Cursed or not von April_Jones ================================================================================ Kapitel 2: Vergeltung - Ein Mädchen namens Dorothy -------------------------------------------------- Vergeltung Ein Mädchen namens Dorothy "I know how my story ends. It's at the edge of a blade or the barrel of a gun." Dean Die Sonne war längst untergegangen und nichts hatte sich getan. Keine Besucher, keine Schreie, keine ungewöhnlichen Vorkommnisse. Sie hätten doch gleich handeln sollen. Diese Warterei ging ihm auf die Nerven. Dean wippte mit dem Fuß auf die Bodenplatte seines Babys. So sehr er es auch liebte in ihr zu sein… Nein, Moment, stopp, das hörte sich irgendwie falsch an. Doch die alte Lady würde wohl für immer seine einzige Gefährtin auf Dauer sein, die einzige Konstante. Mit Ausnahme seiner Familie natürlich. Sam. Und dann war da noch Castiel, aber der zählte nicht. Cas war einfach… Cas. Der war eine Kategorie für sich. Er hatte in keine von Deans bisherigen Schemata gepasst. Nicht nur irgendein Engel, nicht nur irgendein nützlicher Kampfgefährte, nicht nur irgendein Freund. Also war er einfach Cas. „Dean, da tut sich was!“ Sam knuffte ihn in die Seite. Der Ältere war so in Gedanken gewesen, er hatte gar nicht bemerkt, wie sich eine dunkle Gestalt aus dem unbeleuchteten Haus geschlichen hatte. Das kam dabei heraus, wenn er nachdachte, wenn er zu viel Zeit dafür hatte. „Ernsthaft? Zufuß?“ Seine Begeisterung hielt sich in Grenzen. „Hast du ein Auto bei ihr gesehen?“, fragte Sam rhetorisch, „Also ich nicht.“ Leise stiegen sie aus dem Wagen und ließen ihn dort stehen. Die Nacht roch nach welkem Laub und nassen Straßen. In der Ferne bellte in Hund. Dunkle Wolken hatten sich über das Firmament gelegt und verschluckten auch noch das letzte kärgliche Licht der Sterne. Nebel war vom Meer kommend aufgezogen und machte ihre Kleidung unangenehm klamm. Die Schwaden legten sich in wallenden Fetzen um das Geäst der Bäume, die sich in die Finsternis streckten als ob sie sie willkommen hießen. Die beiden Männer bogen um eine Straßenecke und folgten der Gestalt unbemerkt durch finstere Gassen bis zu einer Kirche. Steil ragte ihr Glockenturm in den nächtlichen Himmel, als würde sie ihre Hand ausstrecken, auf ewig unergriffen, zu Stein geworden, erstarrt und unbeweglich. Einsam in ihrem ungehörten Hilferuf. Dean entsicherte seine Pistole und trat gefolgt von seinem Bruder durch das schwere Flügeltor. Die Scharniere quietschten. Es dauerte eine Weile bis sich ihre Augen an die Dunkelheit im Inneren gewöhnt hatten. Man sah kaum die Hand vor Augen, aber Beleuchtung jeglicher Art wäre zu riskant gewesen, die Gefahr entdeckt zu werden zu groß. Ihre Schritte hallten im Gang wider. Es war kalt. Irgendwo schlug mit einem lauten Knall eine Tür zu. Die beiden Jäger fuhren zusammen und wandten sich in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war, ihre Schusswaffen im Anschlag, ihre Körper angespannt, die Muskeln kampfbereit. Da, ein schwaches Licht. Sie spähten durch den Spalt einer angelehnten Tür zum Kantoreisaal. Im Schein einiger Kerzen zeichnete Dorothy Good Runen an die Holzvertäfelung einer Wand. Triumphierend warf Dean seinem Bruder einen Blick zu. „Siehst du, ich hatte doch recht“, schien er zu sagen. Ein freudloses Grinsen zierte seine Lippen. Sam schüttelt nur ergeben den Kopf. In einer Abfolge von Handzeichen, die wohl nur Brüder unter sich verstehen konnten, besprachen sie ihr weiteres Vorgehen. Die alten Dielen knarrten unter ihren schweren Schuhen, als die Jäger vorsichtig die Tür zum Saal aufstießen und mit vorgehaltenen Schusswaffen eintraten. Sie waren schnell, effektiv und leise. Jahrelanges Training seit frühester Kindheit. Wachsam sahen sie sich im Raum um, scannten jeden dunklen Winkel mit den Augen ab. Wo war die Frau? Eben war sie doch noch genau dort vor der Mauer gewesen. Zu spät registrierten die Winchesters, dass die Hexe sie von Anfang an bemerkt haben musste. Sie wurden gegen eine Wand geschleudert. Dean hörte Knochen brechen. Er hoffte, dass es, was auch immer es war, zu ihm und nicht zu seinem Bruder gehörte. „Ihr wollt mich aufhalten?! Ich dachte, ihr Jäger jagt Monster“, hörten sie sie rufen. Echtes Unverständnis schwang in ihrer Stimme. „Die haben mich dazu gebracht gegen meine eigene Mutter auszusagen! Die haben mich verkauft für 50 Dollar. Aber zuerst musste ich zusehen, wie meine kleine Schwester verhungert. Sie war ein Baby!“ Die junge Frau kämpfte mit sich. Es war unschwer zu erkennen, dass es sich für sie so anfühlen musste, als sei all das erst vor Tagen geschehen und nicht vor Jahrhunderten. Trauer, Angst und Wut spiegelte sich in ihrem Blick. So viel Wut. „Du hättest nichts tun können, du warst selbst noch ein Kind, es war nicht deine Schuld“, versuchte Sam sie mit erhobenen Händen zu beschwichtigen. Seine Pistole war über den Boden gerutscht und lag nun einige Schritte entfernt. Und so war er schutzlos im Angesicht der Gefahr. Noch ein wenig benommen musste er ihr zugestehen, dass sie ihren eigenen Überraschungseffekt gegen sie verwendet hatte. „Dann haben sie meine Mutter getötet! Sie hat niemandem etwas getan! Aber die haben sie hingerichtet!“, redete sie sich mehr und mehr in Rage. Die dunklen Haare standen ihr wirr vom Kopf ab und ihr Kleid flatterte im Luftzug. „Diese Scheinheiligen wollten nur vertuschen, dass einer von ihnen sie gefickt hat! Also zeige ich allen, wie triebgesteuert sie in Wahrheit sind. Ich will zusehen, wie sie an ihren eigenen Regeln verrecken.“ „Die Menschen, die dir das angetan haben, sind schon lange tot.“ Sam gab nicht auf. „Und ich bin mir sicher, sie haben ihr Strafe bereits erhalten, Dorcas.“ Ihr Gesicht verfinsterte sich. „Das ist nicht mein Name!“, spie sie aus, „Ich heiße Dorothy! Die hatten nicht mal den Anstand meinen richtigen Namen zu verwenden! Nein, sie haben sich einen neuen ausgedacht, um zu zeigen wie wertlos ich bin!“ Das Licht der Kerzen flackerte unstet und warf springende Schatten an die Mauern. Eine gefährliche Anspannung ließ die Luft um sie herum sirren. Ein falscher Schritt und das war’s, das war den Jägern klar. In diesem Zustand war sie unberechenbar. „Du warst erst vier Jahre alt, nicht wahr?“, lenkte Dean ihre Aufmerksamkeit auf sich. Sie schluckte, ihr Blick glitt in weite Ferne. Dann als hätte sie eine Entscheidung getroffen, straffte sie entschlossen ihre Schultern. „Damals konnte ich nichts tun, aber jetzt kann ich es.“ Sam war derweil aufgestanden und wollte sich ihr nähern, doch sie bemerkte ihn. Im letzten Moment gelang es Dean seine Waffe zu erreichen, die einen Meter neben ihm auf dem Boden lag. Als sie das sah, presste sie ihre Hand auf die Runen. Ein gleißend heller Lichtblitz zuckte durch den Raum und es war als würde ein Stromschlag durch Deans Körper fahren. Seine Knie gaben nach. „Dean!“ Zu sehen wie sein Bruder zu Boden ging und sich nicht mehr rührte, versetzte Sam in Angst und Schrecken. Reglos lag er da. Der Jüngere schrie und wand sich, doch es gelang ihm nicht sich zu befreien. Irgendetwas hielt ihn mit aller Kraft an die Wand gedrückt. Schmerzerfüllt stöhnte Dean auf. Sein Schädel pochte. Er war mit der Schulter irgendwo aufgeschlagen, sie fühlte sich taub an. „Sam? Bist du okay?“, war das Erste, was er mühevoll über seine Lippen brachte. Zittrig versuchte Dean sich aufzusetzen. Jede Bewegung tat verdammt weh. Er versuchte seinen Bruder anzusehen, um sich zu überzeugen, dass es ihm gut ging. Doch der starrte nur zu der jungen Frau hinüber. Erstaunen stand auf sein Gesicht geschrieben. Ihr Gesicht dagegen war zu einer Fratze verzerrt. „Dean, sie hat Angst vor uns…“, flüsterte er. „Das sollte sie auch“, antwortete der Ältere grimmig. „Nein, sieh doch, sie hat nur Angst.“ Und tatsächlich, obwohl die Jäger klar in der Defensive waren mit der Wand im Rücken, sprach die Furcht aus ihr. Wie ein in die Ecke gedrängtes Tier stand sie da, bereit zu einem erneuten Angriff, die Möglichkeit zur Flucht bereits ausgeschlossen vor so langer Zeit. „Wir sind nicht wie die“, richtete Dean sodann das Wort an die junge Frau. „Es wird sich bald zeigen was für ein Mensch du bist“, versicherte sie ihm. „Ich weiß, wie es ist in diesem Alter seine Mutter zu verlieren.“ Bring deinen Bruder so schnell du kannst nach draußen und sieh nicht zurück! Jetzt! Dean, lauf! Die Stimme seines Vaters angsterfüllt. Die Hitze auf seiner Haut, er spürte sie noch immer. Der Moment, in dem er aufgehört hatte ein Kind zu sein. „Du glaubst du bist wie ich? Das bist du nicht!“ Sie trat einen Schritt näher und betrachtete eingehend den blonden Mann vor sich. Ihr Blick ging ihm durch und durch. „Du hattest etwas, das ich nie hatte. Ich kann ihn auf deiner Seele sehen.“ Unbewusst fasste Dean sich an seine linke Schulter. Eine Erkenntnis traf Sam und eine Idee formte sich. Was wenn sie es doch gehabt hatte? „Wer hat das gemalt?“ Er hielt ihr die Zeichnung aus dem Stadtarchiv entgegen. „Ich weiß es nicht! Ich erinnere mich nicht…“, wehrte die Frau ab. „Versuch es. Wer hat dich gemalt?“ Sam ließ nicht locker. Sie starrte auf die Abbildung ihrer selbst. Schwarze Kohle auf vergilbtem Papier, die Strichführung achtsam, weich im Detail, beinahe hingebungsvoll. Die Dorothy auf dem Bild schenkte dem Zeichner ein Lächeln, das ihrem Antlitz ein undefinierbares Leuchten verlieh, Ausdruck ihrer Zuneigung. Ihre Augen weiteten sich, als eine lang vergessene Erinnerung in ihrem Geiste aufflammte. „Jim… Sein Name war Jim…“ „Wer war er? Wer war er für dich?“, fragte der Jäger sanft. „Ich… Wir…“, gebrochen übertönte ihre Stimme kaum das Klopfen von Sams Herz, „Wir haben uns geliebt…“ „Dorothy, deinem Körper mag die Zeit nichts anhaben können, aber dein Gedächtnis… es… es zerfällt Stück für Stück. Zuerst war es nur das letzte Jahrzehnt, nicht wahr? Dann das letzte Jahrhundert, dann die letzten zwei.“ An all das Gute, das ihr nach ihrer Gefangenschaft widerfahren war, erinnerte sie sich nicht mehr. Übrig geblieben war nur das verängstigte Kind, dem die Mutter weggenommen wurde. „Ich werde alles vergessen… Ich werde Jim vergessen…“ Bestürzung und Trauer einer Frau, die alles verloren hatte, ihre Würde, ihre Familie, ihren Glauben, ihre Liebe und nun auch noch diese eine gute Erinnerung. „Irgendwann kommt der Moment, da ist es genug. Vielleicht ist es Zeit für dich zu gehen.“ Dorothy zückte ein Messer und trat auf Sam zu. Dean machte einen Satz nach vorn, bereit den vermeintlichen Angriff abzuwehren, bereit sein Leben für das seines Bruders aufs Spiel zu setzen. Doch die Frau streckte ihre Hand aus. „Schon gut, es ist wahr. Und ich bin froh, dass all das endlich vorbei ist. Aber ihr werdet mir dabei helfen müssen“, sagte sie gefasst mit einer Klarheit und Tapferkeit, die selbst die Jäger erstaunte. Der Stolz einer gebrochenen Frau. Sie wollte dem Jüngeren das Messer geben. Es war eindeutig, was sie von ihm erwartete. Sie wollte, dass er sie tötete, dass er ihr ein Ende bereitete. Jedoch hielt Dean sie zurück: „Nein, lass mich das tun.“ Darüber schien sie nicht überrascht und nickte knapp. Ein letztes Mal richtete sie sich an den Größeren: „Sam, vergiss nie, dass sich manche Monster noch daran erinnern, wie es ist menschlich zu sein.“ „Und wenn nicht, werde ich sie daran erinnern“, sagte dieser und schenkte ihr ein bestätigendes Lächeln. Böse Dinge zu tun machte Menschen nicht automatisch zu bösen Menschen, daran hatte Dorothy ihn erinnert. Selbst Vampire konnten sich gegen das Töten entscheiden. Selbst Geister konnten Frieden finden. Selbst Dämonen konnten geheilt werden. Jeder war es wert gerettet zu werden, aber nicht jeder konnte gerettet werden. „Viel Glück dabei…“, murmelte sie, wandte sich zu Dean und legte ihm das Messer in die Hand. „Ich habe geahnt, dass du dich so entscheiden würdest.“ Schließlich glaubte der ältere Winchester, dass er längst verdorben war, die Seele seines Bruders aber konnte noch gerettet werden. Und dabei begriff er nicht, dass er selbst bereits gerettet war. Sie sah ihm in die Augen. „Auch deine Zeit wird irgendwann kommen, Dean Winchester.“ Er sah zurück in die ihren. „Ich weiß, und ich werde bereit sein.“ „Du schon, aber wird auch er es sein?“ Es war unklar, wen sie damit meinte. Schon lange war es nicht mehr bloß eine Person, die Dean etwas bedeutete. Vielleicht erwartete sie keine Antwort oder vielleicht kannte sie sie bereits, denn sie stieß hervor: „Na mach schon, kein Grund es hinauszuzögern.“ Langsam drehte Dean die Stichwaffe in seiner Hand. „Hast du Angst?“ Sie antwortete nicht, doch er konnte es in ihren sturmgrauen Augen sehen. Er legte ihr eine Hand auf die Schulter, eine Geste, die sie beruhigen sollte. Oder ihn selbst? Das hier war mehr als aktive Sterbehilfe. Der Jäger war es gewohnt zu töten und doch musste er sich überwinden, das zu tun, was getan werden musste. Dieses Mädchen hatte zwar schlimme Dinge getan, aber hinter ihrer Fassade aus Tapferkeit lag tiefe Trauer um das, was gewesen war, und große Furcht vor dem, was kommen würde. „Ich werde es schnell machen.“ Dean wollte nicht, dass sie litt. „Denk an etwas Schönes.“ Ihre Augen weiteten sich, als er die Klinge zwischen ihre Rippen stieß. Ein gequälter Laut verließ ihre Kehle. Ihre Knie gaben nach und er fing sie auf. Sie versuchte ihn anzusehen, doch die Augenlider vor ihren suchenden Pupillen flatterten. Sie lag in seinen Armen, ihre Muskeln verkrampften sich, der Schmerz ließ ihren Körper erbeben. „Dorothy, lass los…“ „Wohin werde ich gehen?“, keuchte sie erstickt. Das Sprechen fiel ihr schwer. Blut lief in einem dünnen Rinnsal aus ihrem Mund. Ihre Finger krallten sich in seine Jacke. „Ich weiß es nicht…“ Er wünschte, er hätte ihr eine Antwort geben können. Er nahm ihre Hand und hielt sie während sie zum letzten Mal ausatmete. Da war etwas in ihren Augen, im Moment des Todes, Erlösung. Dann war sie still. Dean sank neben ihrem leblosen Körper zu Boden. Seine blutbesudelten Hände hörten nicht auf zu zittern. Sam kniete sich neben seinen Bruder und wollte ihn in seine Arme ziehen, doch der stand abrupt auf und ging, verließ den Raum, verließ das Gebäude, ließ die Hilflosigkeit zurück. Begierig sog der Blonde die kühle Nachtluft in seine Lungen. Bloß fort von dieser Kirche. In der Nähe fand er einen Bottich mit Regenwasser. Sein Abbild, gebrochen widergespiegelt in den kräuselnden Wellen des Wassers, blickte ihm erschöpft und leer entgegen, als er seine Hände in das kühle Nass tauchte, das Blut abwusch und sein Gesicht damit benetzte. „Dean, du wurdest von einem Fluch getroffen“, richtete der Jüngere mit Bedacht das Wort an ihn. „Mir geht es gut, ich fühle mich wie immer“, antwortete dieser knapp, dem sorgenvollen Blick seines Bruders ausweichend. Sam seufzte. „Als ob das ein gutes Zeichen wäre.“ "I don't care what happens to me. I never really have." 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