Lichtspiele V - Sonnenleuchten von -Red-Karasu ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Lichtspiele V   Sonnenleuchten   Zum ersten Mal in den letzten Wochen erwachte Uruha mit einem Gefühl vollkommener, entspannter Zufriedenheit, das ihn dazu brachte sich noch einmal bewusst etwas mehr in die gemütliche Matratze des Boxspringbettes zu kuscheln und tief durchzuatmen. Durch die halb offenstehende bodentiefe Fensterfront, die das Schlafzimmer begrenzte, driftete frische Luft ins Zimmer, die jetzt noch angenehm kühl war und den Geruch von nächtlichem Regen mit sich brachte, der seine Nase kitzelte. Für einige Atemzüge verharrte er einfach so, die Augen geschlossen, nahm die ihm fremde morgendliche Geräuschkulisse in sich auf, die ihn außer mit dem Rauschen des Meeres und dem gelegentlichen Schreien des ein oder anderen Vogels mit angenehmer Stille begrüßte. Kein Großstadtlärm. Wie traumhaft. Als wäre das hier nicht nur ein anderes Land, sondern eine vollkommen andere Welt und sein Alltag Lichtjahre entfernt. Mit einem halb unterdrückten Gähnen drehte er sich schließlich auf die Seite und linste über eine Ecke seines Kissens hinweg in Richtung Fenster. Die Sonne war bereits aufgegangen, trocknete das regennasse Holz der privaten Veranda, die zu ihrer Suite gehörte und den gepflegten Weg, der in Richtung Strand führte. Sollten sie sich dazu überwinden können ihr Zimmer zu verlassen, könnten sie ja vielleicht sogar direkt am Meer frühstücken. Ein kleines Grinsen zupfte an seinen Lippen, als er darüber nachdachte. Frühstücken am karibischen Meer. Wenn das mal nichts war.   Das hier war wirklich das beste Geschenk, das sie hätten bekommen können, selbst wenn er anfangs von der Idee – oder eher von der Aussicht auf den langen Flug – nicht so richtig begeistert gewesen war. Wenn der Rest ihrer Zeit hier ebenso verlief, wie ihre Anreise es versprochen hatte, dann würden sie ausgeruhter als je zuvor nach Japan zurückkehren. Mit einem leisen, genießerischen Seufzen streckte er sich etwas, genoss das Gefühl der glatten Laken auf seiner Haut, bevor er sich langsam aufsetzte und seine Zehen im weichen Teppich, der neben dem Bett ausgebreitet worden war, vergrub. Einen Moment lang verharrte er einfach so, sah durch die Glasfront nach draußen, wo die langen Blätter der Palmen verspielt im Wind tanzten und ließ diesen Anblick auf sich wirken. Bevor er aufstand, warf er noch einen Blick auf Aoi, der aber wie so oft einen tieferen Schlaf zu haben schien, als er selbst, und durchquerte dann vorsichtig auf nackten Füßen das Schlafzimmer. Nach den flauschigen Fasern des Teppichs waren die hellen Bodenfliesen angenehm glatt und kühl unter seinen Fußsohlen. So leise wie möglich öffnete er die Tür zu ihrer Veranda etwas weiter, trat hindurch und konnte nicht anders, als noch einmal bewusst tief durchzuatmen, den ungewohnt würzigen Geruch von tropischem Regen in seine Lungen zu saugen. Die Morgensonne war schon jetzt angenehm warm auf seiner Haut, ließ das klare Wasser in ihrem privaten Pool – den sie später unbedingt einweihen mussten, darauf würde er bestehen – einladend glitzern. Mit den Fingerspitzen berührte Uruha das Wasser, lächelte zufrieden, als er dessen angenehme Temperatur fühlte. Und jetzt, wo er sah, wie nahe der Strand tatsächlich war, hätte er beinahe Lust sich auch diesen schon einmal anzusehen, solange er noch so vollkommen menschenleer war. Er müsste nur die wenigen hölzernen Treppenstufen nach unten gehen, die die Veranda vom Boden trennten und dann wären es sicher keine zwanzig Meter mehr, bis er den feinen, selbst im Morgenlicht beinahe weiß wirkenden Sand zwischen den Zehen hätte. Auf der anderen Seite wollte er nicht riskieren, dass Aoi gerade dann aufwachte, wenn er nicht da war und sich wunderte, wohin er verschwunden sein könnte. Das hier waren schließlich ihre Flitterwochen, da sollten sie den Tag auch gemeinsam beginnen können. Auch, wenn es ihn selbst schon in aller Frühe aus dem Bett trieb.   Er warf einen letzten verlangenden Blick in Richtung Strand, dann drehte er sich um, verharrte aber noch einen Moment im Türrahmen. Mit einem versonnenen Lächeln sah er hinüber zum Bett, wo Aoi den neu gewonnen Platz gerade nutzte, um sich noch immer schlafend und alle Viere von sich gestreckt auf den Rücken zu drehen. Im warmen Morgenlicht bekam seine Haut beinahe einen bronzenen Ton, der durch den Kontrast zur strahlend weißen Bettwäsche nur noch stärker hervortrat. Uruha konnte sehen, wie die Hand seines Liebsten kurz zuckte, eine ins Nichts greifende Bewegung machte, bevor er sich nun auf die Seite wälzte und eines der vielen Kissen wie ein Kuscheltier an sich zog. Ugh, furchtbar wie niedlich das gerade aussah, das war ja nicht zum Aushalten. Im Gegenteil, er fühlte sich vom Anblick seines Liebsten quasi magnetisch angezogen.   Uruha erschauderte ein wenig, als ihn ein kühler Windstoß streifte und Gänsehaut über seinen Körper schickte. Für einen Moment zog er die Schultern etwas zusammen, dachte kurz daran, wie angenehm eine ausführliche Dusche jetzt doch wäre, um sich wacher und vor allem erfrischt zu fühlen. Aber noch bevor er in Richtung Bad losgehen konnte, wanderte sein Blick wieder zu Aoi und er beschloss kurzerhand, dass diese auch noch warten konnte, bis sein Schatz irgendwann ins Reich der Lebenden zurückgefunden hatte. Allein schon, weil sie mehr als groß genug für sie beide war und sie hier alle Zeit der Welt hatten. Also schlenderte er vorerst, hier und da Details ihrer Suite näher inspizierend, zurück ins Schlafzimmer und kroch lieber wieder in ihr gemeinsames Bett. Vielleicht konnte Uruha ihn ja später irgendwie dazu überreden, dass sie sich etwas ähnliches wie dieses Modell zulegten, denn er wusste wirklich nicht, wann er das letzte Mal so gut geschlafen hatte, wie in der letzten Nacht. Er rekelte sich kurz in den kühlen Laken, zog die dünne Bettdecke ein Stück weit über sich, da sein Schatz sie ausnahmsweise nicht vollständig für sich beansprucht hatte, hielt dann aber inne. Rein aus Reflex hatte er mit einer Hand schon halb nach seinem Handy gegriffen, um wie jeden Morgen einfach ein bisschen zu schauen, was im Rest der Welt gerade passierte und sich die Zeit zu vertreiben bis sein Dornröschen erwachte. Aber auf der anderen Seite: Was interessierte ihn jetzt eigentlich der Rest der Welt? Er war mit seinem Partner – nein falsch mit deinem Mann! – nicht nur im Urlaub, sondern in einem wortwörtlichen Paradies, da konnte das echte Leben eigentlich wirklich ein bisschen auf sie warten. Mit einem innerlichen Kopfschütteln gratulierte er sich zu dieser erstaunlichen, neu gewonnenen Erkenntnis und rückte mit einem Lächeln auf den Lippen etwas näher in die Mitte des großen Bettes. Vorsichtig legte er einen Arm um Aoi, schmiegte sich an seinen warmen Körper, immer darauf bedacht ihn auch jetzt nicht zu wecken. Schließlich war ihre Anreise nicht zuletzt dank einer vollkommen unnötigen Flugverspätung lang und anstrengend genug gewesen und sie erst spät am Abend hier angekommen. Er hatte zwar keine Möglichkeit etwas daran zu ändern, dass er selbst trotzdem schon wach war, aber zumindest seiner fast frisch angetrauten besseren Hälfte konnte er ja noch ein bisschen Ruhe gönnen. Auch wenn die Tatsache, dass er selbst eben nicht mehr im Reich der Träume weilte, anscheinend schon dafür ausreichte, dass es ihm schwerfiel seine Hände von Aoi zu lassen. Vor allem, wenn ihm gerade einmal wieder bewusst wurde, was für ein unfassbares Glück er in seinem Leben eigentlich hatte. Da war es ihm dann auch wirklich herzlich egal, dass den japanischen Staat ihre Eheschließung in einem Tempel irgendwo in Kyoto herzlich wenig interessierte und sie vermutlich nie wirklich anerkennen würde. Sie hatten sich vor ihren Familien und Freunden versprochen den Rest ihres Lebens miteinander zu verbringen – was konnte er mehr wollen? Allein die Tatsache, dass sie diesen Schritt nach all der Zeit überhaupt gegangen waren, bedeutete ihm mehr als alles andere und er konnte definitiv sagen, dass er noch nie ein Versprechen lieber gegeben hatte, als dieses. Selbst jetzt, nachdem die Zeremonie schon einige Monate her war, ertappte er sich manchmal dabei, dass er Aoi ansah und es kaum fassen konnte, dass sie wirklich immer zusammen sein würden. Aber immer, wenn das der Fall war, konnte er, genau wie jetzt, an seinem Ringfinger das schmale Band aus mattem Platin spüren, dass Aoi ihm an ihrem gemeinsamen Tag geschenkt hatte und das ihm in all seiner schlichten Eleganz unendliche Sicherheit zu geben vermochte. Nicht, dass er Aoi oder ihre Beziehung bisher infrage gestellt hätte, ganz im Gegenteil, aber das hier war dann doch noch einmal etwas anderes. Ein greifbarer Beweis ihrer Gefühle füreinander, der für ihn an manchen Tagen zum Anker in seiner kleinen Welt geworden war, wenn er ihn an ihren beiden Ringfingern sehen konnte. Liebevoll ließ er seine Blicke über Aois Profil wandern, bewunderte die Art, wie sein dunkles Haar das Tageslicht geradezu einzufangen schien, bevor er sich etwas nach vorn beugte und einen kleinen Kuss auf die leicht gebräunte Haut seiner drückte. Für einen Moment verharrte er so, genoss die Wärme und die Ruhe dieses Moments, das Glücksgefühl, das sich in ihm aus breitete, wenn er den vertrauten Geruch seines Mannes einatmete. Einfach, weil sie zusammen hier waren und nichts und niemand auf der Welt ihm das wegnehmen konnte. Egal wie stressig ihr Leben wieder sein würde, wenn sie zurück in Tokyo waren, von ihrer Zeit hier würde er lange zehren können, wenn sie aufgrund ihrer vollen Termine mal wieder kaum Zeit füreinander haben würden. Nur ein Grund mehr, um jede Minute hier vollends auszukosten. Er konnte gar nicht anders, als seine Lippen erneut über Aois Schultern wispern zu lassen, mit ihnen den Linien aus dunkler Tinte zu folgen, die sie schmückten, nur um letztlich noch einen weiteren Kuss in die kleine Senke über seinem Schlüsselbein zu setzen und dort erneut zu verharren. Uruha hatte immer geglaubt, dass sein Leben schon mehr als erfüllt war, hatte nie wirklich irgendetwas vermisst, oder zumindest wäre ihm nichts eingefallen, wenn man ihn gefragt hätte. Allein deshalb wäre er vielleicht nie auf die Idee gekommen zu heiraten – von der gesetzlichen Unmöglichkeit in fast allen Teilen des Landes mal abgesehen. Und selbst wenn er daran gedacht oder heimlich davon geträumt hätte Aoi zu heiraten, so wie er sich kannte, hätte er sich nie und nimmer getraut diesen Schritt zu gehen und seinen Wunsch in die Tat umzusetzen. Allein beim Gedanken daran irgendwie einen Heiratsantrag planen zu müssen, wollte er spontan in Angstschweiß ausbrechen. Aber glücklicherweise kannte Aoi ihn mindestens ebenso gut, wie er sich selbst, sodass am Ende nicht nur der Antrag einfach eine perfekte Überraschung gewesen war, die ihn quasi sprachlos zurückgelassen hatte. Nein, das Gleiche galt für ihre kleine Zeremonie, die dank der tatkräftigen Unterstützung ihrer Freunde und Familie definitiv zum Sahnehäubchen ihrer Beziehung geworden war. Selbst, wenn er währenddessen vor Nervosität beinahe tausend Tode gestorben wäre. Uruha schloss die Augen und konnte, so an seinen Mann gekuschelt, nur in sich hineinschmunzeln. Im Nachhinein war seine Aufregung natürlich vollkommen unnötig gewesen, aber er wäre nicht er, wenn ihn das davon abgehalten hätte beinahe zu hyperventilieren, als Aoi ihm seinen Ring angesteckt hatte. Auf der anderen Seite war das Gute am Heiraten ja, dass man es im Idealfall nur einmal im Leben tat, sodass er zumindest nicht zu befürchten hatte, das noch einmal durchstehen zu müssen. Zumindest wollte er das seinem Angetrauten geraten haben, denn er selbst war sich ausnahmsweise einmal sicher, dass er nie etwas anderes als das hier wollen würde, wenn es nach den letzten Jahren ihrer Beziehung und den ersten Monaten dieser Ehe ging. Oder vielmehr war er sich sicher, dass er nie jemanden anders als Aoi wollen würde. Und im Prinzip hatte die Zeremonie ja auch nicht wirklich viel verändert. Ihr Leben war auch danach hektisch wie eh und je – schließlich war es nicht zuletzt ihr voller Terminplan gewesen, der dafür gesorgt hatte, dass sie ihre Flitterwochen erst jetzt antreten konnten. Aber, wie er im Laufe seines Lebens hatte lernen dürfen, auf gute Dinge zu warten lohnte sich eben durchaus. Und jetzt waren sie hier und hatten drei wunderbare, sonnenverwöhnte Wochen nur für sich. Ein Umstand, der nicht zuletzt auch der Tatsache zu verdanken war, dass sie die vermutlich besten Freunde und Bandkollegen der Welt hatten, die diese traumhafte Auszeit in Mexiko überhaupt erst möglich gemacht hatten. Besser konnte das Leben kaum sein. Einmal mehr nahm er einen tiefen Atemzug der frischen Morgenluft und sah, als er die Augen wieder öffnete, unversehens direkt in Aois, der seinen Blick stumm und noch immer ziemlich verschlafen erwiderte.   „Du bist ja wach.“ „… Mehr oder weniger …“ Die Stimme des Älteren war ein wenig heiser und sein müdes Lächeln ließ einen Schwarm Schmetterlinge in Uruhas Bauch aufstieben. Er streckte sich ein wenig, um seinem Schatz einen flüchtigen Guten-Morgen-Kuss auf die vollen Lippen zu drücken, bevor er zu einer Antwort ansetzte. „Und da war ich gerade dabei zu überlegen, wie ich dich am besten aufwecken könnte“, meinte er mit einem schelmischen Grinsen, das Aoi mit einem Lachen quittierte, als er die Arme um ihn schlang und ihn näher zu sich zog.   „Mh, da scheine ich dann wohl Pech zu haben, was?“   „So sieht‘s mal aus. Das nächste Mal einfach noch nicht aufwachen.“ Selbst wenn Uruha gewollt hätte, wäre es ihm nicht möglich gewesen, sich gegen das Honigkuchenpferdgrinsen zu wehren, das sich gerade auf seinem Gesicht ausbreitete. Es war einfach alles zu schön und er zu glücklich. So sehr, dass sogar das sonst immer währende Karussell seiner Gedanken ausnahmsweise zu verstummen schien.   „Ich könnte mich kurz schlafend stellen?“, schlug Aoi vor, die Augenbrauen fragend etwas nach oben gezogen.   „Keine Chance.“   Noch bevor sein Mann erneut zu irgendeiner Art von Widerspruch ansetzen konnte, brachte Uruha ihn zum Schweigen, indem er ihn in einen nun deutlich weniger zurückhaltenden Kuss verstrickte, auch wenn er wusste, dass dies nur Nachteile für seine kognitiven Fähigkeiten mit sich bringen würde. Aber damit konnte er leben, wenn er ehrlich war. Er rückte noch etwas näher, um seine Finger in Aois ohnehin schon vollkommen zerstörter Frisur zu vergraben, fast als wollte er ihn so bei sich halten, ihm keine Chance geben, diesen Kuss irgendwie vorzeitig zu beenden. Für einen Moment schien er Aoi mit seinem Enthusiasmus ein wenig zu überrumpeln, denn es dauerte ein, zwei Herzschläge, bis der wirklich auf den Kuss einging. Dann jedoch reckte er sich Uruha geradezu entgegen, zog ihn nur noch enger an sich und schien alles in allem auch kurz nach dem Wachwerden dazu bereit ihn vollkommen um den Verstand zu küssen – was ihm erfahrungsgemäß auch problemlos gelingen würde. Mit einem ergebenen Seufzen gab Uruha die Kontrolle über den Kuss auf, schmolz förmlich gegen den vertrauten Körper seines Mannes, der ihn auch nach über zehn gemeinsamen Jahren mehr anzog, als jeder andere auf diesem Planeten. Es war beinahe unfair, dass er selbst nach all dieser Zeit einfach nicht genug von Aois Küssen, seinen Berührungen und seiner Nähe bekommen konnte und wie leicht der andere es wiederum schaffte, Uruhas Körper in helle Aufregung zu versetzen. Er wollte es nie wieder anders haben. Leicht widerwillig löste er schließlich den Kuss, um für einen Moment nach Luft zu schnappen, während seine Finger automatisch weiter durch Aois dunkles Haar strichen. Gedankenverloren fuhr er mit der Zungenspitze seine Unterlippe entlang, sah einfach nur versonnen auf Aoi hinunter.   „Es ist schön hier so mit dir aufzuwachen“, sprach er schließlich leise den einzigen Gedanken aus, der in seinem Kopf gerade Platz hatte.   „Ich finde es eigentlich immer schön, mit dir aufzuwachen.“ Ein liebevolles Schmunzeln huschte über Aois schönes Gesicht, als er eine Hand an Uruhas Wange legte, sie sanft mit dem Daumen streichelte. „Was ist heute denn anders?“, wollte er dann wissen.   „Na ja, hier geht es nur um uns.“ Er wandte den Kopf etwas, drückte einen kleinen Kuss in die Handfläche seines Liebsten, bevor er fortfuhr. „Wir müssen nirgendwo hin, keiner will etwas von uns, wir können einfach mal nur … sein. Das haben wir so selten.“   „Stimmt.“ Aoi hielt für einen Moment inne, in dem Uruha förmlich sehen konnte, welche Gedanken sich in seinem Kopf abspielten. „Ein Grund mehr, dass du mir zeigst, wie du mich wecken wolltest“, folgte dann auch eine Reaktion, wie er sie schon vermutet hatte.   Er konnte nicht anders, als zu lachen, vergrub sein Gesicht an der Schulter seines Angetrauten und schüttelte den Kopf, froh darüber, dass der andere ihn so gut kannte, dass er den leisen Anfall von Wehmut in ihm bereits im Keim ersticken konnte.   „Vergiss es“, nuschelte er dann gegen Aois weiche Haut, ließ es sich nicht nehmen, sacht daran zu nippen. Als hätte er alle Zeit der Welt, arbeitete er sich so an seinem Hals nach oben, bis er Aoi die nächsten Worte ins Ohr flüstern konnte. „Du hast noch drei Wochen, in denen du versuchen kannst, lang genug zu dafür schlafen.“   „Und hier dachte ich, dass ich in meinen Flitterwochen ein bisschen verwöhnt werde …“   Uruha richtete sich etwas auf, um ihn mit seinem liebenswürdigsten Lächeln ansehen zu können.   „Was glaubst du, wozu wir All-Inclusive gebucht haben?“   „Damit es uns an nichts fehlt, nicht damit du mich mit Essen abstrafen kannst.“ Der Ältere hatte einen derart leidenden Gesichtsausdruck aufgesetzt, dass es ihm beinahe leid tat. Beinahe.   „Armer schwarzer Kater, da bemitleide ich dich gerade mal ganz sehr“, tröstete Uruha ihn stattdessen halbherzig, machte es sich jetzt sitzend und natürlich vollkommen ohne Hintergedanken auf Aois Hüften bequem. Er ließ seine Hände spielerisch über den Oberkörper seines Liebsten streicheln, konnte nicht anders als in sich hineinzugrinsen, als dessen Finger umgekehrt wie von allein den Weg zu seinen Oberschenkeln fanden.   „Das möchte ich doch schwer hoffen.“ Die Antwort war eher ein halblautes Brummen, als tatsächliche Zustimmung, entlockte Uruha aber ein weiteres Lächeln. Er griff nach Aois linker Hand und führte sie zu seinem Mund, um seine Lippen auf das kühle Metall seines Eherings zu drücken.   „Ich habe ja nicht gesagt, dass wir unsere Flitterwochen im Zölibat verbringen müssen, oder?“, fragte er, fuhr dann bedächtig damit fort, kleine Küsse auf Aois Fingerknöcheln zu verteilen. „Ich kann dir sogar hoch und heilig versprechen, dass das nicht passieren wird“, fügte er nach einem Moment, in dem bis auf das stete Meeresrauschen Stille geherrscht hatte, hinzu. Aus den Augenwinkeln warf er einen kurzen Blick auf Aoi, konnte sehen, dass der aufmerksam jeder seiner Bewegungen folgte, sein Versprechen für den Moment aber nur mit einem Nicken bedachte. Und allein wegen dieser ihm so eigenen Art und Weise, auf die sein Mann ihn ansah, fuhr Uruha damit fort dessen Finger mit seinen Lippen zu liebkosen. Zart und doch forschend ließ er sie über die warme Haut wandern, drehte Aois Hand in seiner, um auch die Innenfläche erreichen zu können. Während die dunklen Augen des anderen für keine Sekunde von ihm abzulassen schienen, schlossen sich seine eigenen irgendwann und er genoss einfach dieses besondere Gefühl, das der Moment mit sich brachte. Es überkam ihn auch nach all der Zeit noch oft, wenn sie Zeit allein miteinander verbrachten – als wären sie das einzige, das in ihrer Welt existierte und als würde außer den Gefühlen, die sie füreinander hatten, nichts anderes eine Rolle spielen. Selbst, wenn das vermutlich furchtbar kitschig war. Beinahe schon gedankenverloren ließ er seinen Mund Aois Zeigefinger entlangwandern und ohne, dass er es hätte verhindern können, entkam ihm ein leises Seufzen, als seine Lippen die rauen Schwielen an der Fingerkuppe berührten. Himmel, wie er diese Hände liebte.   Eine Tatsache, die Aoi natürlich ebenso bekannt war, wie alles andere und die er sogleich ausnutzte, indem er seine Hand, ohne Uruha in seinem Tun zu stören, in einem angenehm festen Griff um dessen Kinn spannte. Ganz automatisch drückte er sein Kreuz durch, um seinem Mann entgegenzukommen, bewegte seine Hüften mit einem kleinen Ruck gegen Aois. Verdammt. Das hatte er so nicht geplant. Aber einfach aufhören konnte und wollte er nicht. Schon gar nicht, wenn die andere Hand seines Liebsten sich von seinem Oberschenkel zur Hüfte vorarbeitete, um ihn in noch besser in seiner Position halten zu können. Und noch weniger, wenn er so haargenau spüren konnte, dass Aoi seinem Tun offensichtlich alles andere als abgeneigt war. Mit einiger Anstrengung öffnete er die Augen wieder, in der Hoffnung so vielleicht etwas klarer denken zu können. Stattdessen wurde sein Blick direkt von Aoi aufgefangen, der ihn noch immer genauso intensiv musterte wie vorhin, seine Lippen nun zu einem zufrieden-lasziven Lächeln verzogen. Würde er nicht bereits sitzen, wären ihm spätestens jetzt die Knie weich geworden. Aber er erkannte eine Herausforderung, wenn er sie sah, vor allem wenn sie so deutlich in den schönen Gesichtszügen seines Mannes geschrieben stand. Also öffnete er, ohne ihren Blickkontakt zu unterbrechen, den Mund ein wenig, ließ seine Zungenspitze die Länge von Aois Finger entlang gleiten. Wieder an der Fingerspitze angekommen hielt er für einen Moment inne, spürte den Griff an seinem Kinn ein wenig fester werden. Jetzt ebenfalls lächelnd legte er den Kopf schief und zog eine Augenbraue nach oben.   „Ungeduldig?“, murmelte er gegen die Fingerkuppe, die an seinen Lippen ruhte. Als Aoi ihm eine Antwort schuldig blieb und stattdessen nur sein Becken leicht gegen Uruhas drückte, erlaubte er sich ein kleines Grinsen. Manchmal war sein Schatz eben auch für ihn ziemlich durchschaubar. Ohne ihren Blickkontakt noch einmal zu lösen, öffnete er seinen Mund einen kleinen Spalt weit, leckte erneut spielerisch über die Spitze des Zeigefingers, bevor er sie langsam zwischen seinen Lippen verschwinden ließ. Er hatte das Gefühl Aois tiefes Einatmen mindestens ebenso deutlich zu spüren, wie er es hören konnte, triumphierte für einen kleinen Moment, den er sich selbst einfach gönnen musste. Dann kratze er mühevoll seine verbliebene Selbstbeherrschung zusammen und richtete sich wieder etwas auf. Mit einer Hand griff er nach Aois und löste dessen Griff von seinem Kinn, gab gleichzeitig auch den Finger nach einem kleinen neckenden Saugen daran wieder frei. Wie schon vorhin strich er dann mit der anderen Hand über den Oberkörper seines Mannes. Auf seinen Lippen lag ein vor Unschuld überlaufendes Lächeln, als er sich nach vorn beugte, bis sich ihre Gesichter beinahe berührten.   „Was hältst du davon …“   „Ja ...?“   Die Wärme, die von Aois Körper ausging, ließ ihn beinahe einen Moment in seinem Entschluss schwanken, verleitete ihn dazu einen sachten Kuss in den Mundwinkel des anderen zu setzen.   „Was hältst du davon, wenn du dich schon einmal ums Frühstück kümmerst?“ Immer noch lächelnd richtete er sich wieder auf, sah etwas auf Aois Gesicht, dass geradezu nach Betrug schrie und konnte sich ein Auflachen nur schwer verkneifen. Er tat sein bestes, um seine Gesichtszüge unter Kontrolle zu halten, als er fortfuhr:   „Na ja, hatten die gestern beim Check-in nicht was von Room Service und Zimmerfrühstück gesagt? Ich geh‘ in der Zwischenzeit duschen, ja?“   Mit diesen Worten und ohne auch nur den Ansatz eines Widerspruchs zuzulassen, erhob Uruha sich vollends vom Bett. Mit einem breiten Grinsen, das Aoi nun glücklicherweise nicht mehr sehen konnte, ging er in Richtung Bad, blieb erst an der Tür noch einmal stehen.   „Wenn das erledigt ist, kannst du mir ja Gesellschaft leisten. Die Dusche sah ziemlich geräumig aus.“   Uruha brauchte keinen Blick mehr zurück ins Schlafzimmer zu werfen, um zu wissen, dass sein Schatz die Augen verdrehte – für diese Gewissheit war das undeutliche Grummeln, dass er hören konnte, während Aoi vermutlich das Gesicht in seinem Kissen vergrub, vollkommen ausreichend.       Er lehnte die Badtür hinter sich an, blieb vorm Spiegel stehen, atmete kurz durch und betrachtete sich für einen Moment lang. Obwohl er sich eigentlich ziemlich ausgeruht fühlte, prangten in seinem Gesicht ausgeprägte Augenringe.   „Wir werden wirklich nicht jünger …“, murmelte er leise, betastete die Stellen mit den Fingerspitzen, nur um dann mit den Schultern zucken. Immerhin war es nicht so, dass er hier auf Teufel komm raus ein perfektes Bild abgeben musste, wenn man mal optimistisch davon ausgehen wollte, dass sie niemand erkannte. Und Aoi hatte ihn schließlich schon geheiratet, der musste mit seinen Makeln spätestens jetzt einfach leben können. Die erneute Erinnerung an diese Tatsache ließ ihn einmal mehr an diesem Morgen lächeln und für einen Moment lang betrachtete er den Ring an seinem Finger, der das perfekte Gegenstück zu Aois war.   Im warmen Licht der Badbeleuchtung glänzte das gebürstete Platin silbrig hell, bildete einen strahlenden Gegensatz zu dem dunkleren Streifen Carbon in der Mitte des Schmuckstücks, der es zu etwas Besonderem machte, ohne zu auffällig zu sein. Schwer zu glauben, dass die diese Ringe tatsächlich Ruki zu verdanken hatten, nachdem ihnen die Suche nach dem passenden Set anfangs furchtbar schwergefallen war. Aber ganz offensichtlich hatte ihr Sänger eben doch noch andere, bisher verborgene Talente. Und er konnte ihn noch nicht mal damit aufziehen. Mit dem Daumen strich Uruha über das glatte Metallband, bevor er den Ring vorsichtig abnahm und sicher auf einer breiten Ablage über dem Waschbecken verstaute. Es war besser nicht zu riskieren, dass hier jemand einen Klempner besorgen – oder bezahlen – musste, nur weil er zu ungeschickt war, um auf seine Habseligkeiten Acht zu geben. Besser nicht mal daran denken. Stattdessen warf er einen kritischen Blick auf seine Haare, die wie befürchtet auch eher einem Vogelnest, als einer Frisur glichen. Also alles wie immer, zumindest in dieser Hinsicht; nicht, dass er etwas anderes erwartet hätte. Er kämmte einige Male grob mit den Händen durch das Chaos auf seinem Kopf, bis alles zumindest wieder da war, wo es hingehörte und beschloss dann, es vorerst dabei zu belassen. Mit einem genüsslichen Seufzen streckte er sich einen langen Moment lang, schlüpfte dann aus den Shorts, die er zum Schlafen getragen hatte. Bevor er die Dusche betrat, betrachtete er deren Inneres nicht weniger kritisch, als er es eben noch mit seinem Spiegelbild getan hatte. Aber glücklicherweise schien das Ganze nicht komplizierter zu sein, als anderswo auch – zumindest nachdem er dahinter gekommen war, welcher Hebel die Temperatur ein- und welcher das Wasser auf die an der Decke installierte Regendusche umstellte.   Uruhas Augen folgten den ersten Wassertropfen, bis sie auf dem Boden der Dusche aufschlugen, dann streckte er eine Hand aus, um zu sehen, ob das Wasser bereits warm genug war. Mit einem genüsslichen Aufatmen trat er schließlich unter den kleinen künstlichen Schauer, schloss entspannt die Augen und ließ den Kopf nach vorn hängen, um seine Nackenmuskulatur etwas zu dehnen. So konnte ein Morgen definitiv beginnen. Erst nach einiger Zeit, die er bewegungslos so verharrt hatte, richtete er sich wieder auf, hielt nun sein Gesicht in den Wasserstrahl. Auch jetzt kämmte er mit den Fingern noch einmal durch sein nasses Haar und war am Ende so in seinen Genuss und in die angenehme Stille, die in seinem Kopf gerade herrschte, versunken, dass er heftig zusammenzuckte, als er eine Bewegung hinter sich wahrnahm. Beinahe hätte er beim Versuch sich umzudrehen das Gleichgewicht auf den rutschigen Bodenfliesen verloren, aber ein Paar kräftiger Hände legte sich Halt gebend an seine Hüften.   „Immer schön vorsichtig …“, vernahm er Aois dunkle Stimme an seinem Ohr, lehnte sich automatisch ein wenig gegen dessen Körper.   „Das könnte man glatt als Mordanschlag werten, mein Lieber. Wenn du meine Reichtümer erben willst, dann sag es doch einfach.“   Er konnte spüren, wie Aoi den Kopf schüttelte, vielleicht nicht wusste, ob er über seinen dummen Witz lachen oder lieber daran verzweifeln sollte.   „Eigentlich hab ich dich lieber lebendig.“ Uruha spürte, wie sein Mann noch etwas näher an ihn rückte, ihm schließlich einen sanften Kuss in den Nacken gab, der ihm Gänsehaut bescherte. „Das Frühstück sollte so in zwanzig Minuten da sein. Glaube ich zumindest“, fügte er dann noch hinzu.   „Klingt super …“ Seine Worte glichen einem Murmeln, das zwischen dem Rauschen des Wassers beinahe unterging.   Die gläsernen Duschwände um sie herum waren bereits beschlagen, gaben ihm einmal mehr das Gefühl, dass sie in ihrer eigenen kleinen Welt waren, in der sie nichts und niemand stören konnte. Seine Lippen verzogen sich einmal mehr an diesem Morgen zu einem Lächeln, das er einfach nicht verhindern konnte. Allein schon, weil er in diesem Moment das Gefühl hatte sich beherrschen zu müssen, um nicht aus reinem Glück in Tränen auszubrechen. Vorsichtig löste er sich aus Aois Griff. Er drehte sich um, schlang die Arme seinerseits um den Nacken des anderen und zog ihn so nah zu sich, dass das Wasser beständig auf ihre Körper hinunter prasselte. Als wäre es eine Szene in einem kitschigen Film, in dem Sie sich im Regen küssten. Oder wie in Spider-Man, nur ohne, dass einer von ihnen akrobatisch kopfüber von einer Hauswand baumeln musste. Was ja auch seine Vorteile hatte und vor allem wesentlich bequemer war-   „Woran denkst du?“, durchbrach Aois Stimme da erneut seinen inneren Monolog, ließ ihn nur den Kopf schütteln.   „Nichts Wichtiges.“ Er zog die Nase ein bisschen kraus. „Eigentlich hab ich darüber nachgedacht, wie glücklich ich gerade bin, weil wir hier sind … aber dann bin ich irgendwie abgedriftet.“   „Ja, so sah es auch irgendwie aus …“ Aoi hob eine Hand, strich ihm einige nasse Strähnen seines Ponys aus dem Gesicht. „Aber so lange du glücklich bist, ist alles okay.“   „Versprochen.“ Er lehnte sich noch etwas näher zu ihm, verschloss Aois Lippen mit einem sanften, liebevollen Kuss, hatte das Gefühl sich so fast besser ausdrücken zu können. Er hatte nie wirklich gewusst, wie er dieses Gefühl in Worte fassen sollte, dass Aois Gegenwart und Liebe mitunter sein ganzes Sein erfüllte. Worte waren noch nie seine Stärke gewesen und das würde sich vermutlich nie ändern. Aber er wusste, dass Aoi ihn auch so verstand. Nur eines musste er dann noch einmal betonen:   „Ich war noch nie glücklicher.“   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)