Ein wenig Leben von Norrsken ([Wieder|vereint]) ================================================================================ Kapitel 5: Tempelbesuch ----------------------- Als Jason fragte, ob Nico ihn zum Tempelberg begleiten wollte, war er unschlüssig. Sein Vater wusste ohnehin schon, dass er zurück war und den anderen Göttern musste er das nicht auf die Nase binden. Allerdings würde Jason in jedem Fall gehen und so sehr er Zeit für sich selbst genoss, wollte Nico gerade lieber in seiner Nähe bleiben. Also stimmte er zu. Bisher hatte er es weniger bewusst wahrgenommen, doch auf dem Weg zu den Tempeln, fiel ihm auf, dass sich in 26 Jahren etwas getan hatte. Auf dem Steinpfad zum Tempel war die Menge aus winzigen Altären und Götterstatuen drastisch angestiegen. Den Grundstein hatte damals Jason als Pontifex maximus gelegt. Er hatte es nicht zu Ende führen können und der Gedanke daran, ließ Nico schwer ums Herz werden. Während der vier Jahre in Camp Half-Blood hatte er sich persönlich darum gekümmert, dass der Bau der Tempel für die kleineren Gottheiten fortgeführt wurde, um ihm zu gedenken. Camp Jupiter hatte er nicht mehr betreten. »Wer hat sich darum gekümmert, dass die Tempel gebaut werden?«, fragte er und vermied es, Jason anzusehen. Er spürte ein Ziehen im Magen, ohne zu verstehen, was der Grund dafür war. Mit einem Blick über die Schulter sah Jason Nico an. Ihm fiel auf, dass der Sohn des Hades‘ ihm auszuweichen versuchte. Das konnte er sich nicht rational erklären, aber er hatte so ein Gefühl, dass es mit ihrem ersten Leben zu tun hatte. Er fragte nicht nach, weil er nicht sicher war, ob Nico – oder er selbst – das wollte. »Hazel war das«, antwortete er. Nun sah Nico ihn doch an. Seine Schwester hatte ihm nie erzählt, dass sie sich im Camp Jupiter um die Erbauung der Tempel kümmerte, wenn sie sich trafen. Ihn beschlich das Gefühl, dass sie es aus Rücksicht ihm gegenüber verschwiegen hatte. Gerne hätte er sie danach gefragt, aber dann kam ihm dieser fürchterliche Gedanke, dass er das vielleicht nicht mehr konnte. Halbgötter hatten häufig keine hohe Lebenserwartung. Wenn seine Schwester verstorben war, während er im Lotos Hotel geschlafen hatte, wüsste er nicht, wie er das wegstecken sollte. Als Nico stehen blieb, tat Jason es auch. Er versuchte ihn anzusehen, doch der Blick des Jungen ging starr zu Boden. Erst als er die Hand auf seine Schulter legte, bekam er eine Reaktion. Seine dunklen Augen wirkten unruhig. »Nico, was ist los?« Gerne hätte er Jason darauf eine Antwort gegeben, aber er konnte nicht. Seine Gedanken flogen wirr durcheinander und er bekam sie nicht richtig zu fassen. Er versuchte ein paar Mal anzusetzen, doch es kam kein Wort über seine Lippen. Ihm brach der kalte Schweiß aus, obwohl er das Gefühl hatte zu glühen. Nicos Atmung ging viel zu schnell und das beunruhigte Jason. Er versuchte es nicht zu sehr durchblicken zu lassen, doch ihm stand die Sorge ins Gesicht geschrieben. Trotzdem bemühte er sich um eine ruhige gefasste Stimme. »Nico, versuch tief durchzuatmen.« Der Griff um seine Schulter wurde fester, als fürchte er, dass Nico ihm zusammenklappen könnte. Es gelang Nico nicht. Sein Atem zitterte, stockte, als könnte er den Sauerstoff nicht mehr aus der Luft nehmen – wie ein Fisch. Als ihm schwindlig wurde, griff er im Reflex nach Jasons Ärmeln. Sein Herz raste. »Nico, sieh mich an«, forderte Jason mit ruhigem, aber strengem Ton. Es brauchte zwei Anläufe bis Nico der Aufforderung nachkam. Die dunklen Augen waren glasig und sein ganzer Körper zitterte. »Es ist okay«, versicherte er ihm. Gerne hätte er ihn in den Arm genommen, doch im Augenblick war es der Situation nicht zuträglich. Sie standen dort noch einen Moment, bis Nicos Atmung sich soweit beruhigt hatte, dass ihm nicht mehr schwindlig wurde. Sein Körper zitterte weiterhin ohne ersichtlichen Grund und das einzige, was Jason dazu einfiel, war Bewegung. Er nahm die Hand seines Freundes und zog ihn sanft den Weg weiter entlang. Sie gingen im gemächlichen Tempo über den Tempelberg, vorbei am Tempel der Bellona und des Mars Ultor. Als sie auch den Tempel von Jupiter Optimus Maximus hinter sich ließen, fragte Nico sich, wohin Jason eigentlich wollte. Aus Angst, dass ihm die Stimme brach, blieb er stumm. Mit etwas Geduld, würde er sehen, wohin er mit ihm wollte. Die schwarze Krypta, die in den Hang eingelassen war, weckte vertraute Gefühle. Wieso Jason gerade hierhin wollte, konnte er sich jedoch nicht erklären. Erschöpft wie er war, ließ er sich weiterführen und sie betraten zusammen den Tempel von Pluto – dem römischen Äquivalent zu seinem Vater. Sie nahmen auf einer Bank vor dem Altar Platz. Im Tempel war es um einiges kühler, doch es fröstelte ihn nicht. Die Geräusche von raschelnden Blättern und singenden Vögeln wurden von dem Gemäuer gänzlich verschluckt, sodass eine Grabesstille herrschte. Anderen war diese Stille unangenehm, zu belastend oder gab ihnen ein Gefühl von Einsamkeit. Für Nico war sie stets etwas Tröstliches. Ihm fiel es leichter, Abstand zu nehmen und sich zu konzentrieren. Mit einigen bewussten Atemzügen beruhigte er seinen rasenden Herzschlag. Seine verkrampften Finger lockerten ihren Griff und ruhten auf seinen Beinen. Schließlich lehnte er sich mit einem tiefen Seufzer zurück. Nico spürte Jasons forschenden Blick auf sich ruhen und erwiderte ihn endlich. Sie waren nicht lange unterwegs, doch er fühlte sich schrecklich erschöpft. Mit Mühe bekam er ein mattes Lächeln zustande. »Danke«, murmelte er. Es reichte, dass Jason ihn hören konnte. Er atmete auf und die Anspannung fiel von seinen Schultern. Als seine Sorge allmählich in den Hintergrund rückte, versuchte er zu verstehen, was gerade passiert war. Schon als sie sich dem Tempelberg näherten, hatte Jason das Gefühl, dass Nicos Gemütszustand sich verschlechterte. Es gelang ihm nicht, mit dem Finger drauf zu deuten, wann es umgeschlagen war. Letztendlich wurde er selbst nervös. Auch wenn er nichts sagte, war sich Nico sicher, dass sein Freund Fragen hatte. Sein Blick war auf seine Hände gerichtet. Er erinnerte sich an das Sprichwort, dass die Hände das wahre Alter eines Menschen verraten würde. Er strafte diese Weisheit Lügen. »Hazel ist meine Schwester, weißt du?« Es fühlte sich komisch an, ihn das zu fragen. Jason und Hazel gehörten zu den sieben Halbgöttern, die den Kampf mit Gaias Riesen aufgenommen hatten. Allerdings in einem anderen Leben und er wusste nicht, wie viele Erinnerungen nach der Wiedergeburt zurückgekehrt waren. Immerhin war es ungewöhnlich, dass er sich überhaupt an sein vorheriges Leben erinnerte. »Ich weiß.« Jason massierte sich den Nacken und ein verlegenes Lächeln lag auf seinen Lippen, was Nico irritierte. »Sie hat mir den Weg zur Unterwelt gezeigt.« Nico blinzelte. Einmal. Zweimal. Es brauchte einen Augenblick, bis er die Information verarbeitet hatte. »Du warst bei ihr.« Vor gar nicht allzu langer Zeit, wie ihm klar wurde. Der schwere Stein in seinem Magen löste sich auf und hinterließ ein leichtes Kribbeln. Auf einmal kam ihm seine Angst lächerlich vor und er spürte, wie seine Ohren heiß wurden und die Augen brannten. Wie peinlich! Er würde nicht weinen. »Nico?« Ein leises Knurren verbot Jason, weiter zu fragen. Der Sohn des Hades‘ hatte das Gesicht wieder von ihm abgewandt, doch er erkannte die roten Ohren unter den schwarzen Haaren. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen, aber er entsprach dem Wunsch und fragte nicht weiter. Stattdessen nahm er seinen Rucksack auf den Schoß, um sich darum zu kümmern, weshalb er hier war. Das Rascheln machte Nico neugierig und er warf einen scheuen Blick über die Schulter. Jason holte zwei Granatäpfel und ein paar getrocknete Lorbeeren hervor – typische Opfergaben für den Gott Pluto. »Wofür ist das Opfer?«, fragte er. »Als Dank«, antwortete Jason und lächelte dieses einnehmende Lächeln. Er streckte die Hand nach Nico aus und zog den Jungen näher zu sich, um ihm einen Kuss auf die Stirn zu geben. »Für dich.« Er stand auf und brachte die Opfergaben zum Altar. Erneut verlor Nico seine Stimme und hatte den Mund offen wie ein Karpfen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)