Koi no mae wa ... von Harulein (Wie alles begann ...) ================================================================================ Kapitel 4: [Tsuzuku] Schwankend ... ----------------------------------- So ging es ein paar Tage irgendwie gut. Oder so ähnlich wie gut. Meto kam jeden Tag, mal früher und mal etwas später, setzte sich zu mir und war einfach da. Jedes Mal brachte er mir etwas zu trinken mit, Limo oder Wasser, und wir gingen auch einmal wieder zusammen in die Innenstadt, wo er mir einen neuen Gürtel für meine Hosen kaufte, weil mein alter schon ziemlich brüchig war, und dann noch ein T-Shirt. Aber die meiste Zeit über saß er einfach bei mir, und ich merkte, dass man mit ihm gut zusammen schweigen konnte. Es war kein unangenehmes Schweigen, sondern fühlte sich gut an, so als ob es mir gut tat, dass jemand einfach bei mir war, ohne zu verlangen, dass ich über irgendwas sprach. Und Meto schien ohnehin daran gewöhnt, nicht viel zu reden. Nach dem, was er mir erzählt hatte, fiel ihm das Sprechen mit anderen sehr schwer, er schien so etwas wie einen Sprachfehler zu haben, der dafür sorgte, dass er am liebsten wenig redete. Warum das mir gegenüber anders war, verstand ich immer noch nicht, aber ich nahm es hin und es freute mich sogar irgendwie. An diesem Tag, es war wohl so eine Woche, nachdem ich zum ersten Mal mit Meto im Badehaus gewesen war, wachte ich morgens mit einem noch stärkeren Gefühl unendlicher Schwere in mir auf. Der dunkle Schleier, der über allem lag, schien noch ein wenig dunkler und dichter geworden zu sein, nachdem die vergangenen Tage eigentlich ganz erträglich gewesen waren. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich soweit wach und bewusst war, dass ich den stechenden Schmerz in meinem Magen spürte. Wieder zweieinhalb Tage ohne richtiges Essen forderten ihren Tribut, ich spürte starke Krämpfe und hörte das fordernde Knurren selbst nur allzu laut. Langsam und vor Schmerz zitternd richtete ich mich auf, zog meine Tasche heran und holte all das heraus, was mir Haruna über die Woche hinweg immer mal wieder zugesteckt hatte: Cracker, zwei Reisbällchen, eine Packung gewöhnliches Brot, zwei Packungen Instant-Raamen. Ich riss das Papier um die Reisbällchen ab und biss wahllos in das erste hinein. Innen drin steckte ein Stückchen Fisch oder Ähnliches, und es schmeckte nicht mal schlecht, sodass ich das ganze Reisbällchen in ein paar Bissen aufaß, um mit dem zweiten ebenso zu verfahren. Was da als Füllung drin war, wusste ich danach schon nicht mehr, ich bemerkte es einfach nicht, schlang es nur so runter. Als nächstes riss ich die Cracker auf, nahm zwei oder drei auf einmal raus und stopfte sie mir in den Mund, eine Ladung, noch eine und noch eine … Sie waren ziemlich trocken, sodass ich zwischendurch einen Schluck Wasser brauchte, ich trank die Flasche fast aus und aß weiter, die ganze Packung leer, schnell und ungehalten, und ohne an irgendwas zu denken. Mit einem Mal fühlte ich mich richtig gut, stand einfach auf und zog meine Jacke an, dann ging ich rüber zum Fluss, wo die Sonne gerade über dem Wasser aufging und sich darin spiegelte. Ich setzte mich auf eine der Bänke und genoss eine Weile den Sonnenaufgang, fror ein wenig, doch das machte mir wenig aus. Ich musste sogar ein wenig lächeln, so gut fühlte ich mich. Es war so früh, dass fast niemand auf dem Fluss oder an seinen Ufern unterwegs war, nur weiter hinten, auf der anderen Seite, saßen ein paar Männer herum, die vielleicht von einer nächtlichen Party kamen und offenbar noch Reste von Alkohol im Blut hatten, denn sie lachten laut, es schallte zu mir herüber. Doch mit einem Mal zerplatzte mein Glück, wieder einmal, wie so oft. Mein Magen, von der vielen, viel zu schnell aufgenommenen Nahrung heillos überfordert, krampfte sich wieder zusammen, und ich konnte mich gerade noch so über das Geländer zwischen mir und dem Fluss beugen, ehe mir alles hochkam und ich mich ins Wasser erbrach. Danach sank ich mitten auf dem Uferweg zusammen und blieb dort eine ganze Weile sitzen. Mein Körper schmerzte, ich zitterte, und in meinem Kopf ging alles durcheinander, hoffnungslos ineinander verschlungen und ohne einen erkennbaren Ausweg. Ich war schon so oft an diesem Punkt gewesen, an dem ich im Grunde keinen Sinn mehr im Leben sah, und manchmal fragte ich mich wirklich, warum ich überhaupt noch lebte, wenn doch jedes Glück so schnell wieder vorbei war und sich immer sinnloser anfühlte. Ich erhob mich, ging zu einer der Bänke, die hier standen, und ließ mich darauf sinken, und dabei blickte ich hoch, zu den Bäumen. Mein Blick suchte nach einem stabilen, geeigneten Ast … Nein … Irgendwas in mir wollte das noch immer nicht. Da war noch dieses kleine Fünkchen Leben in mir, noch ein kleines bisschen Wunsch danach, weiter zu gehen, zu leben. Ich stand wiederum auf, ging zum Park zurück, zu meinem Schlafplatz, wo ich mich auf meinen Schlafsack setzte und mein Messer aus meiner Tasche kramte. Es war ein kleines, aber scharfes Armeemesser eines Schweizer Herstellers, ich hatte es bekommen, als ich ungefähr vierzehn gewesen war und ein Messer als Statussymbol irgendwie cool gefunden hatte. Das Geld dafür hatte mir Mama zum Geburtstag geschenkt … noch nicht ahnend, was ich später damit tun würde … Ich spürte das kühle, schwere Metall in meiner Hand, klappte die Klinge aus, fuhr vorsichtig mit dem Daumen darüber. Es war paradox, aber manchmal, wenn ich wieder ans Sterben gedacht hatte, dann wollte ich mich verletzen, um mich wieder lebendiger zu fühlen. Ich tat mir nicht weh, um zu sterben, und ich hatte nicht die Absicht, mir die Pulsadern vollends aufzuschneiden. Sterben wollte ich anders. Wenn ich mich ritzte, dann entweder, um den unerträglichen Schmerz in meiner Seele zu betäuben, oder mich lebendig zu fühlen. Durch die vielen großen Tattoos auf meinen Armen war nicht mehr allzu viel Platz dort, und so stand ich wiederum auf und ging zu dem gemauerten Toilettenhäuschen, welches mir und den anderen als Waschraum diente, weil es dort auch einen Spiegel und ein Waschbecken gab. Ich betrat den Raum, machte Licht an, schloss die Tür hinter mir und zog vor dem Spiegel meinen Pullover aus. Mein Körper war in einem erbärmlichen Zustand, und ich fand, dass es dann auch wohl passte, wenn ich die Haut über meinen darunter so sichtbaren Rippen ein wenig einschnitt, um das Bild meiner Selbstzerstörung noch weiter zu treiben. Ich konnte meinem Spiegelbild nicht in die Augen sehen, blickte nur auf meinen Körper und setzte die Klinge unterhalb des Implantats auf meinem Brustbein an, spürte das kalte Metall und zog es langsam über meine Haut nach unten … Ein Schnitt, noch einer, und noch einer, immer mehr … Es fühlte sich gut an. Blutstropfen rannen über meine Haut, kitzelten mich und schienen warm, so warm und rot und irgendwie süß … Ich spürte mein Herz klopfen, aufgeregt und lebendig, und wusste, dass ich ohne das hier kaum leben konnte. Ich brauchte es zu sehr. Und so versank ich fast ein wenig darin, ehe mich ein Klopfen an der Tür aufschrecken ließ. „Tsuzuku, bist du da drin?“, hörte ich von draußen die Stimme von Hiro, einem meiner ‚Mitbewohner‘ unter der Brücke. „Blockierst du wieder das Bad, oder was?!“ „Hau ab!“, schrie ich durch die geschlossene Tür. „Es gibt hier noch andere Menschen, die dieses Bad brauchen!“ „Ich bin ja gleich fertig!“ Ich zog den Pullover einfach wieder an. Ob er drinnen Flecken vom Blut bekam, war mir egal. Dann schloss ich die Tür auf und ließ Hiro rein, ehe ich selbst den Raum verließ und mich wieder zu meinem Schlafplatz begab. Erst, als ich mich dort hinsetzte, spürte ich so etwas wie unangenehmen Schmerz auf meiner Haut. Und es dauerte noch eine ganze Weile, bis mir auch nur ein wenig klar wurde, dass das, was ich da getan hatte, irgendwie nicht richtig war. Es war falsch, krank, gestört, sagte mein Verstand. Doch mein Gefühl hatte den Anblick meines Blutes derartig genossen, dass ich es wohl wieder tun würde. Immer wieder, ich war schon daran gewöhnt … An diesem Tag dauerte es lange, bis die anderen in den Park kamen, und Haruna und Hanako tauchten überhaupt nicht auf. Ich wusste nicht, welchen Wochentag wir hatten, und es war mir auch irgendwo egal. Ich hoffte nur, dass Meto herkommen würde, denn dieses Gefühl, dass er meinen leeren Tagen wieder so etwas wie einen Sinn und ein bisschen Freude gab, begann langsam, dafür zu sorgen, dass ich mich nach seiner Anwesenheit sehnte. Immer wieder sah ich rüber zu der Ampel, wo er immer kam, doch es wurde Mittag und er war immer noch nicht da. Ich stand in der Zeit mehrmals auf, nahm mir mein Waschzeug und ging noch mal zum Toilettenhäuschen, um mich ein wenig frisch zu machen. Seit ich Meto kannte, war es mir auf einmal wieder wichtiger, nicht so allzu sehr wie das Wrack auszusehen, als das ich mich fühlte. Ich wollte ihn nicht dadurch abschrecken, dass ich mich äußerlich komplett gehen ließ. Zwar beschränkte sich dieses Kümmern um mein Erscheinungsbild nur darauf, dass ich mich ordentlich wusch, etwas sorgfältiger als sonst rasierte und meine Haare besser kämmte, aber immerhin … Als ich zum gefühlt einhundertsten Mal rüber zu der Ampel schaute, wo Meto immer noch nicht aufgetaucht war, hörte ich plötzlich seine Stimme hinter mir: „Ich bin hier!“ Ich drehte mich um und da kam er auf mich zu, aus Richtung der Innenstadt. Er hatte zwei volle Tüten bei sich, die aussahen, als käme er gerade vom Shoppen. „Was ist das?“, fragte ich und deutete auf die Tüten. „Ich hatte Lust, einkaufen zu gehen, und hab dir auch bisschen was mitgebracht“, sagte er und stellte eine der Tüten vor mich hin. „Jeans und zwei Shirts und so … Nur Schuhe konnte ich dir keine kaufen, ich weiß ja deine Größe nicht.“ „Sechsundzwanzig“, nannte ich meine japanische Schuhgröße. „Hast du denn Lust, mit mir loszugehen? Ich glaube, du könntest ein neues Paar Schuhe brauchen, oder?“, fragte Meto. Ich sah auf meine gründlich abgewetzten Turnschuhe und nickte. „Ja, vielleicht wär das ganz gut.“ „Aber erst gehen wir baden.“ Meto lächelte und reichte mir seine Hand, ich nahm sie und er zog mich hoch. Erst dann fiel mir wieder ein, dass ich mich verletzt hatte. Und dass ich somit heute besser nicht ins Badehaus ging. „Geht nicht …“, sagte ich leise und blickte zu Boden. „Ich kann heute nicht baden gehen.“ „Warum nicht?“ Ich konnte ihn nicht ansehen, als ich es aussprach: „… Weil ich mich … wieder geritzt habe …“ Meto sah mich erschrocken an. „Oh …“ „Nicht tief, du musst mich nicht verbinden oder so … Aber ich kann so nicht ins Badehaus.“ „Okay, dann eben nur einkaufen“, sagte er, und dann, leiser: „Aber wenn du dich mal … schlimmer verletzt, sagst du mir das dann? Nicht, dass du mir noch umkippst oder so…“ „Muss ich dir das versprechen?“, fragte ich. „Bitte …“ „Ist gut … Ich sag’s dir dann …“ „Am besten wäre es natürlich, wenn du es gar nicht erst tust …“, sagte Meto, ganz leise. „Das kann ich nicht.“ Erst einmal beließ er es dabei, wir gingen los in die Innenstadt und zu einer dieser preisgünstigen Schuhladen-Ketten, wo man für 2000 Yen ein Paar Schuhe bekam. Ich hatte meine schwarzen Turnschuhe tatsächlich gründlich satt und als ich ein ähnliches Paar in dunkelrot in einem der Regale stehen sah, lief ich darauf zu. 2500 Yen, das war natürlich mehr, als ich besaß. Schon war ich ein wenig enttäuscht, weil mir diese Schuhe wirklich gefielen, ich aber eben nur 1500 Yen besaß. „Diese da?“, fragte Meto, und ich nickte. Und schon hatte er sein Portmonee draußen und sah nach, wie viel Geld er noch dabei hatte. „Ich zahl es dir zurück“, sagte ich. „Musst du nicht. Du hast nur dieses eine Paar, die sind kaputt, also brauchst du wirklich neue, die schenk ich dir.“ „Danke … Aber, kann ich das irgendwie wieder gut machen?“ Ich konnte mich nicht so einfach damit abfinden, dass Meto mir die Schuhe schenken wollte. „Indem du … heute mal ein bisschen glücklich bist“, antwortete er. „Das reicht mir schon.“ Und so wurde das Paar rote Schuhe gekauft, ich zog sie gleich vor dem Laden an und die alten, kaputten Schuhe kamen in den nächsten Mülleimer. Irgendwie fühlte sich das befreiend an. Und auf den neuen Schuhen lief ich gefühlt wie auf Wolken. Eine rauschende Hochstimmung ergriff mich, und ich schwebte geradezu durch die Innenstadt, neben Meto her, der sich darüber offenbar sehr freute. „Siehst du, jetzt geht’s dir gut“, sagte er. „Die fühlen sich toll an, die Schuhe!“ „Und du bist unheimlich hübsch, wenn du gut drauf bist, weißt du das?“ Ich musste lachen. „Bist du schwul oder was?“ Mit einem Mal blieb Meto stehen, knallrot im Gesicht. Zuerst verstand ich nicht mal, warum, doch als er nicht einfach weiter ging, sondern sich auf eine Bank setzte und immer noch rot wie Klatschmohn zu Boden blickte, da kapierte ich es. „Oh …“, entkam es mir. „Tut mir leid … sorry …“ Ich ging zu ihm, setzte mich neben ihn. „Wusstest du ja nicht“, sagte er leise und mit Tränen in den Augen. „Hey, ist doch kein Ding. Mich stört so was nicht, wirklich nicht!“, erwiderte ich. Meto sah mich an, errötet und unsicher. „Wirklich nicht?“, fragte er. „Nein, und warum auch? Ich weiß, dass auch ein Mann, der Männer lieber hat als Frauen, nicht gleich jeden bespringt. Ich bin kein homophober Idiot.“ Meto lächelte ein wenig. Und nun war ich es, der ihn umarmte, zum ersten Mal, einfach um ihm zu beweisen, dass ich ihm gegenüber, trotz dass er schwul war, keine Berührungsängste hatte. „Aber … nen festen Freund oder so hast du nicht, oder?“, fragte ich dann. Er schüttelte den Kopf. „Nein. Und … na ja, Jungfrau bin ich auch noch …“ Ich musste lächeln. „Wie alt bist du denn eigentlich?“ „Achtzehn …“ „Dann ist das doch noch gar kein Ding …“, sagte ich und meinte das auch so. „Ist ja auch nicht so einfach für dich, nen Partner zu finden, oder?“ Meto zuckte mit den Schultern. „… Ich kann eben nicht gut reden …“ „Jungfrau mit achtzehn ist kein Drama, Meto. Okay, ich hatte meine erste Freundin mit sechzehn, und danach noch einige andere … Aber ich bin da echt kein Maßstab. Ich hab da … sehr viel falsch gemacht, verstehst du? Ich wünschte, ich hätte diese Erfahrungen nicht.“ Er sah mich an, schien überrascht, vielleicht von meiner plötzlichen Offenheit. „Du findest bestimmt noch jemanden“, sagte ich und lächelte ein wenig. „Du bist so ein lieber Mensch, irgendwann wird das jemand bemerken und sich in dich verlieben.“ Wir gingen dann noch nicht gleich zurück in den Park, sondern zu einem großen Platz, auf dem es einen Brunnen gab. Auf dessen Rand setzten wir uns hin und beobachteten einfach eine Weile lang die Menschen, die an uns vorbei liefen. Es war warm heute und nach einer Weile zog ich meine Jacke aus, machte meine zutätowierten Arme sichtbar, was Meto dazu animierte, sich diese mal genauer anzusehen. „Was ist das alles?“, fragte er und deutete auf meinen rechten Arm, wo sich in meinem Fullsleeve-Tattoo ein Selbstbildnis von mir der Gesellschaft einiger dämonischer Wesen erfreute. Ich nannte die Namen der Dämonen und ihre verschiedenen Bedeutungen, und Meto hörte mir interessiert zu. Manches fiel mir schwer, zu erklären, weil es eher Gefühle waren, die sich zwar in Bilder, aber nur schwer in Worte fassen ließen. Warum die Wesen auf meinem Arm zumeist schwer untergewichtig aussahen, war so etwas. Ich konnte sagen „Ich hab eben Probleme mit dem Essen“, aber das war längst nicht der ganze Grund, warum es so war. Der wahre, vollständige Grund ließ sich für mich einfach kaum in Worte fassen. „Und du, deine Tattoos?“, fragte ich Meto, aus Interesse, und auch, um damit von mir selbst ein wenig abzulenken. „Warum hast du gezeichnete Spermien auf deinem Arm?“ Ich musste ein bisschen lachen, vielleicht weil einen so etwas Sexbezogenes leicht lachen ließ … „Das sind die Spermien zu dem Baby“, sagte er und deutete dabei auf seine linke Brustseite, wo sich ja, wie ich schon vom Badehaus her wusste, dieses Baby im Mutterleib bunt und groß ausbreitete. „Ah“, machte ich und musste wieder grinsen. „Und die sind noch nicht bunt, weil?“ „Ich war lange nicht mehr im Studio. Das Tattoo ist noch längst nicht fertig“, erklärte Meto. „Auf meine Hand muss noch ein Spinnennetz hin, und dann wird alles bunt gemacht.“ „Cool“, sagte ich, „Dieses Bunte, das steht dir. Meins wäre es nicht, aber zu dir passt es gut.“ „Du magst einfarbige Tattoos lieber?“ Ich nickte. „Vielleicht bin ich einfach nicht der Typ für Bunt …“ Wir blieben noch eine Weile dort an dem Brunnen sitzen, dann stand Meto irgendwann auf, sagte, dass er Hunger hatte. Gegenüber, am Rand des Platzes, gab es einen dieser süßen Bäckereishops, wo man Donuts und dergleichen essen konnte. Auf diesen Laden steuerte Meto zu, und ich ging langsam hinter ihm her, hoffend, dass ich vor der Tür auf ihn warten konnte, denn da hinein zu gehen, wo es so nach Essen roch, das wollte ich nicht. Meto drehte sich zu mir um. „Möchtest du … auch was?“, fragte er. Mein Kopf sagte ‚Nein, nichts essen, nie was essen, bloß nichts essen‘, doch ich spürte, mein Magen war leer, und sobald ich wagte, daran zu denken, was man in diesem Laden alles essen konnte, fing er an, fordernd zu knurren. „Oder soll ich dir nur was zu trinken holen?“, fragte Meto, als ich nicht antwortete. Ich nickte nur. Ich wartete also vor dem Laden und sah durch die Fensterscheibe zu, wie Meto sich ein Tablett nahm und an der Selbstbedienungstheke zwei Donuts und zwei Flaschen Limo aussuchte. Beim Gedanken an das süße, fettige Gebäck mit der bunten Glasur fühlte ich Hunger und Abstoßung zugleich, und als Meto aus dem Laden kam, war mir ein wenig schwindlig. Wir gingen zum Brunnen zurück, und Meto öffnete die Tüte, der sogleich dieser typische süße Geruch entstieg. „Sag Bescheid, wenn du auch was haben willst, okay?“, sagte er. Ich beugte mich ein wenig vor, schnupperte vorsichtig, spürte dabei, wie leer mein Bauch war, fühlte wieder leichten Schwindel. Meto nahm einen der Donuts aus der Tüte und biss hinein, ich sah zu und der Schwindel in mir wurde mehr und mehr, in meinen Ohren fing es an zu rauschen, vor meinen Augen blitzten kleine weiße Punkte, und ich hörte mich selbst sagen: „… Nicht gut …“ Meto sah mich an, ich nahm ihn nur verschwommen wahr, und als er fragte: „Was ist?“, da konnte ich das unter dem Rauschen kaum hören. „Tsuzuku? Hey, du bist ja ganz blass!“ Ich spürte seine Hand, die meine ergriff, und seine andere Hand berührte meine Stirn, die vielleicht feucht oder kalt war, doch das fühlte ich schon nicht mehr wirklich, denn im nächsten Moment sackte ich weg. … „Tsuzuku?! Hörst du mich?!“ Ich blinzelte, langsam kam die Welt zurück, und das erste, was ich wirklich spürte, war, dass ich irgendwie von Leuten umringt war. Langsam öffnete ich die Augen und blickte in Metos besorgtes Gesicht, er sah mich von oben her an, und das, was ich unter meinem schmerzenden Kopf spürte, mussten seine Knie und Oberschenkel sein, auf denen ich lag. Um uns herum standen drei oder vier Leute, und jemand Fünftes kniete neben mir und fühlte gerade meinen Puls. Ich erkannte eine weiße Uniform, vielleicht ein Notarzt, und langsam dämmerte mir, was passiert war. „Ah, da sind Sie ja wieder“, sagte die weiße Uniform, und ich erkannte eine Frau. „Sie sind ein paar Minuten ohnmächtig gewesen, ich war zum Glück gerade in der Nähe. Passiert Ihnen das öfter, dass Sie einfach umkippen?“ „Nein …“, sagte ich, und präzisierte dann: „Nur manchmal …“ Ich versuchte, mich aufzurichten, doch sofort war der Schwindel wieder da und so stark, dass ich wieder auf Metos Knie sank. „Haben Sie heute schon genug gegessen und getrunken?“, fragte die Frau. Ich schüttelte den Kopf. „Noch nichts“, sagte ich, was halb gelogen war, nur hatte ich das Essen von heute Morgen ja wieder erbrochen. Die Frau griff nach der Limo-Flasche, die Meto für mich gekauft hatte, und reichte sie mir. „Sie sind vermutlich unterzuckert, da ist Limonade genau richtig“, sagte sie. Ich richtete mich wieder auf, dieses Mal etwas langsamer, Meto öffnete die Flasche für mich, und er stützte mich auch, als ich sie an meine Lippen setzte und einen Schluck nahm. Die Leute, die um uns herum gestanden hatten, gingen nun auch wieder weg, nur die Frau, die wohl Ärztin war, blieb noch einen Moment. „Sie müssen drauf achten, immer genug zu trinken und zu essen“, sagte sie. Ich antwortete nichts darauf. Was hätte ich auch sagen sollen? Dass ich obdachlos, depressiv und essgestört war? Ich wollte darüber nicht reden. Die Limonade trank ich aus, dann half Meto mir, aufzustehen. Ich war noch ein wenig wacklig auf den Beinen, weshalb er zur Sicherheit meinen Arm hielt und mich ein wenig stützte. Aber als wir wieder im Akutagawa-Park angekommen waren, fühlte ich mich schon wieder halbwegs sicher. „Geht’s wieder?“, fragte Meto, als ich wieder auf meinem Schlafplatz saß. Ich nickte. „Dann kann ich dich jetzt alleine lassen?“ ‚Nein‘, sagte mein Gefühl. ‚Bleib bei mir, bitte …‘ Aber ich sagte nichts. Weil ich Angst hatte. Angst, dass ich ihm mit meiner Angst, allein wieder in mir selbst zu versinken, zur Last fiel. Er tat schon mehr als genug für mich. Und so sagte ich „Ja, geht schon, ich bin okay“ und ließ ihn gehen. „Ich komme morgen wieder“, sagte er. Ich sah ihm lange nach, als er den Park verließ. Zwar wusste ich, er würde morgen wieder da sein, doch die Aussicht darauf, wieder den ganzen Abend allein hier zu sitzen, ließ mich schon wieder beinahe verzweifeln. Wenn ich so alleine hier saß, verlor ich mich jedes Mal in mir selbst, anders ließ es sich nicht beschreiben. Ich versank in meinem leeren und zugleich chaotisch überfüllten Innenleben, und meine große Angst vor den anderen Menschen verhinderte, dass ich zu ihnen ging, um meine Einsamkeit durch die Gesellschaft anderer zu vertreiben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)