Im Wechsel der Jahreszeiten von DieLadi ================================================================================ Kapitel 65: Frühlingsblüten, Sommerastern, Herbstzeitlosen, Winterschnee Teil 17 - Schneeregenzyklus Teil 6 - Tränen und Trauer ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Marti saß zusammengesackt auf dem Boden. Er hatte mit seinen Armen seine Beine umschlungen, den Kopf auf den Knien und schluchzte. Jako hatte sich zu ihm gehockt, die Arme um ihn gelegt, strich ihm über den Kopf und fühlte sich gerade etwas hilflos. „Marti“, sagte er leise, „komm hoch, du wirst dich verkühlen auf den kalten Steinplatten... es hat angefangen zu regnen... du wirst ganz nass!“ Ja, inzwischen fiel ein eiskalter Schneeregen, aber Marti schien das nicht zu bemerken. „Marti, komm, bitte, lass uns ins Warme gehen!“ Jako versuchte es noch einmal. Marti nickte unter Tränen und rappelte sich mühsam auf. Jako zog in in eine feste Umarmung, dann nahm er Martis Hand in seine und zog ihn mit sich. Es waren nur noch wenige Meter bis nach Hause. Er hoffte, dass es Marti in der Wärme der Wohnung, in der vertrauten Umgebung ein wenig besser gehen würde. Oben angekommen, half er Marti aus Jacke und Schuhen und bugsierte ihn aufs Sofa. Er zog ihm die nasse, dreckige Jeans vom Leib. Holte die weichste Flauschdecke, die sie besaßen und wickelte Marti darin ein. Dann nahm er ihn noch einmal ganz fest in den Arm. „Ich mach dir nen Tee, ja?“ Der nickte nur. Jako nahm der Tod des Mädchens auch mit, na klar. Er hatte sie ja auch gekannt und gemocht. Aber sein Kontakt war doch eher lockerer Art gewesen, während Marti in den letzten Wochen beinahe jeden Nachmittag bei ihr gesessen hatte und sie zutiefst ins Herz geschlossen hatte. Es war eine richtige Freundschaft geworden zwischen seinem Mann und Alex. Und nun das. Jako brach fast das Herz, Marti so sehr traurig zu sehen. Er beeilte sich mit dem Tee. Martis Lieblingstee: Früchtetee mit Gebrannte-Mandel-Geschmack. Als er ins Wohnzimmer zurück kam, hatte Marti wieder die Arme um seine Knie geschlungen und sich ganz tief in die Decke gekuschelt. Jako reichte ihm die Tasse. Marti nahm sie entgegen und sah Jako dankbar an. „Ich weiß nicht, warum das Leben manchmal so ein Arschloch ist“, sagte er und schniefte. „Sie wollte, dass ich ihre Eltern kennen lerne. Irgendwie habe ich die immer verpasst. Aber sie wollte sie fragen, ob sie mit mir ein Lied zusammen aufnehmen darf, sie konnte nämlich gut singen, und ob wir das auf meinem Kanal veröffentlichen dürfen. Oh Scheiße, jetzt werde ich die Eltern wohl das erste mal zu ihrer Beerdigung treffen... ich will mir gar nicht vorstellen, wie es denen jetzt geht...“ Und wieder brach Marti in hemmungsloses Schluchzen aus. Auch Jakos Augen füllten sich mit Tränen. Er lehnte seinen Kopf an Martis Schulter, und sie weinten gemeinsam. Irgendwann atmetet Jako tief durch, küsste Marti sanft und nahm ihm die inzwischen leere Teetasse aus der Hand. „Möchtest du noch einen?“ „Nein Danke.“ „Du solltest etwas essen, Marti.“ „Ja... ich habe zwar keinen Hunger, aber du hast wohl recht.“ „Ich bin gleich wieder da, okay?“ „Okay.“ Er überlegte einen Augenblick. Ein paar Brote schmieren? Ja, das wäre das einfachste... Doch dann hatte er eine bessere Idee. Er sprang rasch über den Flur. Klingelte bei Omi Lindner. Er schilderte ihr kurz, was geschehen war und bat sie um eine Portion ihrer unglaublich guten Hühnersuppe, von der er wusste, dass sie immer einige für Notfälle sowohl seelischer als auch grippaler Art eingefroren hatte. Frau Lindner, die liebe alte Dame, gab ihm, was er erbat und bot auch sonst jegliche Hilfe an. Er nahm sie kurz in den Arm, was ihm unglaublich gut tat, denn auch er war tieftraurig und brauchte Trost, brauchte andererseits aber auch ganz viel Kraft, um für Marti dazu sein. Da war es einfach schön, einfach mal nen Moment lang selbst gehalten zu werden. Dann sauste er zurück in die Wohnung, stellte die Suppe in die Mikrowelle und wartete ein paar Minuten, bis sie heiß dampfte. Er füllte etwas davon in eine große Suppentasse, tat einen Löffel dazu und brachte es seinem Schatz ins Wohnzimmer. Marti nahm die Tasse dankbar entgegen. „Iss, mein Schatz, das wird dir gut tun“, sagte Jako leise. Marti nickte und begann brav, die Suppe zu löffeln. Sie war kochend heiß, er musste pusten und sich konzentrieren, um sich nicht zu verbrennen. Das lenkte ihn ein bisschen ab. „Ich bin tieftraurig“, sagte Marti irgendwann. „Dieses Mädchen war so voller Lebensfreude. Die Tatsache, dass sie wohl nie wieder würde tanzen können, dass sie wahrscheinlich ein Leben lang Schmerzen haben würde, und immer in ihren Bewegungen eingeschränkt bleiben würde... sie wusste, sie könnte das nicht ändern, also hat sie es als Schicksal hingenommen und das beste draus gemacht. Sie hat sich an jedem kleinen Fortschritt gefreut, hat so viel gelacht, hat gekämpft und jeden kleinen Sieg gefeiert. Sie hätte es verdient gehabt, zu leben, verdammt noch mal!“ Er seufzte tief. Jako wusste nicht, was er antworten sollte. Was soll man da auch sagen? Er wollte jetzt einfach nur für Marti da sein. Ihn halten, ihm zuhören, sich um ihn kümmern. Er liebte ihn aus tiefsten Herzen und das war jetzt ein Augenblick, wo er ihn einfach nur halten und stützen wollte. „Marti, morgen bleibst du zu Hause. Du kannst so nicht zur Arbeit. Ich werde gleich morgen früh im Studio anrufen“, sagte er. Und fügte hinzu: „Einverstanden?“ Es war ihm wichtig, klarzustellen, dass er hierbei Marti die Entscheidung überließ und nicht auf Gehorsam bestand. Marti nickte. „Ja, ich glaube, ich könnte das morgen auch gar nicht...“ „Und ich bleibe auch zu Hause. In der Uni ist derzeit eh nichts wichtiges. Ich kümmere mich um dich, okay?“ Marti nickte dankbar. „Jako?“ „Ja?“ „Wenn ihre Eltern nichts dagegen haben, möchte ich zu ihrer Beerdigung...“ Er schluckte schwer. „Und... würdest du mich dann begleiten?“ „Marti, das fragst du noch? Natürlich. Ich bin immer für dich da, das weißt du doch.“ „Danke, Jako. Ich liebe dich. Ich bin froh, dass du bei mir bist. Bin froh, dass ich dich habe.“ „Ich liebe dich auch.“ Ja, dachte Jako. In guten wie in schlechten Zeiten. In Sonnenschein und Regen. In Licht und Dunkelheit. In Freud und Leid. Und er küsste Marti liebevoll auf die Stirn. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)