Fäden des Schicksals von SuperCraig ================================================================================ Kapitel 4: Der Acheron ---------------------- Zeuxis´ nächster Schritt würde ihn an einen Ort führen, der für Lebende, gleichsam Sterbliche und Götter, tabu war. Der Herrscher der Unterwelt war sein Onkel Hades und Namensgeber für einen Teil des Reichs der Toten. Den Eingang zu finden war einfach – es gab mehrere Flüsse die in die Unterwelt mündeten. Am Populärsten war der Styx, der den Hades siebenmal umfloss. Der Zweite, leichtere Zugang, bestand im Fluss Acheron, dessen undurchdringliche Schwärze ihm auch seinen Namen verlieh. Der Spross des Zeus hatte sich auf seiner Reise zum Eingang in die Unterwelt mit den Gepflogenheiten der Sterblichen vertraut gemacht. Ihrer Vorstellung nach war es notwendig die Begräbnisriten zu empfangen und auch einen Obolus für Charon den Fährmann dabeizuhaben. Wer dies nicht vorweisen konnte, dem war ein hundertjähriges Warten als Schatten beschieden. Seine Mutter hatte ihm vom Fährmann erzählt. Er sei ein alter, hässlicher Greis, der als unbestechlich galt, und nur Hades treu ergeben war. Die Dahingeschiedenen mussten für die Benutzung des Bootes zahlen und dabei selbst noch rudern, um am Ende als Schatten ihr Dasein im Jenseits fristen zu dürfen. Ein grausames Schicksal, das der Göttervater für die Menschen angedacht hatte. Hades selbst galt als stummer, grausamer Gott, den die Griechen fürchteten. Man hatte Angst seinen Namen auszusprechen und es gab nur wenige Kultstätten, an denen er aktiv verehrt wurde. Er war den Menschen vielleicht sogar noch verhasster als Zeuxis´ Bruder Ares, dabei war es Thanatos, der Tod, der die Sterblichen holte, nicht der Herr der Unterwelt. Verborgen zwischen Bäumen und Sträuchern schlängelte sich ein Pfad am Schwarzen Fluss entlang, hinein in eine Grotte, aus der ein Wehklagen ertönte, dass einem das Blut in den Adern gefrieren lassen konnte. Gaia hatte Zeuxis´ gewarnt, dass die Schatten ihn zerreißen würden, wäre er so töricht, vom Weg abzuweichen. Nervös zog er sich die Kapuze tiefer ins Gesicht und hielt direkt auf die Höhle zu, in der er den Fährmann vermutete. Zu beiden Seiten lungerten formlose Schatten, einem schwarzen Rauch gleichend, und glitten an ihm vorüber. Sie schienen ihn nicht zu bemerken oder wagten es nicht ihn anzurühren, da er göttlicher Herkunft war. Die Moiren hatten noch nicht angedacht seinen Lebensfaden zu zerschneiden, dennoch war Vorsicht geboten: Wer die Unterwelt einmal betrat, der war normalerweise auf ewig ein Gast des Hades. Das Stöhnen und Gemurre wurde mit jedem Schritt lauter. Beinahe unerträglich mutete der schaurige Chor an, der sich bereit machte, den Übergang in das Reich der Unterwelt zu wagen. Tief im Inneren lauerten nicht nur Schatten, sondern ganz andere Monster. Sein Onkel hatte das schlechteste Los gezogen, als es damals um die Verteilung der bekannten Welt ging. Poseidon konnte wenigstens im Meer sein Dasein fristen und man huldigte ihm, doch Hades…er war dazu verdammt, die missratensten Schöpfungen einzukerkern und jeden, selbst die Götter, am Ende in seinem Reich zu begrüßen. Irgendwann aber würde auch der Herr der Toten selbst in sein Reich eingehen. Was würde dann wohl passieren? Seine Urgroßmutter hatte nicht gelogen. An einem fauligen Holzsteg wartete tatsächlich Charon der Fährmann mit seinem Boot. Die dahinsiechenden Toten, alle emotionslos und blass, aber noch im Besitz ihrer eigentlichen, fleischlichen Hülle, händigten ihm ihren Obolus aus und stiegen in die Barke. Als Zeuxis die Grotte betrat, sah der Alte auf. Charon trug einen langen, filzigen Bart, der ihm bis zum Bauch hinabreichte. Er war dürr, aschfahl und die Augäpfel traten aus dem eingefallenen Gesicht hervor. In der rechten Hand hielt er einen Stab, ähnlich dem eines Hirten. Dreckige Nägel gruben sich in das Holz, als er seine Aufmerksamkeit dem einzigen Lebendigen in der Nähe schenkte. Der totenschädelähnliche Kopf neigte sich ein wenig zur Seite und der Fischerhut, den der Alte trug, verrutschte dabei ein wenig. „Du bist weder tot, noch wirst du alsbald sterben. Was willst du hier?“ Charons Stimme klang wie altes zerknitterndes Pergament. Er war genau so, wie ihn die Menschen beschrieben hatten. Die Unterwelt musste wahrlich ein schrecklicher Ort sein, voller Hoffnungslosigkeit und Trübsal, und dabei war sie noch nicht einmal der schlimmste Teil von Hades´ Reich. „Ich wünsche eine Audienz bei der Herrscherin.“ Zeuxis hatte sich die Worte bereits Tage zuvor zurechtgelegt. Hades direkt zu konfrontieren war wenig zielführend. Er wusste nicht, ob sein Onkel auch einen Groll gegen seinen Vater hegte; bei seiner Halbschwester Persephone war er da schon zuversichtlicher. Charon legte den Kopf in den Nacken und lachte schallend. Seine Kieferknochen knackten dabei und das Gelächter hallte von den Grottenwänden wider: „Und wen darf ich vermelden?“ Der Spott in seiner Stimme war nicht zu überhören. „Ihren Halbbruder“, entgegnete Zeuxis ruhig, was den Fährmann schlagartig verstummen ließ. Dieser hinkte, auf seinen Stab gestützt, heran und verzog das Gesicht dabei zu einer Fratze. Sein Atem roch faulig, wie verwestes Aas, und ihm fehlten mehrere Zähne. Käfer und Maden nagten an seinem toten Fleisch, als er sich zu Zeuxis hinabbeugte und diesen ganz genau musterte. Charon schnupperte am jungen Gott, der nur mit größter Mühe und Beherrschtheit nicht dem Drang nachgab, zurückzuweichen. „Wieder eines von den Götterblagen, hm?“ Während er sprach begann er Zeuxis zu umkreisen, wie eine Spinne, die ihre Beute sicher in ihrem Netz wähnte. „Etwas ist aber anders an dir. Du bist kein Sterblicher, nein.“ Der Alte sprach mit sich selbst und beschnüffelte den Sohn des Zeus eingehend. „Herakles? Nein. Hermes? Auch nicht.“ Je länger der Fährmann wirres Zeug sprach, desto mehr beunruhigte dies den jungen Gott. „Ich weiß es! Dein Vater ist Zeus, oder?“ Triumphierend reckte der Alte den Stab in die Höhe und brach erneut in schallendes Gelächter aus. Darum hatte er also zuvor seine Brüder aufgezählt. Herakles war bereits einmal in der Unterwelt gewandelt und Hermes tat dies regelmäßig. Der Totengott begrüßte nur wenige Besucher. „Und wenn dem so wäre?“ Zeuxis behagte das Gespräch überhaupt nicht. Wenn Charon ihn an Hades verriet, dann war es nur mehr ein Wimpernschlag, bis sein göttlicher Vater hier war, um ihn zu vernichten. „Dann habe ich einen äußerst prominenten Fahrgast, der obendrein generell nicht mit Sterblichkeit zu protzen scheint.“ Der Alte zischte wie eine Schlange, während er zum Boot zurückhumpelte und mit dem Kassieren der Münzen fortfuhr. Als das Boot beinahe voll war nickte er Zeuxis mürrisch zu: „Worauf wartest du noch?“ Schweigend setzte Zeuxis sich in die Barke und zog den Mantel dabei enger um sich. Von den herumsitzenden Toten ging eine eisige Kälte aus. Sie starrten ihn aus ihren leeren Augen heraus an, Alte wie Junge, Männer wie Frauen. Manche waren von schweren Wunden gezeichnet, die nicht bluten wollten, andere mussten sich an Pest und Seuche gerieben haben, bevor sie endlich sterben hatten dürfen. „Na los, bewegt euch!“, blaffte Charon und klopfte mit der Unterseite seines Stabes gegen die Bootswand. Im Takt dazu ruderten die stummen Fahrgäste und setzten die Barke so langsam aber sicher in Bewegung. Zeuxis wagte es nicht über den Bug hinauszuschauen. Wahrscheinlich schwammen dort Schatten und Leichen, die darauf lauerten, ihn in den Fluss zu ziehen. „Was hat der Göttervater diesmal vor? Hades zu entthronen? Die Königin früher als geplant an die Oberfläche zu holen?“ Charon stützte sich auf seinen Stab und schenkte seine Aufmerksamkeit dem lebendigen Teil seiner Gastschaft. „Nichts. Es ist mehr eine persönliche Angelegenheit zwischen Persephone und mir.“ Zeuxis hatte das ungute Gefühl, dass der Fährmann Lügen durchschauen konnte, also begnügte er sich mit einer Halbwahrheit. „Eine persönliche Angelegenheit, soso. Na dann wünsche ich viel Erfolg.“ Dieses Mal war Charons Spott noch beißender als vorhin. „Warum?“, erkundigte sich der junge Gott vorsichtig. „Dieses Mal ist es besonders schlimm. Die Königin kämpft wohl mit…na, wie nennt man das?“ Der Fährmann schnippte mit den Fingern: „Heimweh?“ Das war ein Umstand, der Zeuxis durchaus in die Hände spielte. Er hatte einen ungefähren Plan wie er Persephone dazu bewegen wollte, sowohl die Zyklopen, als auch Asklepios freizulassen. Letzterer war nicht unbedingt notwendig, doch er hatte es Apollon versprochen, und die Lyra, gut versteckt unter seinem Mantel, war eine Art Rückversicherung. Den Rest ihrer schaurigen Reise verbrachten der Fährmann und seine Mannschaft schweigend. Zeuxis konnte die Menschen gut verstehen: Der Eingang ins Reich der Toten hätte wahrlich anders gestaltet werden können. Kein Wunder, dass sie sich vor dem Sterben fürchteten. Nur die Wenigsten zogen in die elysischen Felder, das Paradies, ein. Als das Boot an einem Steg anlegte, war in der Ferne bereits wütendes Kläffen zu hören. Das Brüllen und Jaulen wurde immer lauter, gepaart mit dem Rasseln einer Kette. Charon grinste, als Zeuxis aus dem Boot stieg und die Kapuze tiefer in sein Gesicht zog. „Heute ist er besonders hungrig.“ Mit seinem Stab stieß er sich vom Steg ab und glitt schaurig lachend in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren. Kerberos, der dreiköpfige Hund, und Wächter der Toten, sorgte nicht nur dafür, dass kein Schatten mehr entkam, sondern auch dafür, dass kein Lebender das Reich des Hades betrat. In diesem Punkt hatte Zeuxis jedoch vorgesorgt. Er hoffte es zumindest. Wenn seine Bestechung auf taube Ohren stieß, so hatte er noch immer eine Alternative. Die Toten schienen zu wissen, wohin sie gehen mussten, und so beschloss der Sohn des Zeus ihnen durch einen Wirrwarr an Gängen zu folgen, die von Fackeln mit unheimlich blau leuchtenden Flammen erhellt wurden. Je näher sie dem Höllenhund kamen, desto nervöser wurde Zeuxis. Er fragte sich wie Herakles dieses Monster ohne Waffen niederringen hatte können. Orpheus war sicher mit seinem Gesang vorbeigekommen. Nach der letzten Biegung konnte sich Zeuxis mit eigenen Augen vergewissern, dass bei den Beschreibungen des Kerberos nicht übertrieben worden war. Ein riesiger pechschwarzer Hund mit drei Köpfen bewachte den Eingang zum Reich des Hades. Geifer und Schaum rannen dem Monster über die Lefzen und seine rotglühenden Augen beobachteten die Umgebung aufmerksam. Die Toten ließ er anstandslos passieren. Zeuxis griff unter seinen Mantel und holte einen schlichten Holzbecher hervor. Dieser war fest verkorkt. Innerlich zählte der junge Gott bis drei und warf dem Hund das Gefäß vor die Pfoten. Sogleich schnappten alle drei Köpfe danach und stritten darum, wer denn als Erster daran schnüffeln durfte. Das Holz zerbrach splitternd unter dem Gewicht des Hundes und drei Zungen leckten gierig am zähen Inhalt, der sich quer über dem Höhlenboden verteilte. Es dauerte eine Weile, bis das Mittel seine gewünschte Wirkung erzeugte. Im Schatten seiner Kapuze konnte man Zeuxis´ Lächeln sehen. Honig ließ den Wachhund tatsächlich müde werden. Taumelig tapste Kerberos umher, bevor er mit einem lauten Krachen dumpf auf dem Boden aufschlug. Alle drei Köpfe hatten ihre Augen geschlossen und die Kette, die den Hund an seinem Platz hielt, rasselte unter dem kontrollierten Atem des Monsters. Rasch huschte der junge Gott am Wächter vorbei und drang in das Reich seines Onkels ein. Er wusste ungefähr wonach er suchen musste und fand alsbald auch sein Ziel: Die Zitadelle des Hades ragte hoch empor, gehauen in den dunklen Stein, der die gesamte Unterwelt zeichnete. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)