Bodyguard von -Kuraiko ================================================================================ Kapitel 4: ----------- Wenig später war die Blondine bereits unterwegs zu der Adresse, welche der Angestellte ihr am Telefon genannt hatte. Um diese Uhrzeit war auf den Straßen zumindest nicht mehr so viel los wie tagsüber, weshalb sie die Strecke in relativ kurzer Zeit zurücklegen konnte. Das Navi schickte sie in ein Viertel der Stadt, in welchem sich wohl nur Personen mit gutem Gehalt eine Wohnung leisten konnten. Als sie die richtige Adresse schließlich gefunden hatte, musste sie noch einen Moment lang nach einem Parkplatz suchen, ehe sie das Auto verlassen und sich auf den Weg zum Haus machen konnte. Jetzt, wo sie das Wohnhaus der Schauspielerin erreicht hatte, verstärkte sich ihr ungutes Gefühl nur noch. Sie fragte sich, wie die Andere es bloß geschafft hatte, die starke Abneigung, die sie ihr gegenüber zu Beginn empfunden hatte, in solche Sorge umschlagen zu lassen. //Vermutlich liegt es daran, dass ich sie bis vor kurzem wegen der starken Ähnlichkeit zu dieser Frau, einfach nicht aus neutralen Augen sehen konnte//, versuchte sie sich diesen Sinneswandel irgendwie zu erklären. Wenn die Anordnung der Briefkastenschilder mit der tatsächlichen Lage der Wohnungen übereinstimmte, dann musste sich Chris Wohnung auf der zweiten Etage, ganz links, befinden. Da die Tür, welche überhaupt erstmal in den Treppenflur führte, nur angelehnt war, musste Jodie nicht klingeln, um das Gebäude zu betreten. Im Flur blickte sie sich kurz um. Zwar gab es auch einen Aufzug, aber für zwei Etagen konnte sie ruhig die Treppe nehmen. Einen Lichtschalter hatte sie im Treppenflur in ihrer Eile nicht gefunden, doch nach dem, was sie in der Dunkelheit erkennen konnte, machte das Haus einen sehr gepflegten Eindruck und schien noch recht neu zu sein. Als sie die zweite Etage schließlich erreicht hatte, stellte sie fest, das ein Laubengang zu den Wohneinheiten der Etage führte. Die Agentin betrat den Laubengang und fand sich in der kühlen Abendluft wieder. Kurz blickte sie nach unten und stellte fest, das sie von hier aus auch die Parktasche sehen konnte, in welcher sie parkte. Während sie über den Laubengang lief, las sie aufmerksam die Klingelschilder der einzelnen Wohnungen. Auch wenn Chris vermutlich die letzte Wohnung auf diesem Flur bewohnte, wollte sie doch sicher gehen, dass sie sich nicht irrte und am Ende noch an der richtigen Wohnung vorbei lief. In der Mitte des Laubengangs entdeckte sie eine Art Hausmeisterraum, dessen Türe offen stand. Anwesend war niemand. Jodie ging davon aus, dass der Hausmeister die Tür wahrscheinlich nicht richtig geschlossen hatte. Wie viel Glück sie hatte, gerade ausgerechnet neben der offenen Türe des Hausmeisterraums zu stehen, zeigte sich nur Sekunden später. Die letzte Wohnungstür auf dem Gang öffnete sich und gedämmtes Licht beleuchtete den Bereich vor der Tür ein wenig. Jodie vermutete ja, das die Schauspielerin in genau dieser Wohnung wohnte, doch anstelle der Blondine verließ ein in schwarz gekleideter Typ die Wohnung und schloss die Tür wieder hinter sich. Reflexartig war die FBI Agentin mit einem Satz in dem Hausmeisterraum verschwunden und drückte sich an die Wand. Warum sie es vermeiden wollte, von dem Mann bemerkt zu werden, konnte sie nicht genau sagen. Vielleicht hatte sie sich mit der Anordnung der Wohnungen ja geirrt und der Typ, der da gerade eben auf den Gang getreten war, wohnte hier? Dennoch hatte sie auf ihr Bauchgefühl gehört. Jodie verhielt sich still und beobachtete, wie der in schwarz gekleidete Mann mit den langen silbernen Haaren, in einer Manteltasche kramte und sich schließlich eine Zigarette anzündete. In dem kurzen Moment, in dem das Feuerzeug aufflackerte, konnte die junge Frau das Gesicht des Fremden sehen und ihr lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Eine so kalte Mimik hatte sie zuvor noch nie gesehen. Aufgrund der Dunkelheit bemerkte der Mann nicht, das sie gerade eilig in dem Hausmeisterraum Schutz gesucht hatte und sich nun darin verborgen hielt. In aller Seelenruhe lief der Fremde über den Laubengang und verschwand schließlich im Treppenhaus. Die Zwischentür fiel zu, dennoch wartete Jodie noch einen Moment ab. Die FBI Agentin spähte auf den Gang hinaus und schließlich konnte sie erkennen, wie der seltsame Typ vor dem Haus entlang lief, in einen Wagen stieg und auf und davon fuhr. Dieses Auto... Sie grübelte. Irgendwo hatte sie den schwarzen Porsche doch schon einmal gesehen, bloß konnte sie nicht mehr genau sagen, wo das gewesen war. Erneut lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken. Was war, wenn es sich bei dem Mann eben nicht um einen Hausbewohner gehandelt hatte, sondern um diesen kranken Stalker? Wieder musste sie an den letzten Brief denken und auch an die Tatsache, dass der Angestellte des Filmteams Chris telefonisch nicht erreicht hatte, obwohl es bereits Abend war. Einem Typen mit einer so eiskalten Mimik war sicherlich einiges zuzutrauen, auch wenn sie dafür natürlich keine Beweise hatte. Wenn der Fremde jedoch gerade wirklich aus Chris Wohnung gekommen war und es sich um den Verfasser der Briefe handelte, dann wollte sie sich lieber gar nicht vorstellen, was genau sie gleich vorfinden würde. Eilig verließ sie den Raum, welcher ihr bis eben noch als Versteck gedient hatte und legte die letzten paar Meter, bis zu der Wohnung zurück, welche der Unbekannte eben verlassen hatte. Schließlich blieb sie vor der Wohnungstür stehen und warf einen raschen Blick auf das Klingelschild. Vineyard. Die junge Frau befürchtete, dass ihre Horrorvorstellungen am Ende wirklich noch der Realität entsprechen könnten. Da ihr kein Grund einfiel, welcher dagegen sprechen würde auf sich aufmerksam zu machen, klingelte sie schließlich. Erst einmal, dann mehrfach. Einen Moment lang wartete Jodie ab. Zwar waren bisher nur wenige Sekunden vergangen, trotzdem kamen ihr diese Augenblicke vor wie Ewigkeiten, erst recht, wenn sie sich vorstellte, was vermutlich passiert war und was sie nicht hatte verhindern können. Plötzlich näherten sich jedoch Schritte von innen der Haustür. „Ist ja schon gut! Hast du was vergessen...?“ Die Wohnungsbesitzerin stutzte merklich,als sie die Tür öffnete. Scheinbar hatte sie mit einer anderen Person gerechnet. „Was machst du denn hier? Um diese Uhrzeit.“ Jodie blickte in die irritierten grünen Augen der Schauspielerin, welche gesund und munter vor ihr stand. Der Agentin fiel ein Stein vom Herzen. „Geht es dir gut? Dir ist nichts passiert, oder?“, erkundigte sie sich dennoch, was die Wohnungsbesitzerin dazu veranlasste, eine Augenbraue noch ein wenig fragender hochzuziehen. „Mir geht’s gut. Aber was war denn das bitte für ein Auftritt?“ Die Blondine musterte ihr Gegenüber nun genauer. Die Haare der Schauspielerin wirkten ein wenig durcheinander. Bekleidet war sie lediglich mit einem kurzen schwarzen Seidenkimono, welcher etwas unordentlich zugebunden war und die Vermutung nahe legte, dass Chris sich das Kleidungsstück eben in aller Eile übergezogen haben musste, bevor sie die Tür geöffnet hatte. „Was das für ein Auftritt war, erkläre ich dir gerne, aber vorher solltest du mir vielleicht erst einmal erklären, in was für einem Outfit du anderen Leuten die Tür öffnest, obwohl du genau weißt, dass irgendein verrückter Stalker es auf dich abgesehen hat.“ Die Schauspielerin zuckte lediglich gelassen mit den Schultern. „Ich wollte gerade duschen. Sei lieber froh, dass ich dir überhaupt die Tür aufgemacht habe.“ Nun war es an der Agentin 1+1 zusammenzuzählen. Der komische Typ, der hier vor höchstens zwei Minuten die Wohnung verlassen hatte, die Tatsache, das der Mitarbeiter des Filmteams die Schauspielerin telefonisch nicht erreicht hatte und nun die Blondine selbst, die ihr äußerst leicht bekleidet die Tür geöffnet hatte. Eigentlich hätte die Erkenntnis sie jetzt eher verlegen werden lassen müssen, doch vor allen Dingen versetzte ihre Erkenntnis der jungen Frau einen schmerzhaften Stich. Der Typ mit den silbernen Haaren und den eiskalten Augen, war zumindest nicht dieser Stalker und ihrem Schützling ging es gut, doch wollte es Jodie beim besten Willen nicht in den Kopf, wie die amerikanische Schauspielerin sich mit so einem zwielichtigen Typen abgeben konnte. „Es gibt Neuigkeiten, über die du besser in Kenntnis gesetzt werden solltest. Vielleicht macht dich das in Zukunft ja etwas vorsichtiger.“, warf die blonde Agentin ein und klang dabei etwas kühler, als beabsichtigt. Sie ging einen Schritt auf die Wohnungsbesitzerin zu und schob sich schließlich einfach an der anderen Blondine vorbei in deren Wohnung. „Hey!“, protestierte diese, schien einen Moment darüber nachzugrübeln, was sie nun von dem unangekündigten Besuch halten sollte, doch schloss sie schließlich die Tür, hinter ihrer Besucherin und sich. „Na jetzt bin ich gespannt, was es so spät am Abend noch so wichtiges gibt. Geh einfach geradeaus durch ins Wohnzimmer.“ Jodie folgte der Anweisung und lief durch den Flur. Nach nur wenigen Schritten fand sie sich im Wohnzimmer der Schauspielerin wieder, in welchem sie sich erst einmal umsah. Eine Stehlampe in einer Ecke des Raums, tauchte das Wohnzimmer in ein schwaches Licht. Das Zimmer selbst war sehr sauber und aufgeräumt. Die Möbel wirkten allesamt recht teuer. Insgesamt war das Zimmer eher im westlichen Stil eingerichtet und bei der Auswahl der Einrichtung hatte die Wohnungsbesitzerin auf jeden Fall Geschmack bewiesen. Doch obwohl das Zimmer wirklich sehr nett anzusehen war, diese gewisse Gemütlichkeit, die Wohnzimmer normalerweise ausstrahlten, vermisste die Blondine hier. „Wer war dieser Typ, der gerade noch hier war?“, erkundigte die FBI Agentin sich, auch wenn sie sich der Tatsache bewusst war, das Chris eigentlich auf eine Erklärung für diesen späten Besuch wartete. „Ich bin ihm begegnet, als ich über den Laubengang gelaufen bin und deine Wohnung gesucht habe.“, erklärte Jodie noch rasch. Täuschte sie sich, oder zog die Schauspielerin für einen kurzen Moment ein beunruhigtes Gesicht? „Ein alter Bekannter von mir.“, wich die Frau mit den hellblonden Haaren ihrer Frage aus. „Ihr seid euch auf dem Flur begegnet?“ Bevor die Agentin die Gegenfrage beantwortete, schob sie ihre Brille wieder ein Stückchen höher. Schließlich wählte sie ihre Worte mit Bedacht. „Nicht direkt begegnet. Es war recht dunkel und ich denke nicht, dass er mich bemerkt hat.“ Chris blickte sie zweifelnd an, hakte jedoch nicht nach, wie es sein konnte, das eine Person eine andere auf dem Laubengang vor den Wohnungen nicht bemerken konnte. Höchst wahrscheinlich hatte sie schon so eine Vermutung, wie es möglich war, auf dem Gang einer anderen Person gezielt auszuweichen. „Ein Mitarbeiter des Filmteams hat versucht dich anzurufen und konnte dich nicht erreichen.“, streute Jodie ein. „Ich habe mein Handy ausgeschaltet. Ab einer gewissen Uhrzeit, wird es doch wohl nicht verboten sein, seine Ruhe zu wollen.“ Die Agentin nahm auf dem weißen Ledersofa Platz, welches erfreulicherweise wirklich bequem war. Das der Angestellte des Filmteams die Schauspielerin per Handy nicht erreicht hatte, ließ sich vielleicht noch erklären, der Grund, warum sie den Anruf am Haustelefon nicht entgegen genommen hatte, schob die junge FBI Agentin eher auf den Besucher der Schauspielerin. Nach wie vor kam ihr dieser Typ merkwürdig vor. Verdächtig. Jemandem mit einer so eiskalten Mimik würde sie ohne weiteres abkaufen ein Krimineller zu sein. Die Sache war jedoch die, dass sie in den letzten Wochen immer überzeugter davon war, dass zumindest gegen ihren Schützling fälschlicherweise ermittelt wurde. Chris hatte sich in der ganzen Zeit rein gar nichts zu Schulden kommen lassen, aber wenn sie sich mit diesem verdächtigen, silberhaarigen Kerl traf... Jodie hoffte ein wenig mehr über den Mann in Erfahrung bringen zu können, auch wenn sie wusste, dass sie sich auf dünnes Eis wagen würde. „Das du ab einer gewissen Uhrzeit deine Ruhe haben willst, kann dir niemand verübeln, aber Besuch hattest du. Ist dieser Typ, der gerade noch hier war, dein Freund?“ Sie war sich durchaus bewusst, dass sie mit dieser Frage den Bogen eventuell ein wenig überspannt hatte, aber die Blondine legte es dennoch darauf an, eine Antwort auf diese Frage zu bekommen. Einerseits konnte dies wichtig für die Ermittlungen sein, andererseits ertappte sie sich dabei, dass sie selbst, die Frage gern beantwortet wüsste. „Du bist ziemlich direkt. Nein, mein Freund ist er nicht. Wir würden uns vermutlich nach nicht einmal 24 Stunden Beziehung an die Kehle gehen. Wir sind nur Bekannte.“ Jodie wusste nicht warum sie so froh über diese Antwort war, was sie jedoch sehr wohl wusste war, das Chris dieses Gesprächsthema überhaupt nicht gefiel. Man konnte es ihrem Gesicht nur allzu deutlich ansehen. Trotz allem versuchte die Agentin erneut nachzuhaken, hatte sie doch das Gefühl, das alle Informationen zu dem Fremden wichtig sein konnten. „Trotzdem finde ich, dass du einen seltsamen Geschmack hast.“, stellte sie also so beiläufig wie möglich fest. „Ach ja, findest du?“ „Naja, ich kenne ihn natürlich nicht und habe ihn nur kurz gesehen, aber er hat so einen unfreundlichen Eindruck gemacht. Wenn ich mir zum Beispiel die Schauspieler ansehe, mit denen du derweil zusammenarbeitest und mit denen du dich scheinbar auch gut verstehst, wirkte er wie das komplette Gegenteil von diesen Leuten.“ Chris wirkte nach wie vor wenig begeistert über das Gesprächsthema und machte kurzzeitig einen nachdenklichen Eindruck. Jodie fragte sich, ob die Andere sich wohl gerade eine Antwort zurechtlegte, mit welcher sie sich dann hoffentlich zufrieden geben würde. „Ein Sonnenschein ist er vielleicht nicht, das stimmt schon. Menschen verändern sich eben. Aber wir kennen uns nun auch schon eine ganze Weile und wenn ich mal wieder in Japan bin, treffen wir uns ab und an.“ Die Schauspielerin war in die Küchenecke des Appartements gelaufen, räumte ein Glas aus dem Schrank und stellte es schließlich vor Jodie auf dem Wohnzimmertisch ab. „Was möchtest du trinken? Da du scheinbar genügend Zeit hast die Nase in Dinge zu stecken, die dich eigentlich rein gar nichts angehen, gehe ich davon aus, dass du auch noch genügend Zeit mitgebracht hast, um ein paar Minuten auf mich warten zu können.“ Die Stimme ihres Gegenübers hatte etwas tadelndes und die Agentin wusste, dass sie inzwischen wohl mit den Fragen eine Grenze überschritten hatte. Dennoch machte Chris keine Anstalten sie vor die Tür zu setzen. Die andere Blondine deutete mit einer kurzen Handbewegung in Richtung eines Regals, in welchem sich eine beeindruckende Auswahl an alkoholischen Getränken fand. „Wie wäre es mit einem Glas Sherry? Und entschuldige bitte, wenn ich dir mit den Fragen gerade zu nahe getreten bin. Ich fürchte, ich war wohl einfach neugierig.“ Die Schauspielerin hob eine Flasche Sherry aus dem Regal, schenkte ihrer Besucherin ein großzügiges Glas davon ein und stellte die Flasche schließlich auf dem Wohnzimmertisch ab. „Wir reden gleich weiter, in Ordnung? Immerhin muss es einen Grund für diesen unangekündigten Besuch um diese Uhrzeit geben und der interessiert mich.“ Die Wohnungsbesitzerin entschuldige sich kurz und verschwand im Badezimmer. Wenige Augenblicke später hörte Jodie das Prasseln der Dusche. Sie nahm einen Schluck Sherry und blickte sich schließlich im Raum um, jetzt, wo sie plötzlich ganz allein hier im Wohnzimmer der amerikanischen Schauspielerin saß. Nachdenklich trank sie noch einen zweiten Schluck. Das Zeug war nebenbei bemerkt wirklich gut. Bis in die Wohnung der Blondine hatte es bisher noch keiner ihrer FBI Kollegen geschafft. Jodie musterte aufmerksam die Einrichtung und wusste selbst nicht so genau, wonach sie eigentlich suchte. Es war wirklich merkwürdig. Inzwischen hatte ihre Zielperson es fast schon geschafft sie davon zu überzeugen, dass sie wirklich gegen die falsche Person ermittelten. Heute dann, hatte sie jedoch mit eigenen Augen diesen zwielichtigen Typen gesehen, den Chris wohl mehr als nur gut zu kennen schien. Wieder waren Zweifel aufgelodert. War eine Person, die so finstere Bekanntschaften hatte, wirklich nicht verdächtig? Was nun jedoch wieder gar nicht ins Bild passte, war die Tatsache, dass Chris keine Anstalten gemacht hatte, sie wieder aus ihrer Wohnung zu entfernen. Und jetzt war die Schauspielerin im Bad verschwunden um zu duschen und ließ sie hier vollkommen unbeobachtet im Wohnzimmer zurück. Würde jemand, der etwas zu verbergen hatte, sie wirklich ganz allein hier im Raum lassen? Für diese ganze Verwirrung gab sie im Augenblick hauptsächlich diesem silberhaarigen Fremden die Schuld. Auch wenn ihr Schützling eben noch erklärt hatte, das es sich bei diesem Kerl nur um einen alten Bekannten handelte, gefiel es der jungen Agentin ganz und gar nicht, dass die andere Blondine und dieser Typ Kontakt zueinander hatten. Zum einen regten sich nun wieder Zweifel in ihr, was die Sache mit der Kriminalität betraf, zum anderen passte dieser Typ ihr persönlich ganz und gar nicht. Was hatte dieser Mann mit dem eiskalten Blick bloß an sich, das die Schauspielerin sich mit ihm abgab? Und was war das für ein brennendes, unangenehmes Gefühl? Eifersucht? Quatsch! Wohl eher Sorge um die Sicherheit der Anderen. Als Jodie das Glas erneut an die Lippen setzte, bemerkte sie, das nichts mehr darin war. Ihr Blick fiel auf die Flasche vor ihr auf dem Tisch. Chris hatte den Alkohol dort stehen lassen, damit sie sich noch etwas einschenken konnte, wenn sie wollte, richtig? bIm Dienst war sie derzeit ja nicht mehr, also würde es doch nicht schaden...? Mit einem neuen Glas Sherry in der Hand, stand die Blondine schließlich vom Sofa auf, lief durch den Raum und betrachtete die Schränke und Ablageflächen. Der dezente Geruch von Zigarettenrauch in der Luft störte sie nicht wirklich und passte schon fast zu der Atmosphäre in diesem Zimmer. Außerhalb der Schränke fand sich nicht sehr viel Persönliches und fast schon hatte sie ihre Runde durch das Wohnzimmer beendet, als ihr ein Foto auf einem Sideboard auffiel. Darauf zu sehen, waren zwei Personen – eine Erwachsene und ein Kind im Alter zwischen acht und zehn Jahren. Im ersten Moment glaubte sie, dass das Foto die Schauspielerin selbst zeigte und vielleicht war das Kind ihre Nichte? Dann jedoch musterte sie das Foto genauer und Jodies Magen krampfte sich zusammen. Bei der Erwachsenen handelte es sich nicht um die Schauspielerin selbst. Zu Beginn ihres Auftrags hatte Chris für sie wie eine exakte Kopie von der Frau ausgesehen, welche ihre Kindheit damals mit einem Schlag zerstört hatte. Inzwischen kannte sie die Schauspielerin gut genug, um auf Anhieb einige Unterschiede zwischen ihr und der Frau aus ihren Erinnerungen zu erkennen. Unterschiede erkannte sie zwar auf Anhieb auch auf dem Foto, doch genau das war das Problem. Die Blondine auf dem Foto hatte zwar starke Ähnlichkeit mit Chris, jedoch war sie es nicht. Bei der Frau auf dem Foto, handelte es sich um den Feuerteufel von damals – die Mörderin ihres Vaters. Mit zitternden Händen hob Jodie das Foto vom Sideboard.   Das Wasser, welches auf sie herab prasselte, fühlte sich angenehm an und machte es leichter, ihre Gedanken ein wenig zu sortieren. Damit, dass Jodie so spät am Abend noch vor der Tür stehen würde und irgendetwas wichtiges mit ihr besprechen wollte, hatte sie nicht gerechnet. Es beunruhigte die Blondine ein wenig, dass ihre derzeitige Besucherin gerade noch erwähnt hatte, dass sie Gin auf dem Laubengang gesehen hatte. Wenn der Silberhaarige Jodie angeblich nicht bemerkt hatte, gab es eigentlich nur eine logische Erklärung dafür : lediglich der Hausmeisterraum, dessen Tür schon seit einigen Wochen offen stand, würde auf dem Laubengang genug Deckung bieten, um einer anderen Person ausweichen zu können. Aber hatte Gin die FBI Agentin wirklich nicht bemerkt? Das würde sich wohl erst noch zeigen. Ganz generell war dieser Abend nun wirklich nicht so gelaufen, wie sie es sich gewünscht hatte. Das die andere Blondine sich neulich so entschlossen zwischen sie und diese Angreifer gestellt hatte, hatte Chris wirklich überrascht. Die Andere hatte ernsthafte Verletzungen riskiert um eine Person zu schützen, die sie nicht einmal besonders gut leiden konnte. Diese Aktion hatte die Kriminelle, die eigentlich nicht an das Gute im Menschen glaubte, beeindruckt und seit diesem Abend hatte sich irgendetwas zwischen ihnen verändert. Sie kamen nun deutlich besser miteinander aus. Während Chris, die der Agentin dankbar war, beschlossen hatte dafür zu sorgen, dass die Organisation dieser Frau kein Haar krümmen würde, musste dieser Tag vor etwa zweieinhalb Wochen auch für Jodie eine Art Schlüsselerlebnis gewesen sein, denn seltsamerweise war die junge Frau ihr gegenüber merklich aufgetaut. Was auch immer der Grund dafür war, ständig schwirrte die Agentin der Schauspielerin neuerdings im Kopf herum, was diese mehr als irritierte. Auch wenn es sich falsch angefühlt hatte, hatte sie gehofft, das Gin sie vielleicht ein wenig auf andere Gedanken bringen könnte. Dies hatte auch funktioniert – zumindest kurzzeitig, bis ausgerechnet Jodie dann so spät am Abend vor ihrer Tür gestanden hatte und wegen irgendetwas furchtbar besorgt schien. Chris wusste, dass sie der Anderen keine Rechenschaft schuldig war, dennoch hatte sie sich sofort schuldig gefühlt, als die andere Blondine vor ihrer Tür aufgetaucht war und sehr wahrscheinlich recht genau verstanden hatte, warum sie ihr nur mit einem kurzen Seidenkimono bekleidet die Tür geöffnet hatte. Die Schauspielerin stellte das Wasser der Dusche etwas kühler und versuchte ihre Gedanken auf diese Art und Weise zur Seite zu schieben. Das sie ausgerechnet eine FBI Agentin in ihre Wohnung gelassenen hatte und diese jetzt auch noch unbeaufsichtigt im Wohnzimmer saß, war wohl eine ziemlich verrückte Entscheidung gewesen. Sie konnte sich schon sehr genau vorstellen was Gin wohl zu so einer Aktion sagen würde, aber das hier ging Personen wie Gin nichts an. Eigentlich war es recht ungefährlich, Jodie allein in ihrem Wohnzimmer gelassen zu haben. Sie war sich fast schon sicher, dass die Agentin sich dort in ihrer Abwesenheit umsehen würde, doch gab es in diesem Raum rein gar nichts, was einen Hinweis auf ihre kriminelle Karriere geben würde. Wenn die Agentin nichts auffälliges fand, würde sie dies vielleicht wieder ein Stück weit mehr davon überzeugen, dass die Schauspielerin nur eine ganz normale Person war. Aus irgendeinem Grund gefiel es der Blondine ganz und gar nicht die Andere so dreist anzulügen, andererseits war ihr natürlich bewusst, dass es niemals eine gute Idee wäre, ihre Tarnung ausgerechnet vor einer FBI Agentin aufzugeben. So sympathisch diese Frau ihr seltsamerweise auch war, sie würde doch niemals durchblicken lassen, dass sie ihr Geld nicht nur mit ihrer legalen Karriere als Schauspielerin verdiente.   Schließlich stieg die Blondine wieder aus der Dusche, trocknete sich ab und zog sich rasch etwas anderes an, ehe sie ihre Haare hochsteckte und schließlich zurück ins Wohnzimmer lief. Ihr Gast saß nach wie vor auf dem Sofa, musterte irgendetwas aber sehr genau. Jodie sah nicht auf, als Chris wieder den Raum betrat und als die Agentin schließlich etwas sagte, klang ihre Stimme irgendwie...seltsam. „Im Hauptgebäude des Filmteams ist ein neuer Brief von dem Stalker eingegangen.“, verkündete sie, ohne um den heißen Brei herumzureden. „Er schreibt, dass ein Treffen kurz bevorstehen würde und du dich besser an seine Warnungen aus den vorherigen Briefen halten solltest, wenn dieses Treffen kein blutiges Ende finden soll. Der Mitarbeiter, der den Brief gefunden hat, und ich, haben uns Sorgen gemacht, als dich niemand erreichen konnte. Daher bin ich hier.“ „Ach ja? Seine Briefe werden auch immer verrückter. Vielleicht gehen ihm langsam die Ideen aus.“ Chris zuckte gelassen mit den Schultern, beschloss jedoch, dass es langsam wirklich an der Zeit wäre, das jemand sich dem Problem mit diesem Stalker annahm, bevor dieser Irre am Ende wirklich noch eines Tages vor ihr stehen würde. Bekannte, die diesen Trottel mit Freuden beseitigen würden, hatte sie schließlich genug. Damit der Typ sein Ende fand, müsste er sich nur erst einmal zeigen... Was sie jedoch etwas mehr irritierte, als die Tatsache, dass es einen neuen Brief von dem Stalker gab, war Jodies Verhalten. Als sie vorhin hier geklingelt hatte, hatte sie so besorgt gewirkt und hatte unbedingt von diesem Brief berichten wollen, jetzt klang ihre Stimme jedoch plötzlich so, als seie ihr die neue Drohung relativ einerlei. Die Agentin stand vom Sofa auf, hob etwas vom Tisch auf und lief um das Sofa herum genau auf sie zu. Chris fiel dabei auf, dass ihre Besucherin schwankte. Als sie an der anderen Blondine vorbei, in Richtung des Wohnzimmertischs sah, wurde ihr auch schlagartig bewusst, warum dies so war. Die Flasche Sherry, die nicht gerade klein war, war zu gut ¾ leer. Oh weh. Kein Wunder, dass ihr Gegenüber irgendwie benommen wirkte. Damit, dass die Agentin sich in ihrer kurzen Abwesenheit so die Kante geben würde, hatte Chris nun wirklich nicht gerechnet. Bevor sie etwas dazu sagen konnte, hatte die andere Blondine sie jedoch erreicht, hielt ihr ein gerahmtes Foto entgegen und erkundigte sich mit sehr seltsamer Stimme :“Wer ist das?“ Dabei deutete die FBI Agentin auf die erwachsene Person auf dem Foto. In Ihren Augen spiegelte sich Entsetzen und eine gewisse Verzweiflung. „Na, na, du weißt aber schon, dass es nicht besonders höflich ist, in den Sachen anderer Leute herumzustöbern?“, hakte Chris nach, ohne auf die Frage einzugehen. Die Reaktion ihrer Besucherin darauf war jedoch nicht absehbar gewesen. Die recht Hand der Agentin schnellte vor, packte sie am Kragen und riss sie mit einem kräftigen Ruck zu ihr heran. Die Schauspielerin stolperte ungefähr einen halben Schritt weit vor, ehe sie sich wieder fing. „Du bist betrunken.“, zischte sie und deutliches Missfallen spiegelte sich in ihren Augen. Ganz gleich wie sympathisch die Andere ihr war, herumschubsen ließ sie sich von niemandem. Der Griff der anderen Blondine verstärkte sich nur noch etwas. „Beantworte meine Frage!“, verlangte sie. Erst als sie spürte, wie die amerikanische Schauspielerin mit beiden Händen nach ihrer rechten Hand griff, um sich aus ihrem Griff zu befreien, wurde Jodie sich bewusst, dass die Aktion gerade wohl nicht unbedingt die Netteste gewesen war. Blaue und grüne Augen trafen sich, funkelten sich einen Augenblick lang zornig an, dann wich die Wut langsam wieder aus dem Blick der FBI Agentin. Sie ließ ihr Gegenüber los und als sie erneut das Wort ergriff, klang ihre Stimme verzweifelt. „Bitte beantworte meine Frage! Es ist mehr als nur wichtig für mich...!“ Chris sah ihr Gegenüber einen Moment lang an, dessen augenscheinliche Verzweiflung ungewollt so etwas wie Mitleid in ihr hervorrief. Ihr Ärger über die ruppige Behandlung eben legte sich langsam. Stattdessen begann die Frau mit den hellblonden Haaren sich zu fragen, warum genau es Jodie so wichtig war in Erfahrung zu bringen, um wen es sich bei der Frau auf dem Foto handelte. Eine leise Stimme in ihr fragte sich, ob es eine kluge Idee wäre, ihr eine Antwort auf diese Frage zu geben, allerdings würde es keinen Schaden für sie bedeuten, die Identität der Frau auf dem Foto preiszugeben. „Die Frau ist meine Mutter.“, erklärte sie schließlich und nickte in Richtung des Fotos. „Sharon.“ Nun konnte die Schauspielerin förmlich dabei zusehen, wie die Gesichtszüge ihres Gegenübers entgleisten. „Daher also diese Ähnlichkeit.“ Die Stimme der Jüngeren war kaum mehr als ein ersticktes Wispern. Einen Moment herrschte Stille, dann hakte Chris, die sich über das Verhalten der Anderen wunderte, schließlich nach :“Warum war es dir so wichtig, das in Erfahrung zu bringen?“ „Kannst du mir sagen, wo ich sie finde?“, drängte ihre Besucherin. „Bitte gib mir ihre Adresse.“ Die Schauspielerin strich sich eine verirrte Ponysträhne aus dem Gesicht und schüttelte kurz den Kopf. „Ihre jetzige Adresse würde dir kaum etwas nützen. Ich weiß nicht, was genau du von ihr möchtest, aber du kannst nicht mit ihr reden. Meine Mutter hat den Kampf gegen den Krebs letztes Jahr verloren.“ Jodie starrte sie an. Der FBI Agentin war deutlich anzusehen, wie hin und hergerissen sie derzeit war, doch obwohl die Höflichkeit es eigentlich gebot, brachte sie keine Beileidsbekundung über die Lippen. Spätestens jetzt wusste die Kriminelle, dass irgendetwas hier ganz und gar nicht stimmte, doch falls, dass ihre Mutter in der Vergangenheit Mist gebaut hatte, würde man es ihr schlecht anhängen können. Chris war intelligent und fragte sich, ob es eine ihrer besten Ideen wäre, gerade wirklich so offen mit der Agentin zu sprechen, aber irgendetwas musste vorgefallen sein und verrückter Weise war es ihr wichtig herauszufinden, was genau passiert war. „Wir hatten kein sehr gutes Verhältnis zueinander und haben uns Jahrelang nicht gesehen.“, erklärte die Schauspielerin noch, ehe sie ihrer betrunkenen Besucherin die Hände auf die Schultern legte und sie zurück zum Sofa führte. Überraschenderweise ließ die andere Blondine sich ohne jeden Protest zurück aufs Sofa verfrachten. „Ich habe deine Mutter vor ungefähr zwanzig Jahren schon einmal getroffen und an diesem Tag hat sich ihr Gesicht auf ewig in mein Gedächtnis gebrannt. Ich würde diese Frau überall wiedererkennen, daher bin ich mir auch so sicher, dass ich damals wirklich der Frau auf dem Foto begegnet bin und keiner anderen.“, begann die Agentin stockend. „Was ist damals passiert?“ Ehe sie antwortete, blieb der Blick der jungen Frau am Wohnzimmertisch hängen und vermutlich lag es an ihrem derzeitigen Alkoholpegel, der sie ihre guten Manieren vergessen ließ, griff sie doch nicht nach ihrem Glas, sondern direkt nach der restlichen Flasche Sherry. Chris beobachtete die Aktion mit hochgezogenen Augenbrauen und fragte sich, wie gut es der eh schon betrunkenen Agentin bekommen würde, jetzt noch mehr Alkohol zu trinken. Sie setzte sich zu der Anderen aufs Sofa und griff nach deren Hand, in welcher sie die Flasche Sherry hielt, um zu verhindern, dass ihre Besucherin ihr hier am Ende noch umkippte. „Das ist keine so gute Idee.“, versuchte sie sie mit ungewohnt sanfter Stimme von dieser Dummheit abzuhalten. Jodie ließ es zu, dass Chris ihr mit der anderen Hand die Flasche abnahm und zurück auf den Tisch stellte, doch als die Ältere ihre Hand, mit der sie sie eben kurz festgehalten hatte, zurückziehen wollte, verschränkte die Agentin ihre Finger mit denen der Schauspielerin und lies sie nicht los. Für einen langen Moment blickte sie sie an, dann senkte sie schließlich den Blick und begann zu erklären, was damals passiert war. „Als ich deine Mutter damals traf, war ich noch ein kleines Mädchen. Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich abends verschlafen ins Wohnzimmer lief und sah, wie diese fremde Frau sich gerade über meinen Vater beugte, der leblos an der Wand lehnte. Sie hat mich damals beruhigt, er würde nur schlafen und ich bräuchte mir keine Sorgen zu machen. Wenig später hat sie unser Haus angezündet und ist verschwunden. Außer mir hat diesen Vorfall niemand überlebt.“   Wenn sie an dieses traumatische Erlebnis aus ihrer Kindheit zurückdachte, sah sie die kalten grünen Augen ihres Gegenübers wieder vor sich. Vor ihrem inneren Auge konnte sie die Flammen wieder lodern sehen. In ihren Erinnerungen hörte sie wieder das Knistern des Feuers, welches sich binnen kürzester Zeit ausgebreitet hatte, und schmeckte wieder den beißenden Rauch. Unsicherheit lag in ihrem Blick, als sie Chris ansah. Sie konnte nicht ganz glauben, das sie der amerikanischen Schauspielerin das eben überhaupt erzählt hatte, doch nachdem sie das Foto entdeckt und mehr getrunken hatte, als es gut für sie gewesen wäre, waren ihr die Worte ganz von allein über die Lippen gekommen. Was allerdings würde die Andere von dieser Geschichte halten? Es kam schließlich nicht jeden Tag vor, dass einem jemand erzählte, dass die eigene Mutter jemanden getötet und anschließend das Haus abgebrannt hatte. Fast schon erwartete sie, dass die Schauspielerin verärgert reagieren würde, oder ihr zumindest nicht glaubte, doch als Jodie ihr Gegenüber musterte, bemerkte sie, dass die Andere weiß wie eine Wand geworden war. Um das sonst so perfekte Pokerface der anderen Blondine war es geschehen. Fassungslos starrte Chris sie an. „Du glaubst mir?“, erkundigte die junge Agentin sich, ehe sie etwas lahm hinzufügte :“Das hätte ich jetzt nicht erwartet.“ Doch obwohl sie mehr als nur angetrunken war, gelang es der Blondine, eine weitere logische Schlussfolgerung zu ziehen. Die Andere sah tatsächlich so aus, als würde sie ihr Glauben schenken. Sie wirkte erschrocken und vollkommen fassungslos, zweifelte aber nicht an, dass ihre Mutter etwas schlimmes getan hatte. Auch wenn das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter wohl nicht das beste gewesen war, so war es dennoch nicht normal, eine solche Anschuldigung nicht erst einmal anzuzweifeln. Dies wiederum ließ für Jodie nur einen Schluss zu :“Du...du wusstest es?!“ Die Worte waren mehr eine Feststellung als eine Frage. Die geschockte Reaktion ihres Gegenübers ließ nichts anderes als die Schlussfolgerung, dass sie von dem Vorfall gewusst hatte, zu. Obwohl Chris sich noch nicht dazu geäußert hatte, riss ihre Erkenntnis der Agentin den Boden unter den Füßen weg. Es hatte Wochen gebraucht, bis sie in der Schauspielerin nicht mehr nur das Ebenbild des Feuerteufels aus ihrer Kindheit gesehen hatte. Es hatte lange gebraucht, bis sie langsam mehr und mehr der Überzeugung gewesen war, dass das FBI gegen die falsche Person ermittelte. Inzwischen hatte sich langsam so etwas wie ein wenig Vertrauen zwischen den beiden gebildet - verdammt, Jodie mochte die andere Blondine sogar, und nun sah alles ganz danach aus, als hätte Chris gewusst, was ihre Mutter getan hatte. Hatte die Schauspielerin am Ende einfach nur nicht damit gerechnet, dass Jodie sich nach all den Jahren noch so genau an das Gesicht der Mörderin ihres Vaters erinnern konnte? „Ja und nein.“, brach die Ältere schließlich das Schweigen. „Wie meinst du das?“ „Kurz vor ihrem Tod, habe ich meine Mutter noch ein letztes Mal gesehen. Sie hat mir erzählt, dass sie mal etwas schlimmes getan hätte. Sie hat erwähnt, dass sie einem kleinen Mädchen den Vater genommen und dann einen Brand verursacht hätte.“, gab Chris zu. Die Ehrlichkeit ihrer Worte überraschte nicht nur Jodie, sondern auch die Schauspielerin selbst. „Sie nannte keine Namen und sehr detailreich war die Aussage auch nicht. Meine Mutter bekam zu diesem Zeitpunkt bereits so hochdosierte Schmerzmittel, dass ich davon ausgegangen bin, sie hätte vielleicht irgendetwas in der Art kurz vorher im Fernsehen gesehen. Ich habe ihr nicht geglaubt und dachte, sie seie nur verwirrt und jetzt...jetzt schilderst du mir das gleiche Geschehnis, nur aus einer anderen Perspektive.“ Einen Moment lang herrschte betretendes Schweigen. Nur langsam erfasse Jodie die Bedeutung der gesprochenen Worte und obwohl es belastend und seltsam zugleich war, mit der Tochter des Feuerteufels über dieses schreckliche Erlebnis aus ihrer Vergangenheit zu sprechen, war sie gleichzeitig auch froh darüber, dass Chris nicht bereits die ganze Wahrheit gekannt und ihr gegenüber nichts erwähnt hatte, sondern dass die Andere die Erzählung ihrer sterbenden Mutter als Resultat von zu vielen, zu hoch dosierten Schmerzmitteln abgestempelt und erst bei Jodies Geschichte realisiert hatte, dass die Worte ihrer Mutter damals der Wahrheit entsprochen hatten. Das erklärte natürlich auch, warum die Schauspielerin so schockiert reagierte. „Ich weiß, dass es das Geschehene nicht rückgängig machen kann und meine Mutter kann auch nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden, aber was passiert ist, tut mir wahnsinnig leid.“ Die junge Agentin brachte die Kraft dazu auf, ihr Gegenüber wieder direkt anzusehen. Jetzt, nachdem das Trauma aus ihrer Kindheit gerade erst wieder hochgekocht war, sah sie im ersten Moment wieder nur die starke Ähnlichkeit zwischen Mutter und Tochter, doch je länger sie die Schauspielerin betrachtete, desto stärker sah sie auch wieder, wie die Andere sich äußerlich doch von der Mörderin ihres Vaters unterschied. „Du hattest wirklich kein all zu gutes Verhältnis zu deiner Mutter, oder?“, wollte sie wissen. Angesprochene schüttelte den Kopf. „Nein. Wir sind nie sehr gut miteinander ausgekommen und irgendwann ist der Kontakt dann ganz abgebrochen. Es war ein seltsames Gefühl, sie vor gut einem Jahr noch ein letztes Mal zu sehen.“ Kurz fiel der Blick der Frau mit den hellblonden Haaren auf ihre Hand, die immer noch von der Agentin festgehalten wurde. Sie wollte die Hand wieder zu sich ziehen, doch die Jüngere verstärkte ihren Griff nur noch. Spontan fragte Chris sich, ob das Verhalten der Anderen des Alkohols geschuldet war, oder ob sie, nachdem die Vergangenheit wieder hochgekocht war, so etwas wie eine Stütze brauchte und diese Stütze gerade in ihr sah, war außer der Schauspielerin doch sonst niemand anwesend. Langsam begann sie sich unbehaglich zu fühlen. Sie war es absolut nicht gewohnt solche Gespräche zu führen und war für so etwas eigentlich auch die falsche Person. Außerdem fragte sie sich, wie sie der FBI Agentin eigentlich noch in die Augen blicken sollte, nach dem, was passiert war. „Du solltest deinen derzeitigen Job besser einem deiner Kollegen überlassen. Niemand kann von dir verlangen, dass du ausgerechnet auf die Tochter der Frau Acht gibst, die deinen Vater auf dem Gewissen hat.“, räumte die amerikanische Schauspielerin schließlich ein. „Als du mir damals erzählt hast, du könntest mich nicht sonderlich gut leiden, weil ich dich an jemanden aus deiner Vergangenheit erinnere, hat schließlich noch keine von uns geahnt, das meine Mutter die Verantwortliche für all das ist.“ Die Agentin warf ihrem Gegenüber einen langen Blick zu. Die ganze Sache hatte sie stark mitgenommen. Ihre blauen Augen wirkten wässrig und doch schüttelte sie schließlich den Kopf. „Nein, diesen Job werde ich nicht abgeben. Es ist seltsam, dass du deiner Mutter so ähnlich siehst, ja, aber nicht du bist für das, was damals passiert ist, verantwortlich, Chris, sondern deine Mutter.“ Die Schauspielerin fragte sich, ob es wohl am Beruf der FBI Agentin lag, dass sie versuchte die Vergangenheit so klar zu differenzieren, oder ob sie dies wirklich so meinte. „Im Gegensatz zu deiner Mutter, hast du niemanden ermordet. Du hast kein Feuer gelegt. Du verdienst dein Geld ganz legal und obwohl du manchmal etwas schwierig bist, bist du kein schlechter Mensch...richtig?“ Überraschend lehnte die Jüngere sich an ihre Schulter. Jodie sah nach diesem Gespräch vollkommen fertig aus. Chris bemerkte, dass sich Tränen einen Weg über die Wangen der Anderen bahnten. Ihre Besucherin wartete auf eine Antwort ihrerseits. Das sie ihre Worte bestätigt haben wollte, war klar. Die Kriminelle fühlte, wie ihr Magen sich schmerzhaft zusammenkrampfte. Nicht nur, dass die Agentin ausgerechnet bei einer Person wie ihr Trost suchte, nein viel schlimmer war die Erkenntnis, dass die andere Blondine ihr zu vertrauen schien. Nach dem, was ihre Mutter in der Vergangenheit getan hatte, sollte Jodie sie eigentlich hassen und doch, tat sie es nicht. Sie selbst mochte die junge Frau, obwohl die Schauspielerin sich der Tatsache bewusst war, dass es niemals gut war, Sympathie ausgerechnet für eine Agentin vom FBI zu empfinden. Und nun wollte ihr Gegenüber die Bestätigung von ihr, dass sie nicht so war, wie ihre Mutter, sondern eine weiße Weste hatte. Normalerweise gingen der Blondine Lügen nur all zu leicht über die Lippen. Auch diesmal klang ihre Stimme überzeugend und ihre Mimik wirkte ehrlich, dennoch schämte sie sich für jedes Wort, als sie das Schweigen schließlich brach. „Keine Sorge, ich bin kein Feuerteufel, so wie meine Mutter es scheinbar war.“, versicherte sie. Ein Feuerteufel in dem Sinne war die Frau mit den hellblonden Haaren vielleicht wirklich nicht, als guten Menschen hingegen würde sie sich selbst ganz und gar nicht bezeichnen. Vielleicht lag es an ihrem Alkoholpegel, doch zumindest schien der jungen Agentin nicht aufgefallen zu sein, dass Chris ihr nur in einem einzigen Punkt Recht gegeben hatte. Nach wie vor machte ihr Gast keinerlei Anstalten wieder auf Abstand zu gehen. Schuldig, wie die Kriminelle sich derweil fühlte, die Jüngere die ihr scheinbar vertraute, so anzulügen, war ihr alles andere als wohl dabei, dass die Blondine ausgerechnet bei ihr Trost suchte. Die Schauspielerin wollte zur Seite rücken, um mehr Abstand zu gewinnen, doch die nur wenige Zentimeter entfernte Armlehne des Sofas, machte ihr da leider einen Strich durch die Rechnung. „Hey, du hast vor ein paar Wochen noch selbst gesagt, dass du mich nicht leiden kannst. Meinst du wirklich, dass ich da die richtige Person zum ausheulen bin?“, versuchte Chris diese unangenehme Situation auf eine andere Art und Weise zu beenden und hoffte gleichzeitig, dass Jodie ihr diese Worte nicht zu sehr verübeln würde. Doch anstatt ihr das Gesagte zu verübeln, übersah ihr stark alkoholisierter Gast den Wink mit dem Zaunpfahl vollkommen. „Als ich das gesagt habe, kannte ich dich ja auch noch nicht.“, murmelte die Agentin nur, ließ endlich ihre Hand los, jedoch nur, um die Schauspielerin einen Augenblick später auch schon in eine feste Umarmung zu ziehen. „Ich kann dich gut leiden, aber deinem zwielichtigen Bekannten, hätte ich heute am liebsten den Hals umgedreht.“ Die Schauspielerin erstarrte, als sie die Bedeutung der Worte realisierte. Normalerweise hatte sie kein Problem mit der Nähe zu anderen Menschen, doch sie hatte sehr wohl ein Problem damit, dass die junge Agentin, die sie selbst wirklich mochte, gerade so etwas gesagt hatte und in ihrer Nähe Trost suchte, während sie selbst nur all zu genau wusste, dass sie nicht der gute Mensch war, den Jodie in ihr sah. Was das betraf, würde sie die Andere auch weiterhin anlügen müssen und obwohl die Kriminelle ihr Gewissen schon vor Jahren abgelegt hatte, schmerzte es sie, der anderen Blondine stets etwas vorspielen zu müssen. Scheinbar war Jodie trotz allem inzwischen dazu geneigt, sie für einen guten Menschen zu halten, während Chris nur zu genau wusste, dass sie eigentlich das komplette Gegenteil davon war. Da sie von ihrem Sitzplatz derweil wohl nicht so leicht würde aufstehen können, ohne die Andere entweder von sich zu schubsen, oder sehr deutliche Worte zu wählen, ergab die Schauspielerin sich wohl oder übel ihrem Schicksal. Sie hoffte nur, dass keiner der anderen Kriminellen es je herausbekommen würde, das ausgerechnet ein Mitglied des FBIs sie so weich werden ließ. „Silly kitten. You're drunk.“, murrte sie, ehe sie damit begann, der Anderen einige verirrte Strähnen aus dem Gesicht zu sortieren. Die blauen Augen ihres Gegenübers wurden langsam schwer. Auch ging von der Anderen derweil ein starker Alkoholgeruch aus. Chris spähte in Richtung Tisch und entdeckte die angebrochene Flasche Sherry, die Jodie beinahe ganz allein getrunken hatte. Sie streckte sich, so gut es gerade eben ging, erwischte die Flasche und schüttete den restlichen Alkohol in das Glas, welches noch auf dem Tisch stand. Das war jetzt genau das, was ihre Nerven wohl gerade auch ganz gut gebrauchen konnten. Während die Schauspielerin den restlichen Sherry trank, wurden die Atemzüge der anderen Blondine langsam ruhig und regelmäßig. Als Chris das leere Glas schließlich zurück auf den Wohnzimmertisch stellte, war die Jüngere wirklich eingeschlafen. Die amerikanische Schauspielerin nutzte dies, um sich endlich aus dem Griff der Anderen zu befreien und vom Sofa aufzustehen. Schließlich sprach sie ihre Besucherin an, schüttelte sie sogar an der Schulter, erhielt bis auf ein leises Murren, allerdings keinerlei Reaktion. Die Wohnungsbesitzerin seufzte. „Na das hat mir ja gerade noch gefehlt.“ Erst einmal lief die Frau mit den hellblonden Haaren durch den Raum und rauchte erst eine, dann gleich noch eine Zigarette. Mal ganz abgesehen von der betrunkenen FBI Agentin, die tief und fest auf ihrem Sofa eingeschlafen war, hatte ihre Liste an Problemen sich heute Abend vervielfältigt. Chris schwirrte der Kopf. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es inzwischen weit nach Mitternacht war. Die schlafende Jodie würde sie heute wohl kaum noch nachhause schicken können, gelang es ihr ja noch nicht einmal, die betrunkene Frau aufzuwecken. Also fasste sie sich schließlich ein Herz, zog und zerrte so lange an ihrer Besucherin, bis diese vernünftig auf dem Sofa lag und morgen keinen Haltungsschaden haben würde, ehe sie ihr die Brille abnahm und auf den Wohnzimmertisch legte. Nachdenklich betrachtete sie die junge Frau einen Augenblick lang. Man sagte zwar, das Betrunkene stets die Wahrheit sagten, doch würde sie auch morgen im nüchternen Zustand noch der Meinung sein, dass man ihr die Taten ihrer Mutter nicht anlasten konnte? Natürlich war das rechtlich nicht möglich, doch würde die Agentin sich morgen vielleicht auch an den Spruch erinnern, dass der Apfel bekanntlich nicht weit vom Stamm fiel? Und hatte sie die Aussage, dass sie sie inzwischen gut leiden konnte, Gin dafür aber vorhin am liebsten den Hals umgedreht hätte, wirklich so gemeint, wie Chris sie interpretiert hatte? Die Schauspielerin blinzelte sich zurück ins hier und jetzt, räumte die leere Flasche und das Glas zurück in die Küche, ehe sie im Schlafzimmer verschwand, von dort ein zweites Kissen und eine zweite Decke holte, womit sie ihre Besucherin ausstattete, die von all dem rein gar nichts mitbekam. Schließlich rauchte sie noch eine dritte Zigarette, ehe ihre Nerven soweit wieder mitspielten, als das sie sich ins Schlafzimmer begeben und selbst darüber nachdenken konnte, noch etwas zu schlafen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)