Carminae Sanationis von Sanchez619 (Lieder der Heilung) ================================================================================ Prolog: Ein Morgen im Dämmerlicht --------------------------------- Der herbe Geschmack des Sencha ließ Stress und Sorge verfliegen. Grüntee wurde seit den frühen Jahren der Zanto Region von dessen Bewohnern geschätzt. Weshalb sollte das bei mir also anders sein? Seitdem sie heute morgen aufgewacht war, waren mir die Untergebene in den Armen gelegen oder sie hingen mir wegen irgendwelchen dienstlichen Sachen an den Ohren. Nun, ich konnte es ihnen nicht verdenken. Mizubion hatte seit der Zeit seiner Gründung kaum einen Fall, in der ein Gouverneur erkrankt war und gleichzeitig kein Familienmitglied aushelfen konnte. Doch ohne Vater und Mutter war dies scheinbar nur eine Frage der Zeit, bis so etwas passierte. „Ich weiß, dass ich dies schon gesagt hatte. Dennoch freut es mich, dass ihr aufgewacht seid, Fujimoto-sama.“ „Seit wann benutzt du diesen formellen Ton, Kai-kun? Kannst du dich etwa nicht erinnern, wie wir einst nackig an den nördlichen Stränden entlang geplanscht sind? Zumindest solange wir privat sind, solltest du ganz normal reden können.“ Mein kleiner Freund lief rot an. „M-mylady, ich glaube n-nicht, dass... w-war doch immerhin... wir waren noch K-kinder...“ Mehr bekam er nicht heraus. Kai war noch nie gut darin, seine Gedanken in Worte zu fassen. Vor allem, wenn ich ihn leicht bloß stelle. „Jetzt mach dir mal keine Gedanken, mein Freund. Ich weiß, dass Hanae auch dich zum perfekten Butler erzieht. Aber...“ Eigentlich wollte ich weiter reden. Allerdings wusste ich: Kai konnte warten, der Sencha nicht so sehr. „... sowohl unsere Oberhaushälterin als auch du sollten wissen, dass ich keine richtige Lady bin.“ „Das mag sein, aber...“ Typisch, Kai. Wieder im Satz abgebrochen. Allerdings war diese Stille nicht, weil Kai nicht wusste, was er sagen sollte. Ganz im Gegenteil. „Nun, was ist los, Kai? Du weißt, dass du mir alles sagen kannst.“ „Mylady, wenn ihr gestattet: Wir alle freuen uns so, dass ihr aus eurem Koma aufgewacht seid. Allerdings seid ihr noch recht schwach. Deswegen bin ich nur besorgt, dass ihr euch zu schnell überanstrengt. Gerade weil ihr euch zeigt, als wäre nichts gewesen...“ Kai presste sein Gesicht zusammen, als ob er jeden Moment eine Schelle ins Gesicht bekommen. Stattdessen war es still. Mucksmäuschenstill. Er hatte recht. Mein Körper fühlte sich immer noch träge an, als ob jemand die Fäden an einer Marionette durchtrennt hätte. „Du liegst falsch, Kai. Ich weiß, dass es noch nicht lange her war, wie ich wie eine lebende Leiche durchs Haus getaumelt bin. Vor Stress ausgesehen habe wie eine Vogelscheuche. Nicht zu reden davon, dass ich nicht einmal ans Grab meiner Familie gegangen bin, um richtig zu weinen.“ „Es tut mir aufrichtigst leid...“ „Nein, Kai. Mir tut es aufrichtigst leid. Ich sollte aufhören, jemanden zu spielen, der ich nicht bin. Ich bin nun mal keine Frau für das Büro, und ich bin auch keine Frau, die ihren besten Freunden etwas vormacht. Kann ich also auf deine Hilfe zählen, Kai?“ So exakt und versteift wie es nur ging verbeugte sich mein Butler „Ich diene euch mit all meiner Kraft, Fujimoto-sama. Darauf habt ihr mein Wort.“ „Danke, Kai“ Nach diesem etwas klischeehaften, aber herzerwärmenden Gespräch wandte ich mich wieder meinem Sencha zu. Die Abendsonne strahlte in einem sanften orangenen Ton durch das Fenster meines Schlafzimmers herab. Es erfüllte den Raum mit einer Wärme, die mich an die Geschichtsstunden mit meiner Mutter erinnert Ich kann mich lange nicht mehr an einen solch entspannten Moment erinnern. Wie schön wäre es, wenn ich doch nur so einfach eine Pause einlegen könnte. „Wissen wir eigentlich schon, ob Akito und sein Gefolge am Rudrekon-Gebirge angelangt sind?“ „Wir haben noch keine Nachricht von Akito-dono erhalten. Er sollte jedoch vor zwei Wochen angekommen sein. Nur...“ Eine weitere bedeutsame Stille. Kai wollte etwas sagen, aber nicht in einem zu lauten Ton. Daher ging er zu meinem Sessel und flüsterte. „...Vor etwa zwei Wochen hat sich nahe der Handelsstadt Tenchou ein Unfall ereignet. Eine Mine ist mitten in der Nacht eingestürzt und hat mehrere Minenarbeiter begraben. Auch wenn wir noch nicht alle Umstände wissen, halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass Akito-dono in den Vorfall verwickelt wurde. Ansonsten hätten wir bestimmt schon eine Antwort erhalten.“ Daraufhin trat Kai wieder zurück. Seine Schlussfolgerung machte Sinn. Die Minenarbeiter am Rudrekon-Gebirge waren nicht dafür bekannt, schlechte Tunnelsysteme zu graben. Wozu hätten sie sonst ihre Digdas, Stalobors etc. immer dabei? Allerdings... nun... Der Ruf von Akito Nakashimas – einst berüchtigter und gefürchteter Straßendieb, nun Erbe der Nakashima Familie – eilt ihm voraus. ~Na ja, Akito wird sich schon irgendwie herausbeißen. Er schien mir nicht die Art von Person zu sein, welchen man eben schnell um die Ecke bringen kann. Ich hoffe nur, dass es Emi gut geht...~ „Nun, es bleibt uns nichts anderes als auf das Beste zu hoffen. Ich glaube, dass ich für heute Schluss mache. Richte bitte Yamashita-san aus, dass ich ihn morgen zum Mittagessen einladen möchte. Uns steht noch eine Menge Arbeit bevor, und je mehr wir uns mit den Nakashimas verbünden, desto eher können wir unsere Probleme lösen.“ „Wird gemacht, Fujimoto-sama. Ich ziehe mich nun zurück.“ Nach einer versteiften Verbeugung verließ Kai den Raum. Nur zu gerne wäre ich auf Seiryuus Rücken gesprungen und hätte mich so schnell wie möglich in Richtung auf dem Weg gemacht. Doch noch musste ich mich etwas erholen. Weshalb also nicht den Moment mit einer Kanne Sencha genießen? „Ich danke euch für die Einladung, Fujimoto-sama. Mit Verlaub würde ich euch bitten, dem Koch mein Kompliment auszurichten. Das Karpador-Filet war exzellent.“ In typisch formellem Ton bedankte sich Yamashita-san für das Mittagessen. Für mich ist eine solch rigide Wortwahl etwas nervig, doch zumindest war das Lob für den Fisch ernsthaft gemeint. Matsuoka-san hat sich in seiner Kunst wieder mal so sehr übertroffen, dass ich fast meine Tischmanieren vergessen hatte. Man merkt, wer hier eine Meeresfrüchte-Liebhaberin ist. „Freut mich. Es ist sehr lange her, dass ich mit Gästen zusammen speisen konnte. Mit meiner neuen Position als Gouverneurin hat mir bislang die Zeit für ein ordentliches Essen gefehlt“ , sagte ich und griff nach dem Weinglas. Eigentlich würde ich nicht um die Tageszeit mit Alkohol beginnen. Allerdings ist es für einen Gastgeber aus Mizubion eine ungeschriebene Regel, ihren Gästen einen lokalen Tropfen anzubieten. „Des Weiteren möchte ich euren Dank erwidern. Mein Sekretär hatte mir schon berichtet, wie sehr ihr nach dem Vorfall mit den Tauri bei den Bergungs- und Restaurierungsarbeiten mitgeholfen habt.“ „Ihr braucht mir nicht zu danken, Fujimoto-sama. Das war doch das Mindeste, was ich für euch tun konnte. Ohne eine funktionierende administrative Leitung wäre die Versorgung von Bellesimen zusammen gebrochen.“ „Da habt ihr nicht unrecht. Mizubion hat leider in letzter Zeit nicht viele Leute ausgebildet, die sich mit politischen oder bürokratischen Themen auskennen. Und wenn, gehen sie nach Honshuu, um für das Parlament zu kandidieren. Tja, niemand möchte Sekretär sein, nicht einmal in der Hauptstadt Mizubions.“ Darauf nahm ich nochmal einen Schluck aus dem Weinglas. Diesmal jedoch nicht aus Zwang. „Trotzdem möchte ich noch einige andere Dinge ansprechen. Was wisst ihr derzeit über den Skyward-Vorfall?“ Yamashita-san atmete auf diese Frage tief durch. „Wissen tun wir nicht viel. Wie zuvor können wir nur vermuten, was der Grund für das Ableben von Schülern, Lehrern und Pokemon der einzigen Pokemon-Akademie Skywards ist. Allerdings...“ Mit diesen Worten zog er einen Zettel und eine Schreibfeder heraus. Nach etwa einer Minute faltete er diesen Zettel und schob ihn mir rüber. „Nakashima-sama vermutet, dass es sich um das Werk eines Dakrai handeln könnte. Neben der Tatsache, dass nur dieses mystische Pokemon die Kraft besitzt, einen solchen Tod durchzuführen, würde es mit dem Anstieg an Dunkel-Pokemon in den letzten Jahren korrelieren. Bislang behielt er allerdings dieses Wissen für sich. Immerhin sind viele Erzählungen und Dokumente über mystische Pokemon nicht öffentlich bekannt. Sollte sich dies verbreiten, würde dies die öffentliche Unruhe nur verschlimmern.“ Still anerkennend legte ich den Zettel zur Seite. An diesem Punkt hätte ich nicht mehr sagen können. Diese Sache mit Dakrai wäre beunruhigend, sollte sie sich als wahr entpuppen. Doch zu der Zeit hätte niemand etwas dagegen tun können. „Es tut mir leid, dass ich Euch nicht mit weiteren Informationen dienen kann. Deswegen möchte ich euch eine Einladung von Nakashima-sama übermitteln. Er wird in etwa zwei Wochen nach Honshuu reisen, um sich dort mit Sprechern der derzeitigen Regierung zu treffen. Wenn ihr euch zu diesem Zeitpunkt erholt habt, würde es meinen Herrn freuen, ebenfalls mit euch sprechen zu können.“ Nach ein paar anderen, langweiligen Geschäftsbesprechungen konnte ich endlich raus fahren. Schon seit fast drei Monaten war ich nicht mehr auf unserer privaten Pokemon-Ranch. Zum Glück war sie nur ein Mauzisprung von Bellesimen entfernt. Zehn Minuten später wartete eine etwas betagte und seriös wirkende Frau in einer Dienstmagduniform vor meiner Kutsche. Seit heute morgen war sie dort und richtete alles für die Ankunft ihrer süßen Ayumi-hime her. Na ja … besser gesagt, sie ließ alles ordentlich herrichten. Wenn sie doch wenigstens halb so liebevoll mit unserer Bediensteten wäre wie mit ihrer kleinen Prinzessin... „Endlich seid Ihr angekommen, Fujimoto-sama! Ich hoffe, euch ist nicht auf der Fahrt unwohl geworden! Darf ich euch etwas bringen? Tee? Gebäck? Vielleicht auch...“ „Alles in Ordnung, Hanae...“ erwiderte ich, während ich an der Umarmung meiner Ziehmutter erstickte. „Ich wollte nur sehen, wie es Seiryuu geht.“ „Aber natürlich, Mylady! Kommt, euer lieber Kumpane sollte seit gut einer halben Stunde mit seinem Futter fertig sein...“ Noch während sie weiterredete, zerrte sie mich in Richtung Ställe mit. Anbei gab sie zum besten, was alles in den letzten drei Monaten passiert ist. Kurz gesagt: Es war alles wie immer. Immerhin kam ich so schnell zu meinem Partner. Der war mittlerweile dabei, sein Stallabteil zu säubern. Dafür, dass Brutalandas äußerst gefürchtet sind, war meines recht pflegeleicht. Und auch recht anschmiegsam. So konnte er mich schon wittern, bevor ich überhaupt im Stall war. Wie auf Signal kam Seiryuu auf mich zugeschnellt und schmiegte sich an mich. „Na, Seiryuu? Wie geht’s dir? Tut mir leid, dass ich so schwächlich wirke. Ich war lange nicht mehr an der frischen Luft, weißt du? Das blau getönte Brutalanda schnaubte beruhigt. Auch wenn ein Monat unbewusst im Bett nicht schön ist, konnte es für Seiryuu nicht leicht gewesen sein. Gezähmt oder nicht, er ist und bleibt ein Drachen-Pokemon. Selten bekommt man sie zu Gesicht und so gut wie niemand konnte sie bändigen. Die Ausnahme? Nun, vielleicht hilft es, wenn man seit klein auf mit einem von ihnen zusammen gelebt hat. „Ganz ruhig, Seiryuu. Ich bin wieder bei dir, und bei dir bleibe ich auch, okay?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)