Cursed or not von April_Jones ================================================================================ Kapitel 8: Verstehen - Das Recht auf seinen Tod ----------------------------------------------- "To save Dean Winchester, that was your goal, right? You drape yourself in the flag of Heaven, but ultimately, it was all about saving one human." Metatron zu Castiel   Das diffuse Licht des Bunkers erhellte den großzügigen Raum. Sam hielt sich an der Tischplatte fest, seine Knöchel traten weiß hervor. Er hatte nur warten können. Nur warten. Denn er selbst hatte nichts mehr tun können, nur Castiel konnte es und er hatte den Engel machen lassen. Jetzt war das Warten vorbei. Und er wusste nicht, was schlimmer war. Es war klar, was er getan hatte. Sam hätte die Schreie nicht hören müssen, um zu wissen, welchen Preis Deans Leben hatte. Damals hatte Dean ihm einen Engel aufgezwungen, um ihn zu heilen, obwohl er bereit gewesen war zu sterben. Nun hatte Sam ihm diesen Gefallen erwidert. Es hatte sein müssen. Sie hatten getan, was nötig war. Sie hatten das Richtige getan. Sie hatten keine Wahl gehabt. Oder? Castiel tauschte mit ihm aus leeren Augen einen Blick. „Er lebt“, schienen sie zu sagen. Sam nickte, die Lippen zu einer schmalen Linie zusammengepresst, irgendwo zwischen dankend, zur Kenntnis nehmend und bestürzter Gewissheit. Dann war der Engel verschwunden. . Ein Steppengebiet irgendwo in Zentralasien, fernab von jeder Zivilisation. Ein Ort, an dem er niemandem schaden konnte. Ein trockener Wind fegte durch die dürren Gräser, wirbelte den Staub des kargen Bodens auf und drang kalt durch den dünnen Stoff des Trenchcoats. Castiel spürte es nicht. Seine Schreie vermischten sich mit dem Donner, der über ihm grollte. Wahrscheinlich war er dafür verantwortlich. Was hatte er bloß getan?! Dean hatte ihm vertraut, er war doch sein Freund. Und er… er hatte Dean weh getan, so sehr. Dem Menschen, dem er nie wieder weh tun wollte. Dem Menschen, der ihm so viel bedeutete. Er hatte ihm auf einer Weise Leid zugefügt, wie er es seinem schlimmsten Feind nicht wünschte. Er hatte nicht nur das Vertrauen des Jägers missbraucht, sondern auch ihn selbst, seinen Körper, seinen Geist, seine Seele. Hätte jemand anderes Dean soetwas angetan, der Engel hätte diesen auf der Stelle getötet. Castiel wusste nicht, wie lange er schon mit geschlossenen Augen in dem hohen Gras gekauert hatte. Als er sie öffnete, saß eine alte Nomadin neben ihm auf einem Stein. Sie sagte etwas zu ihm. Ein Dialekt irgendwo zwischen Kasachisch und Kirgisisch. Der Bote des Himmels hätte sie wohl verstanden, er verstand jeden Menschen dieser Erde, wenn er denn hingehört hätte. Er zog in Erwägung einfach wieder zu verschwinden, sich einen neuen Ort zu suchen, einen an dem er allein sein konnte. Aber stattdessen ließ er sich von der zierlichen Frau in ihr Zelt führen. Wieso, wusste er selbst nicht. Er sah ihr zu wie sie Tee kochte. Was hatte er nur getan? Er fühlte sich wund, roh, zerrissen. Als wäre etwas tief in ihm kaputt gegangen. Als hätte er einen Teil von sich unwiderruflich verloren. Er konnte Dean nicht weh tun ohne sich selbst zu verletzen. Das war schon immer so gewesen. Und es war oft so gewesen, viel zu oft. Aber dieses Mal… dieses Mal war es anders. Er hatte Dean verloren. Sie legte ihm ein Fell um die Schultern. Wenn Castiel es nicht besser gewusst hätte und ein Mensch gewesen wäre, hätte er sie wohl als Engel bezeichnet. Ihre Seele leuchtete warm, gütig und weise. Fast so wie die mandelförmigen Augen in ihrem faltigen Gesicht, Zeugen längst vergangener Zeit. Sie hatte ein langes Leben geführt, bald würde sie sterben. Was hatte er getan?! Dieser eine Mensch war in all den Jahren mehr gewesen als es seine himmlische Familie je hätte sein können. Und nun hatte er ihre Freundschaft für Deans Leben geopfert. Aber Dean hatte sein Leben nicht gewollt, nein, er selbst hatte Deans Leben gewollt. In seinem Egoismus hatte er ihm das Leben aufgezwungen. Hatte nicht jedes fühlende Wesen das Recht auf seinen Tod? Das Recht zu entscheiden, wann es genug war? Allein bestritt die Nomadin ihr karges Leben in dieser schier endlosen Einöde, doch einsam war sie nie. Diese Frau schenkte ihm ihre Gastfreundschaft und ihre kostbare Zeit, nichts ahnend, wen sie da zu sich eingeladen hatte. Oder wusste sie es doch? Sie sah ihn an und lächelte. Er hatte es getan. Er allein. Schuld wog wie Ketten, die ihn am Boden hielten, in die Tiefe zogen, in sein Fleisch schnitten und klaffende Wunden hinterließen, sodass alle Welt sehen konnte, was er getan hatte. Es war als läge eine unendlich schwere Last auf seinem Brustkorb, die ihm seinen Atem nahm, ihn nach und nach erdrückte. Indem er Dean genau das angetan hatte, was dieser so sehr bereute, hatte er dessen Schuld auf sich übertragen. Er hatte Deans Schmerz auf sich genommen. . Der Duschhahn fühlte sich kühl und glatt unter seinen noch immer bebenden Fingern an, bis Tropfen von oben herabfielen und das Salz aus seinem Gesicht wuschen. Dean ließ sie, streckte sich ihnen entgegen wie ein Kind dem warmen Sommerregen, hieß sie willkommen wie Lungen den Sauerstoff. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zum letzten Mal so sehr geweint hatte. Es war befreiend gewesen, denn zuvor hatte er es nicht gekonnt. Nicht vor Sam. Und erst recht nicht vor sich selbst. Bei ihrem Leben hatte er es sich nicht leisten können schwach zu sein. Die Stimme seines Vaters und die Verachtung darin hallten noch immer nach: Du weiß wer heult? Babys. Doch nun war es zu viel. Vor dem Spiegel war es aus ihm herausgebrochen. Den Versuch sich am Waschbecken festzuhalten hatte er aufgegeben, als alles wie eine einzige verheerende Woge über ihn hereingebrochen war und ihn überwältigt hatte. Geschüttelt von Weinkrämpfen war er zu Boden gesunken, sich windend unter den Schluchzern, die sich ihren Weg seine Kehle hinauf erkämpft hatten. Melanie. Fühle es sich so an? Das Gefühl wie Castiel ihn von hinten gegen diese Wand gefickt hatte. Sein bester Freund hatte ihn genommen gegen seinen Willen, oder? Castiel hatte ihm die Wahl gelassen, entweder den Engel durch sein fluchgesteuertes Tun zu verletzen oder selbst zu erdulden, was dieser mit ihm tat. Deans Entscheidung war klar gewesen. Er hatte nicht eine Sekunde darüber nachdenken müssen oder wollen. Allein der Gedanke, dass Cas an seine Stelle getreten wäre, ließ seinen Magen zusammenziehen. Ihm wurde schlecht. Er musste sich an der Duschwand abstützen, um nicht erneut zu taumeln. So wie er sich abgestützt hatte als Cas… Es zu verdrängen war zwecklos. Seine übliche Strategie würde hier keinen Nutzen haben. Castiel hatte ihn berührt wie es noch niemand zuvor getan hatte. Es hatte weh getan, sehr. Aber vor allem schmerzte, dass Cas es gewesen war, der ihm weh getan hatte. Und doch musste Dean sich eingestehen, dass der Engel ihn berührt hatte noch bevor dessen Hände und dessen Körper es getan hatten. Schon vor Jahren hatte Cas etwas in ihm angestoßen, von dem er nicht gewusst hatte, das es überhaupt da war. Etwas, dem er seither versuchte keine Beachtung zu schenken. Etwas, das alles kompliziert machen würde. Etwas Mächtiges. Etwas, das mächtiger gewesen war als der Fluch, sodass er genug Kraft gehabt hatte, Cas nichts anzutun. Dann der Moment als der Engel in ihn eingedrungen war… Er hatte sich nie freier gefühlt. Nichts, was Castiel getan hatte, hatte Dean als falsch empfunden. Das war seine Nähe nie. Sein Handeln war nicht verwerflich, sondern gerechtfertigt gewesen. Buße. Das hier war seine Buße gewesen, die ihn befreite, die ihn frei machte von dem, was er selbst getan hatte. Erschöpft vom Weinen lehnt Dean seine pochende Stirn an die kühlenden Fliesen und spürte dem Nass nach, das auf seinen Rücken fiel. Geschützt vor der Welt da draußen hier in der Dusche bei laufendem Wasser, abgeschirmt durch einen Vorhang aus Tropfen. Das Wasser lief und lief, spülte alles ab, Tränen, Schweiß und Blut, die Angst, die Verzweiflung und all die Schuld. Alles wurde abgewaschen, hinfort getragen in klaren Strömen. Dean fühlte sich wie ausgehöhlt. Wo vorher Schmerz gewesen war, war jetzt Leere, nicht nur in seinem Körper. Castiel war gegangen. Die Nacht war geblieben. . Dean war aus der Dusche gestiegen. Er wusste nicht, wie lange er unter dem regengleichen Schauer gestanden hatte. Vielleicht nur Minuten. Vielleicht Stunden. Wasserdampf durchzog das Bad wie dichter Nebel, der sogar die Zeit zu verschleiern vermochte. Tropfen perlten über seine Haut und zeichneten verschlungene Muster auf seinen Körper. Der Jäger sah an sich herab, über all die Narben und Wunden, die seine Feinde und seine Freunde auf ihm hinterlassen hatten, und er selbst. Es war nicht zu übersehen, wie kaputt er war. Beschädigte Ware. Wie viele Monster hatten diese Hände schon getötet? Wie viele Menschen? Und wog das eine das andere auf? Vielleicht gab es keinen Unterschied, kein Schwarz und Weiß, nur undurchdringliches Grau, das so viele Farben barg, wenn man den Mut hatte genauer hinzusehen. Zwischen monströsen Menschen und menschlichen Monstern. Dean und Dorothy. Er bemerkte nicht, dass er fror, bis er zu zittern begann. Feuchte, dunkle Flecken hatten sich auf der Frotteematte unter seinen Füßen gebildet. Zögernd streckte er eine Hand aus, nahm sich eines der Handtücher aus dem alten Eichenschrank und trocknete seinen wunden Körper. Castiel hatte seine Male auf ihm hinterlassen, ihn erneut gezeichnet. Sich das Leben nehmen, seltsamer Ausdruck. Wem das Leben nehmen? War es erst einmal vorbei, war es nicht man selbst, der es vermisste. Der eigene Tod war etwas, das jedem anderen passierte. Sein Leben gehörte nicht ihm allein, das verstand Dean nun. (1) Jetzt erkannte er die wahre Bedeutung des Fluchs. Jeden Monat musste er sich erneut für das Leben entscheiden. Zu leben war für ihn kein Zustand mehr, sondern eine Entscheidung, etwas das er aus freien Stücken wählte und für das es sich zu kämpfen lohnte. Auch mit sich selbst, mit seiner Vergangenheit, seiner Schuld und seinen inneren Dämonen. Um derer willen, die er liebte. Für Sam. Und für Cas.   "I was lost until I took on your pain." Castiel 1) Quelle: BBC Sherlock 4x02 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)