Hiraeth von Kathey ================================================================================ Kapitel 1: Hiraeth ------------------ »What I want more than anything in the world is it to be okay with you to feel something again. Even if it’s pain. For the first time, let’s just allow ourselves to be whatever it is we are.« -Garden State, Dir. Zach Braff   Robert Joseph MacCready war sich ziemlich sicher, dass es ein Ding der Unmöglichkeit war, jemanden wie Logan zu verstehen. Sich selbst hielt er für einen  ziemlich guten Menschenkenner und er wäre sicher nicht so weit gekommen, wenn er nicht hinter jedem einladenden Lächeln auch ein Messer hinter dem Rücken erwartet hätte, aber so jemand war ihm wirklich noch nie untergekommen. „Warum genau haben wir dieses Mirelurk-verseuchte Gebiet noch mal für lau zu einem Mirelurk-freien Gebiet gemacht?“, fragte MacCready mit einem leicht genervten Unterton in der Stimme und rückte seine grüne Mütze zurecht, während er sich das Wasser aus den Stiefeln zu schütteln versuchte. Gott, er hasste Mirelurks. Generell hasste er alles, was aus den Untiefen von dunklen, dreckigen Gewässern auf ihn zu kriechen konnte. Eigentlich hasste er sowieso alles, was kroch. Ob Logan schon mal einer Mirelurk-Königin begegnet war? Denn spätestens dann hätte er sich das hier zweimal überlegt, ganz sicher. Aber nein, der Herr stapfte nur mit einer Miene durch das knöcheltiefe Wasser, die MacCready wieder einmal nicht deuten konnte, und holsterte seine Pistole erst dann, als er sich sicher sein konnte, dass jedes Weichschalentier hier und im Umkreis der nächsten zwei Meilen tot war. „Ja, ich weiß, ich weiß“, meinte Robert seufzend und wedelte vielsagend mit den Händen in der Luft umher. „Für die Minutemen und damit die Siedler sie wieder lieben und all das. Ugh, immer dasselbe.“ „Eigentlich“, unterbrach ihn Logan mit einem durchweg schiefen Grinsen. „Habe ich das nur gemacht, weil Preston mir sonst gar nicht mehr damit aufgehört hätte, mir deswegen die Ohren vollzujammern.“ MacCready wusste, dass das gelogen war. Er wusste es, weil ein guter Lügner andere Lügner erkennen konnte und Logan war vieles, aber er war niemand, der gut darin war, anderen direkt ins Gesicht zu lügen. Preston war nervtötend und ja, für jeden anderen wäre genau das der Grund für diese ekelhafte Mission gewesen, aber nicht für diesen Kerl, der vor ihm zwischen einem guten Dutzend toten Mirelurks stand. Logan war nicht der Held, der sagte, dass er jeden retten wollte. Logan war auch nicht der Held, der sagte, dass das alles hier nicht seine verdammte Aufgabe war. Logan war derjenige, der gar nichts sagte, und trotzdem jeden rettete, weil irgendwer es ja tun musste, auch, wenn er sich selbst nie freiwillig dafür gemeldet hatte. Und manchmal fragte sich MacCready wirklich, warum er bei diesem Unsinn überhaupt mitmachte.   ~*~   Die Antwort darauf war eigentlich erstaunlich einfach. Logan hatte ihm mehr als einmal aus der Patsche geholfen. Nicht nur, weil er ihn vor ein paar Wochen als Scharfschützen angeheuert hatte und MacCready seitdem einen ständig wachsenden Betrag von Kronkorken horten konnte, da Logan immer wieder beteuerte, dass er ohnehin nicht alles davon bräuchte. Nein, der Kerl hatte ihm auch gegen ein paar Gunner beigestanden, die aus einer nicht gerade kleinen Organisation bestehend aus Söldnern stammten, für die Robert bis vor einiger Zeit gezwungenermaßen hatte arbeiten müssen, um überhaupt über die Runden zu kommen. Der wichtigste Grund war aber, dass Logan ihm dabei geholfen hatte, Duncan zu heilen. Eigentlich wusste er nicht einmal mehr, wann genau Logan von seinem Sohn erfahren hatte, ob es gewesen war, als er sich bei Daisy nach ihm erkundigt hatte, oder ob er irgendwann einfach angefangen hatte, von ihm zu erzählen, aber Logan hatte unverhohlenes Interesse an MacCreadys Geschichte gezeigt. Als er ihm von seiner verstorbenen Frau Lucy und von Duncan erzählt hatte, war er sogar der Meinung gewesen, einen Schatten über Logans Gesicht huschen zu sehen, einen, der ihm sagte, dass der andere Mann Verlust, Tod und Sorge nur allzu gut kannte. Und in diesem Moment war MacCready auch klar geworden, dass er selbst absolut nichts über den Mann wusste, der ihn angeheuert hatte und der anderer Leute Probleme schulterte, als wären es seine eigenen.   ~*~   Als er das erste Mal davon hörte, dass Logan 210 Jahre schlafend in einer Kältekammer verbracht hatte und damit aus einer Zeit stammte, in der die Bomben die Welt noch nicht dem Erdboden gleicht gemacht hatten, hätte MacCready fast geglaubt, dass der Mann doch lügen konnte wie gedruckt. Aber das Lächeln auf seinen Lippen erstarb so schnell, wie es gekommen war. Dieser Mann log nicht und er könnte es sicher nicht einmal dann, wenn sein Leben davon abhängen würde. Für einen Moment stand MacCready einfach nur da, mitten in Sanctuary Hills, und blickte auf den Berg, in dessen Inneren sich eine ganze Vault befand. Oder ein Massengrab, wie es Logan nannte, als er ihm davon erzählte, dass seine Frau und jeder Mensch, den er hier aus dem Ort gekannt hatte, dort drin gestorben war. Jeder, bis auf seinen Sohn, den man vor seinen Augen entführt hatte. In all der Zeit hatte er Logan noch nie etwas über sich selbst sagen hören und plötzlich glaubte er, den Mann so viel besser zu verstehen. Und er glaubte zu wissen, dass es Logan in diesem Fall nicht viel anders erging.   ~*~   Manchmal hatte MacCready das Gefühl, dass dieses Gespräch in Sanctuary Hills das Eis zwischen ihnen etwas gebrochen hatte. Manchmal glaubte er aber auch, dass es immer noch eine undurchdringliche Wand zwischen Logan und jedem stand, der nicht aus dieser Welt stammte, aus der Logan kam. Aus der Welt vor den Bomben. Und manchmal hoffte er, dass er derjenige sein könnte, der diese Wand irgendwie überwinden konnte.   ~*~   „Du kennst dich in diesem Teil von Boston erstaunlich gut aus.“ MacCready folgte Logan durch ein paar enge Gassen, das Gewehr immer im Anschlag, weil man nie wissen konnte, wann einen hier ein paar Raider überfielen oder plötzlich ein Supermutant vor einem stand. Vorsicht war besser als Nachsicht, das hatte er schon als Kind gelernt. „Ich bin hier zur Schule gegangen“, sagte Logan nur mit einem schwachen Zucken seiner Schultern und innerlich rollte MacCready mit den Augen, weil er wusste, dass das Gespräch mit dieser einen Aussage auch gleich wieder abgetan sein würde. Mehr als einen einzigen, vollständigen Satz aus diesem Mann herauszubekommen grenzte meistens schon an ein Wunder. „Wahnsinn. Deine Erzählungen aus der Vergangenheit geben mir immer das Gefühl, als wäre ich selbst da gewesen.“ Logan wandte sich zu ihm um, und für einen Moment huschte ein Lächeln über sein Gesicht und davon ab, dass es so ehrlich war, so echt und dem Kerl viel, viel zu gut stand, verbuchte es MacCready als persönlichen Erfolg, dass er es irgendwie geschafft hatte, Logan „Ich bin der härteste Hund aus dem Commonwealth“ Carter ein Lächeln zu entlocken. Man musste auch für Kleinigkeiten dankbar sein.   ~*~   „Was zur Hö-, zum Teuf-, ach, was war das?!“ MacCready schluckte mühevoll jeden Fluch hinunter, der ihm gerade auf der Zunge gelegen hatte, und ging zu Logan hinüber, der wie erstarrt auf der Stelle stand und sich seit einer gefühlten Minute nicht rührte. Der Scharfschütze rüttelte an seiner Schulter, aber die gewünschte Aufmerksamkeit bekam er dadurch selbstverständlich nicht geschenkt. „Hey, Logan! Tipp von jemandem, der schon länger hier im Commonwealth unterwegs ist, wenn du so einen fetten Supermutanten mit einer genauso fetten, piependen Bombe in der Hand siehst, dann renn einfach weg!“ Keine Reaktion. „Erde an Logan! Hörst du mir eigentlich zu?“ Er ging um den anderen Mann herum und erstarrte für einen Moment. Logan stand einfach nur da, und so angespannt, wie sein Kiefer aussah, war sich MacCready sicher, dass er die Zähne fast schmerzhaft fest aufeinander gebissen haben musste. Aber was ihn wirklich erschütterte, waren die glasig wirkenden Augen, die wie gebannt auf Logans Hände starrten. Robert folgte dem Blick für einen Moment, aber er konnte nichts erkennen, keine Wunden, nichts dergleichen. Ohne weiter darüber nachzudenken, griff er nach den zitternden Händen, in der Hoffnung, es würde Logan endlich aus seiner Starre reißen. Und tatsächlich sah ihn der andere Mann schließlich an, auch, wenn es einen Moment dauerte. „Alles gut, Großer? Du hast mich zu Tode erschreckt!“ „Ich… Es tut mir leid.“ Logan war noch immer kreidebleich, und er sah sich um, als wüsste er nicht wirklich, was gerade passiert war, oder dass fast ein suizidaler Supermutant in ihn hineingerannt wäre, hätte MacCready ihn nicht vorher zur Strecke gebracht. In genau diesem Augenblick sah er so schrecklich verloren aus, so, als… So, als würde er nicht in diese Welt gehören, beendete Robert seinen eigenen Gedanken und streckte sich ein wenig, um Logan in eine kurze, merkwürdige und hoffentlich dennoch tröstende Umarmung zu ziehen. Was auch immer das hier gewesen war, es hatte ihnen beiden eine Heidenangst gemacht. „Ist okay. Alles ist okay.“   ~*~   „PT-was?“ „Posttraumatische Belastungsstörung, oder auch PTBS.“ Curie besah sich ihr Klemmbrett und für einen Moment sah es so aus, als bedaure sie den Umstand, dass ihr neuer, menschlicher Körper im Gegensatz zu ihrem vorherigen, der ja eigentlich nur ein schwebender Haufen Blech gewesen war, keine vier Arme mehr besaß und sie deswegen nur das Brett und den dazugehörigen Bleistift halten konnte und nicht mehr in der Lage war, nebenher auch noch ihre Medikamente aus den Schränken zu holen, um sie zu zählen. Robert war sich nicht sicher, wann die ehemalige Miss Nanny mit dem typisch dazugehörigen französischen Akzent eine menschliche Hülle bekommen hatte, aber seit einiger Zeit stellte er wirklich kaum noch etwas in Frage, weil er sowieso keine Antworten bekam. Er wusste schließlich auch nicht, woher die gezähmte Todeskralle kam, die ihm beim letzten Besuch der Siedlung im Starlight Drive-In fast einen Herzinfarkt beschert hätte, oder warum hier ein Supermutant herumschlich, der davon sprach, dass alle Menschen klein und weich und leicht zu töten waren. Also warum sollte er sich noch darüber wundern, dass ein Roboter auf einmal einen richtigen Körper hatte? „Ich bin ehrlich, Curie, ich versteh von dem ganzen medizinischen Firlefanz echt so gut wie gar nichts. Ich wollte nur wissen, ob du dir auf die Geschichte mit den Supermutanten einen Reim machen kannst.“ Curie sah mit einem verständnisvollen Lächeln zu ihm hinüber, und auf einmal kam er sich dumm und ratlos vor, weil sie so viel mehr zu wissen schien als er. Allerdings war er auch kein modifizierter Super-Roboter, der dafür da war, medizinisches Wissen aufzusaugen, wie ein Schwamm Wasser. „Manchmal, wenn ein Mensch schlimme Dinge miterleben musste, so, wie Monsieur Logan sie sicherlich erlebt hat, dann kommt es vor, dass er unter bestimmten Umständen wieder daran erinnert wird. Und dann kann es passieren, dass eine Person mit einer PTBS vollkommen den Bezug zur Realität verliert, weil eine vegetative Übererregung stattfindet. Manchmal wissen sie dann gar nicht mehr, was in dieser Zeit wirklich passiert ist, weil sie die traumatischen Erlebnisse wiedererlebt haben. Also wie ein… Flashback. Nur schlimmer.“ MacCready sah Curie mit schiefgelegtem Kopf an. Das erklärte einiges. Nicht alles, aber einiges. Schließlich konnte Logan ja noch nicht so viel mit Supermutanten zu tun gehabt haben, aber irgendwas hatte sicher diese Reaktion hervorgerufen. „Kann alles so eine Reaktion hervorrufen?“ „Im Grunde schon. Und da Monsieur Logan Soldat im Krieg um Anchorage war, den Atomangriff auf die USA selbst miterlebt hat, zusehen musste, wie seine Frau vor seinen Augen umgebracht und sein Sohn entführt wurde und er zudem nach über 200 Jahren in einer Welt aufgewacht ist, die seiner eigenen in keiner Weise mehr ähnelt, ist ein gewisses Trauma nur allzu verständlich.“ Robert rang nervös die Hände. Das war furchtbar. Im Grunde war diese ganze Welt hier ein traumatisches Erlebnis für ihn, jedes Wesen, jeder Ort konnte irgendetwas in ihm auslösen und er verfluchte sich selbst dafür, sich darüber noch keine weiteren Gedanken gemacht zu haben. „Davon lässt er sich nur nichts anmerken“, murmelte er leise vor sich hin, weil er selbst nicht wusste, ob Curie es hören sollte oder nicht. „Verwunderlich, nicht wahr? Der Monsieur ist wirklich sehr stark.“ MacCready gab ihr in Gedanken Recht. Und dennoch sorgte er sich darum, was passieren würde, wenn eines Tages alles zu viel werden würde. Wenn Logan irgendwann nicht mehr stark sein könnte.   ~*~   Du würdest nicht mal einen Behemoth auf fünf Meter Entfernung treffen, oder?“ MacCready ging zu Logan hinüber und grinste schief. „Ich meine, das ist traurig, Logan, so traurig.“ „Ich habe dir gesagt, dass ich nicht mit einem Scharfschützengewehr umgehen kann. Eine Schrotflinte vergibt viel mehr. Oder ein Schlag mit der Faust.“ Robert nahm dem Mann die Sniper ab und zielte auf die Flasche, die sie an der Wand der Red Rocket-Tankstelle aufgestellt hatten. Er atmete tief ein, legte den Finger an den Abzug und das Glas zersprang einen Moment später in unzählige kleine Splitter. Zufrieden mit sich selbst ließ MacCready das Gewehr wieder sinken und hob stattdessen eine Augenbraue in Logans Richtung. „Angeber“, hörte er den Mann nur sagen, und obwohl sie ein paar Minuten später nebeneinander standen und MacCready versuchte, Logan irgendwie den Umgang mit dem Scharfschützengewehr zu erklären, war ihm klar, dass es irgendwie nicht funktionieren würde. Logans Finger am Abzug zitterte, und immer wieder kamen ihm Curies Worte in den Sinn. ‚Der Monsieur ist wirklich sehr stark.‘ Aber selbst Logan konnte nicht immer stark sein. Selbst Logan konnte nicht immer alles alleine schaffen. MacCready drückte den Lauf des Gewehrs nach unten und nahm es Logan dann aus den Händen. Einen Moment lang standen sie schweigend nebeneinander. Keiner von ihnen brauchte eine Erklärung. Nicht für die Augenblicke, in denen sie sich einfach nur ansahen, nicht für die zitternden Hände, für nichts davon. „Gut, dass du mich immer dabei hast, was? Jeder braucht einen Sniper, der ihm den Rücken freihält.“ Vor allem in dieser Welt, in der jeder einzelne Schuss zählte. Jeder.   ~*~   „Du musst mir schon einen Spitznamen erlauben. Mac? Mac’n’Cheese? Macaroni?“ „Mach so weiter, und auf der nächsten Kugel in meinem Magazin steht dein Name.“ „Rob? Joey?“ Eine kurze Pause, in der MacCready nur entnervt seufzte, während Logan intensiv nachzudenken schien. „Bobby?“ „Ich hasse dich.“ Er griff nach dem Topf, der über dem Feuer hing, und nahm sich etwas von dem Eintopf, den sie aus Pflanzen und einer RAD-Hirschkuh zusammengeschustert hatten. Und noch mehr hasste er das warme Gefühl in seiner Bauchgegend, das nicht von dem Eintopf herrühren konnte, da er noch keinen Bissen davon genommen hatte. „Bobby also.“   ~*~   „Komm schon, du hast es versprochen!“ Wenn MacCready gut in etwas war, dann darin, zu quengeln. Das wusste er und er konnte von hier aus sehen, wie Logan vollkommen entnervt die Augen verdrehte, während er seine Sachen neben das Bett im Rockford Hotel fallen ließ.   „Ich wünschte, ich hätte diese dumme Zeitschriftnicht gefunden“,  murrte der Mann leise. Diese dumme Zeitschrift bezeichnete indessen eine Ausgabe der RobCo Fun, in der ein Holoband enthalten gewesen war, auf dem sich das Spiel „Grognak und die rubinroten Ruinen“ befand. MacCready war nicht stolz darauf zugeben zu müssen, einen ziemlich unmännlichen Laut von sich gegeben zu haben, als Logan die Zeitung auf einmal in der Hand gehalten hatte und ja, vielleicht hatte er ein bisschen zu sehr darum gebettelt, das Spiel später spielen zu dürfen, aber das war doch so was von egal, immerhin ging es hier um Grognak. „Ich habe dir heute mindestens drei Mal den Ar-Allerwertesten gerettet, ich hab’s mir verdient!“ „Schon gut, schon gut, komm her. Ich kann das Ding nicht abnehmen.“ Zufrieden ließ sich Robert neben Logan fallen und nahm sofort dessen Pipboy und den dazugehörigen Arm in Beschlag. Der kleine Computer las das Holoband mit einem leisen Geräusch ein, ehe auf dem Bildschirm der Titel des Spiels in großen, blinkenden Buchstaben zum Vorschein kam. MacCready stieß zufrieden die Faust in die Luft, ehe er es hinter sich leise lachen hörte. „Manchmal vergesse ich, dass du erst 22 bist, Mac“, meinte Logan mit einem schwachen Lächeln, auf das hin Robert nur verächtlich schnaubte. „Kann nicht jeder von uns über 200 Jahre alt sein, Opi. Und jetzt lass mich mein Spiel spielen!“ Immerhin hatte er nicht mehr daran geglaubt, irgendwann mal das legendäre Rollenspiel in die Hände zu bekommen, in dem man die Rolle des übermenschlich starken Grognak übernehmen und in die geheimnisvollen und verfluchten Ruinen vordringen konnte. Tatsächlich vergaß er so sehr die Zeit, dass er fast hochschreckte, als Logans Kopf irgendwann gegen seine Schulter sank. Na, wenigstens schlief der Mann dann auch einmal, denn immer, wenn sie unterwegs waren, fragte sich MacCready am nächsten Morgen, ob Logan überhaupt länger als eine Stunde am Stück geschlafen hatte. Wobei Schlaflosigkeit laut Curie auch wieder ein Zeichen einer posttraumatischen Störung war. Wahrscheinlich war es gut, dass sie heute bis nach Goodneighbor zurückgegangen waren, um wenigstens mal eine Nacht in Ruhe und Frieden zu verbringen. Mittlerweile waren Logan und er zur Gänze auf das Bett gesunken und er lag mehr auf Logans Arm, als dass er ihn hielt. Er spielte nach Grognak noch ein paar Runden Pipfall, ehe er nur noch müde durch die Liste an gespeicherten Holobändern klickte. Das Gute am Pipboy war wohl, dass er wirklich alles speicherte, sofern das Holoband einmal eingelesen worden war. Da waren irgendwelche Codes drauf, die mit mechanischer Stimme vorgelesen wurden, Nachrichten von ihm fremden Leuten für ihm fremde Leute, und er wusste nicht mal, was ihn ritt, als er in einer Zeile stoppte, die „Hallo Schatz“ hieß. Er wusste, dass es ihn nichts anging und dass er nicht neugierig sein durfte, aber er hatte ja schon einige Holobänder mitangehört und was wäre denn ein Weiteres? Und Logan schlief immerhin, also würde er es auch nie erfahren, richtig? Richtig! Mit einem leisen Klicken begann er, die Nachricht abzuspielen. Einen Moment geschah nichts, ehe es leise rauschte und dann hörte er lediglich ein leises Babylachen, und jemanden, der wohl mit dem Baby sprach. „Oh, nein, nein, nein, nimm deine kleinen Finger da weg, husch! So, und jetzt, ah, genau, da, los, Shauni, sag doch mal Hallo zu Daddy. Hallo, Schatz! Hör zu… Shaun und ich müssen dir sicher nicht sagen, was für ein toller Vater du bist… aber wir machen es natürlich trotzdem! Ich meine, du bist nett, und liebevoll und… ja, stimmt Shaun, lustig bist du auch! Und so geduldig. Engelsgeduld hat meine Mutter das immer genannt.“ Robert wusste, dass er das hier nicht hören sollte. Er war sich nicht mal sicher, ob er es hören wollte, aber er konnte sich auch nicht dazu bringen, die Wiedergabe zu stoppen. Aber das übernahm sowieso jemand anderes für ihn. Logans Finger lösten MacCreadys von den Knöpfen und mit einem Klick war die Wiedergabe beendet. Robert schluckte schwer, und er wagte es nicht, über die Schulter nach hinten zu blicken, aus Angst, wie Logan ihn ansehen würde. Da half es auch nicht wirklich, dass Logans Hand seine noch immer festhielt. Im Gegenteil, es verschlimmerte sein Herzklopfen nur noch. Mittlerweile war er so laut, dass Logan ihn hören musste. „Tut mir leid“, brachte er nach einem Moment unangenehmen Schweigens hervor, und er wusste nicht, ob er darauf eine Erwiderung hören wollte oder nicht. „Ist okay.“ Logans Stimme war so ungewohnt ruhig, dass es Robert einen Schauer über den Rücken jagte. Es war nicht okay, das hörte er daran, wie betont teilnahmslos der andere Mann klingen wollte und es dabei eben absolut nicht tat. Und das machte alles noch so viel schlimmer. Er wollte aufstehen und gehen, aber Logan hielt ihn zurück. Mit einer Hand, die MacCreadys eigene hielt, mit einem Arm, der plötzlich um seine Mitte geschlungen war und einer Stirn, die sich spürbar gegen seinen Nacken lehnte. „Bleib.“   ~*~   „Ugh, ich kann euch beide langsam nicht mehr sehen!“ MacCready sah überrascht zur Seite, als sich Hancock in den Sitz neben ihn fallen ließ. Es war selten genug, dass sich der Bürgermeister höchstpersönlich im Third Rail blicken ließ, aber die Bar war meist so gut besucht, dass ein Ghul mehr oder weniger gar nicht wirklich auffiel. Auch, dann nicht, wenn er ein blendend rotes Outfit samt Dreispitz trug. „Entschuldige mal, ich hatte das Zimmer dahinten eine Weile gemietet und…“ Hancocks wegwerfende Handbewegung unterbrach ihn mitten im Satz und Robert biss nur die Zähne zusammen, während sich Hancock melodramatisch ein Bier von Whitechapel Charlie bestellte. „Davon rede ich doch gar nicht. Eure Gesichter sind mir in der Stadt immer noch zwei der liebsten. Was ich meinte war: Ich kann euch langsam nicht mehr dabei zusehen, wie ihr umeinander herum scharwenzelt, ohne zu einem Punkt zu kommen!“ MacCreadys entnervter Blick wich einem voller ehrlicher Verwirrung und Entrüstung, Sie taten was? „Wie bitte?“ „Na, du weißt schon. Ihr seid wie an der Hüfte zusammengewachsen, und wenn Logan nicht gerade aus Gründen Nick oder meine herrliche Wenigkeit an seiner Seite hat, dann klebt ihr ja förmlich aneinander. Ich dachte, mittlerweile wäre da etwas mehr… du weißt schon, Mwuah.“ Der Scharfschütze überging den Umstand, dass Hancock für jemanden ohne Lippen erstaunlich gut Kussgeräusche nachmachen konnte, und fuhr unbeirrt und ehrlicherweise auch unbewusst damit fort, den Ghul vollkommen entrüstet anzustarren. „Wir tun gar nichts davon! Was redest du da?“ Hancock sah ihn an, als würde er am liebsten die Nase rümpfen, aber in Ermangelung dieser zog er nur ein Gesicht, das förmlich schrie, dass er nicht einmal überrascht war, dafür aber ziemlich enttäuscht. „Oh Gott, ihr seid wirklich so blind… oder? Und das alle beide! Das ist ja furchtbar! Wenn ihr in dem Tempo weiter macht, verliere ich noch gegen unsere Lieblingsreporterin!“ „Ihr habt Wetten abgeschlossen? Über Logan und mich?“ Das wurde ja immer besser! Und dieser vermaledeite Ghul sollte ihm nicht sagen, dass die Wette ja wohl noch das geringste Problem wäre! Sie waren Freunde, mehr nicht! Sie passten da draußen aufeinander auf und taten nicht das, was… was auch immer Hancock und Piper und wer auch sonst glaubte, was sie taten! „Er ist mein Freund und nicht… irgendwas anderes! So ein Bulls-, so ein Unsinn!“ Mit einem Knoten im Magen verließ er die Bar und stieg die Stufen nach Goodneighbor hinauf, und ignorierte dabei Hancocks gehässiges „Sag das mal deinem Gesicht“ komplett.   ~*~   Nein! Nein, nein, nein, NEINNEINNEIN! Nicht noch mal, nicht wie bei Lucy, nicht noch mal! Nicht Logan. Nicht auch noch Logan. Diese gottverdammten wilden Ghule durften ihm nicht auch noch Logan wegnehmen! Und vor allem nicht weil er selbst nicht aufgepasst hatte und sich Logan auf den Untoten werfen musste, damit er den Scharfschützen nicht in tausend Stücke zerriss. Aber zu dem einen Ghul war noch ein zweiter hinzugekommen und dann ein dritter und plötzlich hatte er Logan nicht mehr gesehen und nur noch Schüsse gehört und jetzt hörte er gar nichts mehr und rutschte die Böschung hinunter, die Logan eben hinunter gestürzt war. „Bitte, bitte, bitte, bitte sei in Ordnung, bitte!“ Am Ende des Abhangs sah er zwei der Ghule liegen, der dritte hatte sich an einem besonders spitzen Ast selbst aufgespießt, und die anderen beiden… sie regten sich. Roberts Herz fühlte sich plötzlich bleischwer an, und er konnte nicht einmal mehr seine Waffe heben, weil seine Arme sich so weich anfühlten. Er stolperte nur weiter nach vorne, sie sollten weg von ihm, sie sollten ihn nicht anrühren und… „Oh, oh, Scheiße, für ein paar halb verhungerte Untote seid ihr verfickt schwer!“ Die Ghule fielen tot zur Seite und Logan hievte sich unter ihnen hervor, die Pistole noch in der Hand und mit Blut auf dem Gesicht und einer ziemlich hässlichen Schramme an der Stirn, aber er war da und er atmete und er lebte und ehe sich einer von ihnen versah, schlang MacCready die Arme um Logans Hals und drückte sich an den anderen Mann. „Mir geht es gut, Rob, nur ein paar Kratzer… Ich glaube, einer von denen wollte mich beißen. Unfassbar.“ „Manchmal hasse ich dich so, so, so sehr“, brachte Robert stockend hervor und er war sich sicher, dass Logan ihn verständnislos ansehen würde, würde er sich jetzt von ihm lösen, also ließ er es bleiben, und kniete stattdessen weiter mit Logan im Dreck, direkt neben den Leichen von ein paar modrigen Ghulen, und dachte nur daran, dass Hancock verdammt noch mal immer Recht behalten musste. „Und so lieb ich deine Sorge um mich finde, die haben auch noch eine Rippe erwischt und die tut gerade verdammt weh.“   ~*~   „Ruhen Sie sich einfach ein paar Tage aus, dann sollte die Prellung zurückgehen.“ MacCready stand mit verschränkten Armen im Türrahmen, während Curie mit fachmännischer Präzision mit Verbänden und Pflastern hantierte und Logan dann einfach nur streng ansah. Es war überraschend, wie gut sie das bereits konnte und Robert war sich sicher, dass sie dahingehend einige Stunden Unterricht in Sachen Mimik und Gestik genommen hatte, aber wirklich ernst konnte er ihren wütenden Blick dann auch wieder nicht nehmen. Im Vorbeigehen legte sie ihm noch eine Hand auf die Schulter und erkundigte sich, ob es ihm gut ging und er unverletzt war und er nickte nur bestätigend, ehe sie das Zimmer verließ. Seufzend ließ er die Arme sinken, ehe er zu Logan hinüber sah, der gerade prüfend den Druckverband betastete, nur, um dann mit einem leisen, leicht entnervten Geräusch davon abzulassen. Erst dann begegnete er seinem Blick. „Wenigstens ist es nur eine Rippenprellung. Komm, schau nicht so besorgt, mir geht’s gut.“ MacCready entging nicht, dass Logan mittlerweile mehr Worte für ihn übrig hatte, und so sehr er sich darüber auch freute, der Kerl sollte nicht immer alles so herunterspielen! Er war verletzt und das nicht zu knapp und Robert fühlte sich noch immer schuldig daran. Wenn er wenigstens etwas besser Acht gegeben hätte, dann hätte es nicht soweit kommen müssen, aber er hatte eben nicht aufgepasst und jetzt war Logan verletzt. Wegen ihm. „Ich schau so besorgt, wie ich schauen will“, meinte Robert mürrisch und Logan sollte ihn dabei nicht so ansehen! Er hätte ihn heute beinahe verloren und das ging ihm immer noch näher, als er zuzugeben bereit war! Also hatte er jedes Recht, besorgt auszusehen! Er begann, im Raum auf und ab zu laufen, und seine Hände gestikulierten wild hin und her, als ob er dadurch in der Lage wäre, sein Problem zu erklären. Aber nichts konnte das erklären, gar nichts! „Ich wusste nicht, was ich hätte tun sollen, wenn du… wenn…“ Wenn du gestorben wärst. Wie Lucy. Er blieb stehen und blickte zu Boden. Sein Magen verknotete sich. Er war wütend. Auf Logan, auf sich selbst, darauf, dass er nicht wusste, was das hier alles war, warum es war und warum er dem anderen Mann nicht in die Augen sehen konnte. Er knetete nur nervös die Hände und schluckte schwer. „Wäre  mir genauso gegangen, wenn es dich getroffen hätte.“ Logans Stimme hatte wieder diese Ruhe, wie damals im Hotel, und MacCready blinzelte ein paar Mal heftig, ehe er wieder aufblickte. Und er wusste nicht, wann er die fünf Schritte hinüber zum Bett gemacht und nach Logans Wangen gegriffen hatte, und er wusste auch nicht, was der ausschlaggebende Faktor hierfür gewesen war, aber seinen mittlerweile besten Freund zu küssen schien im Moment die vernünftigste Lösung all seiner Probleme zu sein.   ~*~   Logans Bart kratzte. Keine Ahnung, warum er das so übermäßig intensiv wahrnahm, aber die Stoppeln drückten sich in MacCreadys Haut und – Gott – Logan war so warm und so nah und so warm und er roch entgegen aller Erwartungen so ungemein gut und er war warm und seine Hände lagen auf Roberts Schultern und gruben sich in den Stoff seines Pullis und er spürte das alles viel, viel, viel zu deutlich und viel, viel zu genau. Erst ein leiser Laut seitens Logan ließ ihn wieder die Augen öffnen und sorgte dafür, dass er sich löste. In seinem Rausch hatte er gar nicht bemerkt, wie schwer er sich an den anderen Mann gelehnt hatte. MacCready nagte an seiner Unterlippe, als er wieder aufstand, er hatte ja fast schon auf Logans Schoß gesessen! Die Hitze stieg ihm unangenehm ins Gesicht, und er rieb sich über die Wange, das würde er niemals irgendwie erklären können. Nie. Logans Finger schlossen sich um seine eigenen, und für einen Moment sah Robert nur auf ihre Hände, überlegte, wie er diese Situation am besten entschärfen konnte. Wobei man sicher nie zufriedenstellend erklären konnte, warum man plötzlich seinen besten Freund geküsst hatte. „Es tut mir leid. Ich hab‘ nicht nachgedacht.“ „Dann solltest du öfter nicht nachdenken.“ Logan klang amüsiert und Robert war sich nicht sicher, ob er ihm jetzt eine verpassen oder ihn lieber noch einmal küssen sollte. Aber Logans Daumen strich so sanft über seinen Handrücken, dass er ohnehin nicht wirklich über irgendetwas nachdenken konnte. Da war kein einziger Gedanke mehr, der sich in seinem Kopf formen konnte, nur Leere. Gähnende Leere. Er wusste nicht einmal mehr, wann Logan ihn zu sich auf die eigentlich viel zu enge Pritsche gezogen hatte. Er wusste nur noch, dass sich die Nähe gut angefühlt hatte. Und richtig.   ~*~   Es hatte sich so wenig geändert. Alles fühlte sich an wie immer, nur gab es all diese winzigen Momente, diese Augenblicke, an die sich MacCready wahrscheinlich nie gewöhnen würde. Himmel, er konnte sich nicht einmal daran gewöhnen, so nah neben Logan zu sitzen, wenn sie ihr Lager aufschlugen und es sich vor dem Feuer bequem machten. Und doch saß er hier, Schulter an Schulter mit dem Mann, der sein Leben nicht nur einmal um 180 Grad gedreht hatte. „Wenn du schlafen willst, kann ich Wache halten“, sagte Logan nur leise, wohl nachdem er bemerkt hatte, dass MacCready gegen ihn gelehnt weggenickt war. Er brummte nur leise zur Antwort und zog sich die Mütze etwas tiefer ins Gesicht. Schlaf war gut. Schlaf hielt ihn davon ab, zu viel zu denken, sich in all den Gedanken zu verlieren. „Hast du es dir jemals bis zum Ende angehört?“, fragte Robert irgendwann, das Hirn schon fast auf Standby. Er hätte wissen müssen, dass solche Fragen Konsequenzen hatten, aber er war zu müde, um auch nur irgendetwas bis zum Ende durchzudenken. „Das Holoband?“ Neben ihm bewegte sich Logan unruhig hin und her und erst, als MacCreadys Kopf fast von dessen Schulter fiel, bemerkte er, was er da eigentlich gefragt hatte. Die Müdigkeit war wie weggepustet, als sich Robert aufrichtete und Logan mit großen Augen ansah. „Oh, Sch-Scheibenkleister, tut mir leid, ich wollte nicht… Das war dämlich von mir.“ Logan sah nur schweigend zu ihm hinüber und der Knoten in MacCreadys Magen wurde größer, schwerer. Präsenter. Ihm wurde klar, dass er noch immer nicht alles wusste. Dass er niemals alles wissen würde, dass es ihn auch einfach nichts anging. Verdammt, er wusste selbst, dass man sich nicht gerne an das erinnerte, was man verloren hatte. So war es ihm auch mit Lucy gegangen, mit Duncan. Und er wusste nicht, was er tun würde, wenn er noch mehr verlieren würde. „Nein.“ Logans leise Antwort ließ ihn aufsehen. „Noch nie.“ Einige Augenblicke lang starrten sie nur ins Feuer, schwiegen sich aus. Manchmal war jeder Schritt, den er auf Logan zumachen wollte, ein Schritt in die falsche Richtung, ein Schritt weg von ihm.   ~*~   Und manchmal, da passierten diese kleinen Dinge.  Dass sie sich ein Bett teilten, dass sie eng aneinandergeschmiegt dalagen, schweigend oder redend. Dass sie sich ansahen, einen Wimpernschlag lang, oder zwei oder drei, ehe einer von ihnen die Distanz zwischen ihnen überbrückte. Dass sie dalagen, Stirn an Stirn, mit dem Atem des jeweils anderen auf der Haut, die Augen geschlossen. Diese Dinge waren mehr wert als all die Worte, die wohl keiner von ihnen jemals würde sagen können. Robert bildete sich nicht ein, wichtig genug dafür zu sein. Aber er war da. Er verstand. Er hörte zu und ihm wurde auch zugehört. Das war mehr Vertrauen, als ihm jemand in den letzten Jahren geschenkt hatte und mehr Vertrauen, als er in all dieser Zeit je hatte geben wollen. Vielleicht würde es irgendwann mehr sein, aber für den Moment, da war es genug.   ~*~   „Wenn du Shaun gefunden hast, was dann? Irgendwelche Pläne?“ Er konnte förmlich hören, wie Logan bei der Frage mit den Augen rollte. Sicher, die Situation war nicht die optimalste, um die Frage überhaupt zu stellen, aber sie brannte MacCready schon eine Weile auf der Zunge. Würde Logan ihn noch brauchen, wenn die Suche nach seinem Sohn vorbei war? Oder war das alles nur ein Spiel auf Zeit? Logan lag neben ihm und er konnte sehen, wie sich seine Brust schwer hob und wieder senkte, noch immer nass und glänzend vom Schweiß. „Weiß nicht. Curie meinte, dass ich mir auf jeden Fall einen Grund suchen soll, um weiter zu machen, egal, wie die Suche nach Shaun ausgeht. Für mein ‚geistiges Wohlbefinden‘.“ MacCready grinste, als Logan mit den Fingern Gänsefüßchen in die Luft malte und drehte sich auf die Seite. Einen Grund weiterzumachen? Den hatte er nach Lucys Tod auch gesucht. Erst war Duncan sein einziger Grund gewesen, dann dessen Heilung und jetzt… Jetzt war noch etwas anderes dazu gekommen. Nun, nicht erst jetzt, aber es wurde mit jedem Tag, der verging, immer klarer und klarer, schrie und schlug um sich, so lange, bis er es nicht mehr ignorieren konnte. „Vielleicht kann ich dir auch bei dieser Suche helfen?“, fragte Robert schließlich vorsichtig und sah, wie ein Lächeln an Logans Mundwinkeln zog. Eins dieser seltenen, ehrlichen, richtigen, die er so gerne an dem Mann sah. „Ja. Vielleicht kannst du das.“   ~*~   „Der Monsieur sieht in letzter Zeit so glücklich aus.“ Curie schrieb irgendetwas Unleserliches auf den Zettel, der an ihrem Klemmbrett hing und Robert fragte sich, ob sie öfter mitten durch Sanctuary Hills lief, um Leute zu beobachten und sich irgendwelche Notizen zu machen, weil das irgendwie unheimlich war. Er war gerade damit fertig geworden, sein Gewehr zu säubern und sah die junge Frau aufmerksam an. Seit wann er von ihr als Frau und nicht mehr als Synth dachte, war ihm selbst entgangen, aber es war wohl etwas, das einfach mit der Zeit kam. „Sicher, dass er glücklich ist?“, fragte MacCready mit einer gehobenen Augenbraue. „Weil dann sollte es jemand seinem Gesicht sagen.“ „Man muss sein Glück nicht durch ein Lächeln zeigen, Monsieur MacCready“, sagte Curie tadelnd und der Bleistift flog erneut über das Papier. „Seelische Wunden heilen nur langsam, viel langsamer als körperliche. Und dennoch sieht man einen gewaltigen Unterschied. Ich freue mich so. Jeder hat seinen Teil vom Glück verdient.“ „Vor allem er“, murmelte Robert vor sich hin und begegnete  Curies Blick, als er wieder nach oben sah. Das Lächeln, das auf ihren Lippen lag, sorgte dafür, dass er sich schnell wieder seiner Waffe zuwandte. Er musste sie schließlich wieder zusammensetzen. „Oh, dabei habe ich doch nicht nur von Monsieur Logan gesprochen.“ Sie ließ ihn stehen und ging zurück in ihre provisorische Praxis. MacCready blickte ihr mit großen Augen hinterher, und zum ersten Mal seit Langem fehlten ihm die Worte. Er nagte an seiner Unterlippe, ehe er wie ein Idiot vor sich hin grinste. Scheiße.   ~*~   Das Institut war bereits gefallen, die Bruderschaft bereits zerschlagen, als Logan zu ihm kam, um ihm etwas zu geben. Der kleine, metallische Gegenstand lag schwer in seiner Hand, und als MacCready ihn ansah, bildete sich ein Kloß in seinem Hals. Er stand vor dem anderen Mann, bemerkte die Hundemarken, die um Logans Hals hingen, den Ring, der daran befestigt war und dessen Gold sich hässlich gegen das Silber der Kette abhob. Logan hatte noch nie Geschmack gehabt. Noch nie. Er bewies es nur gerade wieder. „Was ist das?“, fragte Robert leise. Er meinte nicht den Ring an sich, er fragte nach der Bedeutung. Es war eine dämliche Frage, aber einmal in seinem Leben wollte er die Bestätigung haben, das Wissen, dass es das war, was er glaubte. „Ein Grund, weiterzumachen“, antwortete Logan so schnell, als hätte er mit der Frage bereits gerechnet. „Ich dachte, wir könnten beide einen brauchen.“ MacCreadys Herz schlug bis zum Hals. Ein Grund. Er war Logans Grund. Und Logan war seiner.   ~*~   Man konnte die Vergangenheit nicht ändern. Man konnte manche Wunden nicht heilen. Man konnte nicht alles vergessen oder ungeschehen machen. Aber manchmal musste man das auch nicht. MacCready lag neben Logan, sah, wie der Mann mit seiner Hand spielte, über den Ring strich, den er trug, seit er ihn bekommen hatte. Worte hätten das hier nie beschreiben, nie erklären können. Und sie beide, sie kamen schon immer gut aus, ohne viel sagen zu müssen. „Und du willst mir ernsthaft sagen, dass wir eine Siedlung vor Ghulen retten gehen, weil Preston es so will?“ „Er geht mir sonst für immer auf den Sack, Bobby.“ MacCready stöhnte bei dieser Aussage entnervt auf und vergrub das Gesicht an Logans Schulter, spürte das leichte Beben, als der Mann leise zu lachen begann. „Warum kannst du nie Nein sagen? Ich hasse dich.“ Er fühlte Logans Nase, die sich in seinem Haar vergrub, die Lippen, die über die Kopfhaut fuhren. Langsam gewöhnte er sich an das Gefühl, daran, wieder all diese Nähe spüren und genießen zu dürfen. „Nein, tust du nicht.“ Und er hasste es, dass Logan am Ende immer Recht behalten würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)