte, sie überhaupt anzusprechen. „Wer bist du?“, fragte die Braut des Hades leise und brachte Zeuxis´ Herz zum Rasen. Auch wenn ihr Gesicht und ihre Stimme von Trauer zeugten, so bargen sie auch Hoffnung. Er verstand schlagartig, warum sein Onkel keine Wachen aufgestellt hatte: Niemand würde ihr jemals etwas Zuleide tun können. „Ich bin Zeuxis, dein Halbbruder.“ Seine Stimme war entsetzlich leise und wurde von den Klängen der Lyra beinahe verschluckt. Er konnte nicht aufhören zu spielen; die Angst vor Persephones erneutem Gesang war zu groß. Persephones Gesicht hellte sich ein wenig auf und das schwache Lächeln, welches nun ihre Lippen zierte, brachte den jungen Gott beinahe um den Verstand. Jede Faser seines Körpers, seiner Seele, schrien nach seiner Halbschwester, Auch sie wirkte kalt, wie das Mädchen in Delphi, und doch… „Meine Halbbrüder verirren sich in der Regel nicht zu mir. Meist müssen sie Heldentaten vollbringen, um in die Geschichte einzugehen, die sich darauf belaufen, dem Tod zu trotzen, oder irgendwelche Monster zu erschlagen.“ Sie klang dabei nicht einmal traurig. Es war eine schlichte Feststellung. War Persephone einsam? Wo war Hades? Der Gedanke an seinen Onkel hätte ihn beunruhigen müssen, dies war aber nicht der Fall. Persephone würde ihn nicht verraten, dessen war er sich sicher. Ihre Zeit war dennoch schwindend gering, denn auch ohne ihr Zutun würde der Herr der Unterwelt bald merken, dass etwas nicht stimmte. Die Lyra war nämlich nicht gerade leise. „Wie auch ich, Schwesterherz“, entgegnete der junge Gott und senkte dabei seinen Blick ein wenig. „Ich brauche deine Hilfe, wage es aber nicht danach zu fragen.“ Wie konnte er auch von einem Wesen von so unvergleichlicher Schön- und Reinheit verlangen, dass es ihm beistand? Auch wenn er nicht ihr Bruder gewesen wäre, so hätte er sie beschützen wollen. Persephone stand auf und lächelte dabei ein wenig mehr. Langsam schritt sie auf ihren lyraspielenden Halbbruder zu und legte eine Hand auf dessen Arm. Die Berührung brannte auf der Haut und doch sehnte er sich nach mehr. Seine Nase sog ihren Duft ein: Rosen und Lilien, durchzogen von einem Hauch von Myrrhe. „Du bist weiter gekommen als die meisten anderen. Zögere also nicht, Bruderherz.“ Beim letzten Wort hatte Zeuxis Mühe das Lyraspiel noch aufrechtzuhalten. Auch wenn sein Bruder seine Finger lenkte, so war der Drang, Persephone in die Arme zu schließen, beinahe übermächtig. Mit einer großen Kraftanstrengung öffnete Zeuxis seinen Mund und formulierte sein Anliegen. „Persephone, ich muss jemanden aus der Unterwelt führen, zurück ins Reich der Lebenden, am besten durch das Tor des Hyperion.“ Die Göttin nickte, wenn auch zögernd. „Um das Tor des Hyperion zu durchschreiten ist aber die Seele eines Gottes nötig, ist dir das klar?“ Natürlich wusste er das. Ihm wurde nun aber auch ein Problem klar, welches er bisher verdrängt hatte. Die Zyklopen waren selbst göttlicher Herkunft. Als Sprösslinge der Gaia und des Uranos war für sie der Weg in die Oberwelt kein Problem, doch Asklepios besaß nur ein göttliches Elternteil. Er konnte nicht durch Hyperions Tor schreiten, beziehungsweise wusste niemand, was bei einem halben Gott passieren würde. „Schwesterherz, ich…“, begann der junge Gott, dessen Lippen aber sofort von Persephones Zeigefinger versiegelt wurden. Ihr Lächeln vertrieb auch den letzten Rest an Kummer und Zweifel. Sie schüttelte nur den Kopf. „Ich entlasse deinen sterblichen Freund in die Oberwelt, kleiner Bruder. Aber welch göttliches Wesen wünschst du wieder unter den Lebenden zu wissen?“ Zeuxis atmete tief durch: „Die Zyklopen.“ Persephones Lächeln wurde schmaler. Sie betrachtete ihren Bruder eingehend und schien zu überlegen. Wenn sie ihn nach dem Warum fragte, so musste er seinen Plan offenlegen und sie in Gefahr bringen. „Ich werde ihre Geister zu Hyperions Tor geleiten lassen“, sagte sie schließlich nach einer Weile. Ihr Blick fiel dabei auf die Lyra in Zeuxis´ Händen. Sie las die Inschrift und lächelte nun wieder. „Apollon schickt dich, oder?“ Schweigend nickte er auf die Frage hin. „Ich werde auch Asklepios in die Oberwelt schicken.“ Danach beugte sie sich nach vorne und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Zeuxis wurde schwindelig, als die Lippen seiner Halbschwester seine Haut liebkosten. Diese Berührung brannte sich wie Feuer in sein Fleisch und erzeugte einen unerträglichen Schmerz, nach dessen Fortbestehen er sich groteskerweise Sekunden später bereits sehnte. „Versprich mir, mich zu befreien“, hauchte sie ihm zu und ging dabei wieder zurück. Wie hätte er ihr diesen Wunsch abschlagen können? In diesem einen Punkt konnte er seinen Vater verstehen: Persephone war wahrlich das lieblichste Wesen, welches sich Zeuxis vorstellen konnte. Hätte sie verlangt, dass er sich in ein Schwert stürzen sollte, er hätte es ohne zu zögern getan. „Natürlich“, flüsterte er und blinzelte, als das Lyraspiel endete. Sein Blick wanderte vom Musikinstrument zu Persephone. „Du musst rasch verschwinden.“ Panik ergriff die junge Göttin, die ihren Bruder mit sanfter Gewalt aus ihrem Gemach zu schieben versuchte. „Warum?“, fragte er verwirrt nach. Er wollte noch nicht gehen, eigentlich wollte er gar nicht mehr von Persephones Seite weichen. „Weil Hades bald zurückkehren wird.“ Woran machte sie das denn fest? „Verstehst du nicht? Apollons Zauber wird durch die Präsenz des Herrn der Unterwelt überdeckt. Darum hast du aufgehört zu spielen.“ In der Ferne war ein Grollen zu hören, dem Donner gleichend, der ein bevorstehendes Gewitter ankündigte. „Los, verschwinde! Eile zum Tor des Hyperion! Die Zyklopen warten bereits auf dich!“ Ein Ruck durchlief Zeuxis´ Körper und er war mit einem Mal wieder Herr seiner Sinne. Es hatte sich wirklich etwas geändert. Selbst Persephones freundliche Aura konnte die Kälte nicht vertreiben, die langsam an ihm emporkroch. „Aber er wird wissen, dass du ihn verraten hast!“ „Lass das meine Sorge sein, verschwinde!“ Damit schubste sie ihn nach draußen und drehte sich rasch um, um wieder in ihrem Stuhl Platz zu nehmen. Zeuxis wandte sich mit Gewalt vom Anblick seiner Schwester ab und hastete den Weg zurück, den er gekommen war. Keine Sekunde zu früh, denn Persephones Gesang begann erneut, und der junge Gott war sich sicher, dass er dieses Mal dem Kummer und Schmerz nicht hätte widerstehen können. Das Tor des Hyperion entpuppte sich als ein schmuckloser Rundbogen aus Metall, dessen Oberfläche einem Spiegel glich. Wabernd konnte man die andere Seite erkennen. Eine satte Hügellandschaft, gesäumt mit Gras und Bäumen lud zum Eintritt in die Oberwelt ein. Persephone hatte auch nicht gelogen was die Zyklopen anging: Ihre Schatten, zumindest nahm Zeuxis dass an, warteten vor dem Tor. „Na los, hindurch mit euch!“, trieb er die schemenhaften Wesen an. Einer nach dem Anderen folgte seiner Anweisung und er selbst sprang zügig nach. Entgegen des Portalbildes wechselte er zunächst in die absolute Schwärze. War etwas schiefgegangen? Hatte Persephone gelogen? Waren das überhaupt die Zyklopen gewesen? War seine Seele vielleicht nicht die eines vollwertigen Gottes? Fragen über Fragen, die alle verpufften, als er auf einem harten Untergrund aufschlug. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)