Sommersturm von irish_shamrock (Vom Fremden verführt [SW 2o19]) ================================================================================ Kapitel 1: Sommersturm ---------------------- SOMMERSTURM Vom Fremden verführt Der Regen ergoss sich sintflutartig über das kleine Dorf. Begleitet von einem Grollen, das dicke, schwere Wolken mit sich führte und gleißend helle Blitze nach sich zog. In Sturzbächen rann das Wasser durch die Straßen, sodass es dem trockenen Boden kaum gelang, die immensen Fluten in sich aufzunehmen. Bäume wogen sich den stürmischen Böen, bogen sich beinahe ebenerdig, während Äste brachen und die Schindeln auf den Dächern gefährlich erschauerten. Diesem Sturm trotzte eine Gestalt, die kaum auszumachen war. Der Blick verschwamm mit jedem Schritt, das Herz pochte wild in Brust und Kehle. Der Fremde sprach sich murmelnd Mut zu, dass all das Unwetter bald ein Ende habe. Doch jede Bewegung glich einem kräftezehrenden Vorhaben. Schwäche – Der Mangel an Stärke und Durchhaltevermögen, nie und nimmer würde er sich jenen Beschreibungen für sein Scheitern beugen. So schleppte er sich durch die Gassen, reiste mit dem Strom, schien zu hoffen, dass jemand sein stummes Flehen erhörte. „Hinata?“ Die glockenhelle Stimme Hanabis wehte durch das Anwesen bis in das Zimmer des Mädchens hinein. Mit tapsenden Schritten eilte die Jüngste voran, um ihrer Schwester von der Entdeckung zu berichten, die sie beobachtet hatte. „Hanabi, nicht so hastig. Die Dielen sind vom Regen ganz glitschig und Vater und all die anderen sind nicht hier, um uns zu helfen, sollte dir etwas geschehen.“ Hinata wandte sich von dem großen Fenster ab. Die abertausenden Tropfen waren ihr wie ein Reigen und das Gluckern der Pfützen ein Kichern. „Komm' schnell!“ Ihr überschlugen sich, in all der Eile, die Worte. Hanabi schien wahrlich aufgebracht. „Nun komm' doch, Hinata!“ Mit raschen Schritten war das Haupthaus verlassen. Binnen weniger Augenblicke die Kleidung der Mädchen vom Regen durchtränkt. Dort, wo eine alte Steinmauer das Areal der Familie beschrieb, ein hiesiger Baum bei strahlendem Sonnenschein Schatten vergab, war einst von einem Mitglied der Dynastie, aus Liebe zu einer Frau, ein Loch geschlagen, das ihm zur Flucht verhalf. Doch die Liebe beider Seelen fand im Betrug eines Vetters sein jähes Ende. Den Mädchen gefiel diese gar zauberhafte Vorstellung, und jene Mär musste ein wenig Wahrheit in sich tragen, denn Worte allein nahmen nicht Stein um Stein mit sich. Wortlos huschte das erste Mädchen durch die steinerne Öffnung auf den schmalen Weg hinaus. Die mahnenden Worte der Älteren verhallten im stetigen Singsang des weinenden Himmels. Mit Mühsal gelang auch dem anderen Kind die Flucht vor der väterlichen Obhut, obschon jene Autorität nicht daheim verweilte. Die Beine waren ihm schwer, als fehle ihm jegliches Gefühl in den Gliedmaßen. Zu lang schon war er versucht, sich nicht der Erschöpfung zu ergeben. Seine Hand, an einem alten Gemäuer Halt suchend, glitt ihm fort. Der Atem ging ihm keuchend, vor Schreck verlor er an Stand. Er fiel und sah sich seinem Ende nah. „Was tut er hier?“ Aufregung ließ ihr die Stimme beben. Zitternd schlugen ihr die Zähne aufeinander. Hilflos blickte Hanabi zu ihrer Schwester auf, der jene Frage entkommen war. „Bitte, Hinata“, bat die Jüngste und langte nach dem Fremden, der zu ihren Füßen im Flussbett der Gasse lag. Zweifel zierte ihre Miene, doch das Flehen Hanabis genügte. Sie nahmen sich dem Unbekannten an. Halb hievten, halb zerrten sie die ermattete Gestalt durch jenen Riss im Mauerwerk, ehe sie den alten Baum passierten und endlich das Anwesen erreichten, das ihnen Schutz vor dem Aufruhr bot. Schlamm versagte ihnen einen Blick auf den jungen Herren. Sein Gesicht, von Schlick umhüllt, ließ keine Benennung seinerseits erkennen. Die Kleidung, nicht minder in Mitleidenschaft gerissen, war ihm schwer am Leib. Ein Keuchen entrann seinen Lippen. Die Mädchen jedoch erschraken vor Angst und Ehrfurcht zu gleich. Einem kurzen Aufbäumen nahe, kam er zur Besinnung. Doch noch ehe er ein Wort sprach, versagten ihm die Kräfte. Mit glühenden Wangen betrachtete Hinata den ungebetenen Gast ihres Hauses. Sie kannten einander, obgleich ihre Begegnung flüchtig war, schien die Zusammenkunft von einem Aufblitzen erfüllt, als habe sie eine höhere Macht ergriffen. Viele Monde hatten die Nacht erklommen, waren dem Spiel der Sonne ergeben. Ob es einer Fügung glich, dass er seinen Weg zurück in dieses Land, an jenen Ort, in diese Stadt, fand, vermochte sie nicht leugnen. „Du kennst ihn.“ Die wenigen Silben, die ihre Schwester sprach, waren keiner Frage gleich. Es war schwer, etwas vor dem Kind zu verheimlichen, wenn ihrer Familie ein Erbe zuteil geworden war, das Lügen sofort entlarvte. „Ja“, kaum hörbar war ihr jene Zustimmung von den Lippen gewichen. Kopf und Glieder waren ihm schwer, als sei ihm all das Leid der Welt eine Last. Das sanfte Licht einer kleinen Leuchte warf lange Schatten in Raum. Er spürte den Boden unter sich, vernahm einen Laut, ein Keuchen, das seinen Lugen entfloh. Die Stille um ihn war ihm trügerisch. War er ein Gefangener? Strafte man ihn für seine Taten, die jedoch einem höheren Ziel geschuldet waren? Vom Krachen und Krächzen der Naturgewalt war nichts mehr übrig. Ein Scharren und Schurren ließ ihn mahnend das täuschende Schauspiel fortführen. Schritte, so leichtfüßig sie auch waren, erschienen ihm wie das Grollen von Geröll in den Bergen, die er zu bezwingen versucht hatte. Die Pforte, die jenem Zimmerlein als Eingang diente, wurde zaghaft entriegelt. Zum Vorschein kam ein Mädchen, in der Hand eine Schüssel tragend, in Begleitung eines weiteren Kindes, das Tücher bereithielt. „Wir haben versucht, Euch zu säubern“, scheu entkamen dem ersten Mädchen jene Worte. „Da Ihr nun erwacht seid, werdet Ihr Euch selbst um jene Belange kümmern müssen, die uns nicht zustehen.“ Das zweite Mädchen schwieg, obschon in ihm der Verdacht reifte, dass das Kind zu gern dem Versuch erlag, sich mitzuteilen. Es war ihm unmöglich, zu bestimmen, woher die Mädchen um den Zustand seines Geistes wussten. Die Kunstfertigkeit eines Mimen war ihm nicht gegeben, miserabel sein Bemühen, die jungen Damen in die Irre locken zu können. Schweigend war der Besuch gegangen. Achtsam blieb er, doch niemand kam, um nach ihm zu sehen. Dampf zog sich kräuselnd zur Zimmerdecke hinauf. Ein wohltuender Duft umspielte ihm die Nase. Die Tücher waren weich und angenehm für seinen geschundenen Leib, der ihm vor Klage aufschrie, sobald er einen Muskel rührte. Doch er wäre kein Krieger, gelänge es ihm nicht, jene Pein niederzukämpfen. Zeit verstrich wie der warme Hauch aus dem Mund eines liebenden Mädchens, dessen klopfendes Herz ihrer Aufregung Zeuge war. Lautlos und bedächtig öffnete sich die Tür zu dem kleinen Raum erneut. Das Dunkel umhüllte die zarte Gestalt, die kaum hörbar auf ihn zuschritt. „Wie fühlt Ihr Euch?“ Mehr entkam nicht den Lippen Maid, doch die liebreizende Stimme rief etwas in ihm hervor. Ein Aufflackern der Bekanntheit, von Vertrauen, als sei dies eine Begegnung, die von Geschichte geschrieben und mit Feder tief ihre Seelen berührte. Sorge und Kummer füllten ihr die Worte, als habe sie bereits um ihn getrauert, noch ehe er gegangen war. Ein rasches Keuchen entrang sich ihr, sobald sie die grobe Wucht seiner Finger verspürte, die ihr die Hände hielten wie schwere Ketten. „Habt Ihr mich gerettet?“ Forsch und drängend verlangte es ihm nach Antwort, sobald sie neben ihn auf den Boden sank. Kümmerlich gelang dem Mädchen nur eine schwache Bekundung ihres Tun. „Meine … meine Schwester und ich fanden Euch während dieses gräulich-wütenden Sturmes“, gestand sie ihm wahrhaftig. „Euch gilt mein tiefster Dank, Fräulein.“ Jene Silben lösten ihr die starre Haltung. Warm wand sich das Blut in ihren Wangen, doch Vorsicht ließ sie mahnend verharren. Er ließ von ihr ab und einen Schwall wilder Gefühle in dem empfindsamen Wesen zurück. „Verzeiht mir mein Handeln“, bat er, doch keine Reue strafte seine Miene. Er bemerkte ihr Schwanken, dennoch schien ihm keinerlei Unbill zu drohen. „Wir haben Speisen für Euch herrichten lassen.“ Flink sprang das Mädchen auf die Füße und schickte nach jenem Mahl. Dass es ihm nach all der Beschwernis nach einem Schmaus verlangte, schrieb sie den brüllenden Lauten zu, die der Gast jedoch zu überhören gedachte. Die Nächte wichen den Morgenstunden. Sobald ihm das Glück hold, und die Erholung Einzug bei ihm hielt, versicherte er den jungen Damen seinen Schutz. Aus der Scheu erster Begegnungen, keimte Verbundenheit. Den Mädchen in Dankbarkeit ergeben, erzählte er von seinen Reisen und den Kriegen, die er führen musste. Sein Mut war es, unweigerlich, der ihn im Ansehen derer, die ihn beherbergten, faszinierend, furchtlos und heldenhaft erstrahlen ließ. Gebannt lauschten sie seinen Berichten, zeigten sich ehrfürchtig. Obschon die Jüngste der Schwestern die Fertigkeiten des Mannes lobte, erlaubte sich Hinata, in Schweigen, mehr als die bloße Verehrung seines Könnens. Neid war ihr nicht fremd, doch war sie stets geneigt, jenen Stachel der Niedertracht sofort zu entfernen, sollte dieser zu tief in ihrem Herzen nisten. Mit Sorge betrachtete die Älteste das Bleiben des Gastes. Wenngleich sie stets nach neuen Möglichkeiten haschte, sich ihm annähern zu dürfen, war es der Herr des Hauses, der, sowie er in das stattlich Haus zurückkehrte, dem Fremden mit unzügelbarer Wut begegnet war. Er rief sein Kind zur Vernunft, denn laut wurde ihm die Stimme, hallte gar bis in jenes Zimmerlein hinein, welches dem Gebeutelten als Unterschlupf diente. Der Herr sprach von Ehre und Pflichtgefühl. Familie, Verantwortung, einem Erbe und Traditionen, derer sich die Ältere versichern solle. Der Zweig des Baumes, der ihre Sippschaft beschrieb, dem das Führen der Familie, eines Geburtsrechtes wegen, versagt worden war, fände niemals Einzug in jenes Anwesen. Tränen flossen ihr wie Bäche von den Wagen. Widerspruch wart unterbunden. Hastig holperten ihr die Schritte voran. Ihr Wimmern verstummte jäh, als sie sich in den Armen des Fremden wiederfand. Er langte nach ihrer fragilen Gestalt, hielt sie und schwieg. „Ihr geht fort?“ Groß wurden ihr die Augen, sobald sie sich dem Moment ergab. Sein Nachtlager sorgsam geräumt, füllte eine Leere das Zimmer, als sei er nie hier eingekehrt. „Ich bin Euch, und Eurer Schwester, zu großem Dank verpflichtet, Hinata“, hob er an. „Dennoch gab mir Euer Vater dringlichst zu verstehen, dass mein Bleiben nicht länger geduldet wird.“ Die Worte des Abschieds wogen schwer und erschienen ihr nicht weniger bedrohlich als jener Sturm, der ihn, vor Tagen, in dieses Dorf, in jene Gasse getragen hatte. „Lasst mich mit Euch gehen!“ Die Eindringlichkeit ihrer Bitte ließ Staunen zurück. „Ihr seid von Gram getrieben.“ Wachsam war sein Blick. „Ihr tragt eine schwere Bürde.“ Sie wand, betrübt vor Kummer, das Haupt. „Ich appelliere an Euch. Ihr verspracht, uns zu beschützen. Dann bitte, nehmt mich mit Euch. Schützt mich vor meiner Familie, vor der Last, die mir auferliegt.“ „Hinata, ich darf Euch nicht von Euren Pflichten entbinden. Wir wären Geächtete, flüchtig.“ Sein Bestreben, nicht mehr Feinde um sich zu scharen, verlor sich in ihrem Flehen. „Wir lebten in Angst, wären dem Tode geweiht, ein weiterer Begleiter, der uns wenig nützt.“ „So bitte versteht doch: Ich kann diese Familie nicht führen. Mein Vetter, er ... er wäre geeigneter als ich. Doch ihm wurde jene Stellung entsagt. Und meine Schwester, sie – Hanabis Schläue wird der Familie eine große Stütze sein.“ Ihr Ersuch erschien ihr hoffnungslos, angesichts seiner Unerbittlichkeit. „Ich bitte euch nochmals: Nehmt mich mit Euch. Ohne Euch droht mir Schlimmeres als der Tod.“ Laut schlug ihr das Herz in der Brust. Die Stunden, bis die Sonne gegangen war, erschienen ihr endlos und ewiglich. Sie wünschte dem Vater und ihrer Schwester eine geruhsame Nacht, verabschiedete die Bediensteten und geduldete sich, bis die Düsternis über die Stadt kroch. „Trefft mich an jenem Baum, der vor der Mauer steht.“ Seine Worte waren ihr wie ein Versprechen, verhängnisvoll, aufgeregt. Sie fragte nicht. Vertraute auf ihn, sein Vorhaben, ihre Flucht. Die Nacht, von der Wärme des Tages schwer und drückend, verkündete in der Ferne ein Rumoren. Achtsam war ihr Blick, stets hinter sich schauend, ob nicht irgendwo ein Lichtlein aufflammte, das sie verriet. Jeder Schritt glich einem Affront und jede Bewegung, so unachtsam, würde sie zu Fall bringen. Wie er ihr versicherte, verharrte seine dunkle Gestalt am Stamme jenes Baumes. „Seht Ihr dieses, in das Mauerwerk geschlagene Loch?“, verlangte er zu wissen. „Ich kenne es. Es ist mir sehr vertraut. Dank dieser Mauer fanden wir Euch erst.“ Leise waren ihr die Worte. „Hinata, das ist unehrenhaft!“ Wie ein Kätzchen so leis, ertappte die Jüngste ihre Schwester mit dem Fremden. „Wie verantwortungslos du bist!“ „Dein Tadel hält mich nicht zurück.“ Jegliches Zittern, das sie vor Erregtheit erfasste, war gegangen. „Vater wird außer sich sein! Warum gehst du fort?“, verlangte die Jüngste zu erfahren. „Die Verantwortung, sie ...“ „Trag' du sie für mich, kleine Schwester“, bat sie in flehenden Tönen. „Hanabi, du bist so viel mehr Halt und so viel mehr Bewahrerin unserer Traditionen, unserer Familie, als ich es könnte.“ „Du stiehlst dich davon.“ Von Ohnmacht erfasst, war es dem Mädchen versagt, sich zu rühren. „Nein, ich gebe dir den Raum, den du brauchst, um jenen Weg zu gehen, für den du bestimmt bist.“ Die Worte ihrer Schwester vermochten die Unruhe nicht mindern. „Hinata, dies ist nicht wie in jener Geschichte, die wir so sehr mochten“, flehend und bittend wollte Hanabi die Älteste beschwören. Doch dieser huschte ein Lächeln über das liebliche Gesicht. „Nicht, wenn du mich gehen lässt.“ Die Jüngste öffnete die Lippen, doch kein Laut kam daraus hervor. „Hab' Vertrauen, Hanabi“, sprach Hinata, versuchend, das aufgewühlte Kind zur Ruhe zubringen. „Komm' wieder!“ Mit jener letzten Bitte, ließ Hanabi von ihr ab. Sie war von der Bürde befreit, entschlüpfte dem Willen und der Strenge des Vaters, mit einem Retter an ihrer Seite, der wie ein Sturm, plötzlich und unaufhaltsam, in ihr Leben trat. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)